Deschamps – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Mon, 16 Jul 2018 17:30:35 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Die EURO-Top-8: Überraschungen und zu kurz Gekommene https://ballverliebt.eu/2016/07/12/die-euro-top-8-ueberraschungen-und-zu-kurz-gekommene/ https://ballverliebt.eu/2016/07/12/die-euro-top-8-ueberraschungen-und-zu-kurz-gekommene/#comments Tue, 12 Jul 2016 13:31:02 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=12795 Weltmeister Deutschland, Gastgeber Frankreich, Geheimfavorit Belgien: Solche Teams hat man unter den besten acht Mannschaften des Turniers erwartet. Island und Wales hingegen eher weniger. Hier der dritte und letzte Teil unserer Team-Analysen der EM 2016: Jene acht Teams, die im Viertelfinale, Semifinale und Finale dabei waren.

Portugal: Pragmatisch zum Titel

Team PortugalMit Spielern wie Rui Costa, Figo und Ronaldo stand Portugal in der Vergangenheit in erster Linie für schöngeistigen Angriffs-Fußball, dem es auch in Ermangelung eines echten Knipsers ein wenig am Endzweck mangelt. Die portugiesische Mannschaft, die nun endlich den Bann gebrochen und jenen großen Titel einfuhr, den sich Portugal längst verdient hatte, ist genau das nicht. Oder: War genau das in der K.o.-Phase dieser EM nicht.

In der Gruppenphase hatte Ronaldo alleine mehr Torschüsse als neun Teams bei diesem Turnier, er rettete in einem Chaos-Spiel noch das 3:3 gegen Ungarn und damit den Platz im Achtelfinale. Von da an konzentrierte man sich darauf, die Gegner zu neutralisieren – und das klappte vorzüglich. Adrien Silva, nominell auf der Zehn, war eher vorderster Manndecker als Spielgestalter; weil es weiterhin keinen wirklichen Center-Forward von adäquatem Niveau gibt, spielte Trainer Fernando Santos gleich ganz ohne einen solchen. Der Pragmatiker stellte sein Team punktgenau auf jeden Gegner ein, ohne Rücksicht darauf, ob das nun attraktiv aussieht oder nicht.

Portugal agierte bei dieser EM nicht herzerwärmend und hat wohl kaum neue Fans dazugewonnen. Mit einem Blick auf die Trophäe, die sich der Verband ab sofort in den Wandschrank stellen darf, werden Ronaldo und Co. das aber verschmerzen können.

Frankreich: Fast nie das Optimum erreicht

Team FrankreichDer Gastgeber landete im schweren Turnier-Ast und hat auf dem Weg ins Finale trotzdem nur eine einzige Klassemannschaft vorgesetzt bekommen. Der Halbfinal-Sieg gegen Deutschland hatte auch deutlich mehr mit Glück zu tun als mit einem patenten Matchplan – man stand 80 der 90 Minuten eingeschnürt am eigenen Strafraum.

Wie überhaupt Frankreich individuell einige herausragende Leistungen präsentierte. Allen voran natürlich Torschützenkönig Antoine Grizemann, aber auch Spätzünder Dimitri Payet und das für 25 Millionen Euro zu Barcelona wechselnde Abwehr-Juwel Samuel Umtiti. Aber als Deschamps im Achtelfinale seine Formation gefunden hat – aus dem 4-3-3 bzw. 4-2-3-1 der Vorrunde wurde ein 4-4-2 mit Grizemann als etwas hängender Spitze neben Giroud, dafür musste Kanté aus dem Mittelfeld-Zentrum weichen – wurde nichts mehr verändert.

Es kamen auch keine Impulse mehr von Deschamps. Der einstige Weltklasse-Mittelfeld-Regisseur vermochte es wie schon vor zwei Jahren bei der WM nicht, seinem Team eine neue Richtung zu geben, wenn es nicht funktionierte. Damals rannte man 80 Viertelfinal-Minuten ohne wirklichen Plan einem 0:1 gegen Deutschland hinterher, hier verließ sich Deschamps im Finale darauf, dass einer seiner Einzelkönner schon noch für die Entscheidung sorgen würde.

Hinzu kamen die immer gleichen Wechsel (Gignac für Giroud, Coman für Payet). Obwohl Frankreich das Finale erreichte und dort erst durch einen Weitschuss in der Verlängerung bezwungen wurde: Man wird das Gefühl nicht los, dass Deschamps das gigantische Potenzial dieses Kader nicht auszuschöpfen vermag.

Deutschland: Sehr solide, aber nicht perfekt

Team DeutschlandSehr stabil, gruppentaktisch extrem unanfällig für Fehler, flexibel im Gestalten der Matchpläne: Von alles 24 Teams bei diesem Turnier war jenes von Weltmeister Deutschland vermutlich das Kompletteste.

Man kam gegen schwächere Gegner nie in die Gefahr, etwas liegen zu lassen; begnügte sich gegen Mittelklasse-Team Polen mit einem 0:0, als man merkte, dass man nicht durchkommt; überraschte und kontrollierte Italien und dominierte Frankreich beinahe nach Belieben. Letztlich waren es zwei Punkte, die den Deutschen den Titel raubten: Individuelle Fehler (Handspiele im Strafraum, in erster Linie) und die Tatsache, dass man auf zwei, drei Positionen halt doch nicht ganz optimal besetzt ist. Nach dem Ausfall von Mario Gomez (eh auch schon nur im äußerst weiteren Sinne ein europäischer Klassespieler) gab es bei aller Dominanz keine Präsenz mehr im Strafraum; Linksverteidiger Jonas Hector macht nichts kaputt, er bringt aber auch nichts; und Joshua Kimmich war – wie schon bei den Bayern – offensiv stark, aber defensiv wechselten sich grandiose Aktionen mit Anfängerfehlern ab.

