Anfangs schien alles sehr stark von der Defensive geprägt zu sein. Wenige Chancen und noch weniger Tore dominierten die Auftaktspiele und ein Hauch von Mourinho wehte durch die Stadien. Nach dem ersten Spieltag habe ich trotzdem im Freundeskreis vermutet: Die Maurer fliegen raus, der schöne Fußball setzt sich durch. Jetzt ist es nicht mehr schwierig, sich festzulegen: Die WM 2010 wird – wie schon die Euro 2008 – von einer offensiv starken Mannschaft gewonnen werden.
Dieses Turnier ist eine faustdicke Watsche für den Ergebnishalter-, Irgendwiekonterer- und Nixriskierer-Fußball, der 2004 und 2006 immerhin noch Europa- und Weltmeisterschaft gewann. Die Coaches mit den offensiven Philosophien haben aus diesen Niederlagen gelernt. Uruguay, Mexiko, Argentinien, Südkorea, England, USA, Deutschland, Ghana, Paraguay, Slowakei, Niederlande, Japan, Spanien und Chile. – so sollten die Achtelfinalisten der WM lauten, wenn am letzten Spieltag alles einigermaßen normal abläuft. Ein Griechenland und Italien ist da bereits nicht mehr dabei. Diese Teams haben diese Weltmeisterschaft zwar vorübergehend gestört, können sie aber nicht dominieren.
Gerade das Ausscheiden des Weltmeisters von 2006 ist sinnbildlich. Verteidigen – das hat diese WM gezeigt- kann mittlerweile so gut wie jeder. Defensiv sind die meisten Mannschaften disziplniert und gut organisiert. Die traditionelle Stärke der Italiener (die hier ja auch schon gar keine mehr war) sticht aus der Masse nicht mehr hervor. Umso schlimmer wurde die grauenhaft spielende Squadra Azzura für ihren mangelnden Willen (denn wenn sie unbedingt musste, zeigte sie, dass es eigentlich ginge) nach vorne zu arbeiten bestraft. Es scheint, die vorsichtige und zynische Spielkultur, die man gemeinhin Italien nicht zu unrecht zuschreibt hat im aktuellen Fußball Krisenzeit.
Treffen die Stürmer, verlieren die Maurer
Spielstärke ist angesagt – und zwar erdrückende. Wer keine tief und dicht stehenden Abwehrreihen knacken kann, weil es zu vorsichtig angeht oder zu behäbig spielt, kommt im Verlauf der Gruppenphase in Probleme. Das mussten die Engländer (die gegen Slowenien doch noch zeigten, dass sie es richtig können) gegen Algerien noch bitterer sprüen, als die Brasilianer bei der nicht all zu weit von der Blamage entfernten Vorstellung gegen Nordkorea. Ausnahmen waren nur dort möglich, wo die Stürmer versagten. Richtig dichthalten konnte einfach niemand – den Nationalmannschaften fehlt dazu vielleicht das nötige hochklassige Personal, das etwa einem Jose Mourinho bei Inter zur Verfügung stand.
So sind die beherzten Nigerianer nicht nur an der Torheit von Sani Kaita, sondern auch an ihrer Chancenauswertung gescheitert (und haben mit Südkorea so doch eine offensiv eher harmlose Mannschaft ins AF gehievt). Auch die für mich überraschend defensiv agierenden Serben kamen nur in ein (erfolgsloses) Endspiel gegen Australien, weil Herr Podolski seinen nur neun Mitspielern keinen Gefallen tat und nicht und nicht treffen wollte. Und auch das Thema Schweiz wäre wohl gar nicht mehr aktuell, hätten die spanischen Goleadores nicht einen schlimmen Starttag erwischt.
Diese letzten beiden Spiele sind ein wenig die Anti-Beispiele – die wenigen Spiele, wo jene Mannschaft etwas holen konnte, die kaum was für das Spiel tat und mit den wenigen Gegenzügen dann irgendwie ein Tor erzielte. In den meisten Fällen haben die defensiven, zaghaften und ängstlichen (Eigenschaften die strategisch niemandem helfen und moralisch allgemein nur klaren Underdogs wie Nordkorea gegen Brasilien erlaubt sind) aber eine auf den Deckel gekriegt.
Und was der österreichische Maurer darüber denkt
Das Problem musste gar nicht in der Grundausrichtung einer Mannschaft liegen, sondern zeigte sich schon in einzelnen Spielphasen. Als die Slowaken die Italiener nicht mehr ganz vorne beschäftigten sondern hinten erwarten, kamen sie hintern arg unter Druck. Sobald die Slowenen sich gegen die USA zurückzogen, verspielten sie den Aufstieg (der ein nettes Märchen gewesen wäre, aber ja nur wegen einem Irgendwie-Tor gegen Algerien überhaupt zur Debatte stand, nur dank einem Schiri-Fehler gegen die USA am Leben blieb und nur mit einem Irgendwie-Tor gegen England hätte wahr werden können).
Wenn es aus dieser Gruppenphase also eine Lehre gibt, dann dass Mauern im aktuellen Fußball irgendwann immer eingerissen werden. Auch wenn man sich ein wenig defensiver orientiert (wie Japan gegen Dänemark), muss man zumindest einen Plan für mit Mut und Überzeugung vorgetragene Konter im Petto haben (wie Japan gegen Dänemark). Weite Bälle auf einen im Sturm wartenden Brecher haben keinen Erfolg.
Da ist es für für Österreichs Hoffnungen, 2012 bei der Europameisterschaft dabei zu sein, nicht nur bedenklich, dass Dietmar Constantini bekanntermaßen glaubt mit vier Innenverteidigern spielen zu können (wärend die richtige Welt die Außenverteidiger als essentielle Flankenspieler begreift). Es ist auch vielsagend, dass der Teamchef folgende Vorbilder von seinem Südafrika-Trip mitgenommen hat: „Wir können von Nordkorea extrem viel lernen. […] Nordkorea hatte den Mut zur Destruktivität. Auch die Schweiz hat sich beim 1:0 gegen Spanien hinten reingestellt. Das war die einzige Chance.“
Die Erfolge der ein oder anderen Art beider „vorbildlichen“ Teams waren zu einem guten Teil eher dem Versagen ihrer Gegner geschuldet, als ihrer eigenen Brillianz. Beide fahren wahrscheinlich morgen nach hause.
(tsc)