Österreich – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Thu, 04 Jul 2024 20:28:55 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 Verdient eine EURO 2024 ohne Österreich überhaupt einen Sieger? https://ballverliebt.eu/2024/07/04/verdient-eine-euro-2024-ohne-oesterreich-ueberhaupt-einen-sieger/ https://ballverliebt.eu/2024/07/04/verdient-eine-euro-2024-ohne-oesterreich-ueberhaupt-einen-sieger/#respond Thu, 04 Jul 2024 20:10:33 +0000 Österreich scheidet gegen die Türkei aus. Nix wars mit dem Geheimfavoriten-Dasein. War alles nur Schall und Rauch?

Und wer soll dieses Turnier nun noch gewinnen? Kommt es im Viertelfinale bei Spanien gegen Deutschland zum vorzeitigen Finale? Frankreich hat mit Portugal eine echte Hürde vor sich. England muss sich gegen die Schweiz steigern. Und die Niederlande kriegen es mit der Türkei zu tun. Der neue Ballverliebt-Podcast diskutiert die heiße Phase des Turniers.

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Österreich nach der EM: Der Optimismus ist gekommen, um zu bleiben https://ballverliebt.eu/2024/07/04/oesterreich-nach-der-em-der-optimismus-ist-gekommen-um-zu-bleiben/ https://ballverliebt.eu/2024/07/04/oesterreich-nach-der-em-der-optimismus-ist-gekommen-um-zu-bleiben/#comments Thu, 04 Jul 2024 09:33:56 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20376 Österreich nach der EM: Der Optimismus ist gekommen, um zu bleiben weiterlesen ]]> Die vollkommene Leere in ihren Blicken war die selbe. So ausdruckslos sich Benjamin Šeško tags zuvor von den slowenischen Fans feiern ließ, so abwesend wirkte Marcel Sabitzer bei der Verabschiedung von den österreichischen Schlachtenbummlern. Die beiden haben in diesen Momenten, unmittelbar nach ihrem Achtelfinal-Aus bei der EM, sicher so ziemlich das gleiche gefühlt. Und doch sind ihre Situationen unterschiedlich.

Šeško hatte gegen Portugal in der Verlängerung den Viertelfinal-Einzug am Fuß gehabt, sein Team war danach im Elfmeterschießen ausgeschieden. Für Slowenien war dies eine vermutlich einmalige Chance gewesen: So nah an einen Sieg in einem K.o.-Spiel war man noch nie und wird die personell und qualitativ eher limitierte Truppe wohl auch nicht mehr so schnell kommen.

Best Laid Plans

„The best laid plans of mice and men / Often go astray / And leave us nothing but grief and pain / For promised joy!“ Als der damals 26-jährige Robert Burns, Lyriker und Landwirt, beim Pflügen versehentlich den Bau einer Maus aufriss, dichtete er dieser zu Ehren ein Gedicht. Es war eines seiner bekanntesten, die Grundaussage: So gut du dich auch vorbereitest, irgendwas kann immer schief gehen und deine Pläne durchpflügen.

In den sieben Länderspielen im Jahr 2024 ist Österreichs Mannschaft fünfmal früh in Führung gegangen, hat danach alle fünf Spiele gewonnen. Einmal gelang das nicht, das war gegen Frankreich, es gab ein 0:1. Unangenehm, aber kein Beinbruch – Frankreich ist ein gutes Team und man kann ja nicht alles gewinnen. Gegen die Türken war die Ausgangslage klar: Die wollen spielen, also pressen wir sie an, so wie alle anderen auch, die uns den Gefallen tun, sich nicht hinten zu verbarrikadieren. Und dann waren 55 Sekunden gespielt und die Türken schlugen Österreich mit den eigenen Waffen: Schnelle Führung und dann genau der Rückzug, gegen den die österreichischen Kontrahenten lange keine taugliche Waffen fanden.

Burns tat die Maus dereinst, im November 1785, schon sehr leid, weil er wusste: Das Nagetier hat keine Chance mehr, den nahenden Winter zu überleben. Er schloss das Gedicht jedoch mit den Worten: „Trotzdem hast du’s gut, im Vergleich zu mir / Denn du siehst nur das Jetzt / Aber blicke ich zurück, sehe ich nur Elend / Und weiß ich um die Zukunft nicht / Ahne ich doch und habe Angst.“

Schottland 1785 vs. Österreich 2024

Burns war, wie alle Menschen, ein Kind seiner Zeit, in der das persönliche Leben und die politische Lage noch viel instabiler waren als heute – wenige Monate später starb seine Frau am Typhus, das Königreich war nach dem Verlust der Kolonien in Amerika im Kompetenzstreit zwischen König George III. und dem Parlament gelähmt. Burns, geplagt von chronischem Rheuma, sollte nur 37 Jahre alt werden.

Der noch heute verehrte schottische Lyriker wusste: Die Zeiten sind schlecht und sie werden so schnell nicht besser. Der österreichische Fußball-Fan von heute darf aber wissen: Die Zeiten im heimischen Fußball sind gut und alle Vorzeichen sind da, dass das mittelfristig auch so bleibt. Rangnick hat dem intensiven Werben von Bayern München widerstanden, er bleibt dem ÖFB erhalten. Das ist ein Zeichen für sein Commitment und ein Zeichen für das Standing und das Potenzial, das Rangnick in Österreich sieht.

Kein großer Fundamental-Fatalismus

Denn anders als in der Vergangenheit passen Zielsetzung und Leistungen nun tatsächlich zueinander, auch in der Extremsituation eines großen Turnieres. Es war erkennbar: Dass man früher ausgeschieden ist, als es sein hätte müssen, hat man im Grunde einem schlechten Tag zu verdanken und keinem tiefsitzenden, strukturellen Defizit. Das wird goutiert, nicht nur von den österreichischen Zusehern in Leipzig, die ihr Team mit Jubel und Applaus verabschiedet haben, so wie sie sieben Tage zuvor gemeinsam mit dem Team in Berlin gefeiert haben.

Auch der bei Niederlagen in großen Spielen sonst immer einsetzende typisch österreichische Fundamental-Fatalismus ist längst nicht so ausgeprägt wie man das in den Posting-Sektionen (vor allem, wie gewohnt, im Boulevard) und Sozialen Medien sonst kennt. Es nörgeln die, die immer nörgeln und selbst bei einem EM-Titel noch sagen würde, das wäre alles nur Glück gewesen. Was in den letzten zwei Jahren passiert ist, hat aber nichts mit Glück zu tun und der überwiegende Großteil der Fans weiß das auch.

Vorbildwirkung und Sendungsbewusstsein

Und im ÖFB-Lager wissen sie um die Vorbildwirkung, die sie haben. Mannschaft und Staff agiert als Einheit, zieht an einem Strang – anders als unter Foda, als sich diese beiden Teile mit einem latenten gegenseitigen Misstrauen gegenüber gestanden war. Natürlich: Das Angriffs- und Gegenpressing-Spiel der Rangnick-Schule funktioniert nur, wenn alle mitmachen und sich jeder auf jeden anderen verlassen kann.

Entscheidend ist hier, dass ein Umfeld geschaffen wird, in dem jeder seine individuellen Stärken bestmöglich entfalten kann – und zwar unabhängig davon, ob er der Sohn vom Bundesliga-Trainer oder vom Nationalteam-Stürmer ist, aus dem gut situierten Salzburger Umland stammt oder serbische Wurzeln hat, ob die Eltern aus Kenia nach Wien gekommen sind oder aus Ghana nach Voitsberg.

„Zwar lebt der Kick von reichen Geldgebern und riesigen Businessklubs, die Kicker am Feld sind aber eine klassenlose Gesellschaft“, konstatierte der geschätzte Kollege Georg Sohler von 90minuten vor drei Jahren, „es gibt keine vorgeschriebenen Lebenswege für Rich Kids, zu Sport-Superstars zu werden. In vielen Bereichen setzt der Sport schlicht auf die Talentiertesten. Sportliches Talent kennt keine Klasse und ich glaube, das ist der Grund, warum Fußball in dem Punkt immer in der Kritik steht, weil theoretisch wirklich jeder Habenichts zum Star werden kann.“

Die positive Stimmung dieses von Rangnick und seinen Assistenten geschaffenen Umfeldes war neben der inhaltlich-taktischen Deckungsgleichheit von Potenzial und Spielweise der große Erfolgsfaktor der österreichischen Delegation. Es ist kein Wunder, dass von Ralf Rangnick (in seinem ZiB2-Interview nach dem Holland-Spiel) und Michael Gregoritsch (ausgerechnet auf Servus-TV nach dem Aus gegen die Türkei) explizit gegen die rechte Seite des politischen Spektrums ausgesprochen haben: Harmonische Bedingungen schaffen, in denen man unabhängig seiner Wurzeln als Einheit funktionieren kann, ist nun mal eben tendenziell linkes Gedankengut.

Und dieses Weltbild und der offene Umgang damit sind keine Ablenkung vom sportlichen Auftrag, wie Gregoritsch und Co. aus der angegriffenen Ecke vorgeworfen wird, sondern im Gegenteil die grundlegende, unverzichtbare Basis-Voraussetzung für das Funktionieren. Österreich hat in den letzten zwei Jahren Kroatien, Italien, Deutschland und Schweden (2x) besiegt, hat gegen Belgien und Frankreich gepunktet, nun bei der EM Erfolge gegen Polen und die Niederlande eingefahren. Dieses Team funktioniert, daran ändert die knappe Niederlage gegen die Türkei nichts.

Summe mehr als die Einzelteile

Das Publikum ist dann am Besten mitzureißen, wenn es merkt: Hier ist die Summe besser als die Einzelteile. Ja, es gibt die Spieler von Bayern München und von Borussia Dortmund und von Real Madrid. Das Gros des Kaders stammt von Mittelständlern in guten Ligen. Österreich hat nicht die Fülle an rohem Talent wie andere Teams, aber Österreich spielt – wie von internationalen Beobachtern teils mit Bewunderung, teils mit offener Ablehnung festgestellt wurde – wie eine Klub-Mannschaft.

„Hier kann er die Redbullisierung des österreichischen Fußballs letztgültig vollenden“, hieß es an dieser Stelle am 2. Mai 2022, nach Rangnicks Vorstellung als Teamchef. Nun gibt es den „Red-Bull-Fußball“ in unverrückbarer Absolutheit nicht, aber es gibt gewisse Spielprinzipien, welche weite Teile des Kaders von klein auf verinnerlicht haben. Eine so präzise abgestimmte Spielweise ist selbst den allerbesten Nationalteams kaum möglich.

So kann Österreich auch die bestehenden Defizite in der individuellen Qualität gegenüber den großen ausgleichen. Auf diese Weise kann man eben die Niederlande besiegen, Frankreich fordern oder ein verunsichertes deutsches Team aus den Happel-Stadion wirbeln.

Optimismus auch nach einem Turnier

Die Wahrnehmung eines Turniers war in der Tat seit Jahrzehnten nicht mehr so positiv wie 2024, dem bitteren – und letztlich eher unerwarteten – Achtelfinal-Aus gegen die Türkei zum Trotz.

2008 war sich Fußball-Österreich dem okayen Auftritt bei der Heim-EM seiner Defizite wohlbewusst. Man erwartete mittelfristig einen Aufschwung auf Basis der U-20-WM-Halbfinalisten, war sich aber auch klar, dass es dafür den richtigen Teamchef brauchte. Hickersberger war das nicht, die Freude über Brückner währte nur zwei Spiele, er sah nur auf dem Papier gut aus.

2016 reagierte die von einer grandiosen Quali und einem sympathischen Team enthusiasmierte Fan-Öffentlichkeit geradezu persönlich beleidigt über das missratene Turnier. Dass die Erwartungshaltung überzogen sein könnte, hätte man erkennen können, jedenfalls ließ die verunglückte folgende WM-Quali die Liebe zu Koller bei den Fans erkalten und ÖFB-intern sah man die Gelegenheit gekommen, den unbequemen Sportdirektor Willi Ruttensteiner loszuwerden.

