Del Bosque – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Mon, 16 Jul 2018 17:30:35 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Die Achtelfinal-Verlierer der EURO 2016: Zwischen Blamage und tollem Erfolg https://ballverliebt.eu/2016/06/28/die-achtelfinal-verlierer-der-euro-2016-zwischen-blamage-und-tollem-erfolg/ https://ballverliebt.eu/2016/06/28/die-achtelfinal-verlierer-der-euro-2016-zwischen-blamage-und-tollem-erfolg/#comments Tue, 28 Jun 2016 10:48:12 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=12745 Erste K.o.-Runde der EURO 2016, erste wirklich prominente Opfer: Nachdem es in der Vorrunde mit ein, zwei Ausnahmen nur die Teams gescheitert waren, von denen man das auch so erwartet hat, ist das Feld der Achtelfinal-Verlierer schon etwas heterogener. Neben Glücksrittern aus der Vorrunde (die beiden irischen Teams etwa) hat er auch schon Teams aus dem Favortenkreis (Spanien, Kroatien) erwischt.

Hier im zweiten Teil unserer EURO-Teamanalyse: Die Plätze 9 bis 16, wenn man so will.

Spanien: Schwächen wurden eiskalt genützt

Team SpanienNicht nur, dass Vicente del Bosque diverse spannende Spieler gar nicht erst mitgenommen hat (Alcácer, Mata, Bernat, Javi Martínez, Cazorla, Ñíguez, Isco) – nein, von denen, die mit waren, durften auch nur genau elf zu Startelf-Einsätzen kommen.

Grundsätzlich hat sich seit 2010 am spanischen Spiel nichts wesentliches geändert, und das ist womöglich auch das Problem gewesen. Gegen die Tschechen (die sich hinten eingebunkert haben) und die Türken (die einfach nicht gut genug waren) wurde das noch nicht offenkundig. Aber sobald die Gegner eine gewisse Klasse hatten, wurde deutlich: Spanien ist mittlerweile recht leicht auszurechnen und offenbart in den wenigen Spielen, in denen sie wirklich gefordert werden, erstaunliche Schwächen in den defensiven Strukturen.

Konnte man das gegen Kroatien noch auf fehlende Ernsthaftigkeit schieben, war man den Italienern im Achtelfinale taktisch auf fast schon beängstigende Art und Weise unterlegen. Wie schon Portugal vor vier Jahren im Halbfinale traute sich Italien, das spanische Kurzpass-Spiel schon im Keim zu stören. Damals rettete sich Spanien noch ins Elferschießen und gewann.

Seither aber geht es gegen Teams, die auf diese Art und Weise spielen, fast schon regelmäßig kräftig in die Hose. Vor allem, wenn diese – wie eben Italien hier und 2012, aber auch Holland und Chile bei der WM 2014 – mit einer Dreierkette daherkommen.

Die Zukunft von Del Bosque ist ungewiss – nach zwei Turniersiegen schied er zweimal (zu) früh aus. Da er in den letzten Jahren zunehmend eine gewisse Bequemlichkeit an den Tag legt, was Coaching, inhaltliche Fragen und Weiterentwicklung angeht, aber auch die personelle Erneuerung seines Teams (warum hatte etwa Fàbregas nach einer furchtbaren Saison wie selbstverständlich einen Stammplatz, während Ñíguez nach einer großartigen Saison nicht einmal mitdurfte?), liegt der Verdacht nahe, dass die Ära Del Bosque nach acht Jahren zu Ende geht. Sicher ist aber: Die Mannschaft, der es ja keineswegs an Weltklasse mangelt, könnte den einen oder anderen neuen Impuls brauchen.

England: Starke Phasen und eine zünftige Blamage

Team EnglandEinen neuen Impuls wird England definitiv bekommen: Nach dem Generationswechsel auf dem Feld kommt nach der Achtelfinal-Blamage gegen Island auch ein neuer Trainer, keine halbe Stunde nach dem Abpfiff legte Roy Hodgson nach viereinhalb Jahren sein Amt nieder. Dabei ist England seit dem Vorrunden-Aus bei der WM vor zwei Jahren eigentlich einen guten Weg gegangen.

Mit der Umstellung auf das 4-1-4-1 hatte Hodgson es seinen Achtern (der aktive Alli und Rooney, der vor allem durch komplizierte lange Bälle statt einfache kurze auffiel) ermöglicht, sich auf ihre Aufgaben nach vorne zu konzentrieren. Genau diese Balance hatte im althergebrachten 4-4-2 (wir erinnern uns, in der Vergangenheit oft mit Gerrard und Lampard) gefehlt. Das Resultat war eine makellose Qualifikation und eine an sich sehr gute Vorrunde, wo es zumeist nur die mangelnde Chancenverwertung zu bekritteln gab.

Ihre stärksten Momente hat das englische Team, wenn es gegen den Ball arbeiten kann. Genau das aber erlaubte Island den Three Lions nicht, und es zeigte sich, was sich schon gegen die Slowakei andeutete: Das mit dem Ausspielen eines geschickt verteidigenden Teams – auch, wenn es wie Island eher höher spielt, und nicht ganz tief steht – funktioniert nicht. Das war gegen die Slowakei noch nicht sooo tragisch (obwohl man mit dem 0:0 den Gruppensieg verschenkt hatte), aber gegen Island war es fatal.

Diese Niederlage, so bitter sie ist, ändert allerdings nichts daran, dass dieses englische Team durchaus eine Zukunft hat. Es ist in weiten Teilen noch recht jung, es ist entwicklungsfähig und vor allem haben die maßgeblichen Spieler in der Liga die richtigen Trainer – Pochettino bei Tottenham, Klopp bei Liverpool, nun kommt Guradiola zu Man City. Wenn man nicht komplett in sich versinkt (wie etwa Österreich nach Landskrona), kann England aus diesem Turnier viel lernen.

Kroatien: Erst stark, dann verzweifelt

Team KroatienEs war womöglich nicht die letzte Chance der Generation Modric, einen Titel zu holen. Aber ganz sicher die größte: Kroatien zeigte in der Vorrunde (neben Deutschland) von allen stärkeren Teams konstant die beste Kombination aus individueller Klasse und gutem Coaching; das selbstgefälige Chaos unter Igor Stimac und die auf Motivation statt Taktik basiernde Amtszeit von Niko Kovac ist ganz deutlich vorbei.

Die Balance im Zentrum (Badelj als Absicherung, Modric als Hirn des Teams, Rakitic als Störer an vorderer Front) war hervorragend abgestimmt, Perisic und Srna sorgten für die Vertikalität auf den Außenbahnen. Lediglich die Innenverteidigung ist ein deutliches Stück von internationaler Klasse entfernt – machte aber gegen Spanien eine gute Figur.

Allerdings trifft auch auf Kroatien zu, was auf viele Teams der zweiten Reihe zutrifft: Wenn man auf die zwei besten Spieler verzichten muss, wird es schwer. Und Modric und Rakitic standen gegen Portugal zwar auf dem Platz, aber sie waren in der Manndeckung durch William Carvalho und Adrien Silva zur Wirkungslosigkeit verdammt. So war es nicht die Innenverteidigung, die diesem an sich tollen Team die Titelchance kostete (und die war im Außenseiter-Ast durchaus da), sondern die Abhänigkeit von Modric und Rakitic. Das kann man den Kroatien aber auch wieder nur schwer zum Vorwurf machen.

Schweiz: Weder begeisternd noch enttäuschend

Team Schweiz

Unser geschätzter Schweizer Taktikblog-Kollege Andreas Eberli konstatierte über das Nationalteam seines Landes: „Insgesamt gute, sehr typische Vorrunde der Nati, zeigen unter Petkovic seit langem konstant ziemlich genau dieses Spiel und Niveau. Sehr dominanzorientiert, auch wirklich gut in vielen Bereichen, ballsicher und damit die attraktivste und wohl beste Nati der letzten Jahre, aber auch nicht perfekt balanciert im Aufbau, ohne konstant saubere Verbindung nach vorne und zuweilen etwas zu lang/löchrig bei Ballverlust. Und halt im Offensivspiel ohne besondere Harmonie, Feinabstimmung oder überragende individuelle Qualität.“

Die große Schwachstelle des ersten Spiels – die fehlende Abstimmung im Mittelfeld-Zentrum – wurde so halb durch das zweite Spiel behoben, man kontrollierte danach Frankreich und Polen ganz gut, ohne aber selbst gefährlich zu werden. Shaqiri ist und bleibt zu unkonstant, Dzemaili ist ein Achter und kein Zehner, Seferovic vorne war eine Gemeinheit, Joker Embolo fehlt es deutlich an der internationalen Erfahrung.

Es ist nach dem dank seiner Vergangenheit in der Schweiz sakrosankten, aber gerade in den letzten Jahren quälend konservativen Ottmar Hitzfeld nun sehr wohl die Absicht zu erkennen, das Spiel vermehrt selbst in die Hand zu nehmen. Aber es wird halt doch deutlich, dass es einfach dauert und auch das Personal von richtiger Qualität zu haben. Embolo kann ein Baustein dafür sein, aber es braucht mit Sicherheit noch einen vernünftigen Zehner – oder ein anderes System mit einer angepassten Spielanlage.

Irland: Wenig Klasse, viel Kämpferherz

Team Irland

Es ist leicht, Irland als glücklichen Underdog zu sehen. Allerdings waren sie bei den letzten vier Turnieren zweimal dabei und sind einmal nur durch einen Hand-Ball im Playoff gescheitert – aus dem Nichts kommt das Team also nicht.

Dennoch wirkt das Team, das sich zum Großteil aus Kickern der zweiten englischen Liga rekrutiert, wie genau das: Ein englischer Zweitligist. Begrenzt in den fußballerischen Mitteln, aber mit einem unbändigen Willen versehen. Gegen Schweden war man die bessere von zwei nicht besonders guten Mannschaften, gegen Belgien chancenlos und dann hatte man das Glück, dass es die Italiener im letzten Gruppenspiel nicht wirklich interessiert hat. So schlich man ins Achtelfinale – dort lieferte man gegen Frankreich, der 1:2-Niederlage zum Trotz, die vermutlich beste Leistung des Turniers ab. Allen in allem sind die Iren zwar keine supertolle Mannschaft, können den Turnierverlauf aber absolut als Erfolg verkaufen.

Positiv vermekt werden muss, dass sich das irisch Team von den alten Herren (Robbie Keane und Shay Given) emanzipiert hat, ohne dramatisch an Qualität verloren zu haben. Im Gegenteil: Verglichen mit der heillos überforderten Truppe, die vor vier Jahren dreimal verlor und 1:9 Tore zu Buche stehen hatte, ist Irland diesmal deutlich solider aufgestellt gewesen. Die aktuelle Mannschaft hat auch noch locker zwei Turniere drin und sie weiß um ihre Limits; versucht nicht, etwas zu sein, was sie nicht sein kann.

Nordirland: Mit spannenden Fünferketten

Team NordirlandFast noch zufriedener als der größere Nachbar kann das Team aus Nordirland sein – anders als die Republik-Iren haben die Ulster-Boys nämlich keinerlei Turnier-Erfahrung in den Beinen. Ihr Zugang war deutlich defensiver: In der ersten Hälfte gegen Polen und im Achtelfinale gegen Wales kam Nordirland mit einer Fünfer-Abwehrkette daher, die aber durchaus spannend war.

So gab gegen Polen Zentral-Verteidiger Gareth McAuley den Manndecker für Lewandowski, während seine Nebenmänner eher im Raum verteidigten. Und gegen Wales klappte schon die Abschirmung so gut, dass man es sich erlauben konnte, immer wieder auch nicht ungefährliche Nadelstiche nach vorne zu setzen. Gegen die furchtbar biederen Ukrainer gab es sogar einen verdienten Sieg – nur gegen die Deutschen hatte Nordirland mächtig Glück, dass es dank Torhüter McGovern „nur“ 0:1 ausging.

Natürlich: In der WM-Qualifikation (gegen Deutschland und Tschechien) wird es wenig zu erben geben und für die EM in vier Jahren ist das aktuelle Team dann doch schon eine Spur zu alt (vor allem Führungsfiguren wie McAuley, Hughes und Davis) und natürlich profitierte man von einer leichten Quali-Gruppe. Aber Michael O’Neill hat es geschafft, das Team so zu optimieren, dass fast immer das Optimum heraus geholt werden konnte. Auch wenn dieses Turnier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Eintagsfliege bleiben wird: Darauf können die Nordiren zweifellos stolz sein.

Slowakei: Solide, aber zu viel von Hamsik abhängig

Team SlowakeiAuch die Slowaken haben nicht enttäuscht: Auch beim zweiten Turnier der Verbandsgeschichte (nach der WM 2010) überstand man die Vorrunde und scheiterte im Achtelfinale an einem Titelkandidaten. Das ist genau, was die Mannschaft drauf hat – auch die Slowaken haben also das Optimum aus ihren Möglichkeiten heraus geholt.

Wie schon im Vorfeld klar war, beschränkte sich das Spiel vornehmlich auf eine sichere Defensive und geniale Momente von Marek Hamsik. Der Exzentriker von Napoli lieferte vor allem beim 2:1-Sieg gegen die Russen (wo er ein Tor erzielte und das andere vorbereitete) und stellte sich beim wichtigen 0:0 gegen England voll in den Dienst der Mannschaft.

Vom 0:3 gegen Deutschland im Achtelfinale abgesehen, stand der Abwehrverbund tatsächlich wirklich gut, allerdings wurde im Turnierverlauf schon auch klar, dass dieses Team ohne Hamsik keine Chance hätte, an so einer Endrunde überhaupt teilzunehmen. Die Flügelspieler (Weiss und Mak) sind kaum mehr als Durchschnitt und die zur Verfügung stehenden Stürmer (Duris und Duda) nicht einmal das.

Das Achtelfinale bei so einem Turnier ist der absolute Plafond für diese slowakische Mannschaft. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern – eher steht zu vermuten, dass es beim anstehenden Generationswechsel (sieben Stammkräfte der WM 2010 sind wieder dabei gewesen) zumindest einige Zeit eher nach unten gehen wird. Allerdings haben sie es in der WM-Qualifikation nicht ganz so übel erwischt.

Ungarn: Gut eingestellt und auch glücklich

Team UngarnBei der ersten Turnier-Teilnahme nach 30 Jahren wurde Ungarn völlig überraschend Gruppensieger – eine Leistung, die weit über das Talent des Teams hinausgeht. Umso mehr Credit muss an Bernd Storck gehen, der deutlich mehr aus der Mannschaft heraus geholt hat, als eigentlich drin war.

Sehr genau stellte der ehemalige Teamchef von Kasachstan seine Mannen auf jeden Gegner ein und er hatte auch das nötige Glück. Im Spiel gegen Österreich, dass man nicht nach einer halben Minute in Rückstand geriet und das ÖFB-Team nach einer Viertelstunde de facto erst Junuzovic und dann jedes Selbstvertrauen verlor. Gegen Island, dass kurz vor Schluss doch noch der 1:1-Ausgleich fiel. Und gegen Portugal, dass einige Schüsse zu Toren wurden, die eigentlich nie Tore hätten werden dürfen. Gegen die horrend schlecht gecoachten Belgier hielt man im Achtelfinale das Spiel bis zehn Minuten vor Schluss zumindest vom Ergebnis her offen.

