Hodgson – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Mon, 16 Jul 2018 17:30:35 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Die Achtelfinal-Verlierer der EURO 2016: Zwischen Blamage und tollem Erfolg https://ballverliebt.eu/2016/06/28/die-achtelfinal-verlierer-der-euro-2016-zwischen-blamage-und-tollem-erfolg/ https://ballverliebt.eu/2016/06/28/die-achtelfinal-verlierer-der-euro-2016-zwischen-blamage-und-tollem-erfolg/#comments Tue, 28 Jun 2016 10:48:12 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=12745 Erste K.o.-Runde der EURO 2016, erste wirklich prominente Opfer: Nachdem es in der Vorrunde mit ein, zwei Ausnahmen nur die Teams gescheitert waren, von denen man das auch so erwartet hat, ist das Feld der Achtelfinal-Verlierer schon etwas heterogener. Neben Glücksrittern aus der Vorrunde (die beiden irischen Teams etwa) hat er auch schon Teams aus dem Favortenkreis (Spanien, Kroatien) erwischt.

Hier im zweiten Teil unserer EURO-Teamanalyse: Die Plätze 9 bis 16, wenn man so will.

Spanien: Schwächen wurden eiskalt genützt

Team SpanienNicht nur, dass Vicente del Bosque diverse spannende Spieler gar nicht erst mitgenommen hat (Alcácer, Mata, Bernat, Javi Martínez, Cazorla, Ñíguez, Isco) – nein, von denen, die mit waren, durften auch nur genau elf zu Startelf-Einsätzen kommen.

Grundsätzlich hat sich seit 2010 am spanischen Spiel nichts wesentliches geändert, und das ist womöglich auch das Problem gewesen. Gegen die Tschechen (die sich hinten eingebunkert haben) und die Türken (die einfach nicht gut genug waren) wurde das noch nicht offenkundig. Aber sobald die Gegner eine gewisse Klasse hatten, wurde deutlich: Spanien ist mittlerweile recht leicht auszurechnen und offenbart in den wenigen Spielen, in denen sie wirklich gefordert werden, erstaunliche Schwächen in den defensiven Strukturen.

Konnte man das gegen Kroatien noch auf fehlende Ernsthaftigkeit schieben, war man den Italienern im Achtelfinale taktisch auf fast schon beängstigende Art und Weise unterlegen. Wie schon Portugal vor vier Jahren im Halbfinale traute sich Italien, das spanische Kurzpass-Spiel schon im Keim zu stören. Damals rettete sich Spanien noch ins Elferschießen und gewann.

Seither aber geht es gegen Teams, die auf diese Art und Weise spielen, fast schon regelmäßig kräftig in die Hose. Vor allem, wenn diese – wie eben Italien hier und 2012, aber auch Holland und Chile bei der WM 2014 – mit einer Dreierkette daherkommen.

Die Zukunft von Del Bosque ist ungewiss – nach zwei Turniersiegen schied er zweimal (zu) früh aus. Da er in den letzten Jahren zunehmend eine gewisse Bequemlichkeit an den Tag legt, was Coaching, inhaltliche Fragen und Weiterentwicklung angeht, aber auch die personelle Erneuerung seines Teams (warum hatte etwa Fàbregas nach einer furchtbaren Saison wie selbstverständlich einen Stammplatz, während Ñíguez nach einer großartigen Saison nicht einmal mitdurfte?), liegt der Verdacht nahe, dass die Ära Del Bosque nach acht Jahren zu Ende geht. Sicher ist aber: Die Mannschaft, der es ja keineswegs an Weltklasse mangelt, könnte den einen oder anderen neuen Impuls brauchen.

England: Starke Phasen und eine zünftige Blamage

Team EnglandEinen neuen Impuls wird England definitiv bekommen: Nach dem Generationswechsel auf dem Feld kommt nach der Achtelfinal-Blamage gegen Island auch ein neuer Trainer, keine halbe Stunde nach dem Abpfiff legte Roy Hodgson nach viereinhalb Jahren sein Amt nieder. Dabei ist England seit dem Vorrunden-Aus bei der WM vor zwei Jahren eigentlich einen guten Weg gegangen.

Mit der Umstellung auf das 4-1-4-1 hatte Hodgson es seinen Achtern (der aktive Alli und Rooney, der vor allem durch komplizierte lange Bälle statt einfache kurze auffiel) ermöglicht, sich auf ihre Aufgaben nach vorne zu konzentrieren. Genau diese Balance hatte im althergebrachten 4-4-2 (wir erinnern uns, in der Vergangenheit oft mit Gerrard und Lampard) gefehlt. Das Resultat war eine makellose Qualifikation und eine an sich sehr gute Vorrunde, wo es zumeist nur die mangelnde Chancenverwertung zu bekritteln gab.

Ihre stärksten Momente hat das englische Team, wenn es gegen den Ball arbeiten kann. Genau das aber erlaubte Island den Three Lions nicht, und es zeigte sich, was sich schon gegen die Slowakei andeutete: Das mit dem Ausspielen eines geschickt verteidigenden Teams – auch, wenn es wie Island eher höher spielt, und nicht ganz tief steht – funktioniert nicht. Das war gegen die Slowakei noch nicht sooo tragisch (obwohl man mit dem 0:0 den Gruppensieg verschenkt hatte), aber gegen Island war es fatal.

Diese Niederlage, so bitter sie ist, ändert allerdings nichts daran, dass dieses englische Team durchaus eine Zukunft hat. Es ist in weiten Teilen noch recht jung, es ist entwicklungsfähig und vor allem haben die maßgeblichen Spieler in der Liga die richtigen Trainer – Pochettino bei Tottenham, Klopp bei Liverpool, nun kommt Guradiola zu Man City. Wenn man nicht komplett in sich versinkt (wie etwa Österreich nach Landskrona), kann England aus diesem Turnier viel lernen.

Kroatien: Erst stark, dann verzweifelt

Team KroatienEs war womöglich nicht die letzte Chance der Generation Modric, einen Titel zu holen. Aber ganz sicher die größte: Kroatien zeigte in der Vorrunde (neben Deutschland) von allen stärkeren Teams konstant die beste Kombination aus individueller Klasse und gutem Coaching; das selbstgefälige Chaos unter Igor Stimac und die auf Motivation statt Taktik basiernde Amtszeit von Niko Kovac ist ganz deutlich vorbei.

Die Balance im Zentrum (Badelj als Absicherung, Modric als Hirn des Teams, Rakitic als Störer an vorderer Front) war hervorragend abgestimmt, Perisic und Srna sorgten für die Vertikalität auf den Außenbahnen. Lediglich die Innenverteidigung ist ein deutliches Stück von internationaler Klasse entfernt – machte aber gegen Spanien eine gute Figur.

Allerdings trifft auch auf Kroatien zu, was auf viele Teams der zweiten Reihe zutrifft: Wenn man auf die zwei besten Spieler verzichten muss, wird es schwer. Und Modric und Rakitic standen gegen Portugal zwar auf dem Platz, aber sie waren in der Manndeckung durch William Carvalho und Adrien Silva zur Wirkungslosigkeit verdammt. So war es nicht die Innenverteidigung, die diesem an sich tollen Team die Titelchance kostete (und die war im Außenseiter-Ast durchaus da), sondern die Abhänigkeit von Modric und Rakitic. Das kann man den Kroatien aber auch wieder nur schwer zum Vorwurf machen.

Schweiz: Weder begeisternd noch enttäuschend

Team Schweiz

Unser geschätzter Schweizer Taktikblog-Kollege Andreas Eberli konstatierte über das Nationalteam seines Landes: „Insgesamt gute, sehr typische Vorrunde der Nati, zeigen unter Petkovic seit langem konstant ziemlich genau dieses Spiel und Niveau. Sehr dominanzorientiert, auch wirklich gut in vielen Bereichen, ballsicher und damit die attraktivste und wohl beste Nati der letzten Jahre, aber auch nicht perfekt balanciert im Aufbau, ohne konstant saubere Verbindung nach vorne und zuweilen etwas zu lang/löchrig bei Ballverlust. Und halt im Offensivspiel ohne besondere Harmonie, Feinabstimmung oder überragende individuelle Qualität.“

Die große Schwachstelle des ersten Spiels – die fehlende Abstimmung im Mittelfeld-Zentrum – wurde so halb durch das zweite Spiel behoben, man kontrollierte danach Frankreich und Polen ganz gut, ohne aber selbst gefährlich zu werden. Shaqiri ist und bleibt zu unkonstant, Dzemaili ist ein Achter und kein Zehner, Seferovic vorne war eine Gemeinheit, Joker Embolo fehlt es deutlich an der internationalen Erfahrung.

