Neid – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Thu, 14 Jun 2018 09:51:47 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 Rio 2016: Neid geht vergoldet, Favoriten unter Wert und ein Rant gegen Teamkollegen https://ballverliebt.eu/2016/08/29/rio-2016-deutschland-neid-schweden-sundhage-solo-pauw-necib-marta/ https://ballverliebt.eu/2016/08/29/rio-2016-deutschland-neid-schweden-sundhage-solo-pauw-necib-marta/#comments Mon, 29 Aug 2016 17:14:42 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=12959 In ihrem siebenten Turnier als Bundestrainerin war Silvia Neid erstmals mit einer Brille aufgereuzt. Das auffällige weiße Modell, passend abgestimmt zur weißen Weste des deutschen Olympia-Teams, suggerierte eine Weiterentwicklung gegenüber der inhaltlichen Kurzsichtigkeit, mit der Neid ihr Team in den letzten Jahren stets auf das Feld geführt hatte. Doch dem Turniersieg zu ihrem Abschied vom Posten zum Trotz: Noch nie haben die DFB-Frauen im Vergleich mit ihrer Gegnerschaft so steinzeitlich und im Vorwärtsgang so ideenarm agiert wie nun in Brasilien.

Wie schon beim EM-Titel 2013 hatte es völlig ausgereicht, in den entscheidenden Momenten keinen kompletten Bockmist zu fabrizieren, um am Ende jubeln zu können. Und auf individuelle Genie-Momente von Dzsenifer Marozsan zu bauen.

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Silvia Neid

Nun, nach elf Jahren im Amt, verabschiedet sich Neid auf ihren neuen Posten im DFB. Ihr IV-Duo mit Saskia Bartusiak (33) und Annike Krahn (31) – gute Spielübersicht, aber technisch limitiert und langsam –, mit dem Neid eine unterschütterliche Nibelungentreue verbunden hatte, lässt das Kapitel Nationalteam ebenso hinter sich. Genau wie Melanie Behringer,  mitten in ihrem zweiten Frühling. Ein recht radikaler Schnitt steht bevor. Personell zumindest. Und auch was die inhaltliche Ausrichtung angeht, ist bei Deutschland eine völlige Neukonzeption nötig.

Neids Amtszeit kann man gut in zwei Abschnitte trennen: Vor der Heim-WM 2011 und nach jenem Turnier. Davor verfügte Neid über das mit recht dramatischem Abstand beste Team der Welt, spazierte 2007 zum WM-Titel und wurde dabei nur ein einziges Mal gefordert. 2009 bei der EM sehen die Ergebnisse klarer aus als die Spiele waren (vor allem das 6:2 über England im Finale, wo der Gegner bis zur 70. Minute mithielt und erst danach komplett einbrach), aber wirklich gefährdet war dieser Titelgewinn auch nicht.

Erst überlegen sein…

Das DFB-Team profitierte von der überragenden körperlichen Konstitution seiner Spielerinnen, in sich auf die drei dominiernden Klubs jener Zeit aufteilten (Frankfurt, Potsdam und Duisburg). Und davon, dass man einfach so viel besser war als alle anderen, dass man sich gar nicht speziell taktisch auf die Konkurrenz einstellen hätte müssen.

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Neid war 11 Jahre Teamchefin.

Dann kam die Heim-WM. Hier traten Neids Defizite in taktischer Hinsicht genauso wie in puncto Teamführung erstmals offen zu Tage. Unter der immensen Erwartungshaltung der Öffentlichkeit – weltweit dominierendes Team des letzten Jahrzehnts, Heim-Turnier, großer medialer Push – und nach einem harzigen Spiel zum Auftakt vor 75.000 in Berlin gegen Kanada (2:1) überließ Neid die formschwache Birgit Prinz, beste Stürmerin und Aushängeschild des Teams, mit ihren Selbstzweifeln auf der Schlachtbank der Öffentlichkeit.

Deutschland agierte vorhersehbar, starr, wirkte von der Aufmerksamkeit gelähmt und erhielt von Neid keine erkennbare mentale Rückendeckung. Im Viertelfinale war dann erstmals ein Team da, dass sowohl wirklich gut war und dem DFB-Team auch inhaltlich überlegen – Japan. Neid hingegen blieb nach der frühen Kreuzbandverletung von Sechser Kim Kulig (der letztlich ihre vielversprechende Karriere beendete) in ihrem strikten 4-4-2, obwohl das gewechselte Personal nicht mehr passte. Japan gewann und wurde eine Woche später Weltmeister.

…dann hinterher hecheln

Damit begann der zweite Abschnitt von Neids Amtszeit. Frankreich war vom reinen Talent her an Deutschland vorbeigezogen, Schweden hatte sich konsolidiert; selbst aber war man in der Entwicklung stecken geblieben. Bei der EM 2013 spielte man eine mäßige Vorrunde, quälte sich danach auch mit etwas Glück (v.a. beim Halbfinale gegen Schweden) ins Finale, wo Gegner Norwegen gleich zwei Elfmeter verschoss und Deutschland 1:0 siegte.

Spätestens 2015 bei der WM wurde klar, dass Deutschland – im Gefühl der totalen Überlegenheit der ersten sechs Neid-Jahre – den Zug zum modernen, taktisch ausgeklügelteren Spiel komplett verpasst hatte. Es war immer noch das selbe 4-4-2 (obwohl es der DFB nun, warum auch immer, als 4-2-3-1 zu verkaufen versuchte). Es war immer noch der selbe Flügelfokus (der mit den Jahren sogar noch ärger wurde). Es waren immer noch Zweikämpfer statt Spieleröffner in der Innenverteidigung.

Ein in Identitätskrise und Grüppchen zerfallendes schwedisches Team war im Achtelfinale noch leichte Beute. Aber Frankreich und die USA zeigten in Viertel- und Halbfinale die tiefgraue Altbackenheit des Teams auf, England im kleinen Finale auch.

Experimente und Alternativen werden verweigert

Selbst in Qualifikationen zu EM und WM, die selbst eine deutsche U-19-Auswahl ohne nennenswerte Probleme erfolgreich absolvieren würde, achtete Neid daruf, jeden noch so unterlegenen Gegner möglichst zweistellig abzuschießen, anstatt gefahrlos alternative Matchpläne oder gar echte Experimente zu wagen (wie etwa England das hervorragend macht).

Auch personell gab es in den elf Jahren so gut wie keine Veränderungen, die Neid nicht von Verletzungen (vor allem vor der EM 2013) oder Rücktritten aufgezwungen worden wären.  Das 4-3-3, das kurz vor Neids nunmehr letztem Turnier in Rio 2016 installiert wurde, war so gesehen eine ähnlich angenehme Überraschung wie die invers aufgestellten Außenverteidiger (Maier links statt rechts, Kemme rechts statt links). Aber im Grunde verstärkte diese Maßnahme nur die fast schon krampfhafte Verlagerung auf die Außenbahnen.

Olympia: Schlechteste Vorrunde der DFB-Geschichte

Die Folge war die schlechteste Gruppenphase, die vermutlich jemals ein deutsches Frauen-Team absolviert hat. Einem mühseligen 6:1 gegen Simbabwe folgte das Spiel gegen Australien, in dem Deutschland nach Stich und Faden hergespielt wurde. Australien agierte schneller, härter, direkter, besser im Umschalten auf die Offensive, ohne wirkliche Löcher in der Defensive. Das DFB-Team wurde hergespielt und lag zwischenzeitlich 0:2 zurück. Nur weil Australien zahlreiche Chancen auf das dritte, vierte und fünfte Tor ausließ, rettete in der Nachspielzeit ein über die Linie genudelter Eckball noch das deutsche 2:2.

Im dritten Match gegen Kanada wurde man vom überaus intelligent eingestellten Team inhaltlich ausmanövriert. Ohne die üblichen Aufbauwege und mit viel eigenem Ballbesitz kam man weder spielerisch vor das Tor, noch konnte man den Gegner hoch anpressen. Das deutsche Spiel zerfiel in Einzelaktionen und Ratlosigkeit. Man verlor 1:2.

Stets stark: Die mentale Komponente

Die sicherlich größte Stärke von Neid-Teams – vor allem nach 2011 – war die mentale Kraft. Deutschland hatte im 2013er-Halbfinale gegen Schweden praktisch null Chance. Wurde im 2015er-Viertelfinale von Frankreich nach Strich und Faden lächerlich gemacht. Man gewann beide Spiele, weil man dennoch niemals in Hektik verfiel. Es gab keine Frust-Fouls, kein äußerliches Anzeichen von Verzagtheit. So groß konnte die spielerische Ratlosigkeit gar nicht sein, dass man darüber die Nerven verlor.

Nur so gelang es dann auch, das eigentliche Schlüsselspiel bei Olympia 2016 – das Halbfinale gegen Kanada – zu gewinnen. Anders als bei der WM im eigenen Land vor einem Jahr erwartete in Rio 2016 niemand etwas von Kanada, so konnte man befreit aufspielen, gewann als einziges Team alle drei Vorrunden-Spiele und kickte im Viertelfinale Gold-Kandidat Frankreich aus dem Turnier. Als man dann als Favorit ins Halbfinale gegen Deutschland ging, war’s allerdings wieder vorbei mit der Lockerheit. Kanada agierte so verkrampft wie letztes Jahr bei der WM, Deutschland ging routiniert mit der Drucksituation um und gewann verdient.

Zehn Monate für den Neustart

2016 08 16 Ger-Swe 2-1
Deutschland – Schweden 2:1 (Finale)

Nach dem ebenso verdienten 2:1-Finalsieg gegen eine schwedische Truppe (Deutschland hatte da alle Versuche und Änderungen zurückgenommen, spielte wieder im alten 4-4-2), die zuvor den Weltmeister und den Gastgeber jeweils im Elfmeterschießen besiegt hatte, übernimmt nun Steffi Jones gemeinsam mit ihren Co-Trainern Marcus Högner und Verena Hagedorn. Es ist zu erwarten, dass Högner (der viele Jahre sehr solide Arbeit bei Bundesliga-Mittelständler Essen geleistet hat) und Hagedorn (die schon länger im DFB-Stab ist) die hauptsächliche inhaltliche Arbeit erledigen und Jones das prominente Gesicht des DFB-Teams wird.

Jones war in den Neunziger- und Nuller-Jahren als Libero bzw. im defensiven Mittelfeld eine feste Größe im Nationalteam und danach OK-Chefin der Heim-WM 2011. Sie kann aber auf keinerlei Erfahrung als Trainerin zurückgreifen – abgesehen vom letzten Jahr, als sie als „Co“ von Neid an die Mannschaft herangeführt wurde. Wenn man sie als „Franz Beckenbauer des Frauenfußballs“ bezeichnen würde, wäre das Jones gegenüber angesichts der zunehmenden Gaga-Aussagen des Kaisers unfair, ihr Werdegang innerhalb des DFB ähnelt sich aber zumindest.

Sie hat nun zehn Monate Zeit, um zwischen Rio 2016 und der EM 2017 in Holland (für die Deutschland längst qualifiziert ist) ein neues Team ohne Behringer, Bartusiak und Krahn zu formen. Das wird spannend, weil es gerade in der Innenverteidigung – von Jo Henning abgesehen – keine gibt, die Neid auch nur nominiert hat. Denkbar ist, dass Lena Goeßling vom DM in die IV zurückgeht – vor allem für den Aufbau wäre das ein dramatischer Schritt nach vorne. Außerdem hat sie für Wolfsburg schon in genau dieser Rolle agiert.

Auch was den Spielaufbau, die Anlage und die Raumaufteilung angeht, ist es durchaus denkbar, dass Jones, Högner und Hagedorn Anpassungen vornehmen, um das Team varbiabler und vielseitiger zu machen. Es werden auf jeden Fall spannende nächste Monate für das deutsche Team.

olympia

Die anderen Teams bei Rio 2016

Schweden ist mit dem Finale zwei Runden weiter gekommen, als man sich realistischerweise erwarten hatte können. Nach einem mühsamen 1:0-Auftakterfolg über Südafrika – dem einzigen Sieg in 90 Minuten im ganzen Turnier – lief man Brasilien ins offene Messer, verlor 1:5. Daraufhin schaltete Teamchefin Pia Sundhage wieder in den Survival-Modus, den man schon im Quali-Turnier gesehen hat: Defensives 4-5-1, Gegenstöße in die Schnittstellen zwischen AV und IV der Gegner mit den schnellen Schelin und Schough auf den Außen und mit den jungen Rolfö bzw. Blackstenius vorne.

Das reichte zu drei Remis gegen China (0:0), USA (1:1) und Brasilien (0:0). Es war weder besonders anregend noch besonders unterhaltsam, aber der extrem pragmatische Minimalisten-Fußball erfüllte seinen Zweck. Recht schnell nach dem verlorenen Finale freute man sich über das völlig unerwartete, gewonnene Silber, anstatt dem verpassten Gold nachzutrauen.

Nach dem WM-Desaster letztes Jahr stand Sundhage schon vor der Entlassung, die mit mehr Glück als Geschick überstandne Olympia-Quali schien ihr bestenfalls Galgenfrist zu gewähren. Nun würde sie wieder fest im Sattel sitzen, sollte sie das wollen. Die 56-Jährige, auf die medial im letzten Jahr viel (und auch zu Recht) eingeprügelt wurde, ziert sich aber noch mit einer festen, längerfristigen Zusage.

Das übers Turnier gesehen wohl beste Team war jenes aus Kanada. Alleine an der mentalen Komponente müsste John Herdman noch ein wenig feilen.

Gefallene (Mit-)Favoriten…

USA - Frankreich 1:0 (Gruppenspiel)
USA – Frankreich 1:0 (Gruppenspiel)

Die USA absolvierte bei Rio 2016 eine ziemlich souveräne Gruppenphase mit einem 1:0-Sieg über Frankreich, zerschellte dann aber im Viertelfinale am Schweden-Beton. Das auf dem Papier das schlechteste Abschneiden bei einem WM- oder Olympia-Turnier überhaupt ist aber eher nur eine verpasste Chance als wirklich ein größeres Drama. Mit einem Turnier-Sieg hätte man die kommenden drei Jahre als praktisch unantastbares Nummer-eins-Team der Welt verbracht. Bis zur WM 2019 spielen die USA kein wirklich relevantes Pflichtspiel mehr.

Dennoch: Man verfügt über den vermutlich besten Kader der Welt und hat mit Pugh, Horan und Dunn auch mit Augenmaß verjüngt, ohne an Qualität einzubüßen. Lediglich die Torhüter-Position wird 2019 womöglich nicht mehr absolute Weltklasse besetzt sein – Hope Solo arbeitet ja gerade fleißig an einem unrühmlichen Karriere-Ende.

