WM – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Thu, 09 Jun 2016 16:08:59 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Die 75-%-Regel, oder: Wer früh glänzt, der früh verliert? https://ballverliebt.eu/2016/06/09/wer-frueh-glaenzt-der-frueh-verliert/ https://ballverliebt.eu/2016/06/09/wer-frueh-glaenzt-der-frueh-verliert/#comments Thu, 09 Jun 2016 11:44:11 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=12604 Die 75-%-Regel, oder: Wer früh glänzt, der früh verliert? weiterlesen ]]> Gruppensieger Portugal: Im Viertelfinale ausgeschieden. Gruppensieger Kroatien: Im Viertelfinale ausgeschieden. Gruppensieger Holland: Auch im Viertelfinale ausgeschieden.

Das war bei der EM-Endrunde 2008 in Österreich und der Schweiz. Wer kennt es nicht, dieses Phänomen: Ein Team zeigt in der Vorrunde mit tollen Spielen auf, begeistert die Fachwelt und schwingt sich damit zum Turnier-Favoriten – nur, um spätestens im zweiten K.o.-Spiel eher sang- und klanglos die Segel streichen zu müssen. Nur: Stimmt dieser Stehsatz „Wer früh glänzt, der früh verliert“ wirklich? Wir haben uns die Zahlen angesehen.

Als Sample Size nehmen wir alle WM- und EM-Endrunden seit Einführung der Drei-Punkte-Regel, also die insgesamt elf Turniere seit der WM in den Vereinigten Staaten 1994. Das ist von den Punkten her vergleichbar und zählt alles noch zur fußballerischen Neuzeit, wenn man so will.

Vergleich: Vorrunde / K.o.-Runde

20 Teams haben es in diesen elf Turnieren geschafft, alle drei Gruppenspiele zu erreichen. Sie haben im weiteren Turnier-Verlauf 35 K.o.-Spiele gewonnen und 17 verloren. Das entspricht einer Siegquote von 67 %. Drei der elf Turniere wurden von diesen Teams letztlich auch gewonnen (Frankreich 1998, Brasilien 2002 und Spanien 2008).

31 Teams haben sieben Punkte (also zwei Siege und ein Remis). Sie haben im weitern Turnierverlauf 39 K.o.-Spiele gewonnen und 26 verloren. Das entspricht einer Sigquote von  60 %. Fünf der elf Turniere wurden von diesen Teams gewonnen (Brasilien 1994, Deutschland 1996, Italien 2006, Spanien 2012 und Deutschland 2014).

32 Teams erreichten mit sechs Punkten die K.o.-Runde (zwei Siege und eine Niederlage). Sie haben fürderhin 26 K.o.-Spiele gewonnen und 30 verloren. Das entspricht einer Siegquote von 46 %. Zwei Teams konnten mit einer Pleite in der Vorrunde das Turnier gewinnen (Frankreich 2000 und Spanien 2010).

20 Teams gingen mit fünf Zählern (ein Sieg, zwei Remis) in die K.o.-Runde. Sie gewannen im weiteren Turnierverlauf 11 K.o.-Spiele und verloren 20. Das entspricht einer schon recht mageren Siegquote von 35 % und keines dieser Teams hat das Turnier gewonnen.

29 Teams kamen mit vier Punkten (ein Sieg, ein Remis, eine Niederlage) weiter. Sie gewannen danach 14 K.o.-Spiele und haben 28 verloren, das entspricht einer Siegquote von 33 %. Nur Griechenland 2004 gewann dann das Turnier noch.

Eine Mannschaft mogelte sich mit drei Punkten weiter (in diesem Fall waren es drei Remis), das war Chile 1998, und gleich im Achtelfinale setzte es ein 1:4 gegen Brasilien.

Diese Zahlen legen schon mal die Vermutung nahe: Wer in der Gruppenphase gut abschneidet, schneidet auch danach besser ab – wer sich eher knapp in die K.o.-Phase rettet, stößt eher selten weit vor.

Diskrepanz zwischen WM und EM

Spannend ist schon in der Berechnung der Siegquoten, dass die Zahlen bei der WM extremer sind als bei der EM. Sprich: Teams mit guter Vorrunden-Bilanz bei einer WM-Endrunde gewinnen in der Folge deutlich mehr (72 % bei den Neunern bzw. 60 % bei den Siebenern) als Teams mit guter Vorrunden-Bilanz bei einer EM-Endrunde (nur 56 % bei den Neunern und 62 % bei den Siebenern).

Dafür haben die Sechs-Punkte-Teams bei einer EM im Schnitt besser abgeschnitten (50 %) als bei einer WM (44 %). Die relativ geringe Sample Size verfälscht aber auch manches Ergebnis: Das Win/Loss-Ratio bei den Vier-Punktern einer EM (40 %) um einiges höher als bei einer WM (30 %) – allerdings nur wegen den Griechenland-Vorstoßes zum Titel in Portugal.

Seit 2000 ist Griechenland überhaupt das einzige Team mit vier Vorrunden-Punkten das auch nur ein einziges K.o.-Spiel gewinnt. Alle anderen (Rumänien, Türkei und Jugoslawien 2000, dazu Italien 2008 sowie Griechenland und Frankreich 2012) haben im schon Viertelfinale verloren.

Die erste K.o.-Runde

Ganz von der Hand zu weisen ist der Unterschied zwischen WM und EM aber auch mit dieser Sample Size nicht. In der ersten K.o.-Runde (Achtelfinale bei einer WM, bisher Viertelfinale bei einer EM) wird dieser sehr auffällig.

Bei einer Weltmeisterschaft haben Gruppensieger seit 1994 drei Viertel ihrer Achtelfinal-Spiele gewonnen (76 %) – also 35 von 46. Spannend ist allerdings, dass bei den letzten beiden WM-Endrunden überhaupt nur noch ein einziger Gruppenzweiter das Achtelfinale überstanden hat (und zwar Ghana bei der WM 2010). Hätte es also die Chaos-WM 2002 nicht gegeben, wäre diese Zahl noch um einiges höher.

Bei Europameisterschaften aber haben die Gruppensieger seit 1996 beinahe die Hälfte ihrer Viertelfinal-Partien verloren, die Siegquote liegt bei nur 55 % – also 11 von 20. Vor allem die eingangs erwähnte Euro 2008 (als drei Gruppenerste flogen) haut hier den Schnitt ein wenig zusammen.

Dieser Unterschied ist aber auch relativ leicht zu erklären: Bei einer EM ist die Leistungsdichte deutlich höher als bei einer WM, sprich: Die Gegner der WM-Gruppensieger in der ersten K.o.-Runde sind in der Regel von ihrem Leistungspotenzial schon oft deutlich schwächer als jene bei Europameisterschaften. Auerßdem: Treffen bei einer WM im Viertelfinale ein Gruppensieger auf einen Gruppenzweiten, führen auch hier die Gruppensieger mit 56 % (in neun solchen Duellen gewann fünfmal der Gruppensieger). Die Parallelen sind mehr als nur frappierend.

Nur zum Vergleich: Die neun EM-Gruppenzweiten, die seit 1996 ins Halbfinale gekommen sind, waren Tschechien 1996, Frankreich 2000, Holland und Griechenland 2004, Deutschland sowie Türkei und Russland 2008 und schließlich Portugal und Italien 2012. Die elf Teams, die WM-Gruppensieger im Achtelfinale rausgekegelt haben, waren Italien und Bulgarien 1994, Dänemark und Kroatien 1998, England mit dem Senegal, der Türkei und die USA 2002, dann Frankreich und die Ukraine 2006 und eben Ghana 2010.

Wirkliche Überraschungen oder gar Sensationen waren also auch da nur wenige dabei. Tschechien eliminierte 1996 Portugal in einem Außenseiter-Duell, Bulgarien 94 und Dänemark 98 kickten jeweils Nigeria aus dem Turnier, Kroatien besiegte 98 Rumänien, Ukraine 2006 die biederen Schweizer und Ghana 2010 die bestenfalls durchschnittlichen US-Amerikaner.

Wirklich komplett unerwartet kam eigentlich nur das 1:0 von Griechenland gegen Frankreich 2004. Dazu kommen ein paar Semi-Überraschungen wie Senegals 2:1 über Schweden (wiewohl Senegal davor schon Frankreich besiegt hatte) sowie die Erfolge der Türkei und USA über Gastgeber Japan und Kontinental-Primus Mexiko 2002 sowie der türkische Elfer-Sieg gegen Kroatien und Russlands Verlängerungs-Erfolg gegen Holland 2008.

Anders gesagt: Eine wirkliche Sensation und fünf Außenseiter-Siege in insgesamt 66 Duellen in der ersten K.o.-Runde ist sogar richtig wenig. Grob gesagt gibt es in einem von zehn Matches der ersten K.o.-Runde ein Resultat, das man im als Überraschung im engeren Sinne betrachten kann. Im Schnitt also eines pro Turnier.

Die finale Phase

Wenn man im Turnier einen Schritt weitergeht und sich ansieht wie die vier Semifinalisten bzw. die beiden Finalisten in der Gruppe abgeschnitten haben, ergibt sich ein erstaunlich ähnliches Bild wie bei der ersten K.o.-Runde.

Sieben der 14 Teams mit neun Punkten in der Vorrunde haben bei WM-Turnieren gleich zwei K.o.-Runden überstanden und standen demnach im Semifinale – also die Hälfte. Die sieben Teams, die das nicht geschafft haben: Argentinien (1998, Viertelfinale gegen Holland); Spanien (2002, Viertelfinale gegen Südkorea); Spanien und Brasilien (2006, Achtel- bzw. Viertelfinale gegen Frankreich); Argentinien (2010, Viertelfinale gegen Deutschland); Kolumbien und Belgien (2014, Viertelfinale gegen Brasilien bzw. Argentinien).

Sehen wir uns die einzelnen Fälle im Kontext an: Argentinien traf 1998 auf Augenhöhe auf ein großartiges Oranje-Team. Spanien quälte sich 2002 durch eine schwache Gruppe und brauchte dann gegen Irland das Elferschießen. Vier Jahre später gewann Spanien zwar klar gegen die Ukraine, profitierte aber von einem frühen (und falschen) Ausschluss eines Ukrainers, und mühte sich danach zu zähen Siegen gegen Tunesien und Saudi-Arabien.

Brasilien zeigte 2006 Standfußball, kam zu Arbeitssiegen gegen Kroatien und Australien und glänzte nur beim 4:1 über Japan. Die Argentinier hatten 2010 eine ausnehmend leichte Gruppe und einen ausnehmend unfähigen Teamchef, und die Niederlagen von Kolumbien und Belgien 2014 waren, der anständigen Performance zum Trotz, erwartet.

Als wirkliche Sensation geht dabei eigentlich nur das Weiterkommen Südkoreas 2002 durch, aber nicht wegen der Spanier, sondern weil Südkorea einfach der krasse Außenseiter war (und von Referee Ghandour klar bevorteilt wurde).

Da bei einer EM die Sieger der ersten K.o.-Runde sofort im Semifinale standen, gilt hier der Verweis auf den letzten Punkt „Die erste K.o.-Runde“ oben.

Ungeschlagen

Wer in der Vorrunde schon einmal verliert, bei dem ist es wahrscheinlicher, dass er weiter verliert – das lässt sich auch durch weitere Zahlen untermauern. Bei WM und EM zusammen liegt der Siegquote von ungeschlagenen Teams in der K.o.-Runde bei 57 % und jener von Mannschaften, die ein Vorrunden-Spiel verloren haben, bei 41 %. Hinweis: Es ist nie ein Team mit zwei Niederlagen in die K.o.-Runde gekommen.

Wenn man jene Teams betrachtet, die ungeschlagen ins WM-Achtelfinale gekommen sind, haben 36 von 55 die erste K.o.-Runde überstanden (65 Prozent) – wobei sieben der 19 Ausgeschiedenen das Pech hatten, auf ein ebenso ungeschlagenes Team zu treffen. Oder: Wenn ein unbesiegtes Team im WM-Achtelfinale auf eines trifft, das in der Vorrunde schon einmal verloren hat, gewinnt das ungeschlagene Team in 75 Prozent der Fälle auch.

Im weiteren Verlauf einer WM sind seit 1994 genau 75 % der Halbfinalisten ungeschlagen durch die Vorrunde gegangen.

Bei einer EM sind die Zahlen wiederum ein wenig knapper: Wer ungeschlagen in ein EM-Viertelfinale gekommen ist, überstand dieses in 10 der 18 Fälle (wieder 55 %). Drei dieser Ausgeschiedenen verlor gegen ein anderen ungeschlagenes Team. Also: Wenn ein unbesiegtes Team im EM-Viertelfinale auf eines traf, das in der Vorrunde schon einmal verloren hat, gewinnt das ungeschlagene Team in 75 Prozent der Fälle auch.

Sounds familiar?

Knick in der Wahrnehmung

Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf die Teams, die wir als so glänzend in der Vorrunde in Erinnerung haben. Da wären etwa die Holländer gewesen, die 2014 im ersten Spiel Spanien mit 5:1 gedemütigt haben. Oranje kam in der Folge bis ins Halbfinale und blieb dort erst im Elferschießen hängen. Das kann man schwer als echtes Scheitern betrachten. Eventuell kann man die chilenischen Teams von 2010 und 2014 in diese Kategorie einordnen; sie blieben jeweils im Achtelfinale an Brasilien hängen – einmal 1:2 und einmal im Elferschießen.

Das holländische Team, das 2008 in der Vorrunde 3:0 gegen Italien und 4:1 gegen Frankreich (die beiden amtierenden WM-Finalisten) gewonnen und dann im Achtelfinale gegen Russland eliminiert wurde, fällt in der Wahrnehmung definitv in diese Kategorie. Nur: In beiden Spielen profitierte Holland von einem frühen Gegentor und konterte die beiden (bei diesem Turnier generell schwachen) Teams gnadenlos aus; das Russland-Spiel im Viertelfinale war das erste gegen eine wirkliche Qualitäts-Mannschaft, wo man nicht innerhalb von zehn Minuten das 1:0 erzielte – entsprechend ratlos war Holland dann.

Die anderen beiden Gruppensieger, die 2008 ausschieden, waren Portugal und Kroatien – beide agierte in der Vorrunde solide und gewannen ihre Gruppe verdient, aber übertrieben glanzvoll war das nicht.

Argentinien prügelte 2006 in der Vorrunde die Serben mit 6:0 her und bezwang auch die Elfenbeinküste (plus ein 0:0 gegen Holland), war plötzlich der große Favorit. Das Aus kam im Viertelfinale, im Elferschießen, gegen ein deutsches Team von hoher Qualität. Kann passieren. Der Weg den spanischen Teams 2006 wurde hier bereits ausgeführt.

Tschechien, das ganz klar herausragende Vorrunden-Team der EM 2004, scheiterte im Halbfinale an Griechenland, nachdem sich Pavel Nedved verletzt hatte, in der Verlängerung – das war sicher eine der größeren Überraschungen. Vier Jahre zuvor blieb das bis dahin überragende Team der Niederlande im Halbfinale hängen. An Italien, im Elferschießen – eine Enttäuschung, sicher, aber keine Sensation.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Woher kommt diese These also?

Es gibt so gewisse Teams, die berüchtigt dafür sind, in Schleichfahrt durch die ersten paar Spiele zu gehen und am Ende des Turniers aufzutrumpfen – Italien vor allem, aber auch Deutschland. Bei Italien gründet sich dieser Mythos sicher auf die 1982-WM, als man sich mit drei Remis durch die Vorrunde duselte, dann aber Brasilien und Deutschland besiegte und Weltmeister wurde.

Auch das deutsche Image als „Turnier-Mannschaft“ ist eher ein Mythos: 1982 wie 1986 humpelte man mit schlechten Leistungen von A bis Z ins Finale und verlor, 1990 war die Vorrunde exzellent, dafür die K.o.-Phase ziemlich harzig. Von den folgenden Viertelfinal-Niederlagen gegen Bulgarien und Kroatien mal ganz zu Schweigen. Selbst unter Löw waren auf dem Weg in Semifinale/Finale, von 2014 abgesehen, selten mehr als ein wirklich gutes Spiel dabei (nur bei der WM 2010 waren es zwei).

Die Wahrheit ist: Die überwiegende Mehrheit der Gruppensieger kommt mit bestenfalls einer Glanzleistung zu sieben oder neun Punkten. Die Regel sind eher Arbeitssiege, knappe Angelegenheiten oder wenig bemerkenswerte Halbgas-Erfolge gegen deutlich schwächere Teams. Von dieser einen Glanzleistung, die hin und wieder mal vorkommt, lässt man sich dann leicht blenden – Hollands 4:1 über Frankreich, Argentiniens 6:0 über Serbien, Tschechiens 3:2 über Holland im vermutlich besten Fußballspiel der letzten 50 Jahre.

Wie kamen die Sieger durch die Vorrunde?

Und betrachtet man sich die Sieger der letzten Turniere, kommt dieser fast immer aus dem Pool der zahlreichen Teams, die gut genug waren, in der Vorrunde ohne dramatischen Substanz-Verlust überstanden haben; mit einer guten, einer nicht so guten und einer okayen Leistung.

Deutschland 2014: Ein super 4:0 über Portugal, ein furchtbares 2:2 gegen Ghana, ein okayes 1:0 gegen die Amerikaner. Spanien 2012: Ein gutes 1:1 gegen Italien, unterfordert beim 4:0 gegen schwache Iren, gezittert beim 1:0 gegen Kroatien. Spanien 2010: Verloren gegen die Schweiz, sicheres 2:0 gegen Honduras, glücklich beim 2:1 über Chile. Spanien 2008: Stark beim 4:1 gegen Russland, schwach beim 2:1 gegen Schweden, mit der Reserve beim 2:1 gegen Griechenland. Italien 2006: Solide beim 2:0 gegen Ghana, schwach beim 1:1 gegen die Amerikaner, recht gut beim 2:0 über Tschechien. Griechenland 2004: Stark beim 2:1 über Portugal, glücklich beim 1:1 gegen Spanien, mit Kampfgeist beim 1:2 gegen Russland. Brasilien 2002: Schwach beim glücklichen 2:1 gegen die Türkei, stark beim 4:0 gegen überforderte Chinesen, mit der Reserve beim 5:2 gegen Costa Rica.

Und so weiter.

Die 75-Prozent-Regel

Ungeschlagene Teams gewinnen ihre weiteren Spiele zu drei Vierteln, drei Viertel aller Gruppensieger gewinnen auch das erste Spiel nach der Gruppe, drei Viertel aller Semifinalisten haben im Turnierverlauf noch nicht verloren, Teams mit neun Punkten gewinnen drei Viertel aller ihrer weiteren Spiele, drei Viertel der Turniersieger haben auf dem Weg zum Titel kein Spiel verloren.

Das heißt aber auch, dass durch das Einführen einer weiteren K.o.-Runde gegenüber den letzten EM-Turnieren ein Überraschungs-Europameister unwahrscheinlicher wird: Dänemark musste 1992 nur ein K.o.-Spiel überstehen (Sieg im Elferschießen gegen Holland) und war schon im Finale, Griechenland 2004 schon zwei (gegen Frankreich und gegen Tschechien).

Ein etwaiges Sensations-Team müsste bei der EM 2016 schon drei Alles-oder-Nichts-Spiele überstehen und hätte dann auch immer noch das Finale vor sich. Und mit jedem Spiel steigt die Wahrscheinlichkeit, einen starken Gegner zu bekommen. Einmal eine 25-Prozent-Chance wahrnehmen, kommt vor. Zweimal, ist schon sauschwer. Und dreimal praktisch ausgeschlossen.

Es ist also durchaus möglich, dass es ein Glücksritter ins Halbfinale schafft. Im Finale der EM 2016 werden sich aber zwei Top-Teams gegenüber stehen – zu deutlich mehr als 75 Prozent.

tl;dr: Der Satz „Wer früh glänzt, der früh verliert“ ist Blödsinn. Je mehr Punkte man in der Vorrunde holt, desto weiter kommt man danach auch. Ausnahmen gibt es aus beiden Richtungen, sie sind aber viel mehr die Ausnahme als die Regel.

