Scolari – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Mon, 20 Feb 2017 21:08:27 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Viel Geld, viel Prominenz: Das ist Chinas Super League https://ballverliebt.eu/2017/02/09/viel-geld-viel-prominenz-das-ist-chinas-super-league/ https://ballverliebt.eu/2017/02/09/viel-geld-viel-prominenz-das-ist-chinas-super-league/#comments Thu, 09 Feb 2017 22:55:40 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=13321 368,5 Millionen Euro. So viel haben die 16 Teams der chinesischen Super League in den letzten zwei Transfer-Fenstern für neue Spieler ausgegeben. Ob das dem Reich der Mitte wirklich hilft, auch sportlich ein globaler Player zu werden (finanziell ist man es ja längst), wird man erst in einigen Jahren beantworten können. Es kann aber sicher nicht schaden, sich mal einen kleinen Überblick über die Liga zu verschaffen – jetzt, wo ja doch einige bekannte Spieler und Trainer dort viel Geld verdienen.

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Auch, wenn man den Eindruck hat, dass die Team fast ausschließlich aus gut verdienenden Legionären besteht: Maximal drei Ausländer dürfen auf dem Platz stehen und zwei chinesische U-23-Spieler auf dem 18-Mann-Spielbericht stehen. Generell dürfen die Klubs maximal vier internationale Spieler unter Vertrag haben und einen weiteren nicht-chinesischen Spieler aus Asien. (Wer nicht rechnen will: Das macht 64 Plätze für weltweite Spieler bei den 16 Klubs). Bei den Trainern gibt es natürlich keine Beschränkung.

Folge: 13 der 16 Klubs setzen in der in einem Monat startenden 2017er-Saison (es wird nach Kalenderjahr gespielt) auf Trainer, die nicht aus China kommen.

Die Top-Teams / Top-Geld-auf-den-Markt-Werder

Guangzhou Evergrande ist der Liga-Primus. Der Klub aus der drittgrößten Stadt Chinas (13 Millionen Einwohner) an der subtropischen Südküste ist zuletzt sechsmal in Serie Meister geworden, hat 2013 und 2015 die asiatische Champions League gewonnen und war 2013 auch im Halbfinale der Klub-WM. Trainer Luiz Felipe Scolari kann neben neun chinesischen Teamspielern auch auf Jackson Martinez (30, früher Porto und Atletico Madrid, 42-Millionen-Transfer) und die Brasilianer Alan (27, früher Salzburg, 11 Millionen), Paulinho (28, Tottenham, 14 Millionen) und Ricardo Goulart (25, Cruzeiro, 15 Millionen) zurückgreifen. Die Kohle kommt vom Amazon-Pendant Alibaba und dem namensgebenden Baukonzern Evergrande – in dieser Off-Season gab es aber keinen signifikanten Transfers.

Jener Klub, der im Winter am meisten in die Aufrüstung investiert hat, ist der Vorjahres-Dritte. Shanghai SIPG darf fas Geld von SIPG (Betreiber des Hafens von Shanghai, dem größten der Welt) auf den Markt werfen. Statt Sven-Göran Eriksson vertraut man nun auf Trainer André Villas-Boas, alleine 60 Millionen ließ man sich die Verpflichtung von Oscar (25, Chelsea) kosten; 56 Millionen waren es im letzten Sommer für Hulk (30, St. Petersburg), 19 Millionen im letzten Winter für Stürmer Elkeson (27, schon länger in China). Europameister Ricardo Carvalho (38, Porto, Chelsea, Real Madrid) kam, ungewöhnlich, im Winter ablösefrei aus Monaco. Aus der russischen Liga kam zudem der kasachische Zehner Odil Achmedov (29, für 7 Millionen). Wer so viel ausgibt, will Meister werden.

Auch Vizemeister Jiangsu Suning vertraut vor allem auf externe Qualität, man hat nur eine Handvoll Vertreter aus dem chinesischen Teamkader im Klub. Dafür aber Mittelfeld-Motor Ramires (29, Chelsea, 29 Millionen) und Stürmer Alex Teixeira (27, Shachtar Donetsk, 32 Millionen) aus Brasilien, den koreanischen Innenverteidiger Hong Jeong-Ho (27, Augsburg, 2 Millionen) und den kolumbianischen Stürmer Roger Martínez (22) – einer der wenigen wirklich jungen Legionäre in der Liga. Trainert wird der Klub aus der 8-Millionen-Metropole Nanjing (westlich von Shanghai) vom Südkoreaner Choi Young-Soo, das Kleingeld wird vom Einzelhandels-Giganten Suning gespendet.

Den Angriff auf den Titel lässt man sich auch in Qinhuangdao ordentlich was kosten. In der Stadt in der Pekinger Umlang-Provinz Hebei ist der Klub Hebei CFFC beheimatet, den sich der Baukonzern China Fortune hält. Der ehemalige Real-Madrid-Coach Manuel Pellegrini hat dort zum Beispiel die Stürmer Ezequiel Lavezzi (31, Napoli und PSG, „nur“ 4 Millionen) und Gervinho (29, Arsenal und Roma, 18 Millionen) und Sechser Stéphane Mbia (30, Sevilla) zur Verfügung, die alle in ihre zweite China-Saison gehen. Auch Hernanes (31, Lazio und Inter, 8 Millionen) soll helfen, den schwachen siebenten Vorjahres-Platz zu verbessern. Erstaunlich: Die Verpflichtung von Außenspieler Zhang Chengdong ließ man sich auch stolze 20 Millionen kosten.

Und da wäre noch der Vorjahres-Vierte, Shanghai Shenhua. Das ist jener Klub, der Carlos Tevez mit einem Jahres-Salär von 40 Millionen Euro im Geld ertränkt und für die Dienste des 33-Jährigen (Man Utd, Man City, Juventus) immerhin noch 10 Millionen Euro an die Boca Juniors überwiesen hat. In Shanghai wird Tevez zuammen mit Achter Fredy Guarín (30, Porto und Inter) und Stürmer Obafemi Martins (32, Newcastle und Wolfsburg) spielen. Kapitän ist der kolumbianische Zehner Giovanni Moreno (der in seine fünfte Saison beim Klub geht), Trainer ist Gus Poyet (als Spieler bei Chelsea, als Trainer bei Sunderland und Brighton). Wie bei Hebei ist auch hier ein Baukonzern (Greenland) der Big Spender.

Weitere Klubs mit prominenten Namen

Zweitliga-Meister Tianjin Quanjian hat mit Fabio Cannavaro einen Weltmeister als Trainer an der Seitenlinie und lässt sich auch beim aktiven Personal nicht lumpen. 20 Millionen Euro für Axel Witsel (28, St. Petersburg) und 18 Millionen für das stagnierte Wunderkind Pato (27, Milan) – kein Problem. Dazu kommen noch Sechser aus Korea und Kamerun und ein Stürmer aus Brasilien. Für den Titel oder auch nur die internationalen Plätze (die Top-4 qualifizieren sich für die asiatische Champions League) wird das für den Aufsteiger aus der Stadt in der Nähe der Hauptstadt Peking aber schwer.

Vor allem im deutschsprachigen Raum hat sich Liaoning Whowin aus Shenyang (in der nordöstlich von Peking gelegenen Region Mandschurei) umgesehen. Sechser James Holland (27) war vor vier Jahren bei der Wiener Austria unter Peter Stöger österreichischer Meister, Stürmer Anthony Ujah (26, Mainz, Köln und Bremen) hat 47 Bundesliga-Tore auf dem Konto, Verteidiger Assani Lukimya (31) auch – nur halt auf der falschen Seite, als Ex-Bremer kennt er sich da ja aus. Auch Robbie Kruse (28, Düsseldorf und Leverkusen) hat einige Jahre mit durchschnittlichem Erfolg in Deutschland gespielt. Den größten individuellen Erfolg kann aber sicher James Chamanga (37) vorweisen: Der Stürmer, der seine zehnte Saison in China angeht, war 2012 mit Sambia Afrika-Cup-Sieger. Der Klub ist einer der wenigen, der tatsächlich von einem Chinesen trainiert wird (Ma Lin heißt der Mann).

Gerade noch mit Italien im EM-Viertelfinale ausgeschieden und Southampton zum wiederholten Mal in den Europacup geschossen – jetzt casht Graziano Pellè (31) schlanke 16 Millionen Euro pro Jahr bei Shandong Luneng aus Jinan, südlich von Peking gelegen. Da sein Trainer beim Fast-Absteiger der letzten Saison Felix Magath heißt, ist das wohl eher Schmerzensgeld (das italienische Wort für Medizinball lautet übrigens „Palla medica“). Pellès Sturmpartner bei dem in flotten orangen Trikots spielenden Klub sind Papiss Demba Cissé (31, Freiburg und Newcastle) und Diego Tardelli (31, Eindhoven und Atletico Mineiro). Hinzu kommen noch die Brasiliener Jucilei (28, Anshi Machatschkala, Mittelfeld-Zentrum) und Gil (29, Corinthians, Innenverteidiger). Die finanzielle Energie kommt vom Energie-Konzert Shandong Luneng.

Der einzige Hauptstadt-Klub ist Peking Guoan. Bekanntester Mann beim Meister von 2009 ist zweifellos der brasilianische Mittelfeld-Mann Renato Augusto (29, Leverkusen), der auch immer noch hin und wieder in der Seleção zum Einsatz kommt und letzten Sommer als einer der drei Over-Aged Players mit Brasilien Olympia-Gold geholt hat. Auch der türkische Nationalstürmer Burak Yılmaz (31, zuletzt Trabzonspor und Galatasaray) hat sich in Europa schon durchaus einen Namen gemacht. Sechser Ralf (32, Corinthians São Paulo) war 2012 Teil der letzten nicht-europäischen Mannschaft, welche die Klub-WM gewonnen hat. Dazu kommt noch der usbekische Verteidiger Egor Krimets, Trainer ist der Spanier José González, das Geld kommt vom Bau-Multi Sinobo und dem Mischkonzern CITIC. Mehr als ein Mittelfeld-Platz wird wohl auch 2017 nicht herausschauen.

Jaime Pacheco führte vor 16 Jahren Boavista Porto zum einzigen Titel der Klub-Geschichte, nun führt der Portugiese die Geschicke bei Tianjin TEDA. Sein weitaus bekanntester Spieler ist John Obi Mikel (29, Chelsea), der gemeinsam mit dem serbischen Teamspieler Nemanja Gudelj (25, Ajax Amsterdam) das Spiel aus dem Mittelfeld-Zentrum heraus gestalten soll. Im Angriff sind dann die Afrikaner Malick Evouna (24, Gabun) und Mbaye Diagne (25, Senegal) für die Tore zuständig. Finanziell wird der Klub von der Aufsichtsbehörde des Wirtschafts-Entwicklungs-Zone von Tianjin getragen.