Bei Frankreich war alles wie immer: Problemlose Vorrunde, aber fehlender Punch in der K.o.-Runde. Das 0:1 gegen die USA in der Gruppe war für sich gesehen nicht schlimm, aber es zeigte schon auf, woran man ein paar Tage später im Viertelfinale gegen Kanada gescheitert ist. Es fehlt das Selbstverständnis, wenn man einem Spielstand hinterher jagen muss. Klar: Das müssen die Französinnen, die überwiegend in Lyon spielen, im Klub so gut wie nie. Gute Spiele gewinnen sie dort 9:0, weniger gute Leistungen reichen immer noch zu lockeren 3:0-Siegen. So steht wieder einmal ein viel zu frühes Ausscheiden. Der Druck bei der Heim-WM 2019 – dann ohne Louisa Nécib, die ihre aktive Karriere beendet – wird dadurch nicht kleiner.

Brasilien fing toll an – 3:0 gegen China, 5:1 gegen Schweden. Obwohl personell nur an zwei, drei Positionen verändert, war es ein völlig anderes Team als bei der schwachen WM vor einem Jahr. Nicht nur Marta zeigte Spiellaune, auch das Pressing funktionierte, auch andere Spielerinnen – wie Beatriz oder das ZM mit Formiga und Thaisa – übernahmen Verantwortung. Aber als es darum ging, das in den entscheidenden Spielen zu zeigen, war auf einmal nicht mehr viel los. Nach einem Viertelfinale-0:0 gegen Australien im Elferschießen weitergekommen, nach einem Halbfinal-0:0 gegen Schweden im Elferschießen gescheitert, nicht komplett genug im Bronze-Spiel gegen Kanada. Man weiß also nicht so recht, wie man das Turnier aus Sicht von Brasilien einordnen soll.

…und der Rest

2016 08 12 Bra-Aus 0-0 nV
Brasilien – Australien 0:0 nV, 7:6 iE (Viertelf.)

Australien hätte fast Geschichte geschrieben mit einem hochverdienten Sieg gegen Deutschland, die fehlende Qualität im Abschluss und zu viele vergebene Chancen waren der Sargnagel. Im Viertelfinale neutralisierte man Brasilien in einem Spiel, bei dem schon in der 10. Minute klar schien, dass noch weitere 110 Minuten kein Tor fallen würde. Olympia war für die Matildas weder eine Enttäuschung, noch ein signifikanter Schritt nach vorne: Man ist eine konstante Viertelfinal-Truppe.

Für China war Rio aber sehr wohl eine Enttäuschung, obwohl man es wie Australien ins Viertelfinale geschafft hat. Aber unter Ex-Frankreich-Coach Bruno Bini konnte China nie an das starke Quali-Turnier anknüpfen: Beim 0:3 gegen Brasilien war man nur körperlich anwesend. Gegen Südafrika gab es einen biederen Arbeitssieg. Gegen Schweden keine echten Anstrengungen, den Beton zu knacken. Und eine schwache deutsche Mannschaft baute man mit seltsamer Passivität auf.

Neuseeland hat endlich mal wieder einen Sieg bei einem großen Turnier eingefahen, das 1:0 gegen Kolumbien war aber zu wenig für das Viertelfinale; beide konnten wie erwartet Frankreich und USA keine Paroli bieten. Die Glückskinder aus Simbabwe verteidigten sich rustikal, kassierten von Deutschland nur sechs Gegentore und von Kanada gar nur drei. Das war zwar im Ganzen weit weg davon, reif für ein großes Welt-Turnier zu sein, war aber gemessen am Potenzial okay.

Ärgerlich und traurig: Vera Pauw und Hope Solo

Südafrika zog sich sehr achtbar aus der Affäre: Nur knappe Niederlagen gegen Schweden und China und ein schönes Remis gegen Brasilien. Man hätte mit großer Zuversicht in die Qualifikation für die WM 2019 gehen können, wäre da nicht der Rücktritt von Südafrikas holländischer Teamchefin Vera Pauw – sie hatte tolle Aufbauarbeit geleistet, warf nach dem Turnier aber die Brocken hin. Torhüterin Roxanne Barker ist sehr sauer, aber weniger auf Pauw, sondern auf einige ihrer Teamkolleginen:

„Unverantwortliche Spieler… Die Leute wissen nicht mal die Hälfte von dem, was Vera alles erdulden musste. Es ist furchtbar, wie ein Haufen von ,Frauen‘ sich wie fünfjährige Gören aufführen! Sobald die Trainerin sie nicht aufstellt, werfen sie ihr Spielzeug aus dem Gitterbett. Vera ist das Beste, was Südafrikas Frauenfußball jemals passiert ist und der Beweis ist der Fortschritt, den wir unter ihr gemacht haben. Wenn wir vereint aufgetreten wären, wären wir im Turnier noch weiter gekommen. Es ist eine Schande! Sie hat ihre Heimat und ihren Ehemann für zwei Jahre hinter sich gelassen, um eine bessere Zukunft für diese Mädchen zu schaffen, und diese drehen sich einfach um und verhalten sich so…“

Die andere, medial natürlich deutlich größer gespielte Personalie nach dem olympischen Turnier ist jene von Hope Solo. Die US-Torfrau hatte sich nach dem Viertelfinale in einem Field-Interview zu der Aussage herabgelassen, Schweden habe „wie ein Haufen von Feiglingen“, gespielt, „like a bunch of cowards“. Das war nicht besonders freundlich und so gut wie alle ihre Teamkolleginnen haben auch von dieser Aussage distanziert. Aber wirklich skandalös war die Aussage, noch dazu vollgepumpt mit Adrenalin ein paar Minuten nach dem Spiel, auch nicht. Jedenfalls für sich gesehen sicher kein Grund für den US-Verband, Solo für ein halbes Jahr zu sperren.

War es auch nicht. Es war nur ein willkommener Anlass.

Solo, mittlerweile 36 Jahre alt und immer noch eine der besten Torhüterinnen der Welt, ist abseits des Rasens nicht gerade unumstritten. Ihre Festnahme wegen Fahrlässiger Körperverletzung (Juni 2014) bzw. der fällige Gerichtsprozess (Jänner 2015) führten zu keiner Strafe, ihr Widerstand gegen die Staatsgewalt bei einer 1,5-Promille-Fahrt ihres damaligen Ehemannes (Februar 2015) zu einer nur 30-tägigen Sperre. Hintergrund: Ein paar Monate später war die WM, da wollte man nicht auf Solo verzichten müssen.

Nun endet ihr Vertrag mit dem US-Verband ohnehin in ein paar Monaten. Das ist die Gelegenheit, gegenüber Solo mal Konseqenz zu zeigen. Und das macht Verbands-Boss Sunil Gulati nun. Solo hat ihre (noch bis Oktober laufende) Saison beim US-Profiklub Seattle Reign – die von der Sperre nicht betroffen gewesen wäre – mittlerweile ebenfalls für beendet erklärt.

Die Vermutung liegt nahe, dass das Viertelfinale gegen Schweden ihr letztes Fußball-Pflichtspiel gewesen ist.

Ein Wort noch zum Männer-Turnier

Brasilien hat im Männer-Turnier von Rio 2016 im Finale Deutschland im Elferschießen bezwungen, Nigeria sicherte sich die Bronze-Medaille. Da es sich bei den Herren aber um ein Turnier voll mit Teams handelt, die reine Kunstprodukte sind und für das größere Narrativ im Weltfußball keine wirkliche Relevanz hat, lassen wir das hier auch mal außen vor.

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Die Erkenntnisse der Frauen-WM 2015 https://ballverliebt.eu/2015/07/07/die-erkenntnisse-der-frauen-wm-2015/ https://ballverliebt.eu/2015/07/07/die-erkenntnisse-der-frauen-wm-2015/#comments Tue, 07 Jul 2015 18:32:35 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=11224 Die Erkenntnisse der Frauen-WM 2015 weiterlesen ]]> Es war die goldene Idee von Jill Ellis und ihrem „Co“, Tony Gustavsson – auch wenn es für manche im ersten Moment wie Majestätsbeleidigung aussah. Ab dem Viertelfinale gab es für Weltrekord-Stürmerin Abby Wambach keinen Platz mehr in der Startformation des US-Teams. So kam Schwung ins Spiel, was mit dem WM-Titel belohnt wurde.

Nach dem souveränen 5:2-Finalsieg über Japan manifestiert sich darin die größte Erkenntnis der 7. Frauen-WM: Eine funktionierende Taktik, adaptierte Matchpläne und ein homogenes Teamgefüge sind nun auch bei den Frauen endgültig wichtiger als individuelle Klasse. Das zeigte neben den USA vor allem England. Es gibt aber noch einige andere Schlüsse, die sich ziehen lassen.

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Richtig: Reagieren, wenn es notwendig ist

Abby Wambach ist 35 Jahre alt. Die Schnellste war sie nie, dafür immer ein Brecher im gegnerischen Strafraum. Wambach ist, was im unschönen, alten Fußballdeutsch gerne auch „Sturmtank“ genannt wird: In der Box stehen und warten, dass die Flanken geflogen kommen. Nicht umsonst erzielte sie über ein Drittel ihrer fast 200 Länderspieltore mit dem Kopf.

Nach einer zähen Vorrunde und einem giftigen Spiel voller alter Ressentiments im Achtelfinale gegen Kolumbien war endlich auch Jill Ellis und Tony Gustavsson klar geworden, dass Wambach das Spiel verlangsamt und eindimensional macht – gegen die immer intelligenter spielende Konkurrenz sah das 4-4-2 mit der Immobilie Wambach vorne sehr altbacken aus, es fehlte die Verbindung zwischen Mittelfeld und Angriff. Also startete im Viertelfinale gegen China Amy Rodriguez statt ihr, im Halbfinale gegen Deutschland und im Finale gegen Japan dann – der Glücksgriff – Carli Lloyd.

USA - Japan 5:2 (4:1)
USA – Japan 5:2 (4:1)

So spielte neben bzw. hinter einer wendigen und mobilen Spitze (Alex Morgan) eine aktive Halbstürmerin, die als gelernter Sechser großes Spielverständnis hat, sich viel zurück fallen ließ. So war es möglich, im Zentrum effektiv zu pressen: Genau das hatte man mit dem Loch hinter Wambach vermieden, weil man sonst zu große Räume aufgemacht hätte. Damit schaltete man das deutsche Mittelfeld-Zentrum (mit Goeßling und Leupolz) aus und dominierte auch Japan – vor allem in der Anfangsphase, als dort noch Utsugi und Sakaguchi spielten. Als die Umstellung auf Sawa und Miyama kam, lag die USA schon 4:0 voran.

Mit der gesteigerten Präsenz in der Mitte zwang man die Gegner zu vermehrtem Aufbau über die Flügel. Dort aber hatten die USA ein deutliches Athletik- und Qualitätsplus, das sie auch auszuspielen vermochten.

Falsch: Nicht reagieren, wenn es notwendig wäre

Dass Silvia Neid nur eine Verwalterin von Talent, aber keine gerissene Verfasserin von Matchplänen ist, wurde schon vor zwei Jahren bei der EM bemängelt. Wie sehr sich die 51-Jährige aber auch diesmal als stockkonservativer Betonkopf benehmen würde, schockierte selbst die deutschen Beobachter. „Deutschland spielt seit zehn Jahren gleich“, wundert sich auch ÖFB-Teamchef Dominik Thalhammer. Ein 4-4-2 (das, warum auch immer, beim DFB konsequent als 4-2-3-1 verkauft wird), Athletik, hohes Pressing, Spiel über die Außen. Auch personell war Deutschland das berechenbarste und unflexibelste Top-Team des Turniers.

Deutschland - USA 0:2 (0:0)
Deutschland – USA 0:2 (0:0)

Selbst nach dem Viertelfinale gegen Frankreich wurde nichts in Frage gestellt, obwohl man 45 Minuten lang hergespielt wurde wie 13-jährige Schulmädchen und erst ins Spiel fand, als Frankreich Élodie Thomis auswechselte. Man glaubte, mit dem routinierten, aber langsamen IV-Duo Krahn/Bartusiak bestmöglich aufgestellt zu sein. Glaubte nicht, dass Gegner die eklatanten Schwächen von Célia Sasic bei der Ballanahme im Lauf nicht bemerkt hätten. Glaubte nicht, dass sich Lena Goeßling weiterhin verstecken würde, anstatt Verantwortung zu übernehmen.

Und vor allem glaubte man nicht, dass es nötig war, den Gegnern mal etwas zum Überlegen zu geben, weil man ja eh so einen guten Kader hatte, der es im Zweifel schon richten würde. Auch glaubte Neid, auf In-Game-Coaching verzichten zu können und reagierte auf die unerwartete Formation der USA genau überhaupt nicht.

Anders gesagt: Alle weiterentwickelnden Elemente, die Jogi Löw bei den Herren in den letzten fünf Jahren verfolgt hat, sind praktisch spurlos an Silvia Neid vorüber gegangen. Stillstand aus der Annahme heraus, dass man den anderen ohnehin überlegen wäre. Dass Neid nach dem Aus den Schwarzen Peter an die Liga weiterschob, ist eher ein Zeichen von schlechtem Stil und mangelnder Selbstkritik als ernstzunehmende Kritik.

Flexibilität ist gefragt – wie bei England

Wenn man nicht über Weltklasse-Spielermaterial verfügt, muss man halt umso mehr überlegen – gerne auch speziell auf den Gegner abgestimmt. Das haben viele Verantwortliche verstanden. So wie Martina Voss-Tecklenburg, die etwa in einem Spiel ihre Stürmerinnen Bachmann und Dickenmann auf die Flügel stellte und ihre Flügelspielerinnen (Humm und Crnogorcevic) dafür ganz nach vorne. Oder auch so wie Carl Enow, Teamchef von Kamerun. Dieser wies seine vier Offensivkräfte im 4-2-3-1 an, permanent zu rochieren. Das stiftete heftige Unruhe bei den Abwehrreihen von Ecuador und Schweiz und wurde mit dem überraschenden Gruppenplatz zwei belohnt.

Kanada - England 1:2 (1:2)
Kanada – England 1:2 (1:2)

Vor allem aber wie bei England. Mark Sampson, 32-jähriger Waliser, hat vor zwei Jahren einen wilden Haufen ohne jede Ordnung und ohne wirkliche Spielidee von Hope Powell übernommen und formte das flexibelste Team des Turniers. Auf jeden Gegner stellte er sein Team neu ein, bediente sich in den sieben Spielen aus einem Repertoire an sechs verschiedenen Systemen (im Achtelfinale gegen Norwegen sogar drei in einer Halbzeit) und machte es anderen Trainern damit sehr schwer, sich auf die Lionesses vorzubereiten.

Zum Start gab es mit einem 4-1-4-1 eine knappe Niederlage gegen Frankreich, dann Siege gegen Mexiko und Kolumbien mit einem 4-3-3 und einem 4-3-1-2. Im Achtelfinale startete man mit einem 4-4-1-1 gegen Norwegen, im Viertelfinale mit einem 4-2-3-1 gegen Kanada, ehe man Japan im Halbfinale mit einem 4-1-4-1 am Rande der Niederlage hatte. Im kleinen Finale schließlich schaltete man Deutschland mit einem 5-4-1 aus, indem man das DFB-Team zu Steilpässen auf Sasic zwang und man dieser den Platz zur Ballannahme nahm.

