WM-SERIE, Teil 18: URUGUAY | Ist von Fußball-Weltmeistern die Rede, spricht man üblicherweise von Brasilien oder Italien. Aber auch Uruguay ist Weltmeister – doppelter sogar. Dorthin wird es die Celeste nicht mehr schaffen. Trotz Stars wie Forlán und Talenten wie Lodeiro.
Er war 2009 Europas Torjäger des Jahres, hat in der spanischen Primera División schon weit über 100 Tore erzielt. Diego Forlán wäre wohl in jeder Nationalmannschaft der Welt ein gesetzter Stürmer, auch in jenen, die ernsthaft um den Titel mitspielen. Aber Forlán kommt aus Uruguay, und so sind für den mittlerweile 31-jährigen Blondschopf schon Teilnahmen an den Endrunden Erfolge. In Südafrika wird er erst seine zweite absolvieren. 2002 war er noch der Nebenmann des längst vergessenen Álvaro Recoba (zeitweise der bestbezahlte Fußballer des Planeten), nun ist er selbst der Star der Mannschaft. Allerdings einer recht durchschnittlichen.
1930 fuhren die Urus als hoher Favorit im eigenen Land den Titel ein, 1950 schnappten sie ihn den Brasilianern vor der Nase weg. Seither ist nicht mehr viel los. Immer mal wieder die erste Runde überstanden, oft auch nicht. Und viel Leerlauf dazwischen. Daran wird sich auch mittelfristig nicht ändern, zumal die Mannschaft, mit der sich die Urus im Jahr 2010 auf die Weltbühne präsentiern, wieder keine besondere ist. Mehr als ein paar wenige aufregende Spieler hat das Land, dass geographisch zwischen den Riesen Brasilien und Argentinien eingezwickt liegt, nicht zu bieten. Außer Forlán ist das im Grunde nur ein in Europa (noch) eher unbekannter Name: Nicolás Lodeiro. Der Jungspund von Nacional Montevideo debütierte ausgerechnet in den so wichtigen Playoff-Partien gegen Costa Rica und machte dort mit starken Leistungen schnell auf sich aufmerksam. Ajax Amsterdam schlug sofort zu.
Dort ist der 21-jährige Linksfuß seit seinem Wechsel im Winter zwar bislang nur Einwechselspieler, aber in der Nationalmannschaft hat er Jorge Rodríguez so schnell von der Spielmacherposition verdrängt, dass dieser seit Lodeiros Debüt kein einziges Mal mehr in der Startformation stand. Der 1.73m kleine, flinke Offensivmann könnte einer der Aufsteiger der WM werden. Da ist er aber neben Forláns Sturmpartner Suárez wohl der einzige seiner Mannschaft – humorlose Abwehr, defensiv ausgerichtetes Mittelfeld. Alles brave Kämpfer, wenn auch nicht mehr so berüchtigt wie früher, als pro Spiel mindestens ein Uru vom Platz flog. Aber keine potentiellen Stars. Arbeitsbienen, aber keine Künstler. Indianer, aber kaum Häuptlinge.
Kein Wunder also, dass die Uruguayer einmal mehr über den Umweg Play-Off gehen mussten. Nicht nur hinter Brasilien und den Argentinern (wenn auch hinter letzteren nur knapp) landeten, sondern auch hinter Chile und Paraguay, bei denen ein Erreichen des Achtelfinales schon ein großer Erfolg wäre. Nicht anders ist dies bei den Urus, zumal diese eine recht gemeine Gruppe erwischt haben. Würden sie sang- und klanglos Gruppenletzter, niemand dürfte überrascht sein. Das letzte Mal, dass Uruguay in einer WM-Gruppe unter die besten zwei kam? Vierzig Jahre her.
So gesehen hat die Celeste in Südafrika aber im Grunde auch nichts zu verlieren. Und Teamchef Óscar Tabárez war auch schon einmal bei einer Endrunde dabei und weiß somit mit dem Druck umzugehen – 1990 führte er sein Land ebenso schon zur Weltmeisterschaft, in Italien rutschte man als Gruppendritter noch ins Achtelfinale. Immerhin, mehr wird aber auch diesmal nicht drin sein.
Mittlerweile fast traditionell bauen die Urus auf ein eher defensiv angelegtes, körperbetontes Spiel. Tabárez vertraute in der Qualifikation einem eher eigenwilligen 3-4-1-2, das den Stärken der Mannschaft und dem vorhandenen Spielermaterial, hauptsächlich Europa-Legionären, aber ganz gut entspricht. So steht vor dem jungen Lazio-Torhüter Fernando Muslera eine humorlose Dreier-Abwehrkette. Deren Chef ist Kapitän Diego Lugano, der seit vielen Jahren sein Geld beim türkischen Spitzenklub Fenerbahçe verdient. Seine Nebenmänner sind am Ehesten Diego Godín von Villarreal und Andrés Scotti. Dieser ist mit seinen 34 Jahren der älteste Spieler im Kader und steht bei Colo Colo in Chile unter Vertrag, spielte aber auch einige Jahre bei Rubin Kasan und half dort mit, den zweifachen russischen Meister zu der Kraft zu machen, die er heute ist.