Es ist nach dem dank seiner Vergangenheit in der Schweiz sakrosankten, aber gerade in den letzten Jahren quälend konservativen Ottmar Hitzfeld nun sehr wohl die Absicht zu erkennen, das Spiel vermehrt selbst in die Hand zu nehmen. Aber es wird halt doch deutlich, dass es einfach dauert und auch das Personal von richtiger Qualität zu haben. Embolo kann ein Baustein dafür sein, aber es braucht mit Sicherheit noch einen vernünftigen Zehner – oder ein anderes System mit einer angepassten Spielanlage.

Irland: Wenig Klasse, viel Kämpferherz

Team Irland

Es ist leicht, Irland als glücklichen Underdog zu sehen. Allerdings waren sie bei den letzten vier Turnieren zweimal dabei und sind einmal nur durch einen Hand-Ball im Playoff gescheitert – aus dem Nichts kommt das Team also nicht.

Dennoch wirkt das Team, das sich zum Großteil aus Kickern der zweiten englischen Liga rekrutiert, wie genau das: Ein englischer Zweitligist. Begrenzt in den fußballerischen Mitteln, aber mit einem unbändigen Willen versehen. Gegen Schweden war man die bessere von zwei nicht besonders guten Mannschaften, gegen Belgien chancenlos und dann hatte man das Glück, dass es die Italiener im letzten Gruppenspiel nicht wirklich interessiert hat. So schlich man ins Achtelfinale – dort lieferte man gegen Frankreich, der 1:2-Niederlage zum Trotz, die vermutlich beste Leistung des Turniers ab. Allen in allem sind die Iren zwar keine supertolle Mannschaft, können den Turnierverlauf aber absolut als Erfolg verkaufen.

Positiv vermekt werden muss, dass sich das irisch Team von den alten Herren (Robbie Keane und Shay Given) emanzipiert hat, ohne dramatisch an Qualität verloren zu haben. Im Gegenteil: Verglichen mit der heillos überforderten Truppe, die vor vier Jahren dreimal verlor und 1:9 Tore zu Buche stehen hatte, ist Irland diesmal deutlich solider aufgestellt gewesen. Die aktuelle Mannschaft hat auch noch locker zwei Turniere drin und sie weiß um ihre Limits; versucht nicht, etwas zu sein, was sie nicht sein kann.

Nordirland: Mit spannenden Fünferketten

Team NordirlandFast noch zufriedener als der größere Nachbar kann das Team aus Nordirland sein – anders als die Republik-Iren haben die Ulster-Boys nämlich keinerlei Turnier-Erfahrung in den Beinen. Ihr Zugang war deutlich defensiver: In der ersten Hälfte gegen Polen und im Achtelfinale gegen Wales kam Nordirland mit einer Fünfer-Abwehrkette daher, die aber durchaus spannend war.

So gab gegen Polen Zentral-Verteidiger Gareth McAuley den Manndecker für Lewandowski, während seine Nebenmänner eher im Raum verteidigten. Und gegen Wales klappte schon die Abschirmung so gut, dass man es sich erlauben konnte, immer wieder auch nicht ungefährliche Nadelstiche nach vorne zu setzen. Gegen die furchtbar biederen Ukrainer gab es sogar einen verdienten Sieg – nur gegen die Deutschen hatte Nordirland mächtig Glück, dass es dank Torhüter McGovern „nur“ 0:1 ausging.

Natürlich: In der WM-Qualifikation (gegen Deutschland und Tschechien) wird es wenig zu erben geben und für die EM in vier Jahren ist das aktuelle Team dann doch schon eine Spur zu alt (vor allem Führungsfiguren wie McAuley, Hughes und Davis) und natürlich profitierte man von einer leichten Quali-Gruppe. Aber Michael O’Neill hat es geschafft, das Team so zu optimieren, dass fast immer das Optimum heraus geholt werden konnte. Auch wenn dieses Turnier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Eintagsfliege bleiben wird: Darauf können die Nordiren zweifellos stolz sein.

Slowakei: Solide, aber zu viel von Hamsik abhängig

Team SlowakeiAuch die Slowaken haben nicht enttäuscht: Auch beim zweiten Turnier der Verbandsgeschichte (nach der WM 2010) überstand man die Vorrunde und scheiterte im Achtelfinale an einem Titelkandidaten. Das ist genau, was die Mannschaft drauf hat – auch die Slowaken haben also das Optimum aus ihren Möglichkeiten heraus geholt.

Wie schon im Vorfeld klar war, beschränkte sich das Spiel vornehmlich auf eine sichere Defensive und geniale Momente von Marek Hamsik. Der Exzentriker von Napoli lieferte vor allem beim 2:1-Sieg gegen die Russen (wo er ein Tor erzielte und das andere vorbereitete) und stellte sich beim wichtigen 0:0 gegen England voll in den Dienst der Mannschaft.

Vom 0:3 gegen Deutschland im Achtelfinale abgesehen, stand der Abwehrverbund tatsächlich wirklich gut, allerdings wurde im Turnierverlauf schon auch klar, dass dieses Team ohne Hamsik keine Chance hätte, an so einer Endrunde überhaupt teilzunehmen. Die Flügelspieler (Weiss und Mak) sind kaum mehr als Durchschnitt und die zur Verfügung stehenden Stürmer (Duris und Duda) nicht einmal das.

Das Achtelfinale bei so einem Turnier ist der absolute Plafond für diese slowakische Mannschaft. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern – eher steht zu vermuten, dass es beim anstehenden Generationswechsel (sieben Stammkräfte der WM 2010 sind wieder dabei gewesen) zumindest einige Zeit eher nach unten gehen wird. Allerdings haben sie es in der WM-Qualifikation nicht ganz so übel erwischt.

Ungarn: Gut eingestellt und auch glücklich

Team UngarnBei der ersten Turnier-Teilnahme nach 30 Jahren wurde Ungarn völlig überraschend Gruppensieger – eine Leistung, die weit über das Talent des Teams hinausgeht. Umso mehr Credit muss an Bernd Storck gehen, der deutlich mehr aus der Mannschaft heraus geholt hat, als eigentlich drin war.

Sehr genau stellte der ehemalige Teamchef von Kasachstan seine Mannen auf jeden Gegner ein und er hatte auch das nötige Glück. Im Spiel gegen Österreich, dass man nicht nach einer halben Minute in Rückstand geriet und das ÖFB-Team nach einer Viertelstunde de facto erst Junuzovic und dann jedes Selbstvertrauen verlor. Gegen Island, dass kurz vor Schluss doch noch der 1:1-Ausgleich fiel. Und gegen Portugal, dass einige Schüsse zu Toren wurden, die eigentlich nie Tore hätten werden dürfen. Gegen die horrend schlecht gecoachten Belgier hielt man im Achtelfinale das Spiel bis zehn Minuten vor Schluss zumindest vom Ergebnis her offen.

Altmeister Gábor Király glückte mit einer starken EM ein toller Abschluss seiner langen Karriere, auch der betagte Zoltan Gera (einst im EL-Finale mit Fulham) und der nach vielen Jahren in Belgien in die Heimat zurück gekehrte Roland Juhász durften noch ein letztes Hurra feiern. Die meisten anderen haben es auch im besten Fußballer-Alter noch nicht in eine Top-Liga geschafft (Kádár, Lovrencsics) oder haben sich dort nicht nachhaltig durchgesetzt (Pintér). Selbst Adam Szalai hat seine beste Zeit vermutlich schon hinter sich.

Inwieweit die Fußball-Offensive, die in Ungarn auf Impuls von Ministerpräsident Viktor Orbán gestartet wurde, mittel- und langfristigen Erfolg zeigt, wird man erst in mehreren Jahren wissen (auch in Österreich dauerte es ja ein Jahrzehnt, bis man die Früchte ernten konnte). Aber zumindest ist Ungarn nun schon mal zurück auf der Fußball-Landkarte.

Fazit: Vier können zufrieden sein, drei nicht

Die Kritik, dass vier Gruppendritte es auch noch ins Achtelfinale schaffen, wird von vielen Seiten sehr unverhohlen geführt. Man muss aber sagen: Nur einer der vier fiel in seinem Achtelfinale deutlich ab (und dieser eine, die Slowakei, gegen den amtierenden Weltmeister). Die beiden irischen Teams haben ihre Gegner kräftig geärgert und Portugal (kein klassischer Dritter, schon klar) hat es sogar ins Viertelfinale geschafft.

Die Schweizer hätten sich ob des nicht unschlagbaren Gegners Polen mehr ausgerechnet, sie haben aber immerhin ihr Minimalziel erreicht und nicht enttäuscht.