Altmeister Gábor Király glückte mit einer starken EM ein toller Abschluss seiner langen Karriere, auch der betagte Zoltan Gera (einst im EL-Finale mit Fulham) und der nach vielen Jahren in Belgien in die Heimat zurück gekehrte Roland Juhász durften noch ein letztes Hurra feiern. Die meisten anderen haben es auch im besten Fußballer-Alter noch nicht in eine Top-Liga geschafft (Kádár, Lovrencsics) oder haben sich dort nicht nachhaltig durchgesetzt (Pintér). Selbst Adam Szalai hat seine beste Zeit vermutlich schon hinter sich.

Inwieweit die Fußball-Offensive, die in Ungarn auf Impuls von Ministerpräsident Viktor Orbán gestartet wurde, mittel- und langfristigen Erfolg zeigt, wird man erst in mehreren Jahren wissen (auch in Österreich dauerte es ja ein Jahrzehnt, bis man die Früchte ernten konnte). Aber zumindest ist Ungarn nun schon mal zurück auf der Fußball-Landkarte.

Fazit: Vier können zufrieden sein, drei nicht

Die Kritik, dass vier Gruppendritte es auch noch ins Achtelfinale schaffen, wird von vielen Seiten sehr unverhohlen geführt. Man muss aber sagen: Nur einer der vier fiel in seinem Achtelfinale deutlich ab (und dieser eine, die Slowakei, gegen den amtierenden Weltmeister). Die beiden irischen Teams haben ihre Gegner kräftig geärgert und Portugal (kein klassischer Dritter, schon klar) hat es sogar ins Viertelfinale geschafft.

Die Schweizer hätten sich ob des nicht unschlagbaren Gegners Polen mehr ausgerechnet, sie haben aber immerhin ihr Minimalziel erreicht und nicht enttäuscht.

Das sind die Kroaten sicher, aber viel werden sie nicht ändern können – außer, sich einen Plan zu überlegen, wie man reagiert, wenn Modric und Rakitic in Manndeckung genommen werden. Sicher zu mehr oder weniger großen Veränderungen wird es in Spanien und England kommen: Bei den einen eher, was die Besetzung auf dem Feld angeht, bei den anderen, was die Besetzung der Coaching-Zone angeht. Beide werden sich natürlich für die WM in zwei Jahren qualifizieren.

Spätestens da wird man sehen, ob es die richtigen Veränderungen waren.

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Europas „Große“ bei der WM: Zwei stark, einer so naja – aber drei griffen völlig in den Dreck https://ballverliebt.eu/2014/07/19/zwei-stark-einer-so-naja-aber-drei-von-europas-grossen-griffen-voellig-in-den-dreck/ https://ballverliebt.eu/2014/07/19/zwei-stark-einer-so-naja-aber-drei-von-europas-grossen-griffen-voellig-in-den-dreck/#comments Sat, 19 Jul 2014 00:24:38 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10440 Europas „Große“ bei der WM: Zwei stark, einer so naja – aber drei griffen völlig in den Dreck weiterlesen ]]> Erst Italien, dann Spanien, nun Deutschland: Wenn man nur rein die Siegerliste betrachtet, die die letzten drei WM-Turniere hervorgebracht haben, sieht das nach einer brutalen europäischen Dominanz aus. Die Wahrheit ist aber viel eher: Die Breite an gutklassigen Teams macht’s. Denn genau wie schon 2006 und 2010 haben auch diesmal einige von Europas Big Guns ziemlich daneben gegriffen – am kolossalsten natürlich Titelverteidiger Spanien. ABer ein Europäer kommt halt immer durch. Das war diesmal eben Deutschland. Und das verdient.

Deutschland: Krönung eines langen Weges

Das war kein Glücksrittertrum wie beim eher zufälligen Finaleinzug 2002, das war von langer Hand geplant und ist eigentlich zwei Jahre zu spät gekommen. Seit Löw vor zehn Jahren zur Nationalmannschaft kam, wurde um einige Stützen herum konsequent ein über Jahre hinweg eingespieltes Team geformt. Lahm, Schweinsteiger und Klose waren von Beginn an dabei, der Rest wuchs homogen dazu, und im richtigen Moment ging es auch auf.

Deutschland
Deutschland: Als Khedira und Schweinsteiger fit genug waren, beide 90 Minuten durchzuhalten, durfte Lahm endlich nach rechts hinten. Von da an hatten die Gegner keinen Spaß mehr.

Dabei ist Löw ein großes Risiko gegangen, nach einigem Experimentieren sich so spät – nämlich erst ein halbes Jahr vor der WM – auf das bei den Guardiola-Bayern praktizierte 4-3-3 zu verlegen. Er hatte mit sechs bis sieben Bayern-Spielern einen großen Block, der das Gerüst darstellte und in der Vorbereitung klappte es nicht immer nach Wunsch. Auch, weil Löw Lahm wie bei den Bayern in die Mitte stellte, obwohl damit eine Baustelle rechts hinten aufgemacht wurde.

Der Gamble zahlte sich aus. Als sich Khedira (nach Kreuzbandriss im Herbst) und Schweinsteiger (nach vielen Blessuren in den letzten Jahren) halb durchs Turnier fit für 90 Minuten meldete, konnte er endlich Lahm dorthin stellen, wo es für das Team am Besten war. Mit Erfolg: Gab es davor mit allerhand Notvarianten auf rechts hinten (Boateng, Mustafi) eher Bauchweh, flutschte es mit Lahm dort – und das Mittelfeld-Trio mit Schweinsteiger, Khedira und Kroos blühte auf.

Löw war flexibel genug, sich kurz vor dem Turnier auf das 4-3-3 draufzusetzen, aber stur genug, um im ganzen Turnier mit der Ausnahme der zweiten Hälfte des Finales zu keiner Minute davon abzurücken, egal, in welcher personellen Aufstellung, egal, wie sehr auch erschreckend viele Medien das ab dem Viertelfinale offiziell angegebene 4-2-3-1 blind übernahmen.

Der Titel ist vor allem für Löw eine Genugtuung, weil ihm in Deutschland immer wieder vorgehalten wurde, mit seinem intellektuellen Zugang, seinem Faible für flache Hierarchien und ohne, wie sich Leute wie Effenberg gerne bezeichnet, „Typen“ (wiewohl etwa Müller und Schweinsteiger durchaus etwas zu sagen haben), zu weich und zu wenig Siegermentalität für einen großen Titel mitzubringen. Für die nun endgültig große Generation war er der Höhe- und gleichzeitig der Schlusspunkt: Lahm hat nach zehn Jahren im Nationalteam mit 116 Länderspielen adé gesagt, Klose wird sicher folgen, auch bei Schweinsteiger wäre das keine Überraschung und Podolski war bei dieser WM bestenfalls ein Nebendarsteller.

Wenigstens kommt Löw dann nicht in die Verlegenheit, aus überzogener Loyalität zu lange an zu vielen alten Recken festzuhalten.

Niederlande: Eine Bronzemedaille für Van Gaals Ego

Nicht wenige bezeichneten diese WM als gigantischen Ego-Trip des neuen Manchester-United-Managers Louis van Gaal. Er hat für dieses Turnier den holländischen Fußball einmal auf links gedreht und alles anders gemacht, als es die Granden bei Oranje für gut befanden. Dreiekette und Konterfußball statt 4-3-3 und schöngeistigem Spiel, dazu eine Horde von international unbekannten und unerfahrenen Leuten in der Defensive. Keine Frage, Van Gaal ging großes Risiko. Mit Aktionen wie dem Torhüter-Tausch in der 120. Minute im Viertelfinale gegen Costa Rica ebenso wie mit dem generellen Stil.

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Holland: Konsequent mit drei Innenverteidigern und Konterfußball. Das Risiko ging auf, weil das Star-Offensiv-Trio vorne die Räume gut nützte.

Vor allem, weil ja angesichts der Gruppengegner Spanien und Chile ein frühes Aus mehr als nur einen Fuß in der Tür der Wahrscheinlichkeiten hatte. Hollands Glück: Im ersten Spiel brach Gegner Spanien völlig auseinander, die Kontertaktik ging voll auf und nach dem unglaublichen 5:1-Erfolg über den Titelverteidiger hatten auch die Spieler selbst den Beweis, dass es mit dem 3-4-1-2-System funktionieren kann.

In der Tat brannte im ganzen Turnier hinten sehr wenig an (Elfmeter-Gegentor gegen Spanien, ein Glücksschuss und ein Elfer gegen Australien, ein Weitschuss gegen Mexiko) und vorne richtete es das individuelle Talent des Dreigestirns mit Sneijder, Robben und Van Persie, das die Räume hervorragend nützte, die angreifende Gegner ihnen anboten. Das war keine besonders aufregende Oranje-Truppe, aber für das vorhandene Spielermaterial passte die sehr pragmatische Herangehensweise.

Das ist natürlich kein Modell für die Zukunft, denn auf Dauer kann es sich ein Bondscoach nur mit Erfolgen leisten, das typisch holländische Spiel derart zu verraten. Zudem ist die Eredivisie ja auch nicht direkt für ihre kompromisslosen Defensiv-Konzepte bekannt – Angriff ist einfach in der orangen DNA.

Lieber verliert man formschön, als dreckig zu gewinnen. Obwohl eine defensive Grundhaltung das Team 2014 fast ins Finale geführt hätte und 2010 eine sehr pragmatische und auch nicht wirklich aufregende Herangehensweise beinahe den Titel gebracht hätte.

Frankreich: Deschamps braucht einen Deschamps

Irgendwie war dieses Turnier aus französischer Sicht nicht Ganzes und nichts Halbes, damit der letzten EM nicht ganz unähnlich. Dabei wäre so viel Talent in diesem Kader, auch der Ausfall von Franck Ribéry (der aber ohnehin eine ziemlich schwache Rückrunde gespielt hatte) wog nicht allzu schwer. Mit Honduras hatte man keinerlei Probleme, die Schweiz nahm man auseinander, aber danach war es wie abgebrochen.

Frankreich:
Frankreich: Seltsam führungslos im Zentrum. Da half auch ein wirklich starker Benzema nicht viel.

Als es hart wurde, also gegen die recht direkten Nigerianer und vor allem dann gegen die geschickt im Mittelfeld agierenden Deutschen, zeigte das zentrale Trio der Franzosen zu wenig Präsenz. Das kann man auch von einem Pogba trotz seines jungen Alters schon erwarten, vor allem hätte aber mehr von Cabaye und Matuidi kommen müssen. Die beiden müssen durchaus als die Verlierer des Turniers aus französischer Sicht gelten, denn beide haben schon ein Alter erreicht, in dem es nicht mehr viele Endrunden zu spielen gibt.

Besonders erschreckend war aber die Tatsache, dass man beim Viertelfinal-Aus gegen Deutschland über sieben Kilometer weniger gelaufen ist als der Gegner, obwohl man 80 Minuten im Rückstand lag. Das ist nicht mit der Hitze zu erklären, die für den Gegner ja genauso war. Das spricht entweder gegen die Fitness der Franzosen oder gegen den Willen. Denn von besonderen Anstrengungen, das Spiel noch herumzureißen, war wenig zu erkennen.

Deschamps fehlte ein Spieler wie Deschamps, ein verlängerter Arm des Trainers im Mittelfeld. Das kann Pogba werden. Noch war es der hoch veranlagte U-20-Weltmeister aber nicht.

England: Ja, die waren auch dabei

Die Three Lions haben so wenig Eindruck hinterlassen, dass man fast vergessen könnte, dass die überhaupt dabei waren. Dabei war die spielerische Intention von Roy Hodgson gar nicht so dermaßen steinzeitmäßig bieder wie das noch vor zwei Jahren der Fall war. Aber die Mischung passte nicht. Die Jungen sind noch zu jung, die alten über dem Zenit und die dazwischen reißen’s nicht heraus.

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England: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Produkt eines im Schneckentempo vollzogenen Umbruchs.

Diese drei Gruppen hat Hodgson nicht zu einem funktionierenden Ganzen vereinen können. Rooney im Speziellen ist nach zehn Jahren Spitzenfußball körperlich ruiniert wie andere Anfang, mitte dreißig, dazu wird er seit einigen Jahren sowohl bei United als auch im Nationalteam so wahllos hin- und hergeschoben, dass sich kein Rhythmus einstellen kann. Gerrard hat zwar einen Rhythmus, aber die lange und emotional aufwühlende Saison bei Liverpool hat ihre Spuren hinterlassen.

Die können Henderson, Sterling und Sturridge noch besser verkraften, aber ihnen fehlte zum einen ein Spieler wie sie ihn bei Liverpool in Suárez hatten, und zum anderen der internationale Vergleich, weil sie ja kaum oder noch wenig Europacup gespielt haben. Teams, die von der Insel kommen, spielen halt nicht wie Italiener oder Urus.

Und eine Abwehrreihe mit Baines, Jagielka, Cahill und Johnson ist nichts anderes als aller-grauster Durchschnitt. So hochgelobt Baines seit Jahren wird (warum auch immer), so lange Johnson schon dabei ist – aber England hat mit einiger Sicherheit das schlechteste AV-Pärchen aller europäischen Teilnehmer gehabt. Ihre Vorstöße wirkten beliebig, ihre Flanken hatten zuweilen Regionalliga-Format (vor allem die von Johnson, eine Frechheit).

England wirkt wie in einem Umbruch, der seit vier Jahren im Gange ist und ohne wirkliche Überzeugung betrieben wird. Man will die Alten raushaben, nimmt aber dennoch Gerrard UND Lampard mit. Man ersetzt den gefühlt seit den Achtzigern gesetzten Ashley Cole mit einem Spieler, der nur vier Jahre jünger ist und trotzdem erst eine Handvoll Europacup-Einsätze hinter sich hat. Man kommt endlich vom bald greisen Rio Ferdinand weg, und stellt einen 31-Jährigen und einen 28-Jährigen vor Joe Hart hin.

Der englische Verband blickt seit Jahren voller Bewunderung auf den Erfolg, den Deutschland nach dem radikalen Schnitt 2004 hat. Einen ähnlich radikalen Schnitt zu vollziehen, traut man sich auf der Insel aber nicht. Und genau darum wurschtelt man sich seit Jahren mittenrein in die weltfußballerische Anonymität.

Italien: Mischung aus Klima, Qualität und Form

Langsam war das alles. Die Hitze, sie setzte Andrea Pirlo und Daniele de Rossi schon extrem zu. Nach dem hart erkämpften Auftakt-Sieg gegen England in der Hölle von Manaus gab’s einen erschreckend leblosen Auftritt in der Tropenhitze von Recife, wo man gegen Costa Rica verlor. Und wirkliche Überzeugung und Verve war auch nicht zu erkennen, als man im schwülheißen Natal von Uruguay aus dem Turnier gebissen wurde.

Italien
Italien: Der zweite Außenverteidiger, das langsame Zentrum, biedere Offensiv-Kräfte: Prandelli hatte mit zu vielen Brandherden zu kämpfen.

