WM 2014 – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Mon, 16 Jul 2018 17:30:35 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Europas „Große“ bei der WM: Zwei stark, einer so naja – aber drei griffen völlig in den Dreck https://ballverliebt.eu/2014/07/19/zwei-stark-einer-so-naja-aber-drei-von-europas-grossen-griffen-voellig-in-den-dreck/ https://ballverliebt.eu/2014/07/19/zwei-stark-einer-so-naja-aber-drei-von-europas-grossen-griffen-voellig-in-den-dreck/#comments Sat, 19 Jul 2014 00:24:38 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10440 Europas „Große“ bei der WM: Zwei stark, einer so naja – aber drei griffen völlig in den Dreck weiterlesen ]]> Erst Italien, dann Spanien, nun Deutschland: Wenn man nur rein die Siegerliste betrachtet, die die letzten drei WM-Turniere hervorgebracht haben, sieht das nach einer brutalen europäischen Dominanz aus. Die Wahrheit ist aber viel eher: Die Breite an gutklassigen Teams macht’s. Denn genau wie schon 2006 und 2010 haben auch diesmal einige von Europas Big Guns ziemlich daneben gegriffen – am kolossalsten natürlich Titelverteidiger Spanien. ABer ein Europäer kommt halt immer durch. Das war diesmal eben Deutschland. Und das verdient.

Deutschland: Krönung eines langen Weges

Das war kein Glücksrittertrum wie beim eher zufälligen Finaleinzug 2002, das war von langer Hand geplant und ist eigentlich zwei Jahre zu spät gekommen. Seit Löw vor zehn Jahren zur Nationalmannschaft kam, wurde um einige Stützen herum konsequent ein über Jahre hinweg eingespieltes Team geformt. Lahm, Schweinsteiger und Klose waren von Beginn an dabei, der Rest wuchs homogen dazu, und im richtigen Moment ging es auch auf.

Deutschland
Deutschland: Als Khedira und Schweinsteiger fit genug waren, beide 90 Minuten durchzuhalten, durfte Lahm endlich nach rechts hinten. Von da an hatten die Gegner keinen Spaß mehr.

Dabei ist Löw ein großes Risiko gegangen, nach einigem Experimentieren sich so spät – nämlich erst ein halbes Jahr vor der WM – auf das bei den Guardiola-Bayern praktizierte 4-3-3 zu verlegen. Er hatte mit sechs bis sieben Bayern-Spielern einen großen Block, der das Gerüst darstellte und in der Vorbereitung klappte es nicht immer nach Wunsch. Auch, weil Löw Lahm wie bei den Bayern in die Mitte stellte, obwohl damit eine Baustelle rechts hinten aufgemacht wurde.

Der Gamble zahlte sich aus. Als sich Khedira (nach Kreuzbandriss im Herbst) und Schweinsteiger (nach vielen Blessuren in den letzten Jahren) halb durchs Turnier fit für 90 Minuten meldete, konnte er endlich Lahm dorthin stellen, wo es für das Team am Besten war. Mit Erfolg: Gab es davor mit allerhand Notvarianten auf rechts hinten (Boateng, Mustafi) eher Bauchweh, flutschte es mit Lahm dort – und das Mittelfeld-Trio mit Schweinsteiger, Khedira und Kroos blühte auf.

Löw war flexibel genug, sich kurz vor dem Turnier auf das 4-3-3 draufzusetzen, aber stur genug, um im ganzen Turnier mit der Ausnahme der zweiten Hälfte des Finales zu keiner Minute davon abzurücken, egal, in welcher personellen Aufstellung, egal, wie sehr auch erschreckend viele Medien das ab dem Viertelfinale offiziell angegebene 4-2-3-1 blind übernahmen.

Der Titel ist vor allem für Löw eine Genugtuung, weil ihm in Deutschland immer wieder vorgehalten wurde, mit seinem intellektuellen Zugang, seinem Faible für flache Hierarchien und ohne, wie sich Leute wie Effenberg gerne bezeichnet, „Typen“ (wiewohl etwa Müller und Schweinsteiger durchaus etwas zu sagen haben), zu weich und zu wenig Siegermentalität für einen großen Titel mitzubringen. Für die nun endgültig große Generation war er der Höhe- und gleichzeitig der Schlusspunkt: Lahm hat nach zehn Jahren im Nationalteam mit 116 Länderspielen adé gesagt, Klose wird sicher folgen, auch bei Schweinsteiger wäre das keine Überraschung und Podolski war bei dieser WM bestenfalls ein Nebendarsteller.

Wenigstens kommt Löw dann nicht in die Verlegenheit, aus überzogener Loyalität zu lange an zu vielen alten Recken festzuhalten.

Niederlande: Eine Bronzemedaille für Van Gaals Ego

Nicht wenige bezeichneten diese WM als gigantischen Ego-Trip des neuen Manchester-United-Managers Louis van Gaal. Er hat für dieses Turnier den holländischen Fußball einmal auf links gedreht und alles anders gemacht, als es die Granden bei Oranje für gut befanden. Dreiekette und Konterfußball statt 4-3-3 und schöngeistigem Spiel, dazu eine Horde von international unbekannten und unerfahrenen Leuten in der Defensive. Keine Frage, Van Gaal ging großes Risiko. Mit Aktionen wie dem Torhüter-Tausch in der 120. Minute im Viertelfinale gegen Costa Rica ebenso wie mit dem generellen Stil.

