WM-SERIE, Teil 24: PORTUGAL | Cristiano Ronaldo ist der unumstrittene Star bei den Portugiesen. Zu verdanken hat er die Qualifikation aber der bärenstarken Defensive, die im Schatten von „CR9“ steht. Und einem Torhüter, der international (noch?) völlig unbekannt ist.
Breitbeinig vor einem Freistoß zu stehen, hat Cristiano Ronaldo genauso drauf wie halbnackt für Titelseiten zu posieren. Der exaltierte Star von Real Madrid ist der legitime Nachfolger von David Beckham als metrosexuelle Leitfigur im Fußball-Business. Und er ist natürlich der absolute Star in der portugiesischen Nationalmannschaft, die nach dem endgültigen Ende der „Goldenen Generation“ um Luis Figo das Weltniveau, auf dem sie sich etabliert hat, durchaus halten konnte. Die Stärken sind die gleichen geblieben – herausragende Technik, offensive Spielweise. Die Schwächen aber auch. Namentlich die Nerven.
Denn wann immer sich die Portugiesen seit ihrem Durchbruch auf der Weltbühne vor zehn Jahren aus Turnieren verabschiedet haben, warfen sie die Nerven weg. 2000 mit dem sinnlosen Handelfmeter im Semifinale gegen Frankreich. 2002 als Mitfavorit in Asien schon in der Vorrunde mit acht Feldspielern im entscheidenden Spiel gegen Südkorea. 2004 bissen sie sich im Finale an der griechischen Menschenmauer eine Halbzeit lang die Zähne aus, ehe sie (zu früh?) resignierten. 2006 im Semfinale, wieder gegen Frankreich, wieder elbssdurch einen Elfmeter. Und 2008 nahmen sie sich im Viertelfinale gegen Deutschland selbst aus dem Spiel, weil sie glaubten, es ginge mit Halbgas.
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Und selbst die Qualifikation für die anstehende Endrunde war lange in Gefahr. Weil die Portugiesen, ebenfalls wie schon länger üblich, die spielerische Überlegenheit einfach nicht in Tore ummünzen können. So war es am Ende, trotz der von der Papierform überragenden Offensive mit Cristiano Ronaldo, Simão, Liédson und Nani die kaum überwindbare Defensive, die den „Brasilianern Europas“ die Teilnahme sicherte. Nur in einem einzigen Quali-Spiel gab’s mehr als zwei Gegentore, in neun der zwölf Spiele gar keines. Kein Wunder – denn nicht nur die Abteilung Attacke ist mit Weltklasse-Leuten ausgestattet, sondern auch die Abteilung Abwehr.
Ricardo Carvalho und Paulo Ferreira etwa spielen seit vielen Jahren bei Chelsea, seit sie 2004 gemeinsam die Champions League gewonnen haben. Bruno Alves ist ein humorloser, knochentrockener Innenverteidiger mit viel interntionaler Erfahrung. Von Pepe, dem lange verletzten Mann von Real Madrid, der so eine überragende EURO gespielt hatte, ganz zu schweigen. Nur den Torhüter, den kenn kein Mensch. Eduardo Carvalho heißt der Mann, spielt bei Sporting Braga und wurde dort gerade Vizemeister. Vor dem FC Porto. Und auch vor Sporting Lissabon. Mit den wenigsten Gegentoren der kompletten Liga.
Allerdings ist die Position zwischen den Pfosten, auch wenn der 27-Jährige ein durchaus gutklassiger Mann ist, die No-Name-Position im Star-Ensemble der Portugiesen geworden. Denn nach Vitor Baía, der von seinen Emotionen lebte, und Elfmeter-Spezialist Ricardo gibt es keinen Torhüter, der wirklich einen internationalen Namen hätte. Eduardo selbst kennt schon kaum jemand, aber sein Ersatzmann Fernandes spielt beim griechischen Mittelständler Iraklis Saloniki. Und Beto, der dritte Mann, ist selbst bei seinem Verein (dem FC Porto) nur Ersatz. Es gibt sonst niemanden – der 32-jährige Quim von Benfica konnte nie wirklich überzeugen, Rui Patrício von Sporting patzt regelmäßig und Helton vom FC Porto ist Brasilianer.
