aragones – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Fri, 08 Jun 2012 08:09:46 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Die spanische Nacht von Wien https://ballverliebt.eu/2012/06/08/die-spanische-nacht-von-wien/ https://ballverliebt.eu/2012/06/08/die-spanische-nacht-von-wien/#comments Thu, 07 Jun 2012 23:18:29 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7400 Die spanische Nacht von Wien weiterlesen ]]> Iker Casillas stemmte den Cup in den Wiener Nachthimmel. Der Bann war gebrochen: Spanien, der ewige Under-Achiever, hatte endlich das Potenzial ausgeschöpft. Das Finale der Euro 2008 im Happel-Stadion brach den Bann, fortan etablierten sich die Spanier als bestes Team der Welt. Doch die Spielweise beim 1:0-Sieg über Deutschland war schon untypisch.

Spanien - Deutschland 1:0 (1:0)

Über die Russen hinweggefegt. Die Schweden niedergerungen, Griechenland mit einer B-Elf auch geschlagen. Im Elfmeterschießen gegen Italien die eigenen Dämonen aus der Vergangenheit ausgetrieben. Und auch im zweiten Spiel gegen Russland dem Gegner keine Chance gelassen: Das Turnier von Spanien war nicht nur von guten Leistungen geprägt, sondern auch von Siegen. War ja nicht immer der Fall.

Arbeitssieg gegen Polen, verdiente Pleite gegen Kroatien. Sich mit einem Gewalt-Freistoß über Österreich drüber gerettet. Portugal kontrolliert und ausgekontert. Und dann gegen das türkische Rumpf-Team mit ordentlich Glück und einem Tor in der Nachspielzeit ins Finale eingezogen: Das Turnier von Deutschland war, nun ja, typisch deutsch. Nicht geglänzt, aber irgendwie durchgewurschtelt.

Kein Villa, hoher Xavi, wenig Ballbesitz

Die Oberschenkel-Verletzung, die sich David Villa im Halbfinale gegen Russland zugezogen hatte, machten einen Einsatz im Endspiel im Wiener Happel-Stadion unmöglich. Darum kehrte Spaniens Teamchef Luis Aragonés zu jenem 4-1-4-1 zurück, das er schon in der Quali höchst erfolgreich angewendet hatte, und das er erst für das Turnier beiseite schob. Eben um für Villa UND Torres Platz zu schaffen. Das war nun nicht mehr nötig, also rutschte Fàbregas wieder ins Team, neben Xavi.

Erstaunlich war die hohe Positionierung von Xavi. Dieser schob, parallel mit Fàbregas, vor allem bei deutschem Ballbesitz oft weit in die gegnerische Hälfte hinein. Natürlich geschah das, um Druck auf die deutsche Spieleröffnung zu machen, aber es hieß auch, dass Xavi bei Ballgewinn nur eine Anspielstation vor sich hatte (eben Torres). Damit ist sicherlich auch zu erklären, wie es möglich war, dass die Deutschen in diesem Endspiel deutlich mehr Ballbesitz hatten als die Spanier, nämlich bei 55 Prozent.

Initiative beim deutschen Team

Im Halbfinale gegen die Türkei krankte das deutsche Spiel vor allem an der mangelnden Initiative und dem lange Zeit komplett fehlenden Zug zum gegnerischen Tor. Es war sofort zu merken, dass Ballack und Co. es diesmal ganz anders, viel besser machen wollten: Das Mittelfeld in Löws 4-2-3-1 rückte schnell auf, mit Schweinsteiger (rechts) und Podolski (links) gab es zwei agile Optionen auf den Flügeln. Und vor allem: Sturmspitze Miro Klose ließ sich sehr weit fallen.

Dadurch beschäftigte er Senna und entlastete sogleich Ballack. In der Anfangsphase hatte Deutschland das Mittelfeld komplett im Griff und hatte auch zwei kleinere Chancen. Auch, weil vor allem über die linke Seite mit Philipp Lahm und Lukas Podolski viel nach vorne gemacht wurde und so die Kreise von Sergio Ramos sehr gut eingeengt werden konnten.

Loch im Rücken des Mittefelds wird zum Problem

Nach rund 15 Minuten aber war zum einen der erste Schwung der Deutschen etwas verfolgen und zum anderen fanden die Spanier die zwei Schwachstellen im deutschen Team: Das Loch, das zwischen dem aufrückenden Mittelfeld und den Verteidigern entstand. Und, dass die deutschen Innenverteidiger Mertesacker und Metzelder massive Probleme bekommen, wenn ihre (eben nicht vorhandene) Schnelligkeit gefragt ist.

So breiteten sich Iniesta (eher über links, gegen den nach vorne sehr zurückhaltenden Friedrich) und David Silva (eher über rechts, im Rücken von Podolski) recht genüsslich zwischen den Linien aus, ohne dass sich vor allem Thomas Hitzlsperger groß um sie gekümmert hätte. Dazu zog sich nun auch Torres etwas zurück, um steil geschickt werden zu können und das Tempo-Defizit der deutschen Hintermannschaft ausnützen zu können.

Als das nach rund einer halben Stunde zum Erfolg, also zum 1:0 geführt hatte, lag die spanische Führung bereits in der Luft. Durch das Aufrücken von Fàbregas uns Xavi wich auch der Druck von Senna, weil dadurch auch Ballack gezwungen war, mehr nach hinten zu arbeiten. Die Spanier hatten sukzessive die Kontrolle über das Zentrum übernommen.

Deutsche Umstellungen…

Philipp Lahm musste mit einer Fleischwunde für die zweite Halbzeit passen, für ihn kam Marcell Jansen in die Partie. Normalerweise ist ein Ausfall von Lahm ein gewaltiges Problem für die deutsche Mannschaft, aber Jansen lieferte eine gute Partie ab. Wie zu Beginn der ersten Hälfte zeigten sich die Deutschen gewillt, das Heft des Handelns wieder in die Hand zu nehmen, aber die Spanier hatten sich auf das System und die Spielweise des Gegners eingestellt. Zudem hatte Ballack Probleme mit seiner Wade und konnte, je länger die Partie dauerte, dieser immer weniger seinen Stempel aufdrücken.