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Holland: Konsequent mit drei Innenverteidigern und Konterfußball. Das Risiko ging auf, weil das Star-Offensiv-Trio vorne die Räume gut nützte.

Vor allem, weil ja angesichts der Gruppengegner Spanien und Chile ein frühes Aus mehr als nur einen Fuß in der Tür der Wahrscheinlichkeiten hatte. Hollands Glück: Im ersten Spiel brach Gegner Spanien völlig auseinander, die Kontertaktik ging voll auf und nach dem unglaublichen 5:1-Erfolg über den Titelverteidiger hatten auch die Spieler selbst den Beweis, dass es mit dem 3-4-1-2-System funktionieren kann.

In der Tat brannte im ganzen Turnier hinten sehr wenig an (Elfmeter-Gegentor gegen Spanien, ein Glücksschuss und ein Elfer gegen Australien, ein Weitschuss gegen Mexiko) und vorne richtete es das individuelle Talent des Dreigestirns mit Sneijder, Robben und Van Persie, das die Räume hervorragend nützte, die angreifende Gegner ihnen anboten. Das war keine besonders aufregende Oranje-Truppe, aber für das vorhandene Spielermaterial passte die sehr pragmatische Herangehensweise.

Das ist natürlich kein Modell für die Zukunft, denn auf Dauer kann es sich ein Bondscoach nur mit Erfolgen leisten, das typisch holländische Spiel derart zu verraten. Zudem ist die Eredivisie ja auch nicht direkt für ihre kompromisslosen Defensiv-Konzepte bekannt – Angriff ist einfach in der orangen DNA.

Lieber verliert man formschön, als dreckig zu gewinnen. Obwohl eine defensive Grundhaltung das Team 2014 fast ins Finale geführt hätte und 2010 eine sehr pragmatische und auch nicht wirklich aufregende Herangehensweise beinahe den Titel gebracht hätte.

Frankreich: Deschamps braucht einen Deschamps

Irgendwie war dieses Turnier aus französischer Sicht nicht Ganzes und nichts Halbes, damit der letzten EM nicht ganz unähnlich. Dabei wäre so viel Talent in diesem Kader, auch der Ausfall von Franck Ribéry (der aber ohnehin eine ziemlich schwache Rückrunde gespielt hatte) wog nicht allzu schwer. Mit Honduras hatte man keinerlei Probleme, die Schweiz nahm man auseinander, aber danach war es wie abgebrochen.

Frankreich:
Frankreich: Seltsam führungslos im Zentrum. Da half auch ein wirklich starker Benzema nicht viel.

Als es hart wurde, also gegen die recht direkten Nigerianer und vor allem dann gegen die geschickt im Mittelfeld agierenden Deutschen, zeigte das zentrale Trio der Franzosen zu wenig Präsenz. Das kann man auch von einem Pogba trotz seines jungen Alters schon erwarten, vor allem hätte aber mehr von Cabaye und Matuidi kommen müssen. Die beiden müssen durchaus als die Verlierer des Turniers aus französischer Sicht gelten, denn beide haben schon ein Alter erreicht, in dem es nicht mehr viele Endrunden zu spielen gibt.

Besonders erschreckend war aber die Tatsache, dass man beim Viertelfinal-Aus gegen Deutschland über sieben Kilometer weniger gelaufen ist als der Gegner, obwohl man 80 Minuten im Rückstand lag. Das ist nicht mit der Hitze zu erklären, die für den Gegner ja genauso war. Das spricht entweder gegen die Fitness der Franzosen oder gegen den Willen. Denn von besonderen Anstrengungen, das Spiel noch herumzureißen, war wenig zu erkennen.

Deschamps fehlte ein Spieler wie Deschamps, ein verlängerter Arm des Trainers im Mittelfeld. Das kann Pogba werden. Noch war es der hoch veranlagte U-20-Weltmeister aber nicht.

England: Ja, die waren auch dabei

Die Three Lions haben so wenig Eindruck hinterlassen, dass man fast vergessen könnte, dass die überhaupt dabei waren. Dabei war die spielerische Intention von Roy Hodgson gar nicht so dermaßen steinzeitmäßig bieder wie das noch vor zwei Jahren der Fall war. Aber die Mischung passte nicht. Die Jungen sind noch zu jung, die alten über dem Zenit und die dazwischen reißen’s nicht heraus.

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England: Nicht Fisch, nicht Fleisch. Produkt eines im Schneckentempo vollzogenen Umbruchs.

Diese drei Gruppen hat Hodgson nicht zu einem funktionierenden Ganzen vereinen können. Rooney im Speziellen ist nach zehn Jahren Spitzenfußball körperlich ruiniert wie andere Anfang, mitte dreißig, dazu wird er seit einigen Jahren sowohl bei United als auch im Nationalteam so wahllos hin- und hergeschoben, dass sich kein Rhythmus einstellen kann. Gerrard hat zwar einen Rhythmus, aber die lange und emotional aufwühlende Saison bei Liverpool hat ihre Spuren hinterlassen.