Jetzt haben die Portugiesen zwar – wie eigentlich immer in den letzten Jahren – eine absolut taugliche Mannschaft, aber wirklich auf den Rasen gebracht haben es die Südwesteuropäer noch nicht. Sprich: Es fehlt der Titel, dem auch schon Figo, Nuno Gomes und Co. erfolglos hinterher gelaufen sind. Die Playoff-Spiele gegen die bärenstarken Bosnier, die Portugal beide mit 1:0 gewinnen konnte, haben aber gezeigt, dass diese portugiesische Mannschaft durchaus in der Lage ist, in wichtigen Spielen auch die Leistung abzurufen – auch ohne Cristiano Ronaldo.
Böse Zungen könnten allerdings auch behaupten, gerade wegen des Fehlens von Cristiano Ronaldo. Denn spielt der 25-Jährige Superstar, tendiert die Mannschaft dazu, sich allzu sehr an die geniale, aber launische Diva anzulehen und die Verantwortung auf den Kapitän abzuladen. Dabei gäbe es mit Simão von Atlético Madrid durchaus einen zweiten Mann, der ein Spiel in die Hand nehmen könnte – und zudem mit dem Selbstvertrauen eines Europapokal-Sieges zur Weltmeisterschaft fährt. Oder auch der giftige Raul Meireles, der aus dem defensiven Mittelfeld heraus die Mannschaft antreiben kann – so wie gegen Bosnien, wo er im Rückspiel auch das letztlich entscheidende Tor erzielte. Zudem gibt es mit dem eingebürgerten Brasilianer Liédson, schon jetzt eine lebende Sporting-Legende, einen Stürmer mit Torriecher, der Abwehrspieler auf sich ziehen kann.
Aber es ist nicht nur die Mannschaft, die sich gerne etwas zu viel an „CR9“ anlehnt, es ist auch der Kapitän selbst, der dies von seinem Selbstverständis her verlangt. Die Folge: Hat Cristiano Ronaldo einen guten Tag, kann er alleine praktisch jedes Team der Welt schlagen. Läuft es ihm aber nicht, oder nimmt man ihm den Spaß am Spiel, bleiben ihm nur noch seine Freistöße – die allerdings auch mit die besten des Planeten sein können. Doch seiner ganzen Klasse zu Trotz, macht die Fixiertheit auf ihn das portugiesische Spiel auch eher ausrechenbar, als wenn er nicht dabei ist. Und gegen Spitzenteams wie etwa Brasilien könnte das durchaus zu einem Problem werden.
Spielt der Real-Star, nimmt er üblicherweise die zentrale offensive Position ein – entweder zentral hinter der einzigen Spitze im 4-2-3-1 von Teamchef Queiroz (also Liédson oder Hugo Almeida), oder in einem 4-6-0, wie et etwa auch die Holländer praktizieren, den vermeintlichen Solostürmer. Flankiert wird er von Simão links und Nani rechts, mit einem zweiten zentralen Mann praktisch neben sich – etwa der alternde Deco. Die eher defensiven Positionen im Mittelfeld sind üblicherweise die Plätze des angesprochenen Raul Meireles und Tiago. Es kann aber durchaus auch sein, dass Juventus-Legionär Tiago, der eine enttäuschende Saison gespielt hat, hier von Miguel Veloso, oder auch von Pepe ersetzt wird. Der Teamkollege von Cristiano Ronaldo bei Real Madrid ist zwar eigentlich gelernter Innenverteidiger, machte aber vor seinem Kreuzbandriss im Herbst auch als Sechser eine durchaus ansprechende Figur.
Zumal die Portugiesen in der Innenverteidigung so gut besetzt sind, dass sie auf einen Pepe dort durchaus verzichten könnten, um ihn eine Position weiter vorne einzusetzen. Bruno Alves und Paulo Ferreira können für gegnerische Stürmer ebenso eine beinahe unüberwindbare Hürde sein. Es kommt nicht von ungefähr, dass es in der Qualifikation fast keinem gelang, die Defensive der Portugiesen wirklich in Bedrängis zu bringen und die Bosnier mit einer der besten Sturmreihen der Welt (mit Džeko, Ibisšvić und Misimović) schossen ihnen – wenn auch mit etwas Pech in 180 Minuten kein Tor. Zudem steht mit Ricardo Carvalho von Chelsea ein rountinierter Rechtsverteidiger bereit und Duda auf der linken Seite hat einen brutalen Zug nach vorne. Wenn es hinten eine verwundbare Stelle gibt, ist es wohl der 30-Jährige Spätstarter von Málaga. Denn Duda ist eigentlich ein echter Linksaußen, der mangels Alternativen zum Linksverteidiger umfunktioniert wurde.