2021 ging man nach dem rasanten Sieg gegen die Ukraine und dem tollen, engen Achtelfinale gegen Italien mit vorsichtigem Optimismus aus dem Turnier heraus. Könnte das mit Foda womöglich doch noch was werden? Das Tauwetter dauerte genau bis zum nächsten Länderspielfenster, ehe „Foda Raus!“-Rufe durch das Happelstadion peitschten.

Mal war man einfach nicht gut und wusste das. Mal glaubte man, weiter zu sein, als man war. Mal wurde klar, dass das die Realpolitik nicht mit dem Potenzial mithalten konnte. 2024 ist das anders: Das österreichische Nationalteam steht auf einem mittlerweile relativ breiten Fundament und die zwei Jahre seit der Verpflichtung von Ralf Rangnick als Teamchef haben gezeigt, dass die Beobachter in der Foda-Zeit recht hatten: Dieses Team kann richtig gut sein, wenn man es seinen Stärken entsprechend spielen lässt.

Realistisches Standing

Nun ist Österreich natürlich kein europäisches Spitzenteam, zählt realistischerweise auch nicht zu den Top-8, aber man stellt sehr wohl gehobene Mittelklasse dar – also genau das, was das Potenzial nun mal hergibt. Österreich geht im vergleichenden Elo-Rating innereuropäisch auf Platz 11 aus dieser EM raus, so gut ist man seit 43 Jahren nicht mehr dagestanden (nach der Quali für die WM 1982 war das). Als Marcel Koller von Didi Constantini übernahm, lag Österreich hier auf Platz 34 in Europa.

Dass es noch viel weiter nach oben geht, ist kaum darstellbar, da stehen die Frankreichs und Englands, die Portugals und Spaniens der Welt. Aber den Status im Bereich des Rennens um den „Best Of The Rest“ zu halten, darf ein legitimer und realistischer Anspruch sein. Die Qualifikation für die WM in Amerika in zwei Jahren ist ein logisches Ziel, aber kein Selbstläufer, weil man nach dem Nations-League-Abstieg von 2022 aus dem zweiten Topf gezogen wird und damit entweder einen Gruppenkopf eliminieren oder sich durch das Playoff kämpfen wird müssen.

Und das Personal?

Marko Arnautovic hat bereits angedeutet, dass seine Teamkarriere nach 116 Einsätzen (plus einem eventuellen Abschiedsspiel, sollte er er solches bekommen) als Rekord-Nationalspieler zu Ende sein wird. Alle anderen dürften aber bis 2026 noch dabei sein, es bleibt also eine eingespielte Truppe, es bleiben aber auch deren personelle Schwächen bestehen. Vor allem die fehlenden Alternativen ganz vorne stechen dabei heraus.

Der sich im besten Fußballer-Alter befindende Kern der 2024er-Mannschaft rekrutiert sich aus jenem Team, das vor fünf Jahren als bisher einzige U-21-Truppe des ÖFB an einer Endrunde teilgenommen hat, dort Serbien besiegt und gegen den späteren Finalisten Deutschland remisiert hat – Christoph Baumgartner war damals so jung, dass er sogar noch zwei Jahre später U-21-berechtigt war.

Sasa Kalajdzic kämpft mit Verletzungen. Adrian Grbic hatte einen guten Nations-League-Herbst 2020, aber seine Karriere in der Ligue 1 ist nie vom Fleck gekommen. Mathias Honsaks Karriere in Deutschland pendelt zwischen Bundesliga und 2. Liga, Marko Kvasina war nie ein echtes Thema für das Nationalteam.

Die U-19, die sich vor zwei Jahren am Weg zur U-20-WM selbst ein Bein gestellt hat, sieht – wie das aktuelle A-Team – besser aus als die Einzelteile. Querfeld ist im EM-Kader, Veratschnig versucht sich ab sofort in Mainz – ansonsten sehen jene, die zu alt sind für den aktuellen U-21-Jahregang aber nicht so aus, als sollten aus ihnen Nationalteam-Stützen reifen.

Und jene angesprochene U-21, die im Herbst überraschend einen 2:0-Sieg gegen die französischen Altersgenossen (bei denen Barcola, Tel und Rutter im Laufe des Matches eingewechselt wurden) eingefahren hat, weist schon ein gewisses Talent auf. Aber gerade in der Offensive ist wohl auch hier nicht mehr Potenzial da als gutes Bundesliga-Niveau (Ballo spielt beim WAC, Lang bei Rapid, Knollmüller bei Lafnitz, Zimmermann war an den WAC verliehen, Bischof an die Vienna). Und Yusuf Demir ist so oder so ein ganz eigenes Thema.

Matthias Braunöder ist mit Como in die Serie A aufgestiegen, Nikolas Sattlberger wurde mit 19 Jahren Stammkraft bei Rapid und der im Frühjahr am Knie verletzte Dijon Kameri kann jener Wusler im offensiven Mittelfeld werden, der dem Nationalteam gut tut. Der schnelle Manuel Polster wird nun in Lausanne die linke Außenbahn bearbeiten. Muharem Huskovic? Ja, sehr talentiert, bisher aber auch nicht vom Glück begünstigt, hat nach seinem Autounfall ein Jahr verloren.

Und, um die Klammer zu schließen: Ist es wirklich so sicher, dass Slowenien wirklich auch in vier oder in acht Jahren nicht mehr so nahe an ein EM-Viertelfinale kommt? Die aktuelle österreichische U-21 wird nämlich, dem Sieg gegen Frankreich zum Trotz wohl eher nicht zur EM in die Slowakei fahren. Weil Österreich gegen den prognostizierten Letzten Zypern beide Spiele nicht gewonnen hat.

Und weil Slowenien aktuell an der Spitze der Gruppe steht, noch vor Frankreich, im Herbst 2023 in Murska Sobota die ÖFB-Junioren besiegt hat.

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Österreich 1, Türkei 2: Mit frühem Gegentor aus der Komfortzone gedrängt https://ballverliebt.eu/2024/07/02/osterreich-turkei-achtelfinale-euro-2024/ https://ballverliebt.eu/2024/07/02/osterreich-turkei-achtelfinale-euro-2024/#respond Tue, 02 Jul 2024 21:46:29 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20331 Österreich 1, Türkei 2: Mit frühem Gegentor aus der Komfortzone gedrängt weiterlesen ]]> Die EM-Reise von Österreich endet im Achtelfinale: Ein Eckball-Gegentor in der 1. Minute erlaubt den Türken, aus dem tiefen Block auf Konter zu spielen, die Österreicher damit völlig aus der Komfortzone zu werfen. Auch wenn es unglücklich war, sich nicht zumindest noch in die Verlängerung gerettet zu haben: Dieses Spiel entwertet die bis dahin großartige EM von Österreich nicht, hat aber das größte Problemfeld recht schonungslos aufgedeckt.

Österreich – Türkei 1:2 (0:1)

Die Türken spielten von Anfang an – schon in den paar Sekunden vor jener Ecke, die sich Österreich mehr oder weniger selbst nach kaum einer gespielten Minute ins Tor gelegt hat – mit einer Fünfer-Abwehrkette. In Abwesenheit des gesperrten Samet Akaydin kam nicht nur die erwartete Innenverteidigung mit Abdülkerim und Demiral zum Einsatz, sondern rechts daneben auch noch Kaan Ayhan. Der Deutsch-Türke war in der Vorrunde als Sechser hinter dem im Achtelfinale gelbgesperrten Çalhanoğlu eingesetzt worden.

Das frühe Gegentor jedenfalls (und das österreichische Verpassen einer sofortigen Antwort bei einem eigenen Standard in der 3. Minute) änderte die Statik des Spiels komplett, weil die Türken nun guten Gewissens verteidigen konnten. Zunächst wurde der ballführende Österreicher auch schon im Mittelfeld unter Druck gesetzt, nach etwa zehn bis fünfzehn Minuten etablierten die Türken aber einen tiefen 5-4-Block.

Keine Idee nach vorne, Gefahr nach hinten

Die Österreicher hatten nichts zum Anpressen und waren zu jenem Spiel gezwungen, das sie am wenigsten können – sich gegen einen tief stehenden Gegner durchzuarbeiten. Die Türken ließen von Österreich ab, solange diese im Bereich der Mittellinie nach einem Durchkommen suchten; sobald aber der Pass in den Zehnerraum kam, schnappte die türkische Falle zu.

Denn die Mittelfeld-Außen standen relativ eng, man bot Österreich die Außenbahnen an, machte aber das Zentrum komplett zu, gewann dort Bälle durch die schnell hergestellte Überzahl rasch und schaltete sehr flott um. Sie bekamen diese Situationen selten präzise zu Ende gespielt, die dergestalt ausgestrahlte Gefahr reichte aber absolut aus, um die Österreicher zu verunsichern und das verhinderte, dass Österreich Risikopässe nahm. Denn hinzu kam, dass die Restverteidigung des ÖFB-Teams in diesen Situationen oft arg luftig daher kam.

Aus einem 4-2-3-1 eine Fünferkette anzupressen, ist nur behelfsmäßig möglich und ist – weil man nur schwer die nötige Überzahl in Ballnähe UND die nötigen Absicherungsstrukturen herstellen kann – gefährlich, wenn einem vom Gegner die schnellen Gegenstöße um die Ohren zu fliegen drohen. Auch aus hohen Bällen bzw. Chip-Pässen in den Strafraum konnte Österreich kein Kapital schlagen, weil die Türken so gut wie jedes Kopfball-Duell gewannen, nicht nur im Strafraum, sondern auch bei losen Bällen im dichten Mittelfeld-Zentrum. Österreich wirkte mit Fortdauer der ersten Hälfte zunehmend ratlos.

Mehr Direktheit…

Für die zweite Hälfte kamen Prass für den in Ballbehandlung und Zweikampf zuweilen unsicheren Mwene und mit Gregoritsch ein neuer Zielspieler im Zentrum, der gelbvorbelastete Schmid blieb für ihn draußen, Baumgartner wechselte auf die rechte Außenbahn. Österreich war nun bemüht, schneller und vertikaler durch die türkischen Reihen zu kommen.

Ab ca. 65. Minute

Prass bearbeitete den Halbraum hinter Barış Alper, Arnautovic ließ sich eher auf die Zehn fallen, um besser anspielbar zu sein und Bälle wenn möglich auch weiterzuleiten. Es gab auch eine gute Chance durch Arnautovic, die genau so durch die Mitte entstanden sind, aber nicht genützt wurde. Und dann schlug es nach einer Stunde wieder ein, wieder ein Eckball, wieder Demiral, 0:2.

…und dann die Brechstange

Gregoritsch‘ rasche Antwort in Form des Treffers zum 1:2 – auch dieses Tor nach einem Eckball – hielt Österreich im Spiel, nachdem Grillitsch im Zentrum für Laimer eingewechselt worden war. Mit ihm sollte wohl etwas mehr Ruhe am Ball ins Mittelfeld kommen, ein Element, für das im Zweifel sonst Alaba gesorgt hat. In der Vorrunde hatte man um sein Fehlen und das von Xaver Schlager gut herumspielen können, nun hätte man sie sehr gut gebrauchen können.

Die Türken ließen sich in der Folge immer weiter hinten hineindrücken, kamen nicht mehr so gut an die Kopfbälle, konnten nicht mehr so gut für Entlastung sorgen, obwohl Özcan als frischer Kämpfer statt des von seiner gelbe Karten gehandicapten Yüksek reingekommen war. Österreich setzte sich nun besser im Angriffsdrittel fest, näherte sich immer wieder dem Tor an, wurde aber selten wirklich gefährlich.

Am Ende lieferten die Türken der österreichischen Brechstange eine Abwehrschlacht, doch Österreich fehlten immer die paar Zentimeter, um aus den vielen Halbchancen echte Chancen zu machen bzw. irgendwie den Ball noch ins Tor zu bugsieren. Und dann fischt Mert Günök den Ball in der 94. Minute bei Baumgartners Kopfball auch noch mit einem erstaunlichen Reflex vor der Linie weg.

Fazit: Dumm gelaufen und Schwächen aufzeigt bekommen

In den Vorbereitungsspielen und auch in den EM-Matches gegen Polen und die Niederlande war Österreich früh in Führung gegangen, konnte dann (bzw., hätte können, gegen Polen) gegen einen Kontrahenten mit den eigenen Stärken nachsetzen und nerven, der sich nicht mehr hinten festsetzen kann. Mit dem Rückstand in der 1. Minute in diesem Achtelfinale gegen die Türkei ging das natürlich nicht.

