Die Vorrunde ist vorbei, die ersten acht Teams haben sich aus der Europameisterschaft verabschiedet. Bei den meisten konnte man damit rechnen, schon in der ersten der geplanten drei Teamanalyse-Teile vertreten zu sein, andere (von denen man es auch erwartet hatte), haben sich zumindest in die zweite (die nach dem Achtelfinale kommt) gerettet.
Wenn man es vereinfacht sagen will: Viele Teams aus Osteuropa sind schon auf dem Heimweg, und vor allem viele Teams, die nicht wirklich wissen, wie sie selbst ein Spiel gestalten sollen.
Die Sorgenkinder mit der Heim-WM: Die heillosen Russen
In zwei Jahren geht Russland in die Heim-WM – und nach dem furchtbaren Auftritt der Sbornaja lässt erwarten, dass man eher mit bangen Erwarten statt mit Vorfreude in das Turnier gehen wird. Russland war spielerisch eines der ärmlichsten Teams dieses Turniers.
Querpässe der Abwehr-Holzhacker Beresutzki und Ignashevitch, bis einer der beiden den Ball in die grobe Richtung des bulligen Stürmers Artom Dzyuba drischt: Sehr viel mehr war in fünf der sechs Halbzeiten „spielerisch“ nicht zu sehen. Am hektisch eingebürgerten Roman Neustädter und dem jungen Alexander Golovin (tatsächlich der einzige im Kader unter 25 Jahren) im defensiven Mittelfeld lief das Spiel komplett vorbei; Glushakov und Mamajev waren zumindest in der zweiten Hälfte gegen die Slowakei sinnvoll zu sehen – die einzigen guten 45 Minuten, die die Russen zustande brachten.
Der Kader ist vor allem im Defensiv-Bereich hoffnungslos überaltert und gereicht nicht mehr den Ansprüchen modernen Fußballs von internationalem Format. Auch weiter vorne gibt es kein wirkliches Entwicklungspotenzial mehr. Teamchef Leonid Slutski dankt ab und wird sich nun wieder ganz auf ZSKA Moskau konzentrieren – Sportminister und Verbands-Präsident Vitali Mutko muss also praktisch bei Null anfangen. Russland hat keinen Trainer, keine brauchbare Mannschaft, kaum nennenswerten Nachwuchs und eine Liga, die lieber auf bewährte Einheimische und Legionäre vertraut.
Zwei reichen nicht, Teil 1: Die punkt- und torlosen Ukrainer
Dass auch eine UdSSR-Mannschaft dieser Tage weitgehend wertlos wäre, liegt auch daran, dass es dem ungeliebten Nachbarn der Russen aus der Ukraine kaum besser geht. Der Gastgeber von vor vier Jahren krachte ebenso wie damals in der Vorrunde raus, diesmal allerdings ohne einen Sieg (da gab’s 2012 immerhin ein 2:1 gegen Schweden) und sogar ohne ein einziges Tor erzielt zu haben.
Bei den Ukrainern stimmt zwar die Altersstruktur – drei Routiniers, eine Handvoll Jungspunde und viel zwischen 25 und 30 – aber dafür fehlt es an der Klasse. Die Konzentration auf die beiden Flügelstars Jarmolenko und Konoplyanka machte das Team sehr ausrechenbar, was vor allem die Nordiren und die Polen weidlich nützten: Sie überließen den Gelben einfach den Ball und sie konnten sich darauf verlassen, dass ihnen nichts damit einfällt, was nicht das Flügel-Duo involvierte. Das zu verteidigen ist keine Kunst.
Eine gute Viertelstunde gegen Deutschland gab es und man kontrollierte eine Halbzeit lang etwas unsortierte Polen, aber sonst war nichts los. Teamchef Fomenko nahm wie sein russischer Amtskollege Slutski den Hut, aber auch sein Nachfolger wird es schwierig haben. Zwar gibt es mit Sinchenko und Kovalenko hoffnungsvolle, wirklich junge Offensiv-Kräfte, aber in der Breite fehlt es an der Qualität – weil bei den beiden Spitzenklubs Dynamo Kiew und Shachtar Donetsk die Legionäre den sportlichen Ton angeben.