Und dahinter macht eben Eduardo dicht, der international im Grund völlig unbekannte Schlussmann des überraschenden Vizemeisters Sporting Braga. Die Ironie bei den Portugiesen ist es, dass ihnen zwar die Abwehr-Kanten die Spiele retten, aber dennoch die Superstarts von der Offensiv-Abteilung, vor allem eben Cristiano Ronaldo, die Aufmerksamkeit so weit nehmen, dass sie selbst für die Erfolge die Meriten einstreichen. Solange der Erfolg da ist, gibt es auch kein echtes Konfliktpotential.
Die Frage wird auch sein, inwieweit die Portugiesen vom Viertelfinal-Desater vor zwei Jahren gegen die Deutschen gelernt haben. Nach einer ungefährdeten Vorrunde sahen sie sich schon im Finale, ehe überhaupt das Viertelfinale angepfiffen war. Das Resultat ist bekannt. In Südafrika haben die Portugiesen mit Brasilien und den Ivorern schon eine relativ deftige Gruppe erwischt, aber besser wird’s wohl auch bei einem Achtelfinal-Einzug nicht. Schließlich wartet dort mit einiger Wahrscheinlichkeit Europameister Spanien und die Gefahr ist groß, dass es auch diesmal nicht nur nicht zum großen Wurf reicht, sondern im Gegenteil schon wieder schon in der ersten K.o.-Runde das Aus kommt.
Natürlich, die recht potente Defensive der Portugiesen hat durchaus das Zeug, die spanische Angriffsgewalt zumindest zu bremsen, aber dann müsste immer noch vorne ein Tor rein – und bei der recht überschaubaren Torquote der Stürmer ist das gegen eine recht sichere Abwehr wie die der Spanier (und auch der Brasilianer) ja auch noch längst keine Selbstvertändlichkeit. Gut möglich also, dass sich der große Cristiano Ronaldo auf seine Abwehr-Arbeiter verlassen muss.
Und den Torhüter, den keiner kennt.
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PORTUGAL
ganz in weinrot, Nike – Platzierung im ELO-Ranking: 12.
Spiele in Südafrika:
Côte d’Ivoire (Nachmittagsspiel Di 15/06 in Port Elizabeth)
Nordkorea (Mittagsspiel Mo 21/06 in Kapstadt)
Brasilien (Nachmittagsspiel Fr 25/06 in Durban)
TEAM: Tor: Eduardo (27, Braga), Daniel Fernandes (26, Iraklis Saloniki), Beto Bastos (28, FC Porto). Abwehr: Bruno Alves (28, FC Porto), Ricardo Carvalho (32, Chelsea), Ricardo Costa (29, Lille), Paulo Ferreira (31, Chelsea), Luís Miguel (30, Valencia), Pepe (27, Real Madrid), Rolando (24, FC Porto), Zé Castro (27, Deportivo la Coruña). Mittelfeld: Fábio Coentrão (22, Benfica), Danny (26, St. Petersburg), Deco (32, Chelsea), Duda (30, Málaga), Raul Meireles (27, FC Porto), Pedro Mendes (31, Sporting), Tiago (29, Juventus), Miguel Veloso (24, Sporting). Angriff: Hugo Almeida (26, Bremen), Cristiano Ronaldo (25, Real Madrid), Liédson (32, Sporting), Nani (24, Manchester United), Simão (30, Atlético Madrid).
Teamchef: Carlos Queiroz (57, Portigiese, seit Juli 2008)
Qualifikation: 4:o auf Malta, 2:3 in Dänemark, 0:0 in Schweden, 0:0 gegen Albanien, 0:0 gegen Schweden, 2:1 in Albanien, 1:1 in Dänemark, 1:0 in und 3:0 gegen Ungarn, 4:0 gegen Malta. 1:0 gegen und 1:o in Bosnien.
Endrundenteilnahmen: 4 (1966 Dritter, 86 Vorrunde, 2002 Vorrunde, 06 Vierter)
>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Côte d’Ivoire, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile
* Die Platzierung im ELO-Ranking bezieht sich auf den Zeitpunkt der Auslosung