Der weitgehend bedeutungslose Rest

Man sieht schon: Jetzt wird es mit der Dichte an bekannten Namen langsam, aber sicher etwas dünn. Bei Guangzhou R&F, dem weitaus kleineren Klub aus der Stadt des Liga-Dominators und beachtlicher Sechster der letzten Saison, ist Trainer Dragan Stojkovic noch der Prominenste. Ungarns National-Innenverteidiger Richárd Guzmics spielt bei Yanbian Funde (aus Yanji im äußersten Osten Chinas, gleich bei der Grenze zu Nordkorea) mit drei Koreanern und einem Gambier zusammen. Alan Kardec (früher Benfica) und Emmanuel Gigliotti (Boca Juniors) brauchten vermutlich einige Zeit, um ihren aktuellen Klub Chingqing Lifan (dem westlichsten Klub der Liga aus der Provinz Sichuan) unfallfrei aussprechen zu können.

Szabolcs Huszti (einst bei Hannover und St. Petersburg) und Odion Ighalo (lange bei Watford) sollen den Mandschurei-Klub Changchun Yatai vom letztjährigen zwölften Platz nach vorne bringen. Was prominenteres als den dänischen Olympia-Spieler Eddi Gomes hat Henan Jianye nicht zu bieten. Und Guizhou HFZC, der zweite Aufsteiger, versucht die Klasse mit Ex-QPR-Spieler Tjaronn Chery und dem Kenia-Teamspieler Michael Olunga (zuletzt in Schweden) zu halten.

Das Regime will es so

Die Klubs werden (natürlich) von der absoluten Wirtschafts-Elite aus staatsnahen Betrieben finanziert. So sehr die maßlos überteuerten Transfers von großen Namen auch in Europa Kopfschütteln auslösen: Die Zuseher in China honorieren das Bemühen durchaus. Gegenüber 2010 hat sich der Zuschauer-Schnitt in der Liga um satte 70 Prozent erhöht, in der letzten Saison lag er bei über 24.000 Zuschauern pro Spiel.

Das ist alles voll im Sinne des chinesischen Regimes. Staats-Präsident Xi Jinping selbst steht hinter den teuren Bemühungen, die Liga bis 2025 auf ein Level zu bringen, dass sie es auch sportlich mit den Top-Ligen der Welt aufnehmen kann. Dafür sollen die einheimischen Spieler – die international bestenfalls drittklassig sind und es selbst in der in der Breite extrem schwachen Asien-Gruppe nur mit viel Glück überhaupt in die 12-Team-Finalrunde der WM-Quali geschafft haben – vom hohen Niveau der ausländischen Stars profitieren.

Auch die Liga kann noch nicht ganz mit den etablierten asiatischen Top-Ligen (Südkorea und Japan vor allem, aber auch Iran, Saudi-Arabien und zuletzt auch Australien) mithalten. Außer Serien-Meister Guangzhou Evergrande ist für die chinesischen Klubs in der Regel schon vor dem Viertelfinale Schluss.

Das heißt: Einstweilen macht die chinesische Super League mehr mit spektakulären Transfers von sich reden, nicht mit sportlichen Großtaten auf regelmäßiger Basis. Und angesichts der Tatsache, dass die Strategie aktuell sehr überhitzt aussieht – im Gegensatz zu den solideren und kontinuierlicher arbeitenden Konkurrenz der K-League und der J-League – kann das auch durchaus noch eine Weile so bleiben.

Tévez, Lavezzi, Oscar, Hulk und Witsel zum Trotz.

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Südamerika bei der WM: Zwar wieder kein Titel, aber erneut breiter geworden https://ballverliebt.eu/2014/07/18/zwar-wieder-kein-titel-aber-suedamerika-stellt-sich-immer-noch-breiter-auf/ https://ballverliebt.eu/2014/07/18/zwar-wieder-kein-titel-aber-suedamerika-stellt-sich-immer-noch-breiter-auf/#comments Thu, 17 Jul 2014 22:34:03 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10428 Südamerika bei der WM: Zwar wieder kein Titel, aber erneut breiter geworden weiterlesen ]]> Nur ein Team von außerhalb konnte südamerikanische Teams in der K.o.-Runde besiegen. Eines! Was nur zeigt, wie stark und vor allem mit welcher beeindruckenden Breite die Teams aus Südamerika bei der WM auftrumpften. Mittlerweile sind nicht nur zwei Teams da, die Weltmeister werden können, sondern vier, die von extrem hoher Qualität sind. Und ein Fünfter war vor vier Jahren ja immerhin im Semifinale. In dem das Team des Gastgebers diesmal ja ein historisches Debakel erlitt.

Brasilien: Wo sind die ganzen Samba-Kicker hin?

Als die Seleção vor einem Jahr den Confed-Cup gewann, sah man eine Mannschaft, die nichts besonders innovatives machte, aber eine solide Mischung aus allen Einflüssen war, die es im modernen Fußball so gibt. Keine aufregende, aber eine grundsolide Truppe. Zwölf Monate später gab es den krachenden Einsturz eines Teams, das offenbar alles verlernt hatte, nicht als Mannschaft funktionierte und in dem Teamchef Scolari zu viel und zu lange an „seinen“ Spielern festhielt.

Brasilien
Brasilien: Wenn Fred der beste Mittelstürmer ist, hat die Seleção ein ziemlich massives Problem.

Dabei war eben in der Tat alles weg. Paulinho, der aus dem Mittelfeld den Punch bringen sollte, ist nach einem verlorenen Jahr in Tottenham ein Schatten seiner selbst. Hulk stagniert oder enwickelte sich sogar zurück. Fred ist eine Gemeinheit von einem Mittelstürmer, verglichen mit ihm war Toni Polster ein Dauerläufer.

In keinem Spiel konnte Brasilien wirklich überzeugen. Gegen Kroatien hätte man ohne das Elfer-Geschenk wohl nur 1:1 gespielt, Kamerun war kein Gegner, gegen Chile und Kolumbien wackelte man bedenklich, ehe es gegen Deutschland das 1:7-Desaster im Halbfinale setzte. Die vermutlich beste Leistung konnte man gegen Mexiko abrufen. Bezeichnenderweise gewann Brasilien dieses Spiel nicht.

Das Halbfinale, das in die WM-Geschichte eingehen wird, offenbarte drastisch, wie sehr die Mannschaft von Thiago Silva (der den Laden hinten zusammenhielt) und Neymar lebte. Unter dem Druck des Gewinnen-Müssens warfen die Spieler übermotiviert alle Grundlagen der Taktik über Bord und liefen Deutschland nicht ins Messer, sondern mit Anlauf in ein deutsches Katana.

Die grundsätzliche Frage, die sich Brasilien nach Platz vier bei der Heim-WM (was ja rein als Ergebnis eh nicht so schlecht ist) stellt, ist eine aus brasilianischer Sicht erschreckende: Wie kann es sein, dass es ausgerechnet im Land des Samba-Fußballs, im Land von Pelé, Garrincha, Zico, Romario, Ronaldo und Ronaldinho nur einen einzigen Offensiv-Akteur von Weltformat gibt? Inhaltliche Fehlleistungen und Spiele, in denen alles daneben geht, können immer mal passieren. David Luiz und Thiago Silva sind dennoch Weltklasse-Spieler, Luiz Gustavo trotz allem ein Sechser von internationalem Format. Aber Oscar tauchte völlig unter, Hulk ebenso. Alles hing an Neymar.

Die Seleção ist nicht in einem so tiefen Loch, wie es nun scheint. Der neue Teamchef, wer immer es sein wird, muss aber einen Weg finden, dass nicht alles zusammenklappt, wenn Neymar nicht dabei ist oder einen schlechten Tag hat. Und ganz generell muss sich der Verband etwas einfallen lassen, wie man wieder ein paar ordentliche Offensiv-Spieler und vor allem Mittelstürmer aus dem Zuckerhut zaubert. Denn was den Zug zum Tor angeht, ist man alleine in Südamerika nicht mehr unter den Top-3.

Argentinien: Wo ist die Hilfe für Messi?

Nein, dass die Albicelete prickelnden Offensiv-Fußball gezeigt hätte, könnte man nicht gerade behaupten. Auch, dass Lionel Messi zu jeder Zeit Herr der Lage ist und ein Kapitän, der vorangeht und die Kollegen pusht, wenn’s mal nicht läuft, kann man nicht sagen. Allerdings war der große kleine Mann von Barcelona fast immer zur Stelle, wenn seine Mannschaft mal ein Tor oder zumindest einen Assist von ihm brauchte.

Argentinien
Argentinien: Es lebte mehr von Messi, als bei der Besetzung nötig war. Aber es funktionierte.

Seltsam, aber obwohl die Qualität der Spieler direkt um Messi herum – Higuaín, Lavezzi, Agüero, natürlich Di María – deutlich höher ist als die der Nebenleute von Neymar, steht und fällt auch bei Argentinien alles mit einem Spieler. Die Auftritte des knapp unterlegenen Finalisten waren selten wirklich unterhaltsam und fußten vornehmlich auf einer außergewöhnlich sicheren Defensiv-Abteilung.

Die vom wahren Chef auf dem Feld dirigiert wurde, nämlich von Javier Mascherano. Er hatte mit Biglia einen patenten Adjutanten, hatte mit Garay und Demichelis sichere Hinterleute und Torhüter Romero zeigte ein sehr gutes Turnier, obwohl er bei Monaco nur in internen Trainings-Spielchen Praxis bekam.

Im Grunde spielte Argentinien so, wie Finalisten oft spielen: Hinten wenig anbrennen lassen, vorne im entscheidenden Moment zuschlagen. Wiewohl es Alejandro Sabella, so sehr es ihm an Charisma zu fehlen scheint, gelungen ist, die Gruppe zu vereinen, und sei es nur, um gemeinsam Sabellas Autorität öffentlich in Frage zu stellen. Seinen Grundsatz von „Humilidad y Trabajo“, von Demut und Arbeit, haben aber alle angenommen.

Nach dem überforderten Clown Maradona und dem ahnungslosen Selbstdarsteller Batista hatte Argentinien einen Teamchef gefunden, der sich ausschließlich mit dem sportlichen beschäftigt. Das wurde belohnt, aber um in vier Jahren auch wieder eine gute Rolle zu spielen, muss es gelingen, neue Schlüsselfiguern zu finden. Mascherano ist schon 30, Messi befindet sich seit einem, anderthalb Jahren am absteigenden Ast. Es wird sicherlich noch mehr Verantwortung auf Angel di María zukommen.

Denn Messi wird schon ein wenig mehr Hilfe benötigen, in Zukunft.

Kolumbien: Wäre mit Falcao noch mehr möglich gewesen?

Er war eine Augenweide, dieser James Rodríguez (der, um das ein für allemal festzuhalten, NICHT „dscheims“ heißt, sondern „chames“). Vorbereiter, Vollstrecker, Gegenspieler-Verrückt-Macher, und das alles mit einem Babyface, das das genau Gegenteil der wilden Erscheinung Carlos Valderrama ist. Kolumbien stürmte unaufhaltsam ins Viertelfinale und hatte dort gegen Brasilien zu spät gemerkt, dass man gar keine Angst vor dieser Truppe haben muss.

