Stöger – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Sat, 14 May 2016 18:57:19 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Die Zwei und dahinter Einheitsbrei: Bundesliga-Bilanz 2015/16 https://ballverliebt.eu/2016/05/14/deutschland-bundesliga-bilanz-2016-bayern-dortmund-leverkusen-stoeger-hasenhuettl/ https://ballverliebt.eu/2016/05/14/deutschland-bundesliga-bilanz-2016-bayern-dortmund-leverkusen-stoeger-hasenhuettl/#respond Sat, 14 May 2016 18:26:04 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=12401 Die Zwei und dahinter Einheitsbrei: Bundesliga-Bilanz 2015/16 weiterlesen ]]> Bayern vor Dortmund und Leverkusen: Wer vor der Saison auf diesen Einlauf wettete, hat damit nicht viel Gewinn gemacht. Ein Hochgenuss war diese Spielzeit allerdings nicht: Vom Top-Duo abgesehen, fehlt es der Liga eklatant an konstant starken Teams, sodass die Qualität im Kampf um die Europacup-Plätze schon arg zu wünschen übrig ließ. Auch gibt es nur sehr wenige Trainer, die ihre Teams markant vom konservativen Mainstream abweichend spielen lassen.

Wir blicken noch einmal kurz auf die 18 Teams und ziehen eine Bilanz über diese Bundesliga-Saison.

tabelle

Der Titelkampf

Team BayernIn seiner dritten Saison als Bayern-Trainer schien Pep Guardiola eingesehen zu haben, dass er die grundsätzlich konservative deutsche Fußball-Kultur nicht ändern wird können. Dass ein Großteil der deutschen Fußball-Öffentlichkeit sich nicht für die spannenden Details seiner Positionsspiel-Philosophie interessiert und von seinen zuweilen dadaistisch anmutenden Interviews zunehmend genervt ist.

Ex-Leverkusen-Stürmer Ulf Kirsten umriss in seiner Meinung über Guardiola nach dem CL-Aus gegen Atlético die deutsche Haltung zum Fußball kurz und bündig: „Lieber spiel‘ ich scheiße und gewinn‘, als mit fliegenden Fahnen auszuscheiden!“ Dagegen kam selbst ein Weltstar wie Guardiola nicht an.

Wie überhaupt seine dritte und letzte Saison in München von einem Pragmatismus geprägt war, den man von Guardiola nicht kannte. Er spielte die Saison quasi mit zwei Systemen durch – eine Quote, die er in den Jahren davor oft noch nach einer halben Stunde überboten hat. Vereinzelt gab es noch echte Glanzlichter (wie die Spiele gegen Wolfsburg, Dortmund und Arsenal, die sehr nahe an der Perfektion waren), aber es häuften sich die Spiele, in denen am Ende halt ein knapper Sieg stand. Glanz geht anders.

Zudem war auch diese Saison von vielen Verletzungen geprägt, die ihn zwangen, oft mit Alaba und Kimmich in der Innenverteidigung zu spielen. Die Bayern waren immer noch stabil, gewannen immer noch fast jedes Spiel, aber das Team selbst schien immer mehr genervt zu sein von Gegnern, die sich mit Fünfer-Abwehrketten hinten einbunkern. Es ist kein Zufall, dass der unkonventionelle Müller und der agile Lewandowski alleine zwei Drittel der Tore erzielten.

Die Bayern sind ein verdienter Meister, weil sie gegen die „Kleinen“ fast nichts hergaben und in den direkten Duellen gegen Dortmund die Oberhand behielten: mit einem 5:1 im mit Abstand besten Bundesliga-Spiel der Saison im Herbst und einem kontrollierten, aber eher drögen 0:0 in Dortmund im Frühjahr. Sehr viel mehr an Qualitätsunterschied gab es aber zum BVB nicht: Die Borussia spielte im ersten Jahr unter Thomas Tuchel eine herausragende Saison und scheiterte im Grunde nur daran, dass die Bayern einfach noch ein bisschen stabiler waren.

Team DortmundTuchel vollführte keinen kompletten Umbruch und warf nicht alles über den Haufen, sondern übernahm fast vollständig den Kader aus der letzten Saison, als man unter Klopp als Letzter überwinterte. Er drehte an ein paar Stellschrauben und entwickelte so aus dem (in besten Zeiten) unglaublich dynamischen Umschaltfußball von Klopp eine kontrolliertere, mehr auf den eigenen Aufbau ausgerichtete Spielanlage. In dieser Saison hat Dortmund als eine von nur zwei Bundesliga-Teams einen Ballbesitz-Wert von signifikant über 50 Prozent. Bei Klopp bewegte sich der Ballbesitz über die Saisonen meist zwischen 53 und 54 Prozent, nun unter Tuchel sind es 60.

Eine Maßnahme, die etwa Henrikh Mkhitaryan sehr zu Gute kam; der in der letzten Saison gebrochen wirkende Armenier blühte auf. Aubameyang ist ein Stürmer, der auch gegen statische Abwehrketten seine Stärken ausspielen kann. Und Julian Weigl, von 1860 München gekommen, war vom ersten Moment an Stammkraft auf der Sechs und sorgte gleichzeitig für Stabilität und – vor allem – für eine ungeheure Passsicherheit. 95 Prozent der Zuspiele des 20-Jährigen kamen an.

Da bei der Borussia nun alles läuft und bei den Bayern ein gewisser Umbruch ansteht, ist Dortmund sicherlich kein Außenseiter im Titelrennen der nächsten Saison

Die erwarteten Internationalen

Team LeverkusenIn seinem zweiten Jahr als Leverkusen-Trainer nahm das Image von Roger Schmidt erste merkliche Schrammen an. Zum einen war da natürlich sein unmögliches Benehmen gegenüber Referee Felix Zwayer (wiewohl man den Hitzkopf in Schmidt ja auch aus seiner Salzburger Zeit kennt), zum anderen natürlich sportlich. Statt sich als ernsthafter Bayern-Verfolger zu etablieren, war Bayer schon im Herbst ziemlich hintennach. Zum einen franzte das auf enorme kollektive Arbeit ausgelegte Pressing- und Umschaltspiel ziemlich aus, zum anderen konzentrierte sich zu viel auf Hakan Calhanoglu. In der Champions League krachte man in einer nicht übertrieben problematischen Gruppe aus 100% eigenem Verschulden raus, in der Liga war phasenweise sogar ein Europacup-Platz in Gefahr.

Zwei Spieler zogen Leverkusen in der Schlussphase der Saison aus dem Sumpf heraus: Javier Hernández, Chicharito genannt, und Julian Brandt. Ersterer mit seinen Toren am Fließband, der junge Blondschopf mit einer herausragenden Rückserie. Davon abgesehen fehlt es aber an der Konstanz auf hohem Niveau: Karim Bellarabi ließ seiner tollen ersten Bayer-Saison nun eine eher anonyme folgen; Hakan Calhanoglu schießt zu viel selbst, Kevin Kampl (der gegenüber allen anderen einen Zwei-Jahres-Vorsprung im Roger-Schmidt-Fußball hat) fehlte lange verletzt; die Außenverteidigern haben Potenzial, aber noch nicht ganz internationale Reife. Dazu fehlte Lars Bender im Grunde das ganze Jahr.

Bayer hat eine deutlich von der Mehrzahl der Liga-Teams abweichende Spielanlage, das ist positiv zu vermerken. Stellt sich Leverkusen aber nicht breiter auf, wird es auch weiterhin genug sein für einen CL-Platz, aber nicht, um Bayern und Dortmund ernsthaft über eine ganze Saison zu fordern.

Team GladbachAls der am wenigsten schlechte der Verfolger hat es am Ende die Gladbacher erwischt, die auf Platz vier und damit in der CL-Quali landen. Nach einem katastrophalen Saisonstart und dem Rücktritt von Lucien Favre nach fünf Spielen ohne Punkt konnte Nachfolger André Schubert auf einer Welle schwimmen, die die Fohlen wieder an die internationalen Plätze heranbrachte.

Der unverwechselbare Favre-Stil aber, die Ketten eng zu stellen und dem Gegner viele Torschüsse zu gewähren, aber nur aus aussichtsloser Position, war dahin. Von seiner Umstellung auf ein 3-4-1-2-System im Laufe der Rückrunde abgesehen, gibt es bei Gladbach nun recht gewöhnlichen Fußball zu sehen, der sich vor allem auf die beiden Hochbegabten im Zentrum stützt: Granit Xhaka, der das Spiel von hinten heraus lenkt und wohl vor dem Absprung in die Premier League steht, und Mahmoud Dahoud, der davor für die individuellen Ideen im Spiel nach vorne sorgt. Neben Weigl, Brandt und Kimmich ist Dahoud sicherlich eine der Entdeckungen der Saison.

