Guus Hiddink wollte sich kein zweites Mal überrumpeln lassen, das war von Anfang an zu bemerken. Der spanische Coach Aragones hingegen – wohlwissend die Sbornaja in der Vorrunde schon einmal klar in die Schranken gewiesen zu haben – ging mit breiter Brust in die Partie. Und das sah man dann auch, je länger das Spiel dauerte. Der Offensivdrang des eurasischen Überraschungsteams, mit dem sie die in der Vorrunde brillierenden Holländer bezwungen hatten, war viel weniger spürbar. Und wenn dann doch einmal der Zug zum Tor da war, fiel sofort die schwache Tagesform des Wunderkinds Arschawin ins Gewicht.
Das war am Anfang noch in Ordnung, denn die Spanier kamen selbst noch nicht so richtig auf Touren, und wirkten verkrampft. Eine durchaus gut anzusehende Partie wog mit wenig zwingenden Gelegenheiten hin und her, mit leichter Feldüberlegenheit für die Iberer. Dann musste Villa verletzt ausgetauscht werden. Für den einen Weltklassekicker kam in Minute 35 ein anderer: Cesc Fabregas. Ich weiß nicht warum, aber in Folge dieses zwangsweisen Wechsels wurde aus Spaniens leichter Dominanz bis zur Pause eine eindeutige. Zur Pause war der Spielausgang trotzdem noch offen: 0-0.
Hiddink nutzte die Gelegenheit zum Wechsel nicht. Auch eine wirkliche Änderung der Spielanlage konnte ich nicht ausmachen, als das zweite Halbfinale in die zweiten 45 Minuten ging. Fünf Minuten später rächte es sich, als Xavi zu einem scharfen Querpass nur noch den Fuß richtig hinhalten musste. Akinfeev, an dem der Ball nur wenige Zentimeter vorbeiflog, sah nicht ganz glücklich aus, hatte aber aus der Distanz faktisch keine Chance zu reagieren.
Zwei weitere Wechsel (Biljaletdinow, Sytschew) änderten an den sich zuspitzenden Kräfteverhältnissen nichts. Russland rannte nun stärker an, versuchte Chancen zu erzwingen und über schnelle Angriffe in den Strafraum vorzustoßen, vergaben aber die wenigen sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Als es dank Guiza zum 2-0 krachte, stellte Hiddink als allerletzte Möglichkeit das System um. Das Mittelfeld rückte vor, eine hängende Spitze kam hinzu, die Abwehr spielte größtenteils nur noch Dreierkette. Doch so wirklich ins Trudeln mochte die Defensive der Seleccion nicht kommen. Es dauerte trotzdem knapp zehn Minuten, bis Villa, Iniesta und der Rest begriffen, dass die junge Sbornaja ihnen da die Räume im Angriff weit aufgemacht hatte. Acht Minuten vor Ende der regulären Spielzeit klingelte es dann zum dritten Mal im Kasten von Akinfeev. Spätestens da war sicher, dass für den Zweiten der Gruppe D der Traum vom Finale dahin war.
Spanien gewann dank ihrer Erfahrung und den sich daraus ergebenden Klasseunterschieds. Die zusammengewürfelten Einzelkämpfer von 2006 wurden von Aragones zu einem funktionierenden Kollektiv gemacht, dass nun aus der Summe seiner Genies profitiert. Für Russland bleibt der Ruhm als größte Überraschung dieser Europameisterschaft, als auch die Erkenntnis heute auf klare Grenzen gestoßen zu sein. Selbst wenn Arschawin heute „funktioniert“ hätte, wäre es nicht viel anders gekommen.
Spanien ging verdient als Sieger vom Platz. Das Ergebnis dürfte freilich etwas schmeichelhaft sein.