Auch lesenswert zur EURO 2016:

]]>
https://ballverliebt.eu/2016/06/09/wer-frueh-glaenzt-der-frueh-verliert/feed/ 4
Russland 2018 im Visier: Die Quali-Auslosung https://ballverliebt.eu/2015/07/22/russland-2018-im-visier-die-quali-auslosung/ https://ballverliebt.eu/2015/07/22/russland-2018-im-visier-die-quali-auslosung/#comments Wed, 22 Jul 2015 20:44:03 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=11286 Russland 2018 im Visier: Die Quali-Auslosung weiterlesen ]]> Am 25. Juli wird es in St. Petersburg eine große Show geben, mit vielen wichtigen und weniger wichtigen Leuten, mit mal mehr und mal weniger gelungenen Show-Acts, vielen prominienten Ex-Fußballern und dem ständigen Bemühen, die Übertragung sinnlos in die Länge zu ziehen. Oh, ach ja, und: Es werden ganz nebenbei auch ein paar Kugeln gezogen.

Es geht natürlich um die zentrale Auslosung für die kontinentalen Qualifikationen für die WM-Endrunde 2018 in Russland. Ist ja nicht so ganz unwesentlich, auch wenn das die Show-Leute bei der FIFA vermutlich anders sehen. Hier eine kleine Übersicht, wie der Weg nach Russland aussieht.

Europa (13 Teams + Russland)

Da gibt’s nicht viel zu erklären, denn der Modus ist im Grunde der selbe wie immer. Diesmal werden die 52 Teams (alle UEFA-Mitglieder außer Gibraltar, denn dieser Verband gehört nicht der FIFA an) in neun Gruppen eingeteilt. Die Sieger sind alle qualifiziert und die acht besten Zweiten rittern in K.o.-Duellen um die restlichen vier Tickets.

Da die Einteilung über die FIFA-Rangliste erfolgte, die ja nicht immer ganz logisch ist, dürfen sich etwa Wales und Rumänien darüber freuen, Gruppenköpfe zu werden und die Türkei darf sich darüber ärgern, auf einer Stufe mit den Färöer-Inseln zu sein.

europaquali

Kleine Anmerkung: Die Reihenfolge innerhalb der Töpfe haben wir nach Elo-Rating gereiht, wie es sich gehört.

Südamerika (4 Teams fix + 1 im Play-Off)

Noch einfacher ist es in der CONMEBOL-Gruppe. Auch hier ist es wie immer: Alle zehn Teams (Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Chile, Uruguay, Ecuador, Peru, Venezuela, Paraguay und Bolivien) spielen in einer Gruppe quasi in Liga-Form gegeneinander. Die Top-4 nach den 18 Spieltagen fahren zur WM, der Fünfte spielt im interkontinentalen Play-Off. Wie gehabt, also.

Afrika (5 Teams)

Vorrunde: 2 K.o.-Runden, 20 Teams bleiben übrig
Finalrunde: 20 Teams in 5 Gruppen, Sieger qualifiziert

Für die WM in Brasilien hatten die Afrikaner nach der Gruppenphase ihre K.o.-Spiele angesetzt, nun sind die Do-or-Die-Machtes DAVOR angesetzt. Nach zwei Runden – diese beiden werden in St. Petersburg ausgelost – bleiben von den 54 Teams des Kontinental-Verbandes noch 20 übrig. Das heißt, dass einige prominente Namen schon Ende 2015 wissen könnten, dass sie 2018 fehlen werden: Frühere WM-Teilnehmer wie Marokko, Togo und Angola gehören nämlich zu den ungesetzten Teams.

Die 20 Teams, die die zweite K.o.-Runde im November überstehen, werden dann in fünf Gruppen zu je vier Teams gelost. Die fünf Gruppensieger fahren dann zur Endrunde.

Asien (4 Teams fix + 1 im Play-Off)

Vorrunde: 12 Teams in K.o.-Duellen, Sieger weiter
Zwischenrunde: 40 Teams in 8 Gruppen, Sieger und 4 beste Zweite weiter
Finalrunde: 12 Teams in 2 Gruppe, Sieger und Zweite qualifiziert, Dritte um Play-Off

Die Asiaten haben bereit im März begonnen, den sportlichen Bodensatz auszusieben – für die Giganten aus Nepal, der Mongolei, Macau, Brunei, Sri Lanka und Pakistan ist die WM-Quali schon wieder vorbei. Die restlichen 40 Verbände aus Asien wurden bereits in acht Gruppen gelost.

asienqualiDie acht Gruppensieger und die vier besten Zweitplatzierten qualifizieren sich für die Finalrunde und damit nebenbei auch noch für den Asiencup 2019. Diese zwölf Besten werden dann in zwei Sechsergruppen aufgeteilt. Die Sieger und die Zweiten dieser Finalrunden-Gruppen sind bei der WM in Russland mit dabei, die beiden Dritten spielen in K.o.-Duell um den Platz im interkontinentalen Play-Off.

Asien wird bei der Auslosungs-Show in St. Petersburg nicht berücksichtigt; die ersten beiden Spieltage dieser Zwischenrunde sind auch schon gespielt. Indonesien wurde wegen Einmischung der Politik in Verbandsangelegenheiten bereits disqualifiziert.

Nord- & Mittelamerika (3 Teams fix + 1 im Play-Off)

Vorrunde: 3 K.o.-Runden, 6 Teams kommen durch
Zwischenrunde: 12 Teams in 3 Gruppen, Top-2 weiter
Finalrunde: 6 Teams in 1 Gruppe, Top-3 qualifiziert, Vierte im Play-Off

Wie in Asien wurde auch in der CONCACAF-Zone bereits begonnen. Zwei K.o.-Runden wurden bereits absolviert, eine dritte steht noch an. Die zwölf verbleibenden Teams – also sechs aus den K.o.-Runden und sechs Gesetzte (USA, Mexiko, Costa Rica, Honduras, Jamaika und Kuba) stehen in der Zwischenrunde.

In St. Petersburg gelost wird neben der dritten K.o.-Runde auch diese Zwischenrunde. Dort werden die zwölf Teams in drei Gruppen zu je vier Teams eingeteilt. Die Top-2 jeder Vierergruppe ziehen dann in die Finalrunde ein, wegen der Anzahl der Teilnehmer in der Region auch „Hexagonal“ oder schlicht „Hex“ genannt.

Die besten drei Teams des Hex sind bei der WM dabei, das vierte spielt im interkontinentalen Play-Off. Kurz gesagt: Der Modus in der CONCACAF-Zone ist im Grunde der selbe wie immer.

Ozeanien (1 Team im Play-Off)

Vorquali: 4 Teams in 1 Gruppe, Sieger weiter
Zwischenrunde: 8 Teams in 2 Gruppen, Top-3 weiter
Finalrunde: 6 Teams in 2 Gruppen, Sieger weiter
Entscheidungsspiele: 2 Teams im K.o.-Duell, Sieger im Play-Off

In der Südsee wurde diesmal ein besonders schöne und fast gar nicht langwierige Art und Weise gesucht, ehe Neuseeland den Platz im interkontinentalen Play-off bekommt (vorbehaltlich einer Peinlichkeit wie dem 1:2 gegen Vanuatu für 2006 oder dem Einsatz eines gesperrten Spielers wie in der Olympia-Quali zuletzt).

Also: In einer Vorqualifikation rittern West-Samoa, US-Samoa, die Cook-Inseln und Tonga um einen Platz bei der Ozeanien-Meisterschaft im Juni 2016. Die restlichen sieben Ozeanien-Teilnehmer (Neuseeland, Neukaledonien, Fidschi, Tahiti, Vanuatu, Salomonen und Papua-Neuguinea) sind für das Turnier gesetzt. Bei der Auslosungs-Show in St. Petersburg werden die beiden Vierergruppen ausgelost.

Während die Top-2 jeder Gruppe um den Ozeanien-Titel (und damit einen Platz beim Confed-Cup) rittern, kommen die Top-3 in die WM-Quali-Finalrunde. Diese sechs Teams werden dann noch einmal in zwei Gruppen eingeteilt, deren Sieger dann in einem K.o.-Duell den Teilnehmer am interkontinentalen Play-Off ermitteln.

Interkontinentales Play-Off (2 Teams)

Vier Teams qualifizieren sich für das interkontinentale Play-Off: Der Fünfte aus Südamerika, der Vierte aus Nord- und Mittelamerika, der Fünfte aus Asien und der Sieger der Ozeanien-Ausscheidung.

Wer gegen wen im November 2017 die beiden K.o.-Duelle um die beiden WM-Tickets bestreitet, wird ebenfalls in St. Petersburg ausgelost.

Was wird also alles ausgelost?

– die 9 Gruppen aus Europa
– die beiden K.o.-Runden in Afrika
– die beiden Zwischenrunden-Gruppen in Ozeanien
– die dritte K.o.-Runde und die Zwischenrunde in der CONCACAF-Zone
– das interkontinentale Play-Off

Was wird später gelost?

– die Play-Offs in Europa
– die fünf Finalrunden-Gruppen in Afrika
– die beiden Finalrunden-Gruppen in Asien
– die beiden Finalrunden-Gruppen in Ozeanien

]]>
https://ballverliebt.eu/2015/07/22/russland-2018-im-visier-die-quali-auslosung/feed/ 1
Ballverliebt Classics: Der Wende-Weltmeister https://ballverliebt.eu/2015/07/08/ballverliebt-classics-der-wende-weltmeister/ https://ballverliebt.eu/2015/07/08/ballverliebt-classics-der-wende-weltmeister/#comments Wed, 08 Jul 2015 14:42:29 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=11256 Ballverliebt Classics: Der Wende-Weltmeister weiterlesen ]]> Der Weltmeister-Titel von 1954 war der Triumph des sich im Aufbau befindlichen Nachkriegs-Deutschland. Jener von 1974 war der der Bonner Republik, der von 2014 war der Sieg des modernen, multikulturellen Deuschlands. Und der von 1990 war der WM-Titel der Wende. Die Siegsnacht von Rom jährt sich nun zum 25. Mal. Hier nachgezeichnet: Der Turnierverlauf aus Sicht des DFB-Teams.

In den vier Jahren vor dem Turnier in Italien hat sich das deutsche Team extrem entwickelt. War man 1986 noch mit drögem Panzerfußball und einigem Glück ins WM-Finale vorgestoßen (wo man 2:3 gegen Argentinien verlor), wurde im Mittelfeld nun deutlich mehr die spielerische Note betont. Oft wurde ohne einen dezidierten Kämpfer im Zentrum gespielt, dafür mit drei Kreativkräften. Lothar Matthäus (29) von Inter Mailand war dabei gesetzt, dazu kamen zwei aus dem Trio Uwe Bein (29, Frankfurt), Thomas Häßler (24, Köln) und Pierre Littbarski (30, Köln).

Gruppenphase

Deutschland - Jugoslawien 4:1 (2:0)
Deutschland – Jugoslawien 4:1 (2:0)

Matthäus war ein Spieler mit großer Vertikalität. Er konnte sowohl direkt hinter den Spitzen als klassischer Zehner agieren, sehr gerne ließ er sich aber auch hinter seine beiden Adjutanden zurückfallen und lenkte sein Team von hinten heraus. Das machte ihn für die Gegner in einer Zeit strikter Manndeckung sehr schwierig zu verteidigen.

Der Kontrahent im ersten Gruppenspiel war das jugoslawische Team, das als gefährlicher Geheimtipp ins Turnier gegangen war. Trainer Ivica Osim eliminierte nach den politisch aufgeheizten Prügeleien zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad einen Monat vor Turnierstart Dinamo-Star Zvonimir Boban, der dabei mittendrin war. Der Bosnier Osim ließ vier Bosnier, drei Serben, zwei Kroaten, einen Slowenen und einen Montenegriner spielen – die vor allem gegen die Urgewalt von Lothar Matthäus chancenlos waren. Der Kapitän erzielte zwei Tore, war ein permanenter Gefahrenherd und stiftete permanente Unordnung.

Deutschland ging hochverdient mit einer 2:0-Führung in die Pause, der Anschlusstreffer von Libero Jozic störte sie kaum. Als Keeper Ivkovic – bis zwei Jahren davor beim FC Tirol – eine Brehme-Flanke ausließ und Völler zum 4:1 abstaubte, war die Sache erledigt. Beckenbauer konnte in der Folge auch Littbarski und den jüngen Möller einige Minuten geben, man war direkt voll im Turnier drin und war voller Selbstvertrauen.

Deutschland - VAE 5:1 (2:0)
Deutschland – VAE 5:1 (2:0)

Nächster Gegner war der größte Außenseiter des Turniers, das Team von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dieses bunkerte sich mit vier Manndeckern und einem Libero, dazu zwei Kettenhunden im Mittelfeld, hinten ein.

Natürlich lief das Spiel wie auf einer schiefen Ebene auf das Tor von Muhsin Musabah zu. Dass Deutschland zur Pause nur 2:0 führte – Völler und Klinsmann hatten getroffen – schmeichelte den Emiraten ziemlich, ebenso wie der Anschlusstreffer 20 Sekunden nach Beginn der zweiten Halbzeit. Libero Klaus Augenthaler hatte eine Flanke falsch berechnet, in seinem Rücken sagte Khalid Ismail „Danke“.

Wiederum aber weckte das Tor das DFB-Team nur auf – zumal Beckenbauer für die zweite Hälfte einen der zwei Manndecker rausnahm und mit Littbarski einen zusätzlichen Kreativen für das Mittelfeld brachte. Eine Minute nach dem Anschlusstreffer stellte Matthäus den Zwei-Tore-Vorsprung wieder her, nach einer Stunde markierte Bein das 4:1 und eine Viertelstunde vor Schluss Rudi Völler den 5:1-Endstand. Mit zwei Siegen und 9:2 Toren war der Gruppensieg noch nicht rechnerisch, aber de facto fixiert. Das hieß auch, dass man für zwei K.o.-Spiele in Mailand bleiben konnte.

Deutschland - Kolumbien 1:1 (0:0)
Deutschland – Kolumbien 1:1 (0:0)

So konnte man auch das letzte Gruppenspiel gegen Kolumbien etwas lockerer angehen lassen. Generell ließ Beckenbauer seinen Spielen die ganz lange Leine. Ganz im Gegensatz zum repressiven Muff in Malente, wo Beckenbauer 1974 den Lagerkoller am eigenen Leib erfahren hatte, gewährte er als Teamchef seinen Mannen im Castello di Casiglio in der Nähe des Comosees viele Freiheiten.

Und gegen Kolumbien gewährte er Andi Brehme eine Pause. Die Südamerikaner aber hielten nichts davon, Ruhe zu geben: Für sie ging es noch um den zweiten Gruppenplatz. Die Cafeteros, damals ein mit Rauschgift-Millionen hochgepimptes Team, um den schillernden Spielmacher Carlos Valderrama kontrollierten mit schnellem Kurzpassspiel Ball und Gegner. Nur Bodo Illgner war es zu verdanken, dass Kolumbien nicht nach einer Stunde 2:0 führte, sondern es entgegen des Spielverlaufs noch immer 0:0 stand. In Minute 89 gelang dem eingewechselten Littbarski dann sogar per Weitschuss das 1:0. Immerhin kam Kolumbien dank des Ausgleichs in der Nachspielzeit durch Fredy Rincón noch zum verdienten 1:1.

K.o.-Phase

Zweifelhafter Lohn für den Gruppensieg war ein Achtelfinal-Duell gegen den erbittertsten Gegner dieser Zeit, das Team aus den Niederlanden. Zwei Jahre zuvor hatte Oranje im EM-Halfinale den EM-Gastgeber Deutschland eliminiert, in der WM-Quali für das Turnier in Italien hatte es ein 1:1 (in Rotterdam) und ein 0:0 (in München) gegeben. In der Vorrunde aber hatte es das niederländische Team nur zu drei Remis gegen Ägypten, Irland und England gebracht und rutschte nur als einer der besseren Gruppendritten in die K.o.-Phase. Einer der Hauptgründe war die schlechte Form von Marco van Basten, die ihn schon weite Teile des Frühjahrs verfolgt hatte.

Deutschland - Holland 2:1 (0:0)
Deutschland – Holland 2:1 (0:0)

Gegen den Lieblingsfeind aber war Holland wieder voll da. Der starke Start ins Spiel war auch möglich, weil Beckenbauer zwar einen dritten Manndecker eingezogen hat, aber damit das defensive Mittelfeld vollends unbesetzt blieb.

Die Vertikalläufe von Aron Winter aus dem Zentrum heraus verliefen weitgehend ungehindert und der 23-Jährige von Ajax Amsterdam hätte schon in den ersten zehn Minuten auf 2:0 stellen können, wenn nicht müssen. Zudem stifteten die permanenden Positionswechsel von Gullit und Witschge bei den deutschen Manndeckern Berthold und Buchwald – die ihre Seiten jeweils beibehielten – Verwirrung.

Nach rund 20 Minuten aber torpedierte Frank Rijkaard die holländische Dominanz, indem er Rudi Völler wiederholt in die Lockenpracht spuckte. Rijkaard sah dafür ebenso Rot wie Völler, der sich beim argentinischen Referee Loustau darüber beschwert hatte. Ohne Rijkaard musste Jan Wouters aus dem Zentrum zurück in die Abwehr, dafür rückte Winter nach hinten, um die Balance zu wahren. Vorbei war’s mit Winters Läufen in den freien Raum und damit auch mit der holländischen Dominanz.

Klinsmann, der nach Völlers Ausschluss wie aufgedreht lief, scorte kurz nach Beginn der zweiten Hälfte das 1:0, Brehme legte zehn Minuten vor Schluss das 2:0 nach – die Entscheidung in einer enorm hitzigen Partie. Das Elfmeter-Tor von Ronald Koeman in Minute 89 kam zu spät, Deutschland siegte 2:1.

Deutschland - Tschechoslowakei 1:0 (1:0)
Deutschland – Tschechoslowakei 1:0 (1:0)

Vor dem Viertelfinale gegen das Team der Tschechoslowakei – die CSFR hatte im Achtelfinale Überraschungsteam Costa Rica locker 4:1 besiegt – gewährte Beckenbauer dem Kader zwei Tage komplett frei. Der souveräne Turnierverlauf aber ließ die Leichtigkeit in Leichtsinn überschlagen. Deutschland dominierte den Nachbarn zu Beginn klar, kam nach einem von Matthäus verwandelten Elfmeter (Straka hatte Klinsmann gefoult) nach einer knappen halben Stunde zum 1:0.

In der Folge aber stellte man das Spiel ein. Es folgten billige Ballverluste, das tschechoslowakische Team kam auf, auch nach dem Ausschluss für den unbeherrschten Lubomir Moravcik nach 70 Minuten durch den österreichischen Referee Helmut Kohl. Nach dem 1:0-Sieg wollten die deutschen Spieler in der Kabine feiern, aber Beckenbauer bekam einen legendären Wutausbruch. Er trat auf Eisboxen ein, fuchtelte wie wild: „So ein schlechtes Spiel hab‘ ich ja überhaupt noch nie gesehen! So werden wir im Halbfinale aus dem Stadion geschossen“, soll der Teamchef gebrüllt haben. Vor allem Uwe Bein dürfte sich den Zorn des Kaisers zugezogen haben. Der als schlampiges Genie bekannte Frankfurter spielte fortan keine WM-Minute mehr.

Für das Halbfinale musste man erstmals raus aus Mailand, es wartete England – ausgerechnet in Turin. Fünf Jahre nach dem Heysel-Desaster sorgte eine Heerschaar von 8.000 Sicherheitskräfte dafür, dass Juventus-Fans von den englischen Anhängern abgeschirmt wurden – was nicht ganz gelang, es gab einige Ausschreitungen und auch Festnahmen. Auf dem Feld passten sich die Three Lions in dem Turnier den anderen Trend an: Libero und zwei Manndecker waren nun auch bei Teamchef Bobby Robson gefragt.