Das sind die Kroaten sicher, aber viel werden sie nicht ändern können – außer, sich einen Plan zu überlegen, wie man reagiert, wenn Modric und Rakitic in Manndeckung genommen werden. Sicher zu mehr oder weniger großen Veränderungen wird es in Spanien und England kommen: Bei den einen eher, was die Besetzung auf dem Feld angeht, bei den anderen, was die Besetzung der Coaching-Zone angeht. Beide werden sich natürlich für die WM in zwei Jahren qualifizieren.

Spätestens da wird man sehen, ob es die richtigen Veränderungen waren.

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Europas „Große“ bei der WM: Zwei stark, einer so naja – aber drei griffen völlig in den Dreck https://ballverliebt.eu/2014/07/19/zwei-stark-einer-so-naja-aber-drei-von-europas-grossen-griffen-voellig-in-den-dreck/ https://ballverliebt.eu/2014/07/19/zwei-stark-einer-so-naja-aber-drei-von-europas-grossen-griffen-voellig-in-den-dreck/#comments Sat, 19 Jul 2014 00:24:38 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10440 Europas „Große“ bei der WM: Zwei stark, einer so naja – aber drei griffen völlig in den Dreck weiterlesen ]]> Erst Italien, dann Spanien, nun Deutschland: Wenn man nur rein die Siegerliste betrachtet, die die letzten drei WM-Turniere hervorgebracht haben, sieht das nach einer brutalen europäischen Dominanz aus. Die Wahrheit ist aber viel eher: Die Breite an gutklassigen Teams macht’s. Denn genau wie schon 2006 und 2010 haben auch diesmal einige von Europas Big Guns ziemlich daneben gegriffen – am kolossalsten natürlich Titelverteidiger Spanien. ABer ein Europäer kommt halt immer durch. Das war diesmal eben Deutschland. Und das verdient.

Deutschland: Krönung eines langen Weges

Das war kein Glücksrittertrum wie beim eher zufälligen Finaleinzug 2002, das war von langer Hand geplant und ist eigentlich zwei Jahre zu spät gekommen. Seit Löw vor zehn Jahren zur Nationalmannschaft kam, wurde um einige Stützen herum konsequent ein über Jahre hinweg eingespieltes Team geformt. Lahm, Schweinsteiger und Klose waren von Beginn an dabei, der Rest wuchs homogen dazu, und im richtigen Moment ging es auch auf.

Deutschland
Deutschland: Als Khedira und Schweinsteiger fit genug waren, beide 90 Minuten durchzuhalten, durfte Lahm endlich nach rechts hinten. Von da an hatten die Gegner keinen Spaß mehr.

Dabei ist Löw ein großes Risiko gegangen, nach einigem Experimentieren sich so spät – nämlich erst ein halbes Jahr vor der WM – auf das bei den Guardiola-Bayern praktizierte 4-3-3 zu verlegen. Er hatte mit sechs bis sieben Bayern-Spielern einen großen Block, der das Gerüst darstellte und in der Vorbereitung klappte es nicht immer nach Wunsch. Auch, weil Löw Lahm wie bei den Bayern in die Mitte stellte, obwohl damit eine Baustelle rechts hinten aufgemacht wurde.

Der Gamble zahlte sich aus. Als sich Khedira (nach Kreuzbandriss im Herbst) und Schweinsteiger (nach vielen Blessuren in den letzten Jahren) halb durchs Turnier fit für 90 Minuten meldete, konnte er endlich Lahm dorthin stellen, wo es für das Team am Besten war. Mit Erfolg: Gab es davor mit allerhand Notvarianten auf rechts hinten (Boateng, Mustafi) eher Bauchweh, flutschte es mit Lahm dort – und das Mittelfeld-Trio mit Schweinsteiger, Khedira und Kroos blühte auf.

Löw war flexibel genug, sich kurz vor dem Turnier auf das 4-3-3 draufzusetzen, aber stur genug, um im ganzen Turnier mit der Ausnahme der zweiten Hälfte des Finales zu keiner Minute davon abzurücken, egal, in welcher personellen Aufstellung, egal, wie sehr auch erschreckend viele Medien das ab dem Viertelfinale offiziell angegebene 4-2-3-1 blind übernahmen.

Der Titel ist vor allem für Löw eine Genugtuung, weil ihm in Deutschland immer wieder vorgehalten wurde, mit seinem intellektuellen Zugang, seinem Faible für flache Hierarchien und ohne, wie sich Leute wie Effenberg gerne bezeichnet, „Typen“ (wiewohl etwa Müller und Schweinsteiger durchaus etwas zu sagen haben), zu weich und zu wenig Siegermentalität für einen großen Titel mitzubringen. Für die nun endgültig große Generation war er der Höhe- und gleichzeitig der Schlusspunkt: Lahm hat nach zehn Jahren im Nationalteam mit 116 Länderspielen adé gesagt, Klose wird sicher folgen, auch bei Schweinsteiger wäre das keine Überraschung und Podolski war bei dieser WM bestenfalls ein Nebendarsteller.

Wenigstens kommt Löw dann nicht in die Verlegenheit, aus überzogener Loyalität zu lange an zu vielen alten Recken festzuhalten.

Niederlande: Eine Bronzemedaille für Van Gaals Ego

Nicht wenige bezeichneten diese WM als gigantischen Ego-Trip des neuen Manchester-United-Managers Louis van Gaal. Er hat für dieses Turnier den holländischen Fußball einmal auf links gedreht und alles anders gemacht, als es die Granden bei Oranje für gut befanden. Dreiekette und Konterfußball statt 4-3-3 und schöngeistigem Spiel, dazu eine Horde von international unbekannten und unerfahrenen Leuten in der Defensive. Keine Frage, Van Gaal ging großes Risiko. Mit Aktionen wie dem Torhüter-Tausch in der 120. Minute im Viertelfinale gegen Costa Rica ebenso wie mit dem generellen Stil.

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Holland: Konsequent mit drei Innenverteidigern und Konterfußball. Das Risiko ging auf, weil das Star-Offensiv-Trio vorne die Räume gut nützte.

Vor allem, weil ja angesichts der Gruppengegner Spanien und Chile ein frühes Aus mehr als nur einen Fuß in der Tür der Wahrscheinlichkeiten hatte. Hollands Glück: Im ersten Spiel brach Gegner Spanien völlig auseinander, die Kontertaktik ging voll auf und nach dem unglaublichen 5:1-Erfolg über den Titelverteidiger hatten auch die Spieler selbst den Beweis, dass es mit dem 3-4-1-2-System funktionieren kann.

In der Tat brannte im ganzen Turnier hinten sehr wenig an (Elfmeter-Gegentor gegen Spanien, ein Glücksschuss und ein Elfer gegen Australien, ein Weitschuss gegen Mexiko) und vorne richtete es das individuelle Talent des Dreigestirns mit Sneijder, Robben und Van Persie, das die Räume hervorragend nützte, die angreifende Gegner ihnen anboten. Das war keine besonders aufregende Oranje-Truppe, aber für das vorhandene Spielermaterial passte die sehr pragmatische Herangehensweise.

Das ist natürlich kein Modell für die Zukunft, denn auf Dauer kann es sich ein Bondscoach nur mit Erfolgen leisten, das typisch holländische Spiel derart zu verraten. Zudem ist die Eredivisie ja auch nicht direkt für ihre kompromisslosen Defensiv-Konzepte bekannt – Angriff ist einfach in der orangen DNA.

Lieber verliert man formschön, als dreckig zu gewinnen. Obwohl eine defensive Grundhaltung das Team 2014 fast ins Finale geführt hätte und 2010 eine sehr pragmatische und auch nicht wirklich aufregende Herangehensweise beinahe den Titel gebracht hätte.

Frankreich: Deschamps braucht einen Deschamps

Irgendwie war dieses Turnier aus französischer Sicht nicht Ganzes und nichts Halbes, damit der letzten EM nicht ganz unähnlich. Dabei wäre so viel Talent in diesem Kader, auch der Ausfall von Franck Ribéry (der aber ohnehin eine ziemlich schwache Rückrunde gespielt hatte) wog nicht allzu schwer. Mit Honduras hatte man keinerlei Probleme, die Schweiz nahm man auseinander, aber danach war es wie abgebrochen.

Frankreich:
Frankreich: Seltsam führungslos im Zentrum. Da half auch ein wirklich starker Benzema nicht viel.

Als es hart wurde, also gegen die recht direkten Nigerianer und vor allem dann gegen die geschickt im Mittelfeld agierenden Deutschen, zeigte das zentrale Trio der Franzosen zu wenig Präsenz. Das kann man auch von einem Pogba trotz seines jungen Alters schon erwarten, vor allem hätte aber mehr von Cabaye und Matuidi kommen müssen. Die beiden müssen durchaus als die Verlierer des Turniers aus französischer Sicht gelten, denn beide haben schon ein Alter erreicht, in dem es nicht mehr viele Endrunden zu spielen gibt.