Die können Henderson, Sterling und Sturridge noch besser verkraften, aber ihnen fehlte zum einen ein Spieler wie sie ihn bei Liverpool in Suárez hatten, und zum anderen der internationale Vergleich, weil sie ja kaum oder noch wenig Europacup gespielt haben. Teams, die von der Insel kommen, spielen halt nicht wie Italiener oder Urus.

Und eine Abwehrreihe mit Baines, Jagielka, Cahill und Johnson ist nichts anderes als aller-grauster Durchschnitt. So hochgelobt Baines seit Jahren wird (warum auch immer), so lange Johnson schon dabei ist – aber England hat mit einiger Sicherheit das schlechteste AV-Pärchen aller europäischen Teilnehmer gehabt. Ihre Vorstöße wirkten beliebig, ihre Flanken hatten zuweilen Regionalliga-Format (vor allem die von Johnson, eine Frechheit).

England wirkt wie in einem Umbruch, der seit vier Jahren im Gange ist und ohne wirkliche Überzeugung betrieben wird. Man will die Alten raushaben, nimmt aber dennoch Gerrard UND Lampard mit. Man ersetzt den gefühlt seit den Achtzigern gesetzten Ashley Cole mit einem Spieler, der nur vier Jahre jünger ist und trotzdem erst eine Handvoll Europacup-Einsätze hinter sich hat. Man kommt endlich vom bald greisen Rio Ferdinand weg, und stellt einen 31-Jährigen und einen 28-Jährigen vor Joe Hart hin.

Der englische Verband blickt seit Jahren voller Bewunderung auf den Erfolg, den Deutschland nach dem radikalen Schnitt 2004 hat. Einen ähnlich radikalen Schnitt zu vollziehen, traut man sich auf der Insel aber nicht. Und genau darum wurschtelt man sich seit Jahren mittenrein in die weltfußballerische Anonymität.

Italien: Mischung aus Klima, Qualität und Form

Langsam war das alles. Die Hitze, sie setzte Andrea Pirlo und Daniele de Rossi schon extrem zu. Nach dem hart erkämpften Auftakt-Sieg gegen England in der Hölle von Manaus gab’s einen erschreckend leblosen Auftritt in der Tropenhitze von Recife, wo man gegen Costa Rica verlor. Und wirkliche Überzeugung und Verve war auch nicht zu erkennen, als man im schwülheißen Natal von Uruguay aus dem Turnier gebissen wurde.

Italien
Italien: Der zweite Außenverteidiger, das langsame Zentrum, biedere Offensiv-Kräfte: Prandelli hatte mit zu vielen Brandherden zu kämpfen.

Da halfen alle taktischen Überlegungen von Fuchs Cesare Prandelli nichts. Die höhere Grundposition von Pirlo, um ihn näher an die Passempfänger zu bringen, ebenso wenig wie der Einsatz von Abschirm-Jäger De Rossi und der Einsatz von Pirlo-Kopie Verratti neben dem alten Herrn. Weil neben dem wirklich braven Darmian es keinen zweiten Außenverteidiger gab, der sinnbringend im Spiel gewesen wäre – nicht der gelernte Innenverteidiger Chiellini, nicht der farblose Abate, nicht der als Wing-Back etwas hilflose De Sciglio.

Was auch ein Problem des Nachwuchses ist. Keine große Liga in Europa hat bei den Kadern der Vereine einen so geringen Anteil an bei den Klubs ausgebildeten Spielern wie die Serie A. Wie in Italien generell üblich, wird lieber an alten, verkrusteten Strukturen festgehalten, als mal etwas Neues zu probieren, weil es immer irgendein Gremium, einen 80-Jährigen Betonschädel, einige polemisierende Medien gibt, die das zu verhindern wissen.

Die Folge ist, dass Prandelli, fraglos einer der besten Trainer des Kontinents, hilflos zusehen musste, wie seine Mannschaft verglühte. Das Erreichen des EM-Finales vor zwei Jahren war kein Zufall, aber die Mischung aus den klimatischen Bedingungen und fehlender Form (wenn etwa Neu-Dortmunder Immobile so spielt, wie er heißt; ein Candreva halt nicht mehr als ein Durchschnitts-Kicker ist, Insigne von seinem Punch genau nichts zeigte, Cassano ein müder Abklatsch von 2012 ist und mit Parolo ein 29-Jähriger neu in den Kader kommt) killte Italien.

Spanien: „Generation Xavi“ entmachtet

Es kommt die Zeit, da bricht alles irgendwie in sich zusammen. Zumindest oft. Das war bei Frankreich 2002 so, das war bei Italien 2010 so, und jetzt hat’s die Spanier erwischt. Zu lange festgehalten an einer Spielweise, die die alternden Spieler nicht mehr auf dem höchsten Niveau zu spielen im Stande waren. Und gerade beim Ballbesitz-Fußball spanischer Prägung ist das unbedingt vonnöten.