Sampson nützte die zwei Jahre mit einer leichten Quali-Gruppe, um sein individuell weiß Gott nicht überragendes Team möglichst auf alle Gegebenheiten vorzubereiten. Neid nützte die zwei Jahre mit einer leichten Quali-Gruppe, um mit der immer gleichen Taktik die unterlegene Konkurrenz möglichst zweistellig zu besiegen. Was wohl nachhaltiger ist?

Was nicht mehr geht: Ein Star, zehn Zuarbeiter

Brasilien ist das klassische Beispiel eines Teams, das im Grunde nur aus einer Spielerin besteht und deren Form bzw. deren Launen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Nun ist Marta zwar eine Spielerin, der man an einem guten Tag alles zutrauen kann. Die 29-Jährige ist aber auch eine launenhafte Diva, von der man nie so genau weiß, was für einen Tag man bekommt.

Brasilien - Australien 0:1 (0:0)
Brasilien – Australien 0:1 (0:0)

Bei dieser WM jedenfalls hat sich Marta in den Gruppenspielen gegen Südkorea (2:0) und Spanien (1:0) nach Kräften versteckt und wurde im dritten Spiel gegen Costa Rica (1:0) geschont. Als es im Achtelfinale gegen die aggressive australische Mannschaft darauf ankam, war sie aber wieder nur körperlich anwesend. Für ihr ansonsten sehr durchschnittlich besetztes Team mit wenig internationaler Erfahrung war das das Todesurteil.

Mit diesem Zugang ist Brasilien aber ohnehin eine aussterbende Spezies. Allenfalls Nigeria kann man von den Teilnehmern noch annähernd in diese Kategorie einordnen (mit den Stürmerinnen Oshoala und Oparanozie). Andere Vertreter dieser Kategorie haben sich erst gar nicht qualifiziert, so wie etwa Italien (mit Patrizia Panico), Äquatorialguinea (mit Genoveva Anonma) oder Südafrika (mit Portia Modise).

Auch die Psyche muss halten

Kanada ist ein grundsätzlich gut besetztes Team mit einem versierten Trainer. Aber die mentale Blockade, die hohen Erwartungen, die vollen Stadien: Sie schienen das kanadische Team zu lähmen.

Kanada - China 1:0 (0:0)
Kanada – China 1:0 (0:0)

An Kapitänin Christine Sinclair – erst ganz vorne aufgeboten, dann auf dem Flügel – liefen die Spiele vorbei. Sophie Schmidt, die für die Gestaltung nach vorne verantwortlich war, bekam die Spiele nicht aufgezogen. Die Innenverteidigung, vor allem Lauren Sesselmann, war so erschreckend unsicher, dass es verwunderlich ist, dass John Herdman sie nach einer Nachdenkpause dann in der K.o.-Phase doch wieder einsetzte. Fast folgerichtig, dass das erste Tor gegen England beim 1:2 im Viertelfinale aus einem schlimmen Patzer von Sesselmann resultierte.

Das Viertelfinal-Aus gegen England war folgerichtig, zumal von internen Reibereien die Rede war – Melissa Tancredi hatte sich nach dem Achtelfinale verplappert. Aber auch bei anderen an sich hoch gehandelten Teams scheiterten zu einem großen Teil an ihrer Psyche, wie etwa Schweden. So gab es im Vorfeld des Turniers eine kleine Spieler-Revolte, als sich der Kader für die Rückkehr zum gewohnten 4-4-2-System aussprach – Teamchefin Sundhage knickte ein. Die Folge waren Leistungen, so hölzern und unzusammenhängend, dass niemand Normalform erreichte und man nach drei Remis in der Vorrunde danach im Achtelfinale in ein 1:4-Debakel gegen Deutschland lief.

Frankreich - Deutschland 1:1 n.V. (1:1, 0:0), 4:5 i.E.
FRA – GER 1:1 n.V. (1:1, 0:0), 4:5 i.E.

Der größte Fall von Selbstfaller war aber einmal mehr Frankreich. Das Team des nächsten WM-Gastgebers 2019 war, da sind sich die Beobachter einig, das klar kompletteste und beste Team des Turniers gewesen und auch auf die 0:2-Pleite in der Vorrunde gegen Kolumbien schien den Fokus nur noch zu schärfen. Das zeigten das 5:0 gegen Mexiko und das 3:0 gegen Südkorea eindrucksvoll.

Auch im Viertelfinale gegen Deutschland war Frankreich das deutlich bessere Team, zumindest bis nach 75 Minuten die pfeilschnelle Flügelspielerin Thomis ausgewechselt wurde. Nach einer halben Stunde hätte es schon 3:0 stehen müssen, noch in der 119. Minute stand Thiney alleine vor dem Tor. So ging es aber wieder einmal viel zu früh raus, im Elfmeterschießen.

Die Beispiele von Kanada, Schweden und Frankreich zeigen eindrucksvoll, dass die grundsätzliche Fähigkeit nicht ausreicht. Eine stabile Psyche ist unerlässlich.

Routine ist wichtig

Die USA stellten die älteste Stammformation des Turniers (28,8 Jahre), Japan die drittälteste (27,8 Jahre). Auch das deutsche Team (27,3 Jahre) und das englische (27,6 Jahre) sind auf der erfahrenen Seite. Alle Halbfinalisten haben schon tonnenweise Turnier-Erfahrung in den Beinen und den Köpfen.

Andererseits konnte aber kein einziger der Debütanten wirklich überzeugen. Holland war bei den letzten zwei EM-Turnieren dabei, aber eine WM ist dann doch noch einmal was anderes. Man schleppte sich ins Achtelfinale, dort war man gegen Japan chancenlos. Oder die hoch gehandelten Schweizer, die in der Vorrunde gegen Kamerun verloren. Die Spanier, die sich im Infight mit ihrem sozial-unkompetenten Teamchef aufrieben.

Dazu die unglaublich naiven Vorstellungen von Côte d’Ivoire (0:10 gegen Deutschland) und Ecuador (1:10 gegen die Schweiz). Lediglich Thailand (nicht so schlimm wie befürchtet), die erstaunlich aufregende Mannschaft aus dem Kamerun (Sieg über die Schweiz, nur knappe Niederlage im Achtelfinale) und das grundsolide Team aus Costa Rica (wo vor allem die 28-jährige Teamchefin Amelia Valverde Spaß machte) blieben nicht unter den Erwartungen.

Die Besten

Hope Solo und Nadine Angerer waren die klar besten Torhüter im Turnier, die US-Innenverteidigung mit Julie Johnston und Becky Sauerbrunn ließ nur drei Gegentore zu – bei einem 3:1- und einem 5:2-Sieg. Tabea Kemme war die einzige Feldspielerin bei Deutschland, die wirklich überzeugen konnte (bis auf die 75 Minuten gegen Élodie Thomis im Viertelfinale), Ariyoshi bei Japan machte rechts einen defensiv soliden und offensiv gefährlichen Eindruck.

Die Engländerin Fara Williams war das Mittelfeld-Gehirn in jeder der sechs Formationen der Lionesses, Elise Kellond-Knight war Staubsauger, Spieleröffnerin und Pressing-Maschine in Personalunion bei Australien. Beide spielten ein beeindruckendes Turnier, ebenso wie Amandine Henry. Sie stahl ihrer eigentlich profilierteren Kollegin im französischen Zentrum, Cammy Abily, eindeutig die Show.

Das Ballverliebt-All-Star-Team
Das Ballverliebt-All-Star-Team

Frankreichs Sprintrakete Thomis war eine kaum zu stoppende Waffe – warum Philippe Bergeroo sie im Viertelfinale gegen Deutschland vorzeitig vom Platz nahm, ist eines der großen Mysterien des Turniers. Gaelle Enganamouit, die Kamerunerin mit der auffälligen blonden Mähne, konnte ebenfalls überzeugen. Ebenso wie natürlich Carli Lloyd, die im US-Team erst auf der Sechs gesetzt war und dann auf die Zehn aufrückte.

Nur vorne ist es so eine Sache. Célia Sasic wurde Schützenkönigin, aber drei ihrer sechs Tore gelangen gegen Côte d’Ivoire und zwei weitere per Elfmeter; in der entscheidenden Turnierphase war sie eine der schlechtesten Deutschen. Auch Anja Mittag war nicht da, als es darauf ankam. Selbiges gilt für Frankreichs Sturmduo mit Eugenie le Sommer und Marie-Laure Delie. Bei Japan war Joker Mana Iwabuchi wesentlich torgefährlicher als die Stammkräfte Yuki Ogimi und Shinobu Ohno.

Aber auch das ist eine Erkenntnis: Wenn es hart auf hart kommt (und halt nicht gegen Côte d’Ivoire, Mexiko oder Ecuador) hat der klassische Poacher ausgedient.

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Die endgültige Abkehr von der Eigeninitiative: Umschaltspiel nun auch bei den Frauen „in“ https://ballverliebt.eu/2013/08/02/die-endgultige-abkehr-von-der-eigeninitiative-umschaltspiel-nun-auch-bei-den-frauen-in/ https://ballverliebt.eu/2013/08/02/die-endgultige-abkehr-von-der-eigeninitiative-umschaltspiel-nun-auch-bei-den-frauen-in/#comments Thu, 01 Aug 2013 23:48:31 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=9272 Die endgültige Abkehr von der Eigeninitiative: Umschaltspiel nun auch bei den Frauen „in“ weiterlesen ]]>

Es sah so aus, als wäre Norwegen dazu bestimmt, Schwedens EM-Erfahrungen bei diesem Turnier innerhalb eines Matches im Schnelldurchgang zu absolvieren. Zwei schwache Elfmeter in einem Spiel, beide pariert? Japp. Ein Stellungsfehler zum 0:1 gegen Deutschland? Das vermeintliche 1:1 erzielen, das wegen Abseits nicht zählt? Oh ja. Gegen Deutschland verlieren? Auch.

– Simon Bank, Aftonbladet, 29. Juli 2013

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„Vor der Raserei der Nordfrauen bewahre uns, gnädiger Herrgott!“ – Cover des Sportteils von Aftonbladet nach dem Viertelfinale

Einerseits hat die EM-Endrunde 2013 die Hierarchien im Frauenfußball aufgeweicht. Spanien etwa, eigentlich ein irrelevantes Land, bestätigte den bei diversen Junioren-Turnieren gezeigten Aufwärtstrend, kam in Viertelfinale. Ebenso wie Island, ein Team, das zuvor bei einer EM noch nie einen Punkt holen konnte. England, Finalist von 2009, und Holland, Halbfinalteilnehmer vor vier Jahren, krachten dafür schmählich in der Vorrunde raus.

Andererseits aber hat das Turnier die Hierarchien aber auch bestätigt. Deutschland holte mal wieder den Titel – zum sechsten Mal in Serie, zum achten Mal insgesamt -, mit Schweden und Norwegen waren zwei ganz klassische Frauenfußball-Nationen im Halbfinale, Dänemark stellt auch schon immer gute Teams.

Dass eben mit Schweden, Norwgen und Dänemark drei skandinavische Mannschaften im Halbfinale standen, verleitete Aftonbladet, die größte Zeitung Schwedens, dazu, auf dem Cover der Sportbeilage den Spielerinnen Ada Hegerberg (Norwegen), Lotta Schelin (Schweden) und Pernille Harder (Dänemar) Wikingerhelme aufzusetzen und in Anlehnung an das mitteleuropäische Gebet aus dem Mittelalter zu titeln: „Vor der Raserei der Nordfrauen bewahre uns, gnädiger Herrgott!“

…und Gott schickte die Deutschen

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Am Ende war aber dann doch alles wie immer: Wie schon 1989, 1991, 1995, 1997, 2001, 2005 und 2009 stemmte auch 2013 eine deutsche Kapitänin nach dem Endspiel den gläsernen EM-Pokal in die Luft. Das DFB-Team war sicher nicht die aufregendste Mannschaft des Turniers, wahrscheinlich auch nicht die beste, offenbarte vor allem in der Vorrunde teils massive taktische Unzulänglichkeiten. Aber als es drauf ankam, war Deutschland jenes Team, das die wenigsten entscheidenden Fehler machte.

Deutschland 4-4-1-1. Schwung kam erst ins Spiel, als Simone Laudehr in die Mannschaft rutschte.
Deutschland 4-4-1-1. Schwung kam erst ins Spiel, als Simone Laudehr in die Mannschaft rutschte.

Natürlich war Nadine Angerer die beste Torfrau des Turniers – mit viel Abstand. Natürlich hielt Annike Krahn mit ihrer Übersicht den Laden hinten zusammen. Und natürlich spielte Saskia Bartusiak im Halbfinale gegen Schweden die beste Partie ihres Lebens.

Letztlich war es aber doch ein anderer personeller Glücksgriff von Silvia Neid, der ihr das Turnier rettete. Nämlich jener, nach einer ziemlich erbärmlichen Vorrunde Simone Laudehr auf den linken Flügel zu stellen. Nun spielte zwar immer noch Lotzen auf der falschen Position, konnte Celia Okoyino da Mbabi ihr Tempo immer noch nicht ausspielen, musste Dzsenifer Marozsan immer noch viel zu hoch spilene in einem 4-4-1-1, das eigentlich ein astreines 4-4-2 ist und von deutschen Medien nur noch aus Gewohnheit fälschlicherweise immer noch als 4-2-3-1 angegeben wird. Aber Laudehr brachte Antrieb und Energie in ein lethargisches und kopfloses Team.

Ein abgefälschter Weitschuss nach einer Ecke im Viertelfinale gegen Italien. Ein Kullertor im Halbfinale gegen Schweden. Ein Konter im Finale gegen Norwegen. 1:o, 1:0, 1:0 – weil hinten keine entscheidenden Fehler gemacht wurde (letztlich waren ja auch die beiden geschenkten Elfer im Finale keine), reichte es zum Titel und die ganze (berechtigte!) Kritik an Silvia Neid ist vergessen.

Teamchefin mit Zugriff auf Vereins-Aufstellungen

Es erinnerte bei Schweden viel an die Herren-WM in Deutschland 2006: Ein mühsamer Auftakt, der Startschuss zur Mega-Euphorie im zweiten Spiel, und dann das Aus im Halbfinale. Nachdem das Trekronor-Team in den Monaten davor komplett auf links gedreht worden war. om schematischen Fußball mit Konzentration auf gute Defensive und ein dichtes Zentrum unter dem farblosen und etwas spröden Thomas Dennerby auf ein Spiel mit viel Tempo, hoher Abwehrlinie, Pressing und Flügelspiel. So wie es dem Naturell der vor Lebensfreude sprühenden Hobby-Rockmusikerin Sundhage entspricht.

Schweden: 4-4-2, extrem viel Eigeninitiative, hohe Linie, Konzentration auf das Flügelspiel
Schweden: 4-4-2, extrem viel Eigeninitiative, hohe Abwehrlinie, Konzentration auf das Flügelspiel

Die in ihrem Land so viel Rückhalt hatte, dass sie sogar den Vereinen diktieren konnte, wo sie ihre Spielerinnen im Liga-Betrieb aufzustellen hatten, damit sie im Nationalteam ins System passen. Nilla Fischer etwa, ein klassischer Sechser, sollte unter Sundhage Innenverteidigung spielen – Linköping-Trainer Sjögren gehorchte und stellte die Bald-Wolfsburgerin brav ins Abwehrzentrum.