Vor den Dreierkette agiert ein defensiv ausgerichtetes Vierermittelfeld, das üblicherweise aus zwei klassischen Sechsern und zwei modernen Außenverteidigern gebildet wird. Auf den Außenbahnen führt an den beiden Portugal-Legionären Álvaro Pereira (Porto, links) und Maxi Pereira (Benfica, rechts) kein Weg vorbei. Sie sollen auch die Impulse nach vorne geben, während Walter Gargano und Diego Perez in der Zentrale eher als Abfangjäger und Balleroberer eingeteilt sind, die zudem der zentralen Figur im offensiven Mittelfeld – eben Nicolás Lodeiro – den Rücken etwas freihalten sollen.
In der Sturmspitze sind die Plätze ohne Wenn und Aber verteilt. Dort ist es neben Forlán der 23-Jährige Luis Suárez, der auf Zuspiele von Lodeiro oder Flanken der Pereiras (die aber nicht miteinander verwandt sind) wartet. Er könnte Forlán sogar schon in Südafrika den Rang ablaufen, denn Suárez schießt die Eredivise förmlich auseinander. Zweimal schaffte er in diesem Jahr vier Tore in einem Spiel, zwei weitere Male drei, er ist unangefochtender Torschützenkönig. Die beiden Sturmspitzen sind auch eindeutig die Stärke der Mannschaft aus Uruguay: Sind es in der Defensive biedere Arbeiter, können die wenigen Offensivspieler in der Tat den Unterschied ausmachen. Vor allem gegen einen sportlich sicherlich schwächeren Gegner wie Gastgeber Südafrika.
Das Problem wird, wie in allen drei Spielen, dort aber eher im Kopf liegen. Verlieren die Urus ihre Auftaktpartie gegen Gruppenfavorit Frankreich, sind sie ausgerechnet gegen den Gastgeber schon zum Siegen gezwungen, und ob man dieser Belastung gewachsen ist wird sich zeigen – beziehungsweise, inwieweit die Südafrikaner hier ebenso schon das brutale Nervenflattern haben. Einen Achtelfinaleinzug der Celeste zu erwarten, wäre alles in allem wohl etwas übertrieben.
Aber wer weiß, womöglich sind am Ende sie es, die den Gastgeber eliminieren. So bliebe man ja auch im Gedächtnis.
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URUGUAY
hellblaues Trikot, schwarze Hose, Puma – Platzierung im ELO-Ranking: 15.
Spiele in Südafrika:
Frankreich (Abendspiel Fr 11/06 in Kapstadt)
Südafrika (Abendspiel Mi 16/06 in Pretoria)
Mexiko (Nachmittagsspiel Di 22/06 in Rustenburg)
TEAM: Tor: Juan Castillo (32, Deportivo Cali), Fernando Muslera (24, Lazio), Sebastián Viera (27, Larissa). Abwehr: Martin Cáceres (23, Juventus), Jorge Fucile (25, Porto), Diego Godín (24, Villarreal), Diego Lugano (29, Fenerbahçe), Andrés Scotti (34, Colo Colo), Mauricio Victorino (27, Universidad Chile). Mittelfeld: Sebastián Eguren (29, AIK Solna), Álvaro Fernández (24, Universidad Chile), Walter Gargano (25, Napoli), Álvaro González (28, Levadiakos), Nicolás Lodeiro (21, Ajax Amsterdam), Álvaro Pereira (25, Porto), Maxi Pereira (26, Benfica), Diego Perez (30, Monaco), Jorge Rodríguez (25, RP Montevideo). Angriff: Sebastián Abreu (33, Botafogo), Edinson Cavani (23, Palermo), Sebastián Fernández (25, Banfield), Diego Forlán (31, Atlético Madrid), Jorge Martínez (27, Catania), Luis Suárez (23, Ajax Amsterdam).
Teamchef: Óscar Tabárez (63, Uruguayaner, seit Februar 2006)
Qualifikation: 5:0 gegen Bolivien, 0:1 in Paraguay, 2:2 gegen Chile, 1:2 in Brasilien, 1:1 gegen Venezuela, 6:0 gegen Peru, 1:0 in Kolumbien, 0:0 gegen Ecuador, 1:2 in Argentinien, 2:2 in Bolivien, 2:0 gegen Paraguay, 0:0 in Chile, 0:4 gegen Brasilien, 2:2 in Venezuela, 0:1 in Peru, 3:1 gegen Kolumbien, 2:1 in Ecuador, 0:1 gegen Argentinien. 1:0 in und 1:1 gegen Costa Rica.
Endrundenteilnahmen: 10 (1930 Weltmeister, 1950 Weltmeister, 54 Vierter, 62 Vorrunde, 66 Viertelfinale, 70 Semifinale, 74 Vorrunde, 86 und 90 Achtelfinale, 2002 Vorrunde)
>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Côte d’Ivoire, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile
* Die Platzierung im ELO-Ranking bezieht sich auf den Zeitpunkt der Auslosung