Denn ja, die Türken sind schon ein Team, das spielen will, dribbeln und in Eins-gegen-Eins-Situationen. Aber wenn sie nach 55 Sekunden so ein Geschenk bekommen, sind sie clever genug, um nicht dem Gegner ins offene Messer zu laufen. Die Türken setzten sich hinten fest, waren robust in den Zweikämpfen und deuteten bei Ballgewinnen immer wieder ihre Gefahr an. Schon nach 20 Minuten hatte man den Eindruck, dass sie den Österreichern zumindest die ganz scharfen Zähne gezogen hatten.

Rangnicks Reaktionen in der Pause und nach einer Stunde hatten Hand und Fuß, waren erklärbar und proaktiv, die zehn Minuten direkt nach dem Seitenwechsel konnte man das Spiel spürbar ein wenig an sich ziehen. Das zweite Gegentor kam für die Türken zu einem tollen und für Österreich zu einem furchtbaren Zeitpunkt. Es war ein wenig wie beim 2:3 vor einem Jahr in der Quali gegen Belgien: Auch damals fing man sich ein frühes Gegentor, nach einer Stunde setzte der Gegner nach (damals per Doppelschlag); Österreich fightete bis zum Schluss, kam aber nicht mehr ganz heran.

Letzten Oktober war das verschmerzbar. Nun, in Leipzig, beendete das die österreichische EM-Reise. Denn die „Fülle an tollen Chancen“, die Rangnick wohl auch in der Emotion des Spiels sah, waren bei Licht betrachtet eher nur Annäherungen: Gregoritsch‘ Kopfball in der Rückwärtsbewegung gleich nach dem Anschlusstreffer etwa, oder Baumgartner, der in der 84. Minute zwar zwischen Mert Günök und Merih Demiral an den Kopfball kommt, aber keine Chance hat, ihn zu platzieren.

Der Eckball in der 3. Minute, Arnautovic’s Chance in der 51. Minute und Günöks Wunder-Save in der 94. Minute – die wären es gewesen. Hätte man den ersten versenkt, wäre die komplette Statik des Spiels eine andere gewesen. Hätte man den zweiten versenkt, gerät man nicht kurz darauf in Zwei-Tore-Rückstand. Hätte man den dritten versenkt, wäre man in der Verlängerung gewesen.

Aber, hättiwari: Österreich ist im Achtelfinale dieser EM ausgeschieden. Das hätte nicht sein müssen, ist bitter und schade. Es sollte aber nicht alles zum Einsturz bringen.

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Sind wir fast schon im Finale? Österreich im EURO 2024-Achtelfinale gegen die Türkei https://ballverliebt.eu/2024/07/01/sind-wir-schon-im-finale-oesterreich-im-euro-2024-achtelfinale-gegen-die-tuerkei/ https://ballverliebt.eu/2024/07/01/sind-wir-schon-im-finale-oesterreich-im-euro-2024-achtelfinale-gegen-die-tuerkei/#respond Sun, 30 Jun 2024 22:05:45 +0000 Der Hype um Österreich ist vor dem Duell mit der Türkei am Höhepunkt. Geht das Team von Ralf Rangnick wirklich als Favorit in dieses Spiel? Das und alle anderen Achtelfinalspiele der EURO 2024 im Update. Und wie sind die Leistungen von England, Deutschland, Spanien und der Schweiz bei ihren Achtelfinal-Siegen einzuschätzen? (Als Youtube-Video ist der Podcast hier zu finden.)

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Österreich 3, Niederlande 2: Cool geblieben, Großes vollbracht https://ballverliebt.eu/2024/06/27/osterreich-niederlande-gruppe-euro-2024/ https://ballverliebt.eu/2024/06/27/osterreich-niederlande-gruppe-euro-2024/#respond Thu, 27 Jun 2024 21:59:08 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20261 Österreich 3, Niederlande 2: Cool geblieben, Großes vollbracht weiterlesen ]]> Der komplett in Rot-Weiß-Rot gehüllte Fan-Block neben dem Marathontor, davor auf dem Feld die ÖFB-Spieler, Schulter an Schulter. Und durch das sonnenüberflutete Olympiastadion tönt Rainhard Fendrichs halb melancholisches, halb trotziges „I Am From Austria“. Momente, die eingehen werden in die Geschichte des österreichischen Fußballs, Minuten nach dem 3:2 gegen das Team der Niederlande und dem damit eingefahrenen Gruppensieg.

Erstmals seit 46 Jahren, der WM in Argentinien, beendet Österreich die Vorrunde eines großen Turnieres als Erster, überhaupt erst zum fünften Mal nach 1954, 1978, 1982 und 2021 hat das ÖFB-Team die erste Phase eines Turnieres überstanden. Wie kam das – und was heißt das?

Das Erreichen des Achtelfinales stand de facto schon vor dem Spiel fest, nur eine 0:5-Niederlage hätte Österreich noch einmal in Gefahr gebracht. Wohl auch deshalb rotierte Ralf Rangnick: Laimer und Baumgartner blieben wie Mwene draußen, dafür kamen Schmid (rechts) und Wimmer (links) ins Spiel, Alexander Prass startete als Linksverteidiger, Sabitzer auf der Zehn. Wöber bekam den Vorzug vor Danso um jenen Platz in der Innenverteidigung, den gegen Polen noch Trauner besetzt hatte.

Niederlande, Mekka der Mittelfeld-Manndeckung

Bondscoach Ronald Koeman setzt eine Tradition fort, die das Oranje-Team seit nunmehr einem Jahrzehnt prägt: Manndeckung im Mittelfeld. Veerman kümmerte sich um Grillitsch, Reijnders sollte die Ballgewinne von Seiwald verhindern, Schouten dackelte Sabitzer nach. Gegner mit dieser Strategie waren 2016 für Österreich ein großes Problem, Holland hielt damit auch Frankreich in Schach, Rangnicks ÖFB-Team lachte da aber nur darüber. Aus mehreren Gründen.

Zum einen neigte Hollands Rechtsaußen Donyell Malen zum Einrücken, wohl weil er dort Überzahl herstellen sollte. Das ergab aber schon in den ersten Minuten extreme Räume für Prass. Der Oberösterreicher, der bei Sturm eigentlich den offensiven Achter spielt, ist ein sehr vertikaler Spieler, schnörkellos, kein ballhaltender Trickser wie Mwene (dessen Stärken in der ersten Hälfte gegen Polen ideal zum Tragen kamen), sondern mit direktem Zug zum Tor. Es dauerte keine sieben Minuten, bis Malen eine Hereingabe des ihm gnadenlos entwischten Prass ins eigene Tor zum 1:0 für Österreich ablenkte.

Hollands fehlende Pressingresistenz

Zum anderen, weil Österreich das Mittelfeld eigentlich gar nicht zum Aufbau braucht – in Wahrheit ist es dem ÖFB-Team sogar lieber, nicht durch diese Zone kreieren zu müssen. So banden sich die Niederländer genau in jener Zone selbst, über die Österreich mit Freuden die Bälle direkt von der Abwehr in die vorderste Linie drüber hob. Und dort kam der nächste Aspekt im österreichischen Spiel zum Tragen, mit dem der Gegner nicht umgehen konnte: Das Angriffs- und Gegenpressing.

Im Angriffsdrittel liefen die Österreicher sofort die holländische Abwehr an, um zweite Bälle zu gewinnen bzw. die Passrouten zuzustellen. Die Niederländer kamen überhaupt nicht dazu, selbst einen geregelten Aufbau zu starten, die ins Zentrum gespielten Bälle waren sofort verloren. Joey Veerman wurde nach seinem 19. Ballverlust (!!!) in 32 Minuten ausgewechselt. Der arme Kerl war nicht gut, aber er war auch ein Opfer des übergeordneten holländischen Problems. Das ist die komplett fehlende Pressingresistenz.

Nun sind Vigil van Dijk und vor allem Nathan Aké von Liverpool bzw. Man City diesem Spielstil keineswegs fremd, dennoch war es auch ihnen nicht möglich, einen Pass anzubringen, wenn sie angelaufen wurden – einfach weil die Strukturen dafür im Positionsspiel bei Oranje überhaupt nicht da waren. Der Einsatz von Lutsharel Geertruida, der stärker auf das Passspiel setzt als Linienläufer Denzel Dumfries, spielte Österreich noch zusätzlich in die Karten.

Österreich setzte extrem konsequent auf dieses erprobte Mittel, selbst Grillitsch schob situativ weit in den Zehnerraum nach vorne, um Holländer anzulaufen.

Mit Simons nach der Pause direkter

Mit ihrer ersten eigenen Aktion nach Beginn der zweiten Hälfte kamen die Niederländer in Folge eines schnellen Gegenstoßes nach Ballgewinn am eigenen Sechzehner zum 1:1-Ausgleich. Die Situation sollte symptomatisch sein für den adaptierten Zugang. Simons, ein offensiver Trickser, war ja nach einer halben Stunde für den indisponierten Veerman gekommen, nun entfaltete er Wirkung.

Anstatt sich im Zentrum in Zweikämpfen aufzureiben, versuchte sich Simons im Zwischenlinienraum anspielbar zu halten und den Ball dann schnell auf Depay oder Malen durchzustecken. Österreich bekam zunächst keinen Zugriff auf den gedankenschnellen Simons und Oranje hatte nach dem Ausgleich zunächst klare Vorteile – bis Österreich den Rhythmus brach. Erst sorgte eine Behandlung für Pentz für eine längere Unterbrechung, dann rückte die holländische Verteidigung bei einem österreichischen Befreiungsschlag nur behäbig nach hinten, was Romano Schmid mit dem 2:1 bestrafte.

Und dann gab es eine Verzögerung durch Konfusion beim österreichischen Dreiertausch drei Minuten später, was den Holländern zusätzlich sichtbar auf die Nerven ging.

Koeman schiebt herum

In der Folge schüttelte Koeman seine Formation herum, ohne dass zunächst viel Ziel dahinter erkennbar gewesen wäre. Van de Ven kam als neuer Linksverteidiger statt Aké, er blieb in der Abwehrkette, während rechts Geertruida in den Sechserraum einschob. Wijnaldum (statt Reijnders) kam als neu in die Offensive, die Abstimmung mit Simons (dessen höhere Rolle als De-facto-Zehner im Zwischenlinienraum eben für große Belebung gesorgt hatte) war aber schlecht und in den folgenden Minuten konnte keiner der beiden große Wirkung entfachen – und Malen stand rechts etwas verloren herum. Erst als Malen angeschlagen raus musste und Strafraum-Leuchtturm Weghorst auf das Feld kam, war wieder sowas wie eine sinnvolle Ordnung zu erkennen.

Neben der Dreierkette ließen sich Simons und Gakpo ganz tief fallen, um in den freien Raum hinein Tempo aufnehmen zu können. Wijnaldum und Depay schließlich spielten hinter Weghorst, der sofort im Spiel war: Bei einer Flanke auf ihn gewann er den Kopfball gegen Wöber, die Ablage fand Depay, der zum 2:2 in der 75. Minute traf.

Mit den noch relativ frischen Baumgartner und Laimer hielt Österreich aber im Zentrum gegen das umformierte holländische Mittelfeld gut dagegen und sie waren in ihren Aktionen auch geradliniger, zielstrebiger – wie kaum zwei Minuten nach Wiederanpfiff, als ein Lochpass von Baumgartner den hinter die Kette gelaufenen Sabitzer fand, Van Dijk das Abseits aufhob und Sabitzer das postwendende 3:2 für Österreich erzielte. Kurz darauf war er bei einer sehr ähnlich Aktion dann doch im Abseits.

Die Niederländer warfen in der Schlussphase alles nach vorne und packen die Brechstange aus, Weghorst war der Zielspieler im Strafraum – aber Österreich hielt auch in der berechtigterweise üppigen Nachspielzeit dicht und war damit Gruppensieger …

Vieles erinnert an 2017

… weil zeitgleich Frankreich gegen Polen nicht über ein 1:1 hinaus gekommen ist. Es erinnert vieles an Österreichs Frauen bei deren EM 2017. Zum einen, was die immer breiter werdende Brust angeht, den Flow, in den sich das Team gespielt hat, die Welle, auf der es reitet. Dazu kam bzw. kommt der überbordende Teamgeist und die freche, gute Laune, die der aufmüpfige und taktisch perfekt gedrillte Außenseiter verbreitet und das erbarmungslose Niederpressen des Gegners – damals in Spielen gegen Teams auf Augenhöhe, nun immer.