Das Turnier war beliebe kein Fehlschlag für den DFB und mit Leuten wie Julian Weigl und Leroy Sané (die schon im Kader waren) sowie Julian Brandt und Mahmoud Daoud (die noch nicht dabei waren) gibt es gerade im Mittelfeld spannende junge Spieler mit großer Zukunft. Die Problemstellen Außenverteidiger und Stoßstürmer bleiben aber weiterhin eher dünn besetzt.

Wales: Alles auf das Top-Quartett ausgerichtet

Team WalesMit Deutschland im Halbfinale hatte man rechnen können, mit Wales eher nicht. Das ist nicht nur mit einer nicht übertrieben problematischen Auslosung (Russland und Slowakei in der Gruppe, Nordirland im Achtelfinale) zu erklären. Die Waliser verfügen über eine äußerst intelligent zusammen gesetzte Truppe mit vier Schlüsselspielern – Joe Allen als Taktgeber auf der Sechs, für den Bartträger Joe Ledley die Drecksarbeit erledigt, davor/daneben Aaron Ramsey als raumübergreifender Verbindungs-Spieler zwischen Mittelfeld und Angriff und natürlich Superstar Gareth Bale.

Um alle vier aus diesem Quartett bestmöglich in Szene setzen zu können, adaptierte der clevere Chris Coleman sein System dahingehend. Weil er nicht links und rechts jeweils zwei Spieler einsetzen konnte (wie im 4-2-3-1 oder 4-4-2) UND einen weiteren Stürmer an die Seite von Gareth Bale stellen, besetzte er die Außenbahnen nur Singulär und installierte dafür hinten eine Dreierkette. So hat er noch einen zehnten Feldspieler übrig, den er neben/vor Bale und Ramsey stellen konnte. Meistens war das Hal Robson-Kanu, auch Sam Vokes kam als Stürmer zum Einsatz.

Wales war eines der wenigen Teams, die sowohl das Heft in die Hand nehmen, als auch defensiv stehen und Druck absorbieren können. Bei aller Qualität der ersten Elf muss aber auch gesagt werden: Wenn aus dem Schlüssel-Quartett einer ausfällt, gibt der Kader keinen annähernd gleichwertigen Ersatz her. Das wurde vor allem im Halbfinale gegen Portugal deutlich, als Aaron Ramsey gesperrt fehlte. Dennoch kann Wales mit dem Turnier überaus glücklich sein und es besteht absolut die Möglichkeit, dass man mit dieser Gruppe von Spielern auch noch die WM 2018 und die EM 2020 erreicht.

Italien: Erfrischend großartiges Coaching

Team ItalienZu beneiden war Antonio Conte ja nicht, als er vor zwei Jahren die Squadra Azzurra übernahm. Das Loch einer verlorenen Generation, das sich nach den heute 30-Jährigen auftut, wird immer mehr deutlich. Im Grunde geht es für Italiens Teamchefs dieser Tage nur darum, die Zeit möglichst ohne Blamage zu überbrücken, bis wieder eine breitere Basis an jungen Spielern durchkommt.

Neben dem verletzten Marco Verratti (23) gibt es nur zwei Spieler (Florenzi und De Sciglio), die deutlich unter 30 Jahre alt sind, auf die sich Conte (und vorläufig auch Nachfolger Ventura) verlassen können; nur für Buffon steht ein designierter Nachfolger bereit (Milan-Wunderkind Gigio Donnarumma nämlich). So war es Contes Aufgabe, aus den routinierten, aber gerade in Mittelfeld un Angriff nicht höchsten Ansprüchen genügenden Spielern eine patente Truppe zu formen.

Und das ist Conte vollauf gelungen. Mit den vier alten Herren von Juventus in der Abwehr hatte Conte eine hervorragende Basis, auf der er sein restliches Team aufbauen konnte. Das italienische Team ist taktisch eines der am besten ausgerüsteten des ganzen Turniers, jeder weiß immer was die anderen tun und vorhaben. Als einziger Trainer dieser EM ließ Conte außerdem signifikant asynchron spielen – mit Giaccherini, nominell linker Achter, als de-facto-Außenstürmer vor dem defensiven De Sciglio; dafür übernahm rechts Wing-Back Florenzi die offensive Außenbahn und Parolo sicherte im Halbraum ab.

Mit extrem viel Hirnschmalz, großartiger taktischer Einstellung und ohne den Druck allzu hoheer Erwartungen war der vermutlich schwächste italienische Kader seit Jahrzehnten eine der positiven Überraschungen des Turniers. Der Gedanke ist nicht einmal abwegig, dass Italien Europameister geworden wäre, hätte man das Elferschießen gegen die Deutschen gewonnen.

Belgien: Erschreckend schwaches Coaching

Team BelgienSo großartig die Italiener gecoacht wurden, so übel war die Figur, die Belgien in diesem Bereich machte. Zyniker sagen, dass es im Team unter Marc Wilmots keine Trennlinien mehr zwischen Flamen und Wallonen gibt – weil diese nun zwischen Befürwortern (um Eden Hazard) und Gegnern (um Thibaut Courtois und Kevin de Bruyne) des Teamchefs verläuft.

Kaum ein Kader bei dieser EM war individuell so stark besetzt, annähernd ohne markante Schwachstellen, wie jene der Belgier. Ein Weltklasse-Goalie, eine starke Innenvertdigiung (auch ohne den verletzten Kompany), ein gleichermaßen energiegeladenes wie kreatives Mittelfeld-Zentrum, junge und extrem talentierte Außenspieler und ein gutklassiger Stürmer – Belgien hatte alles, was es zum EM-Titel braucht. Außer einem Trainer, der das auch drauf hat. Gerade gegen geschickte Teams wie Italien und Wales wurde überdeutlich, wie unsagbar schlecht Belgien gecoacht war.