Ein Wort noch zu der Spielerei einer UdSSR-Mannschaft: Bis auf den Armenier Henrikh Mkhitayan käme auch aus den anderen altsowjetischen Republiken kein Spieler, der eine echte Aufwertung brächte. Eine Fußball-Krise ist also kein singuläres Thema, sondern ein generelles in diesem Kulturkreis. Es gibt keine fünf Spieler von internationaler Klasse aus dem Bereich der früheren Sowjetunion.
Zwei reichen nicht, Teil 2: Die knapp gescheiterten Türken
Ein ähnliches Phänomen wie bei der Ukraine zeigt sich bei den Türken: Wie die Ukrainer verfügen auch sie nur über zwei international höherklassige Spieler, der Rest des Teams besteht aus Spielern aus der eh okayen, aber in der Breite nur mittelmäßigen nationalen Ligen. Das reicht, um sich knapp aber doch zu qualifizieren (sowohl die Türkei als auch die Ukraine waren in der Quali Gruppendritte), aber nicht, um dort auch eine wirkliche Rolle zu spielen.
Schon im ersten Spiel gegen Kroatien wurde die limitierte Klasse des Teams offenbart (aber nicht wirklich bestraft), gegen die Tschechen gewann man auch eher nur, weil man besser aufeinander abgestimmt war als der Gegner, nicht, weil man wirklich besser gewesen wäre. Auch die für Terim ja üblichen Umstellungen halfen nicht immer: Gegen Kroatien wurde ohne Wirkung zweimal das System gewechselt, das 4-2-3-1 beim Sieg gegen die Tschechen allerdings tat dem Team merklich gut.
it dem Dänen Emre Mor, den man sich rechtzeitig vor der EM für das türkische Team gesichert hatte, gibt es ein absolutes Kronjuwel, das bei seinen Einsätzen schon die Gefährlichkeit angedeutet hat und bei Borussia Dortmund perfekt weiter geschult wird. Dafür deutet sich an anderer Stelle, nämlich in der Abwehr, in näher kommender Zukunft eine personelle Umstellung an. Womöglich findet man ja auch wieder außerhalb der Türkei neue Kräfte: Neben dem Dänen Mor und dem Holländer Oguzhan waren mit Balta, Calhanoglu und Stürmer Cenk Tosun auch drei Deutsche im Einsatz.
Unausgegoren und widersprüchlich: Die seltsamen Tschechen
Auch so eine Truppe, die wie die Russen tendenziell überaltert ist und über keine außergewöhnlichen Spieler verfügt, ist die aus Tschechien. Das sang- und klanglose Vorrunden-Aus ist aber aus mehreren Gründen etwas seltsam. Nicht nur, weil die Tschechen die Quali-Gruppe mit Island, der Türkei und Holland siegreich beendet hatten.
Einerseits spielte man die vermutlich disziplinierteste Leistung aller 24 Teams in der Vorrunde im Match gegen Spanien, wo der Abwehrverbund 90 Minuten lang praktisch überhaupt nichts zugelassen hat. Andererseits war es mit der Kompaktheit und dem gegenseitigen Aushelfen in der Raumaufteilung völlig vorbei, als man selbst etwas mehr tat und das Mittelfeld-Zentrum (vor allem im letzten Spiel gegen die Türken) eine an sich spannende und im Idealfall auch sicherlich wirksame Fluidität an den Tag legte. So einig man in der Defensive agierte, so sehr spielten die Tschechen nach vorne jeder für sich aneinander vorbei.
Was erstaunlich ist, denn Sparta Prag (wo die Flügelspieler Dockal und Krejci sowie Joker Sural unter Vertrag stehen) kam gerade wegen der taktischen Flexibilität ins Viertelfinale der Europa League. Außerdem fehlte es dem Team gerade an der Routine nicht. Rosicky ist 35, Plasil 34, die Abwehr-Leute Limbersky, Hubnik und Sivok 32, Sturm-Joker Lafata 34. Mittelfristig wird von der aktuellen Mannschaft nicht viel übrig bleiben.
Trainer Pavel Vrba hat nach seinen Erfolgen mit Viktoria Pilsen und der starken Qualifikation noch Kredit, der passive Auftritt gegen die Kroaten und der planlose gegen die Türken hat aber daran gekratzt.
