Manndecker – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Mon, 25 Mar 2024 09:33:09 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Vor 20 Jahren: Der Kegelabend von Valencia https://ballverliebt.eu/2019/03/26/vor-20-jahren-der-kegelabend-von-valencia/ https://ballverliebt.eu/2019/03/26/vor-20-jahren-der-kegelabend-von-valencia/#respond Tue, 26 Mar 2019 08:51:40 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=15624 Vor 20 Jahren: Der Kegelabend von Valencia weiterlesen ]]> Pep Guardiola hat den Ball am Fuß und viel Raum vor sich. Raúl bietet sich an, indem er aus dem Strafraum heraus entgegen kommt, weder Manndecker Schöttel noch Libero Feiersinger erwarten den Pass. Raúl bekommt den Ball, dreht sich, legt schnell rechts auf Nebenmann Urzaiz ab und zieht wieder in den Strafraum hinein. Urzaiz gibt den Ball auf Raúl zurück, dieser steht vor Wohlfahrt, zieht ab, trifft. Das 1:0 für Spanien, fünfeinhalb Minuten sind gespielt.

Valencia, 27. März 1999, 21.50 Uhr. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

Spanien – Österreich 9:0 (5:0)

Bis auf Landskrona neun Jahre zuvor hat wohl kein anderes Spiel Österreichs immerwährenden fußballerischen Minderwertigkeits-Komplex so nachhaltig Nahrung gegeben wie der Kegelabend von Valencia, das 0:9 in Spanien. Der Abend, an dem Raúl und Co. dem ÖFB-Team die sprichwörtlichen „alle Neune“ einschenkten.

Und kaum ein anderes Zitat ist im heimischen Fußball so berühmt geworden wie Toni Pfeffers lakonischer Kommentar in der Halbzeitpause. „Na, hoch wer‘ ma’s nimmer g’winnen, des is amoi kloa“, keuchte er Andi Felber ins ORF-Mikro. Da stand es bereits 0:5.

Aber wie konnte es so weit kommen? War das 0:9 ein schmerzhafter, historischer Zufall oder eher ein sich anbahnendes Desaster, das irgendwann einfach passieren musste? Und wurden die richtigen Schlüsse daraus gezogen – oder wurde überhaupt aus der Blamage gelernt?

Hier der Versuch einer Einordnung.

Tiefergehende und kritische Analysen gibt es nur mit deiner Hilfe!

Ballverliebt braucht deine Hilfe zum Weitermachen. Wenn du Artikel wie diese von uns magst und weiter von uns lesen und hören willst, dann unterstütze uns bitte. Der Preis eines Getränks pro Monat hilft schon sehr. Mehr dazu findest du hier.

Become a Patron!

Die Vorgeschichte

Spanien hatte bei der WM enttäuscht, agierte zu verhalten und schied schon nach der Vorrunde aus. Die EM-Quali begann zudem mit einem peinlichen 2:3 in Zypern – einer Mischung aus schlampiger Defensive, kopfloser Offensive und auch ein wenig Pech. Die Blamage von Larnaca jedenfalls kostete dem angezählten Trainer Javier Clemente endgültig den Job. Sein Nachfolger José Antonio Camacho führte sich mit einem 2:1-Sieg in Israel ein.

Spanien und Österreich bei der WM 1998

Österreich war ebenso in der WM-Vorrunde ausgeschieden. Man haderte ein wenig mit der allzu vorsichtigen Spielweise, aber im Grunde war alles in Ordnung. Dass Teamchef Herbert Prohaska weitermachen würde, stand nie zur Debatte und die Verabschiedungen von Torhüter Konsel (eher freiwillig) und Goalgetter Polster (dezidiert gegen den Willen des Spielers) waren aufgrund des Alters der beiden argumentierbar. Nach seiner Rückkehr von Bremen nach Salzburg wurde auch Heimo Pfeifenberger nicht mehr berücksichtigt. Die tendenzielle Überalterung des Stammpersonals blieb vor allem in der Abwehr aber bestehen.

Nach der WM rang man in einem Freundschaftsspiel Weltmeister Frankreich ein 2:2 ab, in die EM-Quali startete man mit einem 1:1 in einer Regen-Lotterie gegen Israel. Es folgten ein solides 3:0 über das Team aus Zypern, welches man nach deren Überraschung gegen Spanien ernst nahm und ein 4:1 in San Marino. Man war im Plansoll.

Zypern hatte neben dem Spanien-Sieg noch die beiden Pflichterfolge über San Marino auf dem Konto, führte daher vor jenem 27. März 1999 die Gruppe an. Der Gruppensieger fuhr fix zur EM in Belgien und Holland, der beste der neun Gruppenzweiten ebenso; die restlichen acht Zweiten spielen im Playoff um vier weitere EM-Startplätze.

Im erwarteten Zweikampf zwischen Spanien und Österreich ging das ÖFB-Team also mit einem kleinen Vorteil ins Spiel im Mestalla von Valencia. Allgemeiner Tenor: Ein Punkt wäre schön, würde die Chance auf den Gruppensieg intakt halten und auf jeden Fall ein Bonus im Rennen um den besten Zweiten sein. Eine Niederlage wäre aber auch kein Drama. Man hat ja immer noch das Heimspiel gegen Spanien und zumindest Platz zwei wird’s schon werden.

Herbert Prohaska bot zudem eine Wette um seinen Bart an: Wenn Österreich in Spanien zumindest einen Punkt holt, kommt sein Markenzeichen weg. Der Schnurrbart blieb noch sieben Jahre dran.

Personal und Taktik

Didi Kühbauer, der bei Real Sociedad in der spanischen Liga spielte, kämpfte mit einer zähen Fußverletzung, die damals als nicht näher definierbare Knöchelblessur Rätsel aufgab und erst viel später als Riss des Syndesmosebandes diagnostiziert wurde. Ivica Vastic hatte sich beim 4:1 gegen San Marino die zweite gelbe Karte abgeholt und war gesperrt. Andi Herzog hatte Probleme mit dem Knie, bekam erst am Tag vor dem Match grünes Licht für einen Einsatz. Ohne personelle Sorgen war Prohaska also nicht.

Spanien – Österreich 9:0 (5:0)

Im Vorfeld wurden vor allem die spanischen Flügelspieler thematisiert. Den jungen Joseba Etxeberria (Bilbao) rechts und den routinierten Luis Enrique (Barcelona) links gelte es zu neutralisieren. Daran änderte sich auch nichts, als sich Luis Enrique im letzten Liga-Spiel vor dem Ländermatch verletzte und durch Fran von Deportivo La Coruña ersetzt wurde.

Daher entschied sich Prohaska dafür, die Außenbahnen jeweils doppelt zu besetzen – rechts mit Neukirchner gegen Fran und Cerny in der offensiveren Rolle, um Außenverteidiger Sergi zu binden. Links mit Wetl gegen Etxeberria und dessen Hintermann Salgado sowie mit Prosenik, der eher im Halbfeld agierte und Wetl defensiv helfen sollte.

Im Zentrum verlieb Roman Mählich, der die defensive Arbeit für Spielmacher Andi Herzog zu erledigen hatte. Als Solo-Spitze entschied sich Prohaska für den schnellen Mario Haas. Die Abwehr war ohnehin klar: Torhüter Wohlfahrt, Libero Feiersinger und die Manndecker Pfeffer (gegen den bulligen Urzaiz) und Schöttel (gegen den wendigen Raúl).

Man sieht schon: Sieben der zehn Feldspieler Österreichs waren in manndeckender Mission aufgestellt, das Zentrum wurde de facto abgeschenkt. Offenbar erwartete man von Guardiola und Valerón keine entscheidenden Aktionen – den Flügeln galt der volle Fokus.

Was für eine fatale Fehleinschätzung.

Spanischer Spielplatz in der Spielfeldmitte

Bei Spanien hatte Javier Clemente den Libero schon einige Jahre zuvor entsorgt, nach der WM 1994 nämlich. Schon bei der EM 1996 agierte man mit der Viererkette, wie auch 1998 mit Hierro als Sechser davor. Camacho sah dann aber das Potenzial mit Guardiola und Valerón im Zentrum.

Guardiola war zwar auch ein Sechser, aber kein Zweikämpfer und Ballgewinner, sondern ein Taktgeber und Ballverteiler. Einer, der Räume sieht und bespielt und von hinten heraus als Quarterback das Spiel seines Teams orchestriert. Er hatte fast das komplette Jahr 1998 mit einer Wadenverletzung passen müssen, der auf Zweikampf und Direktheit gepolte Ex-Teamchef Clemente hatte mit der Spielweise Guardiolas aber ohnehin nichts anfangen können. Der spätere Trainer Guardiola aber hätte den einstigen Spieler Guardiola geliebt.

Pep und Valerón jedenfalls mussten sich innerlich über Österreichs Taktik kaputtgelacht haben. Der defensiv nicht gerade begnadete und zudem angeschlagene Herzog, dazu Mählich als Solo-Abräumer für 45 Meter Spielfeldbreite – das spanische Zentrum hatte einen Heidenspaß. Guardiola alleine kam auf 114 Ballkontakte, Valerón und der später eingewechselte Mendieta gemeinsam auf 102.

Die unbekannte Dimension „Raum“

Besonders schonungslos aufgedeckt wurden aber die Schwächen des Manndeckungs-Fußballs. Im Spiel gegen den Ball klebten Pfeffer, Schöttel, Neukirchner und auch Wetl sklavisch an ihren zugeteilten Gegenspielern. Mählich orientierte sich an Valerón.

Somit war es für die Spanier ein Kinderspiel, bizarre Löcher in die ÖFB-Formation zu reißen. Die Dimension „Raum“ kam im Denken eines österreichischen Fußballers (und eines österreichischen Fans, Journalisten, Trainers, etc.) schlicht nicht vor. Abwehrspieler hatten ihre Gegenspieler zu verfolgen, und wenn alle Stricke reißen, steht hinten noch der Libero zum ausputzen.