Kol
Kolumbien: Eine Augenweide. Tolle Spieler, viel Initiative, und das nicht mal in Bestbesetzung

Weshalb sich die Frage stellt: Wäre mit einem fitten Radamel Falcao vielleicht sogar noch mehr möglich gewesen? Denn Teo Gutiérrez zeigte sich als hervorragender Arbeiter, als guter Mitspieler für James und Cuadrado, aber nicht als Vollstrecker. Während hinter im die vermutlich beste offensive Mittelfeld-Reihe des Turniers wirbelte. Dazu verwirrte man die Gegner mit permanenten Rochaden: Da agierte James mal als Sturmspitze, mal links, da ging Jackson Martínez mal ins Zentrum, dazu gab’s mit Armero und Zuñíga zwei forsche Außenverteidiger. Eine Augenweide.

Die Cafeteros bestätigten den Aufwärtstrend, der schon unter Hernán Dário Gomez begonnen wurde und José Néstor Pekerman, an sich ja ein ruhiges Gemüt, formte Kolumbien zu einer ähnlich aufregenden Mannschaft wie seine „Fabelhaften Peker-Boys“ aus Argentinien bei der WM 2006. Und das Schöne ist: Bis auf Kapitän Mario Yepes fällt in näherer Zukunft kein Stammspieler aus Altersgründen aus dem Team.

Kolumbien kann also als Ganzes noch besser werden. Und Falcao ist bald wieder zurück.

Chile: Ist diese Form konservierbar?

Nächsten Sommer findet in Chile die Cópa America statt. Die Roja hat dieses Turnier noch nie gewonnen und nach dem knappen und auch eigentlich nicht verdienten Achtelfinal-Aus gegen Brasilien versprach Arturo Vidal, dass sich das ändern wird. Die Vorzeichen sind gut: Die Mannschaft ist mit einem Schnitt von 26,5 Jahren noch relativ jung, alle haben die komplexen Taktik-Varianten von Teamchef Jorge Sampaoli verinnerlicht, und Vidal selbst war nicht mal voll fit.

Chile
Chile: Das mit Abstand aufregendste, was dieses WM-Turnier zu bieten hatte. Viel zu früh raus.

Und die Chilenen waren, wie schon vor vier Jahren unter Marcelo Bielsa, eine überaus geile Mannschaft. Sampaoli ist ein im positiven Sinne fußballerischer Geistesgestörter, ein Besessener, ein Freak. Und so spielen auch seine Teams. Wie einst das 3-1-4-2-Monster von La U, wie das 2-1-3-4-0-Gebilde, das Australien eine halbe Stunde lang verzweifeln ließ. Wie das Pressing-Ungetüm, das Xabi Alonso so sehr in den Wahnsinn trieb, dass dieser sich nach einer Halbzeit traumatisiert auswechseln ließ.

Und mit Eduardo Vargas hat man nun auch endlich einen Stürmer, der auch mal Tore macht, Alexis Sánchez in Top-Form bringt auch die nötige Direktheit mit. Marcelo Díaz auf der Sechs – neben Mena, Aranguiz und Silva einer von vier Stammkräften, die unter Sampaoli bei La U gespielt haben – ist die personifizierte Balance. Dazu ist Claudio Bravo ein exzellenter Torhüter.

Und wohlgemerkt: Im ganzen Kader gibt es nicht einen einzigen gelernten Innenverteidiger. Keinen.

Chile hat es absolut drauf, auf absehbare Zeit eine bestimmende Kraft in Südamerika und damit auch in der Welt zu werden bzw. zu bleiben. Wenn Pinilla gegen Brasilien in der 120. Minute nicht die Latte, sondern das Tor getroffen hätte, wer weiß, wie weit Chile gekommen wäre.

Eines ist nur klar: Kein Team bei dieser WM ist mit dem nackten Resultat – Aus im Achtelfinale – so massiv unter Wert geschlagen worden wie Chile. Jetzt muss nur noch die Form bis nächstes Jahr konserviert werden.

Uruguay: Wer folgt den alten Herren?

José Maria Giménez erspielte sich schon einen Stammplatz bei den Großen, Stürmer Nico López kommt bei Udinese regelmäßig zum Einsatz, Linksaußen Diego Laxalt bei Serie-A-Absteiger Bologna. Aber sonst? Keiner der Mannschaft aus Uruguay, die vor einem Jahr Vize-Weltmeister bei der U-20-WM wurde, ist auch nur in der Nähe eines Stammplatzes bei einem halbwegs vernünftigen Klub, geschweige denn in der Nähe der Nationalmannschaft. Das wird über kurz oder lang zum Problem werden.

Uruguay
Uruguay: Fast alles hing an Godín und Suárez. Folgt nun der Generationswechsel bei der Celeste?

Denn obwohl man sich alte Willenskraft zeigte und somit England und Italien in 50:50-Spielen nieder ringen konnte, bleibt nach dem WM-Turnier, das mit einer Demontage im Achtelfinale gegen Kolumbien endete, die Erkenntnis: Besser ist Uruguay nicht geworden. Noch mehr als zuletzt schon hängt praktisch alles an Luis Suárez vorne und Diego Godín hinten.

Der Rest ist, bei allem Respekt, braver Durchschnitt und es ist weit und breit niemand in Sicht, der etwa im Mittelfeld das Spiel an sich reißen könnte. Arévalo ist nicht der Typ dafür, Lodeiro ist ein seit Jahren steckengebliebenes Talent, Cavani ist im Trikot von PSG wesentlich gefährlicher.

Und dann wird auch noch der ganze Auftritt überschattet von Suárez ekelhafter Dummheit gegen Italien. Die folgende Sperre heißt, dass Suárez die Copa America nächstes Jahr verpasst. Das wird für Langzeit-Teamchef Tabárez die Nagelprobe werden. Noch ein weiteres Mal mit den alten Recken, aber ohne den besten Spieler versuchen, alles rauszuquetschen, oder im Wissen um die Chancenlosigkeit, um den Titel mitzuspielen, den Umbau starten?

Die Antwort darauf wird gleichzeitig die Antwort auf die Frage sein, ob sich Tabárez, 67 Jahre alt, den Generationswechsel noch antun will.

Ecuador: Wäre die Quali auch ohne Höhenlage gelungen?

Immerhin: Seine drei Tore (also alle, die Ecuador bei dieser WM schoss) brachten Enner Valencia einen Premier-League-Vertrag bei West Ham ein. Sehr viel mehr wird aber nicht bleiben. La Tri verlor zwar nur knapp gegen die Schweiz und rang Frankreich ein verdientes Remis ab, aber dennoch hinterließen die drei Spiele vor allem eines: Verwunderung ob des antiquierten Spielstils der auch nicht mehr ganz jungen Mannschaft.

Ecuador
Ecuador: Mit dem flachen 4-4-2 und Konzentration auf die Flügel war das reichlich antiquiert.

Neben Honduras kam nur noch Ecuador mit einem flachen 4-4-2 mit zwei defensiven Mittelfeld-Leuten in einem damit unterbesetzten Zentrum auf, das Spiel nach vorne passierte praktisch ausschließlich über die Flügelspieler Valencia und Montero. Sturmspitze Caicedo fiel in den ersten zwei Spielen nur durch seine Mähne auf, und im dritten nicht mal mehr das, weil er zwischendurch beim Friseur war.

Anders als Enner Valencia. Der Angreifer, der nur durch den plötzlichen Tod von Chicho Benítez vor einem Jahr in die Mannschaft gerutscht war, war beweglich, hatte Übersicht und war auch torgefährlich.

Inhaltlich aber hat sich Ecuador seit der WM 2006, als man mit einem flachen 4-4-2 souverän das Achtelfinale erreichte und dort eher unglücklich England unterlag, keinen Zentimeter weiterentwickelt. Das Team vor acht Jahren war auch individuell echt gut (mit Leuten wie Delgádo, Méndez, dazu Reasco und De la Cruz als AV). Dieses ist eher wieder eines wie 2002, das sich wegen der Höhenlage in den Quali-Heimspielen zur Endrunde gemogelt hat.

Natürlich: Mit Carlos Gruezo von Stuttgart gibt es ein Riesen-Talent im zentralen Mittelfeld. Aber der hat vor drei Jahren noch U-17-WM gespielt. Für eine tragende Rolle bei einer WM der Großen war’s noch ein wenig früh.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Juni 2015 in Chile

Die Brasilianer, die viel gutzumachen haben. Die Argentinier mit Messi, der so knapp dran war, aber nun immer noch keinen Nationalteam-Titel gewonnen hat. Der Offensiv-Wirbel der Kolumbianer. Und natürlich die positiv Verrückten von Gastgeber Chile. Nicht zu vergessen Titelverteidiger Uruguay, der zeigen muss, wie er sich selbst neu erfindet.

Die Copa America, die in einem Jahr stattfindet, ist von der Ausgangslage elf Monate davor die wohl spannendste seit Jahrzehnten, weil sie mehr ist als nur das programmierte Finale zwischen Brasilien und Argentinien, sondern  es gleich zwei Teams gibt, die mindestens auf Augenhöhe mit ihnen sind, wenn nicht sogar schon besser. Die Teams des südamerikanischen Kontinents rücken immer weiter zusammen. Eine Entwicklung, die nur gut sein kann.

Fünf der sechs CONMEBOL-Teams überstanden die Vorrunde, und es gab nur ein Team von außerhalb, das K.o.-Spiele gegen das Quintett gewinnen konnte (Deutschland). Anders gesagt: Hätte man sich nicht gegenseitig eliminiert, wäre die kollektive Stärke noch viel augenfälliger geworden. Andererseits hat es nun drei Turniere hintereinander keinen südamerikanischen Weltmeister gegeben – die längste Durststrecke der Geschichte. Weil die beiden Großen im entscheidenden Moment wieder Federn ließen und die Nachrücker halt doch noch nicht ganz so weit sind.

Noch.

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Analyse: Deutschland schlägt Brasilien in unglaublichem WM-Halbfinale 7:1 https://ballverliebt.eu/2014/07/09/deutschland-brasilien-7-1-halbfinale-wm-2014-analyse/ https://ballverliebt.eu/2014/07/09/deutschland-brasilien-7-1-halbfinale-wm-2014-analyse/#comments Tue, 08 Jul 2014 22:48:45 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10383 Analyse: Deutschland schlägt Brasilien in unglaublichem WM-Halbfinale 7:1 weiterlesen ]]> Es ist das wohl denkwürdigste Halbfinale in der 84-jährigen WM-Geschichte – Gastgeber Brasilien, für den nur der Titel zählte, bekam von den Deutschen den Hintern verdroschen, wie noch nie einem Halbfinalisten der Hintern verdroschen wurde. Am Ende steht ein 7:1 in den Geschichtsbüchern, dass sogar ein 7:0 hätte werden können, wenn nicht Oscar doch noch einen reingebracht hätte. Aber wie konnte es dazu kommen, dass Brasilien zwischen der 23. und der 29. Minute vier Tore schluckte?