Wilmots stellte, überspitzt formuliert, elf Leute auf, und verließ sich darauf, dass einem davon schon was Sinnvolles einfallen würde – gerade Hazard nimmt sich viele Freiheiten, was dem Vernehmen nach sogar einigen Mitspielern (wie De Bruyne) merklich missfällt. Ein tiefergreifendes Verständnis für die Pläne der Nebenspieler war aber ebenso wenig erkennbar wie eingeübte oder gar überraschende Varianten bei Standards.

Von selbst wird Wilmots, der noch Vertrag bis zur WM 2018, keinesfalls zurücktreten und seine Entlassung würde dem klammen Verband eine Million Euro an Abfindung kosten – außerdem bekam Michel Preud’Homme, Wunschkandidat der Verbandsspitze, gerade erst seine Kompetenzen bei Meister Club Brügge erweitert.

Polen: Wenig gezeigt, viel erreicht

Team Polen„Nicht enttäuschend, aber doch zumindest unterwältigend – trotz des Einzugs ins Viertelfinale.“ So hieß es an dieser Stelle vor zwei Jahren über Belgien. Dieser Satz gilt praktisch baugleich über das polnische Team bei dieser EM. Und auch: „Ihr Spiel hatte immer so ein wenig die Aura von Dienst-nach-Vorschrift, von Uninspiriert- und Biederkeit.“ Genau.

Grundsätzlich baute Adam Nawalka eine funktionierende Mischung als Klasseleuten wie Glik, Krychowiak, Milik und Lewandowski mit unbekannten Spielern aus der polnischen Liga (wie Pazdan, Jedrzejczyk, Maczynski und Kapustka). Weil sich die gegnerischen Abwehrreihen auf Lewandowski konzentrierte, öffenten sich für Arek Milik die Räume, so war er der deutlich gefährlichere der beiden Stürmer.

Allerdings: Das den Gegner stets kontrollierende, aber zurückgenommene und kontrollierte Spiel der Polen vor allem in den Spielen gegen die Ukraine und die Schweiz, aber auch bis zu einem gewissen Grad gegen die geschickten Portugiesen, versprühte nicht nur keinen Glanz – bei aller internationalen Routine wird man auch das Gefühl nicht los, dass dieser Kader mit einer etwas mehr nach vorne gerichteten Spielanlage besser fahren würde.

Aber auch so reichte es für den Sicherheits-Fußball von Adam Nawalka zu einem Viertelfinale, das dem Potenzial des Teams auch durchaus entspricht. Es ist vermutlich die beste polnische Mannschaft seit 34 Jahren.

Island: Langweiliger Fußball, mitreißender Anhang

Team IslandDie beste Nationalmannschaft des Landes seit immer stellt die derzeitige Truppe von Island. Zwar deutete sich die Qualität der Truppe schon seit Jahren an – etwa mit dem WM-Playoff 2013, aber auch mit den Siegen über Holland und die Türkei in der EM-Quali. Aber dass sich die Isländer gar ins Viertelfinale durchkämpfen würden, kam dann doch ein wenig überraschend.

Dabei klafft auch bei keinem Team die Attraktivität des Spiels und die wahrgenommene Attraktivität bei den Fans und Sympathisanten weiter auseinander als bei Island. Keine der 23 anderen Mannschaften spielte einen simpleren, langweiligeren und vorhersehbareren Fußball als Island. Knallhartes Verteidigen in zwei mitteltief stehenden Ketten, eisenhartes Einhalten der Abstände, strikte Zonen-Verteidigung und nicht einmal der Versuch von spielerischem Glanz prägten das Team von Lars Lagerbäck und Heimir Hallgrimsson. Dass die weiten Einwürfe von Aron Gunnarsson das mit Abstand auffälligste Element in Islands Angriffsspiel ist, spricht Bände.

In krassem Gegensatz dazu steht die aufgeschlossene, fröhliche und einladende Grundstimmung der großartigen Fans genauso wie innerhalb der Mannschaft – ein Phänomen, das auch schon vor drei Jahren bei Islands Frauen bei ihrer EM („Was die Mannschaft an Glamour am Platz vermissen ließ – biederes 4-4-2, kompakt stehen, schnell kontern – machte sie durch ihre überbordende Freude an ihrem Tun wett“) extrem positiv auffiel. Und der isländische Aufschwung ist auch kein Zufall im Sinne einer plötzlichen goldenen Generation, sondern das Produkt einer extremen Infrastruktur-Offensive und zielgerichteter Nachwuchsarbeit.

Gylfi Sigurdsson, Gunnarsson, Bjarnason, Sightorsson und Finnbogason waren 2011 bei der U-21-EM dabei und haben auf dem Weg dorthin Deutschland (mit Hummels, Höwedes, Schmelzer, Großkreutz und Lars Bender) mit 4:1 abgeschossen; 18 Mann aus dem damaligen 23er-Kader haben bereits Länderspiele absolviert. Und auch die aktuelle U-21 ist nach einem Sieg über Frankreich auf dem Weg zur Endrunde.

Es ist also durchaus möglich, dass sich der brutal simple, aber gleichzeitig extrem zielgerichtete isländische Fußball in Zukunft öfter bei Endrunden-Turnieren zeigt.