Da halfen alle taktischen Überlegungen von Fuchs Cesare Prandelli nichts. Die höhere Grundposition von Pirlo, um ihn näher an die Passempfänger zu bringen, ebenso wenig wie der Einsatz von Abschirm-Jäger De Rossi und der Einsatz von Pirlo-Kopie Verratti neben dem alten Herrn. Weil neben dem wirklich braven Darmian es keinen zweiten Außenverteidiger gab, der sinnbringend im Spiel gewesen wäre – nicht der gelernte Innenverteidiger Chiellini, nicht der farblose Abate, nicht der als Wing-Back etwas hilflose De Sciglio.

Was auch ein Problem des Nachwuchses ist. Keine große Liga in Europa hat bei den Kadern der Vereine einen so geringen Anteil an bei den Klubs ausgebildeten Spielern wie die Serie A. Wie in Italien generell üblich, wird lieber an alten, verkrusteten Strukturen festgehalten, als mal etwas Neues zu probieren, weil es immer irgendein Gremium, einen 80-Jährigen Betonschädel, einige polemisierende Medien gibt, die das zu verhindern wissen.

Die Folge ist, dass Prandelli, fraglos einer der besten Trainer des Kontinents, hilflos zusehen musste, wie seine Mannschaft verglühte. Das Erreichen des EM-Finales vor zwei Jahren war kein Zufall, aber die Mischung aus den klimatischen Bedingungen und fehlender Form (wenn etwa Neu-Dortmunder Immobile so spielt, wie er heißt; ein Candreva halt nicht mehr als ein Durchschnitts-Kicker ist, Insigne von seinem Punch genau nichts zeigte, Cassano ein müder Abklatsch von 2012 ist und mit Parolo ein 29-Jähriger neu in den Kader kommt) killte Italien.

Spanien: „Generation Xavi“ entmachtet

Es kommt die Zeit, da bricht alles irgendwie in sich zusammen. Zumindest oft. Das war bei Frankreich 2002 so, das war bei Italien 2010 so, und jetzt hat’s die Spanier erwischt. Zu lange festgehalten an einer Spielweise, die die alternden Spieler nicht mehr auf dem höchsten Niveau zu spielen im Stande waren. Und gerade beim Ballbesitz-Fußball spanischer Prägung ist das unbedingt vonnöten.

Spanien
Spanien: Die Änderungen nach dem 1:5 gegen Holland waren zu spät und halfen zu wenig.

Aber Xavi wurde von den geschickten Holländern so kontrolliert, dass er danach nicht mehr ins Geschehen eingriff. Xabi Alonso nahm von den wie wild pressenden Chilenen ein veritables Trauma mit. Und ohne diese beiden Säulen im Zentrum mäanderte der Rest kopflos durch die Partien. Diego Costa konnte nie so eingesetzt werden, dass er seine Stärken ausnützen hätte können. Zu viele Spieler waren zu langsam oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um jenes Gegenpressing zum Funktionieren zu bringen, das ja das eigentliche Erfolgsgeheimnis Spaniens war.

Und vor allem fehlte es dem Abwehr-Duo Ramos und Piqué vor allem gegen Holland, aber auch gegen Chile an der Gedankenschnelligkeit und der Abstimmung – auch, weil Busquets mehr vorne helfen musste als auf die Absicherung nach hinten achten zu können. Die gigantischen Löcher, die entstanden, waren ein Fest für die Holländer und die Hilflosigkeit gegen das chilenische Pressing wurde schnell deutlich.

Das allerdings war schon vorher klar: Von einem mutigen Gegner selbst angepresst zu werden, gefällt den sonst ja selbst pressenden Spaniern gar nicht – wie es etwa Portugal im EM-Halbfinale 2012 machte.

Und dann machte auch noch Iker Casillas jene dämlichen Anfängerfehler, die er nach einem Jahrzehnt auf Top-Niveau zuletzt auch bei Real Madrid immer häufiger wieder eingestreut hatte.

Wie so viele große Trainer vor ihm hat nun also auch Vicente del Boque zu lange an altverdienten Spielern festgehalten. Es sagt sich aber andererseits leicht, er hätte Xavi, Xabi Alonso und womöglich auch Iniesta und Casillas nach drei Titel in Folge eliminieren müssen. Die zu erwartenden Prügel von Medien und Fans will sich niemand antun. Verständlich.

Nicht, dass die Spanien jetzt Sorgen machen müsste – die letzten zwei U-21-Europameisterschaften gewann man, es rückt viel nach. Aber die „Generation Xavi“ ist hiermit an ihrem leider etwas unrühmlichen Ende des Weges angekommen.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Juni 2016 in Frankreich

Die Hälfte von Europas Großen hat komplett enttäuscht, aus den verschiedensten Gründen. Bei England wird sicherlich nichts besser, wenn man weiterhin so lauwarm vor sich hinlebt, bei Italien muss man abwarten, ob Biedermann Mancini übernimmt, Choleriker Conte oder doch Tüftler Guidolin (oder auch ganz wer anderer, Allegri ist ja für die Squadra Azzurra vom Markt). Keiner der drei wird aber die grundsätzlichen Probleme im italienischen Fußball lösen können, da ist der Verband gefragt.

Frankreich braucht für die Heim-EM mehr Persönlichkeiten im Mittelfeld, überall sonst ist die Equipe Tricolore gut aufgestellt. Deutschland wird zumindest zwei, vielleicht sogar drei absolute Schlüsselspieler auf dem Weg zur EM in zwei Jahren ersetzen – ob das ohne Reibungsverluste geht, muss man erst einmal sehen. Erstaunlicherweise sieht aus dem jetzigen Blickwinkel Holland als diejenige Mannschaft aus, die das wenigste Bauchweh haben muss: Der junge Kader hat die Erfahrung einer starken WM, muss praktisch nicht umgebaut werden und Guus Hiddink ist ein ganz erfahrener Trainer, der ein Team völlig anders führt als Van Gaal, sich aber um seine Autorität nicht sorgen muss.

Die Gelegenheit für Teams aus der zweiten Reihe, bei der EM die Arrivierten in den Schatten zu stellen, ist also gegeben. Sie müssten sich jetzt nur noch trauen.

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Confed-Cup 2013: Wenig bedeutendes Turnier, sehr bedeutende Erkenntnisse https://ballverliebt.eu/2013/07/02/confed-cup-2013-wenig-bedeutendes-turnier-sehr-bedeutende-erkenntnisse/ https://ballverliebt.eu/2013/07/02/confed-cup-2013-wenig-bedeutendes-turnier-sehr-bedeutende-erkenntnisse/#comments Tue, 02 Jul 2013 00:04:57 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=8953 Confed-Cup 2013: Wenig bedeutendes Turnier, sehr bedeutende Erkenntnisse weiterlesen ]]> Ja, das hat durchaus Spaß gemacht. Eine ziemliche Dichte an ziemlich feinen Teams, in einem Turnier, dass war weltweite Aufmerksamkeit, aber vergleichsweise geringe Bedeutung hat. Das Resultat: Ein ausgesprochen gutklassiges Turnier mit vielen unterhaltsamen Spielen, aber (vom Gastgeber abgesehen) ohne den Druck des Gewinnen-Müssens. Ein Jahr vor der WM also eine Gelegenheit zu probieren und Erkenntnisse zu sammeln. Nicht unbedingt nur taktische, auch solche das Klima betreffend.

1.: Brasilien ist auf einem guten Weg

Grundformation von Brasilien beim Confed-Cup 2013
Grundformation beim Confed-Cup 2013

Wie viel der Sieg beim Confed-Cup im geschichtlichen Großen Granzen wert ist, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Sicher ist aber: Gastgeber Brasilien ist sportlich auf bestem Weg, für die Heim-WM in einem Jahr gerüstet zu sein. Das Duo Thiago Silva/David Luiz in der Innenverteidigung ist auf Nationalteam-Ebene womöglich das beste der Welt, mit Marcelo und Dani Alves kommt man zumindest bei den acht teilnehmenden Nationen dem Ideal der zwei guten Außenverteidiger am Nächsten, das Mittelfeld-Zentrum hält dicht, nach vorne gibt es mit Neymar und Oscar einiges an Talent – wiewohl die beiden ihr bestmögliches Zusammenspiel noch nicht gezeigt haben.

Hauptmerkmal der Seleção unter Luiz Felipe Scolari ist vor allem die extrem druckvolle Anfangsphase in jeder Partie gewesen. Japan und Mexiko geriet da schon vorentscheidend ins Hintertreffen, Spanien im Finale musste auch einem frühen Rückstand hinterherlaufen. Allen Spielen gemein war aber auch, dass Brasilien die Intensität nach dieser starken Anfangsphase – mit dem Finale als Ausnahme – danach deutlich zurückschraubte. Man cruiste, wenn möglich auf der frühen Führung im Halbgas-Modus dem Sieg entgegen. Gegen Japan und Mexiko klappte das, gegen Italien (wo es kein schnelles Tor gab) nicht, auch Uruguay überstand diese Phase im Semifinale.

Brasilien bei der Copa América 2011
Brasilien bei der Copa América 2011

Vergleicht man die Truppe mit jener, die vor zwei Jahren bei der Copa América – wo es nach einer mühsamen Gruppenphase das Aus im Viertelfinale gegeben hatte – so erkennt man vieles nicht mehr wieder. Nicht nur personell. Beim Turnier in Argentinien machte die Seleção unter Mano Menezes nicht nur einen seltsam langsamen und uninspirierten Eindruck, sondern ließ vor allem zwei Dinge komplett vermissen: Kompaktheit im Mittelfeld und Breite im Spiel nach vorne.

„Zu wenig Bewegung, zu wenig Tempo, sehr statisches Spiel und vor allem: Ein zu großer Abstand, bzw. zu wenig Kontakte zwischen den sechs Spielern hinten und den vier vorne“, analysierten wir im ersten Gruppenspiel, dem 0:0 gegen Venezuela.

„Weil die Brasilianer wieder ein veritables Loch zwischen defensivem Mittelfeld und Offensivreihe ließen, hatten die drei Paraguayer im Mittelkreis das Zentrum sehr gut unter Kontrolle, weil wiederum nur Ramires einen Link zwischen der Defensive und Ganso und Co. darstellte. Auch von den Außenverteidigern kam wieder gar nichts“, hieß es in der Analyse vom zweiten Gruppenspiel, einem 2:2 gegen Paraguay.

„Das brasilianische Spiel verfiel in den alten Trott: Wenig Breite, viel Platz zwischen Defensive und Offensive und ein Offensiv-Quartett, dass nicht gut harmonierte, wenn der Ball doch einmal vorne war“, im Viertelfinale gegen Paraguay – das letztlich im Elferschießen verloren wurde.

Im zentralen Mittelfeld ist von der Copa 2011 keiner mehr übrig: Luiz Gustavo sorgt für Umsicht und defensive Stabilität, Paulinho – die große Entdeckung des Turniers – für den Schub nach vorne, und Oscar versuchte, sich durch extrem viel Laufarbeit immer anspielbar zu machen. Scolari packte also vor allem körperliche Präsenz ins Zentrum. Während Marcelo auf der linken AV-Position ein Fixpunkt ist, kämpft Scolari rechts hinten mit den gleichen Problemen wie seit Jahren: Dani Alves performt in der Seleção einfach nicht, Maicon ist längst endgültig kein Thema mehr, und viele Alternativen hat Scolari nicht.

Die rechte Seite mit einem schwachen Dani Alves und dem ebenfalls nicht überzeugenden Hulk ist der wohl größte Schwachpunkt, den es für die WM noch zu beheben gilt. Im Tor ist Júlio César immer noch ein guter Mann, aber nicht mehr der Weltklasse-Keeper vergangener Tage. Und bei allem Respekt vor seiner sehr ansprechenden Performance bei diesem Turnier: Brasilien hatte auch schon mal bessere Mittelstürmer als Fred. Der noch dazu der einzige echte, gelernte Mittelstürmer im ganzen Kader war.

2. Pressing- und ballbesitzorientierte Europäer werden’s schwer haben.

Grundformation von Spanien
Grundformation von Spanien

Man sollte sehr vorsichtig sein, Spanien nach einem mauen Turnier und nach den Vernichtungen von Real und vor allem Barcelona im CL-Semifinale schon abschreiben zu wollen. Immerhin wurde die U-21 gerade einmal mehr Europameister.

Aber: Der Confed-Cup zeigte sehr wohl, dass es für Teams, die ihr Spiel auf Pressing und Ballbesitz anlegen, vor allem aufgrund der klimatischen Bedingungen – heiß und schwül – sehr schwer sein wird. Vor allem, wenn man bedenkt, dass den Top-Klubs aus Spanien und Deutschland, deren Nationalteams so spielen, wieder eine lange Saison mit vielen Europacup-Partien bevorsteht.

Spanien war körperlich im Halbfinale gegen Italien schon schwer am Limit und im Finale dann komplett tot, obwohl man in der Gruppenphase das billige Trainingsspielchen gegen Tahiti hatte, anstatt drei echte Ernstkämpfe absolvieren zu müssen. Angesichts dieser Erkenntnisse gilt es, bei der WM danach zu trachten, nach zwei Gruppenspielen den Aufstieg geschafft zu haben und Verlängerungen in der K.o.-Phase auf jeden Fall zu vermeiden. Vor allem für Teams aus den hinteren Gruppen, also E bis H, wäre eine Verlängerung wohl tödlich, weil diese Teams im weiteren Turnierverlauf immer einen Tag weniger zur Regeneration haben als jene aus den vorderen Gruppen.

Darauf gilt es sich vor allem eben für Deutschland und für Spanien, aber auch für Bosnien und Holland einzustellen, will man wirklich eine Chance auf den Titel haben. Denn würde im Viertelfinale etwa die ohnehin starke Truppe aus Kolumbien, die Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit noch dazu wie kaum eine zweite kennt, und man ist physisch schon derart bedient wie Spanien beim Confed-Cup schon nach zwei ernsthaft geführten Spielen, wird garantiert Schluss sein.

3.: Reaktive Teams aus Europa dürften im Vorteil sein

Auch, wenn sich Italien im Gruppenspiel gegen Japan – dem wohl aufregendsten bei diesem Turnier – nicht so besonders geschickt anstellte, ist es dennoch so, dass man die Italiener groß auf der Rechnung haben muss. Weil Prandelli bei seinem Team, anders als etwa Del Bosque mit Spanien, aus einer Vielzahl von Systemen (4-3-2-1 gegen Mexiko und Japan, 4-4-1-1 gegen Brasilien, 3-4-2-1 gegen Spanien und wieder 4-3-2-1 gegen Uruguay), Formationen und Taktiken wählen kann, einige extrem vielseitige Spieler zur Verfügung hat (Marchisio, Giaccherini, De Rossi, etc.) sich dabei am Gegner orientiert und überhaupt kein Problem damit hat, selbst das Spiel nicht zu machen.

Dreimal verwendete Italien das 4-3-2-1
Dreimal verwendete Italien das 4-3-2-1

Weil Italien in der Regel nicht bzw. nur wenig presst, was vor allem gegen Spanien im Halbfinale auffällig war, spart das Team einiges an Kraft. Durch den relativ breiten Kader und angesichts der Tatsache, dass Prandelli zu regelmäßigen Umstellungen neigt – mal spielte Marchisio, mal Aquilani, gegenüber wechselten sich Giaccherini und Candreva ab, Pirlo bekam immer wieder seine Pausen, durch die Wechsel zwischen Dreier- und Viererkette auch Barzagli bzw. Bonucci – bekommen viele Akteure auch im Regelfall ihre Downtime.