Deutschland - England 1:1 n.V. (1:1, 0:0), 4:3 i.E.
Deutschland – England 1:1 n.V. (1:1, 0:0), 4:3 i.E.

Auch, wenn beim 2:1 nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Kamerun viel Glück dabei dabei: Diese Maßnahme verlieh England eine große Stabilität. Im Mittelfeld gab es mit Chris Waddle und dem bei diesem Turnier groß aufspielenden Paul Gascoigne zwei kreative Spieler hinter dem Sturmduo mit Lineker und (dem sich gerne etwas zurückfallen lassenden) Beardsley. Zudem konnten die Außenverteidiger guten Gewissens aufrücken.

Deutschland geriet gegen die selbstbewussten Engländer dann auch schnell unter Druck. Über Platt und Waddle lief der Ball gut, Kohler hatte mit Lineker alle Hände voll zu tun. Zudem spielte Deutschland ab der 30. Minute auch einige Zeit mit zehn Mann, weil Völler behandelt wurde. Im Laufduell bekam er einen Tritt von seinem Bewacher Des Walker ab, nach langer Behandlung gab Völler aber doch w.o., und Kalle Riedle kam ins Spiel.

Nach dem Seitenwechsel spielte Häßler deutlich höher, so drückte man das englische Mittelfeld etwas nach hinten und auch Lothar Matthäus – vor der Pause zur Wirkungslosigkeit verurteilt – kam besser ins Spiel. Nach einer Stunde wurde der neue Schwung mit dem 1:0 belohnt: Brehmes abgefälschter Schuss schlug hinter dem 40-jährigen englischen Keeper Peter Shilton ein.

Robson switchte danach doch wieder auf ein 4-4-2, Trevor Steven kam für Libero Terry Butcher (der diese Rolle vor allem in der Spieleröffnung schon arg hölzern spielte). Als es schon nach einem knappen deutschen Sieg aussah, traf nach 80 Minuten aber Gary Lineker doch noch zum 1:1 – Jürgen Kohlers verunglückter Rettungsversuch landete beim ehemaligen Barcelona-Stürmer, der musste nur noch einschießen. England nahm wieder Dampf raus, war mit der Verlängerung erst einmal zufrieden.

Dort aber übernahm Deutschland wieder die Kontrolle, dazu holte sich Paul Gascoigne eine gelbe Karte ab – im Finale wäre er damit gesperrt gewesen. Wie ein Schlag wirkte sich das auf das ganze Team aus, so schien es. Im Elferschießen scheiterte erst Stuart Pearce, dann Chris Waddle. Alle Deutschen trafen, somit war der Platz im Finale gebucht.

Das Finale

Im Turnierverlauf lief sich alles auf ein Endspiel zwischen Deutschland und Italien hinaus – die beiden souveränsten und auch unterhaltsamsten Teams des Turniers. Aber der Titelverteidiger hatte etwas dagegen, obwohl Argentinien zwischen dem Titel 1986 und Turnierstart 1990 insgesamt 26 von 32 absolvierten Spielen nicht gewann und im Eröffnungsspiel dem Kamerun unterlag. In der Folge schmuggelte man sich als Gruppendritter ins Achtelfinale, mit einem glücklichen 1:0 über Brasilien ins Viertelfinale und per Elfmeterschießen gegen Jugoslawien und Italien ins Finale.

Deutschland - Argentinien 1:0 (0:0)
Deutschland – Argentinien 1:0 (0:0)

All das mit einem zynischen, beinahe ekelhaften Anti-Fußball. Vor Libero Juan Simon standen vier eisenharte Verteidiger, davor drei dezidiert defensive Mittelfeld-Leute. Vor Spielmacher Maradona spielte nur eine Spitze – Claudio Caniggia, der im Finale aber ebenso gesperrt war wie Abfangjäger Ricardo Giusti, Rechtsverteidiger Julio Olarticoechea und Sechser Sergio Batista.

Ohne so viele Spieler verlegte sich Argentinien im Finale umso mehr auf Verteidigen, Treten, Kämpfen, Schimpfen und Theatralik. Selbst die italienischen Zuseher in Rom standen wie ein Mann hinter Deutschland, Maradona etwa wurde bei jedem Ballkontakt gnadenlos niedergepfiffen. Zudem wich ihm Guido Buchwald nicht von der Seite – der große Star der Mannschaft war überhaupt kein Faktor. Nicht selten stand Gustavo Dezotti von Serie-A-Absteiger Cremonese, der Caniggia vertrat, als einziger Argentinier in der gegnerischen Hälfte.

Dieser Spielweise fiel schon nach einer Stunde der für Ruggeri eingewechselte Pedro Monzón per Gelb-Rot zum Opfer, dazu hätte es nach einem Foul am nach vorne stürmenden Libero Augenthaler in Minute 61 einen Elfmeter für Deutschland geben müssen, die Pfeife des mexikanischen Referees Edgaro Codesal Mendez blieb aber stumm.

Anders in der 83. Minute, als Sensini in einem Laufduell Völler einen leichten Rempler gab. Codesal zögerte keinen Moment und zeigte sofort auf den Punkt. Lothar Matthäus, der etatmäßige Elferschütze, wollte nicht antreten – er fühlte sich nicht sicher genug. Dafür schnappte sich Andi Brehme – Klubkollege von Matthäus und Klinsmann bei Inter Mailand – den Ball. Keeper Sergio Goycoechea erahnte zwar die richtige Ecke, aber Brehme knallte die Kugel unhaltbar zwischen den aus Sicht des Schützen linken Pfosten und den heranfliegenden Keeper – das hochverdiente 1:0.

Direkt danach griff der entnervte Dezotti von hinten um Kohlers Hals herum an dessen Kragen und riss den deutschen Verteidiger nieder – auch hier zögerte Cosedal nicht und warf den zweiten Argentinier aus dem Spiel. Troglio und Dezotti, beide um einen Kopf größer als der Referee, brüllten auf den graumelierten Mexikaner ein, ehe Maradona alle anderen wegdrängte. Nur nicht noch einen dritten Spieler verlieren, schien der Kapitän zu denken.

So oder so: Einige Minuten später war das Spiel vorbei und Deutschland Weltmeister. Noch ein paar Minuten später empfing Matthäus den WM-Pokal aus den Händen von Italiens Staatspräsident Francesco Cossiga.

Und noch ein paar Minuten danach wanderte Franz Beckenbauer einsam durch den Mittelkreis des Olympiastadions von Rom.

]]>
https://ballverliebt.eu/2015/07/08/ballverliebt-classics-der-wende-weltmeister/feed/ 2
Die Rückkehr der Dreierkette, gute Goalies und die ewige Diskussion um die Refs https://ballverliebt.eu/2014/07/15/die-rueckkehr-der-dreierkette-gute-goalies-und-die-ewige-diskussion-um-die-refs/ https://ballverliebt.eu/2014/07/15/die-rueckkehr-der-dreierkette-gute-goalies-und-die-ewige-diskussion-um-die-refs/#comments Tue, 15 Jul 2014 01:27:48 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10420 Die Rückkehr der Dreierkette, gute Goalies und die ewige Diskussion um die Refs weiterlesen ]]> Deutschland ist also zum vierten Mal Weltmeister. Das ist, woran man sich vordergründig erinnert, wenn von der Weltmeisterschaft 2014 die Rede ist, mehr noch als vom 1:0-Finalsieg gegen Argentinien dazu sicher von der deutschen 7:1-Vernichtung von Brasilien im Halbfinale. Aber was sind die inhaltlichen Erkenntnisse der 20. Endrunde? Hier zehn Punkte, die im Rückblick Erwähnung verdienen.

WM 2014 All-Stars
Streng subjektiv: Die All-Stars. Natürlich würde etwa auch Arejen Robben da hinein gehören. Nur: Statt wem?

1. – Die Dreierkette ist zurück

Vor vier Jahren in Südafrika spielten 27 Mannschaften durchgängig mit einer Viererkette, eine weitere (Uruguay) zumindest meistens. Waren Chile, Neuseeland, Nordkorea und Algerien 2010 diesbezüglich Exoten, hat die Dreier/Fünfer-Abwehr nun wieder einen gehören Schritt zurück in Richtung Mainstream genommen. Chile, Costa Rica, Mexiko, Uruguay und natürlich die Holländer: Alle fünf Teams, die nicht mit der Viererkette hinten agierten, überstanden die Vorrunde.

Die Dreierkette ist dabei die Reaktion einer Entwicklung, die sich in den letzten paar Jahren erst ergeben hat: Aus dem 4-2-3-1, das weltweit seit seinem Siegeszug bei der WM 2006 das dominierende System wurde, schob der Zehner in den letzten Jahren bei sehr vielen Mannschaften wieder weiter nach vorne, wodurch ein 4-4-1-1 entsteht – sehr schön zu sehen war dieses Vorrücken etwa bei Borussia Dortmund, als erst Kagawa und im letzten Jahr zumeist Reus bzw. Mkhitaryan als hängende Spitze agierten, weniger als Zehner.

War das 4-2-3-1 eine Reaktion auf das endgültige Aussterben der Dreierkette bis zur EM 2004 (die vom System her eine Übergangs-Phase markierte), das sich eben ab 2006 durchsetzte, ist die Dreierkette nun eine Reaktion darauf, dass der Zehner darin zum Anpressen der gegnerischen Spieleröffnung wieder so hoch steht wie der früher klassische zweite Stürmer.

Es ist also alles ein ewiger Kreislauf, die Reaktion auf eine Entwicklung hat die Reaktion auf die Reaktion zur Folge. So ist es auch in diesem Fall.

2. – Scharfe, kurze Pressing-Wege im Mittelfeld

Die Verwendung der Dreierkette hatte noch einen weiteren Vorteil, den alle Teams, die eine solche spielten, auch ausnützten – also nicht nur ein Dreierkette spielen um den Dreierkettespielens wegen, sondern mit Hintergedanke (logisch, sonst wären sie ja nicht bei einer WM dabei). Mit den höher stehenden Flügelverteidigern nämlich und dem verdichteten Zentrum war es möglich, die Gegner in diesem Bereich mit kurzen, aber scharfen Pressing-Wegen unter Druck zu setzen. Nicht selten sorgte ein sich zurückfallen lassender Stürmer (wie bei Mexiko oder Chile) bzw. zwei sich schräg zurück auf die Außen fallen lassende, verkappte Zehner (wie bei Costa Rica) oft für ein Sechser-Mittelfeld.

Gerade Costa Rica machte es extrem gut, den gegnerischen Ballführenden zu zweit, sehr oft aber auch zu dritt anzulaufen, und wegen der eigenwilligen Raumaufteilung mit sehr kurzen Wegen. Das ist natürlich den Bedingungen geschuldet: Bei großer Hitze und/oder hoher Luftfeuchtigkeit kann man nicht wild über dem ganzen Platz ein Pressing aufziehen, wie es Dortmund in den zwei Meisterjahren gezeigt hat.

Was ein Ansatz war, den sich aber im Grunde auch Jogi Löw mit seiner Umstellung vom 4-2-3-1 (das er im ganzen Turnier nur in der zweiten Hälfte des Finales spielen ließ) auf das 4-1-4-1 zu eigen machte. Auch hier wurde im Mittelfeld (Khedira und Kroos vor allem) kurz und scharf angepresst, aber nicht auf dem ganzen Platz.

3. – Der Experte für eh alles

Das totale Abkippen der Sechser zwischen die Innenverteidiger, das vor vier Jahren begonnen hatte und seither zeitweise sehr verbreitet war, hat sich weitgehend wieder aufgehört. Das ist eine Folge davon, dass immer mehr Mannschaften dazu übergegangen sind, selbst pressen zu wollen, anstatt den Ball zu haben und damit angepresst zu werden. Außerdem wird der Sechser nicht mehr so sehr als Spieleröffner und quasi „Quarterback“ gebraucht, weil diese Agenden immer mehr die Innenverteidiger übernehmen (oder zuweilen die Torhüter, siehe Manuel Neuer).

Der Sechser muss damit aber auch immer mehr zum Experten für eh alles werden: Sicheres Passspiel, gutes Auge und damit Stellungsspiel, im Zweifel erfolgreiche Tacklings, Pressen sollte er können und das Mittelfeld lesen und lenken auch noch. Andererseits geht die Bedeutung der Außenverteidiger ein wenig zurück. Belgien spielte mit vier Innenverteidigern in der Kette, Deutschland immer mit zumindest drei, Argentinien mit drei. Holland stellte einen gelernten Stürmer dorthin, Ghana einen Zehner.

Das ist wohl eine Folge der spielenden Stürmer, die immer mehr auf die Außen gehen und auch so für die Breite sorgen können, ohne dass durch allzu forsch aufrückende Außenverteidiger defensive Risiken eingegangen werden – Paradebeispiel, wie man es nicht macht, waren Marcelo und Dani Alves bzw. Maicon bei Brasilien.

Im Grunde ist auch diese Entwicklung nur der Versuch der Trainer, gleichzeitig offensiv variabler und defensiv gefestigter zu werden. Ein Balance-Akt.

4. – Südamerika rückt zusammen

Erstmals in der Geschichte der Weltmeisterschaften holte zum dritten Mal hintereinander eine europäische Mannschaft den Titel. Das ist vor allem spannend vor dem Hintergrund, dass Südamerika dennoch weiter aufgeholt hat – allerdings schließt dabei die zweite Reihe (Chile, Kolumbien, in den letzten Jahren auch Uruguay) die Lücke zu den beiden Hegemonialmächten Brasilien und Argentinien; nicht aber diese beiden an den europäischen Top-Teams.

Argentinien scheiterte zum dritten Mal hintereinander an Deutschland (wiewohl man dabei in nur einem Spiel wirklich die klar schlechtere Mannschaft war), Brasilien hat unglaublicherweise nur einen einzigen Offensiv-Spieler von Welt-Format. Sprich: Die Albicelete und die Seleção werden natürlich weiterhin als logische (Mit)-Favoriten in die nächste Copa America gehen, aber es gibt zumindest fünf, sechs Teams, die sich absolut realistische Titelhoffnungen machen dürfen. Das gab’s in den gefühlt vierzig Jahren davor nie.

5. – Ausgesprochen solide Torhüter

Natürlich: Jedes WM-Turnier ist auch geprägt von einer Handvoll absolut herausragender Torhüter. Was Neuer und Ochoa diesmal waren, war vor vier Jahren zum Beispiel Casillas, oder vor acht Buffon oder vor zwölf Kahn. Es gab aber auch immer eine Handvoll Pannenmänner, bei denen man schon Bauchweh hatte, wenn ein Ball nur in die Nähe kam – vornehmlich waren das Afrikaner.

Diesmal nicht. Natürlich gab es das eine oder andere richtig billige Gegentor (wie das zweite bei Ghana gegen Portugal oder Valladares‘ Eigentor für Honduras gegen Frankreich). Aber generell waren die Leistungen der Torhüter, quer über alle Kontinente, ausgesprochen solide. Über Keeper, von denen man sich fragte, warum sie bei einer WM spielen, sprach man im ganzen Turnier eigentlich nie.

6. – Kontroverse Referees

Im großen und ganzen waren die Leistungen der Schiedsrichter weder dramatisch schlechter noch signifikant besser als bei den letzten Endrunden. Die Tatsache, dass innerhalb von vier Wochen 64 Spiele im Fokus der Welt-Öffentlichkeit stehen, bringt es mit sich, dass die gefühlte Dichte an verpfiffenen Spielen höher ist, was mit der Realität aber natürlich nicht korreliert.

Tatsache ist aber zweifellos: Die beiden zentralen Vorgaben von FIFA-Referee-Boss Massimo Busacca waren beide ein grandioser Schuss in den Ofen. Seine Direktive, zentralere Laufwege einzuschlagen als die gewohnten Diagonalen (also jeweils die vom Assistenten entfernte Seite abzudecken), führte zu ungewöhnlich vielen Kollisionen mit Spielern (vor allem bei Ravshan Irmatov im Spiel USA-Deutschland, was ihm neben der etwas eskalierten Partie Mexiko-Kroatien wohl das Finale gekostet hat).

Und dann war natürlich die Sache mit den gelben Karten, mit denen Referees sparsam umgehen sollten. Gerade bei taktischen Fouls sollte im Zweifel eher nicht verwarnt werden, was genau dem Gegenteil von dem entspricht, was viele Trainer fordern. Vor allem Jürgen Klopp ist da ein Vorreiter, was das angeht. Eine Direktive, die (wenn auch erst ab der zweiten Turnier-Woche) dazu geführt hat, dass immer mehr geholzt wird. Mit dem traurigen Höhepunkt beim Viertelfinal-Spiel zwischen Kolumbien und Brasilien. Damit ist weniger das Foul von Zuñíga an Neymar gemeint (das war Gelb, aber nicht Rot), sondern mehr der Rekordwert an Fouls.

Die wenigen Referees, die sich nicht an die Gelb-Direktive hielten (am auffälligsten war das Howard Webb bei Brasilien-Chile, wo er sieben Verwarnungen verteilte; aber auch etwa Ben Williams), bekamen nach den Achtelfinals kein Spiel mehr.

6.a – Kein Grund für weniger Referees aus kleineren Ligen

Einzelne totale Fehlleistungen (wie Nishimura im Eröffnungsspiel oder Haimoudi im kleinen Finale) können immer passieren. Eine generelle Tendenz, dass Referees aus vermeintlich starken Ligen und/oder guten Konföderationen auch besser pfeifen, war nicht erkennbar – ganz im Gegenteil.

Ravshan Irmatov aus Usbekistan ist schon mit 36 Jahren ewiger Rekordhalter mit neun geleiteten WM-Spielen. Der Gambier Gassama bekam zwar nur ein Spiel, leitete dieses aber absolut fehlerlos, der Algerier Haimoudi war bis zu seinem Totalausfall im kleinen Finale grundsolide. Der Amerikaner Geiger und der Australier Williams gefielen über weite Strecken, auch Joel Aguilar aus El Salvador fiel nicht negativ auf.

Anders als Profi-Referee Nishimura aus Japan, als Rizzoli mit seinem fehlerhaften Finale, als Brych, der über einen nicht gegebenen Elfmeter stolperte, als Kuipers, der mitten in ein französisches Tor hinein abpfiff, als Velasco Carballo, der ziemlich hacken ließ.

7. – Wider dem Dogma, Pragmatismus ist „in“

Natürlich würde sicher auch Louis van Gaal sicher spektakulären Fußball mit Dauerdruck und vielen Toren sehen. Aber er wusste: Ohne Kevin Strootman nicht zu machen. Also wurde das komplette System und die ganze Spielweise auf die neuen Gegenbenheiten ausgerichtet. Natürlich wusste auch Joachim Löw, dass Lahm in seinem Kader rechts hinten besser aufgehoben ist – weil aber Khedira und Schweinsteiger in der Vorrunde noch ihrer Fitness nachliefen, ließ er halt vorübergehend Lahm im Zentrum ran. Genauso Sabella und letztlich auch Scolari – ihre Überlegungen fußten nicht auf Dogma, sondern auf Pragmatismus.

Im Grunde war es nur Jorge Sampaoli, der es auf die Kompromisslose versuchte und seine Chilenen ein strenges Ab-nach-Vorne-Koste-es-was-es-wolle-Konzept durchziehen ließ. Damit war Chile zum zweiten Mal hintereinander schon die geilste Mannschaft des Turniers und es ist ewig schade, dass Pinilla im Achtelfinale gegen Brasilien in der 120. Minute nur die Latte getroffen hat, und nicht ins Tor.

8. – Wo ist der Knipser?

Diese Sache mit dem „falschen Neuner“ wird natürlich deutlich hysterischer diskutiert, als es nötig wäre (vor allem in solchen Kreisen, die sich nicht per se mit Fußball-Taktik eingehender befassen). Aber auch bei diesem Turnier war auffällig: Torjäger der Marke Ronaldo, Klose oder Batistuta gibt es de facto nicht mehr. Gefragt ist der Stürmer, der Bälle halten kann, sich zurückfallen lässt und Räume schafft. Und die Spieleröffnung anpresst.