Auch der Turnierverlauf lässt Parallelen erkennen. Einem erkämpften Sieg, der die Möglichkeit zum Aufstieg eröffnete (damals das 1:0 gegen die Schweiz, jetzt das 3:1 gegen Polen) folgte ein starkes Spiel gegen ein zumindest auf dem Papier starkes Team (damals das 1:1 gegen Frankreich, jetzt dieses 3:2 gegen Holland). Damals kam danach ein Match gegen einen vermeintlich machbaren Kontrahenten, das extrem souverän und ohne jedes Drama 3:0 gewonnen wurde. Das war damals Island, das wäre nach dieser Rechnung nun die Türkei.

Überspringen die Männer am Dienstag in Leipzig diese Hürde, stünden sie wie damals die Frauen im Viertelfinale, mutmaßlich wieder gegen die Niederlande, oder aber gegen Rumänien. 2017 bog Österreich das Match im Elfmeterschießen, stand sensationell im Halbfinale, wo die Tanks dann aber leer waren.

Wie gefährlich ist die Türkei?

Aber halt, eines nach dem anderen. Erstmal die Türkei. Die Türken haben Georgien mit zwei wunderlichen Weitschüssen und viel Mühe gebogen, dann war Portugal einfach eine Nummer zu groß, ehe man sich von dezimierten Tschechen auf eine hitzige Treterei runterziehen ließ und diese gerade noch überlebte – allerdings nicht, ohne Kapitän Hakan Çalhanoğlu und Innenverteidiger Samet Akaydin durch Gelbsperren zu verlieren.

Die Türken sind ein Team, das spielen will. Nicht nur der schmächtige Jungspund Arda Güler ganz vorne, auch die Flügelspieler Barış Alper Yılmaz und Kenan Yıldız und natürlich der nach vorne marodierende Linksverteidiger Ferdi Kadıoğlu. Das 6:1 vom März darf man nicht wirklich als Vergleichswert zu Rate ziehen, der Kontext war ein anderer, das Personal teilweise auch, und das Spiel war auch viel enger, als das deutlich zu hohe Resultat aussagt.

Sehr wohl aber lässt sich sagen, dass Österreich in Bombenform und relativ entspannt daherkommt, während die Türken eine aufreibende Gruppenphase hinter sich haben, ihre übliche Spielweise das perfekte Opfer für Österreichs robustes Angriffs- und Gegenpressing darstellt und der Kopf des Teams nicht mitmachen darf.

Kulturwandler Ralf Rangnick

Es fällt angesichts der letzten Tage tatsächlich schwer, glaubhaft einen Schritt zurück zu machen, die Situation als Ganzes zu betrachten und nüchtern auf dieses Achtelfinale zu blicken. Zumindest uns Beobachtern. Weite Teile der Fanbasis sehen das ÖFB-Team schon zumindest im Halbfinale – und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es aus heimischer Sicht nicht ganz ungünstig ist, wie sich Favoriten und Außenseiter auf die beiden Turnier-Äste verteilen.

Wie man Team und Stab zuletzt erlebt hat, darf aber die Sicherheit vermitteln, dass die dort in ihrer Basis in Berlin die Lage sehr wohl richtig einschätzen können. Das ist Rangnicks Verdienst, und auch er selbst scheint sich in den letzten zwei Jahren ein wenig verändert zu haben – zumindest ist das der Eindruck, den man als Außenstehender bekommt. Er wirkt nicht mehr so professoral wie früher, es menschelt mehr. Rangnick hat erkannt, wie wichtig das „Man Management“ in einem Teamchef-Job bei einem Nationalteam ist. Die Spieler fühlen sich auf der persönlichen Ebene verstanden, sie fühlen sich in seiner Spielweise wohl und kommen gerne zum Team. Das merkt man.

Die Hitze des Gefechts eines solchen Turniers – vor allem eines EM-Turniers, das aus österreichischer Sicht so emotional verläuft wie dieses – sind die Momente, in denen die in den letzten Jahren ausgebrachte Saat geerntet wird. Wie weit es noch geht? Es ist nicht egal, natürlich nicht. Aber was immer auch noch kommen mag, nicht nur gefühlt ist dies das tollste ÖFB-Team seit 1978, sondern nun auch verbrieft.

Als erster Gruppensieger bei einem Großturnier seit eben jener WM in Argentinien.

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Österreich schlägt Polen, Frankreich trifft schon wieder nicht https://ballverliebt.eu/2024/06/22/oesterreich-schlaegt-polen-frankreich-trifft-schon-wieder-nicht/ https://ballverliebt.eu/2024/06/22/oesterreich-schlaegt-polen-frankreich-trifft-schon-wieder-nicht/#respond Sat, 22 Jun 2024 10:47:29 +0000 Es ist geglückt. Das Österreich-Team von Ralf Rangnick hat bei der EURO 2024 in Deutschland den ersten Sieg eingefahren. Beim 3:1 gegen Polen wurde man der Favoritenrolle gerecht.(eine Analyse als Text gibt es auf Ballverliebt und immer kostenlos direkt in den Posteingang per Newsletter – ballverliebt.substack.com – und auf Youtube könnt ihr uns bei einem Fehler zuschauen).

Was es sonst darüber zu reden gibt, machen Tom und Philipp in dieser Folge des Podcasts aus.

Außerdem: Frankreich hat auch nach Spiel 2 kein Tor geschossen. Das 0:0 gegen die Niederlande wirft Fragen auf. Und: Die Ukraine wird plötzlich zu dem Team, das wir erwartet haben. Spanien meldet gegen Italien unterdessen den Top-Favoriten-Status an. Wir wünschen viel Spaß.

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Österreich 3, Polen 1: Die EM-Pflicht mühevoll erfüllt https://ballverliebt.eu/2024/06/21/osterreich-polen-euro-2024/ https://ballverliebt.eu/2024/06/21/osterreich-polen-euro-2024/#respond Fri, 21 Jun 2024 21:56:43 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20229 Österreich 3, Polen 1: Die EM-Pflicht mühevoll erfüllt weiterlesen ]]> Zwar hat sich das ÖFB-Team im zweiten EM-Gruppenspiel das Leben zwischenzeitlich selbst schwer gemacht. Mit dem letztlich verdienten 3:1-Sieg über Polen in Berlin ist aber der Pflichtsieg eingefahren worden, der im Kampf um den Achtelfinal-Einzug auch zwingend nötig war. Nach einer Stunde kippte das zuvor ausgeglichene Match in Richtung Österreich – auch dank Christoph Baumgartner, der auf ungewohnter Position vor der Pause nicht zur Geltung gekommen war.

Österreich – Polen 3:1 (1:1)

„Die Österreicher sind am Besten, wenn sie den Ball nicht haben“, gab Polens Torhüter Wojciech Szczęsny am Tag vor dem Spiel wissend zu Protokoll. Spätestens da musste klar sein, wie es die Polen anlegen: Nicht von Österreich anpressen lassen, sondern die Österreicher dazu zwingen, Lösungen im Angriffsdrittel zu finden. Polens Star-Stürmer Robert Lewandowski war nach seinem Muskelfaserriss im Kader, aber noch nicht in der Startformation.

Polen überlässt Österreich den Ball

Polens Teamchef Michał Probierz setzte also in jenes 5-3-2, das er schon bei der knappen Niederlage gegen die Niederlande spielen gelassen hat, stellte die Fünferkette mal hinten rein und ließ die Österreicher machen. Ralf Rangnick ließ Christoph Baumgartner nicht auf der Zehn, sondern auf der rechten Außenbahn spielen und stellte dafür Laimer ins offensive Zentrum. Mutmaßlich war die Idee, dass Baumgartner mit Läufen zwischen die polnischen Ketten ins Zentrum gefährlicher werden kann als durch das Zentrum, das die Polen zu schließen suchten.

In der Tat machten die Polen das mit den drei Mittelfeld-Leuten vor der Fünferkette gar nicht mal so gut. Zieliński war als halbrechter Achter bei Polen sehr auf das Zentrum orientiert, wodurch sich zwischen bzw. neben ihm und der Abwehrkette riesige Räume ergaben. Phillip Mwene konnte diese nach Lust und Laune bespielen, letztlich fiel über diese Seite auch das frühe 1:0 durch den aufgerückten Gernot Trauner.

Auch Österreich spielt es nicht optimal

Aber auch die Österreicher waren nicht besonders gut darin, die sich bietenden Löcher zwischen polnischer Fünfer-Abwehr und der defensiv alles andere als disziplinerten Dreierkette davor zu bespielen. Grillitsch bot sich hier oft an, wurde von Mwene (der vornehmlich Augen für Sabitzer hatte) und Sabitzer (der eher selbst Richtung Grundlinie zog) konsequent ignoriert.

Wenn Zieliński, Slisz und Piotrowski aufrückten, schob die Abwehrkette zumeist nicht nach, hier deutete Laimer seinen Mitspielern nicht nur einmal ebenso gestenreich wie vergeblich, dass sich hier ein Pass auf ihn in diesem Loch anbieten würde. Das ÖFB-Team wurde aber vor allem dann gefährlich, wenn man Laufwege in diesen Raum zwischen den polnischen Ketten startete, wie es etwa Arnautovic in der 23. Minute gemacht hat. Der Abschluss wurde in dieser Situation zwar wegen Abseits zurückgepfiffen, aber die Szene zeigte, was möglich gewesen wäre.

Rückzug wird bestraft

Nach etwa 15 bis 20 Minuten zog sich Österreich, auch mit der Führung im Rücken, deutlich zurück. Die offensive Dreierreihe im Mittelfeld stellte das Pressing ein. Zunächst lief Seiwald nochmal nach vorne durch, um die polnische Eröffnung zu behindern, dann auch das nicht mehr. Aus kontrolliertem Rückzug, um nach der intensiven Startphase Luft zu holen und die Polen zu locken, wurde immer mehr Passivität. Aus stabiler Defensivarbeit wurde zunehmend Zuschauen, Polen selbst vor dem österreichischen Sechzehner nicht mehr behindert. Und nach einer halben Stunde schlug es folgerichtig ein, Piątek staubte zum 1:1 ab.

In der Folge beschränkte sich der Druck der Polen darauf, dass Zieliński und Piotrowski die österreichischen Sechser anliefen, wenn diese den Ball bekamen; ein großes Interesse am Nachsetzen war den Polen nach dem 1:1 aber nicht anzusehen. So konnte Österreich den Ball sichern, um das Tempo rauszu nehmen und wieder ein wenig zu sich zu finden – ohne allerdings gezielt auf eine rasche Antwort zu gehen. Nur nicht blind in die polnische Falle tappen, sondern sich in Ruhe sammeln. Und in der einen Szene, als man die Polen nach einem vermeintlich Foul unaufmerksam erwischte, traf Baumgartner beim letzten Pass die falsche Entscheidung. Dafür parierte Pentz kurz vor dem Oausenofiff einen polnischen Freistoß stark.

Rangnick stellt für die zweite Halbzeit um

Wie überhaupt Baumgartner auf der rechten Seite überhaupt nicht zur Geltung gekommen ist und sich gleichzeitig Laimer im Zehnerraum eher erfolglos aufrieb. Diese Problemstellen versuchte Rangnick in der Halbzeit nicht nur mit einer ausgedehnten Motivationsrede für Baumgartner zu beheben, sondern auch mit personellen Umstellungen. Grillitsch ging raus, dafür kam Wimmer neu für die rechte Seite, Baumgartner ging auf die Zehn und Laimer statt Grillitsch auf die Acht. Bei allen Qualitäten, die Laimer hat: Er ist keiner, der wie Baumgartner den direkten Laufweg zum Tor sucht.

