EURO 2016
Stade de France, Paris, 22. Juni 2016
Österreich - Island
1-2
Tore: 60' Schöpf bzw. 18' Böðvársson, 94' Traustason

Endlich erinnert Österreich an die Quali – dennoch das Aus

Schade! Nach einem gut gemeinten, aber fehlgeschlagenen System-Experiment vor der Pause erinnert Österreich nach dem Seitenwechsel erstmals in diesem Turnier an die Form aus der Qualifikation. Das ÖFB-Team hatte Island (natürlich) klar im Griff, hatte auch die eine oder andere Chance – aber am Ende reicht es nicht ganz. Nach dem Konter-Gegentor quasi mit dem Schlusspfiff steht sogar noch eine 1:2-Niederlage zu Buche.

Österreich - Island 1:2 (0:1)
Österreich – Island 1:2 (0:1)

Im Idealfall kreiert man mit der System-Idee von Koller eine Überzahl im Zentrum, hat zwei Stürmer vorne und kann die Außenspieler noch nach vorne schicken, um Breite herzustellen ohne dabei defensiv an Stabilität zu verlieren. Gegen einen defensiven, in einem flachen 4-4-2 spielenden Gegner wie Island alles nachvollziehbare Gedanken.

Gegen den Ball rückten Sabitzer rechts und Arnautovic links auf die Außenpositionen im Mittelfeld, Alaba blieb als vorderster Mann im Zentrum und lief die isländische Eröffnung an. Allerdings merkte man schon in den Anfangsminuten, dass das ganz deutlich nicht die gewohnten Positionierungen auf dem Feld waren. Selbst kurze Pässe gingen schnell mal ins Nichts.

Überlegungen gingen nicht auf

Aber auch andere Überlegungen gingen nicht auf. Die österreichischen Wing-Backs, vor allem Fuchs, wurde sofort von zwei Isländern isoliert, sobald er den Ball hatte. So kam er weder zu Vorstößen, um hinter die Ketten zu kommen; noch konnte er in das Kombinationsspiel im Mittelfeld so eingreifen, wie das sicherlich geplant war.

Außerdem suchte Österreich vor allem in der ersten halben Stunde beinahe krampfhaft den frühen Vertikalpass, selbst wenn dieser einfach nicht da war. Längere Ballbesitzphasen im Zentrum, mit denen man einerseits etwas Ruhe in das eigene Spiel bringt und andererseits den isländischen Abwehr-Block austestet, wo doch vielleicht mal Lücken aufgehen, gab es nicht.

Das Resultat: Viele unnötige Ballverluste in der Vorwärtsbewegung. Diese waren auch bedingt durch kurzes Rausrücken der isländischen Innenverteidiger in den Sechserraum, wodurch es den österreichischen Spitzen – vor allem Arnautovic, Sabitzer war kaum eingebunden – extrem schwer fiel, den Ball zu kontrollieren und eine weiterführende Aktion zu lancieren.

Weg vom hektischen Vertikal-Drang

Das änderte sich zunächst auch nach dem fürchterlich billigen Treffer für Island nicht. Erst rund zehn Minuten später, nach einer halben Stunde, kam Österreich von dem Drang zum schnellen Vertikalpass ab. Nun stabilisierte sich auch die Genauigkeit von Julian Baumgartlinger, man gewann etwas an Sicherheit.

In der Viertelstunde vor der Halbzeitpause hatte Österreich 71 Prozent Ballbesitz, hätte einen Elfmeter bekommen müssen (Trikotvergehen an Arnautovic) und erhielt wenig später tatsächlich einen (Halten gegen Alaba), den Dragovic allerdings an den linken Pfosten setzte.

Zurück zu den Wurzeln

Zweite Halbzeit
Zweite Halbzeit

Dennoch betrachtete Koller in der Halbzeit das Experiment mit dem 3-4-1-2 als gescheiteret und stellte wieder auf das gewohnte 4-2-3-1 um. Mit Schöpf auf der Zehn und Janko ganz vorne war dies nun nur noch von der Personalie Junuzovic abgesehen genau die Truppe, die in der Qualifikation so überzeugt hatte.

Die Folge war, dass, mit dem Rücken zur Wand, Österreich in der sechsten Halbzeit dieses Turniers erstmals so gespielt hat, wie man sich das ungefähr vorstellt. Anders als noch bei Spiel gegen Ungarn waren nun auch die Außenverteidiger sehr hoch positioniert. Damit tackelte Koller praktsich alle Problemfelder: Die Außenbahnen waren nun jeweils 2-gegen-2 besetzt, im Zentrum herrschte immer noch eine 3-gegen-2-Überzahl und vorne gab es nun einen echten Zielspieler.

Mehr Präzision, mehr Chancen

Die Überlegung dieser Umstellung hatte ÖFB-Sportdirektor Ruttensteiner in der Halbzeit erläutert („Mehr Durchschlagskraft auf den Flügel und einen Abnehmer für Zuspiele“), und auch wenn nicht alles an diesem Plan aufging, so zeigte dieser recht radikale Halbzeit-Umbau doch deutlich Wirkung.

Auch, weil die Geduld im Aufbau bis zu einem gewissen Grad zurück war, kletterte die Passquote zwischendurch auf 86 Prozent (am Ende des Spiels sank er ob des gegangenen Risikos auf 84%) – der mit sehr viel Abstand beste Wert von Österreich im gesamten Turnier. Island wurde am eigenen Strafraum eingekerkert.

Das ist grundsätzlich genau das Spiel, das die Isländer wollen und über die längste Zeit der zweiten Hälfte limitierte man Österreich auf Weitschüsse, aber es ist nicht so, dass es nicht dennoch genug Chancen gegeben hätte, mehr als nur das eine Tor durch den Schöpf-Slalom nach einer Stunde zu erzielen. Ein weiteres Mal war Schöpf frei durch und scheiterte an Halldórsson, es hätte noch insgesamt zwei weitere Strafstöße für Österreich geben müssen (zu dem von Dragovic verschossenen dazu), Janko scheiterte einmal knapp.

Bemüht, aber nicht ganz gut genug

Island, das wurde durch die Wechsel deutlich, riskierte nichts – nicht einmal Umstellungen, wenn zusätzliche Defensiv-Leute kamen. So ging LM Birkir Bjarnason in die Spitze, als ein gelernten Außenverteidiger kam; vom 4-4-2 gingen Lagerbäck und Hallgrimsson nicht ab. Die eingelernten Mechanismen und die Abstände im kompakten Verschieben sollten nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Und natürlich war auch bei Österreich nicht alles super. Arnautovic war sehr bemüht, aber auch ebenso glücklos in vielen seiner Aktionen; Alaba spielte deutlich besser als in den ersten beiden Spielen, immer wieder ließ aber auch er die Präzision vermissen; Sabitzer war kaum eingebunden und Jantscher blieb oft hängen.

Je näher der Schlusspfiff rückte, desto mehr warf Österreich alles nach vorne, in der letzten Viertelstunde war zumeist Julian Baumgartlinger der letzte Mann – und das auch in der gegnerischen Hälfte. Dass man quasi mit dem Schlusspfiff noch in einen Konter lief, den der Bald-Rapidler Traustason zum 2:1-Endstand abschloss, ist zwar doof für die Optik, aber für Österreich letztlich irrelevant.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.