Es ist kein Zufall, dass sieben der zehn erfolgreichsten Torschützen des Turniers NICHT in vorderster Front aufgeboten waren (James, Neymar, Messi und Shaqiri als Zehner; Müller und Schürrle als Flügel; Enner Valencia als hängender Stürmer). Dazu ist Arjen Robben eigentlich auch gelernter Flügelspieler – und Van Persie und Benzema sind auch spielende Stürmer, die nicht nur im Strafraum auf die Zuspiele warten.

9. – Wilde Vorrunde, vorsichtige K.o.-Phase

Hollands 5:1 gegen Spanien, Costa Ricas Siege gegen Uruguay und Italien, die Never-Say-Die-Auftritte der US-Amerikaner, die unglaublichen Chilenen, das hochdramatische 2:2 zwischen Deutschland und Ghana, das 4:2 von Algerien gegen Südkorea – die Vorrunde strotzte nur so vor Kurzweil. Spaßbringende Spiele am laufenden Band, überraschende Früh-Heimflieger (Spanien, Italien, auch England, Portugal und Japan), respektlose Außenseiter. So macht eine WM Freude.

Als in der K.o.-Phase aber jede Niederlage das Aus bedeutet hat, war’s vorbei mit dem Risiko und es galt wie immer der Grundsatz: Wer früh glänzt, der früh verliert. Weil man eine Top-Form aus der Vorrunde nicht über vier Wochen konservieren kann. So kamen vor allem die Teams weiter, die erstmal hinten keine unnötigen Dinger reinbekommen haben. Das war deswegen nicht weniger interessant. Sehr wohl aber deutlich weniger spektakulär.

10. – Sture Kontinuität wird nicht belohnt

Der Titelgewinn von Deutschland ist der verdiente Lohn für zehn Jahre gezielte und kontinuierliche Aufbau-Arbeit von Grund heraus. Das heißt aber nicht, dass Kontinuität per se belohnt wird. Ganz im Gegenteil, das hat dieses Turnier auch gezeigt.

So war es von Amtsantritt an das Ziel von Luiz Felipe Scolari, mit einem Kader die WM bestreiten zu wollen, der schon ein Jahr davor praktisch feststeht. Dabei wurde aber nicht berücksichtigt, dass etwa Paulinho, der einen großartigen Confed-Cup gespielt hat, völlig außer Form ist. Dass Hulk eine maue Saison hinter sich hat, dass Fred von der letztjährigen Form weit entfernt ist. Oder Uruguay – praktisch das selbe Team wie vor vier Jahren, keinerlei Impulse von Jungen. Japan hat das Personal gegenüber der Asientitel 2011 nicht verändert und ist nicht nur älter, sondern wirkt auch so.

Kontinuität ist unerlässlich, bringt aber nur etwas, wenn man sich nicht dogmatisch sieht, sondern seine Augen immer offenhält für Adaptierungen, leichte Veränderungen und sich auch traut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Das war’s.

Bald startet die Qualifikation für die EM in zwei Jahren in Frankreich, auch in den anderen Kontinenten geht’s mit großen Turnieren weiter – überall außer in Europa und Ozeanien geht’s schon 2015 wieder um Titel, dazu wartet 2016 die erste gemeinsame Copa America von Süd- und Nordamerika. Im Juni nächsten Jahres steigen dann die ersten Qualifikationsspiele für die 21. WM-Endrunde, die am 8. Juli 2018 in Moskau im nächsten Finale kulminieren wird.

Es wird und also nicht fad.

 

]]>
https://ballverliebt.eu/2014/07/15/die-rueckkehr-der-dreierkette-gute-goalies-und-die-ewige-diskussion-um-die-refs/feed/ 8
WM-Geschichte für Einsteiger (4) https://ballverliebt.eu/2014/06/12/wm-geschichte-fuer-einsteiger-4/ https://ballverliebt.eu/2014/06/12/wm-geschichte-fuer-einsteiger-4/#comments Thu, 12 Jun 2014 04:16:12 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10312 WM-Geschichte für Einsteiger (4) weiterlesen ]]> Eine Weltmeisterschaft, das war immer auch ein Treffen der Weltanschauungen. Die spielerischen Brasilianer, die giftigen Argentinier und die bärbeißigen Urus aus Südamerika. Dazu die athletischen Deutschen, die disziplinierten Italiener, die kampfstarken Engländer, die schöngeistigen Holländer und die permanent unter Wert geschlagenen Spanier. Dazu ein paar lustige, aber chancenlose Farbtupfer von anderswo her. In den 1990er-Jahren aber weichte dieses Bild aber zunehmend auf. Außenseiter aus allen Kontinenten stießen plötzlich in ungeahnte Gefilde vor. Die Fußballwelt globalisierte.

1994 – Auf zu neuen Ufern

Bei der 15. Endrunde betrat man erstmals geographisches Neuland – bis dahin hatte die WM immer in Europa oder Lateinamerika stattgefunden. Das Globalisierungsdenken der FIFA führte dazu, dass man Fußball-Entwicklungsland USA das Turnier veranstalten lässt, einem Land, das neun Jahre nach dem Ende der NASL nicht mal eine eigene Liga hatte, das seit 44 Jahren kein WM-Spiel gewonnen hatte und 1990 erstmals nach 40 Jahren überhaupt dabei war. Dennoch war der Zuschauer-Zuspruch enorm, der Schnitt von 69.000 pro Match wurde nie wieder auch nur annähernd erreicht. Es hat aber auch sonst kein Land eine derartige Masse an Riesen-Arenen, der NFL sei Dank.

Und waren es bislang immer nur einzelne Außenseiter, die im Turnierverlauf weit kommen, startete nun die Zeit, in der das zum Massenphänomen wurde. Natürlich auf Kosten der arrivierten Teams. Argentinien etwa wurde durch Diego Maradonas positiven Dopingtest nicht stärker, blieb im Achtelfinale hängen – an Rumänien. Top-Favorit Deutschland schwächte sich durch die Stinkefinger-Affäre von Stefan Effenberg selbst, scheiterte im Viertelfinale – an Bulgarien. Kolumbien, als Mitfavorit zur WM gefahren, überstand nicht einmal die Vorrunde und Verteidiger Andres Escobar wurde zehn Tage nach seinem Eigentor gegen die USA in der Heimat umgebracht. Andererseits kamen krasse Außenseiter mit gutklassigen Kadern und Spielern, die in ganz Europa verstreut spielten, sehr weit – wie die Semifinalisten Schweden und Bulgarien, wie Viertelfinalist Rumänien. Die Zeiten, in denen nur Nationalmannschaften aus Ländern mit starken Ligen erfolgreich sein konnten, war vorbei, weil nun auch die Kicker aus anderen Ländern in diesen guten Ligen spielten.

Brasilien - Italien 0:0 n.V., 4:2 i.E.
Brasilien – Italien 0:0 n.V., 4:2 i.E.

Nur zwei „Große“ hatten die Viertelfinals überstanden, und letztlich trafen sich Brasilien und Italien dann auch im Finale. Die Azzurri unter Arrigo Sacchi spielten jenes kompakte Raumdeckungs-Spiel, mit dem das große Milan unter Sacchi so erfolgreich war. Bei Brasilien wurde der etatmäßige Kapitän Raí schon in der Vorrunde wegen Verhaltens-Auffälligkeiten rasiert. Carlos Alberto Parreira ließ ein zutiefst un-brasilianisches Spiel spielen, pragmatisch, sichere Defensive, nichts zulassen. Die Folge war ein Finale, das sich zog.

120 Minuten lang kaum eine echte Torchance produzierte. Und so das erste WM-Finale wurde, das im Elfmeterschießen entschieden wurde. Nach dem Fehlschuss von Roby Baggio jubelte die Seleção über den vierten Titel. Dass Carlos Dunga, der wegen seiner taktischen Disziplin „der Deutsche“ genannt wurde, Kapitän dieses Teams war, war kein Zufall.

1998 – Intervention von oben

Auf der Bank saß beim Triumph in der Rose Bowl bereits ein 17-jähriger Nachwuchsstürmer, der vier Jahre später der große Star des Turniers in Frankreich werden sollte: Ronaldo. Mit Mario Zagallo hatte der Weltmeister-Trainer von 1970 das Ruder wieder übernommen und von einer (bedeutungslosen) Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen Norwegen abgesehen ging zunächst auch alles glatt. Was man von anderen nicht behaupten konnte, setzte sich doch der schon in Amerika begonnene Trend der starken Außenseiter und der schwächelnden vermeintlichen Top-Teams fort.

Spanien etwa blieb nach einer Pleite gegen Nigeria schon in der Vorrunde kleben, die Deutschen würgten sich ins Viertelfinale und wurden dort von Kroatien zerlegt, England spielte einen schönen Mist und musste nach Beckhams Auszucker im Achtelfinale auch früh heim. Dafür zeigte Dänemark herzerfrischenden Fußball und brachte Brasilien im Viertelfinale an den Rand der Niederlage, butterte Kroaten bei der ersten WM-Teilnahme als eigener Staat auf, wirbelte sich ins Halbfinale und führte dort sogar

Bei Gastgeber Frankreich war der störrische Teamchef Aimé Jacquet schon vor dem Turnier ein Feinbild der Medien, weil der Erz-Pragmatiker Weltklassespieler wie Eric Cantona und David Ginola nicht berief und er stattdessen auf eine gut zusammengeschweißte, aber auch irgendwie langweilige Truppe setzte. Verlängerung gegen Paraguay, Elferschießen gegen Italien, purer Wille gegen Kroatien – aber man schaffte es ins Finale.

Frankreich - Brasilien 3:0 (1:0)
Frankreich – Brasilien 3:0 (2:0)

Vor dem Ronaldo einen epileptischen Anfall erlitt, er daher auch von Zagallo nicht in die Start-Elf berufen wurde, zur allgemeinen Verwirrung. Es muss Druck von oben gegeben haben – Verband? Nike? Vielleicht sogar die FIFA? – jedenfalls spielte Ronaldo dann doch. Oder besser: Er war auf dem Platz, taumelte aber mehr nur über das Spielfeld und war von seiner Top-Form, die er beim Turnier zeigte, meilenweit entfernt.

Mit de facto zehn Mann am Platz und mit ihrem Besten im Grunde nicht involviert fand Brasilien keine Antwort auf die beiden Kopfballtore, die Zinedine Zidane jeweils nach Eckbällen erzielte. So gewann der aufstrebende Star seiner Zeit nach verlorenen Europacup-Finals 1996, 1997 und 1998 nun doch endlich mal was Großes. Nicht mal Marcel Desaillys Ausschluss halb durch die zweite Hälfte konnte daran etwas ändern und Emmanuel Petit sorgte in der Nachspielzeit den 3:0-Endstand. Frankreich war der erste neue Weltmeister seit 20 Jahren.

2002 – Sportliches Chaos

Die Equipe Tricolore dominierte in den Jahren danach den europäischen Fußball, wurde als klar beste Mannschaft des Turniers 2000 Europameister. In der Tat hieß es vor der WM 2002 in Japan und Südkorea – wieder betrat man mit der ersten Endrunde in Asien Neuland – dass nur zwei Teams Weltmeister werden können, weil sie um so viel besser sind als alle anderen: Frankreich und Argentinien.Schon im Achtelfinale aber war keines der beiden Teams übrig.

In einer WM, die man nicht nach rationalen Gesichtspunkten erklären kann. Japan und Südkorea, zwei historische Feinde, wurden zusammengespannt, aber jeder wollte eigentlich seine eigene WM haben. So kam jedes der beiden Länder mit zehn modernen Stadien daher – also 20 Arenen für die 64 Spiele. Durch die extreme Klub-Saison in Europa mit der Zwischenrunde in der Champions League, durch den ungewöhnlich frühen Start der WM bereits im Mai und durch die hohe Hitze und die Luftfeuchtigkeit waren alle Prognosen schnell für die Würste.

Neben Frankreich und Argentinien war auch EM-Halbfinalist Portugal schon nach der Vorrunde draußen, eine seltsam leblose italienische Auswahl nach dem Achtelfinale, mit der Folge, dass Perugia-Präsident Gaucci den bei ihm angestellten Ahn Jung-Hwan, dessen Tor Italien besiegt hatte, feuern wollte. Dafür trumpften Außenseiter auf. Der Senegal etwa, der Frankreich im Eröffnungsspiel besiegt hatte, eine davor und danach im Weltfußball absolut inexistente Mannschaft, kam ins Viertelfinale. Die Türkei, die eine der aufregendsten Mannschaften waren, kamen ins Halbfinale, ebenso wie Co-Gastgeber Südkorea (wenn auch mit ein wenig Hilfe der Referees), ein ausgesprochen biederes US-Team hatte im Viertelfinale Deutschland am Nasenring durchs Stadion gezogen und verlor mit sehr viel Pech 0:1.

In Deutschland hatte man im Vorfeld angesichts der nicht vorhandenen Klasse diskutiert, ob man überhaupt nach Asien fliegen und sich die Blamage des allseits erwarteten Vorrunden-Aus überhaupt antun sollte, Brasilien spielte eine Katastrophen-Quali, verschliss dabei zwei Trainer und erst Luiz Felipe Scolari brachte Ruhe rein und den RoRiRo-Angriff mit Ronaldo, Rivaldo und Ronaldinho so richtig zum funktionieren. Dass sich Kapitän und Mittelfeld-Stratege Emerson bei einem Jux-Kick im Training, wo er aus Gaudi als Torwart agierte und dabei die Schulter auskegelte, hatte angesichts des puren Chaos dieses Turniers keine aufhaltende Wirkung.

Brasilien - Deutschland 2:0 (0:0)
Brasilien – Deutschland 2:0 (0:0)

Vor allem, weil Ronaldo nach einer Serie von schweren Verletzungen und nach Jahren des Leidens ein nicht mehr für möglich gehaltenes Comeback feierte. Er traf in jedem einzelnen WM-Spiel und profitierte auch davon, dass sich der einzige Grund für die Final-Teilnahme der deutschen Mannschaft – der überragende Torhüter Oliver Kahn – seinen ersten echten Fehler bei diesem Turnier für die 67. Minute des Finales aufgehoben hatte. Kahn ließ, nachdem Deutschland auch ohne den gelbgesperrten Michael Ballack eine erstaunlich gute Figur gemacht hatte, einen Schuss von Rivaldo prallen und Ronaldo staubte ab. Elf Minuten später ließ Rivaldo für Ronaldo durch, dieser zog ab, das 2:0. Die Entscheidung, der fünfte Titel für Brasilien und die persönliche Wiedergutmachung für Ronaldo.

2006 – Sommermärchen

In Deutschland passierten 2006 drei erstaunliche Dinge, mit denen nach den Erfahrungen der Vergangenheit nicht unbedingt zu rechnen war. Zum einen, dass das Team des Gastgebers nach wenigen guten, aber ziemlich vielen ziemlich schlechten Turnieren seit dem Titel 1990 plötzlich wieder ein ernst zu nehmender Faktor war, den man sich angesichts der flotten Spielweise auch gut ansehen konnten. Zweitens, dass das im Land der Humorlosen und Stocksteifen so etwas wie einen neuen Patriotismus auslöste, bei dem man sich nicht gleichzeitig für den 2. Weltkrieg entschuldigen muss – Stichwort „Sommermärchen“.

Und drittens, dass es plötzlich mit allen anderen sportlichen Überraschungen vorbei war. Zwei Jahre davor hatte Griechenland noch die Europameisterschaft gewonnen, aber nach den vielen Mittelklasse-Teams in Viertel- und Halbfinals bei den drei WM-Turnieren davor lief nun wieder alles erstaunlich nach Plan. Schon im Viertelfinale war nur noch ein einziges Team dabei, das man dort vor dem Turnier nicht unbedingt erwartet hatte, und die Ukraine haben auch nur aufgrund einer günstigen Auslosung und eines Elferschießen-Sieges gegen die Schweizer im Achtelfinale dorthin. Und war beim 0:3 gegen Italien auch chancenlos. Doch sonst war alles irgendwie wie früher: Den Teams, die in der Vorrunde aufgeigen (diesmal: Argentinien, Spanien) ist ein frühes Aus beschieden. Den Teams, die langsam loslegen (diesmal: mal wieder Italien und ganz extrem Frankreich) gehören die entscheidenden Spiele. So beendete Italien mit Toren in den Minuten 119 und 122 die Finalhoffnungen der Gastgeber und in Zidanes letztem Turnier ein Elfer im Halbfinale die Finalhoffnungen von Figo in seinem letzten Turnier.

Italien - Frankreich 1:1 n.V. (1:1, 1:1), 5:3 i.E.
Italien – Frankreich 1:1 n.V. (1:1, 1:1), 5:3 i.E.

Wie schon 1982 kam Italien mit einem Serie-A-Skandal im Rücken zur Endrunde, und wie 1982 war es auch ein davon ausgelöstes „Jetzt-Erst-Recht“-Gefühl, das die Mannschaft immer mehr zusammen schweißte. Im Finale brachte ein frühes Gegentor von Zidane aus einem unter die Latte gezitterten Elfer Italien auch nicht aus der Ruhe, wenige Minuten später glich Innenverteidiger Materazzi nach einer Ecke aus.

Bei diesem 1:1 blieb es auch lange, bis in die Verlängerung, bis auch zu jenem Zeitpunkt, an dem sich Zidane vom nicht gerade mit Universitäts-Diploma überhäuften Materazzi provozieren ließ und zum Stier wurde, der seinen Gegner per Kopfstoß in die Brust fällte. Die rote Karte für Zidane in seinem letzten Spiel, einem WM-Finale, gab zwar ein emotionales Bild ab, als er am bereitstehenden Pokal vorbei in die Katakomben schlich, hatte aber für den Ausgang des Spiels bzw. des Elferschießens keine Auswirkung. Zidane wäre im Shoot-Out als letzter Franzose drangewesen. Dazu kam es nach Trezeguets Lattenschuss aber nicht mehr. Italien war Weltmeister.

2010 – Öööööööööööööööööööööööö

Sepp Blatter war beleidigt. Der FIFA-Boss hätte schon 2006 die WM gerne in Südafrika gesehen, das Exekutiv-Komitee machte ihm aber einen Strich durch die Rechnung. Also erfand sich der Blatter-Sepp ein wunderbares Prinzip, um seinen Willen durchzusetzen: Die Kontinental-Rotation. Blatter sagt, für die WM 2010 dürfen sich nur afrikanische Länder bewerben. Prompt bekam er mit Südafrika seinen Wunsch. Und nachdem auch endlich Südamerika 2014 wieder eine WM bekam, mit Brasilien als einzigem Bewerber (die wohl langweiligste Host Selection ever), war’s mit der Kontinental-Rotation auch schon wieder vorbei.

Schnell vorbei war die WM 2006 ja für Brasilien gewesen, man agierte wie eine Ansammlung von Feuerhydranten (eher bewegungsarm) und schied im Viertelfinale aus. Für das Turnier in Südafrika sollte Carlos Dunga die richtige Mischung aus Pragmatismus und Angriff finden – umsonst, wieder war im Viertelfinale Schluss. Der andere Favorit, Europameister Spanien, setzte dafür eher auf die ultimative Form des Defensiv-Fußballs – Ballbesitz Ballbesitz Ballbesitz. Und die Zuseher in Südafrika setzten auf ihr bewährtes Mittel zur Herstellung von Stadion-Sound: der Vuvuzela. Ööööööööö.

Auch die gewöhnungsbedürfte Kulisse konnte aber nicht verhindern, dass Südafrika als erster Gastgeber überhaupt jemals die Vorrunde nicht überstand. Einige Nebengeräusche gab es auch bei Frankreich, wo die Spieler ihren Teamchef Domenech, der ihnen mit seiner schrulligen, esoterischen und gleichzeitig überstrengen Art schon seit Jahren mächtig auf den Sack gegangen war, boykottiertern. Deutlich unspektakulärer war da schon das Vorrunden-Aus von Titelverteidiger Italien. Man war einfach nicht gut genug.