Die Defensive funktionierte letztlich besser als erwartet (vor allem nach den wackeligen Eindrücken vom Algarve Cup), und es vielen gegen die bei Flanken überforderte finnische Mannschaft (5:0) und die vor Ehrfurcht erstarrenden Isländerinnen (4:0) jede Menge Tore. Aber ohne Flaws war auch Schweden nicht. Die Außenverteidiger-Positionen waren schwach besetzt (Thunebro körperlich zu langsam, Samuelsson gedanklich), auf dem linken Flügel war Göransson zu eigensinnig und Jakobsson zu wenig robust. Und Goalie Kristin Hammarström ist zwar gut auf der Linie, aber wehe, sie muss den Ball mit dem Fuß annehmen.

Sundhage hat Schweden inhaltlich zweifellos deutlich nach vorne gebracht, aber in Richtung WM in zwei Jahren gilt es noch einige Fragezeichen zu beheben. Etwa, wie es gelingt, massierte und gutklassige Abwehrreihen zu knacken. Da muss noch viel mehr von Kosse Asllani kommen. Denn dass man Schelin stoppen kann, wenn man Steilpässe in ihren Lauf verhindern kann, haben nun doch schon einige Trainer verstanden.

Frankreich, das Spanien des Frauen-Fußballs

Nun ist es dem französischen Verband also doch zu bunt geworden. Unnötige Selbstfaller und mangelnde Konsequenz in wichtigen Spielen kosteten Frankreich in den letzten vier Jahren (arguably) einen EM-Titel, ein WM-Finale und ein EM-Finale. Nach dem Turnier wurde Teamchef Bruno Bini nun also entlassen – weniger wegen taktischer Fehler (wiewohl es auch da einige kleinere Fragezeichen gab), sondern wegen konstantem Under-Achievements.

Dabei ist Frankreich so ein wenig, was Spanien lange bei den Herren war bzw. in Teilen noch ist. Die klar beste Klub-Mannschaft der letzten Jahre (Lyon, in den letzten vier Saisonen immer im CL-Finale), auf dem Papier der wohl beste Kader, aber man schafft es immer irgendwie, dennoch zu scheitern. Auch, weil es keinen wirklichen Plan B gibt – wie bei Spanien. Weil Plan A oft genug funktioniert. Aber wehe, wenn nicht.

Frankreich: 4-2-3-1 mit Abily auf rechts und Nécib im Zentrum. Womöglich die falsche Besetzung.
Frankreich: 4-2-3-1 mit Abily auf rechts und Nécib im Zentrum. Womöglich die falsche Besetzung.

So etwas wie die Brechstange gibt es bei Frankreich nicht. Auch, weil eine fehlt, die im Zentrum mal Kopfbälle holen könnte – allenfalls Wendie Renard, die als möglicher Plan B aus der Innenverteidigung nach vorne gehen könnte (es aber nicht tut). Dazu eine Louisa Nécib, die zwar eine tolle Technikerin ist, es ihr aber an der taktischen Disziplin fehlt.

Bini fehlte es vermutlich ein wenig an der Konsequenz, um wirklich die beste Mannschaft im besten System aufzustellen. Er wollte die umsichtige Bussaglia, die lange verletzt war, unbedingt in der Mannschaft haben. Er wollte Sandrine Soubeyrand, die Grand Dame des Teams, umbedingt drin haben. Womit er für Cammy Abily, bärenstark als Achter, eine neue Position brauchte – und diese rechts im Mittelfeld fand. Und er wollte aber auch nicht auf die Technik von Nécib verzichten.

Gegen Russland experimentierte Bini mit einem 4-3-3 mit Abily auf der Acht und Nécib als Rechtsaußen. Wenn er auf Nécib, die ihre Seite oft verwaist ließ, verzichtet hätte, wäre das wohl eine gute Option gewesen. Letztlich ging Bini aber wohl zu viele Kompromisse ein und die extrem flexible Mannschaft auf Dänemark packte in eine ihrer vielen Schubladen und kramte die Variante „Mauern“ aus.

So war für die am Papier beste Mannschaft es Turniers schon im Viertelfinale Feierabend. Auch, weil Nécib, die schon während des Spiels einen Elfer nur mit Mühe reinzitterte, im Shoot-Out randurfte und (natürlich) scheiterte.

Norwegische Glücksritter

Frankreich und sicher auch Schweden waren deutlich bessere Mannschaften als Norwegen. Dass es letztere aber ins Finale geschafft haben war mehr glücklichen Umständen zu verdanken als eindenen Verdiensten. Der Sieg gegen die da noch völlig indisponierten Deutschen in der Gruppe brachte dort den ersten Platz, dann profitierte man davon, dass sich der auf dem Papier logische Halbfinal-Gegner Frankreich schon im Viertelfinale praktisch selbst eliminierte. Dann besiegte man dann in der Vorschlussrunde Dänemark im Elfmeterschießen – und im Finale eröffneten zwei lächerliche Strafstöße sogar die Chance zum Turniersieg.

Norwegen: 4-3-3, wenig Räume zwischen Abwehr und Mittelfeld lassen, wenig zulassen.
Norwegen: 4-3-3, wenig Räume zwischen Abwehr und Mittelfeld gewähren, wenig zulassen.

Dabei war das 1:0 im zweiten Gruppenspiel gegen Holland der erste Sieg überhaupt, seit Even Pellerud, Weltmeister-Trainer von 1995, im Winter wieder das Zepter übernommen hatte. Auf meine Frage, ob er nach dem 1:1 zum Start gegen Island den Finaleinzug für möglich hielt, antwortete Co-Trainer Roger Finjorg, der Derwisch in der Coaching-Zone, unumwunden: „Nein, hätte ich nicht!“

Norwegen steigerte sich von Spiel zu Spiel, ließ hinten bis ins Finale sehr wenig zu (ein Elfer gegen Island, ein bedeutungsloses Tor in der Nachspielzeit gegen Spanien als es schon 3:0 stand und eins nach einem Eckball gegen Dänemark). Die tragenden Säulen der Mannschaft sind aber praktisch alle jenseits der 30 – die junge und fraglos talentierte Sturmreihe mit Hegerberg, Hansen und Hegland zeigte relativ wenig.

Damit, dem Gegner wenig Platz zwischen den Reihen zu gewähren, mit guter Physis und großer Erfahrung die Defizite im Tempo auszugleichen, ist Norwegen in diesem Turnier gut gefahren. Nachhaltig ist das mit dieser alten Mannschaft aber nicht – ein Generationswechsel ist zweifellos vonnöten. Obwohl Finjord sagt: „Bis zur WM in zwei Jahren soll auch von den Alten keine aufhören!“

Extrem flexibles Dänemark

Schade ist es schon, dass Kenneth Heiner-Møller dem Fußball (zumindest vorerst) den Rücken kehrt. denn der Teamchef der dänischen Mannschaft war ohne jeden Zweifel mit Abstand der flexibelste und interessanteste des Turniers. Er brachte in jedem Spiel eine zum Teil völlig andere taktische Einstellung ins Spiel und richtete sein Defensiv-Konzept voll und ganz am Gegner aus. Etwa mit tief abkippender Sechs und extrem hohen Außenverteidigerinnen gegen die flügelstarken Schwedinnen. Oder die volle Offensive gegen Finnland. Oder die beim Algarve Cup getestete strikte Defensive gegen Frankreich.

Dänemark: Flexibel zwischen 4-2-3-1 und 4-4-2, polyvalente Spielerinnen - aber vorne zu harmlos.
Dänemark: Flexibel zwischen 4-2-3-1 und 4-4-2, polyvalente Spielerinnen – aber vorne zu harmlos.

Und gegen Norwegen im Halbfinale stellte er zuweilen auf ein 3-3-4 um, als es galt, den 0:1-Rückstand aufzuholen. Was bei all den Überlegungen aber auch unverkennbar war: Pernille Harder konnte als Torjägerin überhaupt nicht glänzen. Dänemark war zwar hochinteressant, mit unerwarteten Varianten im Aufbau (etwa, dass Harder auf die Zehn geht, die LM in die Spitze und die LV hoch nach vorne).

Aber in der letztlich Konsequenz schlicht und einfach zu harmlos war. Wenn man einen Knipser hätte, wären am Ende der Vorrunde sieben Punkte zu Buche gestanden und nicht zwei, man hätte sich die unselige Auslosung gegen Russland erspart, wer noch als Gruppendritter weiterkommt, und es hätte gegen Norwegen nicht eines Glückstores gebraucht, um das 1:1 zu schießen und in die Verlängerung zu kommen.

Dennoch: Dänemark hat – obwohl kein einziges Spiel in 90 Minuten gewonnen wurde – inhaltlich überzeugt und hat damit mehr erreicht, als man vor dem Turnier erwarten konnte.

Überraschungs-Viertelfinalisten

Das gilt auch für Spanien und für Island. Spanien glänzte vor allem mit guter Technik (was vor allem gegen England offensichtlich wurde), hat mit Vero Boquete eine exzellente Stürmerin zur Verfügung und dazu jede Menge Talent in der Mittelfeld-Offensive.

Spanien: 4-2-3-1, starke Offensiv-Abteilung, aber absolut null Impulse von hinten heraus.
Spanien: 4-2-3-1, starke Offensiv-Abteilung, aber absolut null Impulse von hinten heraus.

Wo Jenni Hermoso als flexibles Mittelding aus Zehner und hängender Spitze viel Raum abdeckte, wo US-Legionärin Adriana Martín gute Spiele zeigte. Und wo U-19-Vize-Europameisterin Alexia Putellas mit ihrer Energie im Laufe des Turniers den Stammplatz von der routinierteren Sonia Bermudez bekommen hat.

Aber so groß das Talent vorne ist, so viel Nachholbedarf gibt es von hinten heraus. Weil die beiden Sechser Meseguer und Nago, aber auch die zuweilen statt Letzterer spielende Vilanova, nur Quer- und Rückpässe kommen, aber keinerlei Impulse nach vorne kommen. Auch die Innenverteidigung traut sich nicht, den ersten Pass zu spielen. Vor allem Irene Paredes, die mit ihrem eher patscherten Eigentor zum 0:2 im Viertelfinale gegen Norwegen das Aus besiegelte, drosch die Bälle nur blind nach vorne.

Das Viertelfinale hat man sich aber dennoch verdient, weil man klar besser war als England und Russland – nachdem vor dem Turnier ein Vorrunden-Aus programmiert schien.

Island: 4-4-2, in dem Viðarsdóttir und Gunnarsdóttir ganz klar herausstechen.
Island: 4-4-2, in dem Viðarsdóttir und Gunnarsdóttir ganz klar herausstechen.

Das war es auch Island. Das Team von der 300.000-Einwohner-Insel im Nordatlantik war beim Erstauftritt vor vier Jahren mit drei Niederlagen nach Hause geschickt worden und trat nun den Beweis an, dass auch mit nur zwei wirklich guten Spielerinnen (Viðarsdóttir und Gunnarsdóttir), einer soliden Torfrau und gutem Teamgeist in einer sonst ziemlich durchschnittlich besetzten Truppe reichen können, um ins Viertelfinale zu kommen.

Man erkämpfte sich ein 1:1 gegen Norwegen, war beim 0:3 gegen Deutschland komplett harmlos und wusste vor dem Spiel gegen Holland: Ein Sieg, und das Viertelfinale ist erreicht. So lauerte Island auf holländische Ballverluste, schaltete blitzschnell um, kam über die Flügel nach vorne und hatte so Chancen, auch deutlich höher als 1:0 zu führen. Nach der Pause wurde verwaltet und gemauert, es klappte. Dass es dann im Viertelfinale ein 0:4 gegen Schweden gab – geschenkt.

Was Island zeigte, war weder aufregend noch ausgeklügelt, aber es hat funktioniert. Klar ist aber auch: Das ist das absolute Plafond für Island.

Cabrini findet deutliche Worte

Italien, 4-3-3: Es ist alles auf Panico zugeschnitten. Das macht das Team ausrechenbar.
Italien, 4-3-3: Es ist alles auf Panico zugeschnitten. Das macht das Team ausrechenbar.

Der Plafond ist das Viertelfinale im Moment auch für Italien und mit dem anstehenden Karriereende der mittlerweile 38-jährige Patrizia Panico werden bald andere Verantwortung übernehmen müssen. Denn das ganze Spiel ist auf jene Frau zugeschnitten, die 1997 mit dem letzten italienischen Frauen-Team von Relevanz im EM-Finale gestanden war – zu einer Zeit, als es noch reichte zwei gute Stürmerinnen zu haben (neben Panico damals Carolina Morace). Das wurde im Viertelfinale gegen ein verwundbares deutsches Team deutlich. Dazu waren die Adjutanten des Altstars aus dem Spiel – Gabbiadini durch gute Gegenspieler, Camporese durch Verletzung.

„Italien hat als klassisches Fußball-Land das Potenzial, auch bei den Frauen eine tragende Rolle zu spielen“, nahm Cabrini nach dem 0:1 im Viertelfinale den Verband in die Pflicht, „dafür muss der Frauen-Fußball aber bei unseren Entscheidungsträgern mehr Raum einnehmen. Sonst sitzen wir in vier Jahren wieder nach dem Viertelfinale hier und sagen: ‚Brav gespielt, aber halt verloren‘.“

Mit Neboli, De Criscio und Salvai gibt es gute, jüngere Abwehr-Leute, Alice Parisi ist ganz okay auf der Achter-Position. Aber die bringen Italien nicht in die Diskussion um Finalplätze. Vor allem aber braucht es Alternativen zu Panico ganz vorne. Die sind nämlich nicht in Sicht.

Der Total-Kollaps von England

Die BBC übertrug dieses Turnier flächendeckend. Umso bitterer, dass die englische Mannschaft – gemessen an ihren Erwartungen – die mit Abstand größte Enttäuschung bei diesem Turnier war. „Für die K.o.-Runde kommen nochmal mehr Leute von uns“, erklärte mir ein BBC-Moderator schon nach dem 2:3 zum Auftakt gegen Spanien nicht ohne einen gewissen Fatalismus, „es ist also wie immer: Wir rücken mit aller Macht an, wenn England draußen ist!“

England, 4-irgendwas-1: Im Zentrum herrschte das pure Chaos, nach vorne gab's keinen Plan, hinten war man fehleranfälig.
England, 4-irgendwas-1: Im Zentrum herrschte das pure Chaos, nach vorne gab’s überhaupt keinen Plan, hinten war man fehleranfälig.

Und man muss sagen: Die Three Lionesses haben alles dafür getan, um den Aufenthalt in Schweden so kurz wie möglich zu gestalten. Weil mein keine adäquate eigene Torfrau hat, wurde die US-Amerikanerin Bardsley eingebürgert – die schon gegen Spanien ein Gegentor verschuldete und ein zweites gleich höchst selbst fabrizierte.