Gleichzeitig schob Österreich als Ganzes wieder weiter nach vorne und ging die polnische Eröffnung an, vor allem wenn der Ball auf die Außenverteidiger ging. Dabei wurden aber im Rückraum nicht immer die optimalen Absicherungsstrukturen hergestellt, wodurch Polen immer wieder Räume hinter der vorderen Pressingwelle fand und sich ein offener Schlagabtausch entwickelte, dem es wegen der damit einhergehenden vielen Fouls an Spielfluss mangelte.

Das Spiel kippt in Richtung Österreich

In welche Richtung das Spiel kippen würde, war noch nicht abzusehen, als nach einer Stunde Lewandowski bei Polen kam und Prass statt Mwene bei Österreich. Der polnische Stürmer holte sich für seinen ausgefahrenen Ellbogen in die Schläfe von Lienhart sofort die gelbe Karte ab, Prass führte sich konstruktiver ein: Nach einem Seitenwechsel auf ihn hatte er freie Bahn nach vorne, sein perfekter Pass wurde von Arnautovic auf den nun eben in der Mitte postierten Baumgartner durchgelassen und dieser verwertete zum 2:1 in der 66. Minute.

Wiederum zog sich Österreich nach der Führung ein wenig zurück, im Unterschied zur ersten Hälfte wurde nun aber die Intensität im Spiel gegen den Ball hochgehalten. Die Polen konnten sich eben nicht in Ruhe um den österreichischen Strafraum festspielen, sondern wurden geärgert, in Zweikämpfe verwickelt und kamen in keinen Rhythmus. Gleichzeitig boten sich Österreich nun Räume im Gegenstoß, einen davon nützte Sabitzer, um gegen Szczęsny einen Elfmeter zu schinden.

Polens Torhüter hat Sabitzer nicht getroffen, dafür Sabitzer den Torhüter mit dem Fuß im Gesicht, dennoch beschwerte sich Szczęsny nicht einmal über die gelbe Karte. Arnautovic jedenfalls – der in der Spitze über weite Strecken des Spiels in der Luft hing, aber immer Gegenspieler aus der polnischen Abwehr binden konnte und in den entscheidenden Situationen Übersicht bewies – verwertete zum 3:1, das war die Entscheidung. Die Polen suchten zwar weiterhin den Weg zum Tor, Österreich war in Kontern dem 4:1 aber in den verbleibenden zehn Minuten näher als Polen dem 2:3.

Fazit: Aus den Fehlern der ersten Hälfte gelernt

Dass es in diesem wohl wichtigsten Vorrunden-Spiel für Österreich nicht um den spielerischen Glanz gehen würde, sondern einzig um das Ergebnis, war allen Beteiligten immer klar. Zu bekannt sind die gestalterischen Schwächen Österreichs im Angriffsdrittel und zu vorhersehbar war die Strategie der Polen, dem ÖFB-Team die Bürde des Gestaltens aufdrücken zu wollen.

Mit dem Abreißen der Intensität nach einer Viertelstunde und der in der ersten Hälfte tendenziell falschen personellen Aufteilung im offensiven Mittelfeld hat sich Österreich trotz des guten Starts mit der frühen Führung das Leben selbst schwer gemacht. Positiv ist, dass man nach dem 1:1 nicht kopflos wurde, sondern die Ruhe suchte – die allerdings von den Polen auch gewährt wurde. Bis zur erneuten Führung stand das Spiel auf des Messers Schneide, ehe sie dann doch in Richtung Österreich kippte.

Rangnicks Umstellung für die zweite Halbzeit hat Christoph Baumgartner gut getan, Wimmer war mit seinen Eins-gegen-Eins-Duellen ein belebendes Element auf der zuvor toten rechten Angriffsseite. Das 2:1 war von A (wie man Polen in die eine Seite lockte, um dann über die andere Seite Platz zu haben) bis Z (Arnautovic‘ Decoy-Laufweg und Baumgartners Abschluss) ein cleverer, perfekt vorgetragener Angriff. Überhaupt erwies sich die Hereinnahme des direkteren Prass für den verspielteren Mwene (der in der Startphase der auffälligste Österreicher war und der auch das 1:0 vorbereitet hat) als guter Griff.

Und Österreich hat den Fehler aus der ersten Halbzeit – im Rückzug nach der Führung auch die Intensität zurück zu fahren – nach dem 2:1 in der zweiten Halbzeit nicht mehr gemacht. Es war ein Arbeitssieg, und zwar ein im Ganzen durchaus verdienter und der erste bei einer EM-Runde, der nicht in der Arena Națională von Bukarest eingefahren wurde.

Dass man nach dem 0:0 im Parallelspiel zwischen Frankreich und den Niederlanden nun gegen Oranje gewinnen muss, um Gruppenzweiter zu werden, ist sicher ein kleiner Wermutstropfen. Es bleibt aber dabei, dass Österreich mit einem Remis am Dienstag wiederum in Berlin so gut wie sicher auch als Gruppendritter weiter wäre.

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Österreich 0, Frankreich 1: Schämen keineswegs, grämen absolut https://ballverliebt.eu/2024/06/17/osterreich-frankreich-euro-2024/ https://ballverliebt.eu/2024/06/17/osterreich-frankreich-euro-2024/#respond Mon, 17 Jun 2024 21:56:00 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20211 Österreich 0, Frankreich 1: Schämen keineswegs, grämen absolut weiterlesen ]]> Eine mutige und engagierte Vorstellung von Österreich bringt dem ÖFB-Team in dessen erstem Spiel bei dieser Europameisterschaft Respekt, aber keine Punkte. Man stellte Turnierfavorit Frankreich vor Aufgaben, schenkte den Franzosen aber per Eigentor kurz vor der Pause die Führung und ermöglichte ihnen damit, in ihre Komfort-Zone zu kommen. Diese konnte Österreich nicht mehr durchdringen und verlor 0:1.

Die bekannten österreichischen Stärken

Grundsätzlich zeigte Österreich genau, was von Österreich zu erwarten war: Gregoritsch und Baumgartner pressten auf die französischen Innenverteidiger, sobald diese keine offensichtliche Passoption hatten, lenkten die Pässe auf die Außen – da vor allem Upamecano angegangen wurde, vornehmlich auf die rechte Seite in Richtung Koundé.

Aus dieser ersten österreichischen Pressingwelle konnte sich Frankreich immer wieder gut befreien, es ist ein technisch beschlagenes und taktisch cleveres Team. In den meisten Fällen aber gelang es Österreich dennoch, die zweite Pressingwelle zuschlagen zu lassen – dann nämlich, wenn halb aus der Bedrängnis heraus der französische Pass ins Halbfeld oder ins Zentrum kam. Mit Fortdauer der ersten Hälfe ließ sich Rabiot – der Mittlere im erstaunlich vertikal gestaffelten französischen Mittelfeld – situativ vermehrt nach hinten fallen, um eine zusätzliche Option für den ersten Pass zu sein.

Wenn Frankreich allerdings auch im Mittelfeld durch die zweite Pressingwelle durchkam, wurde es naturgemäß gefährlich. Hernandez dribbelte sich in der 6. Minute über das halbe Feld (Folge: Foul in guter Freistoß-Position), drei Minuten später fand Mbappé Raum im Rücken der Kette (Folge: Pentz musste in höchster Not retten). Mbappé startete nominell in der Spitze, wechselte aber viel die Plätze mit dem nominell als Linksaußen postierten Marcus Thuram – der vom Naturell eher ein Mittelstürmer ist. Sobald Mbappé am Flügel auftauchte, wurden seine Tempovorteile gegenüber Stefan Posch deutlich.

Weniger Risiko im Aufbau als im Pressing

Frankreich lief Österreich nicht an, wenn das ÖFB-Team von hinten aufbauen wollte. In diesen Fällen schob Mwene links zumeist höher als Posch rechts, wodurch sich ein auf bei anderen Teams gar nicht üblicher Dreier-Aufbau aus der Viererkette ergab. Auffällig war aber, dass Österreich im eigenen Aufbau das Risiko mehr scheute als im Angriffspressing: Allzu hoch wurde das Tempo in diesen Situationen zumeist nicht geschraubt und im Zweifel kam eher der sichere Rückpass als der Vorwärtspass, der sich nicht klar abzeichnete.

Damit vermied Österreich auch, in Unterzahl in den französischen Sechserraum einzudringen – dort, wo N’Golo Kanté war. Damit bekam er nicht viel aufzuräumen und damit vermied Österreich auch, bei Ballverlusten in dieser Zone Opfer von schnellen Gegenstößen zu werden. Denn jede Situation, in der Mbappé Tempo aufnehmen und/oder seine Technik im Eins-gegen-Eins ausspielen kann, kann eine zu viel sein. Zu sehen etwa in der 38. Minute, in der er gegen Mwene – der sonst nicht viel mit Mbappé zu tun hatte – zu viel Raum bekam und seine Flanke von Wöber ins eigene Netz zur französischen 1:0-Führung gelenkt wurde.

Und das nur wenige Minuten, nachdem der von Sabitzer freigespielte Baumgartner den Ball nicht an Frankreichs Torhüter Maignan vorbei gebracht hatte. Es war die einzige wirkliche Torchance Österreichs vor der Pause, aber was für eine.

Rückstand ändert das Spiel völlig

Ein Rückstand ist gegen Frankreich dafür doppelt ärgerlich, weil der Weltmeister von 2018 damit auf genau jenes Spiel gehen konnte, das ihm am Meisten liegt: Sich zurückziehen, den Gegner kommen lassen und mit den schnellen Spielern in die freien Räume kontern – wie in der 55. Minute, als Mbappé eigentlich das 2:0 hätte erzielen müssen.

So lange es 0:0 gestanden war, schaffte es Österreich gut, das französische Dreier-Mittelfeld aus dem Spiel zu halten: Kanté wurde eben vermieden und Seiwald ließ Griezmann dermaßen keine Luft, dass dieser schon nach einer halben Stunde erste Zeichen des Frustes durchblitzen ließ. Lediglich Grillitsch fiel ein wenig ab, war defensiv und im Anlaufen sehr umsichtig und voll in den Strukturen integriert, traf aber im Ballbesitz zuweilen die falschen Entscheidungen.

Österreich muss sich Committee

Nach einer Stunde nahm Rangnick dann Grillitsch auch runter, für ihn kam Patrick Wimmer, dafür ging Laimer ins Zentrum. Dazu wurden auch Trauner (statt Wöber) und Arnautovic (statt Gregoritsch) eingewechselt. Dem ÖFB-Team wurde die Bürde des Aufbaus aufgedrängt, spätestens zu diesem Zeitpunkt committete sich Österreich auch zur Offensive.

Da Frankreich das Spiel gegen den Ball und das Ersticken gegnerischer Angriffe aber wirklich gut kann und der spielerische Angriffsaufbau nicht zu den eingebauten Stärken des ÖFB-Teams gehört, war zwar das Bemühen da und auch die Strafraumbesetzung passend, aber Österreich kam durch die gezielten, kurzen Anlaufwege der Franzosen in deren eigener Hälfte nie in wirkliche Abschlusspositionen: Österreich wurde in den entscheidenden Zonen einfach nie die Zeit gewährt, sich gefährlich in den Strafraum zu spielen. Hier konnte Kanté seine immer noch vorhandenen Stärken ideal ausspielen.

Gleichzeitig schien Frankreich durch die eigenen Gegenstöße dem 2:0 näher zu sein als Österreich dem Ausgleich. Nach Mbappés erstaunlichem Fehlschuss in der 55. Minute rutschte zehn Minuten später auch Griezmann an einer Hernandez-Hereingabe knapp vorbei.

Fazit: Ergebnis ist verdient und doch ärgerlich

Im Ganzen ist der Sieg für Frankreich schon in Ordnung. Das Team ließ sich vom österreichischen Pressing nie aus der Ruhe bringen, ließ bis auf Baumgartners Chance in der 36. Minute keinen einzigen echten Torabschluss zu und hatte vor allem nach dem Tor das Geschehen weitgehend im Griff.

Letztlich bestätigte das Spiel, was man über das österreichische Team wusste: Es agiert auch gegen auf dem Papier übermächtige Teams mutig im Pressing und denkt nach vorne, ist dabei gut organisiert. Österreich hat so gut gespielt, wie man das realistisch erwarten konnte und wie das wohl auch die Franzosen erwartet hatten: Gegen Österreich spielen zu müssen, ist auch für einen Turnierfavoriten kein Spaß und wenn man nach 100 Minuten harter Arbeit mit einem 1:0 aus dem Spiel geht, ist das wunderbar.