Besonders erschreckend war aber die Tatsache, dass man beim Viertelfinal-Aus gegen Deutschland über sieben Kilometer weniger gelaufen ist als der Gegner, obwohl man 80 Minuten im Rückstand lag. Das ist nicht mit der Hitze zu erklären, die für den Gegner ja genauso war. Das spricht entweder gegen die Fitness der Franzosen oder gegen den Willen. Denn von besonderen Anstrengungen, das Spiel noch herumzureißen, war wenig zu erkennen.

Deschamps fehlte ein Spieler wie Deschamps, ein verlängerter Arm des Trainers im Mittelfeld. Das kann Pogba werden. Noch war es der hoch veranlagte U-20-Weltmeister aber nicht.

England: Ja, die waren auch dabei

Die Three Lions haben so wenig Eindruck hinterlassen, dass man fast vergessen könnte, dass die überhaupt dabei waren. Dabei war die spielerische Intention von Roy Hodgson gar nicht so dermaßen steinzeitmäßig bieder wie das noch vor zwei Jahren der Fall war. Aber die Mischung passte nicht. Die Jungen sind noch zu jung, die alten über dem Zenit und die dazwischen reißen’s nicht heraus.

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England: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Produkt eines im Schneckentempo vollzogenen Umbruchs.

Diese drei Gruppen hat Hodgson nicht zu einem funktionierenden Ganzen vereinen können. Rooney im Speziellen ist nach zehn Jahren Spitzenfußball körperlich ruiniert wie andere Anfang, mitte dreißig, dazu wird er seit einigen Jahren sowohl bei United als auch im Nationalteam so wahllos hin- und hergeschoben, dass sich kein Rhythmus einstellen kann. Gerrard hat zwar einen Rhythmus, aber die lange und emotional aufwühlende Saison bei Liverpool hat ihre Spuren hinterlassen.

Die können Henderson, Sterling und Sturridge noch besser verkraften, aber ihnen fehlte zum einen ein Spieler wie sie ihn bei Liverpool in Suárez hatten, und zum anderen der internationale Vergleich, weil sie ja kaum oder noch wenig Europacup gespielt haben. Teams, die von der Insel kommen, spielen halt nicht wie Italiener oder Urus.

Und eine Abwehrreihe mit Baines, Jagielka, Cahill und Johnson ist nichts anderes als aller-grauster Durchschnitt. So hochgelobt Baines seit Jahren wird (warum auch immer), so lange Johnson schon dabei ist – aber England hat mit einiger Sicherheit das schlechteste AV-Pärchen aller europäischen Teilnehmer gehabt. Ihre Vorstöße wirkten beliebig, ihre Flanken hatten zuweilen Regionalliga-Format (vor allem die von Johnson, eine Frechheit).

England wirkt wie in einem Umbruch, der seit vier Jahren im Gange ist und ohne wirkliche Überzeugung betrieben wird. Man will die Alten raushaben, nimmt aber dennoch Gerrard UND Lampard mit. Man ersetzt den gefühlt seit den Achtzigern gesetzten Ashley Cole mit einem Spieler, der nur vier Jahre jünger ist und trotzdem erst eine Handvoll Europacup-Einsätze hinter sich hat. Man kommt endlich vom bald greisen Rio Ferdinand weg, und stellt einen 31-Jährigen und einen 28-Jährigen vor Joe Hart hin.

Der englische Verband blickt seit Jahren voller Bewunderung auf den Erfolg, den Deutschland nach dem radikalen Schnitt 2004 hat. Einen ähnlich radikalen Schnitt zu vollziehen, traut man sich auf der Insel aber nicht. Und genau darum wurschtelt man sich seit Jahren mittenrein in die weltfußballerische Anonymität.

Italien: Mischung aus Klima, Qualität und Form

Langsam war das alles. Die Hitze, sie setzte Andrea Pirlo und Daniele de Rossi schon extrem zu. Nach dem hart erkämpften Auftakt-Sieg gegen England in der Hölle von Manaus gab’s einen erschreckend leblosen Auftritt in der Tropenhitze von Recife, wo man gegen Costa Rica verlor. Und wirkliche Überzeugung und Verve war auch nicht zu erkennen, als man im schwülheißen Natal von Uruguay aus dem Turnier gebissen wurde.

Italien
Italien: Der zweite Außenverteidiger, das langsame Zentrum, biedere Offensiv-Kräfte: Prandelli hatte mit zu vielen Brandherden zu kämpfen.

Da halfen alle taktischen Überlegungen von Fuchs Cesare Prandelli nichts. Die höhere Grundposition von Pirlo, um ihn näher an die Passempfänger zu bringen, ebenso wenig wie der Einsatz von Abschirm-Jäger De Rossi und der Einsatz von Pirlo-Kopie Verratti neben dem alten Herrn. Weil neben dem wirklich braven Darmian es keinen zweiten Außenverteidiger gab, der sinnbringend im Spiel gewesen wäre – nicht der gelernte Innenverteidiger Chiellini, nicht der farblose Abate, nicht der als Wing-Back etwas hilflose De Sciglio.

Was auch ein Problem des Nachwuchses ist. Keine große Liga in Europa hat bei den Kadern der Vereine einen so geringen Anteil an bei den Klubs ausgebildeten Spielern wie die Serie A. Wie in Italien generell üblich, wird lieber an alten, verkrusteten Strukturen festgehalten, als mal etwas Neues zu probieren, weil es immer irgendein Gremium, einen 80-Jährigen Betonschädel, einige polemisierende Medien gibt, die das zu verhindern wissen.

Die Folge ist, dass Prandelli, fraglos einer der besten Trainer des Kontinents, hilflos zusehen musste, wie seine Mannschaft verglühte. Das Erreichen des EM-Finales vor zwei Jahren war kein Zufall, aber die Mischung aus den klimatischen Bedingungen und fehlender Form (wenn etwa Neu-Dortmunder Immobile so spielt, wie er heißt; ein Candreva halt nicht mehr als ein Durchschnitts-Kicker ist, Insigne von seinem Punch genau nichts zeigte, Cassano ein müder Abklatsch von 2012 ist und mit Parolo ein 29-Jähriger neu in den Kader kommt) killte Italien.

Spanien: „Generation Xavi“ entmachtet

Es kommt die Zeit, da bricht alles irgendwie in sich zusammen. Zumindest oft. Das war bei Frankreich 2002 so, das war bei Italien 2010 so, und jetzt hat’s die Spanier erwischt. Zu lange festgehalten an einer Spielweise, die die alternden Spieler nicht mehr auf dem höchsten Niveau zu spielen im Stande waren. Und gerade beim Ballbesitz-Fußball spanischer Prägung ist das unbedingt vonnöten.

Spanien
Spanien: Die Änderungen nach dem 1:5 gegen Holland waren zu spät und halfen zu wenig.

Aber Xavi wurde von den geschickten Holländern so kontrolliert, dass er danach nicht mehr ins Geschehen eingriff. Xabi Alonso nahm von den wie wild pressenden Chilenen ein veritables Trauma mit. Und ohne diese beiden Säulen im Zentrum mäanderte der Rest kopflos durch die Partien. Diego Costa konnte nie so eingesetzt werden, dass er seine Stärken ausnützen hätte können. Zu viele Spieler waren zu langsam oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um jenes Gegenpressing zum Funktionieren zu bringen, das ja das eigentliche Erfolgsgeheimnis Spaniens war.

Und vor allem fehlte es dem Abwehr-Duo Ramos und Piqué vor allem gegen Holland, aber auch gegen Chile an der Gedankenschnelligkeit und der Abstimmung – auch, weil Busquets mehr vorne helfen musste als auf die Absicherung nach hinten achten zu können. Die gigantischen Löcher, die entstanden, waren ein Fest für die Holländer und die Hilflosigkeit gegen das chilenische Pressing wurde schnell deutlich.

Das allerdings war schon vorher klar: Von einem mutigen Gegner selbst angepresst zu werden, gefällt den sonst ja selbst pressenden Spaniern gar nicht – wie es etwa Portugal im EM-Halbfinale 2012 machte.

Und dann machte auch noch Iker Casillas jene dämlichen Anfängerfehler, die er nach einem Jahrzehnt auf Top-Niveau zuletzt auch bei Real Madrid immer häufiger wieder eingestreut hatte.

Wie so viele große Trainer vor ihm hat nun also auch Vicente del Boque zu lange an altverdienten Spielern festgehalten. Es sagt sich aber andererseits leicht, er hätte Xavi, Xabi Alonso und womöglich auch Iniesta und Casillas nach drei Titel in Folge eliminieren müssen. Die zu erwartenden Prügel von Medien und Fans will sich niemand antun. Verständlich.