Brasilien - Deutschland 1:7 (0:5)
Brasilien – Deutschland 1:7 (0:5)

Brasilien begann eigentlich recht schwungvoll – anders als im Turnierverlauf oft, eher so, wie man vor einem Jahr den Confed-Cup angelegt hatte. Ohne ersichtlichen Grund aber nahm die Selção nach fünf Minuten das Tempo völlig raus. Hinten spielten sich David Luiz, Dante und Luiz Gustavo den Ball plötzlich nur noch gemütlich hin und her. Folge war: Der ganze deutsche Mannschaftsverbund, der nach dem frühen Druck recht weit hinten gestaffelt war, rückte Meter um Meter auf. Quasi zum Austesten, wie die Brasilianer reagieren.

Sie reagierten gar nicht. Großer Fehler.

Khedira fing recht schnell immer mehr an, vor allem Dante anzulaufen. Bein einem Ballgewinn reagierte Deutschland nun im Verbund mit kollektivem, raschen nach-vorne-rücken. Die Brasilianer zeigten in zwei, drei Szenen schnell Wirkung – ein ungenauer Abschlag von Júlio César, ein überhasteter und meilenweit von jedem Mitspieler entfernter langer Ball in Richtung Bernard: Deutschland hatte schon vor dem 1:0 die Kontrolle übernommen.

Kompaktheit geht völlig verloren

Dass man bei einer Ecke Müller am langen Pfosten erstaunlich frei lässt, ist zwar nicht besonders geschickt (wiewohl von Deutschland auch gut gemacht), kann aber schon mal passieren und ist eigentlich kein Grund, in sich zusammen zu fallen, vor allem dann nicht, wenn noch 79 Minuten zu spielen sind. Doch die Brasilianer verloren in der Folge jegliche Kompaktheit vor allem im Zentrum – obwohl Marcelo (wie im ganzen Turnier) einen ziemlichen Drall nach innen hatte und sich auch Aufbau-Versuche bei Brasilien oftmals ins Zentrum verlagerten.

David Luiz marschierte öfter nach vorne mit, ohne abgedeckt zu werden. Wie überhaupt sich die Offensiv-Kräfte Brasiliens noch weiter vorne postierten, der Defensiv-Verbund aber nicht geschlossen nachrückte. Gleichzeitig fuhren die Deutschen nun ein Pressing-Brett, dem der Gastgeber nichts entgegen zu setzen hatte.Nach Ballgewinnen hatten die Deutschen nicht nur Überzahl, sondern auch richtig viel Platz.

Das hat genau gar nichts mit dem Fehlen von Neymar zu tun. Aber sehr viel mit jenem von Thiago Silva.

Treibsand

Die ordnende Hand, die der Gelbgesperrte normalerweise ist, fehlte komlett. Nach dem zweiten Gegentor wurden die Löcher bei Brasilien noch größer, versuchte noch mehr jeder in seiner Panik auf eigene Faust, das Geschehene wettzumachen. Die Folge war ein Treibsand-Effekt: Die Deutschen, die schon ohne gruppentaktisches schnelles Umschalten Räume ohne Ende hatten, verstanden es exzellent, die immer mehr verunsicherten Brasilianer aus ihren Positionen zu ziehen und damit Räume zu schaffen.

So vergaß Maicon, der viel zu zentral stand, beim 0:3 hinter ihm auf Kroos. Die Brasilianer halfen sich auch nicht gegenseitig. Es kann niemand Fernandinho gewarnt haben, dass hinter ihm ein Deutscher auf ihn zuläuft, so billig, wie er ihn vor dem 0:4 verloren hat. Das Chaos setzte sich auch beim 0:5 fort. Je mehr die Brasilianer versuchten, das Ruder herum zu reißen, desto mehr ging das Gruppendenken verloren und desto leichter hatte es die deutsche Mannschaft, sich auszutoben.

Runter vom Gas

Natürlich war das Spiel nach einer halben Stunde entschieden und natürlich stieg Deutschland danach deutlich vom Gas. Oscar zum Beispiel versteckte sich weiterhin nach Kräften, der kleine Bernard hatte gegen Höwedes keine Chance, Fred sah kaum einen Ball. Die Chancen, die man sich nach der Pause erarbeitete, machte dann auch noch Neuer zunichte.

Und obwohl Deutschland kaum noch aktiv am Spiel teilnahm, das Pressing logischerweise weitgehend eingestellt hatte und der Nachdruck nach vorne fehlte, erhöhte man sogar noch auf 7:0. Im Grunde war in der zweiten Hälfte aber die Luft natürlich völlig draußen.

Fazit: Deutschland nützte Schwächen konsequent aus

Dass die Seleção so dermaßen in sich zusammenklappte, lag in erster Linie an der Panik, die (eigentlich unverständlicherweise) nach dem frühen 0:1 ausbrach. Mit dieser Hektik und ohne jedes gruppentaktische Verhalten bot man den Deutschen Räume an, die diese extrem clever zu nützen verstanden. Und eiskalt – so gut wie jede Torchance wurde auch konsequent genützt. So konnte sich schon so früh ein so ungewöhnliches Ergebnis abzeichnen.

Was die deutschen Spieler wussten, das wurde in den Interviews schnell deutlich. Ihnen war klar, dass ihnen der Gegner und der Spielverlauf so in die Hände spielten, dass so ein Ergebnis dabei heraus kam. Im Finale wird es ein völlig anderes Spiel werden.

Wie es mit den brasilianischen Spielern weitergeht, wird interessant zu verfolgen sein. Viele der Beteiligten an Österreichs 0:9 in Valencia 1999 waren für ihre Karriere zerstört. Für Brasilien ist diese Niederlage, mit allem was damit zusammenhängt, noch viel, viel schlimmer als der ÖFB-Kegelabend in Spanien damals.

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Confed-Cup 2013: Wenig bedeutendes Turnier, sehr bedeutende Erkenntnisse https://ballverliebt.eu/2013/07/02/confed-cup-2013-wenig-bedeutendes-turnier-sehr-bedeutende-erkenntnisse/ https://ballverliebt.eu/2013/07/02/confed-cup-2013-wenig-bedeutendes-turnier-sehr-bedeutende-erkenntnisse/#comments Tue, 02 Jul 2013 00:04:57 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=8953 Confed-Cup 2013: Wenig bedeutendes Turnier, sehr bedeutende Erkenntnisse weiterlesen ]]> Ja, das hat durchaus Spaß gemacht. Eine ziemliche Dichte an ziemlich feinen Teams, in einem Turnier, dass war weltweite Aufmerksamkeit, aber vergleichsweise geringe Bedeutung hat. Das Resultat: Ein ausgesprochen gutklassiges Turnier mit vielen unterhaltsamen Spielen, aber (vom Gastgeber abgesehen) ohne den Druck des Gewinnen-Müssens. Ein Jahr vor der WM also eine Gelegenheit zu probieren und Erkenntnisse zu sammeln. Nicht unbedingt nur taktische, auch solche das Klima betreffend.

1.: Brasilien ist auf einem guten Weg

Grundformation von Brasilien beim Confed-Cup 2013
Grundformation beim Confed-Cup 2013

Wie viel der Sieg beim Confed-Cup im geschichtlichen Großen Granzen wert ist, darüber lässt sich trefflich diskutieren. Sicher ist aber: Gastgeber Brasilien ist sportlich auf bestem Weg, für die Heim-WM in einem Jahr gerüstet zu sein. Das Duo Thiago Silva/David Luiz in der Innenverteidigung ist auf Nationalteam-Ebene womöglich das beste der Welt, mit Marcelo und Dani Alves kommt man zumindest bei den acht teilnehmenden Nationen dem Ideal der zwei guten Außenverteidiger am Nächsten, das Mittelfeld-Zentrum hält dicht, nach vorne gibt es mit Neymar und Oscar einiges an Talent – wiewohl die beiden ihr bestmögliches Zusammenspiel noch nicht gezeigt haben.

Hauptmerkmal der Seleção unter Luiz Felipe Scolari ist vor allem die extrem druckvolle Anfangsphase in jeder Partie gewesen. Japan und Mexiko geriet da schon vorentscheidend ins Hintertreffen, Spanien im Finale musste auch einem frühen Rückstand hinterherlaufen. Allen Spielen gemein war aber auch, dass Brasilien die Intensität nach dieser starken Anfangsphase – mit dem Finale als Ausnahme – danach deutlich zurückschraubte. Man cruiste, wenn möglich auf der frühen Führung im Halbgas-Modus dem Sieg entgegen. Gegen Japan und Mexiko klappte das, gegen Italien (wo es kein schnelles Tor gab) nicht, auch Uruguay überstand diese Phase im Semifinale.

Brasilien bei der Copa América 2011
Brasilien bei der Copa América 2011

Vergleicht man die Truppe mit jener, die vor zwei Jahren bei der Copa América – wo es nach einer mühsamen Gruppenphase das Aus im Viertelfinale gegeben hatte – so erkennt man vieles nicht mehr wieder. Nicht nur personell. Beim Turnier in Argentinien machte die Seleção unter Mano Menezes nicht nur einen seltsam langsamen und uninspirierten Eindruck, sondern ließ vor allem zwei Dinge komplett vermissen: Kompaktheit im Mittelfeld und Breite im Spiel nach vorne.

„Zu wenig Bewegung, zu wenig Tempo, sehr statisches Spiel und vor allem: Ein zu großer Abstand, bzw. zu wenig Kontakte zwischen den sechs Spielern hinten und den vier vorne“, analysierten wir im ersten Gruppenspiel, dem 0:0 gegen Venezuela.

„Weil die Brasilianer wieder ein veritables Loch zwischen defensivem Mittelfeld und Offensivreihe ließen, hatten die drei Paraguayer im Mittelkreis das Zentrum sehr gut unter Kontrolle, weil wiederum nur Ramires einen Link zwischen der Defensive und Ganso und Co. darstellte. Auch von den Außenverteidigern kam wieder gar nichts“, hieß es in der Analyse vom zweiten Gruppenspiel, einem 2:2 gegen Paraguay.

„Das brasilianische Spiel verfiel in den alten Trott: Wenig Breite, viel Platz zwischen Defensive und Offensive und ein Offensiv-Quartett, dass nicht gut harmonierte, wenn der Ball doch einmal vorne war“, im Viertelfinale gegen Paraguay – das letztlich im Elferschießen verloren wurde.

Im zentralen Mittelfeld ist von der Copa 2011 keiner mehr übrig: Luiz Gustavo sorgt für Umsicht und defensive Stabilität, Paulinho – die große Entdeckung des Turniers – für den Schub nach vorne, und Oscar versuchte, sich durch extrem viel Laufarbeit immer anspielbar zu machen. Scolari packte also vor allem körperliche Präsenz ins Zentrum. Während Marcelo auf der linken AV-Position ein Fixpunkt ist, kämpft Scolari rechts hinten mit den gleichen Problemen wie seit Jahren: Dani Alves performt in der Seleção einfach nicht, Maicon ist längst endgültig kein Thema mehr, und viele Alternativen hat Scolari nicht.