Das Turnier verlief weitgehend pannenfrei (wenn man vom englischen Torhüter Rob Green absieht) und es gab auch wieder die eine oder andere Überraschung, allen voran Uruguay. Das kleine Land zwischen Argentinien und Brasilien, das zuletzt über 50 Jahre davor so etwas wie echte fußballerische Relevanz hatte, schaffte es angetrieben von Diego Forlán und der Handarbeit von Luis Suárez bis ins Halbfinale. Auch mit Ghana und Paraguay unter den letzten Acht konnte man nicht unbedingt rechnen. So sehr das Turnier aber lange ein Festival der südamerikanischen Teams war – nur eines der 14 Vorrunden-Spiele verlor das CONMEBOL-Quintett und auch im Achtelfinale flog man nur gegen Seinesgleichen aus dem Turnier – trafen sich im Finale dennoch mit Europameister Spanien und mit Holland zwei euopäische Teams. Womit erstmals ein solches außerhalb des eigenen Kontinents Weltmeister wurde.

Spanien - Niederlande 1:0 n.V.
Spanien – Niederlande 1:0 n.V.

Im Endspiel tat Oranje dann alles, um das mühsam über Jahrzehnte aufgebaute Image des schöngeistigen Angriffs-Fußballs in Rekordzeit zu zerstören. Man trat auf alles ein, was sich nicht rechtzeitig aus dem Staub machen konnte, Nigel de Jong durfte trotz eines Kung-Fu-Tritts gegen Xabi Alonso weitermachen, insgesamt verteilte Referee Webb zehn gelbe Karten alleine gegen Holland, davon zwei gegen John Heitinga. Spanien behielt aber immer den Kopf oben, ließ sich nicht zu Revanche-Fouls hinreißen und wurde dafür belohnt, indem Arjen Robben alleine auf Casillas zulaufend vergab.

Als man sich schon auf ein Elfmeterschießen nach 120 torlosen Minuten eingestellt hatte, traf Andrés Iniesta nach 116 Zeigerumdrehungen doch noch zum Sieg. Womit Spanien der erste Premieren-Weltmeister seit Brasilien 52 Jahre davor wurde, der den ersten Titel nicht im eigenen Land eingefahren hat. Einen neuen Weltmeister kann es 2014 auch geben. Aber ein neuer Weltmeister mit Heimvorteil? Das geht sich nicht aus.

]]>
https://ballverliebt.eu/2014/06/12/wm-geschichte-fuer-einsteiger-4/feed/ 4
WM-Geschichte für Einsteiger (3) https://ballverliebt.eu/2014/06/10/wm-geschichte-fuer-einsteiger-3/ https://ballverliebt.eu/2014/06/10/wm-geschichte-fuer-einsteiger-3/#respond Tue, 10 Jun 2014 18:56:53 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10298 WM-Geschichte für Einsteiger (3) weiterlesen ]]> Brasilien hatte die Fußballwelt über ein Jahrzehnt dominiert, ehe sich Pelé nach dem Triumph 1970 aus der Nationalmannschaft zurückzog. Womit das Pendel im Weltfußball in Richtung jener athletischen, immer hart kämpfenden aber selten schön anzusehenden Mannschaft ausschlug, die die folgenden zwanzig Jahre die große Konstante sein sollte. In jener Zeit, in der Deutschland endgültig seinen Ruf als „Turniermannschaft“ festigte. Mit ihrer Angewohnheit, schlecht zu spielen und trotzdem weit zu kommen.

1974 – BRD Weltmeister, DDR sei Dank

Erst zwei Jahre waren vergangen, seit dem Terror-Anschlag auf die Olympischen Spiele in München. So gesehen war die erstmalige Teilnahme der Nachbarn aus dem Real Existierenden Sozialismus, der zwei Jahre davor Olympia-Bronze geholt hatte und zwei Jahre danach sogar Gold in die DDR heimbringen würde, angesichts der Spannungen zwischen Berlin und Bonn auch nicht ganz unheikel. Zumal die DDR nicht nur in der Vorrunde gegen die BRD gelost wurde, sondern das zweite Gruppenspiel gegen Chile ausgerechnet in West-Berlin austragen musste. Für die DDR-Führung, die West-Berlin nie anerkannte, ein politischer Affront – und dass die DDR-Auswahl gnadenlos niedergepfiffen wurde, obwohl sich in Chile gerade eine überaus brutale Militär-Diktator verdingte, machte die Sache nicht besser.

Das BRD-Team, das 1972 mit Netzer als Regisseur glanzvoll Europameister geworden ist, spielte beim 1:0 gegen Chile unterirdisch, und kaum besser beim 3:0 gegen Australien. Das Flügelspiel mit Flohe und Grabowski lahmte, der alte Overath (30), der statt des formschwachen Netzer spielte, fand nicht ins Turnier, Antreiber Hoeneß agierte mit angezogener Handbremse. So war es nicht ganz unlogisch, dass im Duell gegen die DDR in Hamburg – in dem es dank der geistlosen gegenseitigen Manndeckung praktisch auf dem ganzen Feld vor allem auf den Willen und die Galligkeit ankam – ein spätes Tor von Jürgen Sparwasser den 1:0-Sieg für die DDR brachte.

Was für die BRD nur gut war. Zum einen übernahm Kapitän Beckenbauer (28) in der Nacht danach bei einer heftigen Aussprache im Teamcamp in abgeschiedenen Nest Malente de facto das Kommando in der deutschen Delegation, ein reinigendes Gewitter war das. Und zum anderen kam die DDR als Gruppensieger in die Zwischenrunden-Staffel mit den grandios aufspielenden Holländern, Weltmeister Brasilien und den unguten Argentiniern. Die BRD hatte mit Jugoslawien, Schweden und Polen die deutlich leichteren Gegner erwischt.

Deutschland - Niederlande 2:1 (2:1)
Deutschland – Niederlande 2:1 (2:1)

Dennoch brauchte es auch Glück, um das Finale zu erreichen – hätte es im letzten Spiel gegen Polen nicht aus Kübeln gegossen und auf dem Swimming-Pool-ähnlichen Platz in Frankfurt nicht eine veritable Lotterie gegeben, die Polen hätten vermutlich gewonnen. So aber wurschtelten sich die Deutschen ins Finale, in dem Holland wartete.

Feyenoord und Ajax hatten zuvor viermal hintereinander den Meistercup nach Holland geholt und der junge Bondscoach Rinus Michels (42) brachte die Idee vom „Totaalvoetbal“ um Johan Cruyff auch in die Nationalmannschaft. Es funktionierte: Da jeder alles spielen konnte und es auch tat, waren die zu jener Teil starr in der Idee der Manndeckung agierenden Gegner heillos überfordert.

Im Finale ging Holland durch einen (korrekten) Elfer in der 2. Minute früh in Führung und hatte alles unter Kontrolle, bis Deutschland durch einen (zumindest harten) Elfer zum Ausgleich kam. Kurz vor der Pause legte Gerd Müller das 2:1 nach, ehe sich die Deutschen darauf verlegte, irgendwie das Resultat über die Zeit zu retten. Was dank eines herausragenden Sepp Maier im Tor auch gelang.

1978 – Unappetitlicher Weltmeister

Als die FIFA die folgende Endrunde zwölf Jahre im Voraus nach Argentinien vergab, herrschte dort noch keine brutale Militär-Diktatur. Als das Turnier 1978 kam allerdings sehr wohl. Eines der unappetitlichsten Regimes des 20. Jahrhunderts nützte die Endrunde natürlich schamlos zu Propaganda-Zwecken aus. Sätze wie jener des deutschen Kapitäns Berti Vogts, er habe keine politischen Gefangenen gesehen und darum könnte es ja nicht so schlimm sein, wirken angesichts der wohl ingesamt rund 30.000 beseitigten Regimegegnern wie blanker Hohn.

Um den inneren Widerspruch perfekt zu machen, wurde Argentinien bei der Heim-WM von einem offen linken, langhaarigen Philosophen trainiert. Kettenraucher César Luis Menotti (39), wegen seiner hageren Gestalt „El Flaco“ genannt, der Dürre, verköperte alles, was das Regime verachtete. In der Vorrunde quälte sich sein Team zu zwei knappen Siegen gegen Ungarn und Frankreich und verlor dann gegen Italien – die Druck des Gewinnen-Müssens belastete die Albecelete. Zum einen wegen des Fans, die wegen der eigenen Titellosigkeit gegenüber den drei Erfolgen der Brasilianer bereits einen Minderwertigkeitskomplex entwickelten. Und wegen des Regimes, für das nichts anderes als der Sieg zählte.

Aber auch andere Teams blieben hinter den Erwartungen. Schottland etwa, hoch gewettet, verlor gegen Peru und war schnell draußen. Auch die Spanier, die gerade von einer Militär-Diktatur befreit worden waren, blieben früh hängen. Weltmeister Deutschland gewann weder gegen Polen noch gegen Tunesien, kam aber noch weiter. Die Leistungen wurden nicht besser und die Mini-Chance auf das kleine Finale zerstoben mit einem 2:3 im letzten Zwischenrunden-Spiel gegen die positive Überraschung des Turniers – jene Österreicher, die erstmals nach zwanzig Jahren wieder bei einer WM waren.

In der anderen Gruppe brauchte der Gastgeber einen hohen Sieg gegen Peru, um noch das Finale gegen die weiterhin starken Holländer zu erreichen. Peru legte sich auf den Rücken und ließ sich 6:0 überrollen. Man kann es als erwiesen betrachten, dass Argentinien dem befreundeten Regime in Lima gigantische Lebensmittelmengen als Gegenleistung lieferte und unliebige Oppositionelle beseitigte.

Argentinien - Niederlande 3:1 n.V. (1:1, 1:0)
Argentinien – Niederlande 3:1 n.V. (1:1, 1:0)

Auch vorm Endspiel wurde mit allen Mitteln gearbeitet, um Argentinien einen Vorteil zu verschaffen: Für den holländischen Bus gab es bei der Anfahrt keine adäquate Eskorte, dann ließ die Albiceleste den Gegner minutenlang vorm Anpfiff alleine am Rasen warten, wo sie dem Furor der Menge ausgeliefert war und bewegte sich erst zum Anstoß, als die Handmanschette von René van de Kerkhof entfernt war – die war während des ganzen Turniers kein Problem gewesen.

Das Team um Libero Daniel Passarella (25), den zierlichen Giftzwerg Osvaldo Ardiles (26) und den kraftvollen Torschützenkönig Mario Kempes (24) hatte das Spiel unter Kontrolle, ging nach einer halben Stunde durch Kempes in Führung und hielt die von Ernst Happel betreuten Holländer lange gut in Schach. Bis Joker Dick Nanninga zehn Minuten vor Schluss das 1:1 besorgte und Rob Rensenbrink in der Nachspielzeit noch eine Riesenchance hatte, aber nur den Pfosten traf.

So ging’s in die Verlängerung, wo erst Mario Kempes das 2:1 besorgte und dann Rechtsaußen Daniel Bertoni mit dem 3:1 den Deckel draufmachte. Holland hatte zum zweiten Mal hintereinander ein WM-Finale verloren.

Das einzige WM-Finale nach 1938 und bis 2006 im Übrigen, in dem weder Brasilien noch Deutschland vertreten war.

1982 – Durchgebrunzt

Im Sommer 1982 wurde Spanien von einer fast noch nie gesehenen Hitzewelle überzogen – praktischerweise genau während der WM. Die dennoch einige Glanzlichter sah, vor allem von den Brasilianern. Die Seleção um Sócrates und Zico verzauberte die Welt mit wunderschönem Fußball. Dass sie das Turnier gewinnen würden, stand früh außer Frage, bis ein 2:3 in der Zwischenrunde gegen Italien doch alles zunichte machte.

Weil sich bei den tropischen Bedinungen diejenigen Teams am besten hielten, die möglichst langsam anfingen. So wie Italien – mit drei Remis in der Vorrunde in einer Gruppe mit Polen, Kamerun und Peru durchgebrunzt. Wie die Deutschen, sie sich nach einer erstaunlichen Auftaktpleite gegen Algerien mit einem Nichtangriffspakt gegen Österreich in die Zwischenrunde schummelten. Wie EM-Finalist Belgien, der El Salvador 1:0 bewzang – vier Tage, nachdem die Mittelamerikaner in ein 1:10 gegen Ungarn gelaufen waren.

Die Italiener, die von einem Wettskandal in der Serie A erschüttert nach Spanien fuhren, fanden immer besser zusammen und zwei Tore von Paolo Rossi, einem Hauptbeteiligten an dieser unschönen Sache, sicherten das 2:0 im Halbfinale gegen Polen. Während Europameister Deutschland gegen Frankreich alles in die Waagschale werfen musste. Vor lauter Einsatz rammte etwa Goalie Toni Schumacher Gegenspieler Battiston mehrere Zähne aus dem Gebiss. Nach einem 1:1 war Frankreich in der Verlängerung schon 3:1 voran, letztlich gewann aber Deutschland im Elferschießen.

Italien - Deutschland 3:1 (0:0)
Italien – Deutschland 3:1 (0:0)

Im Endspiel trafen sich dann eine wenig spektakuläre italienische und eine wenig spektakuläre deutsche Mannschaft in einem auch nicht besonders spektakulären Spiel. Erst nach einer Stunde brach Paolo Rossi die Gegenwehr, die körperlich erledigten Deutschen konnten nicht mehr kontern. Ehe Paul Breitner das Ehrentor erzielen konnte, hatten Marco Tardelli und der früh für den verletzten Graziani eingewechselte Alessandro Altobelli schon eine komfortable 3:0-Führung heraus geschossen.

Italien schloss mit dem dritten Titel, dem ersten nach 44 Jahren, mit Brasilien auf, war damit Rekord-Weltmeister – und wurde als solcher in der folgenden EM-Quali Gruppenvierter. Hinter Rumänien, Schweden und der Tschechoslowakei.

1986 – Die Hand Gottes

Deutschland quaifizierte sich zwar, krachte aber schon in der Vorrunde raus und schasste Bundestrainer Jupp Derwall. Für ihn kam der mittlerweile 39-jährige Franz Beckenbauer, ohne Trainerlizenz, aber mit großen Hoffnungen.

Mexiko durfte 16 Jahre nach dem ersten Mal schon wieder eine Endrunde ausrichten. Weil Kolumbien sich mit der Ausrichtung der WM finanziell zu überheben drohte, sprang Mexiko kurzfristig ein. Wieder waren es dabei die Höhenlage und die Hitze, die den Teams zu schaffen machte. Und wieder waren es die weniger glanzvoll agierenden Teams, die letztlich auftrumpften.

Allen voran waren es nämlich die Dänen, die im Vorfeld schon als heißer Titelkandidat gehandelt wurden und entsprechend spektakulär durch die Gruppenphase schnitten – etwa mit einem 6:1 gegen Uruguay und einem 2:0 gegen Deutschland, ehe man im Achtelfinale Spanien ins offene Messer lief. Auch Brasilien zeigte wieder Fußball für’s Auge, scheiterte aber im Viertelfinale an Frankreich.

Womit wieder die Stunde der Durchwurschtler schlug – die der Deutschen. Ziemlich harzige Vorrunde, ein Gequäle beim 1:0 gegen Marokko, ein Gewürge mit Sieg im Elferschießen gegen Mexiko, eine Zitterei bis zum Schlusspfiff im Halbfinale gegen Europameister Frankreich. Schlimm war das. Und schlimm war auch, wie Argentinien im Viertelfinale England bezwang – mit einem wunderschönen Solo von Maradona und einer nicht so schönen Handarbeit von Maradona. Der trotz eindeutiger Beweise darauf beharrte, es wäre die Hand Gottes gewesen, die den Treffer erzielt hätte. Ja, eh.

Argentinien - Deutschland 3:2 (1:0)
Argentinien – Deutschland 3:2 (1:0)

Das Argentinien von 1986 hatte rein gar nichts mehr mit dem von 1978 zu tun. Unter Carlos Bilardo wurde ein strenger Defensiv-Fußball gespielt, mit einem Libero, zwei Manndeckern, zwei Außendeckern und drei Abfangjägern.

Vor und nach dem 1:0 durch Libero José Luis Brown – Schumacher hatte eine hohe Flanke falsch eingeschätzt – blieb es auch im Endspiel eher mäßig unterhaltsam, was auch an der Anstoßzeit von 12.00 Uhr Mittags lag – es war einfach zu heiß für grandiosen Tempo-Fußball. Und als Jorge Valdano nach einer Stunde auf 2:0 stellte, glaubte niemand mehr daran, dass die biedere Arbeiter-Truppe aus Deutschland das noch aufholen könnte.

Vor allem, weil Argentinien nun die Schotten dicht machte. Dass man Deutschland nie abschreiben soll, auch wenn man noch so eine durchschnittliche Truppe am Start hat, zeigte sich aber auch in diesem Spiel: Zwei Ecken, zwei Tore – eins von Kapitän Karlheinz Rummenigge, eins vom eingewechselten Rudi Völler – sorgten in den Minuten 74 und 81 für den Ausgleich.

Entscheidend war aber letztlich dennoch das Genie von Diego Maradona – sein Zuckerpass in eine entblößte Abwehr auf Burruchaga brachte das 3:2 und den zweiten Titel für Argentinien.

1990 – Höhepunkt der Langeweile

Mit Holland wurde eine absolut offensiv orientierte Mannschaft Europameister, aber die generelle Tendenz im Weltfußball war klar defensiv. Die Spiele waren immer mehr geprägt von Sicherheitsdenken, und die Endrunde in Italien bildete den Höhepunkt davon. Alleine im Spiel gegen Deutschland fabrizierte etwa der Außenseiter aus der Vereinigten Arabischen Emiraten über 50 Rückpässe, die Muhsin Musabah allesamt sehr zeitintensiv mit der Hand aufnahm – das Resultat dieses generellen Trends zum Sicherheitsdenken kulminierte in einem Turnier voller quälend langweiliger Spiele, für die sich das Heimpublikum aus der Serie A begeistern konnte, der Rest der Welt aber nicht. Direkte Folge: Die Rückpassregel.

Was der Rest der Welt sah, war ein Titelverteidiger, der über weite Strecken agierte wie in der ganzen Zeit seiner Regentschaft: Eine seltsam leblose Truppe, die sich eine Ohrfeige nach der anderen abholte – zunächst auch, nachdem der zunehmend panische Verband im Vorfeld der WM Carlos Bilardo als Teamchef zurück holte. Im Eröffnungsspiel gab’s gleich mal ein 0:1 gegen Kamerun, der Weltmeister schummelte sich als Gruppendritter noch irgendwie ins Achtelfinale. Nach einer Vorrunde, in der nur ein einziges der 24 Teams mehr als sechs Tore zustande gebracht hatte. Und war die Vorrunde zumindest nur spielerisch nicht schön, wurde es im Achtelfinale richtig ekelhaft, als Frank Rijkaard zielsicher in die Lockenpracht von Rudi Völler spuckte.

Das einzige Team, das alle mit seiner positiven Herangehensweise auf seine Seite schlug, war Kamerun. Nach dem überraschenden Sieg im Eröffnungsspiel wurde das Team um Oldboy Roger Milla (38) Gruppensieger und eliminierte im Achtelfinale die hochgewetteten Kolumbianer um den wandelnden Wischmop Carlos Valderrama. So wurde Kamerun das erste afrikanische Team in einem WM-Viertelfinale, und hätte man nicht gegen ein (wie es dem Zeitgeist halt entsprach) sehr diszipliniertes, aber nicht gerade funkeldes Team aus England im Viertelfinale nicht äußerst unglücklich und unverdient nach Verlängerung verloren, man wäre sogar das erste und bis heute einzige afrikanische Team in einem Halbfinale gewesen.