Nicht, dass die Spanien jetzt Sorgen machen müsste – die letzten zwei U-21-Europameisterschaften gewann man, es rückt viel nach. Aber die „Generation Xavi“ ist hiermit an ihrem leider etwas unrühmlichen Ende des Weges angekommen.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Juni 2016 in Frankreich

Die Hälfte von Europas Großen hat komplett enttäuscht, aus den verschiedensten Gründen. Bei England wird sicherlich nichts besser, wenn man weiterhin so lauwarm vor sich hinlebt, bei Italien muss man abwarten, ob Biedermann Mancini übernimmt, Choleriker Conte oder doch Tüftler Guidolin (oder auch ganz wer anderer, Allegri ist ja für die Squadra Azzurra vom Markt). Keiner der drei wird aber die grundsätzlichen Probleme im italienischen Fußball lösen können, da ist der Verband gefragt.

Frankreich braucht für die Heim-EM mehr Persönlichkeiten im Mittelfeld, überall sonst ist die Equipe Tricolore gut aufgestellt. Deutschland wird zumindest zwei, vielleicht sogar drei absolute Schlüsselspieler auf dem Weg zur EM in zwei Jahren ersetzen – ob das ohne Reibungsverluste geht, muss man erst einmal sehen. Erstaunlicherweise sieht aus dem jetzigen Blickwinkel Holland als diejenige Mannschaft aus, die das wenigste Bauchweh haben muss: Der junge Kader hat die Erfahrung einer starken WM, muss praktisch nicht umgebaut werden und Guus Hiddink ist ein ganz erfahrener Trainer, der ein Team völlig anders führt als Van Gaal, sich aber um seine Autorität nicht sorgen muss.

Die Gelegenheit für Teams aus der zweiten Reihe, bei der EM die Arrivierten in den Schatten zu stellen, ist also gegeben. Sie müssten sich jetzt nur noch trauen.

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England mal wieder bieder, aber Italien braucht zum Sieg das Elferschießen https://ballverliebt.eu/2012/06/25/england-mal-wieder-bieder-aber-italien-braucht-zum-sieg-das-elferschiesen/ https://ballverliebt.eu/2012/06/25/england-mal-wieder-bieder-aber-italien-braucht-zum-sieg-das-elferschiesen/#comments Sun, 24 Jun 2012 23:12:38 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7604 England mal wieder bieder, aber Italien braucht zum Sieg das Elferschießen weiterlesen ]]> Es dauerte 120 Minuten und neun Elfmeter. Doch am Ende hat das letzte Viertelfinale des Turniers mit Italien einen verdienten Sieger gefunden, weil die Azzurri, von einer recht aktiven englischen Anfangsphase einmal abgesehen, deutlich mehr für das Spiel taten. Überraschend war das nicht, schließlich war England schon in der Gruppenphase eine der unprickelndsten Mannschaften des Turniers.

England - Italien 0:0 n.V., 2:4 i.E.

Dass die Engländer gegen das von Haus aus sehr eng angelegte Spiel der Italiener das Zentrum verdichten würden, war klar – umso mehr kam auf die Flügel an. Und hier versuchte Hodgson sehr wohl, den natürlichen Nachteil des typisch italienischen 4-3-1-2 auszunützen: Anders als in den Gruppenspielen waren Ashley Cole und vor allem Glen Johnson extrem aktiv nach vorne, unterstützten Young und Milner nach Kräften und stellten so 2-gegen-1-Situationen gegen die italienischen Außenverteidiger her.

Damit hatte Italien zunächst große Probleme, weil es selbst nicht nach Wunsch gelang, einerseits in den Rücken der aufgerückten Engländer zu kommen. Was aber nichts daran änderte, dass auch sie über die Flügel das Spiel nach vorne tragen wollten: Abate und Balzaretti hatten durchaus Platz, weil die Engländer gegen den Ball vornehmlich gegen das Zentrum arbeiteten. Durch die guten Laufwege und die starke Technik von Balotelli und Cassano wurden auch Italien durchaus gefährlich.

Pirlo und De Rossi

Dass Italien vor allem nach dem Umschalten von Offensive auf Defensive immer wieder auf den Flügeln überrannt wurden, minderte sich erst, als De Rossi und Marchisio begannen, dort abzusichern, sobald Abate und Balzaretti aufgerückt waren. So konnten die Engländer nicht mehr ungehindert nach vorne preschen, die Italiener bekamen Kontrolle und Struktur in ihr Mittelfeld und damit zunehmend die Kontrolle im Spiel.

Auffallend war dabei, dass De Rossi oft sehr weit hinten blieb, kaum höher stand als Pirlo und dessen Position übernahm, wenn Pirlo horizontal verschob. Vor allem auf die eigenen rechte Seite wich er immer wieder aus, was möglich war, da Marchisio sich deutlich weiter nach vorne schob als De Rossi auf der anderen Seite. Im Gegenzug ließ sich Montolivo gerne in jenes Halbfeld zurückfallen, in dem Pirlo gerade nicht war.

Die Rolle von Montolivo

Montolivo wich viel auf die Flügel aus - recht mit veritkalem Spiel, rechts mit horizontalem.

Die Rolle des 27-Jährigen, der nach sieben Jahren bei der Fiorentina (wo er übrigens unter Prandelli den Durchbruch geschafft hatte) für die neue Saison zu Milan wechselt, war überhaupt sehr interessant und sie sagt auch einiges über das Spiel der Italiener aus. Er war zwar nominell als Trequartista aufgestellt, also als Zehner hinter den zwei Spitzen, aber diese Rolle ist nicht die von Montolivo.

Er ist eher jemand, der mit guten Pässen aus dem Halbfeld heraus das Spiel lenkt. Außerdem hatte er zwischen Gerrard und Parker auch so gut wie nie den Platz, sich gewinnbringend in dieser Zone zu bewegen. Also verteilte er nicht aus dem Zentrum heraus die Bälle nach vorne, sondern wich auf die Flügel aus oder ließ sich zurückfallen.

Erstaunlich ist dabei auch der Unterschied in seinen Pässen, abhängig davon, ober er auf die linke Seite (mit Balzaretti und dem eher defensiven De Rossi) ging, oder auf die rechte Seite (mit Abate und dem höher agierenden Marchisio). Auf dem rechten Flügel nämlich spielte Montolivo hauptsächlich vertikale Pässe, oft in den Lauf von Abate und auch von Cassano. Links hingegen war das alles eher horziontal, ohne wirklichen Zug zum Tor.

Was sich dann natürlich auch fortsetzte: Während Abate immer versucht war, Flanken in den Strafraum zu bringen, traute sich Balzaretti das wesentlich weniger zu. Wenig Wunder also, dass die Abate-Seite jene war, die den Engländern viel mehr Kopfzerbrechen bereiten muste.

Erlahmende Flügel und der Walcott-Boykott

Was sich gegen Ende der ersten Hälfte schon angedeutet hatte, setzte sich in der zweiten Halbzeit fort: Die Flügel der Engländer erlahmten immer mehr. Johnson und Cole hielten sich immer mehr zurück, wordurch die Italiener immer mehr Kontrolle ausüben konnten. So brachte Hodgson nach genau einer Stunde Carroll für Welbeck (wohl um einen Anspielpunkt für lange Bälle zu haben) und Walcott statt Milner – um wieder für etwas Schwung über jene Seite zu veranstalten, über die die Italiener ohnehin nicht viel Konkretes angeboten haben.

Doch warum auch immer – aber Walcott wurde, sobald er im Spiel war, von seiner Mannschaft richtiggehend boykottiert. Es war, als herrschte ein Verbot, den Ball auch nur in die Nähe von Walcott zu spielen, so sehr wurde fast krampfhaft versucht, Entlastungsangriffe über die andere Seite aufzuziehen. Durch die gute Defensiv-Arbeit von Marchisio war da aber nicht viel möglich.

Verlängerung

Drei Neue für Italien

Prandelli brachte in der Folge mit Diamanti und Nocerino (statt Cassano und De Rossi) ebenfalls zwei neue Spieler. Diese beiden wurden deutlich besser eingebunden als das neue Duo bei England: Diamanti spielte tiefer als Cassano und stellte mit seiner Wucht etwas mehr Körperlichkeit entgegen als das Cassano möglich war. Noch wichtiger war aber zunächst die Rolle von Antonio Nocerino: Er spielte eine wesentlich vorgerücktere Rolle als De Rossi vor ihm, statt kluger Pässe waren nun tatsächliche Vorstöße gefragt. Da die Engländer aber standhielten, ging es mit einem 0:0 in die Verlängerung

Dafür kam statt des immer aktiven, aber langsam etwas müde werdenden Abate mit Christian Maggio ein gelernter Wing-Back für die rechte Seite. Nun waren also Maggio und Diamanti für die rechte Außenbahn zuständig, Nocerino und Balzaretti für die linke; Montolivo und Marchisio sicherten ab.