Die rechte Seite mit einem schwachen Dani Alves und dem ebenfalls nicht überzeugenden Hulk ist der wohl größte Schwachpunkt, den es für die WM noch zu beheben gilt. Im Tor ist Júlio César immer noch ein guter Mann, aber nicht mehr der Weltklasse-Keeper vergangener Tage. Und bei allem Respekt vor seiner sehr ansprechenden Performance bei diesem Turnier: Brasilien hatte auch schon mal bessere Mittelstürmer als Fred. Der noch dazu der einzige echte, gelernte Mittelstürmer im ganzen Kader war.

2. Pressing- und ballbesitzorientierte Europäer werden’s schwer haben.

Grundformation von Spanien
Grundformation von Spanien

Man sollte sehr vorsichtig sein, Spanien nach einem mauen Turnier und nach den Vernichtungen von Real und vor allem Barcelona im CL-Semifinale schon abschreiben zu wollen. Immerhin wurde die U-21 gerade einmal mehr Europameister.

Aber: Der Confed-Cup zeigte sehr wohl, dass es für Teams, die ihr Spiel auf Pressing und Ballbesitz anlegen, vor allem aufgrund der klimatischen Bedingungen – heiß und schwül – sehr schwer sein wird. Vor allem, wenn man bedenkt, dass den Top-Klubs aus Spanien und Deutschland, deren Nationalteams so spielen, wieder eine lange Saison mit vielen Europacup-Partien bevorsteht.

Spanien war körperlich im Halbfinale gegen Italien schon schwer am Limit und im Finale dann komplett tot, obwohl man in der Gruppenphase das billige Trainingsspielchen gegen Tahiti hatte, anstatt drei echte Ernstkämpfe absolvieren zu müssen. Angesichts dieser Erkenntnisse gilt es, bei der WM danach zu trachten, nach zwei Gruppenspielen den Aufstieg geschafft zu haben und Verlängerungen in der K.o.-Phase auf jeden Fall zu vermeiden. Vor allem für Teams aus den hinteren Gruppen, also E bis H, wäre eine Verlängerung wohl tödlich, weil diese Teams im weiteren Turnierverlauf immer einen Tag weniger zur Regeneration haben als jene aus den vorderen Gruppen.

Darauf gilt es sich vor allem eben für Deutschland und für Spanien, aber auch für Bosnien und Holland einzustellen, will man wirklich eine Chance auf den Titel haben. Denn würde im Viertelfinale etwa die ohnehin starke Truppe aus Kolumbien, die Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit noch dazu wie kaum eine zweite kennt, und man ist physisch schon derart bedient wie Spanien beim Confed-Cup schon nach zwei ernsthaft geführten Spielen, wird garantiert Schluss sein.

3.: Reaktive Teams aus Europa dürften im Vorteil sein

Auch, wenn sich Italien im Gruppenspiel gegen Japan – dem wohl aufregendsten bei diesem Turnier – nicht so besonders geschickt anstellte, ist es dennoch so, dass man die Italiener groß auf der Rechnung haben muss. Weil Prandelli bei seinem Team, anders als etwa Del Bosque mit Spanien, aus einer Vielzahl von Systemen (4-3-2-1 gegen Mexiko und Japan, 4-4-1-1 gegen Brasilien, 3-4-2-1 gegen Spanien und wieder 4-3-2-1 gegen Uruguay), Formationen und Taktiken wählen kann, einige extrem vielseitige Spieler zur Verfügung hat (Marchisio, Giaccherini, De Rossi, etc.) sich dabei am Gegner orientiert und überhaupt kein Problem damit hat, selbst das Spiel nicht zu machen.

Dreimal verwendete Italien das 4-3-2-1
Dreimal verwendete Italien das 4-3-2-1

Weil Italien in der Regel nicht bzw. nur wenig presst, was vor allem gegen Spanien im Halbfinale auffällig war, spart das Team einiges an Kraft. Durch den relativ breiten Kader und angesichts der Tatsache, dass Prandelli zu regelmäßigen Umstellungen neigt – mal spielte Marchisio, mal Aquilani, gegenüber wechselten sich Giaccherini und Candreva ab, Pirlo bekam immer wieder seine Pausen, durch die Wechsel zwischen Dreier- und Viererkette auch Barzagli bzw. Bonucci – bekommen viele Akteure auch im Regelfall ihre Downtime.

Dass das Klima reaktive Mannschaften bevorzugt, kann aber auch für andere europäische Mannschaften von Vorteil sein. Hodgsons England fällt einem da spontan ein, auch die Schweizer. Die Portugiesen, sollten sie sich qualifizieren, könnten das auch.

Sicher ist nur: Vor allem für die europäischen Teams wird das Wetter ein ganz entscheidender Punkt werden.

4.: Südamerikanische Dominanz zu erwarten

Schon in Südafrika trumpften vor allem die südamerikanischen Teams „hinter“ Brasilien und Argentinien auf. Uruguay erreichte das Halbfinale, Paraguay das Viertelfinale, Chile das Achtelfinale (und scheiterte dort an Brasilien). Mit Spaniens 2:1 gegen Chile  gab es bis zum Achtelfinale in 19 Spielen gegen nicht-südamerikanische Teams nur eine einzige Niederlage.

Auch Uruguay zeigte sich vom System her flexibel
Auch Uruguay zeigte sich vom System her flexibel

Eine ähnliche Dominanz darf man auch nächstes Jahr erwarten – nicht nur, weil es einige richtig gute Teams aus den Conmebol-Verband sein werden, die teilnehmen, sondern auch, weil diese die klimatischen Bedingungen einfach gewöhnt sind.

Dabei ist Uruguay, trotz des Semifinales beim Confed-Cup, nicht mal der heißeste Kandidat. Óscar Tabárez ist zwar immer noch ein interessanter Trainer, dem Flexibilität in Systemfragen sehr wichtig ist – er switchte zwischen Dreier- und Viererkette, zwischen zwei und drei Stürmern, zwischen flachem und etwas windschief-rautenförmigen Mittelfeld. Aber das Team ist tendenziell überaltert und über den Zenit, den es 2010 und 2011 erreichte, schon ein wenig hinaus. Es ist seither sehr wenig frisches Blut und neuer Konkurrenzkampf in den Kader gekommen.

Zu wenige Tore: Mexiko
Zu wenige Tore: Mexiko

Aber das sehr gut funktionierende Team aus Kolumbien um die Neo-Monegassen Falcao und James Rodríguez und dem hochinteressanten Teamchef José Néstor Pekerman kann durchaus ein Kandidat für das Semifinale sein. Auch Chile, mit Jorge Sampaoli ebenso mit einem aufregenden Trainer im Amt, ist einiges zuzutrauen.

Die Kenntnis um das Klima wäre grundsätzlich auch bei Mexiko vorhanden. Dort scheitert es aber an anderer Stelle: Das Team von Juan Manuel de la Torre ist erstens ziemlich eindimensional, vom 4-4-1-1 mit Giovani als hängender Spitze geht er nicht ab – wiewohl in den U-Teams etwa durchaus eher mit Dreierkette agiert wird. Und, zweitens, ist Mexiko bei aller Spielstärke, erschreckend harmlos vor dem Tor. Nur drei in sechs Quali-Finalrundenspielen, in den ersten zweieinhalb Spielen beim Confed-Cup nur ein Elfer-Tor. Obwohl mehr als genug Chancen dagewesen wären.

5.: Japan kann viel, muss es sich aber auch zutrauen

Japan: Personell seit 2011 unverändert
Japan: Personell seit 2011 unverändert

Wer vom ziemlich flachen Auftritt Japans beim Auftakt-0:3 gegen Brasilien enttäuscht war, wurde im zweiten Spiel gegen Italien wieder in die Realität versetzt: Wie schon beim Asien-Cup, den Japan nach Strich und Faden zerlegte, zeigte sich das Team von Alberto Zaccheroni (auch er so ein feiner Trainer!) von seiner guten Seite: Ramba-Zamba-Tempofußball, mit viel Vertrauen in das eigene Können.

Wie den Mexikanern fehlt es aber auch Japan an den Toren. Maeda ist ein fleißiger Arbeiter, aber kein Goalgetter, Mike Havenaar fehlt da auch die internationale Klasse. Interessantes Detail: Obwohl es einige neue Alternativen in europäischen Top-Ligen gibt, vor allem in Deutschland, ist es beim Confed-Cup die exakt gleiche Grundformation gewesen wie vor zweieinhalb Jahren beim Asien-Cup. Heißt: Die Mannschaft ist eingespielt, kenn sich in- und auswendig. Sie kann auch bei der WM aufzeigen, wenn Zac einen Weg findet, mit dem Klima umzugehen und wenn sich die Japaner auch wirklich etwas zutrauen.

6.: Die Afrikaner werden wieder früh heimfahen. Das wird aber nicht am Klima liegen.

Nigeria hat fraglos Potenzial. Nicht so viel, um in der K.o.-Runde bei der WM weit zu kommen. Nein, sie werden froh sein müssen, die Vorrunde zu überstehen. Aber immerhin ist man in Nigeria mit Stephen Keshi auf einem guten Weg – sportlich.

Nigeria fehlten zwei wichtige Spieler
Nigeria fehlten zwei wichtige Spieler

Man war gegen Uruguay auf Augenhöhe, traute sich gegen Spanien im Mittelfeld zu attackieren. Zudem ist man noch stärker, wenn mit Victor Moses von Chelsea und Mittelstürmer Emmanuel Emenike von Spartak Moskau, die verletzt fehlten. Linksaußen Nnamdi Oduamadi zeigte durchaus auf, der in Italien spielende 22-Jährige ist eine der Entdeckungen dieses Turniers. Die Qualifikation für die WM sollte gelingen (wenn es auch ziemlich wahrscheinlich nicht besonders glanzvoll geschehen wird) und es ist auch kein Afrika-Cup mehr im Weg, nach dem afrikanische Verbände ja gerne den Panik-Button drücken.

Doch obwohl auch Côte d’Ivoire an sich die Qualität hätte, zumindest ordentlich abzuschneiden, ist nicht zu erwarten, dass alle fünf afrikanischen Teilnehmer im kommenden Jahr zu den „Geläuterten“ gehören wird. Was nach dem Afrika-Cup Anfang des Jahres galt, gilt nämlich natürlich weiterhin: So lange die nationalen Verbände nicht professionell arbeiten, können sich die Teams sportlich nicht entwickeln. Nicht zuletzt stritt man auch in Nigeria auch vor diesem Turnier mal wieder um die Prämien.

Und der sportliche Wert der allermeisten Teams aus Afrika ist, das wurde beim von Nigeria gewonnen Turnier deutlich, jämmerlich. Weshalb man davon ausgehen kann, dass sich der größte Teil dss Quintetts nächstes Jahr sehr schnell wieder von der WM verabschieden wird. Und es wird nichts mit dem Klima zu tun haben.

7.: Tahiti – ein witziger Farbtupfer

Immerhin: Tahiti schon ein Tor
Immerhin: Tahiti schoss ein Tor

Dass die mit dem längst aufs sportliche Altenteil des griechischen Mittelständlers Panthrakikos geschobenen Marama Vahirua verstärkte Hobbykicker-Auswahl aus Tahiti die Bude dreimal angefüllt bekommen würde, war von vornherein klar. Ob man die Bilanz von 1:24 Toren jetzt als Erfolg sehen möchte oder nicht, bleibt jedem selbst überlassen. Zum Vergleich: Bei der U-20-WM vor vier Jahren kam man mit 0:21 Toren davon.