Von allen guten Teams die stabilsten waren die Deutschen und die Italiener. Die Gastgeber kassierten auf ihrem Weg ins Halbfinale nicht ein einziges Gegentor und man hatte mit Toto Schillaci den überraschenden Torschützenkönig in seinen Reihen, aber gegen Argentinien war im Elfmeterschießen Schluss. Und auch das andere Halbfinale ging ins Shoot-Out, dieses entschied Deutschland gegen England für sich – so gab es eine exakte Neuauflage des Finales von 1986. Das einzige Mal, das es zweimal hintereinander die gleichen Länder ins Endspiel geschafft hatten.

Deutschland - Argentinien 1:0 (0:0)
Deutschland – Argentinien 1:0 (0:0)

Diesmal war aber alles umgekehrt. Deutschland war eine stabile, gutklassige Mannschaft, die den amtierenden Europameister besiegt hatte, die die starken Tschechoslowaken auch mit einer schlechten Leistung bezwangen. Argentinien hingegen mogelte sich so ins Finale, wie das vier Jahre davor die Deutschen getan hatten: Zitter-1:0 gegen Brasilien, Elferschießen gegen Jugolsawien, Elferschießen gegen Italien, in keinem Spiel die bessere Mannschaft. Ein zynisches Team, das noch mehr als das von 1986 von Maradona lebte. Von einer humorlosen Defensive. Und von einer Spielweise, die mit Fug und Recht als „schmutzig“ zu bezeichnen ist.

Das Endpsiel von Rom beendete Argentinien nach den Ausschlüssen von Dezotti und Troglio mit acht Feldspielern, dennoch brauchte es einen späten Elfmeter für den hochverdienten Sieg der Deutschen. Andi Brehme versenkte den Ball im rechten Torwart-Eck und Deutschland hatte nach zwei verlorenen Finals endlich den dritten Titel in der Tasche. Nachdem man vier der vergangenen fünf Endspiele erreicht hatte war man nun gemeinsam mit Brasilien und Italien Rekord-Weltmeister.

Und weil die gut ausgebildeten Spieler der ehemaligen DDR nach der Endrunde zum deutschen Team stießen, ließ sich der scheidende Teamchef Beckenbauer zu dem Sager hinreißen, dass Deutschland nun „auf Jahrzehnte hin unschlagbar sein“ werde. Der Kaiser irrte. Rom war nicht der Startpunkt einer deutschen Ära. Sondern ihr Ende. Die Globalisierung des Fußballs hielt Einzug, eine Entwicklung, die Deutschland komplett verschlief. Aber mehr dazu in Teil 4!

]]>
https://ballverliebt.eu/2014/06/10/wm-geschichte-fuer-einsteiger-3/feed/ 0
WM-Geschichte für Einsteiger (2) https://ballverliebt.eu/2014/06/10/wm-geschichte-fuer-einsteiger-2/ https://ballverliebt.eu/2014/06/10/wm-geschichte-fuer-einsteiger-2/#comments Tue, 10 Jun 2014 07:37:14 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10275 WM-Geschichte für Einsteiger (2) weiterlesen ]]> Zwei Weltmeisterschaften hatte es nach dem Krieg gegeben, zweimal mit haushohen Favoriten, und zweimal hatte dieses Team im entscheidenden Moment nicht gewonnen. Wie glücklich die FIFA war über zwei eher Zufalls-Weltmeister – das kleine Uruguay und die nach dem Krieg, nun ja, nicht direkt beliebten Deutschen – ist die Frage. Wie gut nur, dass zur WM 1958 in Schweden – übrigens das letzte Mal, das zwei Endrunden in Folge in Europa stattfanden – die Brasilianer mit einem 17-jährigen Buben aus der an sich nicht so bedeutenden Hafenstadt Santos daherkamen.

1958 – Heja Sverige, Heja Pelé

Schweden hatte von einem englischen Exil-Trainer, George Raynor, das Kicken gelernt und besiegelte mit dem Vorrunden-2:1 gegen die Ungarn endgültig das Ende der großen Generation der Magyaren. Die Brasilianer zogen eine teuflische Gruppe mit Olympiasieger Sowjetunion, dem Dritten der letzten WM Österreich und mit den Engländern, die sich mittlerweile nicht mehr so ganz sicher waren, ob sie denn wirklich die besten der Welt waren. So urig die Brasilianer daherkamen, steckte hinter ihren Vorbereitung deutlich mehr Wissenschaft als bei allen anderen Teams zusammen. Man ließ den Spielern sogar die Zähne richten, bevor es zur nördlichsten WM aller Zeiten ging, es wurde alles generalstabsmäßig geplant, nichts dem Zufall überlassen – außer so ein wenig auf dem Platz, wo natürlich die in die „Diagonale“ (sprich: einer der beiden Außenläufer rückte etwas zurück Richtung Abwehr, einer rückte etwas auf in die Spielgestaltung) gepresste individuelle Klasse die Spiele entscheiden sollte. Im dritten Gruppenspiel gegen die Sowjets, als der Viertelfinal-Einzug schon so gut wie fix war, ließ Teamchef Vicente Feola dann seinen Wunderknaben ran. Pelé, der schon mit 16 Jahren Liga-Torschützenkönig geworden war, riss das Spiel sofort an sich und hatte fortan einen Stammplatz. Im Viertelfinale gegen Wales schoss er das einzige Tor, im Halbfinale gegen Frankreich gleich drei. Titelverteidiger Deutschland hatte nur noch vier Weltmeister im Kader und einige Mühe, sich ins Halbfinale durchzukämpfen. Dort traf man auf den Gastgeber und wurde von etwas zutiefst Unfairem, wie man fand, völlig aus dem Konzept gebracht: Die schwedischen Fans feuerten ihr Team frenetisch an, brüllten ohne Unterlass „Heja Sverige“, Hoppauf Schweden, und störte so die deutsche Kommunikation entscheidend. Für die stocksteifen und ordnungsliebenden Deutschen, die Gentleman-Publikum gewohnt waren, ein absoluter Skandal. Schweden siegte durch zwei späte Tore 3:1. Ziemlich genau 34 Jahre, ehe Deutschland ebenfalls im Ullevi von Göteborg gegen Dänemark das EM-Finale verlieren sollte.

Brasilien - Schweden 5:2 (2:1)
Brasilien – Schweden 5:2 (2:1)

Sehr viel zu Lachen hatte Schweden im Finale aber nicht mehr. Zwar ging man im Råsunda von Stockholm – dem einzigen WM-Finalstadion, das ersatzlos abgerissen wurde – durch Nils Liedholm schnell in Führung, aber der o-beinige Garrincha rechts, der tickreiche Pelé aus der Tiefe, der umsichtige Didi, das schwungvolle Weißbrot Zagallo links und Vava, der mit zwei Toren antwortete – das war zu viel. Pelé traf in der zweiten Hälfte zweimal, Brasilien gewann 5:2 und hatte endlich die Schmach des Maracanazo acht Jahre davor zumindest ansatzweise getilgt.

1962 – Wiederholung ohne Pelé

Chile wurde 1960 von einem verheerenden Erdbeben erschüttert, weigerte sich aber, die WM zurückzulegen – es brauchte einen Ansporn zum Wiederaufbau. Ganz im Gegensatz dazu ging eine gegenüber dem Titel 1958 nur punktuell veränderte Seleçao ins Turnier. Anders als etwa Österreich – dem ÖFB war die Reise zu teuer. Wie zum Trotz setzte das Team unter Trainer Karl Decker zu einer erstaunliches Siegesserie an – Spanien, Italien, England und der erste Europameister UdSSR wurden allesamt geschlagen. Brasilien startete mit einem 2:0 gegen Mexiko standesgemäß, im zweiten Gruppenspiel gegen die Tschecholowakei zog sich Pelé aber einen Muskelfaserriss zu – die WM war für den 21-Jährigen Superstürmer gelaufen. Für ihn rückte fortan der um ein Jahr ältere Amarildo ins Team, der mit seinem Doppelpack gleich einmal das 2:1 gegen Spanien sicherte. Nicht nur bei Brasilien aber, wo der 1958 noch zurückgezogene Mittelläufer endgültig in der Abwehr angekommen war, setzte immer mehr Sicherheitsdenken ein. Erstmals gab es bei einer WM weniger als drei Tore pro Spiel. Dazu wurde die Herangehensweise auf dem Feld zumehmend aggressiv, vor allem die chilenischen Gastgeber zeichneten sich aus. So sehr, dass im Halbfinale sogar Garrincha, der als ungewöhnlich friedfertig galt, die Gäule durchgingen und er des Feldes verwiesen wurde. Auf Intervention des südamerikanischen Verbands-Chefs João Havelange, rein zufällig auch Brasilianer, durfte Garrincha im Finale gegen die Tschechoslowakei aber spielen.

Brasilien - Tschechoslowakei 3:1 (1:1)
Brasilien – Tschechoslowakei 3:1 (1:1)

Und traf dort auf eine gut organisierte Truppe, aus der zwei Mann herausragten: Mittelläufer Andrej Kvasnak von Sparta Prag, bekannt für seinen eigenwilligen Laufstil, und der linke Halbstürmer Josef Masopust von Dukla Prag. Angetrieben von diesen beiden kam Brasilien zunächst nicht ins Spiel und Masopust erzielte dann sogar die Führung. Ehe ein Stellungsfehler des bis dahin im Turnierverlauf glänzenden Torhüters Viliam Schrojf den 1:1-Ausgleich ermöglichte: Er spekulierte auf eine Flanke des rechts von ihm in den Strafraum ziehenden Amarildo, machte einen Schritt heraus – und Amarildo versenkte eiskalt im offenen kurzen Eck. In der zweiten Hälfte brachte ein Tor von Zito das 2:1 für Brasilien, und ein weiterer Fehler von Schrojf (der einen hohen Ball ausließ) ermöglichte Vava das 3:1. Brasilien hatte den Titel verteidigt. Als bis heute letzte Mannschaft.

1966 – Herrn Bachramovs Knick in der Optik

Mit fünf Spielern, die schon acht Jahre davor Weltmeister geworden waren, rückte Brasilien 1966 zur WM in England an. Dort kam alles zusammen: Die zu alte Mannschaft zum einen, und eine übertrieben brutale Gangart der Bulgaren im ersten Spiel, die sich nicht von den Zuckerhut-Zauberern lächerlich machen lassen wollten. Brasilen gewann 2:0, verlor aber Pelé, der die meisten bulgarischen Tritte abbekommen hatte. Wie ein Boxer in der 11. Runde wankte Pelé im dritten Gruppenspiel gegen Portugal zurück auf’s Feld, aber er konnte dem Angriffssturm um Eusebio nichts entgegensetzen. Brasilien verlor 1:3 und war in der Vorrunde gescheitert – ebenso wie auch Italien nach einem peinlichen 0:1 gegen Debütant Nordkorea. Brasilien war den „Coupe Jules Rimet“ also los, aber die Veranstalter beinahe auch – der Cup wurde bei einer Ausstellung entwendet und später von einem Hund gefunden. Eine Ersatz-Trophäe wurde angefertigt, die heute ein Ausstellungsstück im englischen Fußballmuseum ist. Das Original gibt es ja nicht mehr, das wurde 1983 erneut gestohlen und vermutlich eingeschmolzen. England hatte sich ja erst, bis 1950, auf den Standpunkt verzogen, man sei ja eh der Beste und brauche deshalb nicht teilnehmen, und beharrte danach so stur auf der eigenen Spielweise und ließ die Welt davonziehen, dass man keine Chance hatte. Alf Ramsey, Pragmatiker vor dem Herrn, warf vor der Heim-WM alles über Bord und gab die Parole aus: Wurscht, ob’s schön ist oder nicht, das Resultat muss her. So ließ er eine Arbeiter-Truppe auf die Fußballwelt los, mit einem Wadlbeißer wie Nobby Stiles, mit Dauerläufern wie Peters und Ball, mit trockenen Verteidiger wie Jack Charlton. Mit 4:0 Toren aus drei Spielen wurde man Gruppensieger, ein Tor reichte auch im Viertelfinale in der Härteschlacht gegen Argentinien, und Eusebio hielt man im Halbfinale auf einem Tor und gewann 2:1.

England - Deutschland 4:2 n.V. (2:2, 1:1)
England – Deutschland 4:2 n.V. (2:2, 1:1)

Im Finale im Wembley ging es gegen Deutschland, mit dem routinierten Uwe Seeler (29) vorne und dem aufstrebenden Supertalent Franz Beckenbauer (20) vor der Abwehr. Geoff Hurst von West Ham konterte die frühe deutsche Führung und als Hursts Klubkollege Martin Peters in der 78. Minute das verdiente 2:1 erzielte, sah alles nach einem englischen Titel aus – ehe Helmut Haller, Deutschlands erster Italien-Legionär, kurz vor dem Ende zum 2:2 ausglich. Was folgte, war eine der berühmtesten Aktionen der WM-Geschichte: In der 101. Minute drosch Hurst den Ball aus rund zehn Metern an die Latte, die Kugel klatschte von dort hinter Keeper Tilkowski auf den Boden und von dort wieder zurück ins Spielfeld. Linienrichter Tofik Bachramov entschied auf Tor, Referee Dienst glaubte ihm – das „Wembley-Tor“, das 3:2. Als Hurst mit der letzten Aktion einen Konter fuhr, waren schon jubelnde Fans auf dem Spielfeld. Unbeeindruck davon schoss Hurst noch das 4:2. England war Weltmeister. Und Tofik Bachramov kam sein Stadion: Die National-Arena seiner Heimat Aserbaidschan in Baku ist noch heute nach ihm benannt.

1970 – Heiß und hoch

Brasilien hatte nach der verpatzten WM in England die Schlüsse gezogen und einen kompletten Generationswechsel vollzogen. Der einzige verbliebene Weltmeister im Kader für die WM in Mexiko 1970 war Pelé, mittlerweile 29 Jahre alt und immer noch Poster-Boy seines FC Santos. Die verjüngte Mannschaft wurde von Mário Zagallo, einem der Doppelweltmeister, als Trainer geführt und sie war nicht nur individuell top besetzt, sondern kam auch deutlich besser mit den klimatischen Bedingungen zurecht als die Gegner aus Europa. In Mexiko herrschte nämlich eine brütende Hitze, die vieleEuropäer schon mal überforderte, und darüber hinaus noch eine ungewohnte Höhenlage. Gleich sechs Teams aus Europa blieben schon in der Gruppenphase hängen, die dafür etwa Peru – kein Fremder, was Höhenlage angeht – überstand. Doch trotz der extremen Bedingungen verlegte sich, anders als bei den Turnieren davor, kaum ein Team auf Defensive. Die Folge: Ein ausgesprochen attraktives Turnier mit vielen großartigen Spielen. Wie etwa dem Viertelfinale von Deutschland gegen England, in dem der Titelverteidiger nach 2:0-Führung noch 2:3 nach Verlängerung verlor. Oder das Halbfinale zwischen Deutschland und Italien, dem „Jahrhundert-Spiel“, in dem Schnellinger Deutschland in der 90. Minute mit seinem 1:1 in die Verlängerung rettete, Müller dort das 2:1 schoss (94.), Italien das Spiel zum 3:2 drehte (98. und 104.), Deutschland wiederum ausglich (110.), nur um im Gegenzug das Tor zum 3:4-Endstand zu kassieren. Die wohl dramatischste Verlängerung der WM-Geschichte.

Brasilien - Italien 4:1 (1:1)
Brasilien – Italien 4:1 (1:1)

Half Italien aber alles nichts. Man stand im Finale so auf verlorenem Posten, wie man auf verlorenem Posten stehen konnte. Brasilien hatte von der Qualifikation bis zum Semifinale sämtliche Partien zumeist glanzvoll gewonnen und auch die eisenharte, typisch italienische Manndeckung – von Helenio Herrera bei Inter zur nervtötenden Perfektion getrieben – praktisch aller Spielern war kein Hindernis. Italiens Teamchef Ferruccio Valcareggi hatte sich vor dem Turnier nicht entscheiden können, ob er Milans Gianni Rivera oder Inters Sandro Mazzola als Spielmacher einsetzen sollte und ließ die beiden abwechselnd je die erste bzw. die zweite Hälfte spielen. Nachdem Italien bis zur Halbzeit (wie auch immer) das 1:1 hielt, entschied sich Valcareggi dazu, Mazzola drinzulassen. Brasilien legte nach dem Seitenwechsel drei Tore nach und gewann letztlich locker mit 4:1. Wäre sehr wahrscheinlich aber genauso gekommen, wenn Rivera eingewechselt worden wäre. Die Seleção hatte, angetrieben von Pelé, drei von vier WM-Turnieren siegreich bestritten und durfte den alten „Coupe Jules Rimet“ damit behalten. Mit dem Triumph im Aztekenstadion endete die brasilianische Dynastie aber. Die Konstante sollte in der Folge das Team aus Deutschland werden. Aber dazu mehr in Teil 3!

]]>
https://ballverliebt.eu/2014/06/10/wm-geschichte-fuer-einsteiger-2/feed/ 1
WM-Geschichte für Einsteiger (1) https://ballverliebt.eu/2014/06/06/wm-geschichte-fuer-einsteiger-1/ https://ballverliebt.eu/2014/06/06/wm-geschichte-fuer-einsteiger-1/#comments Fri, 06 Jun 2014 10:44:38 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10220 WM-Geschichte für Einsteiger (1) weiterlesen ]]> Das war eine feine Sache, dieses Olympische Turnier von Amsterdam 1928. Genau wie jenes von 1924. Wenn man davon ausgeht, dass die FIFA damals schon so tickte, wie sie heute tickt (und zeitgenössische Berichte deuten darauf hin), musste sie der Neid gepackt haben. Kurz: Es kann nicht sein, dass die Entscheidung, wer denn die beste Nationalmannschaft im Fußball ist, bei den Kollegen des IOC fällt. Schließlich war man ja selbst der Weltverband.

1930 – ein besseres Jux-Turnier

Nach einem Rundruf in Europa und Südamerika – jenen beiden Kontinenten, die schon voll im Fußballfieber waren – meldeten sich von Italien bis Spanien jede Menge Länder, die sich die Austragung vorstellen konnten. Aber nur eine war bereit, die Kosten selbst zu tragen. Das war Uruguay. Logisch: Die letzten beiden olympischen Turnieren hatte das kleine Land zwischen Brasilien und Argentinien gewonnen, da ließ man sich nicht lumpen.

Anders als praktisch alle europäischen Länder, denen die Überfahrt zu teuer, zu strapaziös und überhaupt das Turnier dann irgendwie doch nicht wichtig genug war. Gab ja nichts zu verdienen und es war schließlich Welt-Wirtschaftskrise. So brauchte es auch keine Qualifikation, nein, man war froh, überhaupt 13 Teams zusammenkratzen zu können, davon sieben alleine aus Südamerika.

Finale 1930: Uruguay - Argentinien 4:2 (1:2)
Uruguay – Argentinien 4:2 (1:2)

Kein Wunder, dass sich letztlich mit Uruguay und Argentinien auch die Kontrahenten des Olympia-Finales von zwei Jahren davor im Finale trafen. Wie „professionell“ das Turnier organisiert war, zeigt auch die Tatsache, dass es die FIFA nicht mal für nötig befunden hatte, einen Ball zu bestimmen, mit dem gespielt werden sollte. So brachten die Finalisten jeweils ihren eigenen mit – Argentinien spielte vor der Pause mit dem eigenen Spielgerät eine 2:1-Führung heraus.

Nach dem Seitenwechsel war es aber wohl so, dass Uruguay es besser verstand, bei allem Individualismus der damals in Mode war, auch hie und da zu verteidigen. Die Celeste kassierte keinen Treffer mehr, aber schoss noch drei – so wurde Uruguay mit einem 4:2-Sieg erster Fußball-Weltmeister.