Löw sah, dass nichts weiterging, und opferte nach einer Stunde Achter Hitzlsperger und stellte mit Kevin Kuranyi eine zweite Spitze neben Klose. Das System war nun ein etwas schiefes 4-1-3-2. Schief, deshalb, weil Schweinsteiger von der rechten Seite sehr weit nach innen zog und die Flanke praktisch Arne Friedrich überließ. Weil dieser aber nun mal kein gelernter Außenverteidiger ist und ihm der Angriffsgeist fehlt, war diese Seite praktisch tot. Seltsam – denn mit Joan Capdevila war dort der klar schwächere der beiden spanischen Außenverteidiger postiert.

…und die spanische Reaktion

Luis Aragonés reagierte prompt auf die Umstellung von Löw und nahm Fàbregas aus dem Spiel. Für den Arsenal-Legionär kam mit Xabi Alonso ein zweite Mann für das defensive Mittelfeld – so stellte sich Spanien ab sofort in einem 4-2-3-1 auf, mit Xavi als Zehner, Cazorla (nun statt Silva dabei, der am Rande des Ausschlusses wandelte) rechts und Iniesta links bis halblinks.

Schlussphase

Die Absicht dahinter war klar: Mit Cazorla ein offensiver Mann gegen Jansen, um diesen nach hinten zu drängen und einen zweiten Sechser, um gegen Ballack und den nach innen ziehenden Schweinsteiger nicht in Unterzahl zu geraten.

Die Deutschen hatten zwar eine Phase, in der sie einige Male in den Strafraum kamen, aber nachhaltig war diese nicht – im Gegenteil. Weil das deutsche Team natürlich, je näher es dem Ende entgegen ging, immer mehr aufmachen musste, boten sich im Rücken von Ballack und Schweinsteiger natürlich immer mehr Räume. Torres hätte diese schon nützen können, der für „El Niño“ eingewechselte Güiza ebenso.

Ein zweites spanisches Tor, mit dem das Finale endgültig entschieden gewesen wäre, schien immer wahrscheinlicher zu sein, als ein Ausgleich der deutschen Mannschaft. Dem ungewohnten Minus in Sachen Ballbesitz zum Trotz.

Nötig war es nicht mehr. Spanien gewann 1:0. Und war erstmals seit 44 Jahren Europameister.

Nachwirkungen

Zwei Jahre nach der begeisternden Heim-WM schien Deutschland bei diesem Turnier in alte „Rumpelfußball“-Zeiten zurück zu fallen. Das sag aber vor allem an den Personalien Ballack und Frings – zwei Jahre später war die deutsche Mannschaft ohne diese beiden (Frings wurde aussortiert, Ballack war verletzt) spielerisch eines der stärksten bei der WM in Südafrika. Auf dem Weg entzauberte man die Russen in der Quali, rupfte die Engländer im Achtelfinale, machte im Viertelfinale aus Argentinien Kleinholz – und spielte im Halbfinale wieder gegen die Spanier.

Und das ist das große Paradoxon dieser beiden Mannschaften. Obwohl die deutsche Mannschaft beim Turnier in Südafrika um zwei Klassen besser war als bei jenem in Österreich und der Schweiz, obwohl mit dem Trio Özil/Khedira/Schweinsteiger im Zentrum statt Frings/Hitzlsperger/Ballack, war man in Durban „von A bis Z völlig und komplett ohne den Funken einer Chance„.

Spanien setzte in den Folgejahren auf personelle Kontinuität. Von den Finalisten von Wien waren nur Marchena und Senna zwei Jahre später beim WM-Titel nicht mehr mit dabei. Das Grundgerüst von Barcelona mit einer handvoll Real-Akteuren harmonierte, die Abwehr um Carles Puyol, möglicherweise dem weltbesten Abwehrspieler des Jahrzehnts, hielt komplett dicht.

Auch, wenn die Holländer im WM-Finale waren, steht doch außer Frage, dass in den Jahren nach der Euro 2008 die Spanier und die Deutschen die mit Abstand besten Nationalteams in Europa waren. So wurde in Wien durchaus so etwas wie ein Klassiker der Zeit begründet.

Spanien gegen Deutschland.

Das Personal

Spanien: Iker Casillas (27, Real Madrid) – Sergio Ramos (22, Real Madrid), Carles Puyol (30, Barcelona), Carlos Marchena (28, Valencia), Joan Capdevila (30, Villarreal) – Marcos Senna (31, Villarreal) – David Silva (22, Valencia), Xavi (28, Barcelona), Cesc Fàbregas (21, Arsenal), Andrés Iniesta (24, Barcelona) – Fernando Torres (24, Liverpool). Eingewechselt: Santi Cazorla (23, Villarreal), Xabi Alonso (26, Liverpool), Daniel Güiza (27, Mallorca). Teamchef: Luis Aragonés (69, seit vier Jahren).

Deutschland: Jens Lehmann (38, Arsenal) – Arne Friedrich (29, Hertha BSC), Per Mertesacker (23, Bremen), Christoph Metzelder (27, Real Madrid), Philipp Lahm (23, Bayern) – Torsten Frings (31, Bremen), Thomas Hitzlsperger (26, Stuttgart) – Bastian Schweinsteiger (23, Bayern), Michael Ballack (31, Chelsea), Lukas Podolski (23, Bayern) – Miroslav Klose (30, Bayern). Eingewechselt: Marcell Jansen (22, Bayern), Kevin Kuranyi (26, Schalke), Mario Gomez (22, Stuttgart). Teamchef: Joachim Löw (48, seit zwei Jahren).

(phe)

Die EURO 2008 in der Reihe „Ballverliebt Classics“:
Semifinals: Deutschland – Türkei 3:2 / Spanien – Russland 3:0
Viertelfinals:  GER-POR 3:2 / TUR-CRO 1:1 nV, 3:1 iE / RUS-NED 3:1 nV / ESP-ITA 0:0 nV, 4:2 iE
Gruppe A: Portugal 6, Türkei 6, Tschechien 3, Schweiz 3.
Gruppe B: Kroatien 9, Deutschland 6, Österreich 1, Polen 1.
Gruppe C: Holland 9, Italien 4, Rumänien 2, Frankreich 1.
Gruppe D: Spanien 9, Russland 6, Schweden 3, Griechenland 0.