Spanien
Spanien: Die Änderungen nach dem 1:5 gegen Holland waren zu spät und halfen zu wenig.

Aber Xavi wurde von den geschickten Holländern so kontrolliert, dass er danach nicht mehr ins Geschehen eingriff. Xabi Alonso nahm von den wie wild pressenden Chilenen ein veritables Trauma mit. Und ohne diese beiden Säulen im Zentrum mäanderte der Rest kopflos durch die Partien. Diego Costa konnte nie so eingesetzt werden, dass er seine Stärken ausnützen hätte können. Zu viele Spieler waren zu langsam oder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um jenes Gegenpressing zum Funktionieren zu bringen, das ja das eigentliche Erfolgsgeheimnis Spaniens war.

Und vor allem fehlte es dem Abwehr-Duo Ramos und Piqué vor allem gegen Holland, aber auch gegen Chile an der Gedankenschnelligkeit und der Abstimmung – auch, weil Busquets mehr vorne helfen musste als auf die Absicherung nach hinten achten zu können. Die gigantischen Löcher, die entstanden, waren ein Fest für die Holländer und die Hilflosigkeit gegen das chilenische Pressing wurde schnell deutlich.

Das allerdings war schon vorher klar: Von einem mutigen Gegner selbst angepresst zu werden, gefällt den sonst ja selbst pressenden Spaniern gar nicht – wie es etwa Portugal im EM-Halbfinale 2012 machte.

Und dann machte auch noch Iker Casillas jene dämlichen Anfängerfehler, die er nach einem Jahrzehnt auf Top-Niveau zuletzt auch bei Real Madrid immer häufiger wieder eingestreut hatte.

Wie so viele große Trainer vor ihm hat nun also auch Vicente del Boque zu lange an altverdienten Spielern festgehalten. Es sagt sich aber andererseits leicht, er hätte Xavi, Xabi Alonso und womöglich auch Iniesta und Casillas nach drei Titel in Folge eliminieren müssen. Die zu erwartenden Prügel von Medien und Fans will sich niemand antun. Verständlich.

Nicht, dass die Spanien jetzt Sorgen machen müsste – die letzten zwei U-21-Europameisterschaften gewann man, es rückt viel nach. Aber die „Generation Xavi“ ist hiermit an ihrem leider etwas unrühmlichen Ende des Weges angekommen.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Juni 2016 in Frankreich

Die Hälfte von Europas Großen hat komplett enttäuscht, aus den verschiedensten Gründen. Bei England wird sicherlich nichts besser, wenn man weiterhin so lauwarm vor sich hinlebt, bei Italien muss man abwarten, ob Biedermann Mancini übernimmt, Choleriker Conte oder doch Tüftler Guidolin (oder auch ganz wer anderer, Allegri ist ja für die Squadra Azzurra vom Markt). Keiner der drei wird aber die grundsätzlichen Probleme im italienischen Fußball lösen können, da ist der Verband gefragt.

Frankreich braucht für die Heim-EM mehr Persönlichkeiten im Mittelfeld, überall sonst ist die Equipe Tricolore gut aufgestellt. Deutschland wird zumindest zwei, vielleicht sogar drei absolute Schlüsselspieler auf dem Weg zur EM in zwei Jahren ersetzen – ob das ohne Reibungsverluste geht, muss man erst einmal sehen. Erstaunlicherweise sieht aus dem jetzigen Blickwinkel Holland als diejenige Mannschaft aus, die das wenigste Bauchweh haben muss: Der junge Kader hat die Erfahrung einer starken WM, muss praktisch nicht umgebaut werden und Guus Hiddink ist ein ganz erfahrener Trainer, der ein Team völlig anders führt als Van Gaal, sich aber um seine Autorität nicht sorgen muss.

Die Gelegenheit für Teams aus der zweiten Reihe, bei der EM die Arrivierten in den Schatten zu stellen, ist also gegeben. Sie müssten sich jetzt nur noch trauen.

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Südamerika bei der WM: Zwar wieder kein Titel, aber erneut breiter geworden https://ballverliebt.eu/2014/07/18/zwar-wieder-kein-titel-aber-suedamerika-stellt-sich-immer-noch-breiter-auf/ https://ballverliebt.eu/2014/07/18/zwar-wieder-kein-titel-aber-suedamerika-stellt-sich-immer-noch-breiter-auf/#comments Thu, 17 Jul 2014 22:34:03 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10428 Südamerika bei der WM: Zwar wieder kein Titel, aber erneut breiter geworden weiterlesen ]]> Nur ein Team von außerhalb konnte südamerikanische Teams in der K.o.-Runde besiegen. Eines! Was nur zeigt, wie stark und vor allem mit welcher beeindruckenden Breite die Teams aus Südamerika bei der WM auftrumpften. Mittlerweile sind nicht nur zwei Teams da, die Weltmeister werden können, sondern vier, die von extrem hoher Qualität sind. Und ein Fünfter war vor vier Jahren ja immerhin im Semifinale. In dem das Team des Gastgebers diesmal ja ein historisches Debakel erlitt.

Brasilien: Wo sind die ganzen Samba-Kicker hin?