Vor allem Maggio belebte das italienische Spiel. Was aber nichts daran änderte, dass die restliche Mannschaft immer müder wurde. Italien dominierte die Partie zwar nach Belieben, es fehlte aber die Konsequenz und der echte Zug zum Tor – selbst gegen einen Gegner, der schon längst stehend K.o. war. Womit es ins Elfmeterschießen ging – das mit den Italienern jene Mannschaft völlig zu Recht gewann, die zuvor die klar aktivere gewesen war.

Fazit: Italien bleibt interessant, England bleibt langweilig

Das Bemühen war bei den Engländern erkennbar, den systembedingten Vorteil auf den Außenbahnen auszunützen – allerdings zu wenig konsequent und vor allem zu wenig lang. Eine halbe Stunde, dann war der Spuk vorbei, und es spielte nur noch Italien. Diese Squadra Azzurra ist individuell sicherlich weit von der Klasse der Spanier und der Deutschen entfernt, aber durch ihre taktische Flexibilität kann sie den Turnier-Favoriten auf jeden Fall zumindest äußerst unangenehm werden.

Die Engländer fahren (mal wieder) nach einem verlorenen Elfmeterschießen heim. Beschweren darf sich dort aber keiner: Angesichts des Chaos im Vorfeld des Turniers ist der Viertelfinal-Einzug ohnehin ein herzeigbares Ergebnis. Einen Funkenflug, eine Initialzündung für eine mögliche bessere Zukunft konnten die Three Lions aber nicht setzen. Die unglaublich biedere, um nicht zu sagen todlangweilige Spielweise von Roy Hodgson hat funktioniert, um den sportlichen Totalschaden bei diesem Turnier abzuwenden. Zu mehr ist sie aber nicht gut.

Von eingefleischten England-Fans einmal abgesehen wird diesem Team aber keiner nachtrauern.

(phe)

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Frankreich versenkt den Gastgeber; Welbecks Traumtor die Schweden https://ballverliebt.eu/2012/06/16/frankreich-versenkt-den-gastgeber-welbecks-traumtor-die-schweden/ https://ballverliebt.eu/2012/06/16/frankreich-versenkt-den-gastgeber-welbecks-traumtor-die-schweden/#comments Fri, 15 Jun 2012 23:51:32 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7511 Frankreich versenkt den Gastgeber; Welbecks Traumtor die Schweden weiterlesen ]]> Land unter in Donetsk! Während die Franzosen mit einer Stunde Verspätung nach einem heftigen Unwetter dank einer sehr ordentlichen Leistung Gastgeber Ukrainer versenkt hat, lieferten sich Schweden und England einen offenen Schlagabtausch. Das war zwar dank des Spielverlaufs dramatisch. Aber hochklassig war es nicht.

Schweden - England 2:3 (0:1)

Es ist so eine Sache mit der flachen Viererkette im Mittelfeld, mit zwei Spielern, die in der Zentrale recht tief stehen. Es macht einen ausrechenbar, weil man auf die Außenbahnen angewiesen ist. Wenn aber zwei Teams gegeneinander spielen, die beide mit so einer Mittelfeld-Kette agieren, besteht die große Gefahr, dass die Partie vor allem eines wird: Langweilig. Nun, der Unterhaltungswert und die Dramatik beim Aufeinandertreffen von Schweden und England war durchaus gegeben. Es war ein spannendes Spiel. Aber es war weit davon entfernt, auch ein gutes Spiel zu sein.

Die Leuchttürme

Dazu spielten beide Teams zu ähnlich und zu sehr auf die gleichen Bereiche auf dem Feld vertrauend. Im 4-4-1-1 von beiden Teams gab es im Vorwärtsgang vor allem zwei Aspekte: Die Flügel und die Leuchttürme im Angriff. Wie Letztere ihre Rolle interpretierten, war der größte Unterschied bei den sonst sehr ähnlich unspektakulären Teams.

Roy Hodgson brachte bei den Engländern Andy Carroll für den Angriff zu Danny Welbeck, dafür rückte Ashley Young auf die linke Seite und The Ox auf die Bank. Keine Frage, Hodgson wollte gegen die robuste und körperlich starke schwedische Innenverteidigung einen ebenso körperlich beeindruckenden Stürmer aufbieten. In der Praxis war Carroll der Anspielpunkt, den die Engländer mit ihren langen Bällen nach vorne suchte. Carrolls Aufgabe war es, diese Anspiele zu kontrollieren, den Ball zu behaupten und so die schnellen Spielern um ihn herum – also in erster Linie Welbeck und Young – in die Aktion einzubinden.

Zlatan Ibrahimovic hingegen war zwar grundsätzlich auch hinter der Spitze aufgeboten, war aber extrem aktiv. Er wich viel auf die Flügel aus, ließ sich zurückfallen und verstand sich viel mehr als Gestalter. Oft war Ibra so weit hinten, dass er beide englische Viererketten zwischen sich und dem Tor hatte. Der Milan-Stürmer ist aber vieles – Vollstrecker, Austeiler, Weg-frei-Blocker – aber Spielmacher ist er keiner, vor allem nicht, wenn er eine extrem verdichtete Abwehr vor sich hat.

Der Kampf um die Flügel

Letztlich verteidigten beide Abwehrreihen die Mischung aus körperlicher Erscheinung und flinkem Sturmpartner beim jeweiligen Gegner ganz gut, wodurch die Flügel umso mehr in Erscheinung traten. Hier hatten die Engländer Vorteile. Nicht nur, was die individuelle Qualität der Spieler angeht, sondern auch in der Art und Weise, wie sie diese nützten. Vor allem die linke englische Seite mit den beiden Ashleys Cole und Young war recht fleißig und drückte Granqvist brutal nach hinten. Das war auch möglich, weil der schwedische RM Seb Larsson nach innen rückte.

Genauso im Übrigen wie dessen Widerpart auf der linken Seite, Rasmus Elm. Der Grundgedanke dahinter war wohl, dass man die Schnittstellen zwischen zentralem Mittelfeld der Engländer und den Außenspielern nützen wollte, aber weil Gerrard und Parker mit großer defensiver Übersicht agierte, passierte da sehr wenig.

Das konnten sie auch deshalb tun, weil sie schnell bemerkten: Von ihren direkten Gegenspielern, Svensson und Källström, war überhaupt nichts zu befürchten. Was seltsam war – denn beide können eigentlich recht gut das Spiel eröffnen, Ibrahimovic versuchte sich auch immer, frei zu laufen und anspielbar zu sein, aber sinnvolle Vorwärtspässe kamen aus derm schwedischen Zentrum überhaupt nicht.

Tore aus Fehlern und Einzel-Aktionen, nicht aus stratigischen Überlegungen

S0 war ein strategisches Patt gegeben, das eigentlich einem logischen 0:0 entgegen lief. Dass es dennoch Tore gab, lag an individuellen Abwehrfehlern (wie beim 1:0 für England, als sich weder Mellberg noch Granqvist für Carroll verantwortlich fühlten), schlechtem Verteidigen von Standards (wie beim 1:1 und dem 2:1 für Schweden, als jeweils Mellberg der entscheidende Mann war), einem krachenden Weitschuss (das 2:2 des kurz zuvor für den eher blassen Milner eingewechselten Walcott) und einer individuellen Meisterleistung von Welbeck zum 3:2-Siegtor.

Letztendlich kann man nur das Tor zum 3:2 mit einer echten strategischen Überlegung begründen, und sei es auch nur die, mit Walcott viel frischen Wind auf die rechte englische Abwehrseite zu bringen und so Martin Olsson in Verlegenheit zu bringen. Ein Zuspiel von Walcott bereitete letztlich das sensationelle Siegtor von Welbeck vor.

Fazit: Englischer Sieg nicht unverdient

Das Tempo war überschaubar, die Kreativität weitgehend nicht vorhanden. Es war, vom inhaltlichen betrachtet, ein recht enttäuschendes Spiel, das mit den Engländern aber dennoch einen verdienten Sieger gefunden hat. Sie zeigten auf den Flügeln die höhere individuelle Klasse und hatten so etwas mehr vom Spiel, und es machten einen recht ordentlichen Job, wenn es darum ging, Ibrahimovic aus dem Spiel zu nehmen.

Den Schweden wurde letztlich ihre Eindimensionalität und ihre Abhängigkeit von Ibrahimovic zum Verhängnis. Von ihm abgesehen fehlt es an der Klasse, an den Ideen und auch an der Qualität, sich gegen einen auch nicht gerade überragenden, aber individuell besser besetzten Gegner durchzusetzen. Weshalb sie auch verdient nach der Vorrunde die Koffer packen müssen.