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Euro-Classics 2008 – Den Sieg erzwungen / Zum Glück gezwungen https://ballverliebt.eu/2012/06/07/euro-classics-2008-den-sieg-erzwungen-zum-gluck-gezwungen/ https://ballverliebt.eu/2012/06/07/euro-classics-2008-den-sieg-erzwungen-zum-gluck-gezwungen/#comments Thu, 07 Jun 2012 00:04:46 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7389 Euro-Classics 2008 – Den Sieg erzwungen / Zum Glück gezwungen weiterlesen ]]> In den Halbfinals der Euro 2008 sahen jeweils klare Favoriten (Deutschland und Spanien) gegen zwei Außenseiter mit dem Turnierverlauf auf ihrere Seite (Türkei und Russland). Letztlich setzten sich die Favoriten durch, aber nicht ohne besondere Umstände. Die einen mussten den Sieg erzwingen, die anderen wurden von der Verletzung des Torschützenkönigs zum Glück gezwungen…

Na, wer fehlte den Türken denn diesmal? Antwort: Servet, Aşık, Güngör, Emre (alle verletzt), dazu Demirel, Arda und Nihat (gesperrt). Sprich: Den Türken stand für das Halbfinale gegen Deutschland ein flotter 15-Mann-Kader zur Verfügung. Darunter noch genau ein einziger Innenverteidiger. Kein Wunder, dass Fatih Terim im Vorfeld nur halb im Scherz meinte, dass womöglich der dritte Torwart Tolga als Feldspieler eingewechselt werden müsse.

Deutschland - Türkei 3:2 (1:1)

Freilich: Das war natürlich auch ein wenig Geplänkel, um die Deutschen in Sicherheit zu wiegen. Und das gelang auch, bis zu einem gewissen Grad. Dass sich die DFB-Elf aber generell schwer tat, ein Spiel selbst zu gestalten, war dem türkischen Trainer-Fuchs natürlich nicht entgangen und es spielte auch voll in seine Karten.

Es wären auch nicht typisch für die Türken in diesem Turnier gewesen, wenn sie nicht wieder in einem komplett neuen System angetreten wären. Nach einem symmetrischen 4-2-2-2 (gegen Portugal), einem 4-2-3-1 (gegen die Schweiz), einem assymmetrischen 4-2-2-2 (gegen Tschechien) und einem 4-3-3 (gegen Kroatien) war es diesmal ein ganz klares 4-1-4-1 mit einer wie auf einer Perlenkette aufgereihten Mittelfeldreihe.

Dahinter war Mehmet Aurélio weniger die klassische Absicherung, sondern vielmehr ein recht konsequenter Manndecker für Michael Ballack. Die Türken überließen den Deuschen recht bereitwillig den Ball, pressten ab der Mittellinie mit der Viererkette im Mittelfeld recht aggressiv, und nahmen den recht statischen und einfallslosen Deutschen die Anspielstationen vorne.

Die türkischen Außen, also Kâzım rechts und Boral links, rückten zudem immer wieder ein und wurden von Sabri und Balta hinten abgedeckt, sodass im Zentrum zuweilien vier Türken gegen maximal drei Deutsche standen. Bei Ballgewinn wurden bei den Türken schnell umgeschaltet – wie beim Lattenschuss nach rund zehn Minuten. Inhaltlich waren die Roten die klar bessere Mannschaft, und nach 22 Minuten wurde auch die defensive Passivität von Podolski ausgenützt: Er verhinderte Sabris Flanke nicht, und Boral verwertete den Abstauber, nachdem der Ball an die Latte geprallt war.

Die spielerische Brillanz bracht Jogi Löw erst in Richtung der WM in Südafrika in seine Mannschaft. Für das Team in diesem Turnier gab es im Grunde nur zwei Wege zum Torerfolg: Freistöße (einer gegen Österreich und zwei gegen Portugal) und Flanken von der linken Seite (einmal gegen Kroatien und einmal gegen Portugal). So war es auch in diesem Spiel. Podolski konnte in der ganzen ersten Hälfte nur zweimal in den Raum geschickt werden, einmal brachte er eine Flanke in die Mitte, wo Schweinsteiger verwertete – eine Kopie des ersten Tores gegen Portugal.

Konkreter wurden die Aktionen nach dem Seitenwechsel auch deshalb nicht, weil Rolfes verletzt ausscheiden musste und durch Frings ersetzt wurde. Kein guter Tausch – schließlich konnte Rolfes zumindest noch Ansatzweise sinnbringende Pässe nach vorne spielen, Frings war ein reiner Zerstörer.

So plätscherte das Spiel recht ereignisarm über weiter Strecken der zweiten Hälfte. Ehe die Deutschen aus einem Freistoß (wie auch sonst) etwas unverhofft zum 2:1 kamen – Rüştü kam aus seinem Tor, kam aber nicht mehr rechtzeitig vor Klose an den Ball, dessen Kopfball landete im Netz. Doch auch hier gilt: Die Türken wären nicht die Türken, wenn sie nach diesem Nackenschlag nicht doch wieder ausgleichen hätten können.

Terim brachte Gökdeniz (für den müde gelaufenen Boral auf links) und mit Mevlüt statt Ayhan eine zumindest hängende Spitze zu Semih dazu. Und natürlich war es auch wieder die Seite des defensiv recht, nun ja, passiven Lukas Podolski, über die Sabri durchging, sich auch gegen Lahm durchsetzte und einen Pass parallel zur Toraus-Linie zur Mitte brachte – wo Semih die Kugel an Lehmann vorbei ablenkte. Das 2:2.

Nun aber ging bei den Türken die Ordnung verloren. Was zuvor vorne klar strukturiert war und wo jeder seine genauen Aufgaben kannte, herrschte nach dem 2:2 etwas Chaos, und in der Rückwärtsbewegung war Sabri nicht so konsequent wie er hätte sein müssen. So war in der Nachspielzeit bei Deutschland wieder die Variante „Angriff von links“ an der Reihe, und Lahm wühlte den Ball zum 3:2 durch die Abwehr. Nun hatten die Türken keine Antwort mehr.

Nach 80 Minuten gegenseitiger Neutralisation und zehn Minuten wilden Treibens war Deutschland im Finale, das soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Offensivleistung mehr als mau war. Ohne den komplett neutralisierten Ballack war kaum Kreativität vorhanden. Podolski sorgte auf der linken Seite zwar für einige gute Aktionen und war letztlich auch an allen Toren irgendwie beteiligt, war aber doch ein extremes Sicherheits-Risiko nach hinten. Und die Zentrale konnte mit dem aggressiven türkischen Mittelfeld kaum umgehen.