Das 1:0 durch Raúl: Schöttel im Rücken, Feiersinger herausgezogen, Doppelpass mit Urzaiz, alleine vorm Tor. Und bumm.

Schon beim oben beschriebenen Tor zum 1:0 in der 6. Minute wurde dies schön deutlich. Neukirchner stellte Fran an der Außenlinie, Mählich hing an Valerón. Zwischen Herzog und den beiden Manndeckern dafür: Freier Raum, wohin man auch blickt. Diesen konnten die Spanier bespielen.

Dafür brauchten sie noch nicht einmal Überzahl zu haben. Es reichte der Lockvogel-Lauf eines Spielers, um Platz zu schaffen – ohne dass Österreich einen Gedanken daran verschwendete, was mit dem Raum im frei gewordenen Rücken passiert. Wenn auch noch, wie beim Tor zur spanischen Führung, Libero Feiersinger gemeinsam mit Schöttel Raúls Lockvogel-Lauf mitmacht, spielt das dem Torschützen natürlich zusätzlich in die Hände.

Das 2:0 in Minute 17

Ganz ähnlich beim 2:0 rund zehn Minuten später. Fran zieht von außen ins Zentrum, nimmt Neukirchner mit. Valeron kreuzt vor ihm, um Mählich wie ein Magnet aus dem Zentrum zu nehmen, weil Mählich ihm natürlich nachläuft. Feiersinger orientiert sich erst zum Knäuel mit Valeron und Urzaiz, um dort Überzahl herzustellen – der Sechserraum ist völlig frei.

Weil Fran so frei ist, stürzen Feiersinger und auch Raúls Manndecker Schöttel auf Fran zu, Raúl hat in deren Rücken keinen Gegenspieler mehr. Fran spielt Raúl den Ball zu, dieser lupft ihn über den heraus stürmenden Wohlfahrt. Dass Mählich dem Ball bis zum Pfosten nachrennt und diesem dort gebannt zusieht, anstatt ihn wegzudreschen und/oder Raúl daran zu hindern, den Ball endgültig über die Linie zu drücken, passt ins patscherte Gesamtbild.

Beim 3:0 nach einer halben Stunde setzt sich Fran außen im Laufduell gegen Neukirchner durch, seine Traum-Flanke hechtet Urzaiz per Flugkopfball in die Maschen – ein kaum zu verhinderndes Traumtor. Spätestens jetzt wäre Spanien in Führung gegangen.

Fünf Minuten später kann sich Wetl gegen Etxeberria nur mit einem Foul wehren. Dummerweise war das im Strafraum, Hierro verwertet den fälligen Elfmeter zum 4:0. Quasi mit dem Halbzeitpfiff legt Raúl eine flach gespielte Flanke zentral vor den Strafraum, wo Pfeffer meterweit von Urzaiz weg steht. Dieser zieht ab und trifft zum 5:0.

Ach ja, die Flügelzange?

„Ich kann’s nur so erklären, dass wir zu weit weg waren vom Mann“, sagte Toni Pfeffer wenige Augenblicke danach im ORF-Interview, mit dem Nachsatz: „Wir müssen wirklich näher dran sein am Mann, denn sonst wird es ein schlimmes Debakel.“

Dieses Interview verrät sehr viel über die Art und Weise, wie Fußball damals gedacht wurde. Denn ja, bei den Toren zum 3:0 und zum 5:0 – ein schneller Lauf an der Außenlinie und ein Gegenstoß – war tatsächlich er selbst zu weit weg von Urzaiz. Gerade bei den ersten zwei spanischen Treffern aber war es gerade das Problem, dass die Österreicher allzu nah an den ihnen zugewiesenen Spielern klebten – und dabei zu viel freien Raum ließen. Das klassische Manndecker-Dilemma.

Andreas Felber sprach auch die Flügelzange an, auf welche Österreich die Taktik ausgerichtet hatte. Ja, wo war sie denn? Nur ein einziges der neun Tore wurde tatsächlich klassisch von den Außenbahnen vorbereitet. Dazu kommen ein Eckball, ein Elfmeter (bei dem Etxeberria gefoult wurde, ja, ein Außenspieler) – und sechs Tore, die durch das Zentrum eingeleitet wurden.

Die Andeutung von Gefährlichkeit

Etwas zynisch formuliert: Die Hauptaufgabe der vier spanischen Flügelspieler war es, den Österreichern die Illusion vorzugaukeln, dass sie wichtig wären. So nämlich banden sie immer vier der sechs nominellen Mittelfeldspieler und im Zentrum konnte sich das Quartett mit Hierro, Guardiola, Valerón und Raúl ungehindert austoben. Die nackten Zahlen: Raúl verbuchte vier Tore und drei Assists, Pep Guardiola spielte bei fünf Treffern den vorletzten Pass.

Die Außenverteidiger Sergi und Salgado hatten 54 bzw. 53 Ballkontakte, Fran links ebenfalls 53; Etxeberria und der in der Schlussphase für ihn eingewechselte Dani kamen zusammen auf 57 Ballaktionen. Man sieht: Sehr gleichmäßig verteilt. Auch die Rollenverteilung – die AV hinterlaufen die einrückenden Flügelstürmer – war schon sehr modern für diese Zeit.

Fran erzielte ein Tor (nach einer einstudierten Freistoß-Variante) und bereitete drei vor (eine Flanke, ein Eckball, ein Lochpass aus dem Sechserraum). Etxeberria zog den Elfmeter zum 4:0. Sie waren gefährlich, wann immer sie einrückten. Salgado und Sergi sorgten dafür, dass sich nur ja nicht zu viele Österreicher mit ins Zentrum bewegten.

6:0 reicht uns… oder geht’s etwa zweistellig?

Das 6:0, wieder Raúl nach Doppelpass mit Urzaiz in den Rücken von Schöttel

Gleich nach Wiederanpfiff erhöhte Raúl auf 6:0, wieder konnte er ein Zuspiel von Guardiola im Entgegenkommen zu Urzaiz weiterspielen, sich umdrehen, in den Rücken von Schöttel kommen, den Doppelpass von Urzaiz annehmen und Wohlfahrt umkurven. Eine Kopie des ersten Tores. Die österreichischen Spieler – alle stur auf Manndeckung bedacht, weil sie nichts anderes kannten – waren so unglaublich leicht zu manipulieren.

In der Folge nahmen die Spanier deutlich den Zug zum Tor heraus. Das 6:0 reichte ihnen offensichtlich. Man verlegte sich darauf, den Ball in den eigenen Reihen zu halten – die längste Ballstaffette ging über 20 Stationen.

Marcelino, Guardiola, Valerón, Guardiola, Fran, Valerón, Raúl, Guardiola, Salgado, Valerón, Guardiola, Fran, Marcelino, Urzaiz, Hierro, Valerón, Fran, Guardiola, Raúl, Sergi. Es folge ein Foul von Cerny an Sergi, man schrieb die 59. Minute.

Das Publikum in Valencia forderte schon während des Tores zum 6:0 mit lauten Stimmen „Mendieta! Mendieta!“ Der Blondschopf feierte an jenem Tag seinen 25. Geburtstag, war der Star des heimischen FC Valencia und hatte bis zu diesem Match noch kein Länderspiel absolviert. In der 71. Minute kam Mendieta dann auch rein, er ersetzte Valerón, und wenig später versenkte Raúl einen Eckball zum 7:0.

Da bekamen die Spanier, vermehrt angetrieben von Mendieta, dann doch wieder ein wenig Lust. Na, geht sich das vielleicht sogar noch zweistellig aus? In der 77. Minute landete Wetls Versuch, eine Flanke von Raúl zu klären, zum 8:0 im Netz. In der 84. Minute hatte Fran eine diebische Freude daran, eine einstudierte Freistoßvariante zum 9:0 im Tor zu versenken.

Der ÖFB-Teamchef heizte sich auf der Bank eine Tschick an, seine Spieler waren längst sturmreif geschossen. Der für Urzaiz ins Spiel gekommene Munitis narrte Kogler (der Feiersinger als Libero ersetzt hatte) und Wetl mit vier 180-Grad-Drehungen in sieben Sekunden (86.). Dann traf Dani nach einem schnellen Doppelpass mit Munitis aus zu spitz gewordenem Winkel nur das Außennetz (90.). Dann musste Wohlfahrt auch noch ein Geschoss von Mendieta parieren (93.).

Aber, nein, mit aller Macht ging Spanien nicht mehr auf das zehnte Tor. Kurz vor dem neunten hatte Hierro sich ja auch noch die gelbe Karte abgeholt. Wegen Zeitverzögerung.

Kein Witz.

Harsche Reaktionen…

Nach 94 Minuten und 18 Sekunden hatte der französische Referee Gilles Veissière ein Erbarmen und beendete das Spiel. Die große Zerfleischung in der österreichischen Medienlandschaft konnte beginnen.

Die „Krone“ reihte das 0:9 gar in eine Reihe von Tragödien wie jene der tödlich verunglückten Skifahrer Rudi Nierlich und Ulli Maier ein, während direkt daneben Andi Herzog mit den Worten „Das war eine Hinrichtung“ zitiert wurde. Deutlich weniger geschmacklos, aber nicht weniger scharf kritisierten die OÖN, dass auch am Tag nach der „Weltblamage“ weder Prohaska zurückgetreten ist, noch ÖFB-Präsident Mauhart. Dieser weigerte sich trotz des 0:9, den Teamchef zu entlassen.