Vor allem aber die Mittelfeld-Zentrale versank im Chaos. Asante, Williams und Jill Scott spielten einfach irgendwie, ohne offensichtlichen Plan. Jede durfte mal hinten, mal vorne, mal halblinks und mal halbrechts. Dabei schienen sie sich selbst aber mehr zu verwirren als die Gegner, weil sich permanent Räume öffenete. Und vorne war man ohne die (mal wieder) angeschlagene Kelly Smith ein Ausbund an Harmlosigkeit.

Von Spanien wurde mal vor allem was die individuelle Technik angeht lächerlich gemacht, gegen die eher biederen Russinnen musste ein abgefälschtes Dusel-Tor in der Nachspielzeit herhalten, um zumindest das 1:1 zu retten und gegen Frankreichs B-Garnitur war man sowieso chancenlos. Als auch nach Punkten schlechtestes Team des Turniers müsste eigentlich auch die langjährige Teamchefin Hope Powell ihre Position hinterfragen. Wenn es schon die FA nicht tut.

Vor allem aber wird es notwendig sein, sich zu professionalisieren – selbst bei den englischen Top-Klubs wird oft nur zwei-, dreimal pro Woche trainiert. So wird der Rückstand natürlich nicht kleiner.

Holland: 4-2-3-1, hinten ganz okay, aber vorne gab es keine Ideen und auch unverständliche Wechsel
Holland: 4-2-3-1, hinten ganz okay, aber vorne gab es keine Ideen und auch unverständliche Wechsel

Größer ist der Rückstand eindeutig für Holland geworden, seit Vera Pouw nicht mehr Teamchefin ist. Unter ihr war man vor vier Jahren noch ins Halbfinale gekommen und zwang dort England in die Verlängerung, nun gelang unter Roger Reijers in drei Spielen kein einziges Tor.

Weil man hinten zwar gut stand (nur zwei Gegentreffer), aber nach vorne erschreckend ideenlos war und auch, weil Reijners einige seltsame Wechsel vollführte – wie etwa, gegen Norwegen nach dem Rückstand Konterstürmerin Versteegt zu bringen statt Strafraum-Spielerin De Ridder. Auch seine Maßnahme, mit Spitse und Slegers zwei Sechser spielen zu lassen, aber auf einen Achter zu verzichten (obwohl mit Dekker ein guter da gewesen wäre), muss man nicht verstehen.

Die Vermutung liegt Nahe, dass das Potenzial von Oranje irgendwo zwischen Halbfinale (2009) und Totalversagen (2013) liegt. Wo genau, wird auch daran liegen, wie sich die gemeinsame Liga mit Belgien etabliert. Holländische Journalisten sind sich jedenfalls sicher: „Belgien profitiert davon sicher deutlich mehr als wir…“

Noch ein wenig Österreich-Bezug

Der letzte Pflichtspiel-Gegner der ÖFB-Frauen war letzten Herbst im Play-Off Russland. Damals war die Spielanlage der Russinnen reaktiv und auf Konter ausgelegt. Das war nun auch bei der EM so. Was zeigt: Ein System alleine sagt noch nichts. Man kann aus einem 4-3-3 reaktiv spielen (wie Russland letzten Herbst) und aus einem 4-4-1-1 (wie Russland bei der EM auftrat) genauso.

Russland, 4-4-1-1: Ein Team, das sich deutlich wohler fühlt, wenn es das Spiel nicht selbst machen muss.
Russland, 4-4-1-1: Ein Team, das sich deutlich wohler fühlt, wenn es das Spiel nicht selbst machen muss.

Mit dieser Spielanlage hätte man fast gegen England gewonnen, hätte man nicht in der Nachspielzeit noch ein unglückliches Tor geschluckt. Im letzten Gruppenspiel gegen Spanien war Russland dann aber gezwungen, selbst etwas für das Spiel zu tun (weil Spanien mit dem Stand von 1:1 zufrieden war und auch bei einer Niederlage im Viertelfinale gewesen wäre), und da merkte man sehr wohl die Limitierungen der Mannschaft.

Man versuchte es über die Flügel, aber da sind nun mal eher Konterspieler auf dem Feld. Die kleine Nelli Korovkina auf der Position der hängenden Spitze ist eine unangenehme Presserin, aber nicht torgefährlich. Alles in allem eine eher biedere Mannschaft, die dann auch noch das Pech hatte, dass sie gegen Spanien um einen klaren Elfmeter geprellt wurde und dann auch noch den Los-Entscheid um das Viertelfinale gegen Dänemark verlor.

Dennoch wurde man den Eindruck bei der EM nicht los, dass Russland gut genug und clever genug ist, in der Quali nichts anbrennen zu lassen und sich die Teilnahme an so einem Turnier durch diese Attribute zu sichern (wie gegen Österreich), aber für den nächsten Schritt – das tatsächliche Mitmischen – nicht die nötige Qualität da ist.

Finnland, 4-4-1-1: Das Zentrum ist phantasiebefreite Zone, die Abwehr ist bei Flanken verwundbar.
Finnland, 4-4-1-1: Phantasiebefreite Zemtrale und die Abwehr ist bei Flanken verwundbar.

Die nötige Qualität ließ mit Finnland der Hauptgegner des ÖFB-Teams um Gruppenplatz zwei in der im September startenden WM-Quali für Kanada 2015 vor allem in zwei Bereichen vermissen: Bei der Kreativität im Mittelfeld (die ist nicht vorhanden) und beim Verteidigien von Flanken (ein Desaster).

Der Schwung der Heim-EM 2009 (wo man sogar als Gruppensieger ins Viertelfinale kam) ist verflogen, da konnte auch Andrée Jeglertz, ein erfahrener und erfolgreicher Frauenfußball-Trainer nicht viel retten. Aus dem Mittelfeld-Zentrum kommen überhaupt keine Ideen, das ist eine phantasiebefreite Zone. Und, das wurde vor allem bei der 0:5-Abfuhr gegen Schweden deutlich: Die Außenverteidiger können Flanken nicht verhindern und die Innenverteidiger können sie nicht verteidigen.

Hier hat Österreich durchaus eine Chance, weil man rein vom Talent her garantiert nicht hinter Finnland einzureihen ist. Von der Erfahrung in wichtigen Spielen aber sehr wohl.

Fazit: Niemand ohne Flaws – und die Spielanlagen haben sich komplett gedreht

Vom Zuschauer-Zuspruch (8.600 pro Spiel, 41.000 beim Finale) war das Turnier die beste Frauen-EM überhaupt, und das gilt auch für das gezeigte Niveau – wiewohl natürlich klar ist, dass es noch ziemlich Luft nach oben gibt. Es ist keine Mannschaft dabei gewesen, der man aktuell zutrauen könnte, die USA in einem Ernstkampf zu besiegen.

Alle Teams zeigten Flaws. Alle, die ihre Ziele nicht erreicht haben, müssen sich an der eigenen Nase nehmen. Bis auf Island kann keine Mannschaft mit den gezeigten Leistungen wirklich zufrieden sein, nicht einmal Deutschland. Oder: Gerade Deutschland nicht. Es war ein erkämpfter Titel, kein glanzvoller. Zustandegekommen auch deswegen, weil sich mit Frankreich und Schweden die zwei Haupt-Konkurrenten mehr oder weniger selbst besiegten. Anders gesagt: Obwohl das generelle Niveau hoch wie nie bei einer EM war, wurde Deutschland vor allem deshalb Europameister, weil es alle anderen verdaddelt haben.

Frankreich durch Ratlosigkeit und schwache Elfer gegen Dänemark. Schweden mit horrend schlechter Chancen-Verwertung gegen Deutschland. Norwegen durch zwei verschossene Strafstöße im Finale.

Augenscheinlich wurde, dass (bis auf Dänemark) kein Team einen echten Plan hatte, wie man mit Rückständen umgehen solle. Dänemark hatte einen solchen zwar, aber dafür fehlten die torgefährlichen Spielerinnen. Nur wenige Teams nahmen wirklich das Heft des Handelns konsequent selbst in die Hand (Schweden, Frankreich, bis zu einem gewissen Grad auch Dänemark und Spanien). Das heißt: War es früher so, dass die guten Mannschaften vor allem von guten Stürmerinnen lebten (wie Hamm bei USA, Marta bei Brasilien, Prinz bei Deutschland, auch Morace/Panico bei Italien, Svensson/Ljungberg bei Schweden) oder Mittelfeld-Gestalterinnen (wie Moström bei Schweden, Neid bei Deutschland, Riise bei Norwegen), so ist diese EM der endgültige Pflock im Boden, der die Umkehr der Spielanlagen markiert.

Die überwiegende Mehrheit der Teams spielt nun aus einer gesicherten Defensive heraus ein Umschalt- und Konterspiel oder, wie etwa Deutschland, ein Pressing- und Umschaltspiel. In jedem Fall aber darauf ausgelegt, in den Umschaltphasen die Unordnung beim Gegner zu nützen, anstatt durch eigenes Kreativspiel zum Torerfolg zu kommen.

Womit auch der Frauen-Fußball von einem modernen Trend des Herren-Fußballs erfasst wurde.

(phe)

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Wieder verloren! Seit 18 Jahren heißt Schwedens Albtraum „Tyskland“ https://ballverliebt.eu/2013/07/25/wieder-verloren-seit-18-jahren-heist-schwedens-albtraum-tyskland/ https://ballverliebt.eu/2013/07/25/wieder-verloren-seit-18-jahren-heist-schwedens-albtraum-tyskland/#comments Wed, 24 Jul 2013 23:10:47 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=9207 Wieder verloren! Seit 18 Jahren heißt Schwedens Albtraum „Tyskland“ weiterlesen ]]> Schweden drückte.Warf alles nach vorne, traf einmal aus Abseitsstellung, einmal den Pfosten, mehr als einmal rettete Nadine Angerer in höchster Not. Nachdem man selbst den offensivsten Fußball des Turniers gezeigt hat und sich Deutschland ins Halbfinale gewurschtelt hatte, war am Ende doch alles wie immer: Es ist knapp, es ist eng, aber am Ende hat die DFB-Elf die Nase vorn. Diesmal, im Halbfinale der schwedischen Heim-EM, hieß es 0:1. So war es in den letzten 18 Jahren immer: Nie konnte Sverige in diesem Zeitraum ein wichtiges Spiel gegen Tyskland gewinnen…

EM-Semifinale 2013: Deutschland gewinnt 1:0
EM-Semifinale 2013: Deutschland gewinnt 1:0

„Ich bin stolz auf mein Team“, sagte Schwedens Teamchefin Pia Sundhage nach der bitteren Niederlage, „weil wir ein sehr gutes Spiel gezeigt haben. Alles versucht haben. Am Ende hatten wir da und dort ein wenig Pech, waren da und dort auch nicht gut genug.“ So oder so ähnlich lautete das Fazit aber fast immer, wenn Schwedens Frauen in den letzten 18 Jahren gegen Deutschland spielten: Am Ende gibt’s nur Lob (Neid: „Pia macht einen tollen Job, bei der WM in zwei Jahren wird die Mannschaft ein heißer Tipp sein!“), aber den Sieg nehmen dann doch die Deutschen mit.

Das begann schon, als die mittlerweile 52-Jährige Sundhage noch selbst auf dem Platz stand – im Finale der Europameisterschaft 1995. Als die Serie von fünf deutschen EM-Titeln in Folge begann. Und die Leidenszeit des Trekronor-Teams gegen die „großen und brutalen Deutschen“ (O-Ton Kosse Asllani).

Angstgegner seit fast zwei Jahrzehnten

EM-Finale 1995: Deutschland gewinnt 3:2
EM-Finale 1995: Deutschland gewinnt 3:2

Im Spiel um Platz drei bei der ersten Frauen-WM 1991 behielt Schweden noch mit einem klaren 4:0 die Oberhand. Aber vier Jahre später, als sich die beiden Teams das nächste Mal zu einem bedeutenden Spiel trafen, ging’s los – eben im Finale des EM-Turniers von 1995. Die Schwedinnen, die drei Monate später ihre Heim-WM vor der Türe hatten, mussten im Endspiel nach Kaiserslautern – und verloren. Der schnellen Führung durch Malin Andersson (3.) folgten drei deutsche Tore (durch Meinert, Prinz und Wiegmann). Der Anschlusstreffer von Anneli Andelén kurz vor dem Schlusspfiff war zu spät. Für Deutschland war es der erste von fünf EM-Titeln in Folge, für Schweden ein schlechtes Omen für die Heim-WM. Dort besiegte man zwar Deutschland in der Gruppenphase, scheiterte aber im Viertelfinale von Helsingborg an China – Annica Nessvold versagten im Elferschießen die Nerven, ihren ganz schwach ins linke Torwart-Eck geschossenen Versuch parierte Gao Hong problemlos. Deutschland kam ins Finale, verlor im strömenden Regen von Stockholm aber 0:2 gegen Norwegen.

Generationswechsel bei beiden Teams

Nach der WM 1995 und Olympia 1996 erfolgte bei beiden Teams ein Generationswechsel. Bei beiden Teams hörten langjährige Stützen auf (etwa Sundhage, Videkull und Leidinge bei Schweden; Neid, Mohr und Pohlmann bei Deutschland); beide Teams wechselten ihre Teamchefs – Tina Theune-Meyer statt Gero Bisanz, bzw. Marika Domanski-Lyfors statt Bengt Simonsson.

EM-Halbinale 1997 - 1:0 für Deutschland
EM-Halbinale 1997: Deutschland gewinnt 1:0

Die beiden Teams waren im kommenden Jahrzehnt die dominiernden in Europa, aber Deutschland war immer knapp voran. Wie bei der EM 1997, die in Schweden und Norwegen stattfand. Schweden war locker durch die Vorrunde marschiert, Deutschland hatte (wenn auch in einer schwereren Gruppe) mehr Mühe. Im Halbfinale empfing Schweden im ausverkauften Stadion von Karlstad das Team von Deutschland, dominierte es vor allem in der ersten Halbzeit nach Belieben – aber ein Tor von Bettina Wiegmann – ein unmögliches Ding aus noch unmöglicherem Winkel – in Minute 84 besiegelte das schwedische Aus. Drei Tage später besiegte die DFB-Elf im Finale Italien mit 2:0 und verteidigte so den EM-Titel.

Zwei Final-Schlappen mit Golden Goals

Nach einem 1:0 für Deutschland in einem Gruppenspiel von Olympia 2000 in Sydney kam es ein Jahr danach zum nächsten bedeutenden Spiel zwischen den ewigen Rivalen: Bei der EM 2001 in Deutschland.

EM-Finale 2001: Deutschland gewinnt 1:0 n.V.
EM-Finale 2001: Deutschland gewinnt 1:0 n.V.

Als Stürmerin Hanna Ljungberg, die im Semifinale von 1997 verletzt fehlte und noch heute Schwedens erfolgreichste Torschützin ist, und Malin Moström – die wohl beste Mittelfeld-Strategin, die das Trekronor-Team jemals hatte – die Bühne betraten, setzte sich Schweden sukzessive endgültig von Norwegen ab. Mit den beiden kam man nach einem 1:3 in der Gruppenphase gegen die Deutschen in Erfurt mit einem 1:0 über Dänemark im Semifinale ins Endspiel der EM 2001.