Eigentlich hatte Fatih Terim mit seinem verbleibenden Mini-Kader alles richtig gemacht. Doch ein beinahe klischeehaft erkämpfter, „typisch deutscher“ Sieg bedeutete für eine der faszinierendsten Teams des Turniers das Aus im Halbfinale.

Luis Aragonés hasst Gelb. Er hasst es. Und doch musste seine Mannschaft in den gelben Ausweich-Trikots zum Halbfinale gegen Russland antreten. „Dabei ist das nicht mal ein richtiges Gelb“, brummte der spanische Teamchef noch, „sondern mehr sowas Senf-ähnliches.“ Gelbe Trikots hin oder her, Aragonés wusste, dass er Juri Shirkov stoppen musste, um nach dem 4:1 im ersten Gruppenspiel auch im Halbfinale die Oberhand gegen die Russen zu behalten.

Spanien - Russland 3:0 (0:0)

Er wies Rechtsverteidiger Sergio Ramos an, so hoch wie möglich zu stehen, Shirkov schon in der russischen Hälfte festzunageln, und so dem Aufbauspiel der Russen die größte Waffe zu nehmen. Der Effekt für die russische Mannschaft war verheerend. Weil Shirkov der einzige Spieler war, der überhaupt auf diesem Flügel aufgeboten wurde, fehlte die Breite, wodurch die Sbornaja ins Zentrum gezwungen wurde – wo sie wegen den einrückenden Silva und Iniesta immer wieder in eine 3-gegen-4-Unterzahl gerieten.

Andrej Arshavin versuchte zwar, über seine Positionierung über die halbrechte Seite zu retten, was zu retten war und den Rückraum hinter Ramos zu nützen, aber weil Puyol sehr aufmerksam agierte, funktionierte das gar nicht und Arshavin war genauso aus dem Spiel genommen wie Shirkov.

Und damit das Tempo im Spiel der Russen. Die hatten zwar zunächst sogar mehr Ballbesitz, konnten aber nie Tempo aufbauen und wussten so nicht so recht, was sie mit der Kugel anfangen sollten. Allerdings kamen durch das extrem enge eigene Spiel auch die Spanier nicht so recht durch. Das änderte sich erst durch die Verletzung von David Villa nach einer halben Stunde.

Es wäre natürlich etwas hart, zu sagen, die Verletzung von Villa wäre das beste gewesen, was Spanien in diesem Spiel passieren hätte können. Was aber nichts daran ändert, dass es stimmt. Denn mit Cesc Fàbregas kam genau jener Spieler rein, der in der Folge den Unterschied ausmachte. Durch die tiefere Positionierung von Fàbregas gegenüber Villa hatten die Spanier nun teilweise eine Zwei-Mann-Überzahl im Zentrum, das sich brutal auswirkte.

Und nach dem Seitenwechsel schnell für die Vorentscheidung sorgte. Die Russen hatten nun auf so viele Spanier aufzupassen, dass Prioritäten gesetzt werden mussten, und in der Nähe des eigenen Strafraums lagen diese eher auf Torres, Silva und Fàbregas – nicht aber auf Xavi. Bei Inestas Flanke fünf Minuten nach Wiederanpfiff hatten die Russen Xavi einfach nicht auf der Rechnung. Sie ließen ihn gewähren, er traf zum 1:0, und die Russen waren schwer getroffen.

Mit Fàbregas im Mittelfeld dominierte Spanien nun nach Belieben. Shirkov blieb abgemeldet, Arshavin isoliert und mit Ausnahme von fünf Minuten in der ersten Halbzeit war auch von Pavlyuchenko nicht viel zu sehen. Stattdessen drehten die Spanier an der Temposchraube und verwirrten die Russen mit ihren ständigen Rochaden immer mehr. Torres wurde in der Folge fast im Minutentakt bedient, er vernebelte aber die besten Chancen – ehe der halb durch die zweite Hälfte für ihn eingewechselte Güiza in der 73. Minute mit seinem 2:0 den Deckel draufmachte.

Bei den Russen waren zuvor Sychov für Saenko gekommen (rechte Angriffsseite), und mit Bilyaletdinov statt Semshov (der sich erfolglos darum bemüht hatte, Xavis Kreise einzuengen) sollte etwas mehr Punch nach vorne kommen – doch mit dem 2:0 und mit der Einwechslung von Xabi Alonso für Xavi, um die vorgezogene Positionierung von Bilyaletdinov auszugleichen, war alles vorbei. Das 3:0 durch den großartig aufspielenden David Silva war nur noch die Draufgabe.

So wurde Luis Aragonés mehr oder weniger zu seinem Glück gezwungen – die Einwechslung von Fàbregas bescherte seinem Team den entscheidenden Vorteil im Mittelfeld und damit den letzlich ungefährdeten Sieg.

(phe)

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Euro-Classics 2008 – Zwei Korken-Knaller https://ballverliebt.eu/2012/06/04/euro-classics-2008-zwei-korken-knaller/ https://ballverliebt.eu/2012/06/04/euro-classics-2008-zwei-korken-knaller/#respond Mon, 04 Jun 2012 06:48:46 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=7244 Euro-Classics 2008 – Zwei Korken-Knaller weiterlesen ]]> Spanien? Trotz starkem Kader noch immer irgendwie gescheitert. Griechenland? Den Spielverderber der spielerisch ansonsten grandiosen EM vier Jahre davor wollte keiner sehen. Schweden? Immer dabei, meistens ganz gut, aber selten wirklich aufregend. Die Russen? Zwanzig Jahre her, dass die eine relevante Mannschaft hatten. Kaum jemand interessierte sich vor der Euro2008 für die eher unscheinbare Gruppe D. Zu Unrecht, denn zumindest zwei Teams drückten dem ganzen Turnier ihren Stempel auf!