Allerdings: Vier Auswärtssiege in 17 Versuchen (zwischen Oktober und Mai kein einziger) sind jetzt echt nicht so arg viel.

Team SchalkeNiemand aber symbolisiert die Niveaulosigkeit des Schneckenrennens um den Titel „Best of the Rest“ so sehr wie Schalke 04. In André Breitenreiter glaubte man vor einem Jahr den richtigen Trainer für die gerade im Vorwärtsgang grandios talentierte, sehr junge und damit entwicklungsfähige Mannschaft gefunden haben.

Doch Breitenreiter etablierte einen starren Safety-First-Fußball, der so gar nicht zu den Spielertypen passen wollte. Leroy Sané konnte aufgrund seiner Position auf der Außenbahn aufzeigen und wurde schnell auch recht überhitzt als neues Jahrhundert-Talent gepriesen, aber die Stärken von Goretzka, Geis und Meyer verpufften.

Der ultimative Beweis, wie völlig verkehrt Breitenreiter sein Personal einsetzte, ist der Umstand, dass noch am vorletzten Spieltag eine negative Tordifferenz zu Buche stand. Es war keine Überraschung, als der neue Sportchef Christian Heidel (der nach vielen Jahren in Mainz den in Schalke letztlich grandios gescheiterten Horst Heldt beerbt) als erste Amtshandlung die Trennung von Breitenreiter vollzog. Augsburg-Coach Markus Weinzierl gilt als Favorit auf den Job.

Die überraschenden Internationalen

Team MainzApropos Mainz. Dort hinterlässt Heidel einen kerngesunden Verein mit einer grundsoliden Mannschaft, die nicht viel wirklich Spannendes macht, aber auch nicht viel Blödsinn. Das reicht in der aktuellen Verfassung der Bundesliga schon, um sich einen Platz in der Europa League zu sichern.

Natürlich: Die Mainzer haben auch ein paar echte Grundpfeiler; richtige Qualitätsspieler, die durchaus gehobene Bundesliga-Klasse haben. Neben dem bärenstarken Loris Karius im Tor (kein BL-Keeper vereitelte mehr Großchancen als er) sind das Sechser Julian Baumgartlinger und Zehner Yunus Mallı.

Der Rest ist bestenfalls Bundesliga-Durchschnittsware, aber es fällt auch niemand wirklich ab. Diese Verbindung aus drei, vier Schlüsselkräften (den routinierten Niko Bungert kann man vielleicht noch dazuzählen) und einem anonsten recht ausgeglichenen Kader war die richtige Mischung. Klar ist aber auch: Das ist der Plafond für Mainz.

Team HerthaMehrere Etagen über dem erwarteten Plafond rangierte Hertha BSC über weite Strecken der Saison. Als Pal Dardai vor anderthalb Jahren übernahm, rettete er das in das Hauptstadt-Team mit viel Schwitzen und Keuchen, dafür mir sehr wenig vorzeigbarem Fußball über die Klassenerhalts-Ziellinie.

Viel ansehnlicher wurde der Fußball in dieser Saison nicht, dafür die Ergebnisse deutlich besser. Die Neuen fügten sich sofort ein (Weiser von den Bayern, Darida aus Freiburg, Ibisevic von Stuttgart) und auch Salomon Kalou zeigte nun etwas mehr Interesse.

Unterhaltsam ist der Hertha-Fußball aber keineswegs. Im Gegenteil, die Berliner sind so ein wenig das Island der Bundesliga: Kreuzbiederes 4-4-2, wenig Ballbesitz, Räume eng machen, Nach-vorne-Verschieben des ballnahen Mittelfeld-Außen gegen den Ball. Bis zum 29. Spieltag reichte das für den dritten Platz, bis sich die fehlende personelle und vor allem inhaltliche Substanz aber doch zeigte. AmSaisonnde gab es zwei Punkt aus sieben Spielen und einen Europa-League-Platz. Ist immer noch mehr, als in der Mannschaft eigentlich drin ist.

Die Abgestürzten

Dieter Hecking ist (wie etwa Breitenreiter und Schubert) so einer, den taktik-affine Beobachter der Bundesliga mit Argwohn betrachten. Und nach dieser Saison wird erst so richtig klar, wie sehr Hecking wohl eigentlich Kevin de Bruyne abbusseln müsste, dass er ihm 2015 Cup-Sieg und Vizemeister-Titel einbrachte.

TeamWolfsburgDenn ohne das belgische Babyface, das nun bei Man City spielt, fehlte es am individuellen Momentum im Offensiv-Spiel. Hatte De Bruyne in der Saison 2014/15 noch sagenhafte 21 Assists geliefert, ist der beste Wolfsburger Torvorlagengeber in dieser Saison Max Kruse – mit sieben Assists.

Das liegt zum einen natürlich auch daran, dass der als De-Bryune-Ersatz verpflichtete Julian Draxler lange vergeblich nach seiner Rolle suchte, aber natürlich auch daran, dass Hecking keine wirklichen Strategien entwickelte, um diese Problemzone im Zentrum herum zu spielen. Die Konkurrenz erkannte das und nützte das aus – zudem kamen externe Storys wie der allzu öffentlich ausgetragene Zusammensturz von Stürmer Max Kruse, die eine ohnehin schon verunsicherte Truppe weiter nach unten zog.

So wird sportlich das einzig bemerkenswerte an dieser Saison ein 2:0 gegen Real Madrid bleiben. Von Augsburg bleibt immerhin ein augenzwinkernder Twitter-Hashtag: #KeineSau

AugsburgDenn anders als der Vizemeister 2015 hat der FC Augsburg natürlich nicht damit gerechnet, den fünften Platz aus der Vorsaison wiederholen zu können. Den Europapokal-Herbst, in den man selbst von Vereinsseite mit einem „In Europa kennt uns keine Sau“ ging, genoss man in vollen Zügen und mit einem Last-Minute-Tor im letzten Spiel überstand man sogar die Gruppenphase (gegen Liverpool war dann in der ersten K.o.-Runde Schluss). Aber die Bundesliga-Performance litt darunter gewaltig.

Denn der verhältnismäßig dünne und personell gegenüber der Vorsaison kaum veränderte Kader war nicht auf die Doppelbelastung ausgelegt – vor allem mental nicht. Nach den Europacup-Schlachten gegen Bilbao, Alkmaar und Partizan fehlte im Liga-Alltag der Fokus. Zudem konnte Achter Daniel Baier seine unglaubliche Performance aus dem letzten Jahr nicht konservieren. Und da hatte Augsburg den Salat.

Doch selbst, als man nach dem Europacup-Aus lange nicht von hinten weg kam, brach nie Panik aus. Der Lohn: In den letzten anderthalb Saison-Monaten holte man (mitunter mit sehr viel Glück, aber doch) die entscheidenden Punkte zum Klassenerhalt.

(Angstvoller) Blick nach unten

Team IngolstadtEine ausgesprochen solide Debüt-Saison in der Bundesliga hat Ingolstadt hinter sich. Ralph Hasenhüttl hat dem Team ein klares Gesicht verpasst, agierte auch gegen die starken Teams mit Mut und einer hohen Abwehrlinie (und dennoch einer recht geringen Gegentor-Quote) und verstand es, aus einem für diese Liga sicherlich eher unterdurchschnittlichen Kader einen Mittelfeldplatz, ein Abrutschen in die Abstiegs-Zone drohte den Schanzern zu keinem Zeitpunkt.

Natürlich: Gerade im Herbst war fast alles auf die Ideen von Pascal Groß angewiesen, es gab nicht so furchtbar viele Tore. Aber einzelne gute Formentwicklungen (Hartmann im Herbst, Hinterseer und Lezcano im Frühjahr) retteten Ingolstadt über harzige Phasen drüber. Roger Schmidt adelte Hasenhüttls Herangehensweise und lobte Ingolstadt dafür, ein Team mit einer eigenen, unverwechselbaren Identität zu sein.

Es ist nicht schwer vorherzusagen, dass man den wahren Wert von Hasenhüttls Arbeit in der Audi-Stadt erst dann wirklich ermessen kann, wenn es nächstes Jahr unter seinem Nachfolger Markus Kauczinski (einem soliden, aber inhaltlich recht gewöhnlichen Coach ohne außergewöhnlichen Ideen, zuletzt lange in Karlsruhe) wieder krachend in Richtung Tabellenkeller gehen sollte (was recht wahrscheinlich ist).