Wie Mauhart stellten sich auch die Spieler demonstrativ hinter Prohaska. „Aufstellung und Konzept waren in Ordnung“, sagte Herzog. „Es wäre nicht korrekt, wenn es jetzt den Unschuldigsten trifft“, meinte Wohlfahrt. Dennoch: Zwei Tage nach dem 0:9 warf Prohaska ob des öffentlichen Drucks das Handtuch. Er wäre als Teamchef untragbar geworden, erklärte er, er habe die Fans nicht mehr auf seiner Seite und ohne deren Rückhalt kann niemand ein glaubhafter Teamchef sein.

… aber keine Grundsatzfragen

Was in Valencia aber wirklich passiert ist, war nie wirklich ein Thema. Dass das 0:9 aufgezeigt hat, dass die Spielidee mit Libero und Manndeckern dem Untergang geweiht war – wie es fast alle anderen Länder der Fußballwelt erkannten. Bei der WM 1998 hatten noch 18 der 32 Teams mit diesem System gespielt (56 Prozent), bei der WM 2000 waren es nur mehr drei von 16 (19 Prozent).

In Österreich wurde nur diskutiert, wer denn nun den Libero geben könnte, jetzt wo Wolfgang Feiersinger endgültig zu alt für internationales Niveau war. Prohaskas Nachfolger Otto Baric stellte lieber Stürmer Ivica Vastic als Abwehrchef auf, anstatt auch nur darüber nachzudenken, wie alle anderen auf Viererkette und Raumdeckung zu wechseln.

„Wir haben Anschauungsunterricht in modernem Fußball, Raumaufteilung und Technik bekommen“, gab Kapitän Herzog zwar zu Protokoll. Auf den Einfall, aus diesem Unterricht zu lernen, kam aber fast niemand.

Tiefergehende und kritische Analysen gibt es nur mit deiner Hilfe!

Ballverliebt braucht deine Hilfe zum Weitermachen. Wenn du Artikel wie diese von uns magst und weiter von uns lesen und hören willst, dann unterstütze uns bitte. Der Preis eines Getränks pro Monat hilft schon sehr. Mehr dazu findest du hier.

Become a Patron!

Nur Leo Windtner, damals noch Vize-Präsident des ÖFB und Landespräsident von Oberösterreich, brachte bei der Suche nach Prohaskas Nachfolger leise den Namen Roy Hodgson ins Spiel. Hodgson hatte von 1992 bis 1995 die Schweizer von den Vorzügen des Verzichts auf den Libero überzeugt und die Eidgenossen so zu WM 1994 und EM 1996 geführt. Nach fast drei Jahrzehnten ohne jegliche Endrunden-Teilnahme.

Aber Hodgson hatte nie eine Chance. In Österreich hatten in den Jahren zuvor zwei Trainer die Viererkette probiert. Per Brogeland beim LASK und Wolfgang Frank bei der Austria, und beide waren krachend gescheitert. An der geistigen Unbeweglichkeit der österreichischen Fußballer und deren Unwillen, sich von vermeintlich Bewährtem zu trennen. Ein halbes Jahr vor dem 0:9 Österreichs hatte sich schon Berti Vogts daran versucht, eine Viererkette im DFB-Team zu installieren. Die Spieler verweigerten ihm die Gefolgschaft nach einem holprigen 2:1 über Malta und dramatisch unzunlänglichen 45 Minuten gegen Rumänien istallierte er in der Halbzeit wieder einen Libero. Und trat kurz darauf als Bundestrainer zurück.

Wir haben’s schon immer so gemacht in Österreich. Wir sind eben nicht die Spanier oder die Italiener. um eine Viererkette zu spielen, muss man ein perfekter Fußballer sein. Wir bleiben beim Libero und bei der Manndeckung. Das kennen wir, das können wir.

Jüngere Geschichte vernebelte den Blick

Immerhin waren Salzburg 1994 und Rapid 1996 mit Libero jeweils ins Europacup-Finale eingezogen, immerhin hatte sich Österreich mit Libero als Gruppensieger für die WM 1998 qualifiziert.

Ja, eh.

Aber gerade im Nationalteam wurden die Warnzeichen wegen der guten Resultate nicht erkannt. In der Qualifikation spielte man gegen Schweden und Schottland. Zwei Raumdeckungs-Teams. Nur: Schweden besiegte man einmal eher glücklich und einmal mit Mega-Dusel. Gegen Schottland holte man einen Punkt aus zwei Spielen.

Bei der WM spielte man gegen Italien, Chile und Kamerun. Es war die letzte Gruppe in der Geschichte des internationalen Fußballs, in der alle vier Teams mit Libero aufliefen.

Und so wurde weiter eisern dem zugeteilten Gegenspieler nachgedackelt, wohin er auch rannte, und welche Räume auch immer man damit aufmachte. Otto Baric kam, holte sich sein persönliches Debakel drei Monate später beim 0:5 in Tel-Aviv ab und brachte die EM-Quali auf Gruppenplatz drei zu Ende. Dieses Debakel gegen Israel – ein Libero-Team – verstärkte den Eindruck: Es liegt nicht an der Spielweise. Die Spieler sind nur einfach nicht gut genug.

Fatale Blindheit für das Offensichtliche

Nach Landskrona, der Niederlage gegen die Färöer, war praktisch allen sofort bewusst, was los war. Das WM-Team von 1990 hatte nie die Qualität, die man ihm fälschlicherweise zugeschrieben hatte. Das Ticket wurde in einer leichten Gruppen gesichert, die starken Testspiele vor der WM waren eben nur Testspiele, und die Spieler glaubten, dass sie die Insel-Kicker arrogant aus dem Stand abschießen können würden.

In der Folge gab es danach noch weitere Lehrstunden wie das 1:9 von Ernst Happels Innsbruckern gegen Real Madrid oder das 2:6 der Austria gegen Arsenal. Österreichs Spieler waren einfach nicht besonders gut und sie ergaben sich nach Landskrona zusätzlich in Fatalismus.

Das Fatale am Kegelabend von Valencia war, dass man es nicht für das begriff, was es war: Die bittere Vorführung der Tatsache, dass das mit dem raumdenkenden Spiel und der Abkehr vom Libero eben nicht nur eine mögliche Variante von vielen ist, sondern die radikalste Revolution des Fußballspiels an sich seit den 1920er-Jahren.

Schweiz – Österreich 3:2

Es dauerte drei Jahre und fünf Monate, ehe Österreich erstmals ohne Libero antrat. Erst musste Zoran Barisic, Michael Streiter, Ivica Vastic, Günther Neukirchner, Martin Hiden und Michael Baur den Ausputzer hinter den Manndeckern spielen.

Als Hans Krankl in einem Testspiel in der Schweiz im August 2002 eine Viererkette aufstellte, war sie so heillos damit überfordert, dass Krankl in der Folge lieber doch wieder auf das alte System zurückgriff.

Baur stürmte in gewohnter Manier schon nach wenigen Minuten ungeniert in die gegnerische Hälfte. Die Außenverteidiger Wimmer und Panis standen so verschüchtert hinten und so eng am eigenen Strafraum, als wollten sie die eigenen Innenverteidiger decken. Das hatte nicht einmal Schülerliga-Niveau. Die Schweizer spielten das Jahrzehnt, das sie an Viererketten-Erfahrung Vorsprung hatten, cool aus.

Langsames Erwachen

Andererseits: Woher hätte das Wissen darüber, wie man eine Viererkette ohne Libero spielt, auch kommen sollen? Alle zehn Trainer in der Liga hatten im Frühjahr 1999 ihren Ausputzer hinter den Manndeckern. Osim, Weber, Augenthaler, Krankl, Koljanin, Jara, Verdenik und später Koncilia, Roitinger, Stöhr und Sundermann – die Herkunft der Bundesliga-Coaches zu diesem Zeitpunkt sind genau jene Regionen, die am längsten am Libero festgehalten haben. Österreich, Deutschland und der Balkan.

Und auch die Legionäre im ÖFB-Team spielten überwiegend im klassischen Libero-Land Deutschland. Kühbauer, der in Spanien unter dem deutschen Viererketten-Pionier Bernd Krauss trainierte, war die einzige echte Ausnahme.

Erst mit Walter Schachner, der 2001 mit einer Viererkette (übrigens mit dem ganz jungen Emanuel Pogatetz) beim FC Kärnten in die Bundesliga aufstieg und Cupsieger wurde, kamen auch andere Teams auf den Geschmack. Als Krankl im August 2002 sein Experiment gegen die Schweiz startete, spielten die Austria (eben mit Schachner) und Salzburg (mit dem Dänen Lars Söndergaard) mit einem 4-4-2. Immerhin zwei Teams.

Zwei.

Der letzte Trainer, der sich in Österreichs Bundesliga vom Libero verabschiedet hat, war Franz Lederer. Dieser ließ Mattersburg noch 2006 mit den Manndeckern Patocka und Ratajczyk vor Libero Mravac im Cupfinale spielen.

Der perfekte Sturm

Beim Spiel in Valencia ist alles zusammen gekommen. Eine veraltete Spielweise, die gegen das moderne Raum-Spiel eklatante Nachteile hatte. Eine Häufung von Österreichern, die auch davon abgesehen einen schlechten Tag hatten. Eine komplette Fehlleistung im Scouting des Gegners und die Unfähigkeit, den Fehler zu sehen und zu korrigieren. Ein Kontrahent, der dringend ein Ergebnis brauchte, der nicht nach dem 3:0 völlig abstellte und bei dem auch annähernd jeder Schuss ein Treffer war.

Das 0:9 war der perfekte Sturm.

Der eigentliche Wahnsinn aber ist, dass man – vom Trainerwechsel abgesehen – völlig zur Tagesordnung übergegangen ist und NICHTS in Frage gestellt hat. Und zwar noch viele Jahre nicht.

Tiefergehende und kritische Analysen gibt es nur mit deiner Hilfe!