Das Match bestätigte aber gleichzeitig auch, dass es Österreich ausgesprochen schwer fällt, vor allem gegen ein gut organisiertes Team von höchster individueller Qualität, ein Spiel selbst so zu gestalten, dass man sich gute Chancen herausspielt. Auch das wussten die Franzosen natürlich und sie haben entsprechen agiert.

Österreich braucht sich für diesen Auftritt keineswegs zu schämen, ganz im Gegenteil. Grämen darf man sich im ÖFB-Lager aber sehr wohl. Niemand kann sagen, dass Frankreich nicht doch noch von selbst auch einen Weg zur Führung gefunden hätte – es gab drei, vier gute Chancen schon vor dem Tor. Man hat den Franzosen diese harte Arbeit halt abgenommen, damit war das Spiel nicht in der 38. Minute gelaufen, aber der für einen Punkt zu erklimmende Berg war damit halt schon sehr steil.

Dennoch: Mit einem Blick auf die beiden Gruppengegner und deren Duell, das die Niederlande in der Schlussphase noch mit 2:1 gewann, ist für das ÖFB-Team im Kampf um den Einzug ins Achtelfinale noch nichts verspielt. Zum einen haben sie selbst ihre Match gegen den – und auch das hat das Parallelspiel gezeigt – deutlich besten Kontrahenten in dieser Gruppe D schon hinter sich, zum anderen haben zwar auch die Niederlande und Polen Qualität. Aber längst nicht die Qualität von Frankreich.

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Österreich vor der EM 2024: Zwischen Vorfreude und Vorsicht https://ballverliebt.eu/2024/06/10/osterreich-rangnick-euro-2024-vorschau/ https://ballverliebt.eu/2024/06/10/osterreich-rangnick-euro-2024-vorschau/#respond Mon, 10 Jun 2024 21:55:07 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20047 Österreich vor der EM 2024: Zwischen Vorfreude und Vorsicht weiterlesen ]]> Zur Routine werden sie nie, die österreichischen Teilnahmen bei großen Endrunden. Positiv wie negativ, die Gefühlswelt der Fans ist in Aufruhr, eben weil es keine Selbstverständlichkeit ist. Nach allem, was man in den letzten zwei Jahren gesehen hat, könnte die aktuelle Truppe die am besten auf so einen Anlass vorbereitete der österreichischen Nachkriegsgeschichte sein.

„Unsere Spielweise lässt Selbstzufriedenheit gar nicht zu“, bestätigte Teamchef Ralf Rangnick in einem großen Interview mit dem „Kicker“ noch einmal, und: „Die Menschen identifizieren sich wieder mit ihrer Nationalmannschaft!“ So wird dem ÖFB-Team trotz der schweren Gruppe mit Frankreich, Polen und den Niederlanden viel zugetraut. Die Datensammler von Opta sehen beispielsweise eine 24-Prozent-Chance auf das Viertelfinale.

Die Vorfreude ist da

Als seriöse Umfrage taugt unsere Facebook-Umfrage vom 7. Juni – genau eine Woche vor dem Turnierstart – natürlich nicht. Doch auch bei zweifelhafter Methodik waren die Ergebnisse auf die Frage, wie groß denn die Vorfreude auf die EM-Endrunde in Deutschland ist, klar. Zwei Drittel gaben (Stand 10. Juni abends) an, sich sehr auf die EM zu freuen, ein Drittel zumindest ein bisschen. Niemand war dabei, der vom Turnier nichts wissen wollte.

Nun wissen wir aus unseren doch auch schon 17 ballverliebten Jahren, dass die Klickzahlen bei Österreich-Artikeln zumeist spürbar höher sind als bei denen zum Vereinsfußball. Macht auch Sinn: Wenn wir Sturm Graz unter der Lupe haben, interessiert das die Rapid-Fans nicht. Geht es um Leverkusen, geht das den Premier-League-Enthusiasten sonstwo vorbei. Ist es eine Salzburg-Story, naja, eh schon wissen.

Aber auf Österreich, da können sich irgendwie alle einigen.

Kreuzbandrisse kein Beinbruch?

Die Vorzeichen sind gut, obwohl David Alaba und Xaver Schlager mit Kreuzbandrissen fehlen werden. Ausfälle von Stammkräften des Champions-League-Siegers und des Vierten der deutschen Bundesliga wären früher ein Todesurteil für das österreichische Nationalteam gewesen. Heute sind sie nur noch lästig und sorgen dafür, dass man Österreich beim Rasenfunk „nur“ auf Platz neun im Pre-EM-Power-Ranking führt – mit dem Satz von Moderator Max-Jacob Ost: „Wären bei Österreich nicht so viele verletzt gewesen, wären wir alle willens gewesen, sie höher zu ranken.“

So ging es in den letzten beiden Testspielen – dem 2:1 gegen Serbien und dem 1:1 in der Schweiz – neben dem Austesten einiger personeller Optionen vor alle darum, herauszufinden, wo man Konrad Laimer in Abwesenheit von Schlager am wertvollsten positioniert und in welcher Besetzung man den linken und den rechten Flügel sowie die hängende Spitze besetzt.

Wo spielt Laimer? Optionen über Optionen

Laimer kam in der zweiten Hälfte gegen Serbien und der ersten Hälfte in der Schweiz im defensiven Mittelfeld neben Nicolas Seiwald zum Einsatz, also genau auf der Schlager-Position. In der zweiten Hälfte in St. Gallen wanderte Laimer eins nach vorne auf die Zehn, zumindest bis er in der 76. Minute ausgewechselt wurde. Die Erkenntnisse, die nicht gerade grandiosen Neuigkeitswert haben:

Erstens, Laimer kann beides spielen, abhängig von Spielverlauf, Gegner und eigenem Plan. Als Zehner im Schweiz-Spiel lief er etwa gezielt Granit Xhaka an, dies ist also eine patente Variante, wenn der Gegner einen tief spielenden Spielgestalter hat, den es aus der Gleichung zu nehmen lohnt.

Schweiz – Österreich 1:1 (1:1)

Ist es zweitens überhaupt sicher, dass Laimer nicht am Ende doch wieder auf der rechten Offensiv-Seite auftaucht, wie zumeist in der Qualifikation? Dann nämlich, wenn Florian Grillitsch den Zuschlag für den Platz neben Seiwald bekommt und Rangnick befindet, Baumgartner wäre in diesem oder jenem Spiel auf der Zehn besser aufgehoben als am Flügel. Dort, wo Patrick Wimmer spielen kann, Champions-League-Finalist Marcel Sabitzer – einer der Gewinner der BVB-Saison – sowieso und in den letzten Testspielen ist sogar Romano Schmid auf einmal ein Kandidat dafür geworden.

Im Ganzen, drittens, haben wohl neun Spieler (Arnautovic, Baumgartner, Gregoritsch, Grillitsch, Laimer, Seiwald, Sabitzer, Schmid, Wimmer) realistische Chancen auf einen der sechs Startplätze in Mittelfeld und Angriff. Und wenn man nun davon ausgeht, dass zumindest fünf davon im Normalfall in der Anpfiff-Elf gesetzt sein dürften (Baumgartner, Gregoritsch, Laimer, Seiwald und Sabitzer), hat Rangnick so viele Möglichkeiten, auf Gegner und Spielverlauf zu reagieren, wie noch kein Teamchef vor ihm.

Zuverlässig im Toreschießen

Das Team hat mit dem 1:1 in St. Gallen nun 16 Spiele in Folge mindestens ein Tor erzielt – das ist die längste Serie seit den 23 Spielen zwischen Oktober 2013 und Juni 2016 in der stärksten Phase der Amtszeit von Marcel Koller. Zum Vergleich: Unter Foda gab es nie mehr als fünf Matches mit Tor am Stück.

In diesen 16 Spielen blieb man aber nur siebenmal ohne Gegentor – gegen Aserbaidschan, Estland, die Slowakei und Andorra, dazu bei den schönen Siegen gegen Deutschland, Italien und Schweden. Bei einer EM-Endrunde hat man es, bei allem Respekt, mit besseren Teams als Aserbaidschan und Estland zu tun und erfahrungsgemäß legen es auch die starken Teams bei so einer EM erstmal etwas vorsichtiger an als in einer Qualifikation. Dort kann man auch mal was probieren und geht mal ein Spiel daneben, ist es auch keine Tragik. Bei der EM kann jeder Patzer einer zu viel sein.

Zuverlässig im Tore verhindern?

Nicht nur also, dass es wohl auch Baumgartner und Co. nicht mehr ganz so leicht fallen wird wie die Slowakei (1:0 nach 7 Sekunden), die Türkei (1:0 in der 2. Minute), die Schweiz (1:0 in der 5. Minute) und Serbien (2:0 nach 13 Minuten), schwuppdiwupp in Führung zu gehen. Nein, auch auf die Defensive wird bei der EM mehr Verantwortung zu kommen.

Die wahrscheinliche Innenverteidigung vor Patrick Pentz werden wohl Kevin Danso mit Philipp Lienhart oder Maximilian Wöber bilden, mit Stefan Posch rechts und Phillip Mwene links. Nicht nur auf sie wird es ankommen – auch Nicolas Seiwald als Abschirmer und Ballgewinner vor ihnen ist gefragt. Rangnick verlässt sich auf ihn, Seiwald hat in 21 der 23 Spiele unter dem aktuellen Teamchef durchgespielt.

Klare Spielidee

Der auch Kuchl bei Salzburg stammende 23-Jährige ist der Inbegriff des Enforcers. Er soll Zweikämpfe gewinnen, Bälle erobern und diese dann pflichtschuldig bei den kreativen Nebenleuten abliefern. Es ist die klassische Makélélé-Rolle, eine offensiv ausgerichtete Mannschaft braucht einen, der sich darin gefällt, die Drecksarbeit zu erledigen. Die ultra-offensive erste Salzburger Mannschaft unter Rangnicks Supervision war die Truppe mit Sadio Mané, Jonatan Soriano, Alan, Kevin Kampl und Christoph Leitgeb, diese Mannschaft erzielte in drei Jahren im Schnitt 97 Tore pro Bundesliga-Saison. Sie hatten Stefan Ilsanker als Zweikampf-Maschine hinter sich. Seine Rolle hat nun Seiwald inne.

Da ohne Alaba auch seine Läufe nach vorne mit dem Ball am Fuß fehlen, die Gegner binden und für Überraschungsmomente sorgen, ist Österreich noch mehr auf das hohe Anlaufen und auf Ballgewinne im Angriffsdrittel angewiesen. Wann immer ein Gegenspieler abgedreht ist, nicht sofort eine Passoption nach vorne hat, wird dieser angelaufen. Das ist auf Dauer unheimlich grindig und gegen Österreich zu spielen, macht wirklich keinen Spaß.

Unordnung genützt

Genau das war auch in den letzten beiden Testspielen vor der EM zu sehen. Bei der ersten Viertelstunde gegen Serbien ging es fast unbefriedigend einfach für Österreich. Warum? Nun, Serbien spielte in der ganzen Qualifikation im 3-4-3, beim Spiel in Wien kam Dragan Stojković mit einem 4-4-2 daher, in dem sich die Mittelfeld-Außen weit zurückzogen. Und obwohl die Serben in einem etwas seltsamen 6-2-2 spielten, fanden die Österreicher die Schnittstellen und sie konnten sich auch auf den Außenbahnen breitmachen. Ehe die Serben gegen das gut abgestimmte Pressing einigermaßen ihre Ordnung gefunden hatten, war das ÖFB-Team schon 2:0 voran.

Österreich – Serbien 2:1 (2:1)

Auch die Schweizer waren in einem System angetreten, dass zuletzt nicht gespielt wurde. Murat Yakins Vorgänger Vladimir Petkovic spielte mit einer Dreierkette, unter Yakin jedoch kam zunächst in der Regel ein 4-2-3-1 zum Einsatz (wie bei der WM in Katar), in der EM-Qualifikation durchgängig 4-3-3. Nun, beim Test in St. Gallen, gab es wieder ein 3-4-3, in dem die Schweizer im Zentrum Unterzahl hatten und in dem auch die defensive Abstimmung nicht immer genau passte.