Team KölnIn Köln ist man grundsätzlich weiterhin froh, ohne allzu großes Drama ein weiteres Jahr in der Bundesliga überstanden zu haben. Dass der Fußball unter Peter Stöger außerhalb der Effzeh-Fangemeinde weiterhin kein besonders gutes Image hat (zu langweilig) und eine erkennbare Weiterentwicklung (auch den finanziellen Gegebenheiten geschuldet) nicht stattgefunden hat, wird sicherlich mit weniger Sorge betrachtet als die generelle Performance in der Rückrunde. Diese war nämlich sicherlich die schwächste Halbserie in den mittlerweile drei Jahren unter Peter Stöger.

So wanderte vor allem im April der Blick schon einigermaßen angstvoll in Richtung Abstiegszone. Über weite Strecken der Saison waren es vor allem der weiterhin überragende Torhüter Timo Horn, die Agilität von Marcel Risse und die Tore von Anthony Modeste, die Köln einigermaßen im Mittelfeld mitschwimmen ließen.

Stöger probierte gerne mit seiner Formation (öfter mal 3er/5er-Kette) und mit der Position einzelner Spieler (Teamspieler Hector öfter mal im zentralen Mittelfeld), an der grundsätzlichen Anlage änderte sich aber nichts. Stöger-Köln ähnelt deutlich mehr dem Stöger-Wr.-Neustadt als der Stöger-Austria oder gar dem furienhaften Offensiv-Pressing des Stöger-GAK. Leichter wird’s in der nächsten Saison vermutlich auch nicht werden.

Team HamburgVerglichen mit den letzten beiden Jahren (als der HSV jeweils in der Relegation mit deutlich mehr Glück als Klasse jeweils die Bundesliga hielt), war diese Spielzeit für Hamburg ein Schritt nach vorne. Von einer kurzen Phase im April abgesehen, verbrachte man die Saison quasi im defensiven Mittelfeld der Bundesliga.

Bruno Labbadia ließ den HSV spielen, wie Bruno Labbadia eigentlich immer spielen lässt: Vier Offensive an der Abseitslinie, die sich als Zielspieler für lange Bälle anbiete, gepaart mit okayem Tempo (Müller, Ilicevic) und körperlicher Robustheit (Lasogga, wenn fit; Rudnevs ist auch in seinem vierten HSV-Jahr ein Fremdkörper); defensiv gleichzeitig möglichst wenig Risiko. Das ist nicht besonders aufregend und eignet sich nicht wirklich zum Gestalten von Spielen. Nicht verwunderlich also, dass man gegen passive Teams oft schlechter aussah (kein Sieg gegen Köln und Darmstadt, Niederlage gegen Hannover), gegen aktive aber nicht selten gute Resultate holte (Siege gegen Dortmund, das Zorniger-Stuttgart, zweimal gegen Bremen; Remis gegen Leverkusen, keine Niederlage gegen Ingolstadt).

Die undankbare Aufgabe, einen ohne sichtbaren Plan erstellten Kader voller eigentlich eh nicht schlechter, aber halt nicht zusammen passender Spieler zu einem Ganzen zu formen, erledigte Labbadia ordentlich und es war nach zwei totalen Chaos-Jahren auch eine gewisse Struktur erkennbar, aber vor allem so manches Heimspiel war an der Grenze zur Zuseher-Folter: acht Heimniederlagen gab’s – nur die Absteiger Stuttgart und Hannover haben mehr. Und Darmstadt

Gekämpft und gerettet

Team DarmstadtGleichzeitig brachten die Lilien gar nur zwei Heimsiege zu Stande. Dennoch stand der Klassenerhalt von Darmstadt sogar schon vor dem letzten Spieltag fest, nachdem der Aufsteiger quasi die ganze Saison zwischen Platz zehn und vierzehn verbracht hat – weil nur die Top-3 der Liga (Bayern, Dortmund, Bayer) mehr Punkte in der Fremde geholt haben.

Das spricht natürlich Bände über die Spielweise von Darmstadt, die in all ihrer Primitivität selbst unter den schöngeistigeren Beobachtern der Liga schon mit ein wenig kultischer Bewunderung betrachtet wurde. Nur 41 Prozent Ballbesitz (und damit noch fünf Prozent weniger als das nächste Team), bei Ballgewinn Langholz in Richtung Sandro Wagner, oder das Vertrauen auf Standardsituationen: Viel mehr hat Darmstadt nicht anzubieten. Nur: Das, was Darmstadt macht, macht Darmstadt gut. Sogar Guardiola hatte beim Spiel der Bayern am Böllenfalltor – ein 70er-Jahre-Stadion, das inmitten der modernen Bundesliga-Infrastruktur völlig aus der Zeit gefallen wirkt – so viel Respekt davor, dass er sein Team recht tief agieren ließ.

Die Sonne scheint“ für Darmstadt also zumindest noch ein weiteres Bundesliga-Jahr. Dass sich an Spielweise (und Kultfaktor) des Klubs, der sein Underdog-Image mit offenen Armen aufnimmt und kultiviert, etwas ändert, ist nicht zu erwarten.

Team HoffenheimDafür wird es auch in der kommenden Saison ein Bundesliga-Team geben, wo sich zumindest das Spielsystem Woche für Woche ändern dürfte: So nämlich, mit viel System-Flexibilität und wieder einer deutlich mehr auf Initiative ausgelegten Spielanlage nämlich trat Hoffenheim unter Jung-Trainer Julian Nagelsmann auf.

Markus Gisdol war an der von der Klub-Philosophie massiv abweichenden Transferpolitik im letzten Sommer (wirklich, Hoffenheim, Kevin Kuranyi???) und dem Substanz-Verlust durch diverse Abgänge (Firmino, Modeste) gescheitert. Sein Nachfolger Huub Stevens führte das Team mit einer (ebenfalls massiv von der Klub-Philosophie abweichenden) unbeweglichen Passiv-Spielweise zielsicher knietief in den Abstiegsmorast, ehe der 28-Jährige Nagelsmann kam und aus Hoffenheim wieder Hoffenheim machte.

Aus 44 Prozent Ballbesitz (unter Stevens) wurden 48 Prozent (unter Nagelsmann), dennoch wurde das Spiel nach vorne deutlich aktiver und geradliniger (51 Pässe pro Torschuss unter Stevens, nur noch 34 Pässe pro Torschuss unter Nagelsmann). die Torquote pro Spiel wurde damit von unterirdischen 0,6 (unter Stevens) auf 1,4 (unter Nagelsmann) mehr als verdoppelt und aus 0,8 Punkten pro Spiel (Stevens) wurden 1,6 Punkte pro Spiel (unter Nagelsmann).

Dabei veränderte Nagelsmann das System je nach Bedarf (Dreier-, Vierer-, Fünfer-Kette, ein Stürmer/zwei Stürmer) – das sieht alles wieder nach dem Hoffenheim aus, das man schätzen gelernt hat: Junge, talentierte Spieler, hohes Tempo, im Zweifel lieber ein Tor mehr schießen als der Gegner als eines weniger kassieren.

Große Namen im Abstiegsstrudel

Team BremenGlanzleistungen wie das 6:2 gegen Stuttgart und das 4:1 in Leverkusen einerseits, aber auch dümmliche Spielverläufe wie beim 1:2 trotz drückender Überlegenheit gegen Augsburg und komplette Zusammenbrüche wie beim 0:6 in Wolfsburg oder dem 1:5 in Gladbach – konstant war Bremen nur in seiner Unkonstanz.

Das hat bei Werder aber ebenso schon Tradition wie die Diskrepanz zwischen durchaus tauglicher Offensiv-Abteilung (Ujah im Herbst und Pizarro im Frühjahr trafen regelmäßig, Junuzovic ist drittbester Torvorbereiter der Liga) und unsicherer Defensive – nur Stuttgart kassierte noch mehr Tore. Jannik Vestergaard ist einer der besseren Spieleröffner der Liga, aber es gibt keinen IV-Partner, der die Aufrückbewegungen des kopfballstarken Dänen adäquat abdecken würde. Die AV-Positionen sind weiterhin womöglich am schlechtesten von allen Bundesligisten besetzt, eine Etage davor gibt’s auf den Außen auch eher nur gehobenes Zweitliga-Niveau.

Der Umstand, dass sich Werder im Frühjahr merklich stabilisiert hat und in der oberen Hälfte der Rückrunden-Tabelle zu finden ist (als Achter), macht Hoffnung, dass es in der kommenden Saison nicht mehr ganz so viel zum Zittern sein sollte wie diesmal, bis zur 88. Minute des letztes Spiels. Andererseits hat man diese Hoffnung bei Bremen seit Jahren – die Troubles, in die Werder auch heuer wieder kam, waren ja auch in den vergangenen Saisonen nicht fremd an der Weser.