Als die Seleção vor einem Jahr den Confed-Cup gewann, sah man eine Mannschaft, die nichts besonders innovatives machte, aber eine solide Mischung aus allen Einflüssen war, die es im modernen Fußball so gibt. Keine aufregende, aber eine grundsolide Truppe. Zwölf Monate später gab es den krachenden Einsturz eines Teams, das offenbar alles verlernt hatte, nicht als Mannschaft funktionierte und in dem Teamchef Scolari zu viel und zu lange an „seinen“ Spielern festhielt.

Brasilien
Brasilien: Wenn Fred der beste Mittelstürmer ist, hat die Seleção ein ziemlich massives Problem.

Dabei war eben in der Tat alles weg. Paulinho, der aus dem Mittelfeld den Punch bringen sollte, ist nach einem verlorenen Jahr in Tottenham ein Schatten seiner selbst. Hulk stagniert oder enwickelte sich sogar zurück. Fred ist eine Gemeinheit von einem Mittelstürmer, verglichen mit ihm war Toni Polster ein Dauerläufer.

In keinem Spiel konnte Brasilien wirklich überzeugen. Gegen Kroatien hätte man ohne das Elfer-Geschenk wohl nur 1:1 gespielt, Kamerun war kein Gegner, gegen Chile und Kolumbien wackelte man bedenklich, ehe es gegen Deutschland das 1:7-Desaster im Halbfinale setzte. Die vermutlich beste Leistung konnte man gegen Mexiko abrufen. Bezeichnenderweise gewann Brasilien dieses Spiel nicht.

Das Halbfinale, das in die WM-Geschichte eingehen wird, offenbarte drastisch, wie sehr die Mannschaft von Thiago Silva (der den Laden hinten zusammenhielt) und Neymar lebte. Unter dem Druck des Gewinnen-Müssens warfen die Spieler übermotiviert alle Grundlagen der Taktik über Bord und liefen Deutschland nicht ins Messer, sondern mit Anlauf in ein deutsches Katana.

Die grundsätzliche Frage, die sich Brasilien nach Platz vier bei der Heim-WM (was ja rein als Ergebnis eh nicht so schlecht ist) stellt, ist eine aus brasilianischer Sicht erschreckende: Wie kann es sein, dass es ausgerechnet im Land des Samba-Fußballs, im Land von Pelé, Garrincha, Zico, Romario, Ronaldo und Ronaldinho nur einen einzigen Offensiv-Akteur von Weltformat gibt? Inhaltliche Fehlleistungen und Spiele, in denen alles daneben geht, können immer mal passieren. David Luiz und Thiago Silva sind dennoch Weltklasse-Spieler, Luiz Gustavo trotz allem ein Sechser von internationalem Format. Aber Oscar tauchte völlig unter, Hulk ebenso. Alles hing an Neymar.

Die Seleção ist nicht in einem so tiefen Loch, wie es nun scheint. Der neue Teamchef, wer immer es sein wird, muss aber einen Weg finden, dass nicht alles zusammenklappt, wenn Neymar nicht dabei ist oder einen schlechten Tag hat. Und ganz generell muss sich der Verband etwas einfallen lassen, wie man wieder ein paar ordentliche Offensiv-Spieler und vor allem Mittelstürmer aus dem Zuckerhut zaubert. Denn was den Zug zum Tor angeht, ist man alleine in Südamerika nicht mehr unter den Top-3.

Argentinien: Wo ist die Hilfe für Messi?

Nein, dass die Albicelete prickelnden Offensiv-Fußball gezeigt hätte, könnte man nicht gerade behaupten. Auch, dass Lionel Messi zu jeder Zeit Herr der Lage ist und ein Kapitän, der vorangeht und die Kollegen pusht, wenn’s mal nicht läuft, kann man nicht sagen. Allerdings war der große kleine Mann von Barcelona fast immer zur Stelle, wenn seine Mannschaft mal ein Tor oder zumindest einen Assist von ihm brauchte.

Argentinien
Argentinien: Es lebte mehr von Messi, als bei der Besetzung nötig war. Aber es funktionierte.

Seltsam, aber obwohl die Qualität der Spieler direkt um Messi herum – Higuaín, Lavezzi, Agüero, natürlich Di María – deutlich höher ist als die der Nebenleute von Neymar, steht und fällt auch bei Argentinien alles mit einem Spieler. Die Auftritte des knapp unterlegenen Finalisten waren selten wirklich unterhaltsam und fußten vornehmlich auf einer außergewöhnlich sicheren Defensiv-Abteilung.

Die vom wahren Chef auf dem Feld dirigiert wurde, nämlich von Javier Mascherano. Er hatte mit Biglia einen patenten Adjutanten, hatte mit Garay und Demichelis sichere Hinterleute und Torhüter Romero zeigte ein sehr gutes Turnier, obwohl er bei Monaco nur in internen Trainings-Spielchen Praxis bekam.