Spanien - Russland 4:1 (2:0)

Spanien – Russland 4:1 (2:0)

Luxusprobleme plagten Luis Aragonés vor dem Turnier-Start seiner Spanier. Im Mittelfeld hatte er Silva, Xavi, Iniesta und Fàbregas, dazu Xabi Alonso und Senna zur Verfügung. Vorne David Villa und Fernando Torres. Wen sollte der 69-jährige Griesgram da draußen lassen? Und doch nahm vor dem Turnier niemand die Spanier für voll. Weil sie noch immer einen Weg gefunden hatten, kolossal zu scheitern.

Gegen Russland ging Aragonés von seinem aus der Quali gewohnten 4-1-4-1 ab und brachte Villa UND Torres, Senna statt Xabi Alonso und beließ Fàbregas auf der Bank. Senna war der tiefste Spieler im Mittelfeld, Silva besetzte die linke Flanke und Iniesta nominell die rechte. Letzterer orientierte sich aber eher in die Mitte Richtung Xavi. Villa agierte als hängende Spitze und bewegte sich über die komplette Breite des Feldes.

Die Spielweise der Spanier war aber jener, die Barcelona in den folgenden Jahren praktizierte, bestenfalls ähnlich. Ja, Xavi verteilte aus der Tiefe die Bälle und es wurden die Lücken gesucht, die vor allem Villa durch seine hervorragenden Laufwege riss. Aber es gab kein Pressing. Nach Ballverlust zog sich die Mannschaft zurück, verhielt sich abwartend.

Bei den Russen hatte es Guus Hiddink geschafft, aus der eher rustikalen Mannschaft, die in den vielen Jahren davor staubtrockenen und in jeder Hinsicht un-aufregenden Fußball gespielt hatte, komplett umzupolen. Das wurde hier auch deutlich, obwohl Andrej Arshavin, der Top-Star des überragenden Uefa-Cup-Siegers Zenit St. Petersburg, in den ersten zwei Spielen gesperrt war. Hiddink setzte auf ein 4-2-3-1, in dem der Achter Konstantin Siryanov viel aufrückte, Die Flügelspieler Bilyaletdinov und Sychov viel einrückten und die Außenverteidiger – vor allem Juri Shirkov auf der linken Seite – brutal nach vorne preschten. In der Zentrale tummelten sich dann bis zu fünf Russen, die fächerartig ausscherten.

Das Resultat war in diesem Fall ein hochklassiges Spiel, der erste Spielabschnitt war zweifellos eine der herausragenden Halbzeiten des kompletten Turniers. In der beide Teams Chancen hatten – so wie Siryanovs Pfostenschuss nach 23 Minuten – aber weil sich die Russen hinten etwas naiv anstellten, scorte Spanien zweimal. Kolodin und Shirokov, fußballerisch deutlich die schwächsten Russen, standen zuweilen arg weit auseinander und zeigten sich vor allem schnellen spanischen Steilpässen aus der Tiefe nicht gewachsen. Erst legte Torres nach einem solchen für Villa quer, dann steckte Xavi für den Torjäger von Valencia durch.

Hiddink brachte für die zweite Hälfte mit Bystov einen neuen Mann für die linke Angriffsseite, er wollte damit dessen Tempo die vermeintliche spanische Schwachstelle, Linksverteidiger Capdevila, anbohren. Doch Bystrov versteckte sich von der ersten Minute an. Zudem kamen in der Folge bei den Spaniern Fàbregas (für Torres) und Cazorla (für den nach einer Lebensmittelvergiftung nicht ganz fitten Iniesta). Diese Wechsel nahmen Russland aus dem Spiel: Denn mit Cazorla (rechts) und Silva (links) waren nun beide der extrem offensiven russischen AV gebunden, im Mittelfeld stand es durch die tiefere Positionierung von Fàbregas nun endgültig 3 gegen 3, und vorne war Villa ein ständiger Gefahrenherd.

Hiddink nahm in der 70. Minute den Totalausfall Bystrov wieder vom Platz, aber das Pendel war längst in Richtung der Spanier umgeschwungen. Umso mehr, als Villa einmal mehr Shirokov austanzte und zum 3:0 traf. Die Russen waren inhaltlich übervorteilt worden, damit auch psychisch geschlagen. Der Anschlusstreffer durch Pavlyuchenko kurz vor dem Ende war nur ein kleines Aufflackern, das (Abseits-)Tor von Fàbregas in der Nachspielzeit zum 4:1 kaum noch mehr als Kosmetik.

Griechenland – Schweden 0:2 (0:0)

Griechenland - Schweden 0:2 (0:0)

War das erste Spiel an diesem Tag noch zumindest eine Stunde lang uneingeschränkt großartig, bot das Abendspiel in Salzburg die mit Abstand ödesten 90 Minuten des Turniers.

Ottos Titelverteidiger aus Griechenland kamen wie schon 2004 mit einem klassischen Libero (Dellas) und zwei Manndeckern daher (Kyrgiakos gegen Ibra, Antzas gegen Henke Larsson). Das stellte sich defensiv als Fünferkette dar, im Ballbesitz gingen alle Spieler bis auf die drei hinten und noch Basinas weit nach vorne. Die Folge: Minutenlanges Hin- und Herschieben des Balles in der eigenen Hälfte, ehe ein komplett sinnbefreiter langer Ball in die grobe Richtung des gegnerischen Tores folgte. Bezeichnend dafür etwa der 70m-Torschuss von Dellas nach einer halben Stunde, der näher an der Eckfahne landete als am schwedischen Tor. Von einem der sich schlecht bis gar nicht bewegenden Mitspieler ganz zu schweigen.

Das unglaublich langsame Tempo der Partie war aber auch möglich, weil es die Schweden tunlichst vermieden, den ballführenden Griechen auch nur im Ansatz unter Druck zu setzen. Das flache 4-4-2 von Lars Lagerbäck war extrem statisch, im Umschalten langsam, ohne jedes Pressing und bar jeder Kreativität. Kurz: Hölzern. Die besten Szenen gab es, wenn Chippen Wilhelmsson die Seite wechselte und Seitaridis einen zweiten Gegenspieler hatte.