Team FrankfurtAls „Team ohne Stärken“ bezeichnete Eintracht-Frankfurt-Blogger Björn Wisker die Mannschaft seines Herzensklubs im Laufe der Rückrunde. In der Tat ließ die Eintracht vor allem unter Armin Veh lange Zeit jedes Zeichen vermissen, was man den nun für einen Fußball spielen wollte.

Schon letzte Saison, als Frankfurt unter Thomas Schaaf einen respektablen neunten Rang erreicht hat, monierte viele kritische Beobachter eine gefährliche Selbstzufriedenheit innerhalb des Klubs und der Umstand, dass man in dieser Spielzeit lange die Augen vor der Realität namens immer näher kommender Abstiegskampf verschloss, bestätigt diese Warnungen im Nachhinein. Veh probierte einiges aus, aber alles halbherzig. Dabei wurde sein Team immer harmloser, immer verunsicherter. Das alles noch in Verbindung mit einer Transferpolitik, die zu überwiegenden Teilen als verfehlt bezeichnet werden muss, führte zu einem immer schnelleren Absturz.

Niko Kovac kam im März und versuchte vor allem durch Handauflegen und Gut-Zureden, ein totes Team wieder zum Leben zu erwecken. Er legte sich (bis auf die Spiele gegen Bayern, Dortmund und Bremen) auf ein recht klares 4-1-4-1 fest, mit Flügelspieler Szabolcs Huszti und dem talentierten Marc Stendera im offensiven Zentrum. In Kovac‘ ersten fünf Spielen gab es nur ein Tor, dafür vier Niederlagen – erst durch pure Willenskraft, blinde Wucht und auch Glück mit Referee-Entscheidungen robbte man sich noch so weit heran, das man am letzten Spieltag noch die Chance hatte, sich direkt zu retten. Der Versuch, sich am Ende mit einem 5-4-1 gegen Bremen ein Remis zu ermauern scheiterte, aber immerhin hat nun nun eine zweite Chance gegen Nürnberg bekommen.

Nur: Selbst wenn es gegen den Club gut gehen sollte, wird es schon etwas mehr brauchen als Kovac‘ Feuerwehrmann-Motivations-Künste, damit es nächste Saison wieder besser werden soll.

Team StuttgartSonst nämlich geht es der Eintracht, wie es Stuttgart ergangen ist. Der VfB bettelt zwar schon seit mehreren Jahren um den Abstieg, aber noch nie ist man das Unternehmen so konsequent angegangen wie in dieser Saison. Zu Saisonbeginn wollte der neue Trainer Alexander Zorniger ein Brutalpressing-Spiel der Marke Roger Schmidt aufziehen, aber erst gab es (vornehmlich durch Pech bzw. schlechte Chancenverwertung) viele Niederlagen, obwohl man viele Spiele klar gewinnen hätte müssen.

So kam es zur Verunsicherung, die Pressingformationen klappten zusammen, die Resultate wurden noch schlechter, und weil offenbar auch Schwächen in Zornigers Umgang mit Menschen dazu kamen, wurde er im November gegangen. Nachfolger Jürgen Kramny arbeiete nicht dramatisch anders als Kovac: Für gute Stimmung sorgen, die geprügelten Seelen streicheln. Dazu kam statt dem ballorientieren Zorniger-Spiel nun eine sehr mannorientierte Herangehensweise. Sprich: Manndeckung im Mittelfeld.

Dieser Mix brachte einige Gegner aus der Fassung und einige Siege auf das Stuttgarter Konto. Weil das aber das einzige war, was Kramny (der davor die VfB-Reserve am letzten Platz der 3. Liga festgebunkert hatte) dem Team sichtbar beibrachte, und die anderen Teams auch nicht alle blöd sind, wurden die Räume, die man im Mittelfeld bot, immer mehr angebohrt. Der hüftsteife Niedermeier und sein jeweiliger Partner (Schwaab, Sunjic, Barba, Baumgartl) konnten das nicht mehr ausgleichen, und so schlug es immer öfter ein – öfter als bei jedem anderen Klub.

Weil dann auch noch im Vorwärtsgang kaum ein anderes Schema erkennbar war, als die Verantwortung auf die schmalen Schultern von Daniel Didavi zu schieben und keiner der zahlreich probierten Stürmer (Werner, Kravets, auch Harnik; Ginczek fiel verletzt praktisch die ganze Saison aus) regelmäßig traf, gab es ab Anfang März in neun Spielen nur noch zwei Punkte, dafür 26 Gegentore, ift eines dämlicher als das andere.

Logische Konsequenz: Der Meister von 2007 steigt erstmals seit 1975 ab. Damals dauerte es zwei Jahre bis zur Rückkehr ins Oberhaus.

Mit Pauken und Trompeten

Team HannoverEine ziemlich erstaunliche Saison legte Hannover hin. Wer davor an den Trainerqualitäten von Michael Frontzeck zweifelte (das waren nicht so wenige), wurde im Herbst endgültig in seiner Meinung bestätigt. Frontzeck konnte den ziemlich beliebig und eher gesichtslos konzipierten Kader nie eine wirkliche Linie einpflanzen.

Ein erstaunlicher Beitrag des Hannover-Fan-Blogs „Niemals allein“ erklärte im Herbst die Deutung von Statistiken am Beispiel von 96, und kommt bezüglich Frontzeck zu einem vernichtenden Urteil. Unter Slomka war Hannover einer der Pioniere des schnellen Umschaltspiels und jahrelang fixer Kandidat für die Europacup-Plätze, erreichten sogar das Europa-League-Viertelfinale. Davon ist nichts mehr übrig.

Wenig überraschend wurde Frontzeck im Winter entlassen. Eher schon überraschend war, dass es unter Nachfolger Thomas Schaaf sogar noch schlimmer wurde. Zehn Niederlagen in elf Spielen bei 4:23 Toren zementieren den letzten Platz und den Abstieg nach 14 Bundesliga-Jahren (dem klar längsten Stint der Klubgeschichte). Daniel Stendel hatte nach dem Schaaf-Abgang nur noch die Aufgabe, das Jahr vernünftig zu Ende zu bringen. Das schaffte er (8 Punkte aus seinen 6 Spielen).

Fazit

Der Titel der Bayern sieht selbstverständlicher aus als er ist, weil Dortmund wirklich eine herausragend gute Saison gespielt hat. Dahinter aber offenbart sich, das Dilemma: Zum einen der eklatante Abstand dieses Duos zum Rest des Feldes, zum anderen die fehlende Fähigkeit jedweden anderen Teams, konstant über einen längeren Zeitraum als ein paar Wochen auf hohem Niveau zu bleiben.

Außerdem gibt es nur eine Handvoll Teams, die wirklich einen nennenswert eigenen Stil besitzen (Bayern, Dortmund, Leverkusen sicher, auch Ingolstadt und wieder Hoffenheim; Darmstadt muss man auch dazuzählen). Der Rest: Einheitsbrei. Konservativer Safety-First-Fußball, lieber – wie es Ulf Kirsten gesagt hat – „Scheiße spielen und gewinnen“.

Vor allem darum tut sich die Bundesliga so schwer, außerhalb Europas wirklich Fuß zu fassen, wie es Spanien und vor allem England geschafft haben: Ein Duell Dritter gegen Fünfter, Hertha gegen Schalke, klingt zwar ganz okay – aber es gibt auf dem Platz nicht viel her.

Wer weiß, vielleicht kann Leipzig daran ja mittelfristig was ändern.

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Ballverliebt Classics: Teamchef Riedl – Fatales und Fatalismus https://ballverliebt.eu/2015/10/30/ballverliebt-classics-teamchef-riedl-fatales-und-fatalismus/ https://ballverliebt.eu/2015/10/30/ballverliebt-classics-teamchef-riedl-fatales-und-fatalismus/#comments Fri, 30 Oct 2015 09:47:38 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=11819 Ballverliebt Classics: Teamchef Riedl – Fatales und Fatalismus weiterlesen ]]> Wer alt genug ist, diese Zeit bewusst zu erlebt zu haben, hat sie verdrängt. Nicht das 0:1 in Landskrona gegen die Färöer, das kann man nicht verdrängen. Höchstens versuchen, aber es wird einem nicht gelingen. Sehr wohl aber verdrängen kann man, was danach kam. Es kam Alfred Riedl, zumindest für 13 Monate. Es war ein Jahr, in dem sich Fatalismus mit spieltaktischer Feigheit und wechselhafter Konsequenz abwechselte. Zum 25-jährigen „Jubiläum“: Das war die kurze Ära Riedl.