Im Grunde spielte Argentinien so, wie Finalisten oft spielen: Hinten wenig anbrennen lassen, vorne im entscheidenden Moment zuschlagen. Wiewohl es Alejandro Sabella, so sehr es ihm an Charisma zu fehlen scheint, gelungen ist, die Gruppe zu vereinen, und sei es nur, um gemeinsam Sabellas Autorität öffentlich in Frage zu stellen. Seinen Grundsatz von „Humilidad y Trabajo“, von Demut und Arbeit, haben aber alle angenommen.

Nach dem überforderten Clown Maradona und dem ahnungslosen Selbstdarsteller Batista hatte Argentinien einen Teamchef gefunden, der sich ausschließlich mit dem sportlichen beschäftigt. Das wurde belohnt, aber um in vier Jahren auch wieder eine gute Rolle zu spielen, muss es gelingen, neue Schlüsselfiguern zu finden. Mascherano ist schon 30, Messi befindet sich seit einem, anderthalb Jahren am absteigenden Ast. Es wird sicherlich noch mehr Verantwortung auf Angel di María zukommen.

Denn Messi wird schon ein wenig mehr Hilfe benötigen, in Zukunft.

Kolumbien: Wäre mit Falcao noch mehr möglich gewesen?

Er war eine Augenweide, dieser James Rodríguez (der, um das ein für allemal festzuhalten, NICHT „dscheims“ heißt, sondern „chames“). Vorbereiter, Vollstrecker, Gegenspieler-Verrückt-Macher, und das alles mit einem Babyface, das das genau Gegenteil der wilden Erscheinung Carlos Valderrama ist. Kolumbien stürmte unaufhaltsam ins Viertelfinale und hatte dort gegen Brasilien zu spät gemerkt, dass man gar keine Angst vor dieser Truppe haben muss.

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Kolumbien: Eine Augenweide. Tolle Spieler, viel Initiative, und das nicht mal in Bestbesetzung

Weshalb sich die Frage stellt: Wäre mit einem fitten Radamel Falcao vielleicht sogar noch mehr möglich gewesen? Denn Teo Gutiérrez zeigte sich als hervorragender Arbeiter, als guter Mitspieler für James und Cuadrado, aber nicht als Vollstrecker. Während hinter im die vermutlich beste offensive Mittelfeld-Reihe des Turniers wirbelte. Dazu verwirrte man die Gegner mit permanenten Rochaden: Da agierte James mal als Sturmspitze, mal links, da ging Jackson Martínez mal ins Zentrum, dazu gab’s mit Armero und Zuñíga zwei forsche Außenverteidiger. Eine Augenweide.

Die Cafeteros bestätigten den Aufwärtstrend, der schon unter Hernán Dário Gomez begonnen wurde und José Néstor Pekerman, an sich ja ein ruhiges Gemüt, formte Kolumbien zu einer ähnlich aufregenden Mannschaft wie seine „Fabelhaften Peker-Boys“ aus Argentinien bei der WM 2006. Und das Schöne ist: Bis auf Kapitän Mario Yepes fällt in näherer Zukunft kein Stammspieler aus Altersgründen aus dem Team.

Kolumbien kann also als Ganzes noch besser werden. Und Falcao ist bald wieder zurück.

Chile: Ist diese Form konservierbar?

Nächsten Sommer findet in Chile die Cópa America statt. Die Roja hat dieses Turnier noch nie gewonnen und nach dem knappen und auch eigentlich nicht verdienten Achtelfinal-Aus gegen Brasilien versprach Arturo Vidal, dass sich das ändern wird. Die Vorzeichen sind gut: Die Mannschaft ist mit einem Schnitt von 26,5 Jahren noch relativ jung, alle haben die komplexen Taktik-Varianten von Teamchef Jorge Sampaoli verinnerlicht, und Vidal selbst war nicht mal voll fit.

Chile
Chile: Das mit Abstand aufregendste, was dieses WM-Turnier zu bieten hatte. Viel zu früh raus.

Und die Chilenen waren, wie schon vor vier Jahren unter Marcelo Bielsa, eine überaus geile Mannschaft. Sampaoli ist ein im positiven Sinne fußballerischer Geistesgestörter, ein Besessener, ein Freak. Und so spielen auch seine Teams. Wie einst das 3-1-4-2-Monster von La U, wie das 2-1-3-4-0-Gebilde, das Australien eine halbe Stunde lang verzweifeln ließ. Wie das Pressing-Ungetüm, das Xabi Alonso so sehr in den Wahnsinn trieb, dass dieser sich nach einer Halbzeit traumatisiert auswechseln ließ.

Und mit Eduardo Vargas hat man nun auch endlich einen Stürmer, der auch mal Tore macht, Alexis Sánchez in Top-Form bringt auch die nötige Direktheit mit. Marcelo Díaz auf der Sechs – neben Mena, Aranguiz und Silva einer von vier Stammkräften, die unter Sampaoli bei La U gespielt haben – ist die personifizierte Balance. Dazu ist Claudio Bravo ein exzellenter Torhüter.

Und wohlgemerkt: Im ganzen Kader gibt es nicht einen einzigen gelernten Innenverteidiger. Keinen.

Chile hat es absolut drauf, auf absehbare Zeit eine bestimmende Kraft in Südamerika und damit auch in der Welt zu werden bzw. zu bleiben. Wenn Pinilla gegen Brasilien in der 120. Minute nicht die Latte, sondern das Tor getroffen hätte, wer weiß, wie weit Chile gekommen wäre.