Dass das Klima reaktive Mannschaften bevorzugt, kann aber auch für andere europäische Mannschaften von Vorteil sein. Hodgsons England fällt einem da spontan ein, auch die Schweizer. Die Portugiesen, sollten sie sich qualifizieren, könnten das auch.

Sicher ist nur: Vor allem für die europäischen Teams wird das Wetter ein ganz entscheidender Punkt werden.

4.: Südamerikanische Dominanz zu erwarten

Schon in Südafrika trumpften vor allem die südamerikanischen Teams „hinter“ Brasilien und Argentinien auf. Uruguay erreichte das Halbfinale, Paraguay das Viertelfinale, Chile das Achtelfinale (und scheiterte dort an Brasilien). Mit Spaniens 2:1 gegen Chile  gab es bis zum Achtelfinale in 19 Spielen gegen nicht-südamerikanische Teams nur eine einzige Niederlage.

Auch Uruguay zeigte sich vom System her flexibel
Auch Uruguay zeigte sich vom System her flexibel

Eine ähnliche Dominanz darf man auch nächstes Jahr erwarten – nicht nur, weil es einige richtig gute Teams aus den Conmebol-Verband sein werden, die teilnehmen, sondern auch, weil diese die klimatischen Bedingungen einfach gewöhnt sind.

Dabei ist Uruguay, trotz des Semifinales beim Confed-Cup, nicht mal der heißeste Kandidat. Óscar Tabárez ist zwar immer noch ein interessanter Trainer, dem Flexibilität in Systemfragen sehr wichtig ist – er switchte zwischen Dreier- und Viererkette, zwischen zwei und drei Stürmern, zwischen flachem und etwas windschief-rautenförmigen Mittelfeld. Aber das Team ist tendenziell überaltert und über den Zenit, den es 2010 und 2011 erreichte, schon ein wenig hinaus. Es ist seither sehr wenig frisches Blut und neuer Konkurrenzkampf in den Kader gekommen.

Zu wenige Tore: Mexiko
Zu wenige Tore: Mexiko

Aber das sehr gut funktionierende Team aus Kolumbien um die Neo-Monegassen Falcao und James Rodríguez und dem hochinteressanten Teamchef José Néstor Pekerman kann durchaus ein Kandidat für das Semifinale sein. Auch Chile, mit Jorge Sampaoli ebenso mit einem aufregenden Trainer im Amt, ist einiges zuzutrauen.

Die Kenntnis um das Klima wäre grundsätzlich auch bei Mexiko vorhanden. Dort scheitert es aber an anderer Stelle: Das Team von Juan Manuel de la Torre ist erstens ziemlich eindimensional, vom 4-4-1-1 mit Giovani als hängender Spitze geht er nicht ab – wiewohl in den U-Teams etwa durchaus eher mit Dreierkette agiert wird. Und, zweitens, ist Mexiko bei aller Spielstärke, erschreckend harmlos vor dem Tor. Nur drei in sechs Quali-Finalrundenspielen, in den ersten zweieinhalb Spielen beim Confed-Cup nur ein Elfer-Tor. Obwohl mehr als genug Chancen dagewesen wären.

5.: Japan kann viel, muss es sich aber auch zutrauen

Japan: Personell seit 2011 unverändert
Japan: Personell seit 2011 unverändert

Wer vom ziemlich flachen Auftritt Japans beim Auftakt-0:3 gegen Brasilien enttäuscht war, wurde im zweiten Spiel gegen Italien wieder in die Realität versetzt: Wie schon beim Asien-Cup, den Japan nach Strich und Faden zerlegte, zeigte sich das Team von Alberto Zaccheroni (auch er so ein feiner Trainer!) von seiner guten Seite: Ramba-Zamba-Tempofußball, mit viel Vertrauen in das eigene Können.

Wie den Mexikanern fehlt es aber auch Japan an den Toren. Maeda ist ein fleißiger Arbeiter, aber kein Goalgetter, Mike Havenaar fehlt da auch die internationale Klasse. Interessantes Detail: Obwohl es einige neue Alternativen in europäischen Top-Ligen gibt, vor allem in Deutschland, ist es beim Confed-Cup die exakt gleiche Grundformation gewesen wie vor zweieinhalb Jahren beim Asien-Cup. Heißt: Die Mannschaft ist eingespielt, kenn sich in- und auswendig. Sie kann auch bei der WM aufzeigen, wenn Zac einen Weg findet, mit dem Klima umzugehen und wenn sich die Japaner auch wirklich etwas zutrauen.

6.: Die Afrikaner werden wieder früh heimfahen. Das wird aber nicht am Klima liegen.

Nigeria hat fraglos Potenzial. Nicht so viel, um in der K.o.-Runde bei der WM weit zu kommen. Nein, sie werden froh sein müssen, die Vorrunde zu überstehen. Aber immerhin ist man in Nigeria mit Stephen Keshi auf einem guten Weg – sportlich.

Nigeria fehlten zwei wichtige Spieler
Nigeria fehlten zwei wichtige Spieler

Man war gegen Uruguay auf Augenhöhe, traute sich gegen Spanien im Mittelfeld zu attackieren. Zudem ist man noch stärker, wenn mit Victor Moses von Chelsea und Mittelstürmer Emmanuel Emenike von Spartak Moskau, die verletzt fehlten. Linksaußen Nnamdi Oduamadi zeigte durchaus auf, der in Italien spielende 22-Jährige ist eine der Entdeckungen dieses Turniers. Die Qualifikation für die WM sollte gelingen (wenn es auch ziemlich wahrscheinlich nicht besonders glanzvoll geschehen wird) und es ist auch kein Afrika-Cup mehr im Weg, nach dem afrikanische Verbände ja gerne den Panik-Button drücken.

Doch obwohl auch Côte d’Ivoire an sich die Qualität hätte, zumindest ordentlich abzuschneiden, ist nicht zu erwarten, dass alle fünf afrikanischen Teilnehmer im kommenden Jahr zu den „Geläuterten“ gehören wird. Was nach dem Afrika-Cup Anfang des Jahres galt, gilt nämlich natürlich weiterhin: So lange die nationalen Verbände nicht professionell arbeiten, können sich die Teams sportlich nicht entwickeln. Nicht zuletzt stritt man auch in Nigeria auch vor diesem Turnier mal wieder um die Prämien.

Und der sportliche Wert der allermeisten Teams aus Afrika ist, das wurde beim von Nigeria gewonnen Turnier deutlich, jämmerlich. Weshalb man davon ausgehen kann, dass sich der größte Teil dss Quintetts nächstes Jahr sehr schnell wieder von der WM verabschieden wird. Und es wird nichts mit dem Klima zu tun haben.

7.: Tahiti – ein witziger Farbtupfer

Immerhin: Tahiti schon ein Tor
Immerhin: Tahiti schoss ein Tor

Dass die mit dem längst aufs sportliche Altenteil des griechischen Mittelständlers Panthrakikos geschobenen Marama Vahirua verstärkte Hobbykicker-Auswahl aus Tahiti die Bude dreimal angefüllt bekommen würde, war von vornherein klar. Ob man die Bilanz von 1:24 Toren jetzt als Erfolg sehen möchte oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen. Zum Vergleich: Bei der U-20-WM vor vier Jahren kam man mit 0:21 Toren davon.

Man wusste um die Chancenlosigkeit und präsentierte sich als witziger Farbtupfer. Teamchef Eddy Etaeta ließ alle drei Torhüter je ein Spiel ran, gegen Nigeria gab es sogar ein Tor. Die Grundausrichtung war mit dem 5-4-1 klar defensiv, aufgrund des eklatanten Klasse-Unterschieds half das aber natürlich auch wenig.

Aber die Teilnahme kann Tahiti keiner mehr nehmen, mit einem Spiel gegen Spanien vor 71.800 Zuschauern im Maracanã. Dass es 0:10 verloren wurde, was soll’s. Marama Vahirua übrigens hat seine Karriere nach dem Turnier beendet.

Fazit: Feines Turnier mit interessanten Erkenntnissen

Das Turnier hat einige schöne Spiele produziert und einen schönen Überblick über die allgemeinen Formkurven gegeben. Vor allem Italien hat einiges ausprobiert. Spanien wird sich etwas überlegen müssen, in Richtung WM. Die nachrückenden Teams wie Mexiko und Japan haben ihre Möglichkeiten angedeutet, mehr aber (noch?) nicht.

In jedem Fall aber ist dieser Confed-Cup ein Plädoyer dafür gewesen, dieses Turnier nicht mehr per se zu belächeln, weil es ja sportlich um nicht allzu viel geht. Dazu war der Unterhaltungswert zu hoch und die Erkenntnisse daraus zu bedeutend.

(phe)

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Pressen, Zustellen, Umschalten: Brasilien fertigt Spanien mit 3:0 ab https://ballverliebt.eu/2013/07/01/pressen-zustellen-umschalten-brasilien-fertigt-spanien-mit-30-ab/ https://ballverliebt.eu/2013/07/01/pressen-zustellen-umschalten-brasilien-fertigt-spanien-mit-30-ab/#comments Mon, 01 Jul 2013 10:19:45 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=8949 Pressen, Zustellen, Umschalten: Brasilien fertigt Spanien mit 3:0 ab weiterlesen ]]> Brasilien hat zum dritten Mal hintereinander den Confederations Cup gewonnen – indem man Welt- und Europameister Spanien regelrecht vorgeführt hat. Die Seleção presste die sichtlich müden Spanier hoch an, schaltete schnell um und nahm den Iberern im Mittelfeld die Optionen. Dagegen war kein Kraut gewachsen. Zumal der Spielverlauf für Spanien auch ungünstig war: Frühes 0:1, Elfer verschossen, und dann auch noch in Unterzahl.

Brasilien - Spanien 3:0 (2:0)
Brasilien – Spanien 3:0 (2:0)

Natürlich hilft es, mit einem 1:0-Vorsprung in ein Finale zu gehen. Das reingenudelte Tor von Fred in der 2. Minute brachte Brasilien jenes Sicherheitsnetz, mit dem sie den Spaniern mit allen möglichen Mitteln begegneten – nichts davon war wirklich neu, aber in dieser Konsequenz und in dieser Fülle vereint, hatten die sicher auch müden Spanier nichts entgegen zu setzen.

Pressen, Zustellen, Umschalten

Die Seleção presste Spanien extrem hoch an, auch schon in den anderthalb Minuten vor dem ersten Tor. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Spanien genau das gar nicht mag, nur hat das noch sehr selten ein Gegner auch tatsächlich mit einem Tor bestraft. Es haben auch schon einige Teams probiert, den Weltmeister hoch anzupressen, wie etwa die Portugiesen im letztjährigen EM-Semifinale, aber die Ballsicherheit und die Klasse, wie auch die physische Verfassung erlaubte es den Spaniern dennoch immer, ihre Dreiecke im Mittelfeld zu bilden und somit zumindest halbwegs die defensive Kontrolle zu bewahren.

Italien versuchte es im Semifinale mit praktisch keinem Pressing, aber mit konsequentem Zustellen der Dreiecke und mit blitzartigem Umschalten von Defensive auf Offensive. Die Passivität im direkten Spiel gegen den Ball war bei den Italienern auch den heißen und luftfeuchten Gegebenheiten geschuldet. Die Brasilianer sind diese Bedingungen viel mehr gewohnt, hatten zudem im Halbfinale 30 Minute weniger zu spielen und einen Tag mehr Pause. Das erlaubte ihnen, Spanien anzupressen, die Dreiecke zuzustellen UND blitzschnell umzuschalten.

Spanien platt

Mit der Kombination aus allen diesen Voraussetzungen kam Spanien überhaupt nicht klar. Vor allem das brasilianische Zentrum mit Paulinho, Oscar und auch Luiz Gustavo ließ Xavi und Iniesta kaum Luft zum Atmen, Spanien fehlte die Zeit, um die Bälle zu verarbeiten und die offenen Mitspieler, um im Ballbesitz zu bleiben. Hinzu kam noch, dass die Spieler schlicht und einfach körperlich platt wirkten: Es fehlte die übliche Bewegung im Spiel ohne Ball, es gab so gut wie kein eigenes Pressing – all das verstärkte den Effekt natürlich noch. So gab es kaum einmal echte Torgefahr vor dem Gehäuse von Júlio César, aber zahlreiche gute Chancen für Brasilien, aus dem schnellen Umschalten heraus zu erhöhen.

Mit der Zeit ergaben sich auch immer mehr Räume für die Brasilianer zwischen dem spanischen Mittelfeld – das weiterhin dafür sorgen wollte, dass es nach vorne geht – und der spanischen Verteidigung, die auf die permanenten Gegenangriffe mit einer tieferen Abwehrlinie reagierte. Piqué musste darüber hinaus immer wieder für den mit Neymar überforderten Arbeloa aushelfen; Arbeloa machte auch diesmal sehr wenig nach vorne.

Del Bosque versucht’s mit Wechseln

So war Spanien auf beiden Flanken jeweils nur mit einem Mann vertreten: Links wie gewohnt mit Alba, weil sich Mata eher zentral orientierte; rechts mit Pedro, weil Arbeloa wenig half. Mit Neymar und Marcelo auf der einen Seite und der defensiven Unterstützung von Luiz Gustavo auf der anderen hatte Brasilien beide Außenbahnen im Griff – und das Zentrum durch das hohe Pressing und das geschickte Positionsspiel sowieso. Das 2:0 für die Seleção nach 45 Minuten war vollauf verdient.

Für den offensiv nutzlosen, defensiv unsicheren und gelbvorbelasteten Arbeloa brachte Del Bosque für die zweite Hälfte Azpilicueta, der sich gleich einmal damit einführte, dass es sich beim ersten brasilianischen Angriff aus der Position ziehen ließ und Fred die ihm gewährte Zeit am Ball zum 3:0 nützte.

Del Bosque brachte daraufhin Navas für Mata – Pedro ging auf die linke Seite – um mehr Optionen zu haben, das Spiel breit zu machen. Bei einem 0:3-Rückstand und klarer körperlicher Unterlegenheit natürlich nur noch eine kosmetische Maßnahme, zumal mit Ramos‘ verschossenem Elfmeter und der roten Karte für Piqué das Spiel längst gelaufen war. In Unterzahl spielte dann Busquets einen Hybrid aus Innenverteidiger und Sechser, Brasilien ließ es beim 3:0 bewenden.

Fazit: Guter Plan mit überlegener Physis umgesetzt

Scolari machte nichts anderes, als alle aktiven Mittel auszuschöpfen, die andere Teams schon gegen Spanien versucht haben – hohes Anpressen, Passwege zustellen, schnell umschalten. Die Spanier, die offenbar körperlich nicht mehr in der Lage waren, das gewohnte eigene Pressing zu etablieren, sich nicht genug freizulaufen und Räumen, die immer größer wurden, hatten keine Chance. Der 3:0-Sieg ist nicht einmal zu hoch.