Sowohl bei Serbien als auch bei der Schweiz war zu sehen: Wenn gegen Österreich die Abstimmung nicht genau stimmt, nützt ein perfekt eingespieltes Team wie jenes von Ralf Rangnick das aus, und zwar rasch. Und wohlgemerkt: Die Schweizer kennen sich. Die Abwehrkette mit Elvedi, Akanji und Rodriguez mit Torhüter Sommer, dem DM mit Xhaka und Freuler sowie den Flügelspielern Widmer und Zuber hat bereits bei der EM 2021 exakt so zusammen gespielt und wäre beinahe ins Halbfinale gekommen.

Herausforderung Erwartungs-Management

„Ich glaube nicht, dass unsere Gegner erfreut sind, gegen uns zu spielen“, sagte Rangnick im „Kicker“ über die nominell sehr schwere Gruppe mit WM-Finalist Frankreich, dem Team aus den Niederlanden und jenem aus Polen. Womöglich kommt ihm diese Gruppe aber auch entgegen, und zwar aus zwei Gründen. Erstens, weil man sich gerade gegen destruktive Teams eher schwer tut. Gegen Polen kann es ein zähes Spiel werden, aber Frankreich hat man schon vor zwei Jahren in Wien sehr genervt und die Niederlande bieten ein talentiertes, frisches, aber auch wankelmütiges Team auf – eines, das womöglich anfällig für Österreichs aggressives Spiel sein könnte.

Und zum anderen, was das Erwartungs-Management angeht. Vor acht Jahren war man (vermutlich auch zu Recht) überzeugt davon, mit Ungarn und Island neben Portugal die wohl leichteste Gruppe der EM erwischt zu haben, was den ohnehin großen Hype noch weiter steigen ließ, und damit auch die Fallhöhe. Denn das mit den Erwartungen vor so einem Turnier ist in Österreich immer so eine Sache.

Zwischen manisch und depressiv

Als es auf die WM 1954 zuging, war der erzkonservative Trainer Walter Nausch krankheitsbedingt außer Gefecht. Seine Co-Trainer Edi Frühwirth und Hans Pesser stellten hastig auf das funktionale und moderne WM-System um, dem Fußball-Romantiker Nausch nur Verachtung entgegen brachte. Die Erwartungen im Land waren nach zwei, drei sehr wackeligen Jahren gedämpft. Aber die defensive Stabilität war mit der Umstellung tatsächlich wieder da, mit zwei Zu-Null-Siegen zog Österreich ins Viertelfinale ein, belegte am Ende den dritten Platz.

Als es auf die WM 1958 zuging, hatte das ÖFB-Team einige turbulente Jahre mit drei Trainerwechseln, personellem Umbruch, Schmuggelei-Skandalen und vielen schlechten Leistungen hinter sich. Man war froh, die Quali überhaupt geschafft zu haben und die schwere Gruppe mit Brasilien, England und der UdSSR ließ keine großen Hoffnungen zu. Zu recht – nach zwei Niederlagen stand das Vorrunden-Aus früh fest, ehe man England mit dem 2:2 mit ins Aus riss.

Als es auf die WM 1978 zuging, herrschte große Euphorie um das Team, sportliche Erwartungen gab es nach der langen Absenz und aufgrund einiger Verletzungssorgen aber nicht. Umso positiver war die Überraschung, als Österreich Gruppensieger wurde und nach dem Sieg über Deutschland in Cordoba mit dem 7. Platz im Gepäck nach Hause fliegen durfte.

Als es auf die WM 1982 zuging, wurde vom etablierten, starken Team ein gutes, womöglich gar glanzvolles Abschneiden erwartet, obwohl ÖFB-Präsident Sekaninas Gamble, Ernst Happel holen zu wollen, nicht aufgegangen war. Viele Kicker waren selbstgerecht und satt, das beschämende Ballgeschiebe gegen Deutschland gab der Wahrnehmung den Rest. Dem 8. Platz zum Trotz wurde der WM-Auftritt beinahe als Schande aufgefasst.

Als es auf die WM 1990 zuging, war die Begeisterung auf dem Siedepunkt. Die Quali war zwar nicht überzeugend, die Testspiele gegen Spanien und Europameister Holland (je 3:2) sowie Weltmeister Argentinien (1:1) in WM-Testspielen sehr wohl. Aber man überschätzte sich gnadenlos: Die WM in Italien war für Österreich nach der Vorrunde vorbei und drei Monate später machte man sich gegen die Färöer vom Fußball-Vollhonk Europas.

Als es auf die WM 1998 zuging, war der Freude über die starke Qualifikation einer gewissen gespannten Vorsicht gewichen – zu holprig waren die Auftritte im Frühjahr 1998. Die Einschätzung, ein Kandidat für das Viertelfinale zu sein, tat Toni Polster richtigerweise als „Blödsinn“ ab, aber zumindest das Achtelfinale wäre doch möglich gewesen. Mutlose Auftritte verhinderten dies aber.

Als es auf die Heim-EM 2008 zuging, stand es um den heimischen Kick so schlecht, dass einige Spaßvögel aus Tirol sogar eine Petition starteten, dass Österreich nicht teilnehmen muss. Eine höhere Hoffnung als das Vermeiden einer völligen Blamage gab es nicht, und am Ende erreichte Österreich, was realistisch zu erwarten war: Knappe Niederlagen gegen Kroatien und Deutschland (je 0:1) und ein 1:1 gegen Polen.

Als es auf die EM 2016 zuging, kannte die EUROphorie keine Grenzen. Marcel Koller und seine Truppe waren Halbgötter, die die heimische Fan-Schar mobilisierten wie seit Jahrzehnten kein heimisches Nationalteam mehr. Das Achtelfinale stand außer Frage, das Viertelfinale galt als ausgemacht und das Halbfinale als realistisch. Doch Formkrisen, Verletzungen und unglückliche Spielverlaufe ließen den Begeisterungs-Ballon dramatisch platzen – bereits nach der Vorrunde war Schluss.

Und als es auf die EM 2021 zuging, wurde Teamchef Foda eher geduldet als gefeiert, die Offensive war zäh und planlos, der Defensive fehlte die Absicherung, vor dem Turnier gab es eine 0:4-Ohrfeige gegen Dänemark. Zumindest den ersten Sieg bei einem Turnier seit 1990 einfahren, bitte. Mehr? Puh. Es gab tatsächlich einen 3:1-Arbeitssieg gegen Nordmazedonien, einem erschütternd ambitionslosen 0:2 in Holland folgte aber ein mitreißend schwungvoller Auftritt gegen die Ukraine, der Einzug ins Achtelfinale und dort ein enges Spiel gegen Italien, das erst in der Verlängerung verloren wurde.

Breiter, gefestigter, gemeinsamer

Man sieht: Erwartung und Resultat standen in Österreich selten im Einklang miteinander. Die Vorfreude und die Erwartungshaltung ist auch jetzt wieder groß, vergleichbar mit 2016, nun aber vermengt mit einem Grundton des „dieses Mal aber wirklich“. Warum? Wie können wir uns so sicher sein, dass diesmal alles anders ist, gerade diesmal? Zumal Opta Österreich nicht nur, wie erwähnt, eine 24-Prozent-Chance auf das Viertelfinale einräumt, sondern auch eine 36-Prozent Chance auf ein Vorrunden-Aus als Gruppenletzter.

Weil der Spielerpool größer ist als früher, deutlich größer? Ja, das ist er. Bei Koller brach das Spiel – das ob der Formkrisen von Alaba und Harnik schon vor dem Turnier humpelte – endgültig in sich zusammen, als Junuzovic von Zoltan Gera im ersten Match aus dem Turnier getreten und Dragovic im selben Match ausgeschlossen wurde. Nun fehlen David Alaba und Xaver Schlager mit Kreuzbandrissen, und es gibt Optionen und Strategien, um ihr Fehlen aufzufangen.

Weil das Team in sich gefestigter ist als damals? Ja, das scheint so zu sein. Unter Koller hatte der Kader dem Vernehmen nach begonnen, sich ein wenig in Grüppchen aufzusplitten und bei Foda dürften wohl so gut wie alle froh gewesen sein, als seine Amtszeit endlich vorbei war. Unter Rangnick passt alles zusammen: Die Spielweise zu den Spielern, damit auch die Freude der Aktiven, dabei zu sein. Und der Teamgeist ist übereinstimmenden Berichten zufolge überragend – nicht ohne Grund hatte David Alaba großes Interesse daran, zur Delegation zu gehören, obwohl er nicht spielen können wird.

Auf der Höhe der Zeit angekommen

Weil Fans das Team einzuschätzen gelernt haben? Möglich. Der Reinfall von 2016 hat zum österreichischen Fatalismus beigetragen, aber längst nicht so extrem wie Landskrona 1990 oder Valencia 1999.

Warum? Weil man schon in den Jahren vor 1990 den Anschluss verpasst hatte, drei Jahre vor der WM kamen zu einem EM-Quali-Spiel gegen Rumänien keine 7.000 Leute mehr in den Prater, und neben der Pleite gegen die Färöer machten auch die Europacup-Debakel von Tirol (1:9 gegen Real Madrid) und der Austria (2:6 gegen Arsenal) klar, dass es in Österreich an allen Ecken und Enden fehlte.

Weil 1999 in Valencia eine überalterte Truppe mit einem überwuzelten Spielsystem gar nicht so sehr grundsätzlich an fehlendem fußballerischem Potenzial gescheitert war, sondern die ganze Art und Weise, wie der Fußball in Österreich gedacht wurde, vom Totengräber eine mit der Schaufel über den Kopf gewimmst worden ist.

Und weil man 2016 aber erkannt hat, dass hier eine Mannschaft am Weg war, die inhaltlich und fußballerisch auf der Höhe der Zeit war, nur eben die Umstände nicht passten. Deshalb wurde die Foda-Zeit ja als so ein lähmender Rückschritt empfunden. Und deshalb wurde Rangnick und der Fußball, den er spielen lässt – erfolgreich spielen lässt! – wieder so goutiert, wie es eben der Fall ist. Eine erfolgreiche EM, noch dazu in seiner Heimat Deutschland, würde seinen Status wie auch den von Österreich zementieren. Aber auch, wenn es nicht ganz nach Wunsch laufen sollte, haben die letzten zwei Jahre auch dem letzten Ewiggestrigen zeigen müssen: Wenn dieses Team spielen darf, was es spielen kann, stimmen nicht nur die Ergebnisse.

Sondern auch die Einnahmen aus Ticket-Verkäufen.

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1998, 1999, 2011, 2024: Die vier Meistertitel des SK Sturm https://ballverliebt.eu/2024/05/21/sturm-graz-meister-osim-foda-ilzer/ https://ballverliebt.eu/2024/05/21/sturm-graz-meister-osim-foda-ilzer/#respond Tue, 21 May 2024 17:17:53 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20007 1998, 1999, 2011, 2024: Die vier Meistertitel des SK Sturm weiterlesen ]]> Sie haben es geschafft: Das Team des SK Sturm Graz hat das zehnjährige Meister-Monopol von Salzburg gebrochen und tatsächlich den vierten Meistertitel der Vereinsgeschichte eingefahren. 1998, 1999, 2011, 2024 – diese vier Mannschaften haben die Schale für Sturm gewonnen.

1998: Um Lichtjahre voraus

Nach dem verlorenen Liga-Endspiel gegen Rapid am letzten Spieltag der Saison 1995/96 und einem Jahr zum Anlauf nehmen – Cupsieg inklusive – gab es für Sturm 1997/98 kein Halten mehr. Frisch ins brandneue Stadion in Graz-Liebenau umgezogen, damals noch unter dem Namen „Arnold-Schwarzenegger-Stadion“, zeigten die Blackies ordentlich Muskeln.

Aus den ersten zwölf Spielen gab es neun Siege und drei Remis, schon Mitte September hatte Sturm acht Punkte Vorsprung auf den ersten Verfolger (den GAK). Ivo Vastic hatte da schon acht Tore auf dem Konto, Mario Haas sechs und hinter den beiden wirbelte Hannes Reinmayr, der seinen Partnern im „Magischen Dreieck“ die Treffer vorlegte.