Als Spieler war Alfred Riedl durchaus eine Hausnummer. Zweimal Meister und einmal Torschützenkönig mit der Austria, danach war der Linksfuß zehn Jahre Legionär in Belgien (120 Tore in acht Jahren, zweimal Schützenkönig, sehr beeindruckend), ehe er seine letzten aktiven Jahre beim GAK und beim Sportclub verbrachte. Dass es nur zu vier Länderspielen reichte, lag vor allem an der Konkurrenz im ÖFB-Angriff: An Ausnahmestürmern wie Kreuz, Krankl und Schachner kam er nicht vorbei.

Nach der WM 1990 in Italien, in der ein blutjunges ÖFB-Team (24,8 Jahre, nur Keeper Lindenberger war älter als 27) Lehrgeld bezahlt hat, wurde Riedl – der zuvor Bundesliga-Abstiegskandidat Sportclub betreut hatte – zu Hickersberger Assistent berufen. Das hieß: Co-Trainer in der „A“ und Teamchef der U-21 in Personalunion. Heute auch undenkbar. Jedenfalls verkroch sich Hickersberger nach Landskrona zum Schämen in ein Loch, drei Tage später hatte ÖFB-Präsident Mauhart den Assistenten zum Chef gemacht. Im Alleingang.

Vorschusslorbeer sieht anders aus

Das brachte die Landespräsidenten gar fürchterlich auf die Palme, weil sie niemand nach ihrer werten Meinung gefragt hatte; außer Dampf ablassen konnten sie aber nichts mehr tun. Riedl verdiente irgendwas zwischen 70.000 und 90.000 Schilling (also 5.000 bis 6.000 Euro) im Monat und erhielt einen unbefristeten Vertrag. Heißt: Jederzeit kündbar, ohne dass für den ÖFB Mehrkosten entstehen.

Wunderschön, wer sich erinnern kann, war dazu passend auch der „Club 2“ im ORF, wo Riedl weitestgehend stumm aus seinem oberlippenbebarteten Gesicht starrte, während sich Beppo Mauhart und Rapid-Trainer Hans Krankl (der nach einem 2:1 im Uefa-Cup gegen Inter Mailand gerade Oberwasser hatte) verbale Ohrfeigen verpassten. „Ich bin nicht gegen den Riedl-Fredl, i hab ja gemeinsam mit ihm im Team gespielt. Aber i bin gegen die Entscheidung, ihn zum Teamchef zu machen“, aus dem Mund von Krankl, erinnert an eine ganz ähnliche Diskussion in einer ganz ähnlichen Situation 21 Jahre später.

Eh scho wurscht

Riedl selbst fügte sich gleich mal mit einigen Bonmots ein, die kommende sportliche Katastrophen schon im Vorhinein erklären sollten. „Die U-21-Meisterschaft ist sinnlos, weil die meisten Teams zu schwach dafür sind“, stellte er zum Beispiel gleich klar, dass der Nachwuchs mittelfristig auch keine Besserung verspräche.

„Polster, Ogris und Rodax sind in Spanien im Formtief“, beklagte er überdies. Polster ging in seine dritte Saison bei Sevilla, Ogris war im Sommer zu Espanyol gewechselt und Rodax zu Atlético Madrid. In den ersten zwei Spielen traf Rodax jeweils, in den kommenden acht Einsätzen aber nur noch einmal. Sein Stammplatz wackelte.

„Würde ich nach Jugoslawien fahren und sagen, dass wir ohnehin verlieren, hätte ich als Teamchef nichts verloren“, meinte Riedl zwar bei seinem Amtsantritt, aber so richtig glaubhaft wirkte sein zuweilen krampfhafter Optimismus vor seinem ersten Spiel, auswärts bei WM-Viertelfinalist Jugoslawien, nicht.

„Kein langes Gefackel im Mittelfeld. Dieser Raum soll einfach überschossen werden.“

Bei der Kaderbekanntgabe ging Riedl dann daran, den Anwesenden schon jenen Fatalismus näher zu bringen, einstweilen noch in homöopathischen Dosen, der vor allem für die ersten paar Monate stilprägend werden sollte. „Wir brauchen uns gar nicht auf die Jugoslawen konzentrieren“, meinte der 41-Jährige da.  Das Spiel selbst zu gestalten kam schon gleich überhaupt nicht in Frage: „Kein langes Gefackel im Mittelfeld. Dieser Raum soll im Konter einfach überschossen werden.“

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Jugoslawien – Österreich 4:1 (2:1)

Als Riedl merkte, was für eine primitive Holzhackerei er da ankündigte, ruderte er doch ein wenig zurück. „Aber gezielt natürlich, nicht mit dem Dreschflegel!“

Im Endeffekt packte in Belgrad nur ein Team den Dreschflegel aus, und zwar die Gastgeber – für etwa eine halbe Stunde. Das reichte locker. Nach Ogris‘ Führungstor drehte das Team von Ivica Osim auf, schoss  mal schnell drei Tore und verlegte sich danach auf’s Zaubern. Österreich hatte dem nichts entgegen zu setzen: Pecl wurde von Darko Pancev lächerlich gemacht, Artner rannte Vujovic nur hinterher, Herzog war unsichtbar, Reisinger hatte eine erstaunliche Fehlpassquote, Polster präsentierte sich als Immobilie. Nur Ogris stemmte sich mit allem, was er hatte, dagegen, aber kurz nach der Pause musste er verletzt raus.

Für Austria-Libero Aigner (der bei der WM den ausgebooteten Heribert Weber vertreten hatte) war es an seinem 24. Geburtstag das letzte Länderspiel. Osim konstatierte, dass man ganz ohne Routiniers nichts erreichen könne – sieben Österreicher waren jünger als 25 Jahre, Keeper Konsel mit 28 der älteste. Es fehle eine Führungsfigur, wie das in der WM-Qualifikation noch Herbert Prohaska war. Der 22-jährige Herzog war das noch nicht.

„Ihm fehlt’s an Durchsetzungsvermögen. Aber welcher Österreicher setzt sich derzeit schon durch?“

Zwei Wochen nach der ernüchternden Chancenlosigkeit von Belgrad wartete das Heimspiel gegen Nordirland. Die mutlosen Auftritte bei der WM hatten die Stimmung, die davor noch kurz vorm gefühlten WM-Titel war, schon kippen lassen, nach Landskrona wurde das Nationalteam mit komplettem Liebesentzug bestraft. Gegen Nordirland verteilte der ÖFB 2.000 Freikarten, um einen den Super-GAU (= Besucher-Negativrekord) zu verhindern.

Es klappte – exakt 7.032 Zuseher kamen ins Praterstadion. Boah.

Und auch Riedl machte nicht gerade Werbung für das Spiel. „Wenn man danach geht, wer in Form ist, haben wir derzeit große Probleme“, stellte der Teamchef nüchtern fest. Aigner fiel dem Rotstift zum Opfer, Tirol-Libero Baur (21) erschien Riedl noch zu jung. Befragt zu Daniel Madlener von Vorwärts Steyr, den er berufen hatte, sagte der Teamchef: „Er sucht den Weg zum Tor, aber es fehlt an Durchsetzungsvermögen. Nur… Welcher Österreicher setzt sich derzeit schon durch?“

„Die Spieler sind schlecht trainiert.“

Ziemlich unrund reagiert man auf Seiten des ÖFB auch auf einen Sketch der „Hektiker“ um Mini Bydlinski, die sich im ORF über das Team im Allgemeinen und über Toni Polster im Speziellen lustig gemacht hatten. Dafür bekamen die Klubtrainer – vor allem Hans Krankl von Rapid und Herbert Prohaska von der Austria, aber auch Ernst Happel von Tirol wurde nicht ausgenommen – von Riedl, Co-Trainer Koncilia und Vorgänger Hickersberger ausgerichtet, die Spieler kämen schlecht trainiert zum Team und spielten deswegen so unter aller Sau. Man kennt und mag sich ja, da kann sowas schon auch mal in der Öffentlichkeit breitgetreten werden.

Österreich - Nordirland 0:0
Österreich – Nordirland 0:0

Frostig ums Herz wurde es einem dann auch beim Spiel selbst, gegen ein biederes und robustes nordirisches Team. Riedl setzte auf Vorsicht: Zwei Manndecker und ein Libero gegen einen Solo-Stürmer, zwei defensive Abräumer gegen einen Zehner (über den die Bälle ohnehin meterhoch hinweg segelten), zwei eher Defensive auf den Außenbahnen.

„Wir haben uns aufgebäumt und immerhin kein Gegentor kassiert“, versuchte Riedl nach dem gespenstisch schlechten Spiel vor einer Geisterkulisse, das 0:0 zum Erfolg hochzujazzen. Warum Debütant Andreas Poiger, der mangels Gegenspieler völlig sinnlos wie bestellt und nicht abgeholt im leeren Raum herumhing, nicht zugunsten eines Kreativspielers ausgewechselt wurde? „Aus Sicherheitsgründen“, so Riedl. Seinen Freiraum jedenfalls konnte der nervöse Poiger nicht nützen. Der 22-jährige Rapidler war halt doch Manndecker und kein Spieleröffner.