Wo man in Ulm dem DFB-Team Paroli bot, sich mit einem torlosen Remis nach 90 Minuten in die Verlängerung kämpfte – nur, um dort in Minute 98 das Golden Goal durch die nach einer Stunde für Sandra Smisek eingewechselte Claudia Müller zu schlucken. Deren Jubel mit ausgezogenen Trikot im Sport-BH wurde zu einem der bekanntesten Bilder im Frauen-Fußball, zwei Jahre nach Brandi Chastains noch bekannterem Freudenschrei nach dem gewonnen WM-Finale.

2003 trafen bei der WM in den Staaten die Turnier-Favoriten Deutschland und USA im Halbfinale aufeinander. Die DFB-Elf hatte in einem hochklassigen Spiel, das alle als das vorgezogenen Finale betrachteten, ganz knapp die Nase vorne, die beiden Tore in den Minuten 91 und 94 zum 3:0-Endstand verzerren die Optik. Schweden hingegen profitierte davon, dass Halbfinal-Gegner Kanada zuvor schon Mitfavorit China eliminiert hatte. Einmal den Überraschungs-Gegner mit einem schnell abgespielten Freistoß übertölpelt, dann stand die damals 20-jährige Jossan Öqvist am langen Pfosten frei: Schweden gewann 2:1, war im Finale.

WM-Finale 2003: Deutschland gewinnt 2:1 n.V.
WM-Finale 2003: Deutschland gewinnt 2:1 n.V.

Und ging im Endspiel von Los Angeles, das um 10.00 Uhr vormittags (!!!) Ortszeit angepfiffen wurde, kurz vor der Pause durch Hanna Ljungberg sogar in Führung, ehe Maren Meinert – die für die WM nach ihrem Team-Rücktritt reaktiviert worden war – gleich nach Wiederanpfiff den Ausgleich markierte. Mit dem 1:1 ging es in die Verlängerung, wo Stürmerin Victoria Svensson mit einem unnötigen Foul einen Freistoß für Deutschland hergab. Renate Lingor brachte diesen hoch in den Strafraum, Nia Künzer (kurz vor Ablauf der regulären Spielzeit für Pia Wunderlich gekommen) bekam ihren Kopf dran – Tor.

Wieder ein Golden Goal, wieder in der 98. Minute, wie zwei Jahre zuvor im EM-Endspiel. Dennoch: Mit dem Erreichen des Finales 2003 schaffte das Team in Schweden den absoluten Durchbruch. 13.000 Fans feierten das Team im Kungsträdsgården von Stockholm wie Weltmeister, das Finale sahen 3,8 Millionen Schweden im Fernsehen – also fast die halbe Bevölkerung des Landes. Spielerinnen wie Hanna Ljungberg, Malin Moström, Victoria Svensson und Malin Andersson sind noch heute Stars in Schweden.

Auch bei Olympia 2004 ging’s schief…

Um Olympia-Bronze 2004: Deutschland siegt 1:0
Um Olympia-Bronze 2004: Deutschland siegt 1:0

Bei den olympischen Spielen in Athen scheiterte Schweden im Halbfinale mit 0:1 an Brasilien, mit Marta die neue Kraft im Frauen-Fußball; während ein Patzer von Torfrau Silke Rottenberg den Deutschen in der Verlängerung gegen die USA das Final-Ticket kostete. So trafen die ewigen Konkurrenten im Spiel um Bronze aufeinander.

Wo nur eine Mannschaft spielte, nämlich die in gelb. Alleine Torfrau Silke Rottenberg und ihren unglaublichen Reflexen war es zu verdanken, dass man nicht bis zur 25. Minute schon aussichtslos 1:3 in Rückstand lag, nachdem Renate Lingor das DFB-Team früh in Führung gebracht hatte. Deutschland zitterte das 1:0 über die Zeit und hatte Bronze gewonnen.

Bei der EM 2005 in England hießen die Favoriten logischerweise wieder Deutschland und Schweden, aber das Trekronor-Team verlor das Halbfinale gegen Norwegen hauchdünn mit 2:3 nach Verlängerung. Es folgte der Schnitt, nach dem (verletzungsbedingten) Karriere-Ende von Hanna Ljungberg und dem (freiwilligen) Karriere-Ende von Malin Moström neigte sich auch die große Zeit der ganzen Mannschaft dem Ende zu.

Thomas Dennerby übernahm von Marika Domanski-Lyfors, bei der WM 2007 in China ging es aber nach der Vorrunde in den Flieger nach Hause: In der „Todesgruppe“ mit den USA und Nordkorea reichte es nur für Rang drei, während Deutschland – mittlerweile war Silvia Neid von der Co-Trainerin zum Chef aufgestiegen – ohne im ganzen Turnier auch nur ein Gegentor zu kassieren souverän den WM-Titel verteidigte.

Olympia-Viertelfinale 2008: Deutschland, 2:0 n.V.
Olympia-Viertelfinale ’08: Deutschland, 2:0 n.V.

…und 2008 wieder

Mit neuen Kräften wie Lotta Schelin vorne und Caroline Seger im Mittelfeld-Zentrum kam es bei Olympia 2008 schon im Viertelfinale zum Duell der beiden Teams, die sich nun also längst nicht mehr auf Augenhöhe befanden. Dennoch: Wieder ging es nach 90 torlosen Minuten in die Verlängerung. Dort aber schlief Schweden erst bei einem Eckball zum 0:1, dann griff Torfrau Hedvig Lindahl daneben. Nach dem 0:2 war die Reise für Schweden beendet, Deutschland lief drei Tage später in eine 1:4-Ohrfeige von Brasilien und rettete danach noch Bronze.

Dass sich die Blau-Goldenen für Olympia 2012 qualifizierten, und nicht Schwarz-Rot-Gold, war gut für das Selbstverständnis und führte Schelin und Co. nach dem dritten Platz bei der WM ins Viertelfinale von London (wo gegen Frankreich Schluss war), war aber letztlich vor allem die Folge einer glücklichen Auslosung bei der WM und dem überraschend frühen deutschen Aus bei ihrem Heim-Turnier.

Kein Wunder, dass nach dem 1:0 von Göteborg nun Saskia Bartusiak, die überragende Deutsche auf dem Feld, sagte: „Ich kann mich schon reinfühlen, wie es denen jetzt gehen muss…“

(phe)

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Deutschland im Halbfinale: Durchwurschteln, schönreden, Favoritenrolle wegschieben https://ballverliebt.eu/2013/07/21/deutschland-im-halbfinale-durchwurschteln-schonreden-favoritenrolle-wegschieben/ https://ballverliebt.eu/2013/07/21/deutschland-im-halbfinale-durchwurschteln-schonreden-favoritenrolle-wegschieben/#comments Sun, 21 Jul 2013 21:22:36 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=9184 Deutschland im Halbfinale: Durchwurschteln, schönreden, Favoritenrolle wegschieben weiterlesen ]]> Hauptsache gewonnen. Deutschland war zwar einmal mehr weit von einer überzeugenden Leistung entfernt, für Italien reichte es in diesem EM-Viertelfinale aber. Viel Selbstkritik war nach dem 1:0-Sieg aber nicht zu hören, obwohl es dazu reichlich Grund gegeben hätte – nur eine starke Simone Laudehr rettete mit ihrer sehr präsenten Leistung ein Team, das von der schlechten Vorrunde gezeichnet schien. Am offensivsten war Deutschland, wenn es darum ging, sich für das Halbfinale gegen Schweden in die Außenseiterrolle zu reden.

Neid: „Gewinnt man, ist der Plan immer aufgegangen!“

Deutschland - Italien 1:0 (1:0)
Deutschland – Italien 1:0 (1:0)

Das deutsche Spielplan funktionierte immer weniger, je weiter es nach vorne ging. Was aber am wenisten an Simone Laudehr lag. Die durfte spielen, aber nicht auf ihrer angestammten Position im zentralen Mittelfeld, sondern auf der linken Außenbahn. In erster Linie, um Jenny Cramer gegen die starke italienischer Seite mit Gabbiadini zu helfen. Aber die gebürtige Regensburgerin tat noch so viel mehr – sie war die einzige, die von der ersten Minute an wirklich Präsenz zeigte.

Denn der Rest der Mannschaft wirkte gelähmt – was zum Teil am Druck nach der schwachen Vorrunde lag, aber auch an der Spielweise der Italienerinnen lag. Diese achteten nämlich vor allem darauf, dem deutschen Zentrum mit Keßler und Goeßling keine Luft zum Atmen zu geben. Das Wolfsburg-Duo hatte nie Zeit, den Ball ordentlich anzunehmen; von einer sinnvollen Weiterverwertung gar nicht erst zu sprechen. Vor allem Lena Goeßling wirkte ziemlich schnell ziemlich mitgenommen.

Ihres Zentrums beraubt hinkte der deutsche Spielaufbau extrem. Lotzen, wieder einmal auf dem Flügel aufgestellt, zog offensiv früh nach innen und wurde von Maier nicht ordentlich hinterlaufen; die Spitzen Okoyino da Mbabi und Mittag (die statt Marozsan spielte) hingen in der Luft. Doch während Okoyino zumindest versuchte, sich etwas fallenzulassen oder an die Flügel zu gehen, um am Spiel teilzunehmen, war Mittag nur körperlich anwesend – mehr nicht.

Die deutsche Führung fiel aus einem abgefälschten Laudehr-Schuss nach einem Eckball. Anders hätte es auch kaum sein können.

Keßler: „Haben gezeigt, was wir können!“

Das Spiel der Deutschen in der Vorrunde war mau, viel besser war’s auch gegen Italien nicht. Hinten stand die DFB-Elf zwar sicher, das lag aber auch daran, dass Italien – keine neue Erkenntnis – im Spiel nach vorne ziemlich eindimensional ist. Und je länger das Spiel dauerte, umso eindimensionaler wurde es. Vor allem, nachdem Elisa Camporese aus dem Spiel war. Die hatte sich im ersten Gruppenspiel verletzt, pausierte danach und war nun bei ihrer Startelf-Rückkehr ziemlich deutlich ziemlich weit von „fit“ entfernt.

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Von Rom bis Växjö erhebt sich kraftvoll ein einziger Schrei: „Forza, Mädels!“

Nach Ballgewinn wurde praktisch immer versucht, den Ball möglichst schnell zu Mittelstürmerin Patrizia Panico zu bringen. Das passierte zumeist sehr überhastet und damit auch sehr ungenau. Krahn hatten kaum Probleme, die 38-Jährige Kapitänin von Italien aus dem Spiel zu halten. Italien war zwar nur ein Tor hinten, hatte aber nicht die Mittel, wirklich für Gefahr zu sorgen.

Neid: „Ein Super-Spiel mit sehr viel Leidenschaft!“

Hätte Italien doch den Ball irgendwie zum Ausgleich über die Linie genudelt, wäre es sehr spannend gewesen, wie genau es in dieser Situation mit dem deutschen Nervenkostüm bestellt gewesen wäre. Zumal es einen eher, nun ja, interessanten Wechsel gab. Dass Marozsán für die völlig unsichtbare Mittag kam, war noch logisch – aber dass für die angesschlagene Célia Okoyino da Mbabi (Hamsting-Zerrung, für das Semifinale gegen Schweden fraglich) eine Sara Däbritz kam, die in die Spitze ging, während die gelernte Mittelstürmerin Lotzen weiter auf dem Flügel ran musste, muss man nicht verstehen.

Zumal es nicht so arg viel gebracht hat. Weiter war es vor allem Laudehr, die mit ihrer Wucht eine verunsicherte und alles andere als gefestigte Mannschaft trug. Die 1:0-Führung wurde gegen ein körperlich zunehmend nachlassendes Team aus Italien über die Zeit gebracht, ein Lattenschuss hätte beinahe noch für die endgültige Entscheidung gesorgt. Letztlich war es ein glanzloser, mühsamer Arbeitssieg einer Mannschaft, die an diesem Tag nur darin offensiv war, sich für das Halbfinale in die Außenseiter-Rolle zu reden.

Angerer: „Sind gegen Schweden kein Favorit!“

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Silvia Neid redete das Spiel besser als es war und ihr Team gleichzeitig für’s Halbfinale in die Außenseiterrolle

Schweden war im anderen Spiel des Tages völlig mühelos über Sensations-Viertelfinalist Island hinweg gefegt. Nach 19 Minuten stand es schon 3:0, am Ende hieß es 4:0. Keine Frage, der Gastgeber befindet sich in Topform und steigerte sich bei diesem Turnier von Spiel zu Spiel, Deutschland spielte schwach gegen Holland, ganz okay gegen Island, schlecht gegen Norwegen und bestenfalls ganz okay gegen Italien.

Auch Italiens Teamchef Antonio Cabrini sieht Schweden in der Favoritenrolle gegen den Sieger der letzten fünf EM-Turniere: „Deutschland mag mehr bessere Einzelspieler haben“, so der Weltmeister von 1982, „aber Schweden macht als Team den besseren Eindruck, befindet sich in Topform!“

Neid: „…mit dieser Asalanta, oder wie die heißt!“

So, wie Bundestrainerin Neid bei der Pressekonferenz über die schwedische Mannschaft sprach, lässt das noch nicht den ganz großen Kenntnisstand erahnen. Neid beteuerte zwar, alle Gruppenspiele von Schweden gesehen zu haben. „Wir sind Außenseiter“, stimmte sie Torfrau Angerer zu, die das zuvor schon gesagt hatte. So weit, so gut.

Dann aber Schwedens Stamm-Stürmerin Kosovare Asllani nicht zu kennen und stattdessen zu sagen, „die haben ein Top-Duo da vorne, mit Schelin und dieser Asalanta, oder wie die heißt“, macht nicht direkt den Eindruck vollen Wissens.

(phe)

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Beim DFB beliebt – aber unter Beobachtern gibt’s kaum noch Neid-Fans https://ballverliebt.eu/2013/07/20/beim-dfb-beliebt-aber-unter-beobachtern-gibts-kaum-noch-neid-fans/ https://ballverliebt.eu/2013/07/20/beim-dfb-beliebt-aber-unter-beobachtern-gibts-kaum-noch-neid-fans/#comments Sat, 20 Jul 2013 21:36:44 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=9166 Beim DFB beliebt – aber unter Beobachtern gibt’s kaum noch Neid-Fans weiterlesen ]]> Ein müdes 0:0 gegen jenes Team aus Holland, das danach sang- und klanglos Gruppenletzter wurde. Das 0:1 gegen Norwegen, mit einer ganz mauen Leistung, die erste deutsche EM-Endrunden-Niederlage seit 20 Jahren. Für DFB-Präsident Niersbach kein Grund zur Besorgnis. Das wäre auch ein Viertelfinal-Aus gegen Italien nicht. Der DFB wird Silvia Neid nicht fallen lassen, hat er angekündigt. „Sie weiß, wie sie das Team einstellen muss“, sagte er.

Aber: Praktisch jeder mitgereiste Deutsche, dem man hier in Schweden über den Weg läuft, sagt das genaue Gegenteil. Abgehoben und beratungsresistent, dabei aber ahungslos in Taktik-Fragen und das Einsetzen von Spielerinnen an völlig falschen Positionen, lauten die Hauptvorwürfe. Sie sind sich einig: Silvia must go.