1934 – Auf Mussolinis Geheiß

Die Europäer sahen, dass das erste Turnier ein schöner Erfolg war und drängten nun doch auf den Markt. Italien bekam anderthalb Jahre nach dem Turnier in Uruguay den Zuschlag, das Turnier 1934 zu veranstalten. Sehr zur Freunde des faschistischen Diktators Benito Mussolini, der den Sport als hervorragendes Propaganda-Material betrachtete.

Deshalb wurden flugs ein paar argentinische Vize-Weltmeister von 1930, die in ihrer Ahnengalerie irgendwo was Italienisches aufweisen konnten, eingebürgert. Was Vittorio Pozzo, einem strammen Nationalisten (wenn auch, wie man später offenbar herausfand, kein Faschist) im Geiste und bedingungslosen Pragmatisten in Fußball-Fragen, nur recht war. Er ging zwar vom vorherrschenden 2-3-5 nicht grundsätzlich ab, verpasste dem Team eine defensive Grundausrichtung (sprich: Manndeckung) und setzte im Aufbau auf das Genie Giuseppe Meazza.

Hätte aber alles nichts geholfen, wenn nicht von oben ein wenig nachgeholfen worden wäre. Im Halbfinale gegen jene Österreicher, die in den Jahren davor als „Wunderteam“ die Konkurrenz demolierten, brauchte es schon eine ziemlich, nun ja, eigenwillige Schiedsrichter-Performance des Schweden Eklind. Dieser war vor dem Spiel von Mussolini persönlich eingeladen worden, erkannte dann einen Treffer von Rechtsaußen Enrique Guaita an, obwohl der österreichische Goalie von drei Italienern behindert wurde, und klärte später eine österreichische Flanke sogar höchst selbst. Italien siegte 1:0, der zeitgleiche Finaleinzug der Tschechoslowaken war deutlich weniger umstritten – 3:1 gegen die Deutschen.

Italien - Tschechoslowakei 2:1 n.V. (1:1, 0:0)
Italien – Tschechoslowakei 2:1 n.V. (1:1, 0:0)

Wegen seiner „hervorragenden“ Spielleitung im Halbfinale durfte Eklind auch das Endspiel von Rom leiten, wieder zeigten seine Entscheidungen einen gaaanz leichten Drall Richtung Italien. Die harte Gangart der Squadra Azzurra war ihm egal, dummerweise für die Italiener aber auch dem Gegner. Die Tschechoslowaken nämlich ließen sich nicht unterkriegen und glichen in der zweiten Halbzeit sogar zum 1:1 aus, weshalb es in die Verlängerung ging.

Kurz nach Beginn dieser sorgte allerdings Angelo Schiavio, Mittelstürmer aus Bologna, für das Tor zum 2:1. Es war der Endstand, Italien war Weltmeister – sehr zur Freude von Mussolini. Seine selbstgestellte Mission war erfüllt, und er selbst war daran wohl nicht ganz unbeteiligt.

1938 – Großdeutsche Blamage

Was die WM 1934 für Mussolini war, hätten zwei Jahre später die Olympischen Spiele von Berlin für seinen Diktator-Kollegen aus Deutschland werden sollen, dem kam da aber ein gewisser Herr Owens, Sprinter aus den USA, dazwischen, der den deutschen Modellathleten die Show gestohlen hat.

Knapp zwei Jahre später verleibte sich sein Land in Anbahnung eines Weltkriegs Österreich ein, und weil die athletischen und robusten Deutschen eine echt gute Mannschaft hatten und die flinken, technisch versierten Österreicher mit ihrem „Scheiberlspiel“ ebenso, hielt man die neu geschaffene Verbindung daraus für beinahe unschlagbar. Das Gegenteil war aber der Fall: Zwei so verschiedene Stile konnten in den wenigen Wochen zwischen Anschluss und WM nicht zusammengeschweißt werden und das großdeutsche Team flog bei der WM in Frankreich schon in der allerersten Runde raus. Gegen die kleinen, neutralen Schweizer. Wie peinlich.

Sogar Kuba hatte die erste Runde überstanden, aber am Ende stand wie schon vier Jahre davor ein Finale zwischen den humorlosen Italienern und einem Team aus dem spielstarken mitteleuropäischen Raum – diesmal den Ungarn. Diese waren im Semifinale gegen Schweden schon nach wenigen Sekunden im Rückstand, gewann aber noch 5:1, während Italien gleichzeitig die Brasilianer mit ihrem Superstar Leonidas mit 2:1 Einhalt bieten konnten.

Italien - Ungarn 4:2 (3:1)
Italien – Ungarn 4:2 (3:1)

Im Endspiel starteten die Italiener forsch und führten schon nach einer halben Stunde mit 3:1, danach verlegten sie sich darauf, den ungarischen Wirbelwind zu bremsen und die Führung über die Zeit zu bringen. Halb durch die zweite Hälfte gelang Kapitän György Sarosi – der nach dem Krieg nach Italien ging und dort bis zu seinem Tod mit über 80 Jahren blieb – der 2:3-Anschlusstreffer, aber mit dem Tor zum 4:2 zehn Minuten vor Schluss machte Silvio Piola von Lazio den Deckel drauf.

Die spannendste Figur in diesem Finale war aber Alfred Schaffer, der Trainer der Ungarn. Er suchte sich schon als Aktiver seine Vereine nach den Verdienstmöglichkeiten aus, gilt somit als erster kontinentaler Profi. So spielte er schon in den 1920-ern in Deutschland, arbeitete als Trainer dort genauso wie in Wien und auch in Italien, ehe er kurz nach Kriegsende 1945 tot in einem Zug in Prien am Chiemsee gefunden wurde. Weshalb er mit 52 Jahren starb, kam nie raus.

1950 – Maracanazo

Seine Bemühungen, Fußball-Weltmeister zu werden, gingen schief, aber Hitler schaffte es sehr wohl, mit dem von ihm angezettelten Weltkrieg die zwei folgenden Endrunden zu verhindern. Jene 1942 hätte er gerne im Deutschen Reich stattfinden gesehen, 1946 hatte die Welt verständlicherweise ganz andere Sorgen als ein Fußball-Turnier. Auch für 1950 standen die Bewerber nicht gerade Schlange. Brasilien hob schließlich als einziger die Hand. Deutschland war wegen der Kriegsschuld (wie auch Japan) ausgeschlossen.

Und durfte auch England begrüßen. Das Team von der Insel hatte die ersten drei Turniere verweigert, weil man ja ohnehin felsenfest davon überzeugt, war dem Rest der Welt um acht bis zwölf Klassen überlegen zu sein, und um dies zu demostrieren, ließ sich die FA herab, um Superstar Stanley Matthews herum eine Mannschaft nach Südamerika zu schicken – die dann prompt gegen eine bunt zusammengewürfelte Hobbykicker-Truppe aus den USA 0:1 verlor und wie begossene Pudel schon nach der Vorrunde rausflogen. In der Heimat glaubte man bei der Übermittlung des Resultats „0:1“ an einen Tippfehler, korrigierte diesen auf „10:1“ und freute sich des vermeintlichen Sieges.

Qualifiziert, aber nicht dabei war dafür das Team aus Indien. Die weit verbreitete Geschichte, man habe das Antreten verweigert, weil die FIFA die Inder nicht barfuß antreten lassen wollte, ist eine nette, aber falsche Story. Die Reise nach Brasilien war dem indischen Verband schlicht zu teuer. Ein schönes Einkommen sicherte dafür der von Brasilien vorgeschlagene neue Modus: Vier Gruppen, dann eine Finalgruppe von vier Teams statt des gruppenlosen K.o.-Modus von vor dem Krieg. Die Betonköpfe von der FIFA waren dagegen, gaben aber dann doch nach, weil die Veranstalter gedroht hatten, sonst kein Turnier zu veranstalten.

Brasilien - Uruguay 1:2 (0:0)
Brasilien – Uruguay 1:2 (0:0)

Die Endrunde fand statt, und nach dem frühen Aus der Engländer war eigentlich klar, dass nur Brasilien Weltmeister werden konnte. In der Finalrunde wurde Schweden 7:1 und Spanien 6:1 demoliert, sodass im letzten Spiel gegen Uruguay ein Remis reichte. So sicher waren sich die Hausherren, dass die Zeitungen schon am Tag des letzten Spieles den Titel feierten.

Offiziell 171.000, in Wahrheit wohl deutlich mehr, wollten im Maracanã bei der Krönung dabei sein, sie sahen aber die größte Katastrophe in der Geschichte der Seleçao: Hinten hielt Maspoli (bis auf einen Schuss von Friaça) alles, Uruguay nahm die Angreifer der Favoriten in Manndeckung und nützte es vorne aus, dass niemand wirklich verteidigen wollte und Linksverteidiger Bigode die Hosen gestrichen voll hatte. Erst glich nach einer Stunde Schiaffino aus, zehn Minuten vor Schluss schoss der zierliche Alcides Ghiggia den 2:1-Siegtreffer für Uruguay.

Die traurige Folge des „Maracanazo“ war eine Selbstmord-Welle in Brasilien – die bereits begann, indem sich einige schockierte Zuseher über die Brüstung des Stadions stürzten.

1954 – Goldenes Team nur mit Silber

Die Deutschen durften vier Jahre später in der Schweiz wieder mitmachen, wurden aber immer noch mit Argwohn betrachtet. Sportlich wurde das Team aber ohnehin als weitgehend chancenfrei betrachtet, weil es ja nur einen Weltmeister geben konnte: Ungarn. Das „Goldene Team“ um Ferenc Puskás und Nandor Hidekguti war das mit sehr viel Abstand beste der Welt, gewann als erste kontinentale Mannschaft ein Jahr davor im Wembley mit 6:3, und um zu beweisen, dass das kein Zufall war, legte man im letzten Spiel vor der WM gleich nochmal ein 7:1 in Budapest nach. Die Frage war nur, wer im Finale gegen die Ungarn verlieren durfte – die heißesten Kandidaten waren die wiedererstakten Österreicher um Ocwirk, Hanappi und Happel; die Engländer, Weltmeister Uruguay und die noch immer stinkigen Brasilianer.

Ungarn prügelte Südkorea 9:0, eine nicht in Bestbesetzung auftretende deutsche Mannschaft 8:3, schaltete im Viertelfinale ohne nennenswerte Probleme Brasilien 4:2 aus und traf erst im Halbfinale auf Widerstand – gegen Uruguay brauchte es die Verlängerung. Österreich entwickelte sich zum logischen Finalgegner, aber im Viertelfinale musste man bei über 40 Grad gegen den Gastgeber antreten, Torhüter Rudi Hiden erlitt einen Sonnenstich und musste quasi ferngesteuert werden. Österreich gewann zwar 7:5 (ein lächerliches Ergebnis, eigentlich), kroch aber im Halbfinale am Zahnfleisch und ging gegen die Deutschen 1:6 unter.

Deutschland - Ungarn  3:2 (2:2)
Deutschland – Ungarn 3:2 (2:2)

So waren die Deutschen also doch im Endspiel. Der Dauerregen, der sich am Finaltag über Bern ergoss, machte den Ungarn zwar etwas sorgen – im tiefen Boden fiel ihnen ihr flinkes, technisch starkes Kombinationsspiel deutlich schwerer – aber als Puskás und Czibor nach zwei deuschen Abwehrfehlern schon nach acht Minuten eine 2:0-Führung herausgeschossen hatten, war der ungarische Sieg nur noch eine Frage der Höhe.

Dachten wohl auch die Ungarn selbst. Doch die kampfbetonte deutsche Spielweise und ihre Spezialschuhe von Zeugwart Adi Dassler (Herr Adidas) – die hatten Schraubstollen. Das, in Verbindung mit dem Regen, in Verbindung mit Bruder Leichtsinn bei den Ungarn, führte dazu, dass die Deutschen schnell zum 2:2-Ausgleich kamen. Das vor allem auch deshalb lange Bestand hatte, weil Toni Turek im deutschen Tor einen fantastischen Tag hatte.

Kurz vor Schluss sorgte ein flacher Schuss ins linke Eck von Helmut Rahn für das 3:2 und die Entscheidung – zum zweiten Mal hintereinander hatte der haushohe Favorit im entscheidenden Spiel gegen einen krassen Außenseiter verloren.

Ungarn kam nie wieder auch nur in die Nähe eines WM-Endspiels. Brasilien dafür schickte sich an, die Fußball-Welt zu dominieren. Aber mehr dazu in Teil 2!

]]>
https://ballverliebt.eu/2014/06/06/wm-geschichte-fuer-einsteiger-1/feed/ 3
32 Teams, null Überraschungs-Teilnehmer: Die Qualifikation für Brasilien 2014 https://ballverliebt.eu/2013/11/20/32-teams-null-uberraschungs-teilnehmer-die-qualifikation-fur-brasilien-2014/ https://ballverliebt.eu/2013/11/20/32-teams-null-uberraschungs-teilnehmer-die-qualifikation-fur-brasilien-2014/#comments Wed, 20 Nov 2013 01:57:56 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=9809 32 Teams, null Überraschungs-Teilnehmer: Die Qualifikation für Brasilien 2014 weiterlesen ]]> Das Feld ist bestellt, die 32 Teilnehmer an der WM-Endrunde 2014 in Brasilien sind nun alle bekannt – und man muss konstatieren: Anders als bei den letzten Turnieren ist keine einzige Überraschung dabei. Bei Debütant Bosnien ist eine Endrunden-Teilnahme seit Jahren überfällig, die aufstrebenden Belgier hatte auch jeder auf dem Zettel. Aber sonst: Kein Exot von einer Karibik-Insel, kein afrikanischer Glücksritter, kein asiatischer Emporkömmling.

Hier nochmal eine detaillierte Übersicht, wie es dazu gekommen ist: Die Qualifikation für Brasilien 2014, rund um die Welt.

EUROPA (13 Teilnehmer)

europa

Deutschland, Italien und Holland radierten problemlos durch ihre Gruppen. Spanien ließ in Frankreich und gegen Finnland Punkte, kam aber sicher durch. Russland war gegenüber Portugal von Beginn an im Vorteil. England mühte sich heftig, kam aber durch. Die Schweiz nützte die Gunst der Stunde und gewann eine lächerlich leichte Gruppe, wird bei der WM sogar Gruppenkopf sein, ist aber längst nicht so gut wie sie dasteht. Dazu die Teams aus Belgien und Bosnien, deren Teilnahme keine Überraschung ist – im Gegenteil, es wäre eine mittlere Sensation gewesen, hätten sie sich nicht qualifiziert. Heißt: Mit allen neun Gruppensiegern aus Europa war zu rechnen.

europa playoffsMit Island schaffte es ein Außenseiter zwar in die Playoffs (nach Estland vor zwei Jahren), gegen Kroatien war man aber zu harmlos. Griechenland setzte sich letztlich sicher gegen Rumänien durch. Frankreich drehte ein 0:2 gegen die Ukraine noch um und für Portugal waren vier Ronaldo-Tore genug, um die zwei Ibra-Tore von Schweden zu übertrumpfen.

SÜDAMERIKA (5 Teilnehmer + Brasilien)

südamerikaWie kaum anders zu erwarten war, kam Argentinien locker durch – Teamchef Sabella hat es geschafft, Messi auch im National-Trikot zum funktionieren zu bringen. Kolumbien ist, angeführt von Super-Stürmer Falcao, erstmals seit 1998 wieder mit dabei und ist bei der WM nicht zu unterschätzen. Ebenso wenig wie Chile, die vier Jahre nach der Bielsa-Mannschaft nun mit Jorge Sampaoli wieder einen aufregenden Teamchef mit einem tollen Team am Start haben.

Ecuador ließ sich vom Unfalltod von Chucho Benítez nicht aus der Bahn werfen, löste zum dritten Mal bei den letzten vier Turnieren das Ticket. Das alternde Team aus Uruguay schlingerte nach dem Copa-America-Titel 2011, kam aber ins Play-Off gegen Jordanien.

Die überraschenden Copa-America-Semifinalisten Venezuela und Peru schafften es nicht und Paraguay, Finalist von 2011 und WM-Dauergast, fiel ins Bodenlose. Letzter ist, fast schon wie gewohnt, das Team aus Bolivien.

NORD- und MITTELAMERIKA (4 Teilnehmer)

concacaf1Haben die Südamerikaner den unkompliziertesten Modus, so gibt’s in der Concacaf-Zone erfahrungsgemäß den unübersichtlichsten. Insgesamt vier Runden gibt es, wobei in der ersten nur die wirklich chancenlosen ran mussten. Die Sieger der fünf K.o.-Duelle in der Vorquali kamen dann in die Vorrunde…

concacaf2

…in der die echten Hot Shots des Kontinental-Verbandes aber auch noch nicht zu finden waren. Aber immerhin: Für Trinidad, WM-Teilnehmer von 2006, war sogar diese Hürde schon zu hoch. Und die Bahamas zogen sich nach ihrem, nun ja, überzeugenden Vorquali-Sieg gegen die Turks-und-Caicos-Inseln schon vor dem Start der Vorrunde bereits wieder zurück. Für die sechs Gruppensieger ging’s dann in die Zwischenrunde.

concacaf3

Hier mussten dann auch die Großen ran. Die US-Amerikaner blamierten sich auf Jamaika und mussten bis zum letzten Spieltag warten, ehe alles klar war; Mexiko und Costa Rica hatten keine Probleme. Die hatte dafür Kanada: Mit einem unglaublichen 1:8 am letzten Spielten in Honduras fiel man noch aus dem „Hexagonal“, der Finalrunde, hinaus.

hexDort war es das Team aus den USA, das nach einem holprigen Start (Pleite in Honduras) dann doch souverän als Erster durch’s Ziel ging, auch die Teilnahme von Costa Rica zeichnete sich früh ab. Ganz anders Mexiko: Praktisch keine Tore, damit fast keine Siege und große Probleme sorgten dafür, dass Honduras  zum zweiten Turnier in Folge fährt.

Die Mexikaner aber brauchten alleine in den letzten vier Monaten ebenso viele Teamchefs und kamen nur ins Play-Off, weil die USA in der Nachspielzeit das Spiel gegen Panama gewannen. Ging also grade noch mal gut.

ASIEN (4 Teilnehmer)

asien1

Auch in Asien wurde kräftig ausgesiebt, ehe es in Gruppenspiele ging. In der ersten Runde mussten nur die echten Fußballzwerge ran, in der zweiten dann…

asien2

…hatten noch die vier WM-Starter vom letzten Mal und der damalige Playoff-Teilnehmer Bahrain frei. Der Oman ersparte sich 50 Minuten beim Rückspiel in Myanmar, weil die Zuschauer randalierten. Und der Steirer Hans-Peter Schaller, damals noch Teamchef von Laos, ersparte sich nach dem Aus gegen China – bei dem man im Hinspiel auswärts nach einer Stunde aber noch geführt hatte (!) – die weitere Qualifikation.

asien3

Zwei Teams haben sich beim Asien-Cup 2011 besonders negativ hervorgetan: China und Saudi-Arabien. So war es eigentlich keine Überraschung, dass beide Teams auch schon vor der Finalrunde hängen geblieben sind. China klar und deutlich, die Saudis dann doch eher peinlich gegen den kleinen Nachbarn Oman. Auch bei Nordkorea zeigte die Formkurve schon beim Asien-Cup klar nach unten; das Aus in einer starken Gruppen war zu erwarten.

asien4

Japan, die mit großem Abstand beste Mannschaft des Kontinents, machte nach der eher mit Halbgas betriebenen Zwischenrunde ernst und war die weltweit erste sportlich qualifizierte Mannschaft. Ordentlich kämpfen musste Australien nach schlechtem Start (Remis im Oman, Pleite in Jordanien), die Aufholjagd gelang aber. Südkorea war lange auf einem guten weg, schaltete dann aber beinahe zu früh ab. So konnte der Iran noch vorbeiziehen und sich sogar als Gruppensieger qualifizieren.

Usbekistan fehlten letztlich zwei Tore auf Platz zwei und denn im Entscheidungsspiel um den Playoff-Platz gegen Jordanien die Nerven im Elfmeterschießen. So durften sich die Jordanien mit Uruguay messen – was ein ziemlich ungleiches Duell werden sollte.