Jedenfalls gab’s nach zwei Niederlagen nun zumindest mal einen Punkt, womit man die Inselkicker von den Schafsfelsen schon beinahe wieder eingeholt hatte. Das ist ja nicht nichts.

„Wenn die Spieler übers halbe Feld gaberln sollen, fällt ihnen der Ball sechsmal hinunter.“

In der Folge rechtfertigte sich Riedl für seine extra-vorsichtige Herangehensweise mit dem schon angesprochenen Fatalismus. Motto: Wen hätte ich denn bringen sollen? „Sehen Sie in der Meisterschaft einen Unterschied zwischen den Teamkandidaten und den anderen? Ich nicht“, beklagte er sich gegenüber Journalisten. Resignierender Nachsatz: „Wenn die Spieler übers halbe Feld gabeln sollen, fällt ihnen der Ball sechsmal hinunter!“

Wie soll sich der Nachwuchs aber auch entwickeln, wenn er so vernachlässigt wird. Bei einem internationalen U-15-Länderturnier in der Steiermark etwa verweigerte der Platzwart des steirischen Bierliga-Klubs St. Ruprecht das Bespielen des Hauptplatzes – der lokale Siebtligist hatte ja wenige Tage das nächste Spiel, wo kämen wir denn da hin. Die Kids mussten auf einem gatschigen Nebenplatz spielen.

„Konditionell hinken wir international hinten nach.“

Im Februar lud Riedl zu sportmedizinischen Tests, um zu sehen, ob die Herren Teamkicker in der Winterpause nur Leberkässemmeln gegessen oder doch etwas für ihre Fitness getan hatten. Ob Wolfgang Feiersinger ein schlechtes Gewissen hatte, ist nicht überliefert, jedenfalls schwänzte er – was bei Riedl naturgemäß große Begeisterung auslöste.

Tatsächlich erstaunlich war allerdings, dass eigentlich nur die unter Ernst Happel beim FC Tirol trainierenden Spieler gute Werte hatten, die dafür durch die Bank. Baur, Russ, Hörtnagl, Linzmaier, Pacult, Peischl, Streiter und Westerthaler waren jedenfalls im nächsten Kader für den Test gegen Norwegen auch dabei, ebenso wie Klubkollege Hartmann. „Konditionell hinken wir international hinten nach“, konstatierte Riedl dennoch betrübt.

Anders gesagt: Wir können nicht nur nicht kicken, wir können auch keine 90 Minuten rennen.

Um 45 Cent zum Länderspiel

Durch die beeindruckend harmlosen Leistungen köchelte auch eine andere Diskussion permanent: Die nach der vorsichtigen Grundausrichtung im Mittelfeld. Riedl hatte drei potenzielle Spielmacher zur Verfügung. Manfred Linzmaier agierte bei Tirol neben dem ebenso kreativen Néstor Gorosito, Peter Stöger agierte bei der Austria neben dem ebenso kreativen Jevgenijs Milevskis und Andi Herzog bei Rapid neben dem gelernten Stürmer Christian Keglevits, jeweils nur mit einer defensiven Absicherung dahinter (i.d.R. Hörtnagl bei Tirol, Zsak bei der Austria und Schöttel bei Rapid).

Riedl jedoch beharrte darauf: „Linzmaier und Herzog gemeinsam geht nicht, das passt nicht.“ Wie überhaupt er eben auf Sicherheit bedacht war. Das sorgte für Frust bei den ohnehin in Scharen fliehenden Zusehern und für Verstimmung bei den Beteiligten. So kündigte Riedl an, dass im Test gegen Norwegen  Peter Stöger den Zuschlag für die eine offensive Planstelle bekommen sollte. Linzmaier war sauer, weil er es ebenso mit zwei Kreativen probieren wollte. Herzog war sauer, weil er für das Norwegen-Spiel nicht einmal nominiert wurde.

Um zumindest für ein halbwegs volles Stadion zu sorgen, warf der ÖFB gemeinsam mit TOTO Eintrittskarten um 6 Schilling (= einem gespielten TOTO-Schein) auf den Markt, also um 45 Cent.

Da schau her, eine ordentliche Leistung

Österreich - Norwegen 0:0
Österreich – Norwegen 0:0

Die erstaunlichen 36.000 Zuseher im Prater sahen, wie Michael Baur vom FC Tirol am Tag nach seinem 23. Geburtstag sein Startelf-Debüt als Libero gab. Und sie sahen eine kämpferisch engagierte, wenn schon nicht glanzvolle Leistung.

Nach einer torlosen Stunde sprang Riedl dann über seinen Schatten und brachte Linzmaier für Schöttel aufs Feld. Die Folge war, dass Österreich nun auch spielerisch Übergewicht bekam (wiewohl, eh klar, da Norwegen unter Egil Olsen die Anti-These zum Guardiola’schen Ballbesitz-Fetisch darstellte – mehr als drei Stationen zwischen Balleroberung und Torabschluss waren strikt zu vermeiden). Da Österreich es allerdings nicht schaffte, auch das Tor zu erzielen, klangen gegen Ende schon wieder deutlich hörbare Pfiffe von den Rängen in Richtung Rasen.

Kann ja nicht sein, wir sind ja verwöhnt. Wenn die Herren einmal keinen kompletten Bockmist spielen, ist wohl ein Sieg zu verlangen. Vor allem gegen ein Team, das zwei Monate später immerhin Italien besiegen wird. So oder so: Nach dem Norwegen-Spiel erklärt Gerry Willfurth (der den Cut für die WM 1990 nicht geschafft hatte) seinen Rücktritt – mangels Perspektive auf eine WM-Teilnahme 1994. Der Mann hatte eine prophetische Gabe.

„Der Artner kann hinten spielen, in der Mitte, vorn, rechts, links, der Artner kann alles spielen. Er kann auch gar nicht spielen.“

Aus seinen Aufstellungen machte Riedl bis zum Matchtag immer ein Staatsgeheimnis, weil er nicht wollte, dass nicht berücksichtigte Spieler auf ihr Reservisten-Dasein angesprochen und daraus fiese Schlagzeilen gewoben werden könnten. Er gab maximal ein paar Namen als Fixstarter an. Eine wahre Freude von einem Satz war die Antwort auf eine Journalisten-Frage, ob denn beim nächsten Testspiel, auswärts beim kommenden EM-Gastgeber Schweden, Peter Artner von der Admira spielen würde.

Schweden - Österreich 6:0 (4:0)
Schweden – Österreich 6:0 (4:0)

„Der Artner kann hinten spielen, in der Mitte, vorn, rechts, links, der Artner kann alles spielen… Er kann aber auch gar nicht spielen.“ Es hätte auch ziemlich sicher keinen Unterschied gemacht, wenn Artner an diesem verregneten Nachmittag in Stockholm nicht gespielt hätte. Wie überhaupt an diesem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, selbige vom ÖFB-Team konsequent verweigert wurde.

Austria-Manndecker Harald Schneider (der diesmal den schwer am Knie verletzten Robert Pecl vertrat) wird sich sicher sehr gefreut haben, dass er in seinem einzigen Länderspiel 0:6 verloren hat, aber es halfen wirklich alle mit, damit es auch wirklich zu einem zünftigen Debakel kam. Toni Pfeffer etwa, der zu Kennet Anderssons Escort-Service wurde und drei Tore zuließ. Michael Baur, der völlig die Übersicht verlor. Alfred Hörtnagl, der, wenn er nicht gerade Fehlpässe spielte, Erlingmark nach Lust und Laune flanken ließ. Das Experiment mit dem invers spielenden Rodax (der Rechtsfuß spielte ausnahmsweise links) ging auch kräftig schief. Leichte Besserung kam erst, als Peter Stöger für die zweite Hälfte für Linzmaier kam – danach kassierte Österreich nur noch zwei Tore. Was wären die großen Erfolge ohne die Kleinen.

„Ich wollte zuspielen, aber keiner hat sich freigestellt.“

Direkt nach dem Spiel verweigerte Riedl einen Rücktritt noch, gab an, sich nicht so einfach aus seiner Verantwortung stehlen zu wollen. Am Tag danach klang das schon ganz anders, als er ÖFB-Präsident Beppo Mauhart den Vorschlag unterbreitete, dass ein anderer Trainer-Besen den Scherbenhaufen zusammen kehren solle. Mauhart machte Riedl aber die Mauer.