Erst nach dem Seitenwechsel rückten die Schweden etwas auf, um nicht das ganze Spiel zuzusehen, wie sich die Griechen, in ihrer Hälfte alleine gelassen, die Zeit runterspielten. Das behagte den Griechen zwar nicht, aber weil Kyrgiakos seinen Gegenspieler Ibrahimovic auf Schritt und Tritt verfolgte, kamen die Schweden kaum zu Torchancen. Erst nach 67 Minuten entwischte Ibra seinem Bewacher und er traf mit einem sehenswerten Schuss ins lange Eck. Wenige Minuten später nudelte der aufgerückte Innenverteidiger Petter Hansson den Ball zum 2:0 über die Linie, das Spiel war entschieden. Rehhagel löste zwar seine Dreierkette auf (nominell zuindest, weil nun dafür Seitaridis hinten blieb), aber zu viele Abspielfehler, technische Unzulänglichkeiten und fehlende Kreativität verhinderten griechische Torchancen.

Stand nach dem ersten Spieltag: Spanien 3, Schweden 3, Griechenland 0, Russland 0.

Schweden - Spanien 1:2 (1:1)

Schweden – Spanien 1:2 (1:1)

Der Ansatz von Aragonés, mit Villa UND Torres zu spielen, hat sich gegen Russland ausgezahlt. Darum war der Ansatz und die Aufstellung gegen die Schweden exakt gleich. Doch stellte sich schnell ein Lerneffekt ein: Mit langen Bällen in die Spitze wird’s gegen die robuste und vielbeinige schwedische Defensive nicht viel zu holen geben. Dem 1:0 durch Torres nach einem Eckball zum Trotz.

Das Trekronor-Team tat Spanien nämlich nicht den Gefallen, wie Russland mitspielen zu wollen, sondern stellte sich tief. Lediglich die Mittelfeld-Außen Ljungberg und Elmander schauten, dass sie halbwegs hoch standen, um den Vorwärtsdrang von Ramos und Capdevila zu bremsen. Die Spielanlage der Schweden war zumindest in der ersten Hälfte aktiver als noch gegen die Griechen, der Ausgleich durch Ibrahimovic nach einer halben Stunde war die Belohnung.

Dennoch: Je länger das Spiel dauerte, umso passiver wurden die Schweden, und umso mehr ähnelte das Spiel der Spanier nun doch jener ballbesitz-orientierten Kurzpass-Orgie an, für die Xavi, Iniesta und Co. bekannt sind. Es fehlte den Spaniern an der Breite und die Schweden machten im Zentrum hervorragend die Räume dicht.

Aragones reagierte nach einer Stunde darauf und brachte, wie schon in der ersten Partie, Cazorla für Iniesta; dazu Fàbregas statt Xavi. Die Neubesetzung auf den Flügeln hatte die Folge, dass neben Elmander (und später Seb Larsson) auch Ljungberg mehr in die Defensive eingebunden war. Schweden war extrem passiv, ließ das Spiel der Spanier über sich ergehen und wollte nur noch den einen Punkt über die Zeit mauern – die Einwechslung eines zusätzliches Sechsers (Källström) für Henke Larsson war ein klares Indiz dafür.

Es gelang allerdings nicht. Weil David Silva in der Nachspielzeit doch noch eine Lücke erspähte, in die er Villa schickte. Dieser ließ noch Mellberg aussteigen und schob zum 2:1 ein. Praktisch in letzter Sekunde, aber hochverdient.

Griechenland – Russland 0:1 (0:1)

Griechenland - Russland 0:1 (0:1)

Nachdem die Russen Spanien ins offene Messer gelaufen waren, agierten sie gegen Griechenland deutlich vorsichtiger. Semshov spielte zurückgezogen, mit Siryanov war eher ein gelernter Achter auf der rechten Außenbahn aufgestellt. Arshavin saß das letzte Spiel seiner Sperre ab.

Auf der anderen Seite trauten sich die Griechen mehr zu als beim Auftritt gegen Schweden, für den sie mörderische mediale Prügel bezogen hatten. Weil die Russen nur mit einem Stürmer spielten, sparte sich Rehhagel den zweiten Manndecker, mit Patsatzoglou kam dafür ein dritter Spieler ins zentrale Mittelfeld. Somit war dort wieder Gleichstand hergestellt. Zudem sorgte die hohe Positionierung von Charisteas und Amanatidis dafür, dass die sonst so aktiven russischen Außenverteidiger nicht so zur Geltung kamen wie noch gegen Spanien.

So trafen sich die Teams ziemlich in der Mitte. Das Spiel war geprägt von langen Bällen, wenig zusammen hängenden Aktionen und generell überschaubarem Niveau. Es gelang den Russen nicht, das Spiel breit zu machen und damit Räume zu schaffen – schließlich war die Grundausrichtung der Griechen immer noch defensiv und darauf bedacht, den Gegner nicht zur Geltung kommen zu lassen.

Die Griechen erinnerten in diesem Spiel deutlich mehr an jene Leistungen, die ihnen vier Jahre zuvor den Titel beschert hatten: Hinten nicht viel zulassen, aber zweikampfstark im Zentrum und stark über die Flügel. Seitaridis preschte bis zu seinem Austausch (Muskelzerrung) kurz vor der Halbzeit so die Flanke auf und ab, wie er das in Portugal gemacht hatte und bereitete so auch die eine oder andere Chance vor.

So brauchten die Russen einen ziemlich derben Fehler von Torhüter Nikopolidis, um zum 1:0 zu kommen: Der Torhüter lief einer Bilyaletdinov-Flanke am Tor vorbei nach, Semak brachte den Ball zurück zur Mitte und Siryanov konnte aus zwei Metern mühelos verwerten. Nach dem Seitenwechsel brachten die Russen mehr Leute in die gegnerische Hälfte, weil sie merkten, dass sie von den Griechen ohne Seitaridis auf der Außenbahn nicht mehr viel zu befürchten hatten. Es blieb aber eine schwache Partie mit vielen Fehlpässen. Und die schwächste Leistung der Russen in diesem Turnier.

Stand vor dem letzten Spieltag: Spanien 6, Schweden 3, Russland 3, Griechenland 0.

Griechenland – Spanien 1:2 (1:0)

Griechenland - Spanien 1:2 (1:0)

Die Spanier waren nicht mehr von Platz eins zu verdrängen, so konnte es sich Luis Aragonés erlauben, gegen die Griechen die Reservisten auflaufen zu lassen, lediglich Iniesta blieb in der Startformation. Statt Akteuren von Barça und Real waren das nun Spieler von Valencia und Liverpool. Also immer noch nominell stark genug, um die Griechen in Schach zu halten.