Ballverliebt braucht deine Hilfe zum Weitermachen. Wenn du Artikel wie diese von uns magst und weiter von uns lesen und hören willst, dann unterstütze uns bitte. Der Preis eines Getränks pro Monat hilft schon sehr. Mehr dazu findest du hier.

Become a Patron!

]]>
https://ballverliebt.eu/2019/03/26/vor-20-jahren-der-kegelabend-von-valencia/feed/ 0
Featurette: Das Problem von Libero und zwei Manndeckern gegen ein 4-3-3 https://ballverliebt.eu/2012/05/02/featurette-das-problem-von-libero-und-zwei-manndeckern-gegen-ein-4-3-3/ https://ballverliebt.eu/2012/05/02/featurette-das-problem-von-libero-und-zwei-manndeckern-gegen-ein-4-3-3/#comments Wed, 02 May 2012 09:08:46 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7115 Featurette: Das Problem von Libero und zwei Manndeckern gegen ein 4-3-3 weiterlesen ]]> Taktisches Positionsspiel ist in unteren Klassen nicht relevant? Stimmt nicht! Hier ein konkretes Beispiel, wie man als vom Potential her gleichwertige Mannschaft einen Gegner mit einer Dreierabwehr (in diesem Fall mit Libero und zwei Manndeckern) ausmanövriert.

Man beachte das Positionsspiel von Dionysen-Rechtsaußen Claudia Hammerschmied.

3-5-2 mit Libero gegen ein 4-3-3 mit zwei Flügelstürmern – so die systematische Ausgangsposition zwischen Dionysen Traun, dem 5. der zweiten Frauen-Liga West, und Taufkirchen, dem 4., im Halbfinale des OÖ-Landescups.

Der entscheidende Faktor war in dieser Partie die Raumaufteilung der drei Stürmer von Dionysen und dabei vor allem das Positionsspiel von Dionysen-Rechtsaußen Claudia Hammerschmied. Weil Taufkirchen gegen ein Team mit nur einer zentralen Stürmerin auf Libero und Manndeckung setzte, war eine im Defensiv-Zentrum zu viel – der zweite Manndecker.

Weil Vanessa Danninger keinen direkten Gegenspieler hatte, hing sie völlig in der Luft und wusste nicht so recht, was sie nun tun sollte. Blieb sie in ihrer Position im Halbfeld und ließ Hammerschmied auf der Außenbahn gewähren (während Taufkirchens linker Flügel von Dionysen-RV Rammer beschäftigt wurde), konnte diese ungehindert durchgehen. Ließ sich Danninger aus der Position ziehen – also entweder auf die Außenbahn oder Richtung Mittellinie – entstanden Kanäle, die die aufrückenden Majovski und Kern bearbeiten konnten.

Taufkirchen-Trainer Hofer nahm zur Pause beide Manndecker vom Feld, stellte auf ein 4-4-2 um (im Abwehrzentrum mit Libero und einem neuen Manndecker), aber seine Mannschaft war da schon längst unaufholbar 0:3 im Rückstand. In der zweiten Hälfte machte Taufkirchen zwar mit jeweils zwei Spielerinnen auf den Flügeln die Außenbahnen zu und stand im Zentrum auch kompakter, aber das Spiel war im Grunde schon tot. Durch Tore in der Schlussphase hieß es am Ende 1:5.

Was zeigt: Mit einem überzähligen Spieler in einer Dreier-Abwehr gegen nur einen zentralen Stürmer hat man automatisch einen zu viel hinten, der dann im Mittelfeld oder auf den Außenbahnen fehlt. Vor allem ein Manndecker, der ohne Gegenspieler ohne Aufgabe im leeren Raum hängt, kann zu einem größeren Problem werden als man zunächst annimmt – was dieses Spiel auch für das nicht-professionelle Level beweist. Das in der Tabelle leicht besser platzierte Team aus Taufkirchen hatte gegen Dionysens System-Vorteil nicht den Hauch einer Chance.

(phe)

]]>
https://ballverliebt.eu/2012/05/02/featurette-das-problem-von-libero-und-zwei-manndeckern-gegen-ein-4-3-3/feed/ 1
Ballverliebt Classics: Als Europa zur Ottokratie wurde https://ballverliebt.eu/2011/12/23/ballverliebt-classics-als-europa-zur-ottokratie-wurde/ https://ballverliebt.eu/2011/12/23/ballverliebt-classics-als-europa-zur-ottokratie-wurde/#comments Fri, 23 Dec 2011 08:01:09 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=6142 Ballverliebt Classics: Als Europa zur Ottokratie wurde weiterlesen ]]> „Otto…!“ Noch heute bekommen Griechen, ganz gleich ob Fußball-Fan oder nicht, leuchtende Augen und ein breites Lächeln im Gesicht, wenn der Name „Rehhagel“ fällt. Der knorrige Deutsche hatte 2001 das seit jeher national und international absolut bedeutungslose Team der Hellenen übernommen. In nur drei Jahren machte er daraus den Europameister – eine der größten Sensationen der Fußball-Geschichte. „Bevor ich kam“, erklärte der schon während der EM 2004 ‚Rehhakles‘ Genannte, „hat jeder gemacht, was er will. Jetzt macht jeder, was er kann!“

Dabei sprach Rehhagel kein Wort Griechisch – dafür holte er sich Jannis Topalidis. Der Deutsch-Grieche aus Stuttgart wurde mehr als nur Ottos Co-Trainer: Er war Dolmetscher, Vertrauter und auch sein Sprachrohr. Zwar ging sein erstes Spiel als Teamchef mit einem 1:5 in Finnland verloren, aber der belächelte Rehhagel machte bald ernst. Er verbannte Vereinsfunktionäre und Spielerberater aus dem Umfeld der Nationalmannschaft und machte die Ansammlung von Spielern aus drei gegnerischen Lagern – Olympiakos, Panathinaikos und AEK – ein Team. Ja, mehr noch, eine Familie. Eine Gemeinschaft.

Und doch schien in der Qualifikation zur Euro2004 in Portugal alles den gewohnten Gang zu nehmen: Zwei Niederlagen zum Start, daheim gegen Spanien und in der Ukraine. Doch die Maßnahmen Rehhagels begannen zu greifen, und in den restlichen sechs Quali-Spielen gab’s kein einziges Gegentor mehr, dafür nur noch Siege. Wie das 1:0 in Saragossa gegen Spanien. Und das 1:0 am letzten Spieltag gegen Nordirland, das die direkte Qualifikation sicherte und die Spanier ins Playoff schickte.

Die Griechen wurden in die Gruppe mit Veranstalter Portugal gelost; zu den Spaniern, die trotz des Umwegs als klar besser als die Hellenen galten; dazu kamen noch die Russen. Alleine die Tatsache, dass die Griechen dabei waren – erst zum dritten Mal hatte man es bei einem großen Turnier geschafft – wurde Rehhagel als Riesenerfolg angerechnet. Nur die Mega-Außenseiter aus Lettland, die sich überraschend qualifiziert hatten, sahen die Buchmacher noch chancenloser als die Griechen. Mehr als der dritte Gruppenplatz bei einem möglichen Sieg gegen die Russen im letzten Spiel wurde als pure Träumerei betrachtet.

Das Eröffnungsspiel

Griechenland - Portugal 2:1 (1:0)

Und vielleicht wäre ja alles ganz so gekommen, wenn nicht Paulo Ferreira in der allerersten Partie des Turniers nach sechs Minuten den Ball in der Vorwärtsbewegung in die Beine von Giorgios Karagounis gespielt hätte. Und sich Fernando Couto nicht so vornehm zurück gehalten und den Richtung Strafraum ziehenden Griechen gestellt hätte. So aber zog Karagounis ab und traf aus 20 Metern zum 1:0 für Griechenland. Es war der endgültige Startschuss zu diesem hellenischen Sommermärchen.

Denn die Führung und die Tatsache, dass der ganze Druck nun umso mehr auf den Portugiesen lastete, spielte dem Außenseiter in die Hände. Bei dem die Aufteilung in der Abwehr so aussah, dass Michalis Kapsis der portugiesischen Solo-Spitze Pauleta überall hin nachlief und Traianos Dellas, Rehhagels knapp zwei Meter großer „Koloss von Rhodos“, als Libero die restliche Abwehr organisierte.

Vor der Viererkette bauten die Griechen einen weiteren Wall aus drei defensiven Mittelfeldspielern auf. Basinas war dabei ein beinahe klassischer Vorstopper, dessen Hauptaufgabe darin bestand, Rui Costa aus dem Spiel zu nehmen. Assisiert wurde er von Zagorakis rechts und Karagounis links. Dieses Trio stellte die Mitte komplett zu, sodass Rui Costa unsichtbar wurde und die Mitte als Weg für die Portugiesen dicht.

Portugal auf die Außen gedrängt

Somit blieb dem Gastgeber nur der Weg über die Außen, aber Figo und Simão hatten es dort immer mit zumindest zwei Gegenspielern zu tun, weil die Dreierkette vor der Abwehr so verschob, dass Zagorakis bzw. Karagounis immer helfen konnten und somit immer eine Überzahl auch auf den Flanken gegeben war. Um die Außenverteidiger der Portugiesen kümmerten sich mit Charisteas und Giannakopoulos die beiden Außenspieler im griechischen Fünfer-Mittelfeld.

Der Weg in den Strafraum war den Portugiesen damit komplett versperrt, Pauleta sah kaum einen Ball. So konnten es sich Seitaridis und Fyssas auch immer wieder erlauben, nach vorne aufzurücken. Das Problem, dass im portugiesischen Rückraum mit Maniche und Costinha zwei Sechser ohne Gegenspieler dastanden und so theoretisch das Spiel von hinten lenken konnten, begegneten die Griechen mit durchaus sehenswertem Pressing.