Was dem Team eklatant fehlte, war ein Spieler, der sich in kritischen Situationen bewährt hat, ein Spieler, an dem sich die verunsicherte junge Bande aufrichten konnte. „Ich wollte zuspielen, aber keiner hat sich freigestellt“, erklärte Michael Baur seine unzähligen Fehlpässe in der Spieleröffnung. Zsak, Artner und Linzmaier vor ihm haben nicht Verantwortung übernommen, sondern sich so gut es ging Verstecken gespielt, während die Schweden mit beinahe verbundenen Augen gezählt haben: Ein Tor, zwei Tore, drei Tore, vier Tore…

Die dahinter mussten es ausbaden, weil Schweden einen Angriff nach dem anderen lancierte. Die davor mussten es ausbaden, weil sie keine Bälle bekamen und in der Öffentlichkeit als Sündenböcke herhalten mussten. „Im Klub geht es deshalb besser, weil man Bälle von hinten bekommt, in der Nationalmannschaft nicht“, sagte Toni Polster. Von den drei Spanien-Stürmern Polster, Ogris und Rodax wurden Tore am Fließband erwartet.

„Ein Kapitän, der in dieser Weise mit dem Schiff untergegangen ist, hat keinen Platz im Team.“

Riedl erklärte zunächst, dass für das Heimspiel in der EM-Quali gegen Färöer (aufgrund grandioser Planung drei Spieltage vor Bundesliga-Schluss angesetzt) die Versager vom Schweden-0:6 die Chance zur Rehabilitation erhalten würden, wie er selbst sie von Mauhart bekommen hatte. Ehe er, die Konsequenz in Person, die Herren Polster, Rodax, Zsak, Artner und Pfeffer eliminierte. Linzmaier und Schneider fielen verletzt aus, aber letztlich traf auch diese beiden der Bannstrahl.

Weder Linzmaier noch Rodax oder Schneider spielten jemals wieder im ÖFB-Team.

Vor allem auf Polster war Riedl stinkig. „Ein Kapitän, der in dieser Weise mit dem Schiff untergegangen ist, hat keinen Platz im Team.“ Nun ist zwar Polster bekanntermaßen nicht der spielstärkste Stürmer, und auch keiner, der sich großartig ins Aufbauspiel einmischt – aber was hätte er ausrichten können? Zumal er mit Rodax einen schnellen Nebenspieler hatte. So oder so, Polster war für Riedl ab sofort kein Thema mehr.

So wie Linzmaier, bei dem die Sachlage aber noch ein wenig perfider war. Vor allem er hatte sich beklagt, nie einen kreativen Nebenmann zu haben oder nie als zweiter kreativer Mann spielen zu dürfen. Nun war er weg, und zack: Herzog und Stöger waren ab sofort als kreatives Duo gesetzt. Mannschaftsführung der Marke Con… naja, sein Co-Trainer lernte jedenfalls  von Riedl. Sehr viel eleganter führte er in seiner Zeit als Teamchef, knapp 20 Jahre später, das Mannschaftsgefüge bekanntlich auch nicht.

„Mit den Routiniers hat es ja zuletzt auch nicht geklappt.“

Polster ließ das nicht auf sich beruhen und trat zurück (also, im Sinne von verbalem Fußtritt, nicht im Sinne von „Auf Wiedersehen“). „Riedl hat die Nerven weggeschmissen. Es war das Schlechteste, was er in dieser Situation machen konnte“, sprach Toni: „Als Kapitän konnte ich keine Wunder wirken. Wenn deine Mitarbeiter nichts zusammenbringen, bist du als Chef hilflos.“ Womöglich war auch Mini Bydlinski sauer, wen hätte er nun verapfeln sollen. Wobei: Da gab’s schon noch ein paar Kandidaten.

Österreich - Färöer 3:0
Österreich – Färöer 3:0 (1:0)

Wirklich die Muffe ging vor dem Rückspiel gegen die Färöer niemandem, was aber auch daran gelegen haben mag, dass das Team ohnehin schon ziemlich darniedergelegen ist, es quasi auch eine weitere Blamage gegen die Insulaner nicht mehr wirklich schlimmer gemacht hätte.

Riedl gab schon recht zeitig bekannt, dass der gebürtige Salzburger Heimo Pfeifenberger von Beginn an spielen würde – als Manndecker. Die Saison hatte er bei Rapid als Stürmer begonnen, diverse Verletzungen in der Hütteldorfer Defensiv-Abteilung veranlassten Krankl dazu, Pfeifenberger nach hinten zu stellen.

Für Riedl eine Maßnahme ohne Risiko: Das bekannt verwöhnte und bei Länderspielen oft negative Publikum in der Mozartstadt (das Hickersberger ein Jahr vorher angefeindet hatte, weil er den Salzburg-Spieler Heri Weber ausgebootet hatte) war befriedet und gegen die sehr defensiv agierenden Färinger war das auch kein Sicherheitsrisiko. Auch vor dem Einsatz von Schöttel (24), Michael Streiter (25) und Arnold Wetl (21) scheute er sich nicht: „Mit den Routiniers hat’s zuletzt ja auch nicht geklappt.“ Die Frage sei nur erlaubt: Welche Routiniers? Linzmaier war 28, gut, Zsak 27, aber Artner war nur ein paar Monate älter als Streiter. Das ist Artner heute noch. Also, nur ein paar Monate älter als Streiter.

Gerade Pfeifenberger sorgte dann nach einer Viertelstunde für die 1:0-Führung, nach dem Seitenwechsel stellten Rückkehrer Streiter und Debütant Wetl (Riedl: „Der Stürmer der Zukunft!“) den 3:0-Endstand her. Nichts, wofür man sich schämen müsste, aber auch nichts, worauf man aufbauen hätte können. Neben den zwei Punkten (mit denen Österreich in der Tabelle endlich punktgleich mit den Färöern war, juhu!) konnte sich vor allem Franz Wohlfahrt freuen, der ein paar Minuten vor Schluss eingewechselt worden war.

„Um ihm zu zeigen, dass er auch ein ernsthafter Teil des Teams ist“, war Riedls offizielle Begründung. Die Wahrheit war deutlich weniger blumig: Mit diesem achten Länderspiel-Einsatz erfüllte Wohlfahrt die Bedingungen der Transfergesetze der englischen Liga.

„Dem Ernst fehlt der nötige Ernst.“

Andi Ogris, den Riedl in Abwesenheit von Polster zum Kapitän befördert hatte (und Stamm im Team war, obwohl sein letztes von vier Toren für Espanyol ein halbes Jahr her war), rückte mit eingerissenem Meniskus ein, als es zwei Wochen nach dem Färöer-Spiel nach Dänemark ging, auch Arnold Wetl war nicht fit, er zerrte sich in einem Meisterschaftsspiel von Sturm Graz den Oberschenkel.

Dafür kam neben Ralph Hasenhüttl von der Austria auch Andis kleiner Bruder Ernst Ogris erstmals in den Kader, obwohl der kantige Admira-Stürmer auch schon drei Monate keinen Treffer mehr erzielt hatte. Außerdem waren auch Riedl die Konditions- und Effizienz-Nachteile von Ogris junior wohlbekannt. „Dem Ernst fehlt der nötige Ernst.“ Was aber kein Grund war, ihn nicht einzuberufen. Vielleicht holte er ihn auch nur, um diesen mäßig eleganten Wortwitz an den Mann zu bringen.

Dänemark - Österreich 2:1 (1:0)
Dänemark – Österreich 2:1 (1:0)

Zur Erinnerung: Acht Monate vorher hatte Riedl im Heispiel gegen Nordirland die Order ausgegeben, auf Forechecking zu verzichten, weil der Gegner zu gut dafür wäre. Nun, im Auswärtsspiel gegen die um drei Klassen besseren Dänen, lautete die Devise: Druck ausüben, Forechecking, Draufgehen.

Na eh klar lag Dänemark schon voran, da waren keine 100 Sekunden gespielt: Einwurf Larsen, Streiter verliert das Kopfballduell, Pfeifenberger steht nur in der groben Nähe seines Gegenspielers und Bent Christensen schiebt locker ein. Die Naivität und die geistige Langsamkeit, mit der vor allem die österreichische Defensive agierte, konnten selbst die Dänen kaum glauben. Manndecker Kent Nielsen konnte sich nach einem Eckball, umringt von vier gebannt zusehenden ÖFB-Verteidigern, sekundenlang den Ball herrichten und sich die Ecke aussuchen. Nielsen knallte die Kugel an den rechten Pfosten.

Die defensive Feigheit, mit der Riedl sonst spielen ließ, wünschte man sich sehnlich zurück. Zwar versuchte Herzog viel und er war auch Österreichs bester Mann, aber die Dänen schossen Österreich nur deshalb nicht ähnlich ab wie die Schweden sechs Wochen vorher, weil sie recht bald vom Gas gingen.