Gegen England schaffte es Frankreich nicht, einen tief und kompakt stehenden Gegner zu knacken. Zu phantasie- und drucklos war der eigenen Auftritt. So änderte Laurent Blanc nicht nur seine Aufstellung für das Spiel gegen Gastgeber Ukraine, sondern auch das System: Hier war das Team in einem klaren 4-2-3-1 aufgestellt. Cabaye agierte neben Diarra als Achter, Nasri als zentraler Offensiv-Mann, und Jérémy Ménez kam für die rechte Seite in die Partie. Die erstmal nur vier Minuten dauerte – nach einer einstündigen Unterbrechung wegen den heftigen Unwetters ging es dann aber doch weiter.

Seltsame Abwehrkette

Ukraine - Frankreich 0:2 (0:0)

Das System der Ukrainer hing dabei ein wenig gar schief auf dem Platz. Während auf der rechten Seite Gusev, wie gewohnt, den Vorwärtsgang drin hatte, blieb Linksverteidiger Jevgeni Selin komplett hinten, rückte weit ein – vor allem, wenn Gusev aufgrückt war. So ergab sich zuweilen eine Dreier-Abwehr.

Auffällig war dabei, dass der Abstand zwischen Gusev und seinem Nebenmann in der Innenverteidigung, Taras Michalik, oftmals extrem groß war und nicht nur Ribéry, sondern auch Nasri das bemerkten und diese offene Schnittstelle auszunützen versuchten. Allerdings zunächst ohne Erfolg.

Ukrainischer Aufbau

Die Abwehrreihe der Gastgeber schob im Ballbesitz sehr weit nach vorne und stellte so sehr geringe Abstände her. Zudem ließ sich Voronin geschickt ins Mittelfeld fallen, was den Franzosen den Aufbau zusätzlich erschwerte, während er selbst gut anspielbar war.

Dazu versuchte die Ukraine, vor allem über die Seite mit dem zum Rechtsverteidiger umfunktionierten Gusev und Jarmolenko nach vorne zu kommen. Zudem ließ sich Voronin geschickt ins Mittelfeld zurück fallen, um sich dort als Anspielstation anzubieten, wären Andriy Shevchenko vorne verblieb und sich zwischen den französischen Reihen bewegte.

Entscheidender Mann in der Spieleröffnung war wenig überraschend Tymoschuk, der wieder als tiefster Spieler im Mittelfeld agierte. Der Plan war ganz offensichtlich, ihn als Ballverteiler zu nützen, der entweder Nasarenko kurz, Voronin steil odder Jarmolenko auf dem Flügel schickte. Sein Problem dabei war allerdings das des ganzen ukrainischen Teams.

Französisches Pressing

Das Pressing der Franzosen nämlich. Nasri und oft auch Cabaye setzten Tymoschuk unter Druck, Clichy und Ribéry machten das selbe auf ihrer Außenbahn, Debuchy und Ménez auf der ihren. Zudem lief Benzema geschickt, oft auch mit der Unterstützung von Nasri, die ukrainischen Innenverteidiger an. So unterband Frankreich nicht nur das Spiel des Gegners – das sich nach vorne somit immer mehr auf lange Bälle beschränkte – sondern verunsicherte ihn dabei auch noch.

Vor der Pause hatte das noch keinen zählbaren Erfolg, danach aber schon. Die deutlich verunsichert wirkenden Ukrainer schafften es auch mit Devic statt des diesmal nicht so starken Voronin nicht, die Hoheit über das Mittelfeld zu bekommen – im Gegenteil. Weil sich Devic höher orientierte als Voronin vor ihm, musste sich der französische Sechser Diarra weniger um ihn kümmern und hatte nun mehr Zeit und Ruhe am Ball. Und dann nützten die Franzosen doch noch zwei sehr stark herausgespielte Chancen zu einem Doppelschlag.

Zeit für Wechsel

Oleg Blochin brachte in der Folge mit Milevski einen weiteren Stürmer statt Nasarenko. Das war zwar nominell ein offensiver Wechsel, wirkte letztlich aber logischerweise eher kontraproduktiv – denn nun war zwischen dem tief stehenden Tymoschuk und den nun drei Stürmern endgültig kein Mitspieler mehr, dafür jede Menge Franzosen. Devic orientierte sich in der Folge etwas tiefer, um zumindest einen Verbindungsspieler zu haben. Shevchenko hingegen zog es vermehrt auf die rechte Seite von Gusev und Jarmolenko

Die französischen Mittelfeld-Außen waren zwar nicht gerade die allerfleißigsten, was die Rückwärtsbewegung angeht, aber die Ukrainer schafften es dennoch nicht, die Franzosen in Bedrängnis zu bringen. Was auch daran lag, dass es nun keinen Ukrainer mehr gab, der die französische Zentrale kontrolliert unter Druck setzen konnte. Dennoch entschied sich Blanc dafür, nicht Cabaye den nun mehr vorhandenen Platz auszunützen, sondern ließ statt ihm in der Schlussphase M’Vila neben Diarra die Anspielwege für die drei Ukrainer in der Spitze zuzustellen.

Fazit: Hochverdienter Sieg für Frankreich

Die Franzosen zeigten sich gegenüber der mauen Leistung gegen England klar verbessert. Das hohe Pressing setzte den Ukrainern ziemlich zu, viel mehr als Konter brachten sie offensiv nicht zu Stande. Frankreich zeigte die nötige Geduld und nützte den vermehrten Platz im Mittelfeld nach der Pause gut aus, ehe man routiniert den Vorsprung über die Zeit verwaltete. Davon zu schreiben, Frankreich hätte „trocken an der Uhr gedreht“, verbieten die Umstände.

Die Ukrainer hingegen müssen nach dieser Niederlage ihr letztes Gruppenspiel gegen England unbedingt gewinnen, alles andere ist für das Viertelfinale zu wenig. Der Plan, dem Gegner durch eine hohe Linie den Platz zu nehmen, funktionierte defensiv war recht ordentlich, aber im Spielaufbau waren doch erhebliche Mängel auszumachen. Dazu wurde der Halbzeit-Wechsel von Devic statt Voronin zum Bumerang, weil die Franzosen damit doch mehr Platz in der Zentrale hatten.

Womit sich Frankreich nun doch als recht eindeutig stärkstes Team der Gruppe etabliert hat.

(phe)

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Ausgeglichen schwach: Ernüchterung zum Start der Gruppe D https://ballverliebt.eu/2012/06/12/ausgeglichen-schwach-ernuchterung-zum-start-der-gruppe-d/ https://ballverliebt.eu/2012/06/12/ausgeglichen-schwach-ernuchterung-zum-start-der-gruppe-d/#comments Mon, 11 Jun 2012 22:21:01 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7458 Ausgeglichen schwach: Ernüchterung zum Start der Gruppe D weiterlesen ]]> Was vor acht Jahren noch eines der besten Spiele der Euro 2004 war – England gegen Frankreich zum Start für beide Teams – war diesmal eine zähe, mühsame und öde Angelegenheit. Und auch die biederen Schweden und die brav kämpfenden, aber eigentlich nicht besonders guten Ukrainer wussten nicht wirklich zu überzeugen. Ein eher ernüchternder Spieltag.

Frankreich - England 1:1 (1:1)

Wer Roy Hodgson auf die Bank setzt, der weiß, was er bekommt: Gute Organisation in einem 4-4-2, grundsätzlich eher defensive Ausrichtung. Eng zusammen stehenden Viererketten, die gut verschieben. Den Versuch, nach Ballgewinn schnell umzuschalten und mit Einbeziehung der beiden Stürmer mit wenigen Pässen nach vorne zu kommen. Was man bei Roy Hodgson nicht bekommt: Aufregenden Fußball, überraschende taktische Experimente und Pressing. Und, oh Wunder, genau so agierten die Three Lions in ihrem ersten Turnier-Spiel gegen Frankreich.

Hodgson stellte Jungstar Alex Oxlade-Chamberlain auf die linke Seite. Das muss man durchaus als kleines Risiko betrachten, da es dem 18-Jährigen natürlich an der internationalen Routine fehlt und er mit dem bekannt offensiven Außenverteidiger Mathieu Debuchy einen nicht ungefährlichen Gegenspieler hatte. Allerdings hatte er das Glück, dass die Franzosen ihr System so interpretierten, dass Ox gemeinsam mit Ashley Cole praktisch nur Debuchy gegen sich hatten.