Portugals Teamchef Scolari kratzte für die zweite Hälfte nur an Symptomen, aber nicht am System. Zwar machten Cristiano Ronaldo (statt Simão) und Deco (statt Rui Costa) einen deutlich agileren Eindruck als ihre Vorgänger vor der Pause, aber die Griechen mussten ihrerseits nichts umstellen. Und nachdem der damals 19-jährige Cristiano Ronaldo in seiner ersten Defensivaktion im eigenen Strafraum den aufgerückten Seitaridis umrannte, gab’s Elfmeter und Basinas verwertete diesen unhaltbar zum 2:0.

Schlussphase im Eröffnungsspiel

Zweiter Stürmer, zweiter Manndecker

Dann erst entschloss sich Scolari, mit Nuno Gomes (statt Costinha) einen zweiten Stürmer einzuwechseln. Rehhagel ließ sich nicht darauf ein, hinten Dellas mit Manndeckung zu betrauen, sondern beorderte stattdessen Katsouranis (der zur Pause für den gelb-rot-gefährdeten Karagounis gekommen war) nach hinten, um sich des zweiten Stürmers anzunehmen. Fyssas blieb auf der Außenbahn und kümmerte sich nun praktisch alleine um diese.

Mit den aktiven neuen Spielern entwickelte das Spiel der Potugiesen einen fast schon dramatischen Linksdrall, Figo wurde überhaupt nicht mehr eingebunden, wie generell es Deco und Co. verabsäumten, die auch bei den Griechen nun unterbesetzte Seite zu bespielen. So lief sich Portugal immer wieder fest, die Abstimmung vor allem zwischen Cristiano Ronaldo und Pauleta passte überhaupt nicht, bei beiden Stürmer kamen mit der Manndeckung nicht zurecht und Dellas, ohne direkten Gegenspieler, klärte immer wieder. Das 2:1 durch Ronaldo in der Nachspielzeit (nach einer Ecke von Figo) fiel viel zu spät, die Griechen hatten die Sensation trocken nach Hause verteidigt.

Glück gegen Spanien

Griechenland - Spanien 1:1 (0:1)

Weil im zweiten Spiel die Spanier, die am Eröffnungstag die Russen mit viel Mühe 1:0 besiegt hatten, von Anfang an mit zwei Stürmern antraten, opferte Rehhagel Basinas und ließ mit Katsouranis gleich einen zweiten Manndecker auflaufen. Er kümmerte sich um Raúl, der etwas aus der Tiefe kam und somit auch seinen Gegenspieler oftmals aus der Abwehr herauszog.

Das fehlen von Basinas im Mittelfeld ließ aus der Dreierkette gegen Portugal gegen das 4-4-2 der Spanier (das eigentlich mehr ein 4-2-2-1-1 war) noch Zagorakis und Karagounis übrig. Das war aber kein Problem, weil es im Zentrum bei den Spaniern ohnehin keinen wirklich kreativen Spieler gab und somit auch keiner bewacht werden musste. So verlegte sich Zagorakis darauf, aus der Tiefe das Spiel zu lenken und Karagounis rückte immer wieder auf und presste auf Baraja und Albelda.

Die Spanier, bei denen Etxeberria von Fyssas komplett abgemeldet wurde, kamen nur über die linke Seite mit Raúl Bravo und Vicente nach vorne. Morientes und Raúl waren aber gut abgedeckt und so gab es den ersten Torschuss erst nach einer halben Stunde: Kapsis verlor den Ball leichtsinnig und Morientes nützte die plötzliche Unordnung zum 1:0 für Spanien.

Neue Situation: Man ist hinten

Das war eine komfortable Situation für die Spanier, die nun nicht mehr zwingend gegen die ungewohnte Manndeckung anrennen mussten, sondern sich ein wenig zurücklehnen konnten. Bei den Griechen wurde vor allem das Spiel über die Außenbahnen vernachlässigt. Charisteas und Giannakopoulos, die nominell über die Flanken kamen, spielten sehr weit innen und die Außenverteidigier sahen sich somit, anders als noch gegen Portugal, mit einer 1-gegen-2-Unterzahl konfrontiert.

Umso mehr, als Spaniens Teamchef Iñaki Saez nach der Pause für den unsichtbaren Etxeberria auch noch Joaquín einwechselte. Dieser machte sofort viel Wirbel und narrte Fyssas nach Belieben. Die Spanier hatten alles sicher im Griff und das zweite Tor schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein, zumal Saez nach einer Stunde auch das Mittelfeld stärkte, indem er statt Spitze Morientes nun Zehner Valerón ins Spiel brachte.

Rehhagel versuchte seinerseits, mit Vassilis Zartas mit einen offensiveren Mittelfeldspieler (statt Karagounis) mehr Akzente nach vorne setzen zu können. Der neue Mann orientierte sich deutlich höher und spielte mit den Flügelspielern (Charisteas und Vryzas, nachdem Mittelstürmer Nikolaidis für den angeschlagenen Giannakopoulos eingewechselt worden war). Zartas bereitete auch gleich den Ausgleich vor, auch wenn dieser mit den Umstellungen nichts zu tun hatte, sehr viel aber mit einer Unzulänglichkeit des spanischen Innenverteidigers Helguera: Der Mann von Real Madrid berechnete einen 50-Meter-Pass von Zartas auf Charisteas völlig falsch, sprang unter dem Ball durch und Charisteas schoss aus dem nichts das 1:1.

Da bei den Spaniern nun nur noch eine Spitze übrig war (Raúl) und Valerón auf die Zehn ging, wechselten Kapsis und Katsouranis ihre Gegenspieler – Kapsis blieb hinten und rannte Raúl nach, während Katsouranis ins Mittelfeld zu Zagorakis aufrückte und dort Valerón das Leben schwer machte. Die Folge war ein ähnliches Spiel wie gegen Portugal: Durch die Mitte kam Spanien nicht durch, so musste es über die Flügel gehen. Und her machte Joaquín seinen Gegner Fyssas so sehr zu schaffen, dass Rehhagel ihn noch vor Spielende durch Venetidis ersetzen musste.

Doch trotz der drückenden Dominanz über die rechte Seite scheiterte Spanien zum einen am wieder hervorragend spielenden Nikopolidis und an der Tatsache, dass man sich in der Mitte gegen die Überzahl, welche die Griechen durch den Einsatz eines Liberos erhielten, nicht entscheidend durchsetzen konnte. So führte Rehhagels Team die Gruppe vorm letzten Spiel mit vier Zählern an, punktgleich mit Spanien, dahinter Portugal mit drei Punkten und Russland mit zwei Niederlagen.

Nach Rückstand das Spiel machen? Funktioniert nicht!

Griechenland - Russland 1:2 (1:2)

Das Turnier der Russen stand unter keinem guten Stern. Erst fiel Teamchef Georgi Jartsev mit Onopko und Ignashevitch die komplette Innenverteidigung aus, dann flog im zweiten Spiel gegen Portugal auch noch Torhüter Ovtchinnikov zu Unrecht vom Platz – so war das Aus der Sbornaja eben schon vorm letzten Gruppenspiel in Faro an der Algarve besiegelt.

Dennoch gaben sie Vollgas und brachten durch das 1:0 von Kirichenko schon in der 2. Minute die Griechen dazu, einem Rückstand hinterher laufen zu müssen. Was in diesem Fall tatsächlich so war, denn ob der Situation in der Gruppe konnte sich Griechenland alles andere als sicher sein, dass es auch mit einer Niederlage für das Viertelfinale reicht. Mit einem 0:1 standen die Chancen noch recht gut, aber als nach einer Viertelstunde aus einem Eckball das 0:2 durch Bulykin fiel, wurde der Faden dünner. So lange Portugal in deren Must-Win-Spiel gegen Spanien nicht führt, reichte das zwar noch. Aber darauf vertrauen, dass das so bleibt, durfte man natürlich nicht.

Hatten die Griechen mit ihrer Spielanlage zuvor noch davon profitiert, dass der Gegner aktiv war und man selbst reagieren konnte, war man nun gezwungen, gegen eine sich zurückziehende Mannschaft, die nach Ballgewinn schnell kontert – vor allem Gusev machte der linken Seite der Griechen enorme Probleme – das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen. Das funktionierte nicht: Basinas und Zagorakis hatten acht russische Feldspieler zwischen sich und dem Tor, aber kaum mehr als drei eigene Mitspieler. Hinzu kam, dass Seitaridis auf der rechten Seite alleine für Breite sorgen sollte (gegen zwei Russen) und schlicht das Tempo und die Ideen nach vorne fehlten.

Anschlusstor – reicht das?

Deshalb brachte Rehhagel schon vor der Pause den kreativeren Zartas statt des tief agierenden Basinas. Schon in seiner ersten Aktion holte Zartas einen Eckball heraus, aus dem der Anschlusstreffer fiel – Zisis Vryzas konnte Malafejev überwinden. Damit waren die Griechen zur Pause erst einmal auf der sicheren Seite: Eine Niederlage, die nicht höher ausfällt als eine der Spanier, reicht – sofern die Iberer dabei nicht zwei Tore mehr erzielen. Das hieß zur Halbzeit: Das 1:2 reicht nur dann nicht, wenn Spanien gleichzeitig 3:4 oder 4:5 gegen Portugal verliert. Was bei einem Pausenstand von 0:0 im Parallelspiel mehr als unrealistisch erschien. Und als die Portugiesen nach rund einer Stunde in Führung gingen, hieß das für Griechenland: Bleibt’s beim eigenen 1:2, reicht das. Ein drittes Gegentor darf aber nicht mehr fallen.