Man wusste um die Chancenlosigkeit und präsentierte sich als witziger Farbtupfer. Teamchef Eddy Etaeta ließ alle drei Torhüter je ein Spiel ran, gegen Nigeria gab es sogar ein Tor. Die Grundausrichtung war mit dem 5-4-1 klar defensiv, aufgrund des eklatanten Klasse-Unterschieds half das aber natürlich auch wenig.

Aber die Teilnahme kann Tahiti keiner mehr nehmen, mit einem Spiel gegen Spanien vor 71.800 Zuschauern im Maracanã. Dass es 0:10 verloren wurde, was soll’s. Marama Vahirua übrigens hat seine Karriere nach dem Turnier beendet.

Fazit: Feines Turnier mit interessanten Erkenntnissen

Das Turnier hat einige schöne Spiele produziert und einen schönen Überblick über die allgemeinen Formkurven gegeben. Vor allem Italien hat einiges ausprobiert. Spanien wird sich etwas überlegen müssen, in Richtung WM. Die nachrückenden Teams wie Mexiko und Japan haben ihre Möglichkeiten angedeutet, mehr aber (noch?) nicht.

In jedem Fall aber ist dieser Confed-Cup ein Plädoyer dafür gewesen, dieses Turnier nicht mehr per se zu belächeln, weil es ja sportlich um nicht allzu viel geht. Dazu war der Unterhaltungswert zu hoch und die Erkenntnisse daraus zu bedeutend.

(phe)

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Pressen, Zustellen, Umschalten: Brasilien fertigt Spanien mit 3:0 ab https://ballverliebt.eu/2013/07/01/pressen-zustellen-umschalten-brasilien-fertigt-spanien-mit-30-ab/ https://ballverliebt.eu/2013/07/01/pressen-zustellen-umschalten-brasilien-fertigt-spanien-mit-30-ab/#comments Mon, 01 Jul 2013 10:19:45 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=8949 Pressen, Zustellen, Umschalten: Brasilien fertigt Spanien mit 3:0 ab weiterlesen ]]> Brasilien hat zum dritten Mal hintereinander den Confederations Cup gewonnen – indem man Welt- und Europameister Spanien regelrecht vorgeführt hat. Die Seleção presste die sichtlich müden Spanier hoch an, schaltete schnell um und nahm den Iberern im Mittelfeld die Optionen. Dagegen war kein Kraut gewachsen. Zumal der Spielverlauf für Spanien auch ungünstig war: Frühes 0:1, Elfer verschossen, und dann auch noch in Unterzahl.

Brasilien - Spanien 3:0 (2:0)
Brasilien – Spanien 3:0 (2:0)

Natürlich hilft es, mit einem 1:0-Vorsprung in ein Finale zu gehen. Das reingenudelte Tor von Fred in der 2. Minute brachte Brasilien jenes Sicherheitsnetz, mit dem sie den Spaniern mit allen möglichen Mitteln begegneten – nichts davon war wirklich neu, aber in dieser Konsequenz und in dieser Fülle vereint, hatten die sicher auch müden Spanier nichts entgegen zu setzen.

Pressen, Zustellen, Umschalten

Die Seleção presste Spanien extrem hoch an, auch schon in den anderthalb Minuten vor dem ersten Tor. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Spanien genau das gar nicht mag, nur hat das noch sehr selten ein Gegner auch tatsächlich mit einem Tor bestraft. Es haben auch schon einige Teams probiert, den Weltmeister hoch anzupressen, wie etwa die Portugiesen im letztjährigen EM-Semifinale, aber die Ballsicherheit und die Klasse, wie auch die physische Verfassung erlaubte es den Spaniern dennoch immer, ihre Dreiecke im Mittelfeld zu bilden und somit zumindest halbwegs die defensive Kontrolle zu bewahren.

Italien versuchte es im Semifinale mit praktisch keinem Pressing, aber mit konsequentem Zustellen der Dreiecke und mit blitzartigem Umschalten von Defensive auf Offensive. Die Passivität im direkten Spiel gegen den Ball war bei den Italienern auch den heißen und luftfeuchten Gegebenheiten geschuldet. Die Brasilianer sind diese Bedingungen viel mehr gewohnt, hatten zudem im Halbfinale 30 Minute weniger zu spielen und einen Tag mehr Pause. Das erlaubte ihnen, Spanien anzupressen, die Dreiecke zuzustellen UND blitzschnell umzuschalten.

Spanien platt

Mit der Kombination aus allen diesen Voraussetzungen kam Spanien überhaupt nicht klar. Vor allem das brasilianische Zentrum mit Paulinho, Oscar und auch Luiz Gustavo ließ Xavi und Iniesta kaum Luft zum Atmen, Spanien fehlte die Zeit, um die Bälle zu verarbeiten und die offenen Mitspieler, um im Ballbesitz zu bleiben. Hinzu kam noch, dass die Spieler schlicht und einfach körperlich platt wirkten: Es fehlte die übliche Bewegung im Spiel ohne Ball, es gab so gut wie kein eigenes Pressing – all das verstärkte den Effekt natürlich noch. So gab es kaum einmal echte Torgefahr vor dem Gehäuse von Júlio César, aber zahlreiche gute Chancen für Brasilien, aus dem schnellen Umschalten heraus zu erhöhen.

Mit der Zeit ergaben sich auch immer mehr Räume für die Brasilianer zwischen dem spanischen Mittelfeld – das weiterhin dafür sorgen wollte, dass es nach vorne geht – und der spanischen Verteidigung, die auf die permanenten Gegenangriffe mit einer tieferen Abwehrlinie reagierte. Piqué musste darüber hinaus immer wieder für den mit Neymar überforderten Arbeloa aushelfen; Arbeloa machte auch diesmal sehr wenig nach vorne.

Del Bosque versucht’s mit Wechseln

So war Spanien auf beiden Flanken jeweils nur mit einem Mann vertreten: Links wie gewohnt mit Alba, weil sich Mata eher zentral orientierte; rechts mit Pedro, weil Arbeloa wenig half. Mit Neymar und Marcelo auf der einen Seite und der defensiven Unterstützung von Luiz Gustavo auf der anderen hatte Brasilien beide Außenbahnen im Griff – und das Zentrum durch das hohe Pressing und das geschickte Positionsspiel sowieso. Das 2:0 für die Seleção nach 45 Minuten war vollauf verdient.

Für den offensiv nutzlosen, defensiv unsicheren und gelbvorbelasteten Arbeloa brachte Del Bosque für die zweite Hälfte Azpilicueta, der sich gleich einmal damit einführte, dass es sich beim ersten brasilianischen Angriff aus der Position ziehen ließ und Fred die ihm gewährte Zeit am Ball zum 3:0 nützte.

Del Bosque brachte daraufhin Navas für Mata – Pedro ging auf die linke Seite – um mehr Optionen zu haben, das Spiel breit zu machen. Bei einem 0:3-Rückstand und klarer körperlicher Unterlegenheit natürlich nur noch eine kosmetische Maßnahme, zumal mit Ramos‘ verschossenem Elfmeter und der roten Karte für Piqué das Spiel längst gelaufen war. In Unterzahl spielte dann Busquets einen Hybrid aus Innenverteidiger und Sechser, Brasilien ließ es beim 3:0 bewenden.

Fazit: Guter Plan mit überlegener Physis umgesetzt

Scolari machte nichts anderes, als alle aktiven Mittel auszuschöpfen, die andere Teams schon gegen Spanien versucht haben – hohes Anpressen, Passwege zustellen, schnell umschalten. Die Spanier, die offenbar körperlich nicht mehr in der Lage waren, das gewohnte eigene Pressing zu etablieren, sich nicht genug freizulaufen und Räumen, die immer größer wurden, hatten keine Chance. Der 3:0-Sieg ist nicht einmal zu hoch.

Natürlich: Mit der Total-Vernichtung von Barcelona im CL-Halbfinale, dem schon recht mühsamen Auftritt gegen Italien im Semi und dem chancenlosen Finale bröckelt der Eindruck der spanischen Dominanz in diesem Jahr. Ob es wirklich schon eine Zeitenwende ist, steht aber auf einem anderen Blatt Papier. Die klimatischen Bedingungen in Brasilien sind Gift für pressing-orientierte europäische Mannschaften. Auch ist sicher mehr Gegenwehr von Spanien zu erwarten, sollte es ein echter Ernstkampf sein, und nicht „nur“ das Finale eines besseren Test-Turniers.

Die Brasilianer aber, das ist sicher, muss man für die WM auf der Rechnung haben. Sie machen nichts inhaltlich Außergewöhnliches, nichts taktisch besonders Innovatives – aber was sie machen, machen sie sehr gut; vor allem aber gibt es wenige echte Schwachstellen. Und sie kommen mit dem Wetter zurecht.

(phe)

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Euro-Classics 2008 – Die unglaublichen Aufholjäger aus der Türkei https://ballverliebt.eu/2012/06/01/euro-classics-2008-die-unglaublichen-aufholjager-aus-der-turkei/ https://ballverliebt.eu/2012/06/01/euro-classics-2008-die-unglaublichen-aufholjager-aus-der-turkei/#comments Fri, 01 Jun 2012 07:11:30 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7300 Euro-Classics 2008 – Die unglaublichen Aufholjäger aus der Türkei weiterlesen ]]> Innerhalb von 14 Minuten drehten sie das entscheidende Spiel gegen Tschechien um. Machten aus einem 0:2 noch ein 3:2. Und das nur vier Tage, nachdem beim Wasserball-Spiel gegen die Schweizer ebenfalls drei Punkte nach einem Rückstand geholt worden waren. Die wehrhafteste Mannschaft bei der Euro2008 waren fraglos die Türken! Die schon in der Vorrunde ihren Gruppen-Gegnern kräftig die Show stahlen. Also den souveränen Portugiesen, den wackeligen Tschechen und dem Gastgeber aus der Schweiz.

Schweiz – Tschechien 0:1 (0:0)

Schweiz - Tschechien 0:1 (0:0)

Poborský und Nedvěd hatten aufgehört. Tomáš Rosický – verletzt. Milan Baroš – weit entfernt von Bestform. Kurz: Das tschechische Team war offensiv nicht mal annähernd mit jenem vergleichbar, das vier Jahre davor fraglos das beste des Turniers war. Entsprechend bieder kam die Mannschaft von Karel Brückner auch daher.

So konnten die Schweizer das Spiel kontrollieren. Köbi Kuhn, dessen Frau zeitgleich schwer krank im Krankenhaus gelegen war, schickte sein Team in einem 4-4-1-1 aufs Feld. Vorderste Spitze war Alex Frei, Marco Streller ließ sich etwas fallen – so glich sich das Mittelfeld auf ein 3-gegen-3 aus. Jenes der Schweizer war aber ohnehin eher auf Verhindern ausgerichtet, die Akzente nach vorne kamen von den Flügeln – und dort in erster Linie von Lichtsteiner (rechts) und Barnetta (links).