Fachliche Kritik

„Celia Okoyino da Mbabi? Eine Topspielerin, aber kein Mittelstürmer. Die müsste von den Flügeln kommen. Dzsenifer Marozsán? Eine Topspielerin, aber keine Stürmerin. Die braucht Mitspieler vor sich – eine klassische Zehn. Eine Position, die es im Neid’schen Mittelding aus 4-4-1-1 und 4-4-2 aber nicht gibt. Lena Lotzen? Die einzige echte Mittelstürmerin im Kader, auf der rechten Mittelfeld-Seite völlig verschenkt!“ Das sagt mir ein deutscher Journalist.

„Gegen Norwegen, wenn du einen Rückstand jagst gegen ein robustes, aber nicht besonders schnelles Team – da kann ich keine Melanie Behringer einwechseln, die da die hohen Flanken schlägt. Wer soll die gegen die norwegische Innenverteidigung holen? Da müssen schnelle Leute rein, die Norwegen auseinander ziehen, Platz schaffen. Eine wie Isabelle Linden zum Beispiel!“ Das sagt ein deutscher Fotograph.

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„Total negative Ausstrahlung!“ Viele Freunde hat Silvia Neid unter den deutschen Beobachtern nicht mehr.

„Neid hat beim Training oft die Arme verschränkt und einen grummeligen Geischtsausdruck. Da ist null Energie zu spüren, kein Elan, der der Mannschaft vermittelt werden könnte. Ihre Ausstrahlung ist total negativ. Dementsprechend spielt dann die Mannschaft oft!“ Auch ein Hardcore-Fan, der mit den DFB-Frauen schon beim WM-Triumph 2003 in Los Angeles vor Ort war, ist kein großer Fan der seit 2005 amtierenden Bundestrainerin.

Sie alle sind sich einig: Wenn wir schon einem anderen Team zum EM-Titel gratulieren müssen – und es ist sehr wahrscheinlich, dass das der Fall sein wird – dann am besten Neid-los.

Nimbus der Unschlagbarkeit ist dahin

„Deutschland enttäuscht mich“, nickt auch Dominik Thalhammer, Teamchef der ÖFB-Frauen, auf die Performance des Europameisters der letzten fünf Turnier angesprochen und beim 0:1 gegen Norwegen persönlich im Stadion, „die Zeiten, in denen Deutschland daherkommt und alles wegräumt, sind längst vorbei!“ Und auch Neid selbst gab gegenüber dem Kollegen Brügner von der dpa zu:

„Wenn ich unser Spiel von außen beobachtet hätte, hätte ich gesagt: ‚Gegen die kann man gewinnen und braucht keine Angst zu haben.'“

Keine Frage: Deutschland ist den Nimbus der Unbesigbarkeit los. Das hatte sich schon bei der WM im eigenen Land angedeutet. Die auch einige als vercoacht betrachten. Dass etwa Kapitänin Prinz, die ohnehin an sich zweifelte, nicht aufgerichtet, sondern quasi öffentlich ihrem Schicksal überlassen wurde, lautet etwa ein Vorwurf. Oder, dass im Viertelfinale gegen Japan drei Positionen verschoben wurde, als sich Sechser Kim Kulig nach fünf Minuten das Kreuzband riss, anstatt einfach positionsgetreu zu wechseln. Von dieser Unruhe habe sich das Team im ganzen Spiel nicht mehr erholt, heißt es.

Auch, wenn es bis zum 0:1 gegen Norwegen die einzige Pflichtspiel-Niederlage seit dem olympischen Halbfinale 2008 war (also in 23 Spielen): Mit ihr war die Olympia-Quali dahin, der Umbau startete – alte Kräfte wie Prinz, Garefrekes und Grings schieden aus – und das Resultat ist, trotz eines riesigen Spieler-Reservoirs, nicht den Ansprüchen von Deutschland entsprechend.

„Billigend in Kauf genommen“

Nein, dass Deutschland gegen Norwegen absichtlich verloren hat, will sie nicht sagen. „Aber es wurde auf jeden Fall billigend in Kauf genommen“, ärgert sich eine deutsche Anhängerin. Lustlos sei das Auftreten gewesen, kein Aufbäumen, keine Impulse von Außen. „Die haben Angst vor Frankreich im Halbfinale und auch ein wenig vor Spanien im Viertelfinale“, vermutet ein anderer deutscher Fan in Växjö. Spanien hat dem DFB-Team in der EM-Quali schon ein 2:2 abgetrotzt. Und dass Frankreich derzeit um Lichtjahre besser ist, sehe ohnehin jeder.

Nun geht’s gegen Italien – unangenehm, aber bis auf Panico und die verletzte Camporese harmlos – und dann, in einem möglichen Halbfinale, praktisch sicher gegen Schweden. Und die Schwedinnen stehen unter einem mörderischen öffentlichen Druck. Spätestens seit dem 3:1 über Italien im letzten Gruppenspiel fordern die durchaus aggressiven Medien, vor allem Aftonbladet und Expressen, unverhohlen den Titel – alles andere wäre eine Enttäuschung.

Sollte Deutschland im Halbfinale an Schweden scheitern, wäre das für den DFB zwar auch nicht schön. Aber gegen einen Gastgeber mit einer guten Mannschaft zu verlieren, in einem Halbfinale, wenn einem selbst sechs Stammspieler fehlen – es gäbe Schlimmeres. Es hängt ja auch keine WM- oder Olympia-Qualifikation daran.

Shit happens.

Der DFB würde zur Tagesordnung übergehen, das vermittelt er dieser Tage zumindest. Was viele Beobachter ziemlich massiv ärgern würde.

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Island sensationell im Viertelfinale – der letzte freie Platz könnte aber ausgelost werden! https://ballverliebt.eu/2013/07/18/island-sensationell-im-viertelfinale-der-letzte-freie-platz-konnte-aber-ausgelost-werden/ https://ballverliebt.eu/2013/07/18/island-sensationell-im-viertelfinale-der-letzte-freie-platz-konnte-aber-ausgelost-werden/#respond Wed, 17 Jul 2013 23:14:28 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=9129 Island sensationell im Viertelfinale – der letzte freie Platz könnte aber ausgelost werden! weiterlesen ]]> „Unsere Handball-Herren haben 2008 Olympia-Silber geholt“, sagte Islands Teamchef Siggi Eyjólfsson nach dem 1:0 seiner Fußball-Frauen über Holland, „aber gleich danach kommen jetzt wir, sporthistorisch gesehen!“ Als größter Außenseiter des Turniers gestartet, holten die Kickerinnen von der 300.000-Seelen-Insel ein Remis gegen Norwegen und nun auch einen Sieg gegen Holland. Womit sensationell das Viertelfinale erreicht wurde.

Der deutschen 0:1-Niederlage gegen Norwegen zum Trotz – das den Effekt hatte, dass man nun im vermeintlich leichteren Turnier-Ast „umzieht“ und Frankreich erst im Finale bekommen zu können: Island war die eigentliche Story des Tages.

IMG_1143

Die Ketten zusammen schieben, Holland nicht das Tempo von Spitze Manon Melis ausspielen lassen. Nach Ballgewinn schnell umschalten, über die Außenbahnen kommen, den Weg zum Tor suchen – so sah der Plan von Island aus. Die Holländerinnen? „Wir haben zu viel Platz im Zentrum gelassen“, war Bondscoach Reijners zerknirscht, „die zwei im defensiven Mittelfeld standen zu tief, die vier vorne waren zu viel auf sich alleine gestellt!“ Darüber hinaus war bei Holland viel zu wenig Bewegung ohne Ball, es gab oft keine sinnvollen Anspielstationen im Aufbau.

Holland - Island 0:1 (0:1)
Holland – Island 0:1 (0:1)

Und Island hatte Platz zum Kontern, erwischte Holland immer wieder auf dem falschen Fuß. Dass nur der Versuch von Dágny Brynjársdóttir nach einer halben Stunde zum 1:0 im Tor war, schmeichelte Holland durchaus. Für die zweite Hälfte brachte Reijners mit Dekker statt Slegers einen neuen Achter, dazu tauschten Solo-Spitze Melis und LM Martens die Plätze. Durch das Tempo von Melis bekam Oranje nun deutlich mehr Zugriff auf dieser Außenbahn und drückte Island ordentlich hinten rein.

Aus eigenen Aktionen wurde Holland zwar kaum gefährlich, aber Island ist nun mal immer für einen Schnitzer in der Abwehr gut. Aber nachdem Torfrau Guðbjörg Gunnarsdóttir zweimal in höchster Not rettete, war das 1:0 nach einer Abwehrschlacht in der zweiten Hälfte über die Zeit gebracht. Island im Viertelfinale – da sprangen sogar die isländischen Journalisten beim Schlusspfiff auf und jubeleten.

Auch die Journalisten aus Island waren aus dem Häuschen
Auch die Journalisten aus Island waren nach dem Schlusspfiff aus dem Häuschen

Margrét-Lara Viðarsdóttir (im Jubelbild oben die Blonde mit der Nr. 9), die auch schon für Duisburg und Potsdam in Deutschland gespielt hat und nun für Kristiansand in der Damallsvenskan in Schweden unter Vertrag steht, ist gemeinsam mit Sara-Björk Gunnarsdóttir (von Malmö) die einzige echte Top-Spielerin im Team. Sie sicherte mit ihrem Tor gegen Norwegen im ersten Gruppenspiel den ersten Punkt. Sie sagt: „Unsere große Stärke ist, an verrückte Sachen zu glauben!“

Margrét-Lara, ihr seid gerade zum Vorbild für andere Länder geworden – auch mit wenig Einwohnern kann man gleich viele Punkte holen wie Deutschland!

Es ist schon verrückt, wenn man nur daran denkt. In Island leben so viele Menschen wie in Berlin in einer Straße. Aber wenn man an etwas glaubt und eine Gruppe von Leuten hat, die alle an einem Strang ziehen, ist alles möglich. Das haben wir gezeigt.

Wenn man sich die Wettquoten vorm Turnier angesehen hat, war kein Team beim Turnier ein so großer Außenseiter wie ihr. Spielte bei euch auch eine „Wir-zeigen-es-euch-allen“-Mentalität mit?

Natürlich. Das entspricht auch der isländischen Mentalität. Obwohl wir so klein sind, und so wenige – wenn uns andere nicht ernst nehmen, sind wir am Besten. Denn dann rücken wir zusammen und schaffen Außergewöhnliches. Und ich bin auch sehr stolz, Isländerin zu sein und Teil dieser Gruppe zu sein. Jetzt leben wir natürlich schon in so etwas wie einem Traum. Jetzt sind wir im Viertelfinale und haben natürlich das Halbfinale im Sinn.

"Nach unseren Handball-Herren kommen in Island historisch gesehen jetzt schon wir": Teamchef Siggi Ejyolfsson
„Nach unseren Handball-Herren kommen in Island historisch gesehen jetzt schon wir“: Teamchef Siggi Ejyolfsson

Noch vor ein paar Monaten bezog Island beim Algarve-Cup ziemliche Prügel, kassierte ein 1:6 gegen Schweden und ein 0:3 gegen die USA – allerdings auch ohne dich und ohne Sara-Björk Gunnarsdóttir. Was ist jetzt anders, macht ihr beiden so einen Unterschied aus?

Es ist schon entscheidend, dass wir unsere besten Leute alle beisammen haben, weil wir einfach ein weniger großes Reservoir haben als Deutschland, Schweden und die anderen großen Länder. Aber es ist einfach wichtig, dass wir einen guten Team-Spirit haben. Das ist unsere große Stärke: Positiv zu denken und an verrückte Sachen zu glauben. Wir haben Europa gezeigt, dass wir bei der EM sind, um auch etwas zu erreichen – und nicht nur, um halt dabei zu sein.

Im ersten Spiel gegen Norwegen hast du mit deinem 1:1 kurz vor Schluss den ersten EM-Punkt überhaupt für Island gesichert. Wäre eine Leistung und ein Ergebnis wie jetzt beim 1:0 über Holland ohne dieses Erfolgserlebnis überhaupt möglich gewesen?

Der Punkt gegen Norwegen war extrem wichtig. Wir wussten, dass es auf diesen Punkt ankommen kann, und jetzt haben wir schon vier, wie Deutschland, und sind fix durch. Wir haben auch gegen Deutschland gekämpft, da hat es halt nicht geklappt, wir haben 0:3 verloren, die Deutschen waren halt besser. Aber gegen Holland waren wir in der ersten Hälfte das bessere Team. Wir wussten, dass wir das 1:0 über die Zeit bringen müssen und sind dann sehr tief gestanden. Aber es hat funktioniert.

Gab’s einen Zeitpunkt im Spiel, an dem dir klar war: Das wird klappen, Holland wird noch bis Mitternacht spielen können und kein Tor schießen?

Schwer zu sagen. Ich musste nach einer Stunde mit einer Muskelzerrung raus, und wenn man draußen sitzt und zusehen muss, wie Holland uns ziemlich hinten reindrückt, ist man schon nervös. Aber es sah schon so aus, als könnten wir noch zwei Stunden spielen und das Zu-Null halten, weil wir so gut gestanden sind und Guðbjörg im Tor so fantastisch war und der Team-Spirit so toll… Heute passte einfach alles!

Die Sache mit den zwei besten Dritten

tabellenIsland ist mit den vier Punkten auf der sicheren Seite, ist fix einer der beiden besten Gruppendritten. Aber wer wird der andere Dritte, der in die Runde der letzten acht kommt? Nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass darüber das Los entscheidet. Weil Gruppen natürlich unterschiedlich stark sind, haben es manche Teams leichter, auf eine gute Tordifferenz zu kommen, als in anderen – was bei Punktgleichheit zwischen mehreren Gruppendritten ja durchaus den Ausschlag geben kann. Zudem wissen die Kandidaten aus den hinteren Gruppen genau, welches Resultat reicht, die aus den vorderen natürlich nicht.

So taten sich vor vier Jahren im letzten Gruppenspiel Schweden und Italien nicht mehr weh – die einen waren mit einem Punkt Gruppensieger, die anderen kamen mit einem Punkt noch auf einen der besseren beiden dritten Plätze. Es endete 1:1, Italien war weiter, Dänemark – zwei Tage zuvor schon fertig – war raus.

Weshalb sich die UEFA etwas ziemlich sportliches ausgedacht hat: Wenn mehrere Gruppendritte punktgleich sind, zählt nicht mehr die Tordifferenz – nein, dann wird sofort ausgelost, wer weiterkommt und wer nicht. Dann nämlich, wenn Russland oder England mit zwei Punkten Dritte werden – also es zu einem Remis gegen Spanien bzw. die fast sicher mit der Zweier-Panier spielenden Französinnen kommt. Dann hätte der Dritte der Gruppe C ebenso zwei Punkte wie mit Dänemark jener der Gruppe A.

Deutschland: Niederlage als Vorteil?