Eh okay, aber halt harmlos: Die biederen Rumänen
Nicht großartig, aber auch nicht dramatisch schlecht war der EM-Auftritt der Rumänen. Dass es dem Team eklatant an jeglicher Klasse in der Offensive fehlt, war vorher schon allen klar, dafür schlug man sich allerdings recht wacker. Man traute sich im Eröffnungsspiel, die Rumänen anzugehen und richtig zu ärgern und ließ gegen die optisch überlegenen Schweizer nicht so arg viel zu.
Die auf dem Papier recht mittelmäßige Verteidigung mit einem Serie-A-Reservisten, einem Endzwanziger aus Katar, einem ehemaligen Porto-Legionär auf Heimat-Karriere-Auskling-Tour und einem altersschwachen spanischen Absteiger machte wie schon in der Qualifikation (nur zwei Gegentore, allerdings in einer recht schwachen Gruppe) eine äußerst solide Figur.
Was letztlich zum Aus führte, war die fehlende Klasse im Vorwärtsgang. Mit einem Punkt und -1 Toren aus den beiden Spielen gegen Frankreich und die Schweiz war die Ausgangslage vor dem abschließenden Albanien-Spiel sehr akzeptabel; aber der bombensicheren und aufopferungsvoll kämpfendenDefensiv-Darbietung der Albaner stand Rumänien ziemlich ratlos gegenüber. Dem fälschlicherweise wegen angeblichen Abseits aberkannten vermeintlichen Ausgleich zum Trotz: Das war zu wenig.
So ist man zwar Gruppenletzter, hat sich aber im Rahmen der ziemlich begrenzten Möglichkeiten relativ ordentlich präsentiert. Das ist aber auch das Optimum, das der aktuellen Spielergeneration möglich ist – wie bei den Tschechen stehen auch bei den Rumänen zahlreiche Spieler recht unmittelbar vor dem internationalen Karriereende.
Quälender Zeitlupen-Fußball: Die alterschwachen Schweden
Das internationale Karriereende hat mit dem schwedischen Aus in der Vorrunde nun auch Zlatan Ibrahimovic vor sich. Und nicht nur er: Neben dem bei Fast-Absteiger Sunderland zum Bankangestellten degradierten Seb Larsson und dem bei diesem Turnier einmal mehr völlig abgetauchten Markus Berg wird auch Zlatans Intimfeind Kim Källström, mit dem sich Zlatan abseits des Platzes nie vertragen hatte, unter dem neuen Teamchef Janne Andersson mit höchster Wahrscheinlichkeit keine Chance mehr haben.
Gerade Källström war das Sinnbild für den Zeitlupen-Fußball, den das Trekronor-Team in Frankreich zeigt. Fehlende Kreativität, wie sie den Schweden seit vielen Jahren eigen ist, ist das eine. Aber wie sehr vor allem Källström in der Mitte praktisch immer jegliches Tempo auch aus potenziellen Gegenstößen genommen hat, war schon erstaunlich. Würde man sagen, er spielt wie einer, der sich aufs Altenteil in die Schweizer Liga zurückgezogen hat, wäre das eine Beleidigung für die Schweizer Liga.
Von den Jungen, die letztes Jahr U-21-Europameister wurden, durfte nur Abwehrspieler Victor Lindelöf als Stammkraft ran, John Guidetti war Joker, Oscar Lewicki nur einmal im Einsatz. Oscar Hiljemark (auf der Källström-Position daheim) sah sich alle drei Spiele von der Bank an, Linksverteidiger Ludwig Augustinussen ebenso. Der vermutlich talentiertste der Europameister, der potenziell großartige Alleskönner Simon Tibbling, war nicht einmal im Kader.
Nach dem Ende der Generation mit Ljungberg, Mellberg und Henrik Larsson vor acht Jahren steht nun der nächste Generationswechsel an – ähnlich wie bei Rumänien, bei den Tschechen und bei den Russen. Dass mit dem Abgang diverser Spieler und Förbundskapten Erik Hamrén auch die quälende Ideenlosigkeit seiner sechsjährigen Amtszeit vorbei ist, ist nicht ganz unwahrscheinlich.
Hinter den Erwartungen: Die verunsicherten Österreicher
Eine ausführliche Evaluierung, aber keine Palastrevolution – weder im Kader, noch auf der Trainerbank – steht nach dem enttäuschenden Auftritt von Österreich bei diesem Turnier an. Nach einer glanzvollen Qualifikation (28 von 30 möglichen Punkten) galt das Erreichen des Achtelfinals als absolutes Minimalziel, zumal man eine nicht gerade problematische Gruppe erwischt hatte.