Das war’s

Damit ist das Kapitel „EURO 2016“ geschlossen und der Blick geht nach vorne. Erstmal auf die demnächst startende Qualifikation für die WM in zwei Jahren in Russland. Dann, zwischendurch, ist auch der Confed-Cup (im Juni 2017, mit Europameister Portugal, Weltmeister Deutschland und Gastgeber Russland). Und natürlich die Nations League, das Quasi-Freundschtsspiel-Turnier, mit drei Doppelspieltagen im Herbst 2018.

Die nächste EM-Endrunde (deren Quali von März bis November 2019  steigt) wird bekanntlich über ganz Europa verstreut ausgetragen: Vorrunden- und Achtelfinalspiele in Amsterdam, Bilbao, Budapest, Bukarest, Brüssel, Dublin, Glasgow und Kopenhagen; Vorrunden- und Viertelfinalspiele in Baku, München, Rom und St. Petersburg und dem „Final Four“ in London.

Link-Tipps:
Analyse der Vorrunden-Verlierer (ALB, AUT, CZE, ROU, RUS, SWE, TUR, UKR)
Analyse der Achtelfinal-Verlierer (CRO, ENG, ESP, HUN, IRL, NIR, SVK, SUI)

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Europas „Große“ bei der WM: Zwei stark, einer so naja – aber drei griffen völlig in den Dreck https://ballverliebt.eu/2014/07/19/zwei-stark-einer-so-naja-aber-drei-von-europas-grossen-griffen-voellig-in-den-dreck/ https://ballverliebt.eu/2014/07/19/zwei-stark-einer-so-naja-aber-drei-von-europas-grossen-griffen-voellig-in-den-dreck/#comments Sat, 19 Jul 2014 00:24:38 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10440 Europas „Große“ bei der WM: Zwei stark, einer so naja – aber drei griffen völlig in den Dreck weiterlesen ]]> Erst Italien, dann Spanien, nun Deutschland: Wenn man nur rein die Siegerliste betrachtet, die die letzten drei WM-Turniere hervorgebracht haben, sieht das nach einer brutalen europäischen Dominanz aus. Die Wahrheit ist aber viel eher: Die Breite an gutklassigen Teams macht’s. Denn genau wie schon 2006 und 2010 haben auch diesmal einige von Europas Big Guns ziemlich daneben gegriffen – am kolossalsten natürlich Titelverteidiger Spanien. ABer ein Europäer kommt halt immer durch. Das war diesmal eben Deutschland. Und das verdient.

Deutschland: Krönung eines langen Weges

Das war kein Glücksrittertrum wie beim eher zufälligen Finaleinzug 2002, das war von langer Hand geplant und ist eigentlich zwei Jahre zu spät gekommen. Seit Löw vor zehn Jahren zur Nationalmannschaft kam, wurde um einige Stützen herum konsequent ein über Jahre hinweg eingespieltes Team geformt. Lahm, Schweinsteiger und Klose waren von Beginn an dabei, der Rest wuchs homogen dazu, und im richtigen Moment ging es auch auf.

Deutschland
Deutschland: Als Khedira und Schweinsteiger fit genug waren, beide 90 Minuten durchzuhalten, durfte Lahm endlich nach rechts hinten. Von da an hatten die Gegner keinen Spaß mehr.

Dabei ist Löw ein großes Risiko gegangen, nach einigem Experimentieren sich so spät – nämlich erst ein halbes Jahr vor der WM – auf das bei den Guardiola-Bayern praktizierte 4-3-3 zu verlegen. Er hatte mit sechs bis sieben Bayern-Spielern einen großen Block, der das Gerüst darstellte und in der Vorbereitung klappte es nicht immer nach Wunsch. Auch, weil Löw Lahm wie bei den Bayern in die Mitte stellte, obwohl damit eine Baustelle rechts hinten aufgemacht wurde.

Der Gamble zahlte sich aus. Als sich Khedira (nach Kreuzbandriss im Herbst) und Schweinsteiger (nach vielen Blessuren in den letzten Jahren) halb durchs Turnier fit für 90 Minuten meldete, konnte er endlich Lahm dorthin stellen, wo es für das Team am Besten war. Mit Erfolg: Gab es davor mit allerhand Notvarianten auf rechts hinten (Boateng, Mustafi) eher Bauchweh, flutschte es mit Lahm dort – und das Mittelfeld-Trio mit Schweinsteiger, Khedira und Kroos blühte auf.

Löw war flexibel genug, sich kurz vor dem Turnier auf das 4-3-3 draufzusetzen, aber stur genug, um im ganzen Turnier mit der Ausnahme der zweiten Hälfte des Finales zu keiner Minute davon abzurücken, egal, in welcher personellen Aufstellung, egal, wie sehr auch erschreckend viele Medien das ab dem Viertelfinale offiziell angegebene 4-2-3-1 blind übernahmen.

Der Titel ist vor allem für Löw eine Genugtuung, weil ihm in Deutschland immer wieder vorgehalten wurde, mit seinem intellektuellen Zugang, seinem Faible für flache Hierarchien und ohne, wie sich Leute wie Effenberg gerne bezeichnet, „Typen“ (wiewohl etwa Müller und Schweinsteiger durchaus etwas zu sagen haben), zu weich und zu wenig Siegermentalität für einen großen Titel mitzubringen. Für die nun endgültig große Generation war er der Höhe- und gleichzeitig der Schlusspunkt: Lahm hat nach zehn Jahren im Nationalteam mit 116 Länderspielen adé gesagt, Klose wird sicher folgen, auch bei Schweinsteiger wäre das keine Überraschung und Podolski war bei dieser WM bestenfalls ein Nebendarsteller.

Wenigstens kommt Löw dann nicht in die Verlegenheit, aus überzogener Loyalität zu lange an zu vielen alten Recken festzuhalten.