Nach dem Seitenwechsel blieb Zartas aber unauffällig, auch weil die Russen – bei denen Alentichev deutlich in seinem Aktionsradius eingeschränkt worden war – die Mitte gut zumachten und die Griechen somit gezwungen waren, ihre Angriffe über die Flügel aufzubauen. Das machte vor allem der extrem aktive Seitaridis gut, er drückte Jevsejev und Semshov (war für Karjaka gekommen) nach hinten und sorgte so dafür, dass Kirichenko vorne in der Luft hing. Auf der anderen Seite bekam Gusev nun Unterstützung von Dmitri Sychov (war für Bulykin gekommen), sodass Venetidis immer deutlich mehr Defensivarbeit verrichten musste als Seitaridis. Das Spiel der Griechen nach vorne war damit sehr eindimensional – alles über Seitaridis – und harmlos.

Die Russen versuchten schon relativ früh, das Tempo aus dem eigenen Spiel nach vorne herauszunehmen. Sie hatten erkannt, dass dem Gegner nichts einfällt, wollten den Griechen gar nicht erst die Gelegenheit geben, zu schnellen Gegenstößen zu kommen. Außerdem führten sie ja und konnten selbst mit dem Sieg den letzten Gruppenplatz nicht mehr verlassen. Wozu also das Risiko eingehen, den Griechen ins offene Messer zu laufen.

Diesen war aber, je länger es dem Ende entgegen ging, auch immer mehr klar: Diese knappe Niederlage reicht, also war es ihnen wichtiger, kein Tor mehr zu kassieren, als mit aller Kraft – die, man hatte es ja gesehen, äußerst schwach übersetzt war – auf den Ausgleich zu gehen. So gab es in der letzten halben Stunde nur noch eine nennenswerte Chance (für die Russen). Beide Teams waren mit dem Resultat einverstanden. Die Griechen waren als Gruppenzweiter weiter, Spanien nach dem 0:1 gegen Portugal im Parallelspiel raus.

Großer Erkenntnisgewinn

Das 1:2 hat außerhalb der beiden Länder kaum jemand gesehen – alles hatte sich natürlich auf die Parallel-Partie konzentriert – brachte aber für Otto Rehhagel ganz entscheidende Erkenntnisse. Selbst gegen die eher limitierten Russen – die Mannschaft war mit jener, die vier Jahre später unter Guus Hiddink so überzeugend ins Halbfinale marschiert war, nicht einmal im Ansatz zu vergleichen – war es den Griechen nicht möglich, mit eigenen Mitteln das Spiel zu machen. Das hieß im Viertelfinale gegen Frankreich umso mehr: Seine Mannschaft darf unter gar keinen Umständen in Rückstand geraten, will sie eine Chance haben. Was gegen Russland nicht geht, wird gegen den Titelverteidiger, auch wenn der keine überzeugende Vorrunde absolviert hatte, erst recht nicht klappen.

Griechenland - Frankreich 1:0 (0:0)

So stellte Rehhagel für das Spiel gegen Frankreich auch um. Seine größte Sorge galt dabei natürlich dem genialen Zinedine Zidane und dem flinken Thierry Henry. Dem Arsenal-Stürmer, der in der Premier-League-Saison vor dem Turnier 30 Tore erzielt hatte, stellte er nicht Katsouranis auf die Füße, sondern opferte Rechtsverteidiger Seitaridis, der in den Gruppenspielen so stark auf der Außenbahn agiert hatte. Der Plan dahinter war klar: Der schnelle Seitaridis hatte gegenüber Katsouranis klare Tempo-Vorteile. Die erachtete Rehhagel als wichtiger als die Vorstöße auf der rechten Flanke.

Bei Zidane kam Rehhagel entgegen, dass der französische Teamchef Jacques Santini seinen Kapitän und Superstar nicht auf der Zehn spielen ließ, sondern auf der rechten Seite in einem 4-2-2-2. Das erlaubte es Rehhagel, dem Star von Real Madrid gleich von drei Leuten umzingeln zu lassen: Linksverteidiger Fyssas, dazu den ins linke Halbfeld geschobenen Katsouranis.

Und Giorgios Karagounis. Der rückte statt eines Linksaußen (in der Vorrunde Giannakopoulos bzw. Papadopoulos) auf diese Position und lief Zidane, sofern sich dieser auf dieser Seite aufhielt, praktisch überallhin nach.

Das Fehlen von Seitaridis auf der anderen Seite glich Rehhagel aus, indem er Kapitän Zagorakis auf die Außenbahn stellte, um dort Pirès das Leben schwer zu machen; falls nötig unterstützt von Basinas und Charisteas. Was im Umkehrschluss hieß: Rehhagel hatte noch anderthalb dezidiert offensive Spieler auf dem Feld – Sturmspitze Nikolaidis, der nach drei Kurzeinsätzen nun erstmals im Turnier von Beginn an spielen durfte, und eben Charisteas.

Extrem statisches Spiel

Der Plan war damit deutlich defensiver als in den Gruppenspielen angelegt: Dem Gegner die Spielgestaltung rauben, die Angreifer somit gleich doppelt aus der Partie zu nehmen – zum einen durch strenge Manndeckung, zum anderen eben durch das Abschneiden vom Nachschub aus dem Mittelfeld. Es dauerte nicht lange, ehe Zidane – der seine Verfolger auch durch frühes Einrücken nicht abschütteln konnte – mit Pirès die Seiten tauschte. Aber auch das half nichts, weil der extrem giftige Zagorakis ein mindestens genauso unangenehmer Gegenspieler war. Wenn nicht sogar noch unangenehmer.

So wurde das Spiel extrem statisch: Den Franzosen wurde auf den Flanken und in der Spitze jede Luft zum atmen genommen und die Griechen hatten überhaupt nie die Absicht, und auch nicht das Personal, selbst etwas nach vorne zu machen. So blieb den recht hilflos im Raum stehenden Makélélé und Dacourt (der den angeschlagenen Vieira nicht einmal ansatzweise ersetzen konnte) nur die Option „lang und weit“, aber mit vier eigenen Offensivspielern gegen acht bis neun Griechen konnte das nicht gut gehen. So kamen auch keinerlei Impulse.

Eine zentrale Stärke der Griechen: Keine billigen Freistöße!

Eine ganz große Stärke der Mannschaft aus Griechenland war es bei diesem Turnier aber nicht nur, aus dem Spiel heraus wenig bis gar nichts zuzulassen – sondern, mindestens ebenso wichtig, keine billigen Freistöße in der Nähe des Strafraums zu erlauben. Bei aller Härte im Spiel gegen den Mann und aller Konsequenz im verhindern des gegnerischen Spielaufbaus verstanden es vor allem Zagorakis und Basinas, die hauptsächlich für diesen Raum zuständig waren, sich taktisch so diszipliniert zu verhalten, dass es praktisch keine Fouls in gefährlichen Lagen gab und so etwa in diesem Spiel Zidane und Henry nie die Gelegenheit hatten, mal einen Freistoß Richtung Tor zu zirkeln.

Mit der Konzentration von Zagorakis auf die Defensive war zwar die rechte Seite offensiv relativ begrenzt, was aber nicht heißt, dass der Kapitän nicht durchaus auch mal den Vorwärtsgang einlegte und schnell umschaltete, wenn sich die Gelegenheit ergab. So wie etwa in der 65. Minute, als er Lizarazu sehenswert aussteigen ließ, eine Flanke zur Mitte brachte und dort Charisteas völlig frei zum 1:0 einköpfeln konnte – weder Thuram noch Gallas fühlten sich für den Reservisten von Werder Bremen zuständig.

Zu späte Umstellung von Santini

Die ganze Problematik dieser lustlosen und satt wirkenden französischen Mannschaft manifestierte sich im Gesichtsausdruck von Teamchef Santini, der wie eine Mischung aus Hilflosigkeit und Trägheit wirkte. Es war kein Feuer erkennbar, kein Teamgeist, kein echter Plan. Wenn die Franzosen in die Nähe des griechischen Tores kamen, dann lange nur über Einzelaktionen – ein Vorstoß von Bixente Lizarazu, ein Lauf aus der Tiefe von Henry. Aber mehr Druck konnte erst aufgebaut werden, als Santini viel zu spät die völlig überflüssige Doppelsechs auflöste.

Mit Wiltord (statt den überforderten Dacourt) auf der rechten Seite und Zidane zentral konnte das Geflecht der Griechen etwas entzerrt werden, dazu bewegte sich Louis Saha (statt des von Kapsis komplett abmontierten Trezeguet) deutlich mehr und deutlich besser als sein Vorgänger. So gelang es den auch immer müder werdenden Griechen kaum noch, sich nachhaltig zu befreien. Bestes Beispiel dafür war Libero Traianos Dellas: Der 1.97m-Riese zeigte sich als reiner Holzhacker, als totaler Zerstörer unfähig zur Spieleröffnung. Er holzte die Bälle nur noch so weit wie möglich weg, nicht selten auf die Tribüne. Aber man hielt den Franzosen stand und hatte sensationell das Halbfinale erreicht.

Das beste Team des Turniers

Dort wartete aber mit den Tschechen das zweifellos beste Team des Turniers. Die große Stärke der Mannschaft von Karel Brückner war die enorme Vielseitigkeit: Da war der schnelle Milan Baroš, der schon fünf Turniertore auf dem Konto hatte. Neben ihm Jan Koller, ein Baum von einem Kerl. Und dahinter mit Pavel Nedvěd, Tomáš Rosický und Karel Poborský drei der besten offensiven Mittelfeldspieler Europas – abgesichert vom extrem verlässlichen Tomáš Galásek. Das war eine andere Hausnummer als die lustlosen Franzosen.

Griechenland - Tschechien 1:0 n.V.