Nicht, dass dem ÖFB-Team das viel geholfen hätte. Auch weiterhin wurde mit dem geballten Temperament einer Weinbergschnecke verteidigt, und Heimo Pfeifenberger merkte man an, dass er selbst bei Rapid nur eine Notlösung als Manndecker war – Bent Christensen, immerhin Torschützenkönig der gerade abgelaufenen Saison in Dänemark, durfte auch beim 2:0 so frei zum Kopfball kommen wie davor vermutlich die komplette Saison nicht.

Dass Ernst Ogris in seinem einzigen Länderspiel das wohl formvollendeste Tor seiner ganzen Karriere erzielte – ein eleganter Seitfallzieher kurz vor Schluss – war für ihn persönlich ein schöner Erfolg und das Ergebnis von 1:2 sieht optisch nicht so wild aus. Aber es drückt die beinahe unwirkliche Chancenlosigkeit nicht einmal im Ansatz aus. „Die einfachsten Pässe kamen nicht an“, lamentierte Riedl, „damit haben wir den Gegner stark gemacht.“

Die Dänen wurden ein Jahr später Europameister. Es steht zu vermuten, dass sie doch ein wenig mehr drauf hatten, als von österreichischen Fehlpässen zu profitieren.

„Der Gegner war in einem nicht gerade hochklassigen Spiel technisch klar besser.“

Ehe sich die sommerpäusliche Ruhe über das ÖFB-Team legte und Andi Ogris im Sommer nach einem mäßig erfolgreichen Jahr bei Espanyol zur Austria zurückkehrt, lag Österreich drei Spiele vor Schluss immerhin auf dem dritten Rang. Sah zumindest akzeptabel aus.

Die verbleibenden Spiele (Dänemark und Jugoslawien daheim, Nordirland auswärts) wollten mit Blick auf die kommende Auslosung zur WM-Quali für 1994 dennoch nicht abgeschenkt werden und zur Vorbereitung gab’s noch ein Testpiel in Portugal. Weiterhin ohne Toni Polster, dafür mit einem 24-Jährigen Manndecker vom FC Tirol, der drei Monate davor noch in der steirischen Landesliga gespielt hat. Mario Posch bekam von Riedl sogar die Zusage, spielen zu dürfen. Auch Walter Kogler von Sturm und Franz Resch von Rapid waren erstmals mit dabei.

Portugal - Österreich 1:1
Portugal – Österreich 1:1 (1:0)

Gegen die aufstrebenden Portugiesen (die davor gegen Weltmeister Deutschland 1:1 gespielt und Europameister Holland sogar besiegt hatten) strich Riedl einen Stürmer aus der Mannschaft, und der Platzwart des FC Porto strich Österreich das Abschlusstraining. Er hatte vor dessen Start das Flutlicht abgedreht und war heimgegangen. Kein Witz.

Im letzten Moment kippte Riedl, entgegen seiner Ankündigung, Posch doch noch aus dem Team und ließ statt ihm Resch debütieren. Die österreichische Deckung agierte ungewohnt konzentriert und konsequent, jedenfalls konnten sich die Portugiesen offensiv kaum in Szene setzen. Futre war einmal seine Foxterrier Artner entwischt, aber sonst war nicht viel los.

Gut, bei Österreich auch nicht. Westerthaler sah kaum einen Ball, und nach einer Stunde brachte Riedl dann doch einen zweiten Stürmer (Pfeifenberger für Feiersinger) und es war dennoch nicht mal wirklich eine Torchance, die zum 1:1-Endstand führte, sondern ein Kopfball von Walter Kogler nach einem Eckball. Im Nachlauf wankte Riedl zwischen Realismus und Delirium. „Der Gegner war in einem nicht gerade hochklassigen Spiel technisch klar besser“, sagte er, im selben Atemzug aber auch: „Wir haben 1:1 gespielt und die U-21 hat hier sogar 3:2 gewonnen. Man sollte den österreichischen Fußball nicht unterschätzen!“

Der letzte Akt

Hans Krankl (und auch Otto Baric) war schon direkt nach Landskrona von vielen als Teamchef gefordert worden. Womöglich zog Mauhart die Nacht-und-Nebel-Aktion mit Riedl durch, um nicht von den Landespräsidenten den Rapid-Trainer aufgeschwatzt zu bekommen.  Fragen nach Krankl beantwortete Mauhart pampig: „Mit Rapid weder in den Europacup zu kommen, noch Cupsieger zu werden, schafft schnell mal einer.“

Die Antwort auf die Frage, ob uns Krankls Katastrophen-Amtszeit von 2002 bis 2005 erspart geblieben wäre, wäre er schon 1990/91 krachend gescheitert, ist zumindest spannend. Genauso wie die Frage, wer 2002 Baric‘ Nachfolger geworden wäre. Man sieht: Irgendwann wurden sie’s alle.

Wohl auch, um das gespannte Verhältnis zwischen Mauhart und Krankl nicht noch nachhaltiger zu beschädigen, verlangte der ÖFB nicht einmal eine Untersuchung durch Team-Arzt Ernst Schopp, um auf Robert Pecl zu verzichten. Dieser spielte nach seiner Verletzung zwar wieder regelmäßig für Rapid, aber eine Länderspielwoche war im laut Rapid nicht zuzumuten. Der ÖFB nickte das ab.

Österreich - Dänemark 0:3
Österreich – Dänemark 0:3

So hießen die Manndecker gegen Dänemark wieder Artner und Kogler. Und Artner war es auch, der mit einem besonders starksigen und in seiner entstehen völlig sinnfreien Eigentor nach zehn Minuten die erneute Katastrophe einläutete – er rannte einem 50-Meter-Ball von Povlsen so lange nach, bis er die von Kogler abgefälschte Kugel auch wirklich mit der Schulter an Konrad vorbei ins Tor bugsieren konnte.

Ein paar Minuten danach legte Stöger in der Vorwärtsbewegung einen Ball ohne näher ersichtlichen Grund in den leeren Raum quer, Povlsen sagte zum 2:0 „danke“. Nach einer halben Stunde ließ sich Prosenik ganz besonders billig von Henrik Larsen abkochen, die Flanke verwertete ein komplett blank stehender Bent Christensen schon zum 3:0.

Die Dänen bejubelten ihre Tore nicht einmal mehr richtig, ihre Überlegenheit schien ihnen fast peinlich zu sein. „Österreich ist ein wertloses Team ohne jede internationale Klasse“, konstatierten die dänischen Medien hernach. „Für die Verteidigung ist es schwierig, wenn kein Mittelfeld vorhanden ist“, brummte Franz Resch. Und Harry Gschnaidtner, 21-jähriger Defensiv-Spieler von Stahl Linz, wird sich besonders gefreut haben, als ihn Riedl in der Halbzeit in das kaputte Team hinein debütieren ließ.

„In Zukunft spielen wir am Besten nur noch gegeneinander, international haben wir ja ohnehin keine Chance“, seufzte Mauhart mit einem Blick auf das 1:6 von Meister Austria Wien gegen Arsenal ein paar Wochen vorher. Und die eh nur 10.000 Zuseher im Praterstadion? Die skandierten abwechselnd „Wir wollen Toni“ und …

… „Riedl raus!“

Und der Teamchef gehorchte. Riedl hatte genug – er hatte weder spielerisch eine Linie, geschweige denn eine Steigerung etablieren können, noch vermochte er irgend eine Form von Aufbruchstimmung zu versprühen. Am Tag nach dem Trauerspiel, das bei weniger dänischem Mitleid auch zweistellig ausgehen hätte können, quittierte er seinen Dienst. Eine Woche später, beim 1:2 in Nordirland, saß schon Riedls Co-Trainer Didi Constantini als Interims-Teamchef auf der Bank, Ernst Happel übernahm nach der Winterpause.

Alfred Riedl arbeitete nie wieder als Trainer in Österreich.

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Der GAK marschiert weiter https://ballverliebt.eu/2011/04/12/der-gak-marschiert-weiter/ https://ballverliebt.eu/2011/04/12/der-gak-marschiert-weiter/#respond Tue, 12 Apr 2011 13:55:28 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=4538 Der GAK ist weiter auf dem Weg zurück: Mit dem 3:1 bei Austria Klagenfurt hat das Team von Peter Stöger einen weiteren großen Schritt gemacht. Was die Grazer ausnützten: Zu zögerliche Außenverteidiger und zu wenig Ertrag aus einer Überzahl im Zentrum seitens der Kärntner!

Austria Klagenfurt - GAK 1:3

Die ganze Analyse gibt’s hier, bei Regionalliga.at

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