Natürlich: Mit der Total-Vernichtung von Barcelona im CL-Halbfinale, dem schon recht mühsamen Auftritt gegen Italien im Semi und dem chancenlosen Finale bröckelt der Eindruck der spanischen Dominanz in diesem Jahr. Ob es wirklich schon eine Zeitenwende ist, steht aber auf einem anderen Blatt Papier. Die klimatischen Bedingungen in Brasilien sind Gift für pressing-orientierte europäische Mannschaften. Auch ist sicher mehr Gegenwehr von Spanien zu erwarten, sollte es ein echter Ernstkampf sein, und nicht „nur“ das Finale eines besseren Test-Turniers.

Die Brasilianer aber, das ist sicher, muss man für die WM auf der Rechnung haben. Sie machen nichts inhaltlich Außergewöhnliches, nichts taktisch besonders Innovatives – aber was sie machen, machen sie sehr gut; vor allem aber gibt es wenige echte Schwachstellen. Und sie kommen mit dem Wetter zurecht.

(phe)

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Frustrieren statt aktiv ärgern: Fast wäre Italiens Strategie aufgegangen https://ballverliebt.eu/2013/06/28/frustrieren-statt-aktiv-argern-fast-ware-italiens-strategie-aufgegangen/ https://ballverliebt.eu/2013/06/28/frustrieren-statt-aktiv-argern-fast-ware-italiens-strategie-aufgegangen/#comments Thu, 27 Jun 2013 23:20:03 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=8942 Frustrieren statt aktiv ärgern: Fast wäre Italiens Strategie aufgegangen weiterlesen ]]> Spanien, Spanien, immer wieder Spanien! Doch wie schon letztes Jahr im EM-Halbfinale rettete sich der Welt- und Europameister gegen einen taktisch hervorragend agierenden Gegner nur mit viel Mühe ins Elferschießen und zog über diesen Umweg doch wieder ins Finale ein. Dabei hatte in diesem Confed-Cup-Semifinale Italien eigentlich alles richtig gemacht. Man frustrierte die Spanier, anstatt sie aktiv zu ärgern. Eine etwas bessere Chancen-Verwertung, und der Plan wäre aufgegangen.

Spanien - Italien 0:0 n.V.
Spanien – Italien 0:0 n.V.

Kein europäisches Spitzen-Nationalteam ist, was das verwendete System angeht, so flexibel wie Italien. In der Vorrunde experimentierte Prandelli mit einem 4-3-2-1, in dem mit Marchisio und Aquilani zwei Achter bzw. mit Giaccherini in Wing-Back die Positionen hinter Balotelli einnahmen; danach gab es gegen Brasilien ein 4-4-1-1 mit Diamanti hinter der Solo-Spitze; dazu Candreva – tatsächlich gelernter Flügelstürmer – und wiederum Marchisio auf den Außenbahnen.

Genau angepasstes System

Gegen Spanien packte Prandelli die in Italien weit verbreitete Dreierkette in der Juve-Besetzung aus. Weil sich die Wing-Backs Maggio und Giaccherini im nominellen 3-4-2-1 aber sehr weit zurückzogen und sich Candreva und Marchisio, auf dem Papier hinter Gilardino (der den verletzten Balotelli ersetzte) dafür die zentralen Mittelfeld-Leute Pirlo und De Rossi flankierten, entstand ein 5-4-1, wie es Tahiti bei diesem Confed-Cup verwendete.

Damit passte Prandelli System und Spielweise exakt dem Gegner und den Gegenbenheiten an. Im Zentrum entstand so eine 4-gegen-3-Überzahl der Italiener. Auf der linken Abwehrseite ein 2-gegen-1, weil Arbeloa am Aufbauspiel de facto nicht teilnahm, sondern nur Querpässe auf Piqué oder Xavi ablieferte. Und auf der rechten Abwehrseite gab es im Grunde ebenfalls eine 2-gegen-1-Überzahl für Italien, weil zwar Alba sehr oft vorne auftauchte, David Silva hingegen im Halbfeld untertauchte.

Pressing der Italiener gab es allerdings keines – das war wohl aber wiederum den Gegebenheiten geschuldet. Das EM-Halbfinale gegen Portugal hat ebenso wie das CL-Semifinale von Barça gegen die Bayern gezeigt, dass es die Spanier überhaupt nicht mögen, wenn sich ein Gegner traut, sie aktiv und relativ hoch anzupressen. Bei Temperaturen um die 30 Grad und einer Luftfeuchte von an die 80 Prozent ist das aber schlicht nicht praktikabel. Weshalb Italien nach dem Motto „Frustrieren statt Ärgern“ spielte.

Spanien ratlos

Man hielt Spanien also vom eigenen Tor fern, indem man die Mitte überlud und das (ohnehin bei Spanien nur mäßig ausgeprägte) Flügelspiel unterband. Gleichzeitig wurde kein Druck auf den ballführenden Spanier ausgeübt – allerdings wurde blitzschnell umgeschaltet, sobald die Italiener den Ball hatten. Zwei schnelle Pässe in der Mitte, eine Verlagerung auf Candreva rechts oder Giaccherini links, eine Hereingabe auf Gilardino. Es war gar nicht notwendig, dass mehr als drei Italiener vorne ankamen, gegen das ungewohnt langsame Umschalten der Spanier reichte es aus, um einige gefährliche Situationen zu provozieren.

Wie überhaupt das Spiel der Spanier ungewohnt langsam und behäbig wirkte. Was womöglich auch an den klimatischen Bedingungen lag, vor allem aber zweifelsfrei daran, dass es die Italiener extrem geschickt verstanden, dem Welt- und Europameister jene Dreiecke im Aufbau zuzustellen, die für die Spanier so extrem wichtig sind – ebenso wie die Optionen auf den Steilpass. Torres rieb sich zwischen der Fünfer- und der Viererkette auf, Silva und Pedro hatten permanent drei Gegenspieler, und so fehlten von hinten heraus einfach die Optionen.

Und hinzu kam noch, dass nach dem zweiten, dritten gefährlichen Konter deutlich wurde, dass Spanien eine Heidenangst vorm schnellen italienischen Umschalten hatte und so die Risiko-Pässe nach vorne noch mehr vermied.

De Rossi zurück in die Abwehr

Für die zweite Hälfte brachte Prandelli dann Montolivo statt Barzagli. Damit rückte Daniele de Rossi ins Zentrum der Dreier-Abwehr zurück, wie er das bei der EM schon gegen Spanien und gegen Kroatien gemacht hatte. Damit hatte Italien nun drei Ballverteiler im defensiven Zentrum, außerdem gingen die Wing-Backs nun deutlich mehr nach vorne. Die Spanier waren in der ersten Hälfte so mürbe gemacht worden, dass sie dem italienischen Treiben recht wenig entgegen zu setzen hatten.

Del Bosque versuchte, den entstehenden Platz hinter Giaccherini besser zu nützen, indem er mit Jesus Navas einen echten Flügelstürmer statt David Silva brachte. Der Andalusier konnte diese Vorgabe allerdings überhaupt nicht erfüllen, er war kaum einmal ins Spiel eingebunden. In der zweiten Halbzeit hatte Italien deutlich mehr Ballbesitz als Spanien (!) und konnte so den Gesamtprozentsatz annähernd auf 50 Prozent heben.

Was auch daran lag, dass es bei den Spaniern überhaupt kein Umschalten gab. Viel zu langsam brachte man Spieler vor den Ball, das Spiel wurde nach Ballgewinn nicht beschleunigt, so konnte sich Italien problemlos stellen und so etwas wie Torgefahr kam eigentlich nie auf.

Wilde Variante von Del Bosque

Was zu Beginn aussah wie eine Taktik, die ausgelegt war, nicht zu verlieren, entpuppte sich als taugliches Mittel, gegen Spanien zu gewinnen. Dazu hätte eine der durchaus vorhandenen Torchancen der Italiener aber auch verwertet werden müssen. Das geschah nicht, darum ging es in die Verlängerung.

Verlängerung
Verlängerung

In der Vicente del Bosque etwas ganz Wildes probierte: Er brachte Javi Martínez, der bei den Bayern eine grandiose Saison als umsichtiger und de facto fehlerfreier Stabilisator im defensiven Mittelfeld absolviert hatte – und der Baske ersetzte Fernando Torres positionsgetreu.

Martínez versuchte, durch seine Laufwege Löcher im italenischen Defensiv-Verbund zu reißen, anders als Torres der eher auf Zuspiele gelauert hatte. Außerdem war er wegen seiner Kopfballstärke ein willkommener Anspielpunkt auch für lange Bälle.

Bis kurz vor Schluss kontrollierte Italien das Geschehen weiterhin recht sicher, wurde aber selbst kaum mehr wirklich gefährlich. Erst in den letzten Minuten vorm Elfmeterschießen kam man noch ziemlich ins Schwitzen, Spanien konnte trotz zwei, drei großer Chancen den Shoot-Out aber nicht mehr verhindern.

In dem alle Schützen sicher trafen, ehe mit Leonardo Bonucci der 13. Spieler scheiterte. Und Spanien damit nach 120 Minuten wohl nicht ganz verdient ins Finale gegen Brasilien einzieht.

Fazit: Italien machte eigentlich alles richtig

Wie schon letztes Jahr in Danzig war Italien auch diesmal der klare taktische Punktsieger, holte wie im Vorrundenspiel der EM ein Remis – und scheiterte letztlich im Elferschießen. Was aber nicht darüber hinweg täuschen darf, dass die Taktik von Prandelli, die von seiner gewohnt italienisch-disziplinierten Truppe fast perfekt umgesetzt wurde, punktgenau passte. Nur ein starker Casillas und eine damit verbunden nicht ausreichende Chancenverwertung verhinderte einen verdienten italienischen Sieg.

Das sah alles nicht spektuakulär aus und vor allem in der 2. Hälfte fehlte der Partie deutlich das Tempo dafür, es wirklich als großes Spiel bezeichnen zu können. Zudem wären beide in gleicher Situation in einem „echten“ Bewerbsspiel sicher mit noch etwas mehr Punch am Werk (wiewohl die tropischen Bedingungen da sicher ein verhinderndes Wort mitgesprochen hätten). Aber es war ein weiteres Beispiel dafür, dass Spanien eben doch nicht unschlagbar ist.

Für die WM nächstes Jahr ja keine ganz unwichtige Erkenntnis.

(phe)

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Spanien ist Europameister! Weil Italien auf das 3-5-2 verzichtete und Pech hatte https://ballverliebt.eu/2012/07/02/spanien-ist-europameister-weil-italien-auf-das-3-5-2-verzichtete-und-pech-hatte/ https://ballverliebt.eu/2012/07/02/spanien-ist-europameister-weil-italien-auf-das-3-5-2-verzichtete-und-pech-hatte/#comments Mon, 02 Jul 2012 00:01:56 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7645 Spanien ist Europameister! Weil Italien auf das 3-5-2 verzichtete und Pech hatte weiterlesen ]]> Es schaut wesentlich brutaler aus, als es wirklich war: Was nach einer Tracht Prügel aussieht, die Italien beim 0:4 gegen Spanien im EM-Finale von Kiew einstecken musste, war in Wirklichkeit zwar durchaus ein verdienter Sieg für die „Furia Roja“. Aber dass es so hoch geworden ist, lag auch an italienischem Pech. Ohne das die Azzurri aber wohl auch nicht gewonnen hätten.

Spanien - Italien 4:0 (2:0)

Es hatte alles so ausgesehen, als sollte es das Traumfinale geben – Spanien gegen Deutschland, die Dritte. Doch dann kamen die Italiener, und dank ihres überzeugenden Sieges über die Deutschen im Halbfinale waren sie im Finale gegen die Spanier zumindest nicht der krasse Außenseiter. Am Ende hatte die Squadra Azzurra vier Gegentore geschluckt. Und das Endspiel von Kiew vier Phase gesehen.

Phase 1: Die erste Viertelstunde

Bei den Spaniern fiel zunächst vor allem die einmal mehr extrem hohe Positionierung von Xavi auf. Dadurch war die spanische Formation ein recht klares, ziemlich eindeutiges 4-2-3-1 – auch, weil die „Neun“, die Fàbregas spielte, so „falsch“ gar nicht war. Die Absicht hinter der Positionierung von Xavi wurde auch recht schnell klar: Er und Fàbregas teilten sich die Aufgabe, Pirlo anzupressen und ihn nicht zu seinen öffenenden Pässen kommen zu lassen.

So verteidigte Spanien – ähnlich wie etwa Dortmund – mit einem 4-4-2, in dem Xavi und Fàbregas vorne agierten. Mit Erfolg: Der italienische Taktgeber wurde, wie schon in der ersten Hälfte gegen Deutschland, bei Querpässen gehalten. Die spanischen Flügelspieler blieben zudem, wie gewohnt, sehr zentral – ja, Silva und Iniesta spielten sogar noch zentraler als sonst. Damit sollte die Raute im italienischen Zentrum zusammen gezogen werden, um auf den Außenahnen noch mehr Platz für die aufrückenden Außenverteidiger zu machen. Doch Arbeloa und Alba stießen zunächst zu wenig in diesen Raum vor.

Im Gegenzug versuchten Abate und Chiellini ebenso etwas zu zögerlich, für Breite im eigenen Spiel zu sorgen. Im Zentrum hatten die Spanier indes durch ihre perfekte Abstimmung und angesichts der Tatsache, dass das ohnehin ihr Spiel ist, Vorteile – so entstand auch das 1:0 nach einer Viertelstunde, bei dem Iniesta mit einem Lochpass Fàbregas schickte, dessen Querpass vor das Tor verwertete Silva.

Phase 2: Italien rückt auf und presst

Cesare Prandelli musste kurz nach dem Rückstand verletzungsbedingt wechselt – für Giorgio Chiellini kam mit Federico Balzaretti ein neuer Linksverteidiger. Das Problem blieb aber bestehen: Auch Balzaretti beschleunigte zwar immer wieder vielversprechend, aber kaum über der Mittellinie, nahm er immer das Tempo aus dem Angriff und spielte den Ball zurück.

Allerdings machte die restliche Mannschaft nach dem Gegentor einen deutlich besseren Job, wenn es darum ging, im Ballbesitz aufzurücken. Mit einer hohen Verteidigungslinie und konsequentem Pressing setzte Portugal den Spaniern im Semifinale brutal zu, und auch gegen Italien ließen sie sich vom geringer werdenden Platz in der eigenen Hälfte und der weniger werdenden Zeit am Ball durchaus beeindrucken – De Rossi, Montolivo und Marchisio kamen dabei Schlüsselrollen zu.

Die Spanier hatten die Kontrolle über das Spiel zumindest teilweise eingebüßt und die Fehlpass-Quote stieg. Alleine: Nützen konnten es die Italiener nicht. Wie schon den Gegnern Spaniens in den Runden davor hielten die Azzurri damit zwar den Gegner gut vom eigenen Strafraum weg, aber eine eigene, echte Torchance wurde nicht herausgespielt.

Pirlo auf Querpässe reduziert

Pirlo wurde auf Querpässe reduziert

Was auch wiederum daran lag, dass Pirlo weiterhin kaum ein Faktor war: Er war vor allem auf der halbrechten Seite zu finden, weil Marchisio, wie gewohnt, deutlich höher stand als De Rossi auf der anderen Seite – aber der permanente Druck, der auf Pirlo ausgeübt wurde, nahm ihm Zeit und Anspielstationen.