AFRIKA (5 Teilnehmer)

afrika 1

Den brutalsten Qualifikations-Modus gab’s in Afrika. Damit ist weniger gemeint, dass zu Beginn einmal die schwächsten Teams aussortiert werden. Sondern, dass die Sieger der zehn Vierergruppen in der Hauptrunde…

afrika

…dann noch in Playoff-Spielen gegeneinander antreten mussten. Dazu zogen sich die sechs Spieltage über 15 Monate mit einem Afrika-Cup mittendrin. Dazu mutierte es in vielen Gruppen zum Volkssport, Aufstellungsfehler bei den Gegnern zu suchen: Nicht weniger als sieben Spiele wurden wegen des Einsatzes gesperrter Spieler strafverifiziert. Kamerun etwa verdankt den Gruppensieg unfähigen Funktionären aus Togo, Tunesien solchen aus Kap Verde, Burkina Faso bekam selbst einen Sieg gestrichen und hatte Glück, dass den Kongolesen dasselbe passiert ist. Und auch Äthiopien wäre beinahe auch darüber gestolpert, gelbe Karten nicht zusammen zählen zu können.

afrika 1Besonders hat war der Modus für Ägypten: Sieben der acht Spiele gewonnen, und trotzdem nicht qualifiziert – wegen eines rabenschwarzen Tages gegen Ghana. Afrikameister Nigeria spielte die größere internationale Erfahrung gegen das aufstrebende Team aus Äthiopien aus, Kamerun die individuelle Klasse gegen Tunesien. Die Côte d’Ivoire musste ganz kräftig zittern, ehe man in der Nachspielzeit des Rückspiels gegen den Senegals doch noch alles klar machte. Und Afrikacup-Finalist Burkina Faso war dem Druck im Rückspiel gegen Algerien nicht gewachsen. Womit sich die selben fünf Teams qualifiziert haben wie für die letzte WM.

OZEANIEN (kein Teilnehmer)

ozeanien1In der Ozeanien-Gruppe hat es im Endeffekt für kein Team gereicht, sich für die WM zu qualifizieren. Schon gar nicht für eine jener vier Mannschaften, die sogar dort in die Vorqualifikation mussten. Wo aber immerhin die wackeren US-Samoaner – wir erinnern uns an das 0:31 gegen Australien vor zwölf Jahren – ihren ersten Sieg in einem Bewerbsspiel einfahren konnten.

ozeanien2

Als Vorrunde hielt der Ozeanien-Cup auf den Salomonen her. Dass sich Neuseeland dort in der Folge im Halbfinale gegen Neukaledonien verabschiedet hat und Tahiti dann den Turniersieg und damit die Teilnahme am Confed-Cup abgestaubt hat, war für die All Whites zwar unendlich peinlich, hatte auf die WM-Quali aber keine Auswirkungen.

ozeanienZumal man sich in der Finalrunde schadlos hielt und alle sechs Spiele gewann. Wiewohl auch das nicht immer souverän war: Gegen Neukaledonien gewann man erst in der Nachspielzeit, auch beim 3:0 gegen Tahiti fielen zwei Tore in der Überspielzeit, auf den Salomonen stand es bis Minute 88 nur 1:0. Egal: Man durfte gegen Mexiko in die Entscheidungsspiele um die Teilnahme in Brasilien spielen.

INTERKONTINENTALE PLAY-OFFS

Was haben sich in diesen Spielen in der Vergangenheit schon für Dramen abgespielt. Australien etwa setzte sich 2005 im Elferschießen gegen Uruguay durch. Der Iran setzte sich 1997 dank der Auswärtstorregel gegen die Australier durch. Vor vier Jahren zitterte sich Neuseeland gegen Bahrain zum WM-Ticket.

intplayoffDiesmal aber war alles schon vor den Rückspielen entschieden. Uruguay ließ Jordanien nicht den Funken einer Chance, die ultra-defensiven Neuseeländer trauten sich in Mexiko erst bei 0:3 ein wenig aus dem Schneckenhaus. Die Rückspiele: Nur noch Formalitäten.

Womit es unter den 32 Teilnehmern für die WM-Endrunde in Brasilien nur einen einzigen Debütanten gibt (Bosnien) und keine einzige Überraschung. Kein Team, das sich qualifiziert hat, konnte man vorher nicht auf der Rechnung haben. Jeder der 31 Mannschaften, die sich auf sportlichem Weg qualifiziert haben, musste man das schon vor dem Quali-Start absolut zutrauen.

Anders als Nordkorea oder Honduras 2010, anders als Trinidad, Togo und Angola 2006, als Senegal und Ecuador 2002, als Jamaika 1998 – nein, den klassischen Underdog, den Exoten, den Noch-nie-Gesehenen gibt es 2014 in Brasilien nicht.

Das kann man jetzt gut oder schlecht finden – jedenfalls ist es aber so.

(phe)

]]>
https://ballverliebt.eu/2013/11/20/32-teams-null-uberraschungs-teilnehmer-die-qualifikation-fur-brasilien-2014/feed/ 3
Auf Wiedersehen, Råsunda https://ballverliebt.eu/2012/11/23/auf-wiedersehen-rasunda/ https://ballverliebt.eu/2012/11/23/auf-wiedersehen-rasunda/#comments Fri, 23 Nov 2012 01:21:26 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=8041 Auf Wiedersehen, Råsunda weiterlesen ]]> Ein dezenter, gelber Kranz mit schwarzen Bändern war es, der vor dem Match am Mittelkreis platziert wurde. „Vila i frid“, stand darauf geschrieben, „Ruhe in Frieden“. Eine Schweigeminute folgte. Dann ein riesiges Feuerwerk und eine gigantische Choreo. Die Bildnisse von sechs Herren in gesetzterem Alter ragten auf dem Oberrang, darunter ein 60 Meter langes Spruchband: „Legenden des Råsunda – für alle Zeit unsterblich“.

Auf dem Unterrang: In großen Lettern „AIK“, dem Heimatverein des altehrwürdigen schwedischen Nationalstadions. Alternierend mit der Zahl 1937. Dem Jahr, in dem die Arena eingeweiht wurde. Jene Arena, für die nun endgültig der letzte Vorhang gefallen ist.

Am Ende gab es ein Pfeifkonzert. Weil Edinson Cavani in Minute 93 seinen Elfmeter sicher in das aus sicher Sicht linke Eck geschoben hatte. Torhüter Turina war in die andere Richtung geflogen. Das 2:1, der Sieg für Napoli in diesem Europa-League-Spiel. Nicht einmal ein verdienter Punkt gegen das B-Team von Napoli war dem Stockholmer Traditionsklub AIK vergönnt, weil Verteidiger Niklas Backman den Torschützen recht plump im eigenen Strafraum umgehackt hätte.

AIK – Napoli 1:2

Es war ein Spiel, an das man sich nicht lange erinnern müsste. Die Gäste aus Italien verzichteten auf Stammspieler wie Cannavaro, De Sanctis, Campagnaro und Maggio; Hamsik, Zuñíga und Inler kamen erst im Laufe des Spiels. Wirklich interessiert schien die Truppe lange eher nicht.

Die Gastgeber traten in einem typisch schwedischen 4-4-2 auf, die Phantasie im Spiel nach vorne war enden wollend, einige der langen Bälle nach vorne dafür nicht. Immerhin, vom Rückstand ließ man sich nicht schocken, ein langer Flankenball von Lundberg fand den Kopf von Daníelsson, das 1:1. Im Gegensatz zum pathetischen Vorlauf ein Spiel von überschaubarer Qualität und eher begrenztem Unterhaltungswert.

Dabei hat dieses Stadion viel erlebt.

„Heja Sverige“ und die Geburtsstunde des Mythos namens Pelé

1958 etwa fand in Schweden die Weltmeisterschaft statt. An diese erinnert man sich in Deutschland eher ungern. Weil sich der amtierende Weltmeister völlig aus dem Konzept bringen ließ. Von Zuschauern, die das Heimteam lautstark mit Sprech-Chören anfeuerten! Eine Unerhörtheit, entfuhr es den Deutschen. Nachdem sie, komplett entnervt von den ständigen „Heja Sverige“-Rufen von den Rängen des Ullevi von Göteborg ihr Semifinale gegen den WM-Gastgeber 1:3 in den Sand gesetzt hatten.

Schweden – Brasilien 2:5 (1:2)

Weltmeister wurde Schweden damals aber nicht. Weil man im Finale im Råsunda mit 2:5 gegen Brasilien verlor. Jenes Team, in dem ein 17-Jähriger aufgeigte, der die Welt erstmals verzückte: Pelé! Sein Tor zum 3:1 nach einer Stunde war die Vorentscheidung, sein 5:2 in der Nachspielzeit war der Schlusspunkt.

Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass Schweden damals nicht zufällig und nicht nur wegen der ungewohnt heißblütigen Zuschauer ins Finale gekommen war. Spielmacher Gunnar Gren war schon ein Jahrzehnt Legionär für Milan und die Fiorentina in Italien; Nils Liedholm war ebenso bei den Rossoneri aktiv und wird dort noch heute als Klub-Legende verehrt. Auch Kurre Hamrin war schon zwei Jahre in Italien, er sollte dort noch weitere 13 Saisonen bleiben. Nacka Sköglund? Seit acht Jahren bei Inter Mailand. Und auch Orvar Bergmark sollte es später noch an den Stiefel verschlagen.

Eine Weltklasse-Truppe also – es sollte 35 Jahre dauern, bis das Trekronor-Team wieder in solche Sphären vorstieß.

Auch bei Heim-EM stark

Und zwar anlässlich der Europameisterschaft 1992 im eigenen Land. Jenes Turnier, das vor allem wegen Überraschungs-Sieger Dänemark in Erinnerung blieb. Für Schweden aber auch ein großer Erfolg war. Dem Halbfinal-Aus im Råsunda gegen Deutschland zum Trotz

Schweden – Deutschland 2:3 (0:1)

In einem Turnier, das von großer spielerischer Vorsicht und noch größerer Langeweile auf dem grünen Rasen geprägt war, ragt dieses Spiel – das wohl größte in der Karriere von Thomas Häßler – heraus. Schweden kämpfte tapfer, aber letztlich war gegen den amtierenden Weltmeister und den kleinen Berliner kein Kraut gewachsen.

Was aber nichts daran änderte, dass diese Mannschaft praktisch in selber Besetzung zwei Jahre später ihren größten Erfolg in der jüngeren Vergangenheit schaffte: Platz drei bei der WM in den Vereinigten Staaten. Mit dem umsichtigen Jonas Thern als Sechser, mit Parma-Stürmerstar Thomas Brolin. Mit Kennet Andersson, der danach ebenso in die Serie A ging. Mit Martin Dahlin, dem dunkelhäutigen Angreifer, der bei Borussia M’gladbach seine größte Zeit hatte. Mit Roland Nilsson, gestählt in Jahren in Englands höchster Liga.

Und natürlich mit Torwart-Dauerbrenner Thomas Ravelli, mit 143 Einsätzen der Rekord-Nationalspieler, der selbst dann noch im Tor stand, als er schon aussah wie Mitte 60.

[VIDEOS: Highlights der ersten Hälfte von Schweden-Deutschland und die der zweiten]

Schweden – Österreich 0:1 (0:1)

Der Anfang vom Ende der starken 90er-Jahre-Generation kam dann aber ebenso im Råsunda. Am 9. Oktober 1996 war es, als sich Andi Herzog im ÖFB-Teamdress durchtankte und das Tor zum 1:0-Endstand herstellte. Für Österreich der Startschuss zur erfolgreichen Qualifikation für die WM in Frankreich, für das Trekronor-Team der entscheidende Rückstand, dem man bis zum 0:1 ein Jahr später in Wien hinterher lief.

Die WM 1998 verpasste man also ebenso wie die Euro96. Schweden hatte aber das Glück, dass mit Henke Larsson, Freddie Ljungberg und später natürlich auch Zlatan Ibrahimovic die nächste starke Generation sofort nach kam. Von 2000 bis 2008 verpasste man kein einziges großes Turnier. Und die wichtigen Heimspiele in der Qualifikation wurde immer im alten Råsunda ausgetragen.

Alt und charmant

Es ist alles ein wenig eng im Råsunda

Dass es sich bei dem im Stadtteil Solna im Westen Stockholms gelegenen Stadion, in das etwas mehr als 30.000 Leute reinpassen, nicht gerade um eine moderne Fußball-Arena handelte, wurde einem an jeder Ecke des Baus klar. Vielleicht noch nicht so sehr an der Haupttribünen-Seite, wo bis vor Kurzem auch der schwedische Verband seinen Hauptsitz hatte. Aber innen drin. Dort ist alles recht beengt, es wirkt alles zuweilen etwas improvisiert. Nicht, dass schon der Putz herunterbröckelt. Aber viel fehlt da wohl nicht mehr.

Nicht am allerneuesten Stand der Technik

Es gab zuletzt eine Vidiwall, die auf dem Dach der recht niedrigen Haupttribüne angebracht war. Ansonsten verbreiteten die Anzeigetafeln eher den Charme aus der elektonischen Gründerzeit. Außerhalb des Stadions (wie am Bild rechts, an der Südtribüne angebracht) oder auch im Stadion selbst, wo eine baugleiche Anzeige bis zuletzt auf der Gegentribüne auf Höhe der Mittellinie angebracht war und die Zuschauer über Spielstand und die abgelaufene Zeit informiert.

Die Vidiwall auf der Haupttribüne ist nicht gerade ein Megatron

Das Råsunda auf europäische Bühne

Es gab eine Zeit, in der man aber auch als solches Mittelklasse-Stadion europäische Endspiele ausrichten konnte. Und während Michael Konsel mit seinem Sieg im Tor des ÖFB-Teams im Oktober 1996 gute Erinnerungen an dieses Stadion haben kann, setzte es für seinen langjährigen Konkurrenten um den Platz zwischen den Team-Pfosten, Franz Wohlfahrt, im Mai 1998 eine bittere Niederlage. Im vorletzten Finale des Europapokals der Pokalsieger.

Chelsea – Stuttgart 1:0 (0:0)

71 Minuten lang hielten die Stuttgarter das 0:0, ehe Chelsea-Spielertrainer (!) Gianluca Vialli sich einen neuen Sturm-Partner einwechselte. Statt Tore André Flo kam also Gianfranco Zola ins Spiel, und kaum eine Minute drin, besorgte der Joker auch schon das 1:0. Der letzte internationale Titel für die Blues, bevor Roman Abramovich den Klub mit seinem Geld erschlug. Und der letzte internationale Titel für die Blues, ehe jener Italo-Schweizer, der im Råsunda neben Raubein Dennis Wise auf Krassimir Balakov aufpasste, als Trainer dieses Klubs 14 Jahre später die Bayern ärgerte.

Die Erinnerung an dieses Spiel verbindet Wohlfahrt übrigens mit einem damals noch recht jungen Trainer am Anfang seiner Trainer-Karriere: Joachim Löw. Der nach dieser Saison, in der er ins Europacup-Finale kam, sich als Bundesliga-Vierter für den Uefa-Cup qualifizierte und erst im Pokal-Halbfinale an den Bayern gescheitert war, entlassen wurde – wegen Erfolglosigkeit.

Eine Weltpremiere für das Råsunda

Norwegen – Deutschland 2:0 (2:0)

Drei Jahre vor dem Europacup-Endspiel gab es für das Stadion von Schwedens Hauptstadt bereits eine absolute Weltpremiere: Als erstes Fußball-Stadion überhaupt wurde das Råsunda zu einer Arena, in der ein WM-Finale der Herren UND eines der Frauen ausgetragen wurde. Im strömenden Regen schlugen sich Fans der im Viertelfinale ausgeschiedenen Gastgeber auf die Seite des Nachbarn aus Norwegen und sie wurden nicht enttäuscht. Zwei recht derbe deutsche Abwehrfehler in der ersten Hälfte ermöglichten Tore von Hege Riise und Mariann Pettersen.

Vier Jahre später wurde die Rose Bowl von Los Angeles zum zweiten Stadion, das WM-Finale von Männern und von Frauen gesehen hat. Bis heute sind das die beiden einzigen Arenen, und mindestens bis 2019 wird das auch so bleiben.

Ein junger Xavi zu Gast

Mit den Erfolgen des schwedischen Nationalteams kamen die Klubs aus der Allsvenskan nur sehr vereinzelt mit. Und noch seltener waren echte internationale Highlights des elffachen Meisters AIK – vier davon wurden im Råsunda gefeiert.

AIK – Barcelona 1:2 (0:0)

1999 schaffte man sogar den Sprung in die Champions League. Und die Begann gleich mit einem Kracher: Der FC Barcelona gab sich die Ehre. Das war jenes Team der Katalanen, in dem Trainer Louis van Gaal zu Beginn der Post-Bosman-Ära so etwas wie ein „Ajax, Version 2.0“ aufbauen wollte. Mit dem selben taktischen Grundgerüst wie zur seiner großen Ajax-Zeit, und zum Teil sogar mit dem selben Personal – die De-Boer-Zwillinge, Jari Litmanen, Patrick Kluivert, auch mit Winston Bogarde.

Und mit einem sehr jungen Xavi, gerade mal 19 Jahre alt. In der Gruppe mit den Katalanen, mit der Fiorentina von Trapattoni um Rui Costa und Batistuta, und mit dem Arsenal von Wenger um Bergkamp und Overmars gab es für das Team des schottischen Trainers Stuart Baxter, wie kaum anders zu erwarten war, nur einen Zähler – ein 0:0 daheim gegen die Italiener.

Vom Tor des bosnischen Stürmers Nebojsa Novakovic, mit dem er AIK gegen das Star-Ensemble aus Barcelona sogar mit 1:0 in Führung brachte, schwärmen Fans des Klubs natürlich bis heute. Dass es durch Gegentore in den Minuten 86 und 93 noch eine 1:2-Niederlage gab – vergeben und vergessen.

Was bleibt, sind Souvenirjäger…

Als der erste Ärger über den verpassten Punkt gegen Napoli verraucht war, setzte auf der vollbesetzten Tribüne recht schnell wieder die Wehmut zurück. Das wissen, dass dieses Europa-League-Spiel gegen Cavani und Co. das allerletzte Spiel an dieser historischen Stätte war. Dass das Råsunda das erste WM-Finalstadion der Geschichte wird, das abgerissen wird und vollkommen von der Bildfläche verschwindet, und nicht „nur“ renoviert wird.

Dass ihnen die Gäste aus Italien nicht einmal die eher zweifelhafte Ehre gelassen haben, wenn schon nicht das letzte Tor geschossen, dann doch zumindest den letzten Ausschluss zu lassen (Salvatore Aronica musste nach einer Notbremse an Mohamed Bangura frühzeitig vom Platz) – geschenkt. Schnell wurde begonnen, sich alles unter den Nagel zu reißen, was nicht niet- und nagelfest war. Naja – eigentlich sogar auch, was niet- und nagelfest war. Schilder, Sitze, braucht ja keiner mehr.

…und der Umzug nach Fan-Voting

Wo es im Jahr 2013 für AIK weitergeht? Ein Verein, der die Rückennummer 1 nicht vergibt, weil diese für die Fans reserviert ist, kann das natürlich nicht entscheiden, ohne die eigenen Anhänger zu fragen. Darum wurde ein Voting veranstaltet: In das neue, hochmoderne 50.000-Zuschauer-Nationalstadion in der Nachbarschaft oder in die ebenfalls brandneue 30.000-Mann-Arena im Süden Stockholms? Das Ergebnis war eindeutig: Die Nationalmannschaft und AIK werden sich auch weiterhin eine gemeinsame Heimstätte haben.

Sich ein Stadion mit dem ungeliebten Rivalen Hammarby zu teilen? Na, das wäre ja wohl auch noch schöner!

(phe)

Alle Bilder: phe

]]>
https://ballverliebt.eu/2012/11/23/auf-wiedersehen-rasunda/feed/ 1