Nach ganz vorne ging bei beiden Teams nicht viel, weil die spielerischen Mittel fehlten. Die Schweizer agierten viel horizontal, während die Tschechen zwar versuchten, vertikal zu agieren, aber durch viele Ungenauigkeiten stockte das Spiel und Jan Koller blieb isoliert. Auch, weil der Zwei-Meter-Hüne viel besser funktioniert, wenn er einen zweiten Stürmer neben sich hat, für den er die Bälle ablegen und Räume freiblocken kann. Weil aber Plašil und Sionko außen blieben und aus dem Mittelfeld keiner nachrückte, hatten Senderos und Müller keine Mühe.

Doch während Brückner Koller nach einer Stunde freiwillig vom Platz nahm, geschah das bei Alex Frei aus ganz anderem Grund: Der Schweizer Kapitän verletzte sich bei einem an sich harmlosen Foul von Grygera so unglücklich das linke Knie, dass nicht nur das Spiel für ihn vorbei war, sondern das ganze Turnier – das Innenband war lädiert. Statt Frei kam für die zweite Hälfte Hakan Yakin, der die Position als hängende Spitze einnahm.

Bei den Tschechen kam Václav Svěrkoš für Koller. Svěrkoš ist ein ganz anderer Spieler als Koller, und sofort begann das tschechische Mittelfeld, den neuen Mann steil und mit Tempo in die Schnittstelle der nicht besonders schnellen Müller und Senderos zu schicken. Es dauerte auch nicht allzu lange, bis diese adjustierte Taktik aufging und Svěrkoš aus genau so einem steilen Anspiel das 1:0 für die Tschechen besorgte.

Köbi Kuhn löste nun seine Abwehrkette auf und warf mit Vonlanthen (statt Lichtsteiner) einen dritten Stürmer in die Schlacht. Nicht, dass die Schweizer nicht noch Chancen zum Ausgleich gehabt hätten, aber fehlendes Tempo und eine gut stehende tschechische Abwehr verhinderten bei allem Ballbesitz in der Schlussphase, dass das 1:1 noch fiel. Die Schweizer waren beim Eröffnungsspiel damit zwar die in sich geschlossenere Mannschaft als die vor allem im Spielaufbau arg zerzaust wirkenden Tschechen, aber verloren wurde die Partie dennoch.

Portugal - Türkei 2:0 (0:0)

Portugal – Türkei 2:0 (0:0)

Portugal war der klare Gruppenfavorit – auch im ersten Turnier nach dem Rücktitt von Luis Figo. Für die Türkei war es dafür der erste Auftritt bei einem Großereignis seit dem dritten Platz bei der WM sechs Jahre davor, danach gab’s die Play-Off-Blamage gegen Lettland und die unglaublichen Entgleisungen im entscheidenden Spiel gegen die Schweiz.

Der türkische Teamchef Fatih Terim setzte auf ein 4-2-2-2 ohne echte Außenspieler im Mittelfeld. Im Zentrum sollten Aurélio und Emre dafür sorgen, dass Deco und Moutinho nicht zur Geltung kommen, die entscheidendere Rolle hatten aber die nominellen Außen-Spieler Tuncay und Kâzım. Die Portugiesen setzten zwar durchaus auf ihre Flügelstürmer Ronaldo und Simão, doch wurden diese eher aus dem Zentrum heraus geschickt, als durch die Außenverteidiger Ferreira und Bosingwa.

Tuncay und Kâzım sollten durch ihre zentrale Positionierung natürlich für eine Überzahl in der Mitte sorgen, wodurch die Portugiesen quasi schon vor der Spieleröffnung gestört werden sollten. Das funktionierte defensiv nicht so schlecht, aber nach vorne ging gar nichts: Tuncay machte einen extrem unkonzentrierten Eindruck und der junge Kâzım war mit Defensiv-Aufgaben ausgelastet. So fehlte das kreative Moment und die Stürmer Nihat und Mevlüt hingen in der Luft.

Terim stellte für die zweite Hälfte auf ein 4-3-3 um. Mevlüt blieb draußen, dafür kam Sabri, dieser spielte an der Spitze eines Mittelfeld-Dreiecks, während Tuncay und Kâzım die Außenbahnen besetzten. Das war ein Wechsel, um selbst mehr Initiative zu bekommen und die portugiesischen AV besser zur beschäftigen, allerdings ging der Schuss etwas nach hinten los. Moutinho und Deco hatten nun Platz zwischen Sabri und den Flügelstürmern, die Portugiesen bekamen die Partie besser in den Griff. Ein Energie-Anfall von Pepe, von dem die türkische Abwehr nicht wusste, wie sie damit umgehen sollten, besorgte nach einer Stunde das 1:0.

Das Mittelfeld war klar in der Hand der Portugiesen, weshalb Terim eine Viertelstunde vor Schluss auf ein 4-4-2 wechselte, diesmal aber ein flaches. Sabri übernahm die RV-Position des ausgewechselten Hamit Altıntop, mit Semih kam wieder ein zweiter Stürmer neben Nihat, und die Risiko-Bereitschaft wurde deutlich nach oben geschraubt. Letztlich war es aber doch kaum mehr als Brechstangen-Fußball mit langen Bällen von hinten in das Gewühl von sechs, sieben Türken, die am gegnerischen Strafraum darauf warteten. Praktisch mit dem Schlusspfiff machte dann auf der anderen Seite, wo nun Platz war, der eingewechselte Meireles mit dem 2:0 den Deckel drauf.

Stand nach dem ersten Spieltag: Portugal 3, Tschechien 3, Schweiz 0, Türkei 0.

Tschechien – Portugal 1:3 (1:1)

Tschechien - Portugal 1:3 (1:1)

Dass beim tschechischen Team die Zeiten vorbei waren, als man die Fußball-Welt noch mit Halli-Galli-Fußball verwöhnte, wurde auch im zweiten Spiel gegen die Portugiesen deutlich. Vor allem in der Zentrale die oberste Devise, Portugal den Spaß am spielen zu nehemen. Matějovský und Polák machten die Räume für Deco und Moutinho eng, mit Galásek gab es noch eine zusätzliche Absicherung. Das hatte zur Folge, dass sich beide portugisischen Spielgestalter recht weit in die eigene Hälfte zurückzogen, um sich der Umklammerung etwas zu lösen.

Pressing spielten die Tschechen keines, sie erwarteten den Gegner in der eigenen Hälfte und gingen dort robust in die Zweikämpfe. Überfordert waren die Tschechen aber, sobald es Portugal schaffte, an der Tempo-Schraube zu ziehen. Beim frühen 1:0 durch Deco war das gut zu sehen.

Selbst brachte man es aber nicht fertig, Geschwindigkeit in die eigenen Aktionen zu bringen: Viele Ungenauigkeiten, viele Fehlpässe (vor allem bei weiten Flankenwechseln) und zu langsames Umschalten ließen das Aufbau-Spiel der Tschechen um nichts besser aussehen als  beim glücklichen Sieg gegen die Schweiz. Der Ausgleich von Sionko nach einer Viertelstunde konnte daher auch nur aus einem Eckball resultieren. Zudem arbeitete Stürmer Baroš, der statt Koller in die Mannschaft kam, zwar viel, aber wie Koller ist auch Baroš kein klassischer Solo-Stürmer.

Was die Portugiesen in diesem Turnier gut machten: Durch unerwartetes Positionsspiel den Gegner aushebeln. Das war bei Pepes Tor zum 1:0 gegen die Türkei so gewesen, und auch in dieser Partie schaffte es Portugal, den Gegner zu überrumpeln. In der 63. Minute Ronaldo und Simão waren in die Mitte gezogen, so klumpten sich auch die tschechischen Verteidiger vor dem eigenen Strafraum zusammen, was für Deco extrem viel Platz auf der rechten Seite bedeutete. Mit dem Spielmacher hatte auf der Flanke keiner gerechnet, Deco flanke, Ronaldo traf zum 2:1.

Nun reagierte Brückner und veränderte die auf Verhindern angelegte Spielweise. Koller kam für Galásek, dazu Vlček für Matějovský – also agierte Tschechien nun ein einem 4-1-3-2. Baroš und Koller vorne, Sionko links, Vlček rechts, Plašil hinter den Spitzen, und Polák als Absicherung. Das war jenes System, mit dem man vier Jahre davor großartigsten Fußball gezeigt hat, und auch in diesem Spiel ging es so gleich wesentlich besser. Die Portugiesen wurden hinten reingedrückt, mit Meira (statt Moutinho) kam ein zusätzlicher Mann für die Absicherung. Die Tschechen hatten zwar kaum klare Torchancen, aber sie drückten auf den Ausgleich und zeigten ihre beste Viertelstunde in diesem Turnier bis dahin. Ehe man in der Nachspielzeit in einen Konter lief und Quaresma das 3:1 für Portugal besorgte.

Schweiz - Türkei 1:2 (1:0)

Schweiz – Türkei 1:2 (1:0)

Gegen Portugal hatten die Türken, zumindest eine Halbzeit lang, kein kreatives Zentrum. Diesen Deal war Teamchef Terim eingegangen, um dafür das portugiesische Kreativ-Team zu bremsen. Ein solches haben die Schweizer nicht, weshalb Terim in dieser Partie mit einem 4-2-3-1 spielen ließ: Nihat als Solo-Spitze, Tuncay zentral dahinter, dafür mit Arda Turan neu auf der linken Seite und Gökdeniz Karadeniz neu auf der rechten.

Das sollte den Türken mehr Optionen in der Spielgestaltung geben, in der Praxis jedoch erwiesen sich die Schweizer in diesem Bereich des Feldes als wesentlich wacher und williger, in den Zweikampf zu gehen. Was umso mehr zum Faktor wurde, als es nach zehn Minuten anfing zu schütten und das Feld innerhalb kürzester Zeit de facto unter Wasser stand. Regulär waren die Verhältnisse nicht einmal annähernd.

Also war im Vorteil, wer sich auf die Gatsch-Wiese von Basel besser einstellte. Die Türken versuchten, lange Bäller von den Schweizern zu verhindern, indem sie ihre Abwehrreihe extrem weit nach vorne schoben um so die Empfänger ins Abseits zu stellen. Das funktionierte bis zur 32. Minute gut, dann aber entwischte Derdiyok, der legte zu Yakin quer – und dieser hatte keine Mühe, den einen Meter vor dem Tor im Wasser stecken gebliebene Kugel über die Linie zu dreschen.

Fatih Terim wusste: Mit Überzahl im Zentrum gewinnt man hier nichts. Also ging er für die zweite Hälfte auf ein 4-4-2, indem er Semih statt Gökdeniz brachte. Spielkultur im Zentrum war nicht gefragt, sondern empfänger für lange Bälle. Das wussten beide Mannschaften, wodurch sich ein recht wildes Spiel entwickelte, vor allem nachdem Semih nach einer Nihat-Flanke den verdienten Ausgleich markiert hatte. In der Folge hatten die Türken leichte Vorteile auf ihrer Seite, weil Arda eine gute Partie absolvierte und auch Tuncay einen deutlich fokussierteren Eindruck machte also noch gegen die Portugiesen.