Viele verschiedene Umstände führten dann aber dazu, dass praktisch nichts so klappte wie erwünscht. Coaching-Fehler, die Verletzung von Junuzovic und der Ausschluss von Dragovic führten zu einem 0:2 gegen Ungarn, die nach einer harzigen Vorbereitung angeknackste Psyche krachte nun in sich zusammen. Mit einer ungewohnten Defensiv-Taktik und einigem Glück trotze man den Portugiesen ein 0:0 ab, erst in der zweiten Hälfte des letzten Spiels gegen Island konnte man erstmals erahnen, wie dieses Team eine so starke Qualifikation gespielt hatte.
Hohe Erwartungshaltung (sowohl öffentlich als auch an sich selbst) traf auf gut eingestellte Gegner, Formschwächen von Schlüsselspielern (Alaba, Harnik), verletzte oder gerade genesene Spieler (Junuzovic, Dragovic, Janko). Der Teamchef traute sich, auf diese Umstände zu reagieren und experimentierte mit Spielanlage und System. Das ging auch nur teilweise auf.
Bis auf Keeper Almer und Wechselspieler Schöpf geht kein Österreicher als Gewinner aus dem Turnier raus, aber mehr als ein oder zwei Stammkräfte werden aus dem Team, das sich derzeit im besten Alter befindet, erstmal nicht rausfallen. Man wird personell nur punktuell verändert in die WM-Quali gehen.
Sich ordentlich verkauft: Die Albaner aus aller Herren Länder
Das einzige in der Vorrunde ausgeschiedene Team, das mit einem zufriedenen Gefühl nach Hause fahren darf, ist jenes aus Albanien – wiewohl auch hier mehr möglich gewesen wäre. Ein wenig cooler gegen die in Überzahl implodierenden Schweizer, noch drei Minuten länger stand gehalten gegen die Franzosen, und die Albaner wären alles andere als unverdient in der nächsten Runde gestanden.
Natürlich war wie bei vielen Teams die Grundausrichtung eher defensiv, aber nicht so unterkühlt wie bei Island, nicht so planlos wie bei den Ukrainern. Man erwischte die richtige Balance aus taktischer Disziplin und feuriger Leidenschaft. Für viel mehr als einen vierdienten Sieg und zwei unglückliche Niederlagen reicht halt die individuelle Klasse halt nicht aus.
Außerdem haben das Team und dem vernehmen nach auch die Fans alles dafür getan, das aus der Qualifikation etwas ramponierte Image (Stichwort Fight Night von Belgrad) aufzupolieren. Das Team kämpfte hart, aber nie unfair (Canas Ausschluss war patschert, aber mehr nicht), ließ in keinem Spiel nach, wirkte geschlossen und kameradschaftlich; die Anhänger brachten bedingungslose und lautstarke Unterstützung, aber machten keine Troubles. So sind die Albaner auf jeden Fall ein gern gesehener Gast bei Turnieren (wiewohl es in der WM-Quali-Gruppe gegen Italien und Spanien, nun ja, eher schwierig wird).
Albanien und die nationale Jugendarbeit kann übrigens so gut wie nichts für den Aufschwung: Fast der halbe Kader (Abrashi, Ajeti, Aliji, Basha, Gashi, Kukeli, Lenjani, Veseli und Xhaka) ist in der Schweiz geboren und/oder aufgewachsen, Mavraj ist Deutscher, Memushaj Italiener, Kace Grieche. Kapitän Cana (der seine Teamkarriere beendet) und Goalie Berisha sind Kosovaren und wären ab sofort auch für die Kosovo-Auswahl spielberechtigt.
Fazit: Viel Biederheit ohne Idee nach vorne
Wer hat das Turnier also verlassen? Überwiegend biedere Truppen ohne echte Idee nach vorne (Russland, Ukraine, Rumänien, Tschechien, Schweden), Teams die von einigen wenigen Individualisten leben (Ukraine, Türkei), eine höher gehandelte Truppe, bei der viel zusammen gekommen ist (Österreich) und eine Mannschaft, die in jedem Bereich alles gegeben hat und nicht eigentlich nichts vorwerfen muss (Albanien).
Auf ins Achtelfinale also.