Niederlande: Eine Bronzemedaille für Van Gaals Ego

Nicht wenige bezeichneten diese WM als gigantischen Ego-Trip des neuen Manchester-United-Managers Louis van Gaal. Er hat für dieses Turnier den holländischen Fußball einmal auf links gedreht und alles anders gemacht, als es die Granden bei Oranje für gut befanden. Dreiekette und Konterfußball statt 4-3-3 und schöngeistigem Spiel, dazu eine Horde von international unbekannten und unerfahrenen Leuten in der Defensive. Keine Frage, Van Gaal ging großes Risiko. Mit Aktionen wie dem Torhüter-Tausch in der 120. Minute im Viertelfinale gegen Costa Rica ebenso wie mit dem generellen Stil.

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Holland: Konsequent mit drei Innenverteidigern und Konterfußball. Das Risiko ging auf, weil das Star-Offensiv-Trio vorne die Räume gut nützte.

Vor allem, weil ja angesichts der Gruppengegner Spanien und Chile ein frühes Aus mehr als nur einen Fuß in der Tür der Wahrscheinlichkeiten hatte. Hollands Glück: Im ersten Spiel brach Gegner Spanien völlig auseinander, die Kontertaktik ging voll auf und nach dem unglaublichen 5:1-Erfolg über den Titelverteidiger hatten auch die Spieler selbst den Beweis, dass es mit dem 3-4-1-2-System funktionieren kann.

In der Tat brannte im ganzen Turnier hinten sehr wenig an (Elfmeter-Gegentor gegen Spanien, ein Glücksschuss und ein Elfer gegen Australien, ein Weitschuss gegen Mexiko) und vorne richtete es das individuelle Talent des Dreigestirns mit Sneijder, Robben und Van Persie, das die Räume hervorragend nützte, die angreifende Gegner ihnen anboten. Das war keine besonders aufregende Oranje-Truppe, aber für das vorhandene Spielermaterial passte die sehr pragmatische Herangehensweise.

Das ist natürlich kein Modell für die Zukunft, denn auf Dauer kann es sich ein Bondscoach nur mit Erfolgen leisten, das typisch holländische Spiel derart zu verraten. Zudem ist die Eredivisie ja auch nicht direkt für ihre kompromisslosen Defensiv-Konzepte bekannt – Angriff ist einfach in der orangen DNA.

Lieber verliert man formschön, als dreckig zu gewinnen. Obwohl eine defensive Grundhaltung das Team 2014 fast ins Finale geführt hätte und 2010 eine sehr pragmatische und auch nicht wirklich aufregende Herangehensweise beinahe den Titel gebracht hätte.

Frankreich: Deschamps braucht einen Deschamps

Irgendwie war dieses Turnier aus französischer Sicht nicht Ganzes und nichts Halbes, damit der letzten EM nicht ganz unähnlich. Dabei wäre so viel Talent in diesem Kader, auch der Ausfall von Franck Ribéry (der aber ohnehin eine ziemlich schwache Rückrunde gespielt hatte) wog nicht allzu schwer. Mit Honduras hatte man keinerlei Probleme, die Schweiz nahm man auseinander, aber danach war es wie abgebrochen.

Frankreich:
Frankreich: Seltsam führungslos im Zentrum. Da half auch ein wirklich starker Benzema nicht viel.

Als es hart wurde, also gegen die recht direkten Nigerianer und vor allem dann gegen die geschickt im Mittelfeld agierenden Deutschen, zeigte das zentrale Trio der Franzosen zu wenig Präsenz. Das kann man auch von einem Pogba trotz seines jungen Alters schon erwarten, vor allem hätte aber mehr von Cabaye und Matuidi kommen müssen. Die beiden müssen durchaus als die Verlierer des Turniers aus französischer Sicht gelten, denn beide haben schon ein Alter erreicht, in dem es nicht mehr viele Endrunden zu spielen gibt.

Besonders erschreckend war aber die Tatsache, dass man beim Viertelfinal-Aus gegen Deutschland über sieben Kilometer weniger gelaufen ist als der Gegner, obwohl man 80 Minuten im Rückstand lag. Das ist nicht mit der Hitze zu erklären, die für den Gegner ja genauso war. Das spricht entweder gegen die Fitness der Franzosen oder gegen den Willen. Denn von besonderen Anstrengungen, das Spiel noch herumzureißen, war wenig zu erkennen.

Deschamps fehlte ein Spieler wie Deschamps, ein verlängerter Arm des Trainers im Mittelfeld. Das kann Pogba werden. Noch war es der hoch veranlagte U-20-Weltmeister aber nicht.

England: Ja, die waren auch dabei

Die Three Lions haben so wenig Eindruck hinterlassen, dass man fast vergessen könnte, dass die überhaupt dabei waren. Dabei war die spielerische Intention von Roy Hodgson gar nicht so dermaßen steinzeitmäßig bieder wie das noch vor zwei Jahren der Fall war. Aber die Mischung passte nicht. Die Jungen sind noch zu jung, die alten über dem Zenit und die dazwischen reißen’s nicht heraus.

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England: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Produkt eines im Schneckentempo vollzogenen Umbruchs.

Diese drei Gruppen hat Hodgson nicht zu einem funktionierenden Ganzen vereinen können. Rooney im Speziellen ist nach zehn Jahren Spitzenfußball körperlich ruiniert wie andere Anfang, mitte dreißig, dazu wird er seit einigen Jahren sowohl bei United als auch im Nationalteam so wahllos hin- und hergeschoben, dass sich kein Rhythmus einstellen kann. Gerrard hat zwar einen Rhythmus, aber die lange und emotional aufwühlende Saison bei Liverpool hat ihre Spuren hinterlassen.