Sturm Graz – Meister der Saison 1997/98

In einer Zeit, in der heimische Teams in treuer Loyalität zu den Achtzigern immer noch auf knorrige Defensive bauten, ging Ivica Osim den gegenteiligen Weg: Mit dem Auge eines Reinmayr, der Technik eines Vastic und dem Tempo eines Haas hatten die gegnerischen Manndecker kein Leiberl. Hinten hielten Libero Franco Foda mit humorlosem deutschem Organisationstalent sowie den beiden Balkan-Manndeckern Darko Milanič und Ranko Popović im Verbund mit Kazi Sidorczuk im Tor den offensiven Wirblern den Rücken frei. Manager Heinz Schilcher hatte einen Kader zusammen gestellt, der eine gute Balance aus Stabilität – auch die Außenpositionen waren spürbar defensiv besetzt – und viel Spielfreude im Angriff bot.

Im Europacup-Achtelfinale zog man nach dem souveränen Erstrunden-Aufstieg gegen Apoel Nicosia knapp gegen AEK Athen den Kürzeren, national konnte aber niemand mithalten. Schon am 29. von 36 Spieltagen stand der Titel fest, ein 5:0 gegen die Austria machte den Deckel drauf. Dass man das Double mit dem 1:3 im Cup-Finale gegen Ried verpasste, tat ein wenig weh, aber diesen Makel korrigierte man im Jahr danach.

Die Rekordmarke von 81 Punkten sollte 15 Jahre halten, der Rekordvorsprung von 19 Punkten auf den Zweiten nur noch eingestellt werden (2007 nämlich), aber nie wieder übertroffen.

1999: Bis zum letzten Meter

Mit annähernd unverändertem Personal startete Sturm die Titelverteidigung, bezahlte in der Champions League (gegen Real Madrid, Inter Mailand und Spartak Moskau) aber Lehrgeld und verstolperte mit Niederlagen an den Spieltagen fünf (GAK), sechs (Rapid) und sieben (LASK) den Saisonstart.

Sturm Graz – Meister der Saison 1998/99

Dann ging es aber rund. Es folgten neun Liga-Siege in Serie und als die Winterpause ins Land zog, hatte Sturm die meisten Siege, die meisten Tore, die wenigsten Gegentore und die meisten Punkte auf dem Konto. Anders als im Jahr davor war aber die Konkurrenz konstanter – Rapid war voll dabei, auch der GAK noch nicht abgeschlagen. Als Sturm vier der ersten sechs Frühjahrs-Spiele verlor, folgte ein Donnerwetter von Präsident Hannes Kartnig: „Zu viele denken nur an ihr eigenes Geld, aber zu wenig an den Verein!“

Sturm riss sich am Riemen, jagte Rapid vor sich her und die Hütteldorfer zeigten Wirkung. Ein 0:0 im Derby gegen die Austria im viertletzten Spiel kostete Rapid die Tabelleführung, Sturm wiederum musste am vorletzten Spieltag extrem zittern – tief in der Nachspielzeit des Derbys gegen den GAK traf Jan-Pieter Martens zum 2:1 Sieg. So ging Sturm mit einem Punkt Vorsprung statt mit einem Zähler Rückstand ins letzten Spiel.

Dort gab es ein nie wirklich gefährdetes 3:0 gegen den FC Tirol, während Rapid gegen Salzburg ohnehin nicht über ein 0:0 hinausgekommen ist. Damit war das Double perfekt, weil Sturm eineinhalb Wochen zuvor den LASK im Cup-Finale im Elfmeterschießen besiegt hat.

2011: Austrias April-Absturz ausgenützt

Es folgten turbulente Jahre. Die geplatzte Platzer-Übernahme, der Konkurs inklusive heftigen Punktabzuges, notgedrungen wurde eine preisgünstigere Truppe auf die Beine gestellt, trainiert vom Meister-Libero Franco Foda. Konterkarierte Sturm in der Osim-Ära den kampforientierten Zeitgeist, war man in dieser Phase ein geradezu prototypischer Vertreter der funktionalen Biederkeit der Liga. Das war auch international zu erkennen: Salzburg scheiterte im August 2010 an Hapoel Tel-Aviv, die Austria an Aris Thessaloniki – ernüchternd. Auch Sturm scheiterte in der Europa-League-Quali, aber immerhin an Juventus.

Sturm Graz – Meister der Saison 2010/11

Das Team mit Flair war damals die Austria mit Junuzovic und Jun, mit Barazite und Baumgartlinger. Die Violetten stießen in die Schwächephase der Salzburger Bullen unter Huub Stevens verdientermaßen an die Spitze, nach drei Saisonvierteln stand die Austria ganz vorne und schien dem Titel entgegen zu tanzen. Doch während bei der Austria der April-Absturz kam (nur zwei Punkte gegen Kapfenberg, Mattersburg, Ried und Wr. Neustadt), schwang sich Sturm mit einer Reihe klarer Siege an die Tabellenführung.

Das vorentscheidende Spiel für Sturm war das vorletzte, auswärts in Wr. Neustadt: Ein Handspiel von Edin Salkic brachte kurz vor Schluss den Elfmeter, den Samir Muratović zum 2:1-Sieg verwertete, quasi zeitgleich verspielte Verfolger Salzburg einen Sieg gegen Ried, kassierte das Tor zum 2:2-Endstand. So hatte Sturm drei Punkte plus zwölf Tore Vorsprung. In Folge des abschließenden 2:1 gegen Innsbruck wurde Meistertrainer Franco Foda nach dem Spiel ziemlich amateurhaft rasiert.

Viereinhalb Jahre nach dem knapp überlebten Konkurs war Sturm vor allem ein Meister der Fehlervermeidung: Man gewann zwar kein einziges der sechs Heimspiele gegen die Austria, Salzburg und Rapid – dafür ließ man gegen die „Kleinen“ praktisch nichts liegen, während Salzburg gegen den Rest der Liga sechs Niederlagen kassiert hat. Auf sehr ähnliche Art und Weise sollte zwei Jahre später die Austria das letzte Team werden, das Salzburg die Meisterschaft abluchste. Tja, bis …

2024: Lohn kontinuierlicher Aufbauarbeit

Es folgten Jahre des „Treading Water“, wie man im Englischen sagt. Franco Foda ging (nach Kaiserslautern) und kam wieder zurück, es gab biedere Mittelklasse-Jahre unter Darko Milanič und Roman Mählich sowie psychedelische Grenzerfahrungen mit Peter Hyballa und Nestor El Maestro. Es gab ein Zwischenhoch mit Sport-Geschäftsführer Kreissl und Trainer Foda, ehe Letzterer vom ÖFB abgeworben wurde, sowie mit dem Cupsieg unter Heiko Vogel. Nachhaltig bergauf ging es aber erst wieder am 2020.

Da kamen nämlich Andreas Schicker als Sportchef mit untrüglichem Blick für sportlich und wirtschaftlich steigende Aktien und Trainer Christian Ilzer, der nach seinem Fiasko bei der Austria etwas zu beweisen hatte. Der Kader, der nach der Corona-Pause im Sommer 2020 neun von zehn Meisterrunden-Spielen verloren hat, wurde Schritt für Schritt so gestaltet, dass Ilzers Spielidee umsetzbar war: Robustes Anlaufen, schnelles Umschalten, nach vorne denken und nach hinten wachsam sein – Heavy-Metal-Fußball.

Sturm Graz – Meister der Saison 2023/24

Vier Jahre später sind von der Truppe nur noch Stefan Hierländer und Otar Kiteishvili sowie der damals frisch ins Team gestoßene Niklas Geyrhofer übrig. 2020 kamen Jon Gorenc-Stankovic, Gregory Wüthrich und Jusuf Gazibegović, Stützen der kommenden, kontinuierlichen Aufbauarbeit. Platz drei 2021 folgte Platz zwei 2022 und 2023 pushte man Salzburg schon bis zum Äußersten – erst das letzte direkte Duell entschied für die Bullen.

Im Herbst 2023 ließ man sich von Salzburg nicht abschütteln, holte in einem hitzigen direkten Duell in Graz ein 2:2, hatte nur ein einziges Mal mehr als zwei Punkte Rückstand auf den Serienmeister – zumindest bis zum 0:1 gegen Salzburg Ende März, als die Nachspielzeit zur Freistilringer-Einlage wurde. Fünf Punkte fehlten da auf Salzburg, das Rennen war vermeintlich gelaufen. Ehe der verdiente 4:3-Sieg der Grazer im Cup-Semifinale in der Mozartstadt kam. Ein Match, das Sturm Auftrieb gab und Salzburg schlingern ließ: Von den kommenden sechs Liga-Spielen gewann Salzburg nur ein einziges, Trainer Struber wurde entlassen.

Sturm derweil drückte drauf, bezwang Rapid dreimal (2x in der Liga und dann auch im Cup-Finale), auch LASK und Hartberg, und im letzten Duell mit Salzburg führten die Grazer schon 2:0. Es wäre die gefühlte Titel-Entscheidung gewesen, doch musste Sturm am Ende froh sein, zumindest noch das 2:2 gerettet zu haben. Es folgte ein 1:1 in Unterzahl gegen Hartberg, auch beim LASK konnten die Grazer den Sack nicht zumachen. Das gelang, mit viel Zittern, mit dem 2:0 gegen Klagenfurt am letzten Spieltag dann aber doch.

Gleichzeitig ist der Lernprozess auch international zu erkennen. Im Herbst 2021 kam Sturm gegen Monaco, Eindhoven und Real Sociedad zu zwei Pünktchen. Im Herbst 2022 gab es schon acht Zähler gegen Feyenoord, Lazio und Midtjylland – und wurde Gruppenletzter einer Gruppe, in der alle vier Teams die selbe Bilanz aufwiesen. Und in Der Saison 2023/24 luchste Sturm dann Sporting und Atalanta jeweils ein Remis ab, presste sich an den amtierenden Meistern aus Polen (Raków Częstochowa) und der Slowakei (Slovan Bratislava) vorbei und stieß bis ins Achtelfinale der Conference League vor.

4x Meister und 7x Cupsieger in 30 Jahren

Seit dem ersten Meistertitel für Sturm 1998 sind 27 Jahre vergangen. In dieser Zeit ist man nach Salzburg (14x) nun mit vier Titeln die Nummer zwei – vor Innbruck und der Austria (3x), Rapid (2x) und dem GAK (1x). Auch bei Triumphen im ÖFB-Cup ist Sturm (6x) in dieser Zeit die Nummer zwei hinter Salzburg (9x), noch vor der Austria (5x), dem GAK (3x), Ried (2x) sowie dem FC Kärnten und Pasching (je 1x), hinzu kommen bei Sturm die Cup-Siege von 1996 und 1997.

Ein Titel woanders ist wahrscheinlich so viel wert wie vier in Salzburg, zumal nach zehn Bullen-Meisterschaften hintereinander, bei denen es schwer fällt, sie auseinander zu halten. Ohne die Option von Misserfolg ist der Erfolg zumindest emotional nicht viel wert. Nicht zuletzt deshalb findet es wohl eine so große Resonanz in Fußball-Österreich, dass Sturm es tatsächlich geschafft hat.

Noch dazu, weil es eben nicht eine einzelne Saison war, in der fast aus dem Nichts kommend einfach alles zusammen gepasst hat, ein bisschen wie 2013 bei der Austria. Im Gegenteil war sie das Resultat jahrelanger, geduldiger, zielgerichteter Aufbauarbeit. Ob es der LASK im Jahr 2020 ohne die Corona-Pause geschafft hätte, die einem erst den Schwung und dann wegen des verbotenen Trainings vier Punkte gekostet hat? Vielleicht, vielleicht nicht. Die Linzer waren damals so im Kopf der Salzburger, wie es nun Sturm war. Interne Verwerfungen zwischen Team und Trainer Ismael führten beim LASK damals zur Trennung, gut gemeinte Änderungen gingen nicht auf, der Verein verzettelte sich in Nebenkriegsschauplätzen.

Das passierte bei Sturm nicht, und darum sind es nun die Grazer, die die Salzburger Titelserie durchbrochen haben.

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