Wenig Tempo, noch weniger Ideen

Und zwar deshalb, weil Samir Nasri – nomineller Linkaußen im 4-3-3 von Laurent Blanc, schon grundsätzlich recht zentral agierte und sich mehr als Zehner präsentierte. Weil aber zwischen den Reihen der Engländer eben recht wenig Platz war, gab es auch kaum Möglichkeiten für Nasri, dort zur Entfaltung zu kommen.

So sammelten die Franzosen zwar Ballbesitz, aber gegen den kompakten Acht-Mann-Block der Engländer fehlten die Ideen und das Tempo. Malouda machte auf der linken Halbposition einen etwas verlorenen Eindruck; sein Gegenstück auf der rechten Seite, Yohan Cabaye, versuchte es zwar immer wieder selbst, aber auch er bekam keinen Zugriff auf den Strafraum. So entwickelte sich schon früh ein ziemlich zähes Spiel.

England ging nach einer Standard-Situation in Führung – wie auch sonst – und kassierte wenig später aus einem Weitschuss – wie auch sonst – den Ausgleich. Sonst waren Torszenen selten, vor allem aus dem laufenden Spiel heraus, und die Begegnung plätscherte vor sich hin. Eine blutleere Vorstellung von beiden Teams.

Todlangweilig

Das ist bei den Engländern noch eher nachvollziehber. Dem Team fehlen viele Leistungsträger, die Erwartungshaltung ist praktisch nicht vorhanden, und Roy Hodgson hat nach der eher chaotischen Suche nach einem Nachfolger für Fabio Capello vor dieser Begegnung erst zwei Spiele mit der Mannschaft hinter sich gebracht. Die Herangehensweise an die Partie gegen Frankreich war recht eindeutig: Nehmen wir einen Punkt mit, passt das.

Aber die Franzosen? Debuchy schaffte es nie, den unerfahrenen Oxlade unter Druck zu setzen, weil er dabei auch keine Unterstützung erhielt – Nasri und Cabaye zog es immer nur ins Zentrum mitten rein ins Gewühl. Im kompakten und auf Fehlervermeidung ausgerichteten Spiel der Engländer war das der wohl offensichtlichste mögliche Schwachpunkt, aber hier geschah gar nichts. Auch nicht, nachdem er mit Milner in der zweiten Hälfte Platz getauscht hatte: Evra ließ Ox ziemlich in Ruhe.

So stand ein Unentschieden, das beiden weder hilft noch, zumindest akut, schadet. Auch weil danach die beiden anderen Teams ebenfalls keinen allzu starken Eindruck machten:

Die Ukraine tut sich schwer, das Spiel selbst zu gestalten – das wurde auch bei der 2:3-Niederlage in Österreich im Vorfeld der EM deutlich. Gegen die recht passiv agierenden Schweden war das allerdings, wie kaum anders zu erwarten war, dennoch notwendig, auch weil man gegen die eher bieder daherkommenden Skandinavier auch den 70.000 Zuschauern gegenüber nicht auf Abwarten und Reagieren plädieren konnte.

Ukraine - Schweden 2:1 (0:0)

Auch bei der Startaufstellung ging Teamchef Oleg Blochin durchaus ein Risiko: Andriy Shevchenko war praktisch das komplette Frühjahr verletzt ausgefallen, machte auch in den Aufbauspielen keinen guten Eindruck, aber Sheva ist nun mal ein Denkmal – auch wenn es für den Spielaufbau womöglich sinnvoller gewesen wäre, die jüngeren Devic und Milevskyi zu bringen, ließ Blochin die gemeinsam knapp 250 Jahre alten Shevchenko und Voronin starten.

Die Sache mit Toivonen

Erik Hamrén, der schwedische Teamchef, wusste: Die größte Waffe in der ukrainischen Spielgestaltung ist Oleg Gusev – der gelernte Flügelstürmer, der als Rechtsverteidiger spielt. Sein Tempo und sein Zusammenspiel mit Andriy Jarmolenko vor ihm wollte Hamrén neutralisieren, indem er Gusev einen gelernten Stürmer entgegen stellte: Ola Toivonen.

Der Kapitän vom PSV Eindhoven wird üblicherweise als vorderste oder hängende Spitze eingesetzt, aber nicht auf dem Flügel als de facto vorderster Defensiv-Mann, und das merkte man. Von seiner Aufgabe, Druck auf Gusev auszuüben, war rein gar nichts zu sehen – im Gegenteil, Gusev ließ Toivonen stehen, machte nach vorne was er wollte. Die Folge: Schwedens Linksverteidiger Martin Olsson wurde in 2-gegen-1-Situationen verwickelt.

Risiko wird gescheut

Das Glück der Schweden war dabei, dass es den Ukrainern an der letzten Konsequenz, am Zug zum Tor und an der Bereitschaft zu Risiko-Pässen fehlte. Im Zweifel wurde das Tempo aus dem Angriff genommen, zurück gespielt, auf Ballbesitz geachtet, und dass man nur ja nicht in Konter rennt. Die besten Aktionen hatten die Gastgeber, wenn es gelang, durch die Mitte einen der alten Männer im Angriff einzusetzen. Denn ja, Voronin und Shevchenko sind längst nicht mehr die schnellsten, aber durch ihre enorme Routine haben sie einen hervorragenden Blick für Laufwege und wissen, wie man sich zwischen den Reihen postiert.

Eigene Angriffe gab es beiden Schweden kaum. Ibrahimovic spielte im 4-4-1-1 hängend hinter dem viel arbeitenden, aber wenig Gefahr ausstrahlenden Rosenberg und er war ganz deutlich die primär gesuchte Anspielstation. Das wussten halt auch die Ukrainer und machten ihm das Leben schwer: Tymoschuk zeigte gutes Stellungsspiel, Katcheridi und Michalik als robuste Zweikämpfer.

Aus 0:1 mach 2:1

Die Gedankenschnellsten sind die beiden aber nicht, wie beim 1:0 für die Schweden deutlich wurde: Källström spielte einen Wechselpass schnell zurück in die Mitte, Ibra stand richtig und netzte ein. Wie wichtig dem seit seinem verunglückten Abenteuer bei Chelsea oft recht lethargischen Shevchenko dieses Spiel war, wurde aber in der Folge deutlich. Er suchte vor allem nach dem Rückstand jede Chance, dem Ball entgegen zu gehen und sein Team zurück zu bringen. Was gelang: Erst setzte er sich exzellent gegen Mellberg durch und traf zum 1:1, dann ging er einer Ecke stark entgegen und lenkte den Ball zum 2:1 ab.

Erst jetzt reagierte Hamrén auf die immer eklatanter werdende Unterlegenheit auf den Flügeln und besetzte beide neu. Statt dem defensiv wirkungslosen und offensiv unsichtbaren Toivonen und dem generell schwachen Seb Larsson stellte er nun Chippen Wilhelmsson (links) und Rasmus Elm (rechts) auf die Außenbahnen – zumindest nominell – und brachte Anders Svensson für die Zentrale.

Weiter ab nach vorne

Die beiden neuen Mittelfeld-Außen rückten ein, ermöglichten so den aufrückenden Außenverteidigern, sich nach vorne einzuschalten. Aber das Spiel der Schweden blieb ungenau und ohne einen Plan, der vom Schema „Ball zu Ibra“ merklich abwich. Dennoch wurde es noch eine relativ wilde Schlussphase.

Und zwar, weil die Ukrainer, vermutlich in einer Mischung aus „Yay, wir haben das Spiel gedreht“ und der Begeisterung im vollen Kiewer Stadion, fleißig weiter angriffen. Die Abwehrreihe rückte sehr weit auf, die Mannschaft warf sich nach vorne, und vergaß dabei, dass sie das eigentlich gar nicht so gut kann – und dass das brandgefährlich ist, sollte der Gegner die Qualität haben, das zu nützen.

Die Schweden hatten diese nicht.

Fazit: Ausgeglichen schwache Gruppe

Nach den Eindrücken des damit zu Ende gegangenen ersten Durchgangs ist die Erkenntnis, dass diese Gruppe D die schwächste des Turniers ist. Und zwar ohne wirklichen Ausreißer nach oben oder nach unten, sondern recht ausgeglichen schwach.

Die Engländer zeigten sich komplett phantasielos, die Franzosen ohne einen Plan und irgendwie kopflos, die Schweden begaben sich bereitwillig in volle Abhängigkeit von Ibrahimovic und die Ukrainer kämpften gut, aber höhere Qualität war da auch nicht dahinter.

Das muss nicht heißen, dass die beiden Viertelfinalisten aus dieser Gruppe unbedingt in der Runde der letzten Acht rausfliegen müssen – vor allem die Engländer könnten Spanien mit ihrer Taktik ziemlich auf die Nerven gehen – aber dass der Europameister aus diesem Quartett kommt, ist nach den Eindrücken dieses Spieltags nur schwer vorstellbar.

(phe)

 

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