Bei den Hellenen zeigte sich in diesem Spiel wiederum deutlich, dass man zu deutlich besseren Leistungen in der Lage ist, wenn man nicht selbst Gestalten muss. Im Zentrum standen den drei spanischen Pass-Gebern drei recht defensive Gegenspieler gegenüber, so konnten die Spanier ihr Kurzpass-Spiel nicht aufziehen – ganz davon abgesehen, dass das Team nicht eingespielt war und auch das Tempo fehlte.

Und die Breite. Sergio García und Iniesta zogen zur Mitte, wurden aber von den etwas zu vorsichtigen Arbeloa und Navarro nicht hinterlaufen. Nikopolidis wurde, durchaus bewusst, immer wieder aus der Distanz getestet. Nicht ohne Grund, schließlich machte der Torhüter keinen sicheren Eindruck.

Der Spielaufbau bei den Griechen stützte sich einmal mehr auf viele lange Bälle. So wurde man nach vorne kaum gefährlich, zumal Salpingidis recht hoch stand und sich zwischen den spanischen Reihen positionierte – grundsätzlich keine dumme Idee, nur kamen die Anspiele auf ihn nicht an.

Dennoch: Wie in der Partie gegen die Russen zeigten die Griechen auch hier deutliche Ähnlichkeit mit ihrem Spiel bei der Euro 2004. Hinten wenig zulassen, über die Flügel für Entlastung sorgen (das machten Vyntra und Spiropoulos recht anständig) und im Zweifel auf Standards hoffen. Freistoß-Flanke Karagounis, Kopfball-Tor Charisteas: Das 1:0 kurz vor der Pause war wie aus dem Turnier von 2004.

Die Spanier schalteten nach dem Seitenwechsel einen Gang nach oben, die Außenverteidiger machten mehr, und mit der Zeit passte auch die Abstimmung. Für den Ausgleich musste zwar dennoch ein langer Ball herhalten (Güiza legte diesen auf De la Red ab, der verwertete dann), aber die Griechen ließen sich doch zu weit nach hinten drängen. Zusätzliche Probleme gab es, nachdem Kyrgiakos angeschlagen raus musste und Antzas gegen den beweglichen Güiza zunehmend schlecht aussah.

Rehhagel hatte keine echten Alternativen auf der Bank. Die Einwechslung von Tziolis für Karagounis machte sein Team zwar frischer, aber nicht besser. Spanien wartete geduldig auf die Chance, ließ den Griechen keinen Raum mehr. Und kurz vor dem Ende löste sich Güiza entscheidend vom schläfrigen Antzas, köpfte die Flanke von der rechten Seite mühelos ein – und Spanien hatte 2:1 gewonnen.

Russland - Schweden 2:0 (1:0)

Russland-Schweden 2:0 (1:0)

Im letzten Quali-Spiel, einem mühsamen 1:0 in Andorra, holte sich Andrej Arshavin eine rote Karte ab. Im letzten Spiel der Gruppe gegen Schweden war er wieder dabei. Gerade rechtzeitig für dieses „Achtelfinale“.

Das Russland gewinnen musste, den Schweden reichte ein Remis. Hiddink ließ, wie gewohnt, seine Außenverteidiger sehr weit nach vorne schieben. Kapitän Semak agierte als Sechser sehr tief und ließ sich immer wieder auf eine Höher mit den IV fallen – eher allerdings auf die Seite von Shirkov. In den ersten Minuten tat sich Russland etwas schwer, in die Gänge zu kommen.

Das änderte sich, als sich Semshov im Zentrum etwas fallen ließ. So wurde das Loch zwischen Defensive und Offensive geschlossen und die russische Show konnte beginnen. Mit Shirkov und Anyukov extrem hoch, Bilyaletdinov und Siryanov auf den Halbpositionen, dem aufrückenden Semshov und dem extrem aktiven Arshavin als hängende Spitze wurde ein Tempo-Fußball aufgezogen, mit dem die Schweden nicht mitkamen.

Vor allem die linke Abwehr-Seite mit Nilsson und Hansson wurde als Schwachstelle ausgemacht. Kein Zufall, dass das schon zu diesem Zeitpunkt überfällige 1:0 nach 20 Minuten über diese Seite aufgebaut wurde: Siryanov mit Lochpass für Anyukov, dessen Flanke verwertete Pavlyuchenko.

Die Schweden waren biedern, geradezu hölzern. Die Mittelfeld-Zentrale mit Svensson und Andersson stand oft viel zu hoch und kam überhaupt nicht in die Zweikämpfe, hielt also nichts her. Elmander und Ljungberg waren gegen die extrem offensiven Außenverteidiger komplett hinten gebunden und vorne standen zwei Stürmer, die kaum am Spiel teilnehmen konnten. Henke Larsson war wegen seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr der Schnellste, Ibrahimovic wegen hartnäckigen Problemen im linken Knie, die ihm schon die halbe Saison bei Inter gekostet hatten. Das Trekronor-Team konnte von Glück reden, dass die ein Feuerwerk abbrennenden Russen nicht schon längst viel höher führten.

Die Russen ließen zu Beginn der zweiten Hälfte ihre Stärken erneut aufblitzen: Schnelles Denken, schnelles Umschalten, schnelles Handeln. Ein langer Ball der Schweden wurde von Shirkov abgefangen, der legte zu Arshavin quer und startete sofort einen Sprint nach vorne, bekam den Ball in den Lauf gespielt, spielte 50 Meter oder sechs Sekunden später, längst im schwedischen Strafraum angekommen, auf Arshavin quer – dieser war ebenso schnell nach vorne gesprintet – und dieser erzielte das 2:0. Ein Weltklasse-Konter, die Schweden waren damit komplett überfordert.

Nach dem 2:0 schalteten die Russen zurück, sie waren ein ungeheures Tempo gegangen. Lagerbäck erlöste danach Daniel Andersson und versuchte, mit Kim Källström die Lücke im Offensiv-Zentrum ein wenig zu schließen. Dass dieser nicht schon in den Spielen vorher eingesetzt worden war, liegt vermutlich an einem internen Machtkampf – Källström und Ibrahimovic können sich bis auf den Tod nicht ausstehen. Lagerbäck hielt Källström wohl für verzichtbarer als Ibra. Mit dem neuen Mann und somit mehr Spielkultur und durch die gemächlichere Gangart der Russen bekamen die Schweden nun etwas Kontrolle über das Mittelfeld, viele Chancen kamen dabei aber nicht heraus.