Eines ist nur klar: Kein Team bei dieser WM ist mit dem nackten Resultat – Aus im Achtelfinale – so massiv unter Wert geschlagen worden wie Chile. Jetzt muss nur noch die Form bis nächstes Jahr konserviert werden.

Uruguay: Wer folgt den alten Herren?

José Maria Giménez erspielte sich schon einen Stammplatz bei den Großen, Stürmer Nico López kommt bei Udinese regelmäßig zum Einsatz, Linksaußen Diego Laxalt bei Serie-A-Absteiger Bologna. Aber sonst? Keiner der Mannschaft aus Uruguay, die vor einem Jahr Vize-Weltmeister bei der U-20-WM wurde, ist auch nur in der Nähe eines Stammplatzes bei einem halbwegs vernünftigen Klub, geschweige denn in der Nähe der Nationalmannschaft. Das wird über kurz oder lang zum Problem werden.

Uruguay
Uruguay: Fast alles hing an Godín und Suárez. Folgt nun der Generationswechsel bei der Celeste?

Denn obwohl man sich alte Willenskraft zeigte und somit England und Italien in 50:50-Spielen nieder ringen konnte, bleibt nach dem WM-Turnier, das mit einer Demontage im Achtelfinale gegen Kolumbien endete, die Erkenntnis: Besser ist Uruguay nicht geworden. Noch mehr als zuletzt schon hängt praktisch alles an Luis Suárez vorne und Diego Godín hinten.

Der Rest ist, bei allem Respekt, braver Durchschnitt und es ist weit und breit niemand in Sicht, der etwa im Mittelfeld das Spiel an sich reißen könnte. Arévalo ist nicht der Typ dafür, Lodeiro ist ein seit Jahren steckengebliebenes Talent, Cavani ist im Trikot von PSG wesentlich gefährlicher.

Und dann wird auch noch der ganze Auftritt überschattet von Suárez ekelhafter Dummheit gegen Italien. Die folgende Sperre heißt, dass Suárez die Copa America nächstes Jahr verpasst. Das wird für Langzeit-Teamchef Tabárez die Nagelprobe werden. Noch ein weiteres Mal mit den alten Recken, aber ohne den besten Spieler versuchen, alles rauszuquetschen, oder im Wissen um die Chancenlosigkeit, um den Titel mitzuspielen, den Umbau starten?

Die Antwort darauf wird gleichzeitig die Antwort auf die Frage sein, ob sich Tabárez, 67 Jahre alt, den Generationswechsel noch antun will.

Ecuador: Wäre die Quali auch ohne Höhenlage gelungen?

Immerhin: Seine drei Tore (also alle, die Ecuador bei dieser WM schoss) brachten Enner Valencia einen Premier-League-Vertrag bei West Ham ein. Sehr viel mehr wird aber nicht bleiben. La Tri verlor zwar nur knapp gegen die Schweiz und rang Frankreich ein verdientes Remis ab, aber dennoch hinterließen die drei Spiele vor allem eines: Verwunderung ob des antiquierten Spielstils der auch nicht mehr ganz jungen Mannschaft.

Ecuador
Ecuador: Mit dem flachen 4-4-2 und Konzentration auf die Flügel war das reichlich antiquiert.

Neben Honduras kam nur noch Ecuador mit einem flachen 4-4-2 mit zwei defensiven Mittelfeld-Leuten in einem damit unterbesetzten Zentrum auf, das Spiel nach vorne passierte praktisch ausschließlich über die Flügelspieler Valencia und Montero. Sturmspitze Caicedo fiel in den ersten zwei Spielen nur durch seine Mähne auf, und im dritten nicht mal mehr das, weil er zwischendurch beim Friseur war.

Anders als Enner Valencia. Der Angreifer, der nur durch den plötzlichen Tod von Chicho Benítez vor einem Jahr in die Mannschaft gerutscht war, war beweglich, hatte Übersicht und war auch torgefährlich.

Inhaltlich aber hat sich Ecuador seit der WM 2006, als man mit einem flachen 4-4-2 souverän das Achtelfinale erreichte und dort eher unglücklich England unterlag, keinen Zentimeter weiterentwickelt. Das Team vor acht Jahren war auch individuell echt gut (mit Leuten wie Delgádo, Méndez, dazu Reasco und De la Cruz als AV). Dieses ist eher wieder eines wie 2002, das sich wegen der Höhenlage in den Quali-Heimspielen zur Endrunde gemogelt hat.

Natürlich: Mit Carlos Gruezo von Stuttgart gibt es ein Riesen-Talent im zentralen Mittelfeld. Aber der hat vor drei Jahren noch U-17-WM gespielt. Für eine tragende Rolle bei einer WM der Großen war’s noch ein wenig früh.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Juni 2015 in Chile

Die Brasilianer, die viel gutzumachen haben. Die Argentinier mit Messi, der so knapp dran war, aber nun immer noch keinen Nationalteam-Titel gewonnen hat. Der Offensiv-Wirbel der Kolumbianer. Und natürlich die positiv Verrückten von Gastgeber Chile. Nicht zu vergessen Titelverteidiger Uruguay, der zeigen muss, wie er sich selbst neu erfindet.