Durch das etwas rechtslastige Spiel der Italiener gelang es auch nicht, den eher als Linksaußen denn als Sturmspitze agierenden Antontio Cassano einzusetzen, bzw. ihn im Bedarfsfall zu unterstützen. Er war bei Arbeloa in guten Händen. Auch deshalb, weil von Balzaretti überhaupt nichts kam.

Auch Montolivo konnte den weitgehenden Ausfall von Pirlo in der Spielgestaltung nicht ausgleichen. Gegen Xabi Alonso und Busquets kam er permanent in Unterzahl-Situationen. Marchisio war auf der rechten Seite zwar relativ hoch postiert, verlor dadurch aber oft Iniesta aus den Augen.

Und musste nebenbei noch darauf achten, dass Jordi Alba nicht in 1-gegen-1-Situationen mit Abate gehen konnte, weil der Spanier da ganz klare Qualitätsvorteile hatte. Was ein gravierendes Problem nach sich zog: Weil Marchisio (und auch De Rossi, wenn auch nicht so extrem) viel nach außen arbeiten musste, bot sich Platz in den Schnittstellen links und vor allem rechts von Pirlo. Was kurz vor der Pause gnadenlos ausgenützt wurde: Lochpass von Xavi in den Lauf von Alba, und es hieß 2:0.

Phase 3: Neuer Schwung mit De Rossi

Für die zweite Hälfte ließ Prandelli den schwachen Cassano in der Kabine und brachte mit Di Natale einen neuen Mann für die Spitze. Der Routinier von Udinese blieb deutlich zentraler als zuvor Cassano, außerdem rückten nun endlich die Außenverteidiger ohne Handbremse auf. So kamen die Italiener durch den frisch eingewechselten Stürmer prompt zu zwei guten Torchancen.

Die Spanier wirkten etwas verunsichert ob dieser Alles-oder-Nichts-Stratagie der Italiener, versuchten aber durchaus gefährlich, in den Platz zwischen den Offensiv-Spielern und den nicht in ausreichendem Maße nachrückenden Verteidigern zu stoßen. Beide Mannschaften achtete nun darauf, bei Ballgewinn möglichst schnell umzuschalten, wodurch das Spiel in dieser Phase das höchste Tempo aufnahm.

Die fehlende Ordnung im Umschalten auf Defensive aber dürfte Prandelli nicht gefallen haben. So nahm er in der 57. Minute Montolivo vom Feld und brachte den grundsätzlich etwas defensiver eingestellten Thiago Motta für die Position hintern den Spitzen. Wie sich herausstellen sollte: Ein verhängnisvoller Fehler.

Phase 4: Das Spiel ist gelaufen

Denn keine drei Minuten nach seiner Einwechslung war Motta schon so lädiert, dass er nicht mehr weitermachen konnt – Oberschenkel-Zerrung. Prandelli hatte aber bereits dreimal gewechselt. Was hieß: Eine halbe Stunde vor dem Ende war Italien nicht nur 0:2 hinten, sondern auch noch einer weniger. Damit war das Spiel natürlich vorbei – mit einem Schlag war das komplette Leben aus der nicht uninteressanten Partie gewichen.

Die Italiener stellten sich mit einem 4-3-2 nun sehr tief auf und versuchten, das Ausmaß der sportlichen Katastrophe möglichst in Grenzen zu halten. Man ließ den Spaniern nun den Platz und die Zeit, ihr gewohnten Kurzpass-Spiel aufzuziehen und hoffte, dass die Zeit möglichst schnell vergeht. Spanien legte sich die Italiener zurecht, und fand noch zweimal eine Lücke und eine nicht greifende Abseitsfalle – dass am Ende ein 4:0 steht, ist definitiv zu viel. In Wahrheit hat das Spiel nur 60 Minuten gedauert und hat mit einem spanischen 2:0-Sieg geendet.

Fazit: Pech für Italien, aber Spanien war schon besser

Ein wenig seltsam ist es schon: Da hat Italien mit dem 3-5-2 im Gruppenspiel die Spanier gut kontrolliert, hatte die Außenbahnen im Griff und das Zentrum zu gemacht – und doch hat Prandelli für das Finale gegen den selben Gegner in der selben Formation auf Viererkette und Mittelfeld-Raute spielen lassen. Damit brachte er nie genug Druck auf die Außenbahnen, war im Mittelfeld anfällig für Löcher und es gelang auch nicht, Balotelli und Cassano in gewünschtem Maße ins Spiel zu bringen.

Natürlich war für die Italiener auch viel Pech dabei: Die frühe Verletzung von Chiellini war der erste Tausch, die logische – und richtige – Einwechslung von Di Natale zur Halbzeit der zweite. Dass sich Motta nach kaum fünf Minuten den Muskel zerrt, war nicht vorhersehbar und entschied das Spiel.

Das Spanien zwar zu hoch gewann, aber dennoch die klar bessere Mannschaft war. Zwar war die erste Halbzeit längst nicht so souverän, wie der Stand von 2:0 ausdrückt, aber man hatte doch immer eine passende Antwort auf die Versuche der Italiener parat und brauchte vor allem nicht viele Chancen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte das 2:0 so oder so gereicht. Und mit dem Platz, der sich durch die schon fast ultra-offensive Spielweise der Azzurri nach der Pause ergab, wäre ein 3:0 aus einem Konter nicht unwahrscheinlich gewesen.

So steht am Ende der dritte spanische Titel bei einem großen Turnier hintereinander. Mit Recht: Es wurde nur ein einziges Tor in den sechs Spielen kassiert, und so gut wie kein Gegner wurde wirklich dauerhaft gefährlich. Mit Pressing und einer hohen Linie kann man Spanien nerven, keine Frage – Portugal hat das gezeigt – aber er wirkliches Rezept, Spanien auch zu schlagen, hat auch diesmal keiner gefunden.

(phe)

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Pressing und hohe Linie: Portugal zeigt, wie man Spanien richtig nerven kann https://ballverliebt.eu/2012/06/28/pressing-und-hohe-linie-portugal-zeigt-wie-man-spanien-richtig-nerven-kann/ https://ballverliebt.eu/2012/06/28/pressing-und-hohe-linie-portugal-zeigt-wie-man-spanien-richtig-nerven-kann/#comments Thu, 28 Jun 2012 00:12:10 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7615 Pressing und hohe Linie: Portugal zeigt, wie man Spanien richtig nerven kann weiterlesen ]]> Da schau her: Endlich mal eine Mannschaft, die das spanische Spiel nicht über sich ergehen lässt oder „nur“ punktuell stört. Portugal presste im Halbfinale konsequent und etablierte eine extrem hohe Abwehr-Linie. Mit dieser Hoch-Risiko-Taktik darf sich Teamchef Paulo Bento durchaus als Gewinner fühlen. Auch, wenn für seine am Ende vom intensiven Spiel sehr müde Mannschaft im Elfmeterschießen den Kürzeren zog.

Spanien - Portugal 0:0 n.V., 4:2 i.E.

Es ist die ewige Frage gegen diese Spanier: Wie verhindert man, dass sie den Ball laufen lassen und man selbst Opfer des schnellen Gegenpressings wird? Vor zwei Jahren im WM-Achtelfinale haben es die Portugiesen mit eigenen Pressing versucht, sind dabei aber nicht konsequent genug nachgerückt. Dazu waren sie nach dem Gegentor zu Beginn der zweiten Halbzeit mental nicht mehr in der Lage zurück zu schlagen – und, weil sich Cristiano Ronaldo abgemeldet hatte.

Hohe Linie, hohes Pressing

Was unter Carlos Queiroz in Kapstand angedeutet worden war, ließ Paulo Bento nun in Donetsk in voller Härte spielen: Extrem hohe Verteidigungslinie, konsequentes Pressing weit in der gegnerischen Hälfte – so wurde einerseits vermieden, dass im Rücken des Pressing ein allzugroßes Loch entsteht (anders als etwa bei den Holländern, denen das vor allem gegen Dänemark, aber auch gegen Deutschland zum Verhängnis geworden war). Das braucht einerseits extremen Mut – schließlich ist keine Mannschaft so ballsicher und kann sich so schnell offensiv organisieren wie die Spanien. Und zum zweiten natürlich extreme Laufarbeit.

Die drei Mann im portugiesischen Zentrum – Meireles (wieder immer auf der Seite von Ronaldo), Veloso (zentral) und Moutinho – hatten eine ganz hervorragende Abstimmung beim Pressen auf ihre spanischen Gegenspieler (vor allem Xabi Alonso und Busquets): Zwei gingen, einer sicherte. Das machten sie mit einer Flexibilität, die seinesgleichen sucht. Aber auch Almeida war sehr viel unterwegs und sprintete die spanische Innenverteidigung und auch Casillas an.

Die Folge war, dass die Spanier öfter, als ihnen lieb war, auf lange Balle zurückgreifen mussten. Das ist nicht ihr Spiel, und so kamen sie auch nicht dazu, sich dauerhaft in der gegnerischen Hälfte festzusetzen. Allerdings ließen sie sich dadurch nicht davon abbringen, selbst ebenfalls ziemlich heftiges Pressing zu zeigen. Die Folge war ein wahres Pressing-Festival und zwei Mannschaften, die sich so im Mittelfeld neutralisierten.

„Echter“ Stürmer Negredo ein Schuss ins Knie

Vicente del Bosque hatte sich gegen Fàbregas als Falsche Neun entschieden und brachte mit Álvaro Negredo einen „echten“ Stürmer – das heißt, Del Bosque erwartete tief stehende Portugiesen, denen er mit Präsenz im Strafraum bekommen wollte. Eine Maßnahme, die aber die Portugiesen in ihrem Vorhaben, hoch zu stehen, zweifellos bestärkt hat: Einen spanischen Strafraumstürmer will man nicht im eigenen Strafraum haben. Durch das schnelle Herausrücken bis knapp vor die Mittellinie wurde Negredo seiner Stärke komplett beraubt.

Spanien wurde durch die mutige Spielweise der Portugiesen weiter zurück gedrängt, als man das gewohnt war. Nur Xavi bewegte sich eher in die andere Richtung: Der Mittelfeld-Stratege positionierte sich ungewohnt hoch, war zuweilen der vorderste Mann im Mittelfeld, beinahe auf einer Höhe mit Negredo. Die Idee dahinter war wohl, schneller in den Rücken der Portugiesen zu kommen, wenn er mal an den Ball kam. Aber es fehlte ihm an den gewohnten Anspielstationen um sich herum. So blieb Negredo über die kompletten 53 Minuten, auf denen er am Feld war, ein kompletter Null-Faktor.

Die Außenbahnen

Auch, weil das spanische Spiel einmal mehr komplett ohne jede Breite auskommen musste, vor allem die Seite von Arbeloa und Silva war anfällig. Silva turnte nämlich wie gewohnt fleißig im Zentrum umher und Arbeloa traute sich gegen Cristiano Ronaldo nicht so sehr den Vorwärtsgang einlegen – von allen Spaniern hatte er die geringste Laufleistung absolviert (als Außenverteidiger!). Das wiederum erlaubte Coentrão gefahrlose Vorstöße. Allerdings wurde die nicht vorhandene Hilfe von Silva für Arbeloa zu selten genützt. Dazu hätte sich der eher zentral als offensive Schaltstelle agierende Cristiano Ronaldo wohl etwas mehr auf die Flanke hinaus begeben müssen.

Auf der anderen Seite ist Jordi Alba schon im ganzen Turnier die größere offensive Bedrohung. Hier arbeitete Nani sehr gut gegen den Ball und er harmonierte auch gut mit dem sehr selbstbewusst auftretenden João Pereira. So wurde Spanien immer mehr ins Zentrum gedrängt, wo aber das portugiesische Pressing spanischen Raumgewinnen verhinderte. Spanien hatte kurz Halbzeit (verglichen mit sonst) kümmerliche 55% Ballbesitz, nicht die gewohnte Kontrolle über das Spiel und damit auch null Torgefahr.

Del Bosque bringt Breite rein

Nach einer Stunde reagierte Vicente del Bosque. Nicht nur, dass statt des unsichtbaren Negredo nun doch Fàbregas kam und statt des eben sehr zentral agierenden Silva mir Jesús Navas ein echter Flügelstürmer. Das sorgte dafür, dass Coentrão deutlich mehr nach hinten arbeiten musste und sich viel weniger an der Arbeit nach vorne beteiligen konnte. Am Ende war er der Portugiese mit der geringsten Laufleistung. Die Gefahr durch Navas limitierte ihn in ähnlichem Maße wie die Gefahr Ronaldo bei Spanien Arbeloa limitierte. So fehlte es nun auch den Portugiesen zumindest auf einer Seite an der Breite im Spiel.

Verlängerung

Wovon es Portugal nun aber noch viel mehr fehlte, war die Kraft. Halb durch die zweite Halbzeit hatten sie bereits zwei Kilometer mehr Laufleistung angesammelt als ihre elf Gegenspieler; vor allem das ständig pressende Zentrum mit Moutinho, Veloso und Meireles zeigte deutliche Verschleiß-Erscheinungen. Das Pressing ließ merklich nach, die Fehlpass-Quote stieg dafür in gleichem Maße.

Allerdings waren die Spanier in den etwa 70 Minuten, die dem portugiesischen Verfall vorangegangen waren, so sehr aus ihrem Konzept gebracht worden, dass sie es dennoch auch weiterhin nicht schafften, daraus Kapital zu schlagen. Sie kontrollierten nun zwar immer mehr den Ball, aber Zugriff auf den portugiesischen Strafraum bekamen sie kaum.

Verlängerung

Nachdem es beim torlosen Remis nach 90 Minuten geblieben war, ging es also in die Verlängerung, und kurz davor war bereits Pedro für den erstaunlich blassen Xavi gekommen. Damit war nun auch auf der linken Seite der portugiesische Vorwärtsgang gebremst.

Spanien stellte sich nun in einem recht klaren 4-1-4-1 auf. So „falsch“ war die Neun, die Fàbregas spielte, zwar gar nicht, aber er machte dennoch extrem viel Betrieb, war deutlich mobiler als Negredo vor ihm und spielte den eh schon platten Veloso endgültig kaputt, weswegen Bento stattdessen Custódio einwechselte. Er ließ sich merklich hinter Moutinho und Meireles fallen. Um das zu konterkarieren, kam kurz darauf Silvestre Varela für Meireles. Dieser hatte gegen Deutschland und Dänemark extrem viel Wirbel gemacht und kam nun über die rechte Seite in einem 4-2-3-1. Zentral agierte Ronaldo, links Nani. Vorne war Nélson Oliveira für Almeida gekommen: Ein frischer, lauffreudiger Spieler für den müde gelaufenen Almeida.

Dennoch: Portugal hing in den Seilen, aus den zwei Kilometern „Vorsprung“ bei der Gesamt-Laufleistung nach etwa 70 Minuten war am Ende der Partie ein knapper „Rückstand“ geworden. Es wurde nur noch mit großer Leidenschaft verteidigt und sich in jeden Pass, in jeden Schuss hineingeworfen. Das funktionierte: Portugal rettete sich ins Elfmeterschießen.