Der Ball war viel in der Luft, große Klasse hatte die Partie nicht, aber durchaus Unterhaltungswert, weil beide Teams auf Sieg spielten – natürlich der Tatsache geschuldet, dass beide mit null Punkten in die Partie gegangen waren. Und gerade, als sich das 1:1 schon abzeichnete, schlug Arda Turan zu: Mit seinem Tor in der Nachspielzeit besiegelte er den Sieg für die Türken und damit das Aus und den fixen letzten Gruppenplatz für die Schweizer.

Stand vor dem letzten Spieltag: Portugal 6, Tschechien, Türkei 3, Schweiz 0.

Schweiz - Portugal 2:0 (0:0)

Schweiz – Portugal 2:0 (0:0)

Was das Spiel des Gastgebers gegen den Gruppensieger aus Portugal für zu einer für das Turnier komplett irrelevanten werden ließ. Für die Schweizer ging es nur noch darum, doch noch zumindest einen Sieg einzufahren und somit Köbi Kuhn in dessen letzten Länderspiel als Teamchef einen schönen Abschied zu bereiten.

Scolari schonte weiter Teile seiner Einser-Formation, was aufgrund der anderen Spielertypen im Mittelfeld auch eine etwas andere Spielanlage zur Folge hatte. Statt den Gestaltern Deco und Moutinho durften Kämpfer Meireles und der eher auf Sicherung bedachte Veloso spielen, dahinter sicherte mit Fernando Meira ein gelernter Innenverteidiger als Sechser ab.

Das hatte zwar nachteilige Effekte auf die eigene Spielgestaltung, sorgte aber dafür, dass die Schweizer regelmäßig bei ihren Aufbau-Versuchen auf Höhe der Mittellinie hängen blieben. Bei den Portugiesen kam praktisch alles, was gefährlich war, über die beiden schnellen und trickreichen Außenstürmer Nani und Quaresma, aber sie schafften es nicht, den Mittelstürmer zu bedienen. So war Postiga genauso unsichtbar wie Nuno Gomes das zumeist in den ersten zwei Spielen war.

Nach dem Seitenwechsel kamen die Schweizer auf, vor allem, weil Gökhan Inler nun im Mittelfeld deutlich mehr Verantwortung im Spielaufbau übernahm und sich weiter nach vorne orientierte. Zudem belebte der für Vonlanthen gekommene Barnetta die rechte Seite merklich. Scolari wollte das ausgleichen, indem er Moutinho für Veloso brachte, um einen Spielgestalter ins Zentrum zu bekommen und Inler wieder mehr zu binden, doch kaum war der Wechsel vollzogen, traf Yakin nach einem von Derdiyok gut weitergeleiteten langen Ball zum 1:0.

Nun machten die Schweizer das Zentrum dicht uns zwangen den Gegner zu langen Bällen, doch Nani und Quaresma agierten schlampig und ohne den letzten Einsatz; auch der für Postiga gekommene Almeida konnte ohne sinnvolle Zuspiele wenig ausrichten. Und als Meira einige Minute vor Schluss im Strafraum den quirligen Barnetta foulte und Yakin den fälligen Elfmeter zum 2:0 verwertete, war das Spiel entschieden.

Türkei - Tschechien 3:2 (0:1)

Türkei – Tschechien 3:2 (0:1)

Drittes Spiel, dritter Partner für den türkischen Innenvertediger Servet: Gökhan Zan verletzt out, Emre Aşık angeschlagen auf der Bank, so musste Emre Güngör ran. Zudem fehlte auch weiterhin Emre im Mittelfeld – Fatih Terim musste schon ziemlich improvisieren. Und wechselte wieder zurück zum 4-2-2-2 der ersten Partie, wenn dieses auch recht schief daherkam.

Es war ein unglaubliches Spiel, das vor interessanten Aspekten nur so strotzte. Wie Tuncay, der nach der linken Seite (1. Spiel) und der Zentrale (2. Spiel) nun die rechte Seite zugewiesen bekam, aber so dermaßen weit innen spielte, dass er doch eher zentraler Spielgestalter war. Hamit Altıntop hatte die rechte Außenbahn mehr oder weniger alleine über.

Oder wie die Mittelfeld-Zentrale. Waren die beiden Tschechen in der Mitte in den ersten zwei Spielen noch Hauptgründe für den kompletten Ausfall einer sinnvollen Spielgestaltung, agierten sie gegen die Türken ganz anders: Matějovský und Polák schoben, wenn die türkischen Innenverteidiger auf der Suche nach der Spieleröffnung den Ball hatten, vor Aurélio und Topal, verhinderten so einen geordneten türkischen Aufbau.

Oder wie die Rolle von Libor Sionko. Der Rechtsaußen vermied es in den ersten zwei Spielen noch, in den Strafraum zu gehen. Diesmal war er fast standardmäßig dort aufgeboten und machte somit nicht nur die Außenbahn für den endlich frei nach vorne marschierenden Zdeněk Grygera frei, sondern verwirrte auch die türkische Verteidigung. So entstand das 1:0 durch Koller: Flanke von Grygera, im Zentrum stehen Koller UND Sionko, und der Ball war drin.

Die Probleme der Türken waren natürlich auch Trainerfuchs Fatih Terim nicht entgangen, so stellte er auch im dritten Gruppenspiel für die zweite Halbzeit komplett um. Statt des blassen Semih kam Sabri für die zuvor unterbesetzte rechte Seite, Tuncay gab nun endgültig eine hängende Spitze. So gelang es den Türken nicht nur, Jankulovski hinten zu binden, sondern vor allem, die tschechische Viererkette auseinander zu ziehen. Die Tschechen bekamen nun gehörige Probleme: Altıntop und Sabri marschierten extrem viel nach vorne und wurden dabei vom schwachen Plašil kaum gehindert. Auf der anderen Seite narrte der rotzfreche Arda im Verbund mit Hakan Balta die andere tschechische Abwehr-Seite. Der alternde Galásek konnte Tuncay überhaupt nicht verfolgen. Kurz: Der Ausgleich für die Türken lag in der Luft und wäre hochverdient gewesen.

Doch es kam anders. Erst schob Koller nach einem Konter den Ball links am Tor vorbei, und dann verletzte sich mit Emre Güngör der nächste Innenverteidiger – ganz davon abgesehen, dass sogar Servet selbst längst nur noch auf Reserve lief. Und noch ehe Aşık mit seinem Turban als Andenken an das zweite Spiel für Güngör eingewechselt werden konnte, nützten die Tschechen das unverhoffte Loch in der Abwehr aus und Plašil verwertete gegen den Spielverlauf zum 2:0.

Schlussphase

Das nahmen die Türken persönlich. Mit dem offensiven Kâzım statt dem Sechser Topal kam zusätzliche Kreativität ins Spiel. Was allerdings zusehends schwand, war die taktische Ordnung im Spiel der Türkei. Altıntop und Kâzım spielten nun beide eher im rechten Halbfeld als auf der Flanke, diese wetzte nun Sabri quasi alleine auf und ab. Zuweilen unterstützt von Arda, der hin und wieder seine linke Seite verließ. Dennoch war das alles nicht so sehr auf lange Bälle gestützt wie noch beim ersten Spiel gegen die Portugiesen. Und nach dem 1:2 durch Arda eine Viertelstunde vor Schluss war der Schockzustand, der nach dem 0:2 so ein wenig geherrscht hatte, endgültig verfolgen.

Brückner besetzte seine Flügel neu – vor allem die schwer unter Beschuss stehende linke Seite hatte er dabei im Auge. Hier kam Rechtsverteidiger Kadlec statt Plašil, womit nun zwei tief stehende gelernte RV die türkischen Angriffe erwarteten. Keine gute Idee, denn so konnten Sabri, Kâzım und Altıntop noch Tempo aufnehmen, von der Überzahl ganz zu schweigen. Und doch: Aus dem vollen Einsatz ohne die echte Ordnung wäre wohl nichts mehr herausgekommen, hätte nicht Petr Čech eine an sich harmlose Flanke von Altıntop vor die Füße von Nihat fallen lassen – das 2:2 in der 87. Minute. Das hätte bedeutet, dass wegen der Punkt- und Torgleichheit der beiden Teams ein Elfmeterschießen über den Platz im Viertelfinale entschieden hätte.

Hätte. Denn nur 65 Sekunden nach Wiederanpfiff schlief Ujfaluši beim nächsten türkischen Angriff das Abseits auf, erneut war Nihat zur Stelle – das 3:2, das Spiel war innerhalb von 14 Minuten komplett gedreht worden. Aber noch längst nicht aus. Denn in der Nachspielzeit ließ sich der türkische Keeper Volkan Demirel dazu hinreißen, Koller umzustoßen – Rot! Tuncay ging für die verbleibenden zwei Minuten ins Tor, er musste aber nicht mehr eingreifen. Die Türkei wurde für die unglaubliche Aufholjagd mit dem Platz im Viertelfinale belohnt.

Endstand der Gruppe: Portugal 6, Türkei 6, Tschechien 3, Schweiz 3

Die Portugiesen waren ohne gröbere Probleme ins Viertelfinale durchmarschiert, so blieben die Schlagzeilen für die Türken. Was es dieser Mannschaft an Talent fehlte – den ohne Frage war die 2008er-Mannschaft vom Bosporus individuell nicht annähernd so gut besetzt wie jene, die 2002 WM-Dritter geworden war – machte sie mit unbändigem Willen wett. Zudem hatten sie mit Fatih Terim einen Trainer, der jederzeit das System und das Konzept komplett umstellen kann, wenn es der Spielverlauf erfordert. All das wurde letztlich verdient mit dem zweiten Gruppenplatz belohnt.

Die Tschechen zeigten eine gute Halbzeit in drei Partien, das war natürlich zu wenig. Erschreckend bieder war die Mannschaft geworden, ohne Talent zum Spielaufbau, berechenbar und oft ungenau. Und darüber hinaus mit einem letztlich fatalen Hang, nich nach eigenen Toren zurückzuziehen. Und die Schweizer? Mussten, wie Co-Gastgeber Österreich, schon nach der Vorrunde die Segel streichen. Auch, wenn einiges an Pech dabei war – die Frei-Verletzung, das unglückliche 0:1 im Eröffnungsspiel, das Last-Minute-Gegentor beim Wasserball-Spiel gegen die Türken – ist dies letztlich dennoch korrekt. Denn bis auf eine gute Organisation und ein kompaktes Auftreten hatten die Eidgenossen wenig zu bieten. Phantasie im Spiel nach vorne fehlte – das sollte zwei Jahre später bei der WM in Südafrika noch viel deutlicher werden.

Das Turnier ging also ohne die auf dem Spielfeld, nichts für ungut, eher langweiligen Schweizer weiter. Dafür mit den unglaublichen Aufholjägern aus der Türkei. Denn die Comebacks gegen die Schweiz und Tschechien waren nicht ihre letzten in diesem Turnier…

(phe)

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