Die können Henderson, Sterling und Sturridge noch besser verkraften, aber ihnen fehlte zum einen ein Spieler wie sie ihn bei Liverpool in Suárez hatten, und zum anderen der internationale Vergleich, weil sie ja kaum oder noch wenig Europacup gespielt haben. Teams, die von der Insel kommen, spielen halt nicht wie Italiener oder Urus.

Und eine Abwehrreihe mit Baines, Jagielka, Cahill und Johnson ist nichts anderes als aller-grauster Durchschnitt. So hochgelobt Baines seit Jahren wird (warum auch immer), so lange Johnson schon dabei ist – aber England hat mit einiger Sicherheit das schlechteste AV-Pärchen aller europäischen Teilnehmer gehabt. Ihre Vorstöße wirkten beliebig, ihre Flanken hatten zuweilen Regionalliga-Format (vor allem die von Johnson, eine Frechheit).

England wirkt wie in einem Umbruch, der seit vier Jahren im Gange ist und ohne wirkliche Überzeugung betrieben wird. Man will die Alten raushaben, nimmt aber dennoch Gerrard UND Lampard mit. Man ersetzt den gefühlt seit den Achtzigern gesetzten Ashley Cole mit einem Spieler, der nur vier Jahre jünger ist und trotzdem erst eine Handvoll Europacup-Einsätze hinter sich hat. Man kommt endlich vom bald greisen Rio Ferdinand weg, und stellt einen 31-Jährigen und einen 28-Jährigen vor Joe Hart hin.

Der englische Verband blickt seit Jahren voller Bewunderung auf den Erfolg, den Deutschland nach dem radikalen Schnitt 2004 hat. Einen ähnlich radikalen Schnitt zu vollziehen, traut man sich auf der Insel aber nicht. Und genau darum wurschtelt man sich seit Jahren mittenrein in die weltfußballerische Anonymität.

Italien: Mischung aus Klima, Qualität und Form

Langsam war das alles. Die Hitze, sie setzte Andrea Pirlo und Daniele de Rossi schon extrem zu. Nach dem hart erkämpften Auftakt-Sieg gegen England in der Hölle von Manaus gab’s einen erschreckend leblosen Auftritt in der Tropenhitze von Recife, wo man gegen Costa Rica verlor. Und wirkliche Überzeugung und Verve war auch nicht zu erkennen, als man im schwülheißen Natal von Uruguay aus dem Turnier gebissen wurde.

Italien
Italien: Der zweite Außenverteidiger, das langsame Zentrum, biedere Offensiv-Kräfte: Prandelli hatte mit zu vielen Brandherden zu kämpfen.

Da halfen alle taktischen Überlegungen von Fuchs Cesare Prandelli nichts. Die höhere Grundposition von Pirlo, um ihn näher an die Passempfänger zu bringen, ebenso wenig wie der Einsatz von Abschirm-Jäger De Rossi und der Einsatz von Pirlo-Kopie Verratti neben dem alten Herrn. Weil neben dem wirklich braven Darmian es keinen zweiten Außenverteidiger gab, der sinnbringend im Spiel gewesen wäre – nicht der gelernte Innenverteidiger Chiellini, nicht der farblose Abate, nicht der als Wing-Back etwas hilflose De Sciglio.

Was auch ein Problem des Nachwuchses ist. Keine große Liga in Europa hat bei den Kadern der Vereine einen so geringen Anteil an bei den Klubs ausgebildeten Spielern wie die Serie A. Wie in Italien generell üblich, wird lieber an alten, verkrusteten Strukturen festgehalten, als mal etwas Neues zu probieren, weil es immer irgendein Gremium, einen 80-Jährigen Betonschädel, einige polemisierende Medien gibt, die das zu verhindern wissen.

Die Folge ist, dass Prandelli, fraglos einer der besten Trainer des Kontinents, hilflos zusehen musste, wie seine Mannschaft verglühte. Das Erreichen des EM-Finales vor zwei Jahren war kein Zufall, aber die Mischung aus den klimatischen Bedingungen und fehlender Form (wenn etwa Neu-Dortmunder Immobile so spielt, wie er heißt; ein Candreva halt nicht mehr als ein Durchschnitts-Kicker ist, Insigne von seinem Punch genau nichts zeigte, Cassano ein müder Abklatsch von 2012 ist und mit Parolo ein 29-Jähriger neu in den Kader kommt) killte Italien.

Spanien: „Generation Xavi“ entmachtet

Es kommt die Zeit, da bricht alles irgendwie in sich zusammen. Zumindest oft. Das war bei Frankreich 2002 so, das war bei Italien 2010 so, und jetzt hat’s die Spanier erwischt. Zu lange festgehalten an einer Spielweise, die die alternden Spieler nicht mehr auf dem höchsten Niveau zu spielen im Stande waren. Und gerade beim Ballbesitz-Fußball spanischer Prägung ist das unbedingt vonnöten.

Spanien
Spanien: Die Änderungen nach dem 1:5 gegen Holland waren zu spät und halfen zu wenig.

Aber Xavi wurde von den geschickten Holländern so kontrolliert, dass er danach nicht mehr ins Geschehen eingriff. Xabi Alonso nahm von den wie wild pressenden Chilenen ein veritables Trauma mit. Und ohne diese beiden Säulen im Zentrum mäanderte der Rest kopflos durch die Partien. Diego Costa konnte nie so eingesetzt werden, dass er seine Stärken ausnützen hätte können. Zu viele Spieler waren zu langsam oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um jenes Gegenpressing zum Funktionieren zu bringen, das ja das eigentliche Erfolgsgeheimnis Spaniens war.