Dort allerdings rettete sich Spanien. Weil Bruno Alves, der ein starkes Spiel gezeigt hatte, seinen Verusch an die Latte knallte.

Fazit: Spanien im Finale, aber Daumen hoch für Paulo Bento

Dass sich ein Gegner von Spanier ein so großes Herz nimmt und tatsächlich (auch noch mit einigem Erfolg) versucht, das Spiel selbst in die Hand zu nehmen, gab es seit der Partie gegen Bielsas Chilenen – dem wohl besten Spiel der WM in Südafrika – nicht mehr. So lange Portugal die Kraft dazu hatte, also etwa 70 Minuten, zeigten sie der Welt, dass die Spanier durchaus zu verwirren sind, wenn man sie mit Teilen ihrer eigenen Waffen bekämpft. Mit konsequentem Pressing und einer hohen Linie ist diese Mannschaft vom eigenen Strafraum fern zu halten.

Allerdings hat auch eine Fehleinschätzung von Vicente del Bosque dazu geführt, dass Portugal so gut im Spiel war. Den Strafraumstürmer Negredo zu bringen, erwies sich als kontraproduktiv, weil durch die extrem hohe Linie der Portugiesen diese Typ Angreifer bei der Spielanlage der Spanier nicht gefragt war. Erst mit dem deutlich mobileren Fàbregas, der die erschöpfte portugiesische Mannschaft beschäftigte, kam mehr Kontrolle ins spanische Angriffsdrittel.

Auch, wenn es letztlich nicht dazu gereicht hat, eigene Chancen zu kreieren, muss Paulo Bento als einer der Sieger dieses Turniers im Allgemeinen und dieses Spiels im Speziellen gelten. Anders als etwa Laurent Blanc im Viertelfinale traute er es seiner Mannschaft zu, die spanische Kurzpass-Orgie nicht nur über sich ergehen zu lassen, sondern er hatte den Mut und vermittelte diesen auch seiner Mannschaft, die Spanier früh zu nerven.

Das hätte angesichts der Qualität der Spanier schlimm in die Hose gehen können, aber mit dem isolierten Negredo statt des spielstarken Fàbregas in der Spitze konnte Spanien lange nichts ausrichten. Ja, Portugal wurde selbst nicht gefährlich und war kräftemäßig nach 70 Minuten am Limit und nach 100 Minuten komplett streichfähig. Aber Daumen hoch für die mutige Herangehensweise.

(phe)

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Zwei Rechtsverteidiger sind auch keine Lösung: Frankreich ist raus https://ballverliebt.eu/2012/06/24/zwei-rechtsverteidiger-sind-auch-keine-loesung-frankreich-ist-raus/ https://ballverliebt.eu/2012/06/24/zwei-rechtsverteidiger-sind-auch-keine-loesung-frankreich-ist-raus/#comments Sat, 23 Jun 2012 23:07:16 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7590 Zwei Rechtsverteidiger sind auch keine Lösung: Frankreich ist raus weiterlesen ]]> Mit einer starken Leistung, die er nebenbei mit zwei Toren krönte, führte Xabi Alonso in seinem 100. Länderspiel Spanien ins Halbfinale. Gegner Frankreich bot zwar eine interessante Variante in der Defensive an, aber viel zu wenig, wenn der Vorwärtsgang gefragt war. Auch nicht, als man in der Schlussphase von Spanien den Ball zur Verfügung gestellt bekam.

Spanien - Frankreich 2:0 (1:0)

Es ist die Frage aller Fragen, wenn man gegen Spanien spielt: Wie verteidigt man es möglichst effektiv, ohne sich dabei selbst allzu sehr zu kastrieren? Italien hat das ganz gut hinbekommen, ansonsten sind in den letzten Jahren aber die allermeisten an dieser Aufgabe gescheitert. Frankreichs Teamchef Laurent Blanc versuchte es in diesem Viertelfinale mit einer asymmetrischen Verteidigungs-Strategie.

Fünferkette

Nominell war Révellière als Rechtsverteidiger und Debuchy als rechter Mittelfeld-Mann aufgestellt. Tatsächlich aber spielte Révellière den Manndecker für Iniesta und Debuchy den Rechtsverteidiger. Damit konnte sich ein Verteidiger (eben Révellière) bedenkenlos vom spanischen Flügelspieler aus der Position ziehen lassen, ohne dass dadurch die Seite für den nachrückenden spanischen Außenverteidiger (in dem Fall Jordi Alba) frei war. Die Pärchenbildung war recht strikt: Révellière gegen Iniesta, Debuchy gegen Alba.

In der Praxis wurde das bei Frankreich damit eine Fünferkette, mit drei zentralen Mittelfeld-Spielern davor (Cabaye, M’Vila und Malouda). Und hier kommt die Asymmetrie ins Spiel: Während nämlich vor Debuchy überhaupt keiner mehr war und nur Vorstöße des Mannes von Lille für den Hauch von Offensive sorgten, war auf der linken Seite Franck Ribéry ein echter Flügelspieler im Mittelfeld. Er arbeitete wenig defensiv, was gegen Arbeloa aber kein Problem war: Erstens bohrte der den Platz hinter Ribéry eh kaum an und zweitens wurde er, wenn er es doch tat, von seinen Kollegen nicht gerade gesucht.

Was tun mit dem Platz?

Die Folge war, dass Spanien auf der linken Angriffsseite über Alba und Iniesta viel in den Verkehr hinein kamen, auf der rechten Seite über Silva und Arbeloa aber oft Platz ohne Ende war, weil auch Clichy immer wieder recht weit einrückte. Alleine: In den freien Raum gingen die Spanier mit dem Ball selten. Ohne Ball schon – da waren Silva und Arbeloa durchaus an der Außenlinie zu finden.

Ganz brach lag der viele Platz auf dieser Seite dennoch nicht, wie beim 1:0 für Spanien nach 19 Minuten deutlich wurde. Zwar brauchte es einen individuellen Fehler – einen Ausrutscher von Debuchy – um Alba die Flanke (ja, eine Flanke, und das von Spanien) zu ermöglichen, aber weil Clichy auf der anderen Seite zu weit eingerückt war, stand der aufgerückte Xabi Alsono komplett frei und verwertete völlig problemlos zur Führung.

Aufrücken im spanischen Mittelfeld

Wie generell das spanische Mittelfeld hinter dem als Falscher Neun aufgestellten Fàbregas eine deutlich aktivere Rolle einnahm als noch gegen Italien. Dort hatte man auch deshalb keinen Zugriff auf den Strafraum bekommen, weil aus dem Mittelfeld zu wenig nachgerückt wurde. So hatte der Druck gefehlt und Italien konnte das (ebenfalls mit fünf Verteidigern gegen den Ball) recht gut verteidigen.

Das war diesmal anders. Eine Fülle an Tormöglichkeiten konnten sich die Spanier (bei denen sich vor allem Xabi Alonso als extrem stark hervor tat) zwar nicht herausarbeiten, aber sie nagelten die Franzosen so sehr hinten fest, dass diese – anders als die Italiener – kaum zu einem konstruktiven Spielaufbau in der Lage waren. Weil M’Vila, Cabaye und der komplett überforderte Malouda gezwungen waren, sehr tief zu stehen und es nach vorne wenig Anspielstationen gab, zumal das Umschalten nicht schnell genug von statten ging.

Frankreich will früher Druck machen

Fehlender Druck und zu langsames Umschalten: Genau diese zwei offensichtlichen Schwachpunkte wollte Laurent Blanc für die zweite Hälfte beheben. Tatsächlich attackierte seine Mannschaft die Spanier nun deutlich früher und versuchte, höher zu stehen um selbst ein wenig Handhabe im Mittelfeld zu bekommen. Es gelang damit, die Spanier besser vom eigenen Tor weg zu halten.

Und es wurde außerdem nach Ballgewinn viel schneller umgeschaltet als vor dem Seitenwechsel. Der einzige offensive Gefahrenherd bei den Franzosen war, kaum überraschend, Franck Ribéry: Er ging von seiner linken Seite zuweilen auch ins Zentrum oder holte sich die Bälle tiefer ab, er war der einzige, der halbwegs Zug zum Tor entwickelte. Seine Flanke ermöglichte Debuchy eine gute Kopfball-Gelegenheit, er selbst versuchte es kurz darauf aus spitzem Winkel.

Dann sollen sie ihn haben…

Ab ca. 65. Minute

Außerdem stellte Blanc mit einem Doppelwechsel in dieser Phase auf ein recht klares 4-2-3-1 um: Nasri (als Zehner, für Malouda) und Ménez (für Debuchy) kamen ins Spiel. Klar: Nicht nur Ribéry sollte nach Ballgewinn für schnelle Zuspiele bereit sein, sondern auch Spieler im Zentrum und auf der rechten Seite. Die Reaktion von Spanien war sehr interessant und könnte auch in den kommenden Spielen durchaus eine Option sein.

Denn wie verhindert man, dass ein Gegner schnell umschaltet, nachdem er den Ball erobert hat? Man gibt ihm gar nicht die Gelegenheit, ihn zu erobern. Nach dem Motto: Wenn sie den Ball haben wollen, dann sollen sie ihn doch haben – nachdem man zwei Mal innerhalb kurzer Zeit durch schnelles französisches Umschalten in Bedrängnis gekommen war. Statt der gewohnten spanischen Kurzpass-Orgie hatte nun die Franzosen die Kugel gegen eine verhältnismäßig tief stehende spanische Mannschaft, die aber gegen den jeweils ballführenden Franzosen gepresst wurde.

Relativ heftig zwar, aber offensichtlich nicht mit dem dringenden Ziel, dem Gegner den Ball abzuluchsen – dazu wurden die französischen Nebenmänner zu wenig angegriffen – sondern einfach, um ihn zu ungewollt schnellem Abspielen zu zwingen und so einen Spielaufbau zu verhindern. Was also aussah wie das totale Fehlen jeglicher Kreativität von Seiten der Franzosen (wobei das ohne Frage auch mitspielte), war vor allem extrem geschicktes Verhindern von den Spaniern.

Dass denen in der Nachspielzeit noch ein (korrekter) Elfmeter zugesprochen wurde, den der extrem starke Xabi Alonso in seinem 100. Länderspiel zum 2:0 verwandelte, war nur der letzte Schubser, der Frankreich in den Abgrund beförderte.

Fazit: Interessante Varianten von beiden Teams

Bei den Spaniern war es 70 Minuten lang das gewohnte Spiel, wirklich interessant – weil noch nicht so oft zu beobachten – war allerdings erst die Schlussphase, in der man Frankreich den Ball überließ, aber nicht die Zeit an selbigem, um irgend etwas Konstruktives damit zu machen.

Frankreich bot letztlich zu wenig an, um Spanien dauerhaft in Bedrängnis kommen zu lassen. Die Variante, auf der rechten Abwehrseite mit zwei Außenverteidigern zu spielen war von der Überlegung her nicht uninteressant, wurde aber von einem individuellen Fehler zunichte gemacht. Im Rückstand kam dann auch von den eingewechselten Ménez und vor allem Nasri viel zu wenig. Was die angespannten Stimmung im französischen Lager nicht gerade entkrampfen wird.

(phe)

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Dreierkette gegen Falsche Neun: Italien taktischer Punktsieger über Spanien https://ballverliebt.eu/2012/06/11/dreierkette-gegen-falsche-neun-italien-taktischer-punktsieger-uber-spanien/ https://ballverliebt.eu/2012/06/11/dreierkette-gegen-falsche-neun-italien-taktischer-punktsieger-uber-spanien/#comments Mon, 11 Jun 2012 01:17:07 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7442 Dreierkette gegen Falsche Neun: Italien taktischer Punktsieger über Spanien weiterlesen ]]> Endlich mal etwas Abwechslung im Einheitsbrei der Systeme: Spanien und Italien lieferten sich ein hochinteressantes Spiel. Die Spanier kamen ohne echten Stürmer, die Italiener hielten mit einer Dreierkette dagegen – und trugen beim 1:1 wohl den taktischen Punktsieg davon. Beide Teams müssen aber als eine Klasse stärker als die zwei Gruppengegner gelten. Der Qualitäts-Unterschied zum 3:1 der Kroaten gegen Irland war enorm.

Spanien - Italien 1:1 (0:0)

Hinten einen Viererkette, vorne ein Stoßstürmer, ein Drei-Mann-Zentrum im Mittelfeld – bei den meisten Teams bei dieser Europameisterschaft unterscheiden sich die Systeme kaum. Da war dieses Spiel zwischen den letzten beiden Weltmeistern ganz anders: Spanien spielte in einem Barça nachempfundenen 4-3-3 ohne Stoßstürmer, dafür mit Fàbregas als Falsche Neun; die Italiener hielten mit einem 3-5-2 dagegen, mit dem gelernten Sechser De Rossi als zentralen Mann in der Dreier-Abwehrkette.

Und vor allem: Mit Wing-Backs. Maggio und Giaccherini waren für das Gelingen der italienischen Taktik von ganz eminenter Bedeutung. Weil Silva und Iniesta, die Fàbregas flankierten, keine Flügelspieler sind, die die Linie halten und ohne einen körperlich robusten Spieler in der Offensive, der Flanken verwerten könnte, war es vollkommen klar, dass das Vorwärtsspiel der Spanier nur durch das Zentrum kommen konnte und die Außenvertedigier Alba und Arbeloa hauptsächlich dafür zuständig sind, die gegnerische Abwehrkette auseinander zu ziehen, um für die techisch guten Kollegen in der Mitte Räume zu schaffen.

Das klappte allerdings überhaupt nicht, was am exzellenten Positionsspiel von Maggio und Giaccherini lag. Hatte Spanien den Ball, zogen sie sich recht weit zurück, wodurch eine Fünferkette entstand – die kann man kaum auseinander ziehen. Im Ballbesitz aber preschten die beiden extrem nach vorne, was ihre Gegenspieler zwang, selbst weit zurück zu weichen.

Das System Juventus

Juve beim 1:1 bei Milan am 25. Februar

Zwar war es auf den Flügeln jeweils 1-gegen-1, aber wegen des zusätzlichen Spielers in der Abwehr konnten die Italienischen Außenspieler wesentlich gefahrloser Aufrücken. So war dem spanischen Spiel die Breite genommen und im Zentrum lief es sich auf zwei 3-gegen-3 Duelle hinaus – die Mittelfeld-Reihen gegeneinander und die drei vorderen Spanier gegen die italienische Dreierkette.

Die Italiener hatten den zusätzlichen Vorteil, dass sie nicht in ein völlig ungewohntes System gepresst wurden. Zwar wurde das im Nationalteam noch nicht praktiziert. Aber erstens hat sich Prandelli diese Möglichkeit immer offen gehalten, und zweitens spiele fünf Feldspieler (Bonucci, Chiellini, Pirlo, Giaccherini und Marchisio) dieses 3-5-2 bei Juventus, dazu ist Maggio im 3-4-2-1 von Napoli ebenso die Rolle als rechter Wing-Back gewohnt.