Ehe in der Schlussphase, nachdem Lagerbäck seine Viererkette zugunsten eines neuen Stürmers (Allbäck für Nilsson) aufgelöst hatte, drückten die Russen wieder etwas aufs Gas – und kamen prompt wieder zu einigen guten Tormöglichkeiten. Es blieb beim 2:0. Ein Ergebnis, das den Russen das Viertelfinale bescherte – und den Schweden schmeichelt.

Endstand der Gruppe: Spanien 9, Russland 6, Schweden 3, Griechenland 0.

Alles auf Ibrahimovic‘ Knie oder interne Störungen zu schieben, ginge aber am Kern vorbei: Schweden war einfach zu alt, zu überholt, zu statisch, zu wenig kreativ, kurz, zu schwach. Die Zeit jener Generation, die 2002, 2004 und 2006 immer die Vorrunde überstanden hatte und zweimal heftig an die Tür zur zweiten K.o.-Runde angeklopft hatte, war schlicht vorbei. Genau wie die 12-jährige Amtszeit von Lars Lagerbäck nach der verpassten Quali für die WM 2010.

Die Griechen machten sich mit ihrem peinlichen Auftritt im ersten Spiel viel kaputt, denn in den verbleibenden Spielen war das durchaus halbwegs vernünftig. Was dem Titelverteidiger allerdings eklatant fehlte, war eine ordnende Hand im Zentrum. Das war beim Titelgewinn 2004 Theodoros Zagorakis gewesen, ohne ihm fehlte den Griechen die Schaltstelle und damit jegliches spielerische Moment.

Was bei den Russen und den Spaniern hingegen im Übermaß vorhanden war. Schon nach der ersten Halbzeit im ersten Spiel konnte kaum ein Zweifel daran bestehen, welche beiden Teams aus dieser Gruppe ins Viertelfinale einziehen. Zwar liefen die Russen den Spaniern dann ins offene Messer und so agierten sie gegen die Griechen übervorsichtig, aber dennoch war zu den beiden anderen Teams ein Klassenunterschied erkennbar.

Was den Spaniern ein Viertelfinale gegen Italien bescherte. Und Guus Hiddink eines gegen seine Heimat.

(phe)

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Russland – Spanien https://ballverliebt.eu/2008/06/27/russland-spanien/ https://ballverliebt.eu/2008/06/27/russland-spanien/#comments Thu, 26 Jun 2008 22:14:32 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=234 Russland – Spanien weiterlesen ]]> Guus Hiddink wollte sich kein zweites Mal überrumpeln lassen, das war von Anfang an zu bemerken. Der spanische Coach Aragones hingegen – wohlwissend die Sbornaja in der Vorrunde schon einmal klar in die Schranken gewiesen zu haben – ging mit breiter Brust in die Partie. Und das sah man dann auch, je länger das Spiel dauerte. Der Offensivdrang des eurasischen Überraschungsteams, mit dem sie die in der Vorrunde brillierenden Holländer bezwungen hatten, war viel weniger spürbar. Und wenn dann doch einmal der Zug zum Tor da war, fiel sofort die schwache Tagesform des Wunderkinds Arschawin ins Gewicht.

Das war am Anfang noch in Ordnung, denn die Spanier kamen selbst noch nicht so richtig auf Touren, und wirkten verkrampft. Eine durchaus gut anzusehende Partie wog mit wenig zwingenden Gelegenheiten hin und her, mit leichter Feldüberlegenheit für die Iberer. Dann musste Villa verletzt ausgetauscht werden. Für den einen Weltklassekicker kam in Minute 35 ein anderer: Cesc Fabregas. Ich weiß nicht warum, aber in Folge dieses zwangsweisen Wechsels wurde aus Spaniens leichter Dominanz bis zur Pause eine eindeutige. Zur Pause war der Spielausgang trotzdem noch offen: 0-0.

Hiddink nutzte die Gelegenheit zum Wechsel nicht. Auch eine wirkliche Änderung der Spielanlage konnte ich nicht ausmachen, als das zweite Halbfinale in die zweiten 45 Minuten ging. Fünf Minuten später rächte es sich, als Xavi zu einem scharfen Querpass nur noch den Fuß richtig hinhalten musste. Akinfeev, an dem der Ball nur wenige Zentimeter vorbeiflog, sah nicht ganz glücklich aus, hatte aber aus der Distanz faktisch keine Chance zu reagieren.

Zwei weitere Wechsel (Biljaletdinow, Sytschew) änderten an den sich zuspitzenden Kräfteverhältnissen nichts. Russland rannte nun stärker an, versuchte Chancen zu erzwingen und über schnelle Angriffe in den Strafraum vorzustoßen, vergaben aber die wenigen sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Als es dank Guiza zum 2-0 krachte, stellte Hiddink als allerletzte Möglichkeit das System um. Das Mittelfeld rückte vor, eine hängende Spitze kam hinzu, die Abwehr spielte größtenteils nur noch Dreierkette. Doch so wirklich ins Trudeln mochte die Defensive der Seleccion nicht kommen. Es dauerte trotzdem knapp zehn Minuten, bis Villa, Iniesta und der Rest begriffen, dass die junge Sbornaja ihnen da die Räume im Angriff weit aufgemacht hatte. Acht Minuten vor Ende der regulären Spielzeit klingelte es dann zum dritten Mal im Kasten von Akinfeev. Spätestens da war sicher, dass für den Zweiten der Gruppe D der Traum vom Finale dahin war.

Spanien gewann dank ihrer Erfahrung und den sich daraus ergebenden Klasseunterschieds. Die zusammengewürfelten Einzelkämpfer von 2006 wurden von Aragones zu einem funktionierenden Kollektiv gemacht, dass nun aus der Summe seiner Genies profitiert. Für Russland bleibt der Ruhm als größte Überraschung dieser Europameisterschaft, als auch die Erkenntnis heute auf klare Grenzen gestoßen zu sein. Selbst wenn Arschawin heute „funktioniert“ hätte, wäre es nicht viel anders gekommen.

Spanien ging verdient als Sieger vom Platz. Das Ergebnis dürfte freilich etwas schmeichelhaft sein.

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