Und vor allem fehlte es dem Abwehr-Duo Ramos und Piqué vor allem gegen Holland, aber auch gegen Chile an der Gedankenschnelligkeit und der Abstimmung – auch, weil Busquets mehr vorne helfen musste als auf die Absicherung nach hinten achten zu können. Die gigantischen Löcher, die entstanden, waren ein Fest für die Holländer und die Hilflosigkeit gegen das chilenische Pressing wurde schnell deutlich.

Das allerdings war schon vorher klar: Von einem mutigen Gegner selbst angepresst zu werden, gefällt den sonst ja selbst pressenden Spaniern gar nicht – wie es etwa Portugal im EM-Halbfinale 2012 machte.

Und dann machte auch noch Iker Casillas jene dämlichen Anfängerfehler, die er nach einem Jahrzehnt auf Top-Niveau zuletzt auch bei Real Madrid immer häufiger wieder eingestreut hatte.

Wie so viele große Trainer vor ihm hat nun also auch Vicente del Boque zu lange an altverdienten Spielern festgehalten. Es sagt sich aber andererseits leicht, er hätte Xavi, Xabi Alonso und womöglich auch Iniesta und Casillas nach drei Titel in Folge eliminieren müssen. Die zu erwartenden Prügel von Medien und Fans will sich niemand antun. Verständlich.

Nicht, dass die Spanien jetzt Sorgen machen müsste – die letzten zwei U-21-Europameisterschaften gewann man, es rückt viel nach. Aber die „Generation Xavi“ ist hiermit an ihrem leider etwas unrühmlichen Ende des Weges angekommen.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Juni 2016 in Frankreich

Die Hälfte von Europas Großen hat komplett enttäuscht, aus den verschiedensten Gründen. Bei England wird sicherlich nichts besser, wenn man weiterhin so lauwarm vor sich hinlebt, bei Italien muss man abwarten, ob Biedermann Mancini übernimmt, Choleriker Conte oder doch Tüftler Guidolin (oder auch ganz wer anderer, Allegri ist ja für die Squadra Azzurra vom Markt). Keiner der drei wird aber die grundsätzlichen Probleme im italienischen Fußball lösen können, da ist der Verband gefragt.

Frankreich braucht für die Heim-EM mehr Persönlichkeiten im Mittelfeld, überall sonst ist die Equipe Tricolore gut aufgestellt. Deutschland wird zumindest zwei, vielleicht sogar drei absolute Schlüsselspieler auf dem Weg zur EM in zwei Jahren ersetzen – ob das ohne Reibungsverluste geht, muss man erst einmal sehen. Erstaunlicherweise sieht aus dem jetzigen Blickwinkel Holland als diejenige Mannschaft aus, die das wenigste Bauchweh haben muss: Der junge Kader hat die Erfahrung einer starken WM, muss praktisch nicht umgebaut werden und Guus Hiddink ist ein ganz erfahrener Trainer, der ein Team völlig anders führt als Van Gaal, sich aber um seine Autorität nicht sorgen muss.

Die Gelegenheit für Teams aus der zweiten Reihe, bei der EM die Arrivierten in den Schatten zu stellen, ist also gegeben. Sie müssten sich jetzt nur noch trauen.

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Maues 0:0 hilft weder Arsenal noch OM https://ballverliebt.eu/2011/11/02/maues-00-hilft-weder-arsenal-noch-om/ https://ballverliebt.eu/2011/11/02/maues-00-hilft-weder-arsenal-noch-om/#respond Wed, 02 Nov 2011 07:00:31 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=6007 Maues 0:0 hilft weder Arsenal noch OM weiterlesen ]]> Leckerbissen? Nein, das war das Spiel zwischen Arsenal und Marseille wirklich nicht. Beide Mannschaften ließen die Struktur im Spiel nach vorne vermissen, beiden fehlte es an der Breite, und keiner konnte über einen längeren Zeitraum Torgefahr erzeugen. Das 0:0 war somit logisch.

Arsenal - Marseille 0:0

Arsenal? Nach vielen Abgängen und einem schrecklichen Saisonstart im Kommen, aber das Gebilde wirkt fragil. Marseille? Konnte sich aus dem Tabellenkeller lösen, ist aber weit weg vom eigenen Anspruch. Das sind die Teams national. In der Champions League stimmten bislang die Resultate. Und beide Teams wussten vor diesem Spiel: Ein Sieg, und man hat das Achtelfinale so gut wie sicher.

Toller Start von Marseille…

Der französische Vizemeister legte sofort mit heftigem Pressing los. Damit wusste Arsenal erst einmal überhaupt nichts anzufangen: Marseille sammelte viel Ballbesitz und versuchte vor allem, über die Außen nach vorne zu kommen und von dort flach in den Strafraum zu flanken. Dass man mit hohen Bällen gegen Mertesacker und Vermaelen nicht viel Spaß haben würde, war Marseille klar.

Jenkinson und André Santos wurden somit früh als mögliche Schwachstellen erkannt und angebohrt, und mit dem teils brutalen Pressing im Mittelfeld kam Arsenal nicht dazu, ins Spiel zu finde. Hinzu kam die recht hohe Positionierung von Valbuena – die später schon ein Probelm darstellte – und der unglaubliche Aktionsradius von Rémy, wodurch beide fast immer anspielbar waren und die Hausherren vor große Probleme stellten.

…doch der währt nicht lange

Das ging etwa eine Viertelstunde so und eine Führung für die Franzosen wäre sowohl möglich als auch hochverdient gewesen, doch dann kam ein deutlicher Bruch. Zum einen, weil das Pressing OM nachließ, und zum anderen, weil Arsenal sich nun darauf verlegte, die eigenen Außenverteidiger einfach zurückgezogener und mit einer klaren defensiv orientierten Rolle spielen zu lassen. So wurden die Ayew-Brüder auf den Flügeln ziemlich aus dem Spiel genommen.