Spanisches Pressing greift nicht

Zusätzlich gingen die Italiener die Spanier recht früh an und störten damit zusätzlich das geplante iberische Kurzpass-Spiel. Die einzige Möglichkeit, zum Torabschluss zu kommen, waren Vorstöße von David Silva, aber da die Italiener hinten immer in Überzahl waren, fischten sie auch dem Mann von Man City die Bälle immer wieder vom Fuß.

Das geschickte Positionsspiel der italienischen Wing-Backs störte zu allem Überfluss auch noch das spanische Pressing. Weil sich Maggio und Giaccherini gegen den Ball recht weit hinten positionierten, mussten die spanischen Außenverteidiger recht weit nach vorne kommen – schließlich waren sonst die italienischen Außenspieler immer frei und das spanische Pressing im Zentrum wäre sinnlos. Wenn sie allerdings aufrückten, ließen sie hinter sich viel Raum für Balotelli und Cassano, den die beiden ungemein schnellen und trickreichen Stürmer gut ausnützen konnten.

Was natürlich auch für den für Balotelli eingewechselten Antonio di Natale gilt, der nach einer Stunde richtig startete und einen von Pirlo kommenden Pass in seinen Lauf zum 1:0 verwertete; vier Minuten später ließ sich De Rossi einmal kurz aus der Position ziehen und hinter im Fàbregas entwischen, was das 1:1 bedeutete.

Adjustierungen von Del Bosque

Nach den beiden Toren stellte der spanische Teamchef Del Bosque etwas um. Statt dem sehr zentral agierenden Silva kam nun Jesús Navas in die Partie, der, wie er das auch bei Sevilla macht, recht konsequent die Linie hielt. Logische Folge: Giaccherini wurde nun hinten mehr gebunden und Chiellini rückte immer wieder etwas raus, wodurch nun tatsächlich etwas Platz in der italienischen Abwehr entstand. Diesen wollte Del Bosque ausnützen, in dem er in der Folge Fàbregas rausnahm und mit Torres einen echten, gelernten Stürmer brachte.

Die immer mehr steigende Müdigkeit bei den Italienern wurde in der letzten Viertelstunde recht offensichtlich, zeigte sich aber mehr im unpräzise werdenden Aufbau- und Konterspiel, weniger in der Abwehr. De Rossi zeigte gute Übersicht und konnte den Ball mit gutem Auge an den Mitspieler bringen, und drosch die Kugel nicht blind nach vorne. Torres hatte zwar sehr wohl noch zwei ausgezeichnete Chancen, aber einmal klärte Buffon überragend und einmal zog er zu überhastet ab.

Prandelli ging bis zum Ende nicht von seinem System ab. Warum auch, es funktionierte ja – er hatte am Ende nur ein anderes Sturmduo (Di Natale und Giovinco) auf dem Feld als zu Beginn, in der Nachspielzeit wechselte er noch einmal, um an der Uhr zu drehen. Italien war recht deutlich mit dem 1:1 zufrieden und auch die Spanier konnten nicht so schlecht damit leben. Die letzte Konsequenz fehlte gegen Schluss beiden Teams.

Fazit: Hochinteressante Partie, korrektes Remis

Diese Partie war taktisch mal etwas anderes als im bisherigen Turnier. Klar – es sind die einzigen beiden Mannschaften, die vom in Europa so gut wie einheitlichen System abweichen. Dreierketten und tief spielende Neuner ohne Stoßstürmer gibt’s bei den anderen Teilnehmern nicht.

Cesare Prandelli fand das richtige Rezept gegen den Welt- und Europameister, indem er mit seinen Wing-Backs die Flanken kontrollierte, die Spanier noch mehr in die Mitte zwang als diese das wollten und dort geschickt zumachte. Die Spanier hatten einige Probleme, weil sie erst nach den Wechseln eine Alternative zur gewohnten, diesmal aber nicht zielführenden Spielanlage hatten.

Das Remis geht voll in Ordnung, aber wenn man so will, darf man Cesare Prandelli durchaus als Punktsieger im Duell der Strategen bezeichnen.

So aufregend das Spiel der beiden Top-Teams der Gruppe war, so wenig gab das Aufeinandertreffen von Kroatien mit Irland her. Was in erster Linie an den Iren lag. Die Mischung aus dem beschränkten technischen Rüstzeug der Mannen von der grünen Insel, verbunden mit der grundsätzlichen Vorsicht eines Giovanni Trapattoni, ist nicht gerade anspruchsvoll. Einsatz, Kampf und Härte sind Trumpf. Spielerische Mittel, nun ja, nicht so sehr.

Kroatien - Irland 3:1 (2:1)

Die Marschrichtung ist simpel: Über die Mittelfeld-Außen im extrem altbackenen 4-4-2 (Duff und McGeady) nach vorne kommen, in den Strafraum flanken, und dort darauf bauen, dass sich Keane und Doyle durchsetzen. Die beiden Spieler im Mittefeld-Zentrum (Andrews und Whelan) sind reine Zerstörer und im Spielaufbau unbrauchbar. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, Modrić so gut es geht aus dem Spiel zu nehmen.

Kroatiens 4-4-2

Auch der kroatische Teamchef Slaven Bilić baute auf ein 4-4-2, allerdings wurde dieses deutlich offensiver interpretiert. In der Zentrale war Vukojević der einzige Sechser, er sicherte für Luka Modrić ab. Die Mittelfeld-Außen (Perišić und vor allem Rakitić) rückten ein, um den sehr fleißigen Außenvertedigiern das Aufrücken zu ermöglichen.

So spielte Rakitić fast einen zweiten Spielmacher neben Modrić, während Srna neben ihm praktisch die Linie auf- und abwetzte. Das schränkte Duff und McGeady ziemlich ein. Doch trotz der Überlegenheit in eigentlich jedem Bereich auf dem Feld brauchte es zwei Standardsituationen, um zum Erfolg zu kommen – denn so sehr sich Jelavić und Mandžukić auch bemühten, gegen die kompromisslosen irischen Innenverteidiger kamen sie kaum zum Zug.

Kroaten kontrollieren das Spiel

Natürlich musste auch bei den Iren ein Freistoß herhalten, um den zwischenzeitlichen Ausgleich zu erzielen. Aber nach dem 1:3 kurz nach der Pause, dem zweiten Tor von Mandžukić, fühlten sich die Kroaten sicher genug, um den Druck etwas entweichen zu lassen. Er war einfach zu offensichtlich, dass die Iren nur eine einzige Strategie hatten und diese von den nicht nur variableren, sondern auch individuell klar besser besetzten Kroaten recht locker unter Kontrolle zu halten war.

Die größte Gefahr für das Team von Slaven Bilić bestand in einem klaren Elferfoul von Schildenfeld an Keane, das Referee Kuipers allerdings unverständlicherweise nicht ahndete. Selbst die Wechsel bedeuteten bei den Iren keine Veränderung: Long und Walters erstetzten Doyle und Keane auf deren Positionen, und Cox ging statt McGeady auf die linke Seite.

Fazit: Wohl beide nicht gut genug für’s Viertelfinale

Die Iren sind ein sympatisches Völkchen mit originellen Fans. Die auf Einsatz und Kampfkraft bauende Spielweise der Nationalmannschaft ist für Freunde des erdigen Fußballs genau das richtige. Nur: Taktisch gibt es kaum langweiligere Teams. Das System ist stockkonservativ, extrem ausrechenbar und ein seiner Simplizität enorm anspruchslos. Das ging sich in der Quali-Gruppe gegen die ambitionierten, aber international unerfahrenen Armenier aus und im Playoff gegen das andere Überraschungsteam aus Estland – aber gegen eine auch nicht gerade überragend aufspielende kroatische Mannschaft ist das nicht annähernd genug.

Die Mannschaft um Luka Modrić muss sich aber ebenso noch deutlich steigern, um gegen Italien und Spanien bestehen zu können. Der Auftritt gegen Irland war alles andere als beeindruckend, vor allem die Innenverteidigung mit Ćorluka und Schildenfeld ist nicht gerade internationale Spitzenklasse und dass Modrić Probleme hat, wenn ihm Gegenspieler mit vollem Körpereinsatz kommen, wurde in diesem Spiel schon deutlich.

Klar ist nach dem ersten Spieltag der Gruppe C: Wenn es nicht Spanien und Italien sind, die hier ins Viertelfinale einziehen, käme das einer kleinen Sensation gleich.

(phe)

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England entschärft Spaniens Breite, siegt dann glücklich https://ballverliebt.eu/2011/11/13/england-entscharft-spaniens-breite-siegt-dann-glucklich/ https://ballverliebt.eu/2011/11/13/england-entscharft-spaniens-breite-siegt-dann-glucklich/#comments Sun, 13 Nov 2011 03:06:53 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=6061 England entschärft Spaniens Breite, siegt dann glücklich weiterlesen ]]> Wer sieben Monate vor der Europameisterschaft den amtierenden Welt- und Europameister schlägt, muss auf der Rechnung für den Titel stehen? Abwarten. Aber Englands Leistung am Samstag in Wembley gegen Spanien war in Sachen taktischer Disziplin erste Güte.

England - Spanien 1:0 (1. Hälfte)

Capello ließ seit Team gegen Spaniens 4-3-3 mit einem 4-1-4-1 auflaufen. Parker übernahm den zentralen Mann und damit natürlich eine Schlüsselrolle. In Abwesenheit von Rooney, Ferdinand, Gerrard oder auch Wilshere spielte Phil Jones halbrechts im Mittelfeld, in der Verteidigung stellten Jagielka und Lescott das Zentrum. Kapitän Terry musste auf der Bank Platz nehmen. Bei Spanien war als einzige echte Überraschung Jordi Alba von Valencia auf dem linken Abwehrflügel zu finden. Der 22-jährige hatte gegen Schottland vor einem Monat erst sein Debüt in der Nationalmannschaft gefeiert.

Das englische Spiel war vor fast 90.000 Menschen in London darauf ausgerichtet, hinten die Null zu halten. Wenn man selbst zu Toren kommen wollte, dann vermutlich über Konter über die Seiten – etwa mit dem schnellen Walcott. „Plan“ B waren vermutlich die Standardsituationen, bei denen man naturgemäß immer gefährlich ist. Viele davon gab es nicht, aber eine solche hat schlussendlich den Ausschlag gegeben. Das kann man unter der Kategorie „mitgedachter Zufall“ einordnen. Interessanter war aber die Art und Weise, wie Capello die Furia Roja zähmte.

England schnitt die spanischen Spielverlagerungspässe ab und verdichtete zudem den Raum für das spanische Kurzpassspiel

England versuchte nicht den Ballbesitz an sich zu reißen, sondern erkannte die spanische Überlegenheit in dieser Statistik an. Wohl aber verhinderte man, dass die Iberer das in der gewohnten Form aufziehen konnten. Eine ganz wichtige Rolle spielte Solospitze Bent (bzw. später Welbeck) in diesem Konzept, obwohl er selbst nie aktiv attackierte oder Verteidiger angriff. Der Stürmer von Aston Villa platzierte sich gegen den Ball immer zwischen den beiden Innenverteidigern bzw. in Reichweite eines möglichen Querpasses. Auch an einen hohen Ball über die Breite des Feldes hatte Capello gedacht. Das 4-1-4-1 verschob sich bei Angriffen über die Seiten  zum Ball hin, der am weitesten weg stehende Mittelfeldspieler blieb aber weiter weg – quasi bewusst aus der Formation gerissen – und passte auf die aufrückenden Wingbacks der Spanier auf, die sonst gerne für unschöne Überraschungsmomente bei Verteidigungen sorgen. Mit all diesen gut ineinander greifenden Maßnahmen ließen die Three Lions keine einfache Spielverlagerung zu – ein Mittel das die Spanier gerne nutzen um die Gegner mit dem Zwang zum dauernden, schnellen Verschieben müde zu machen und auf Formationsfehler zu warten.

Das in Kombination mit zwei sehr eng beieinander stehenden Viererreihen (mit der man es auch den technisch beschlagenen Spanier erschwerte, 1 gegen 1-Situationen zu nutzen) und hervorragende Lesefähigkeiten des glänzenden Parker (stellte den Stürmer zu) in der Mitte reichte die meiste Zeit des Spiels über, um die Spanier vom Tor weg zu halten. Eine Gefahr war nur dann gegeben, wenn die Abwehrreihe zu weit aufrückte und der hohe Pass darüber hinweg versucht wurde. Dabei hatten die Briten auch Glück, dass zweimal ein falscher Abseitspfiff ertönte. Erst im Schlussviertel, als beide Teams längst mehrmals gewechselt hatten, kamen die Spanier zu mehr Druck. Da änderten sie dafür sogar das System, gingen mit einem 4-1-3-2 (65. Torres kam für Busquets) mehr Risiko. Das brachte naturgemäß mehr Anspielstationen im Schlussdrittel des Angriffs mit sich, problematischerweise kam man dort aber weiter nur selten hin.

Es war trotzdem auch Pech, dass etwa der Stangenschuss von Villa nicht ins Tor ging. England deutete in dieser Phase auch mehrmals die Kontergefährlichkeit an, Downing (45. für Walcott) und A. Johnson (76. für Milner) konnten die freiwerdenden Räume nutzen. Walcott und Milner hatten besonders vor dem Führungstreffer defensiv alle Hände voll zu tun und viel zu weite Wege um erfolgreiche Konter zu spielen, Bent war in der Spitze einsam auf weiter Flur und ohne Schuld selten fähig den Ball zu halten. In dem Sinn ging Spaniens vermuteter Gameplan auf, den Gegner wie immer möglichst weit vom eigenen Tor weg zu halten.

Fazit

Es war ein Test auf hohem taktischen Niveau, bei dem man aber auf beiden Seiten nicht das Gefühl hatte, dass schon alle Karten aufgedeckt wurden. Capello hat das Spiel der Spanier entschlüsselt und ist konsequent dagegen vorgegangen, brachte aber selbst kein spielerisches Element ein. England hat sich den Sieg deshalb mit schnörkeloser Disziplin erkämpft. Dass man ihn furios erzwungen hat, wird niemand behaupten. Gegen Weltmeister nimmt man was man kriegt. Schon am Dienstag gegen Schweden könnte England zeigen, dass man nach vorne mehr kann. Bis zur Euro muss man es wohl noch verbinden. Für die Three Lions wird einfach das Wissen wichtig sein, dass man auch den Weltmeister an guten Tagen schlagen kann – dafür noch nicht einmal die Bestbesetzung braucht. Zuletzt wurde doch ein größer werdender Pessimismus über die Medien auf der Insel vermittelt. Dieser Erfolg und die neue Kadertiefe werden dagegen helfen.

Und für Spanien? Ein kleiner Stich, eine minimale Ehrenkränkung – mehr nicht. Das könnte wohl sicherstellen, dass man nicht zu zufrieden Richtung EM arbeitet und kommt Del Bosque deshalb vielleicht gar nicht ungelegen. Grund zur Sorge gibt es nicht. Natürlich hätte auch dieses Spiel anders enden können ( das kann man das wohl über jeden ausbleibenden Sieg Spaniens in den letzten Jahren sagen). Die Spanier sind einfach zu gut und variantenreich, um über 90 Minuten völlig ohne Chance zu bleiben. Selbst wenn ein starker Gegner genau weiß, was zu tun ist. Und das ist auch in der Niederlage eine Ansage, die ohnehin niemand mehr braucht. (tsc)

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