Rehhagel stellte Rechtsverteidiger Seitaridis auch diesmal als Manndecker auf, er sollte den in Überform agierenden Baroš neutralisieren. Die Bewachung von Jan Koller wurde indes aufgeteilt: Aus dem laufenden Spiel heraus war Michalis Kapsis der Bewacher des Zwei-Meter-Riesen von Borussia Dortmund, im Strafraum und bei Standard-Situationen übernahm jedoch Dellas. Ganz einfach deshalb, weil der selbst annähernd zwei Meter groß war.

Auch das Mittelfeld-Trio der Tschechen wurde manngedeckt: Katsouranis kümmerte sich um Nedvěd, Fyssas degradierte Poborský zur Wirkungslosigkeit und Zagorakis wich nie weit von Rosickýs Seite. Doch mit dem hohen Tempo und vor allem der hohen Variabilität der tschechischen Offensiv-Kräfte kamen die Griechen zu Beginn kaum mit. Koller und Baroš ließen sich oft weit fallen und kamen aus der Tiefe, Nedvěd rückte viel ein und erlaubte Jankulovski das Hinterlaufen – Charisteas hatte damit große Probleme. Es brauchte schon ein paar gute Aktionen von Nikopolidis im Tor, um diese Phase unbeschadet zu überstehen.

Der zweite freie Mann: Angelos Basinas

Dass es die Griechen aber mit Fortdauer der ersten Halbzeit doch geschafft haben, das Spiel zu beruhigen und nicht mehr permanent unter Beschuss zu stehen, war vor allem einem der unbesungenen Helden dieser Mannschaft zu verdanken: Angelos Basinas. Der schmächtige Sechser mit dem schon etwas schütteren Haaransatz war, wenn man so will, der zweite Libero im System von Otto Rehhagel; der freie Mann im Mittelfeld.

Während um ihn herum alle mit klaren Mann-gegen-Mann-Zuteilungen eingedeckt waren, musste Basinas den Löcherstopfer im Zentrum spielen. Das erforderte enorme Spielübersicht, die Fähigkeit, das Spiel lesen zu können, und vor allem eine absolute Pferdelunge. Die Laufleistung von Basinas suchte seinesgleichen. Nicht nur in diesem Spiel, sondern im ganzen Turnier – nur war er gegen die quirligen Tschechen ganz besonders wichtig.

Mit seiner permanenten Unterstützung wo immer gerade eine Unterzahl-Situation zu entstehen drohte, war Basinas der große Stabilisator im Mittelfeld und entlastete vor allem Zagorakis gegen Rosický. Doppelt wichtig – denn Zagorakis hatte schon im Viertelfinale eine gelbe Karte gesehen und wäre somit bei einer weiteren Verwarnung im Finale gesperrt gewesen, und zum anderen stellte Basinas immer wieder mögliche Passwege zu, wenn Rosický unter Druck kam und zu einem schnellen Abspiel gezwungen wurde.

Pavel Nedvěd muss raus

Womöglich hätten die Tschechen das alles schon noch irgendwie austanzen können, wenn sich nicht nach einer halben Stunde ihre wichtigster Spieler verletzt hätte: Pavel Nedvěd ramponierte sich in einem unglücklichen Zweikampf mit Katsouranis sein rechtes Knie. Humpelnd versuchte er es noch ein paar Minuten, letztlich musste aber Šmicer noch vor der Halbzeitpause den Blondschopf ersetzen.

Hatte Katsouranis mit Nedvěd noch so seine Schwierigkeiten, hatte nun Šmicer ganz klar das Nachsehen. So gelang es den Griechen in der zweiten Halbzeit, mit der Manndeckung gegen Šmicer und Poborský die Flügel zu neutralisieren, mit Dellas als überzähligem Mann in der Abwehr die Stürmer zu kontrollieren und mit Basinas als überzähligem Mann im Zentrum auch dort die Tschechen immer weniger zur Geltung kommen zu lassen.

Rehhagel schaltet einen Gang hoch

Was den Teamchef der Griechen dazu veranlasste, nach 70 Minuten einen Gang nach vorne zu schalten. Er nahm den sichtlich überraschten Basinas vom Feld und brachte dafür mit dem nach seiner Zerrung wieder genesenen Giannakopoulos einen offensiveren Mann; anders als bei seinen ersten zwei Einsätzen spielte er aber nicht auf der Flanke, sondern tatsächlich im Zentrum. Es war dies eigentlich der Wechsel, der zuvor im Turnierverlauf eher Zartas ins Spiel kommen sah, aber Rehhagel wollte wohl eher einen schnellen Spieler zum flinken Umschalten als den eher statischeren Ballverteiler Zartas in der Partie haben.

Was aber nicht den gewünschten Effekt hatte – denn ohne Basinas als freien Mann im Mittelfeld hatte Rosický plötzlich wieder etwas mehr Freiräume und vor allem konnten sich Koller und Baroš durch ihr Zurückfallen lassen wieder Räume erarbeiten und ihre Tempoläufe waren immer wieder nur durch Fouls zu stoppen. Erstmals im Turnierverlauf gaben die Griechen vermehrt Freistöße in Strafraumnähe her. Ein Tor der Tschechen sah deutlich wahrscheinlicher aus als eines des Außenseiters, dennoch ging es mit dem 0:0 in die Verlängerung.

Alles auf eine Karte

In der Verlängerung

Für diese wechselte Rehhagel erneut: Statt des extrem fleißigen Stürmers Vryzas brachte er nun doch Vassilis Zartas in die Partie. Er und Giannakopoulos flankierten nun den in die Spitze aufgerückten Charisteas, gaben praktisch zwei Spielgestalter, die auch ein wenig auf die Flanken aufpassen mussten. So stellte Rehhagel, zum ersten Mal überhaupt in diesem Turnier, eine Überzahl in der kreativen Zone der gegnerischen Hälfte her.

Damit nahmen die Griechen nun tatsächlich das Heft in die Hand und die Tschechen, die damit ganz offensichtlich nicht gerechnet hatte, wussten nicht wirklich damit umzugehen. Zudem machte Petr Čech, damals noch ohne Rugby-Mütze, im Tor einen alles andere als sicheren Eindruck: Unsicher beim Herauslaufen, mit Schwierigkeiten beim Fangen des Balles.

Und so kam, was kommen musste: In der 105. Minute ließ René Bolf nach einer Ecke von Zartas den aufgerückten Dellas zum Kopfball kommen, der Libero markierte das einzige Länderspiel-Tor seiner Karriere. Und weil die Silver-Goal-Regel galt, nach der bei einem Tor der Gegner nur bis zum Ende der laufenden Hälfte der Verlängerung die Chance zum Ausgleich hatte, war das natürlich die Entscheidung – Referee Pierluigi Collina pfiff in seinem letzten Spiel bei einem großen Turnier nur noch für einige Sekunden an, ehe er nicht nur dem Spiel ein Ende machte, sondern auch dem Turnier der an sich besten Mannschaft dieser Europameisterschaft. Ohne Nedvěd hatten es auch die Tschechen nicht geschafft, ein probates Mittel gegen die Manndeckung der Griechen zu finden.

Die Krönung im „Wiederholungsspiel“

So kam es im Finale quasi zur Wiederholung vom Eröffnungsspiel – Griechenland gegen Portugal. Das Team von Luiz Felipe Scolari war im Turnierverlauf der einzige Gegner der Griechen, der mit nur einem Stoßstürmer agierte und nicht im 4-4-2, dafür mit drei Spielmachern im Mittelfeld. Darum entschied sich Rehhagel für einen anderen Ansatz als in den Partien gegen Frankreich und Tschechien, und orientierte sich wiederum am ersten Spiel: Bis auf die klare Zuteilung von Kapsis auf Solo-Spitze Pauleta gab es keine Manndeckung mehr.

Griechenland - Portugal 1:0 (0:0)

Das Team von Portugal unterschied sich gegenüber dem ersten Aufeinandertreffen drei Wochen zuvor personell auf fünf Positionen, aber nicht von der Ausrichtung her. Es war ein 4-2-3-1, das auf der iberischen Halbinsel schon länger üblich war, den echten Durchbruch aber erst zwei Jahre später bei der WM in Deutschland feiern sollte.

Rehhagel stellte gegen das Triumvirat mit Figo, Deco und Ronaldo wieder die defensive Mittelfeld-Kette mit Basinas, Katsouranis und Kapitän Zagorakis, die im Verbund verschoben und die Portugiesen kaum zur Entfaltung kommen ließen. Pauleta hing in der Luft und wurde von seinem Bewacher Kapsis zusätzlich kaltgestellt.

Griechen spielen mit

Der große Unterschied zu Viertel- und Semifinale war aber, dass Seitaridis wieder fleißig über die rechte Außenbahn nach vorne randalieren konnte. Zagorakis übernahm in diesen Fällen Cristiano Ronaldo (bzw. Figo, die beiden tauschten sehr häufig die Seiten), Valente war somit sehr viel defensiv gebunden und durch den nach innen rückenden Charisteas und den wieder enorm viel arbeitenden Vryzas enstand durchaus Arbeit für die portugiesische Defensive. Costinha holte sich schon sehr früh eine gelbe Karte ab.

Ähnlich stellte sich die Situation auf der linken Flanke mit Fyssas und Giannakopoulos dar, mit Katsouranis als Absicherung. Das Spiel der Griechen musste fast zwangsläufig über die Außenbahnen kommen, weil Basinas, anders als in den Spielen davor, nicht mehr als freier Mann vor der Abwehr agieren konnte sondern mit Deco selbst viel gegen den Mann zu arbeiten hatte. So bekamen die Portugiesen keinen Zugriff auf den griechischen Strafraum und die Mannen von Otto Rehhagel sorgten mit einigen Angriffen über Seitaridis und Fyssas gut für Entlastung.