„Die Neid hat Angst vor Spanien und Frankreich“, konstatierten deutsche Fans nach ihrer Rückkehr nach Växjö vom 0:1 der DFB-Auswahl 75 Auto-Minuten entfernt in Kalmar gegen Norwegen. Der ersten EM-Endrunden-Niederlage seit zwanzig Jahren. Denn mit der Pleite gegen Norwegen und einer, wie man hört, recht uninspirierten Leistung verhindert man ein Viertelfinale gegen Spanien (gegen dieses Team gab’s in der Quali ein 2:2) und vor allem ein Halbfinale gegen jene Französinnen, die bisher die ganz klar stärkste Mannschaft im Turnier waren.

Kommt Deutschland nun über Italien im Viertelfinale drüber, wartet im Semifinale fast sicher Schweden. Zwar gegen 13.000 gelb-blaue Fans in Göteborg, aber sportlich wäre Schweden wohl ein leichterer Kontrahent als Frankreich.

(phe)

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12 Teilnehmer, 3 Titel-Kandidaten: Fußball-Europa sucht seine Königinnen https://ballverliebt.eu/2013/07/09/12-teilnehmer-3-titel-kandidaten-fusball-europa-sucht-seine-koniginnen/ https://ballverliebt.eu/2013/07/09/12-teilnehmer-3-titel-kandidaten-fusball-europa-sucht-seine-koniginnen/#comments Mon, 08 Jul 2013 22:02:22 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=8984 12 Teilnehmer, 3 Titel-Kandidaten: Fußball-Europa sucht seine Königinnen weiterlesen ]]> Natürlich: Wer nur auf das Tempo, die Athletik oder allgemein das, um es mal platt zu formulieren, Offensichtliche schaut, wird mit dem Frauenfußball nie eine Herzensbeziehung eingehen. Darum versuchen wir es vor der Europameisterschaft in Schweden mal mit Inhaltlichem. Mit Taktischem. Mit etwas Hintergrund-Information. Denn wer mit einem Mindestmaß an Wissen um die Personen, die Teams, die Leiungsstärken im Vergleich zur Konkurrenz, ihre Stärken und Schächen in ein Turnier geht – auch als Zuseher – der ist schon mal grundsätzlich im Vorteil.

Hier also: Acht Fragen und acht Antworten zu Schweden 2013.

1.: Wird’s Deutschland zum 6. Mal in Folge?

Die einfachste Antwort wäre „Ja“. Die Buchmacher sagen zumindest „Wahrscheinlich“. Die Eindrücke der letzten zwei bis drei Jahre aber sagen, vor allem mit Blick auf Frankreich, nur „Gut möglich“. Hinzu kommt eine schon fast unheimliche Ausfalls-Serie.

Verena Faißt, die derzeit wohl beste Linksverteidigerin der Welt? Pfeiffer’sches Drüsenfieber, fehlt. Babett Peter, verlässliche Linksverteidigerin und gesetzt seit vielen Jahren? Kahnbeinfraktur, fehlt. Alex Popp, Alternative in der Spitze und am linken Flügel? Knöchel bedient, fehlt. Linda Bresonik, fix vorgesehen für die rechte Angriffsseite? Achillessehne entzündet, fehlt. Kim Kulig, Stammkraft im zentralen Mittelfeld? Immer noch Probleme mit dem vor zwei Jahren im WM-Viertelfinale gerissenen Kreuzband, fehlt. Viola Odebrecht, Routinier im offensiven Mittelfeld? Meniskusriss und Knorpelschaden, fehlt auch.

Bezeichnend, dass bei einem Image-Spot beim letzten Test, dem 4:2 gegen Japan vor 46.000 Zusehern in der Allianz Arena, von den drei Spielerinnen, die über die Vidiwall ihre Message abgaben, zwei (Kulig und Popp) nicht dabei sein werden und eine nach einem Innenbandriss gerade noch rechtzeitig fit wurde (Krahn).

Da Deutschland, neben Olympiasieger USA, das weltweit größte Reservoir an Spielern hat, ist das in der Kadertiefe immer noch kein Problem, Bundestrainerin Silvia Neid wird immer eine personell gute Mannschaft aufbieten können. Sie muss aber sehr wohl innerhalb des Teams ein wenig umschichten und Spelerinnen an Positionen einsetzen, an denen sie ihre Stärken nicht optimal ausspielen können.

Deutschland
Deutschland

Vor allem der Ausfall der kompletten linken Seite zwang zum Umbau. Statt Peter, Faißt und auch Popp (die alle LV spielen können) muss mit Jennifer Cramer die vierte Wahl aushelfen. Auf den Außen-Positionen im Mittelfeld kommen zwei gelernte Mittelstürmerinnen zum Einsatz – bei Anja Mittag noch nicht so ein Problem, weil die das schon öfter gemacht hat, aber Bayern-Angreiferin Lena Lotzen spielt ziemlich out of Position.

Vom System her hat sich das 4-2-3-1, das in den letzten Jahren DFB-Standard wurde, schon wieder ziemlich deutlich zu einem 4-4-2 ausgewaschen. Darin machen die zwei Viererketten gegen den Ball den Raum extrem eng und die beiden Spitzen stehen kaum 25 Meter vor der Abwehrkette.

Ob Dzenifer Marozsán wirklich am besten ist, wenn sie als de facto zweite Spitze neben Célia Okoyino da Mbabi spielt, ist zumindest Geschmackssache – tendenziell dürfte sie aufgrund ihrer enormen Übersicht und ihrem Blick für den guten Pass und für sich öffnende Räume aber womöglich auf der Acht besser aufgehoben sein.

Unstrittig ist aber, dass Abwehr-Chefin Saskia Bartusiak überhaupt nicht damit umgehen kann, angepresst zu werden (wie es Frankreich in den letzten Test-Begegnungen tat). Unstrittig ist auch, dass Leonie Maier, die sich auf der Zielgeraden zur EM den Rechtsverteidiger-Posten von Bianca Schmidt gekrallt hat, eine unglaubliche Waffe in der Vorwärtsbewegung ist – aber extreme Schwächen im schnellen Umschalten von Offensive auf Defensive hat.

2.: Was spricht für, was gegen Frankreich?

Erster Herausforderer ist Frankreich. Unter Bruno Bini hat sich das Team in den letzten Jahren in der Weltspitze etabliert, im Endeffekt aber noch nichts gewonnen. Das war bei aller Klasse die Schwäche: In wichtigen Spielen ging’s oft schief. Vor zwei Jahren bei der WM als bessere Mannschaft das Halbfinale gegen die USA und dann als bessere Mannschaft das kleine Finale gegen Schweden verloren. Letztes Jahr bei Olympia zwar Schweden besiegt, aber dann im Semi gegen Japan und im Bronze-Spiel gegen Kanada verloren – wieder nur Platz vier.

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Frankreich und Deutschland testeten seit dem Olympiaturnier zweimal gegeneinander, beide Spiele endeten in für Deutschland schmeichelhaften Unentschieden. Die Equipe Tricolore traute sich, die deutsche Defensive Vollgas anzupressen und wurde mit billigen Ballgewinnen und leichten Toren belohnt. Im Aufbau versucht man zumeist, auf spielerischem Weg nach vorne zu kommen.

Frankreich
Frankreich

Verdeutlicht wird das durch die Maßnahme, Camille Abily von der Zehn (wie vor der WM) bzw. vom Flügel (wie bei und unmittelbar nach der WM) auf die Acht zu stellen. Dafür opferte Bini eine der eher zurückhaltenden Sechser (also Élise Bussaglia). Gemeinsam mit der technisch starken Louisa Nécib verleiht sie dem Team gutes Passspiel nach vorne.

Bini ekelte nach Olympia Linksverteidigerin Sonia Bompastor aus dem Team, ansonsten ist die Mannschaft aber seit Jahren personell praktisch unverändert und damit perfekt aufeinander eingespielt. Was man aber nicht außer Acht lassen darf: Es gibt praktisch keine Alternativen. Élodie Thomis könnte statt Le Sommer auf dem Flügel spielen, mit Élise Bussaglia (DM) und Ophélie Meilleroux (IV) gibt es noch routinierte, aber langsame Optionen; Amandine Henry (ZM) könnte zur Not statt Abily spielen – aber das war’s. Fallen Schlüsselkräfte wie Renard, Franco oder Nécib aus, hat Frankreich ein großes Problem.

Größter sportlicher Schwachpunkt auf dem Feld ist wohl die Position ganz vorne. Marie-Laure Delie ist nicht gerade die Torgefährlichste. Eine Sturmspitze wie Lotta Schelin oder Célia Okoyino da Mbabi, und Frankreich wäre der ganz klare Titel-Favorit.

Größter sportlicher Vorteil auf dem Feld ist dafür die personelle Blockbildung: Bouhaddi, Franco, George, Renard, Abily, Le Sommer und Nécib spielen alle bei Lyon – in den letzten vier Jahren immer im CL-Finale, zweimal gewann man dieses.

3.: Kann Gastgeber Schweden Europameister werden?

Grundsätzlich schon, es müsste aber viel zusammenpassen. Beim Spielplan hat man schon mal dafür gesorgt, dass man nicht über Deutschland UND Frankreich drübermüsste – diese beiden Teams treffen sich, geht alles nach der erwartbaren Papierform, schon im Semifinale. Die Spiele mit Schweden-Beteiligung sind alle ausverkauft, an der Unterstüzung von den Rängen wird es also nicht fehlen.

Schweden
Schweden

Dafür fehlt es dem Team eindeutig an der Klasse von Deutschland und Frankreich. Die wenigsten Sorgen gibt es vorne – mit Lotta Schelin hat man eine der profiliertesten Stürmerinnen vorne drin, mit Kosse Asllani eine talentierte Nebenfrau. Aber sonst… Die Außenverteidigerinnen – aufgepasst im Übrigen auf die Weitschüsse von Sara Thunebro – neigen dazu, gegen den Ball zu weit einzurücken. Ein Relikt aus der Zeit von Thomas Dennerby, dass die aktuelle Teamchefin Pia Sundhage nicht ganz wegbrachte. Das ist deshalb ein Problem, weil Josefine Öqvist und Antonia Göransson auf den Flügeln die Aufgabe haben, vorne das Sundhage’sche Pressing-Spiel zu erfüllen.

Dazu ist in der Vorwärtsbewegung Caroline Seger im zentralen Mittelfeld zwar fähig, aber oft zu zögerlich. Dem Mangel an Spielaufbau versucht Sundhage auszugleichen, indem sie Sechser Nilla Fischer, die Frau mit der eigenwilligen Frisur, zur Innenverteidigerin umschulte. Das ist gut für die Spieleröffnung, aber ein Risiko in der Abwehr, wie sich beim Algarve Cup zeigte. Wo Sundhage auch Torfrau Kristin Hammarström heftig kritisierte. Weil Einsergoalie Hedvig Lindahl aber verletzt fehlt, wird Hammarström dennoch spielen.

4.: Ist ein Überraschungs-Sieger denkbar?

Nein. Am ehesten hätte es wohl England drauf, aber der Finalist der letzten Europameisterschaft in Finnland müsste seine Vorrunden-Gruppe schon vor Frankreich abschließen, um nicht im Viertelfinale schon gegen Deutschland ran zu müssen. Spätestens im Halbfinale würde sich das DFB-Team aber nicht verhindern lassen. Das 1:4 im letzten Test gegen Schweden, bei dem man vorne harmlos und hinten katastrophal war, macht aber ohnehin nicht viel Hoffnung.

Wenn schon, dann hätte eher der vermutliche Halbfinal-Gegner von Schweden eine Chance – also, sofern alles normal abläuft, Norwegen. Auch Italien und Dänemark können sich auf den quasi „verbleibenden“ vierten Halbfinalplatz Hoffnungen machen. All diese Teams bräuchten aber ein mittleres Wunder, um tatsächlich Schweden zu besiegen UND dann auch noch im Finale gegen Deutschland oder Frankreich etwas reißen zu können.

Finnland fehlt Goalgetter Sällström und Kapitänin Maija Saari, dürfte in der Gruppe A gegen Schweden, Dänemark und Italien kaum etwas holen können. Holland schlich sich per Elferschießen-Sieg gegen Frankreich vor vier Jahren sensationell ins Halbfinale – die K.o.-Runde ist auch diesmal realistisch, mehr eher nicht. Wie es Island schaffte, dass nur ein Tor im letzten Quali-Spiel zur Direktqualifikation gegenüber Norwegen fehlte, ist ein Mysterium. Beim Algarve Cup fehlten zwar mit Gunnarsdóttir und Vidarsdóttir die zwei Besten, aber wie unglaublich naiv verteidigt wurde, war ein Wahnsinn. Kaum vorstellbar, dass es bei der EM nicht drei klare Niederlagen setzt.

Russland hatte schwerste Mühe, im Play-Off gegen Österreich zu bestehen und in der Gruppe Frankreich und England vor der Nase. Dazu gab’s in der Vorbereitung ein 0:5 in einem Test in Finnland und Torhüterin Elvira Todua ist mit einer Schulterverletzung zumindest gehandicapt – dafür gab’s im letzten Test einen 3:2-Sieg gegen Norwegen. Alles nicht so einfach zu deuten. Und Spanien ist nur dank eines Tores in der 123. Minute des Play-Off-Rückspiels gegen Schottland dabei. In der Quali gab’s zwar ein achtbares 2:2 gegen Deutschland, aber die Erfahrung auf dem großen Level fehlt. Gut möglich, dass selbst ein Sieg gegen Russland nicht zum Viertelfinale reichen würde.

5.: Ist Österreich dabei?

Nein, aber die ÖFB-Frauen waren so knapp dran wie noch nie. Im Play-Off gegen Russland machte man eine gute Figur, letztlich fehlte aber die Erfahrung. Besonders im Auge zu behalten gilt es bei dieser EM aus österreichischer Sicht die Teams aus Frankreich und Finnland, diese werden nämlich in der September startenden Quali für die WM 2015 in Kanada Gruppengegner sein.

quali

6.: Wie sieht der Modus aus?

Zwölf Teams sind dabei – zum letzten Mal, denn 2017 wird das Turnier auf 16 Mannschaften aufgestockt. Die zwölf Teams teilen sich in drei Vierergruppen auf. Die jeweils Ersten und Zweiten jeder Gruppe kommen ins Viertelfinale, die zwei besten Dritten auch. Der selbe Modus kam schon bei der letzten EM 2009 in Finnland zum Einsatz.

Spielplan

7.: Werden die Stadien halbwegs voll sein?

Ja und nein. Die Schweden-Spiele werden alle vor ausverkauftem Haus stattfinden, die Partien von Deutschland zumindest vor halbvollem. Alle anderen Spiele drohen aber weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattzufinden – im Schnitt sind für die restlichen Partien 1.000 Karten verkauft. Trotz moderater Preise von umgerechnet etwa 20 Euro.

8.: Wo gibt’s die Spiele im TV zu sehen?

Auf Europsort – live, und zwar alle. Lediglich vier Spiele (Schweden-Finnland und die drei Parallelspiele im letzten Gruppendurchgang) werden auf Eurosport2 gesendet. Zusätzlich teilen sich ARD und ZDF die Übertragungen der deutschen Einsätze. Sobald Deutschland aber raus ist, sind auch ARD und ZDF raus.

(phe)

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