Vorne reagierten mit Walcott und Gervinho die immer wieder rochierenden Außenspieler auf die fehlende Unterstützung von hinten, indem sie noch weiter ins Zentrum gingen; vor allem Gervinho ließ seine jeweilige Seite oft komplett brach liegen – so waren Diarra und Cheyrou im defensiven zentralen Mittelfeld von Marseille mit zusätzlichen Defensiv-Aufgaben konfrontierte.

Neutralisation durch die Mitte

Arsenal hatte kein echtes Flügelspiel, die Folge war eine Partie, die sich vornehmlich im Zentrum abspielte, und weil sich dort eine ähnliche Raumaufteilung mit ähnlicher Rollenverteilung gegenüber standen, neutralisierten sich die beiden Mannschaften dort.

Arsenal fehlte es am nötigen Tempo, um die gegen den Ball in zwei Viererketten stehenden Franzosen durchzukommen. Mitunter war der Spielaufbau ziemlich behäbig und es fehlten zum einen die Ideen von hinten heraus und die Klasse und die Beweglichkeit von Robin van Persie in der Spitze. Aus dem langsamen Spiel heraus konnte nie ein eigener Spieler im Strafraum freigespielt werden und Arsenal machte somit nie den Eindruck, wirklich ein Tor schießen zu können.

Spiel schläft völlig ein

OM konnte ohne Pressing überhaupt keine Akzente mehr setzen und die Quote der angekommenen Pässe, die jener von Arsenal in der ersten Viertelstunde haushoch überlegen war, näherte sich immer mehr dem recht fahrigen Niveau der Hausherren an. So sank mit dem Tempo und der Genauigkeit auch eklatant der Unterhaltungswert und auch die Klasse des Spiels.

Daran änderte sich auch nach dem Seitenwechsel recht wenig: Viel Struktur war nicht erkennbar, und durch viele Fehler auf beiden Seiten gab es kaum ernst zu nehmende Angriffszüge. Immer öfter wurden auch lange Bälle versucht, doch auch diese hatten nicht den erhofften Effekt.

Was auch daran lag, dass bei Arsenal Ramsey nun etwas tiefer stand und Marseille so durchs Zentrum nicht mehr durchkam – hier wurde die Positionierung von Valbuena zum angekündigten Problem – und, weil Jenkinson und vor allem André Santos auf den Flügeln nun deutlich mehr Initiative zeigten, was die Ayew-Brüder in die Defensive zwang. Dennoch fehlte es Arsenal weiterhin an der Breite im Spiel nach vorne und auch am Zug zum Tor.

Amalfitano bringt Schwung

Didier Deschamps reagierte, indem er mit Amalfitano (statt dem fleißigen, aber glücklosen Rémy) einen neuen Mann für die Belebung der rechten Seite brachte, und diese Maßnahme zeigte durchaus Wirkung. Mit ihm auf dem Flügel kam sofort Schwung ins Spiel, der neue Mann riss das Spiel an sich. So hatte Marseille nun plötzlich ein totales Übergewicht auf dieser Seite des Feldes, auch wenn man dieses nicht wirklich nützen konnte.

In weiterer Folge kamen auch Lucho González (für Valbuena, als Zehner) und Gignac (für Jordan Ayew, als Spitze). Allesamt keine schlechten Maßnahmen von Deschamps, aber auch keine wirklichen Verbessungen zu vorher.

Auch mit Van Persie harmlos

Arsenal hatte in der zweiten Hälfte mehr Ballbesitz, aber Konkretes schaute dabei nicht heraus. Konnte man das lange mit der Abwesenheit von Robin van Persie erklären, fiel dieses Argument nach einer Stunde weg – da kam der Holländer für den Koreaner Park Chu-Yong, der ihn nicht ersetzen hatte können.

Doch auch mit Van Persie in der Spitze wurde es nicht besser: Zu viele Bälle kamen nicht an. Auch wenn mit Rosický und Arshavin (statt Ramsey und Gervinho) wie beim Gegner keine schlechten Wechsel waren, herumheißen konnten sie das Spiel nicht.

Fazit: Zwei Teams mit deutlich fehlendem Selbstverständnis

Man merkte diesem lauen 0:0 deutlich an, dass hier zwei Teams am Werk waren, deren Saison bisher so gar nicht den Erwartungen entspricht. Arsenal versteht es trotz der jüngsten Erfolge in der Premier League nicht annähernd so wie früher, den Ball laufen zu lassen, das Tempo hoch zu halten und den Gegner so auszumanövrieren. Hier muss man auch die Rolle von Mikel Arteta hinterfragen, der es nicht schafft, Struktur ins Spiel der Gunners zu bringen – gerade auf Champions-League-Niveau wäre das aber schwer gefragt.

Marseille fing wunderbar an, presste konsequent auf die Gegenspieler – sogar Arsenal-Goalie Wojciech Szczesny musste mitunter Haken schlagen, um sich der Franzosen zu erwehren – doch nach einer Viertelstunde war das Spiel von OM wie abgerissen. Die Ayew-Brüder auf den Flanken (die sie nach der Pause tauschten) blieben wirkungslos, Diarra und Cheyrou trauten sich nicht so recht nach vorne und Valbuena stand zu hoch, um im Rücken von Song und Arteta viel ausrichten zu können.

Kurz: Es war über weite Strecken ein unansehnliches Spiel mit überschaubarem Unterhaltungswert. Und es zeigte, dass Dortmund (sofern annähernd in Bestform) sich vor keiner dieser beiden Teams in die Hosen zu machen braucht.

(phe)

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