Führeres Stören nach Seitenwechsel

Den Hausherren hat sicher auch nicht geholfen, dass nach der nach einem unglücklichen Zweikampf verletzte Rechtsverteidiger Luis Miguel kurz vor der Halbzeit ausgewechselt werden musste. Seine Energie und sein Drang nach vorne kamen zwar nicht so gut zum Tragen wie in den Runden davor beim dramatischen Viertelfinale gegen England und dem letztlich recht sicheren Halbfinale gegen die Holländer, aber der für ihn eingewechselte Paulo Ferreira hatte nicht die Präsenz von Miguel.

Zudem attackierten die Griechen nach dem Seitenwechsel schon höher und erschwerten so die Spieleröffnung der Portugiesen zusätzlich. Maniche und Co. kamen mit dem Pressing überhaupt nicht zurecht. Ebenso wie mit Angelos Charisteas bei einer Ecke von Basinas von der rechten Seite: Costinha war zu weit weg vom Mann, Carvalho stand hinter dem griechischen Stürmer, und Ricardo segelte im Herauslaufen am Ball vorbei – so konnte Charisteas tatsächlich zum 1:0 treffen.

Otto parkt den Bus

Schlussphase

Scolari wusste auf dem Eröffnungsspiel, dass er mit einem zweiten Stürmer nichts erreichen würde. Also reagierte er, indem er sofort Costinha vom Feld nahm und mit Rui Costa einen vierten Spielgestalter für das Mittelfeld brachte. Dafür rückte Deco etwas zurück und kam eher aus der Etappe. Die Griechen zogen sich nun komplett zurück und parkten den sprichwörtlichen Bus vor dem eigenen Strafraum.

Die Zauberformel blieb aber weiterhin „Überzahl herstellen“ – den vier offensiven Mittelfeld-Leuten der Portugiesen stellten sich nun neben den drei zentralen Männern bei den Griechen zusätzlich Seitaridis (gegen Ronaldo) und erst Giannakopoulos und dann Venetidis gegen Figo auf den Flügeln gegenüber. Torschütze Charisteas und der statt Vryzas gekommene Papadopoulos sollten für etwas Entlastung sorgen.

Der Plan, schon im Mittelfeld den Raum eng zu machen und nicht auf eine reine Abwehrschlacht zu vertrauen, ging auf: Kaum einmal erreichte der Ball das innere des Strafraums, obwohl die Portugiesen den Ballbesitz in lichte Höhen schraubten. So blieb ein Weitschuss von Figo in der 89. Minute, der nur um ein paar Zentimeter links am Pfosten vorbei ging, die einzige wirkliche Ausgleichschance. Die Sensation war perfekt: Griechenland war Europameister!

Resonanz zwischen Bewunderung und Verärgerung

Die wohl größte Sensation der Fußball-Geschichte – ein Exot, von dem in Wahrheit drei Niederlagen erwartet wurden, gewinnt das Turnier – hat sehr gemischte Reaktionen hervorgerufen. Vor allem in Deutschland, der Heimat von Otto Rehhagel, war man vom sensationellen Erfolg des selbsternannten „Kindes der Bundesliga“ naturgemäß begeistert, zumal nach der eigenen eher schändlichen Vorstellung (dem Vorrunden-Aus, nachdem man gegen Lettland nicht gewonnen und dann gegen ein tschechisches B-Team verloren hatte) händeringend ein Erfolg versprechender neuer Teamchef für die zwei Jahre danach anstehende Heim-WM gesucht wurde.

Ansonsten herrschte aber weniger Bewunderung über die taktisch äußerst durchdachte Herangehensweise, die sich von Spiel zu Spiel zum Teil sehr deutlich unterschied, sondern eher Verärgerung. Über die Tatsache nämlich, dass man ein Turnier, das von sensationell hohem Niveau, sehenswertem Angriffsfußball und wundervollen Spielen am laufenden Band geprägt war, vom Triumph der als äußerst negativ und ob der Verwendung von Libero und Manndeckern auch noch extrem rückständig empfundenen Griechen entwertet sah.

Die Nachwirkungen

Eine Sichtweise, die sich bei den nur noch plumpen Vorstellungen der Mannschaft bei der Euro2008 und der WM 2010 noch verstärkte. Die Gegner hatten sich auf das Spiel der Griechen eingestellt. Dabei darf man aber nicht außer Acht lassen, dass sich vor dem Triumphzug in Portugal erst zweimal überhaupt eine griechische Mannschaft für ein großes Turnier hatte qualifizieren können – für die EM 1980 und die WM 1994. Nach dem Turnier in Portugal gelang die Qualifikation für die EM-Endrunden 2008 und 2012, sowie für die WM-Endrunde in Südafrika.

Dass Griechenland sich nicht dauerhaft in der Weltspitze etablieren konnte, ist logisch und erwartbar. Aber das Team aus Hellas ist nach den drei Wochen von Portugal nicht wieder in der völligen Versenkung verschwunden, in der es sich davor befunden hatte. Griechenland wurde zum Stammgast bei großen Turnieren, und das alleine ist aller Ehren wert.

Zumal es vielen Helden von 2004 nicht beschieden war, auf Klub-Ebene an diesen Erfolg anzuknüpfen. Zerstörer Traianos Dellas etwa, Libero mit Holzfuß, konnte sich bei der Roma in der folgenden Saison zwar einen Stammplatz erkämpfen, wurde über die Zwischenstation AEK aber nur vier Jahre später, auch wegen der fehlenden Fähigkeit zur Spieleröffnung, ins Ausgedinge nach Zypern abgeschoben. Auch Michalis Kapsis, der als Manndecker in allen Spielen dabei war, hatte nur noch eine gute Saison, bei Girondins Bordeaux. Viele Verletzungen plagen ihn aber seither. Giorgos Karagounis konnte sich trotz einer starken EM auch weiterhin nicht bei Inter Mailand durchsetzen nach zwei Jahren bein Benfica kehrte er zu Panathinaikos zurück.

Zehner Vassilis Zartas ging in die zweite deutsche Liga zu Köln und trug nur vier Spiele zum Aufstieg bei, Angelos Basinas bekam nach zwei ordentlichen Jahren in Mallorca nichts mehr auf die Kette. Und Angelos Charisteas, der drei Tore erzielt hatte – darunter die goldenen gegen Frankreich und im Finale gegen Portugal – konnte sich bei Bremen weiterhin nicht durchsetzen, flüchtete nach Holland und ist danach nur noch mit unübersichtlich vielen Vereinswechseln aufgefallen. Dimitris Papadopoulos landete bei seinen Auslandsversuchen bei Dinamo Zagreb und in der zweiten spanischen Liga bei Celta de Vigo.

Aber es gibt auch positivere Karriere-Verläufe – Linksverteidiger Seitaridis etwa wechselte nach der EM zum FC Porto und war danach noch drei Jahre bei Atlético Madrid aktiv; Stelios Giannakopoulos blieb noch lange Jahre Stammspieler bei den Bolton Wanderers, Kostas Katsouranis wurde Führungsspieler bei Benfica, Torhüter Nikopolidis holte – obwohl ihm immer eher das Image eines Fliegenfängers treu blieb – noch sieben Meisterschaften mit Olympiakos, ehe er 2011 aufhörte.

Einige Europameister ihren Status in der Heimat genützt und sind in vielen verschiedenen Funktionen tätig geworden. Kapitän Theodoros Zagorakis etwa wurde Präsident von seinem Stamm-Klub PAOK, mit Zisis Vryzas als Sportdirektor. Linksverteidiger Fyssas wurde Technischer Direktor beim griechischen Verband, Flügelspieler Georgios Georgiadis, den Rehhagel bei der triumphalen EM aber nicht einsetzte, U-21-Teamchef. Lebemann Demis Nikolaidis, der unmittelbar nach dem Turnier seine aktive Karriere beendete, wurde Präsident bei seinem Klub AEK – mit mäßigen Resultaten, aber mit wirtschaftlichem Erfolg.

Und Otto? Teamchef Rehhagel trat nach dem Triumph nicht zurück und wurde klarerweise auch nicht deutscher Teamchef – da bekam Jürgen Klinsmann den Zuschlag. Er verpasste zwar knapp die WM 2006, qualifizierte sich aber für die Euro2008 und die WM 2010, nach der er dann doch Schluss machte. Nach neun Jahren auf der griechischen Bank, mit 106 Spielen – mehr als doppelt so vielen wie jeder andere Teamchef in der Geschichte des Verbandes.

Und ein Volksheld, ja, das ist der knorrige Deutsche immer noch. Er wird es bleiben.

(phe)

Der Kader…

Tor: Kostas Chalkias (30, AEK), Teofanis Katergiannakis (30, Olympiakos), Antonis Nikopolidis (33, Panathinaikos). Abwehr: Panagiotis Fyssas (31, Benfica), Nikos Dabizas (31, Leicester), Traianos Dellas (28, Roma), Mihalis Kapsis (31, AEK), Giorgios Seitaridis (23, Panathinaikos), Stylianos Venetidis (28, Olympiakos). Mittelfeld: Angelos Basinas (28, Panathinaikos), Giorgios Georgiadis (32, Olympiakos), Sylianos Giannakopoulos (30, Bolton), Jannis Goumas (29, Panathinaikos), Pantelis Kafes (26, Olympiakos), Giorgios Karagounis (27, Inter Mailand), Kostas Katsouranis (25, AEK), Vassilis Lakis (28, AEK), Theodoros Zagorakis (33, AEK). Angriff: Angelos Charisteas (24, Bremen), Demis Nikolaidis (31, Atlético Madrid), Dimitris Papadopoulos (23, Panathinaikos), Zisis Vryzas (31, Fiorentina), Vassilis Zartas (32, AEK). Teamchef: Otto Rehhagel (65).

Bild:  Fritz Duras, Austria Aktuell

]]>
https://ballverliebt.eu/2011/12/23/ballverliebt-classics-als-europa-zur-ottokratie-wurde/feed/ 6