Die Copa America, die in einem Jahr stattfindet, ist von der Ausgangslage elf Monate davor die wohl spannendste seit Jahrzehnten, weil sie mehr ist als nur das programmierte Finale zwischen Brasilien und Argentinien, sondern  es gleich zwei Teams gibt, die mindestens auf Augenhöhe mit ihnen sind, wenn nicht sogar schon besser. Die Teams des südamerikanischen Kontinents rücken immer weiter zusammen. Eine Entwicklung, die nur gut sein kann.

Fünf der sechs CONMEBOL-Teams überstanden die Vorrunde, und es gab nur ein Team von außerhalb, das K.o.-Spiele gegen das Quintett gewinnen konnte (Deutschland). Anders gesagt: Hätte man sich nicht gegenseitig eliminiert, wäre die kollektive Stärke noch viel augenfälliger geworden. Andererseits hat es nun drei Turniere hintereinander keinen südamerikanischen Weltmeister gegeben – die längste Durststrecke der Geschichte. Weil die beiden Großen im entscheidenden Moment wieder Federn ließen und die Nachrücker halt doch noch nicht ganz so weit sind.

Noch.

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Europas zweite Reihe bei der WM: Von „recht gut“ bis „Katastrophe“ – und mit Luft nach oben https://ballverliebt.eu/2014/07/15/europas-zweite-reihe-von-recht-gut-bis-katastrophe-und-mit-luft-nach-oben/ https://ballverliebt.eu/2014/07/15/europas-zweite-reihe-von-recht-gut-bis-katastrophe-und-mit-luft-nach-oben/#comments Tue, 15 Jul 2014 20:09:52 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10393 Europas zweite Reihe bei der WM: Von „recht gut“ bis „Katastrophe“ – und mit Luft nach oben weiterlesen ]]> Sie sind die Länder mit den nicht ganz so großen Ligen im Rücken, die Nationalmannschaften, die sich zumeist eher aus Legionären rekrutieren – sie sind Europas zweite Reihe. Die sich mit sehr unterschiedlicher Fortune in Brasilien präsentiert haben. Mit dem Erreichten können manche von ihnen, vor allem Belgien und die Schweiz, durchaus zufrieden sein. Aber was sie alle gemeinsam haben: Sie haben nicht in allen Bereichen ihr Optimum ausgeschöpft.

Belgien: Enttäuschend zum nicht enttäuschenden Ergebnis

Das mit den Belgiern ist so eine Sache. Sie galten als Geheimtipp und sie wurden dann auch Gruppensieger und schieden erst im Viertelfinale knapp gegen Argentinien aus. Eigentlich eine Super-WM für ein Team, das 12 Jahre bei keinem Turnier mehr dabei war. Aber dennoch hatte das Spiel der Roten Teufel, bei allem Talent, immer so ein wenig die Aura von Dienst-nach-Vorschrift, von Uninspiriert- und Biederkeit.

Belgien
Belgien: Das talentierte Team hatte viel Kontrolle in seinen Spielen, aber wenig echten Zug zum Tor.

Marc Wilmots hat eine kompakte Mannschaft geformt, mit einer bärenstarken Abwehr, aber man bekam das eigene Spiel nach vorne selten wirklich gefährlich aufgezogen – dazu fehlte auch so ein wenig das Tempo. Die Außenverteidiger sind umgeschulte Innenverteidiger, die zwar ihr möglichstes machten, aber kein Gegner musste ihre Flanken fürchten.

Auch Marouane Fellaini fehlte aus dem Zentrum heraus die Direktheit und der Zug zum Tor, Eden Hazard wirkte ein wenig überspielt, dazu konnte der als Stamm-Mittelstürmer ins Turnier gegangene Romelu Lukaku überhaupt nicht überzeugen und verlor seinen Platz bald an Neo-Liverpooler Divock Origi. Dries Mertens, der ebenso im Turnierverlauf ins Team rutschte, war noch der mit dem meisten Punch.

So hat Belgien mit dem Viertelfinal-Einzug nicht direkt enttäuscht, aber gemessen an den Erwartungen irgendwie doch zumindest unterwältigend agiert. Was für das Team spricht: Nur eine Stammkraft hat sicher das letzte große Turnier gespielt, bis auf Daniel van Buyten können alle noch mindestens eine WM spielen und auf den Erfahrungen aufbauen.

Schweiz: Zu konservativ für den großen Wurf

Auch noch recht jung ist das Team aus der Schweiz. Auch dieses hat mit dem Achtelfinal-Einzug ein ordentliches Resultat zu Buche stehen, auch dieses verlor wie danach Belgien knapp gegen Argentinien. Und wie die Belgier schafften es auch die Schweizer nicht so richtig, aus einer extrem talentierten Mannschaft auch einen wirklich attraktiven Fußball herauszuholen. Was auch an der konservativen Grundhaltung von Ottmar Hitzfeld liegen mag.

Schweiz
Schweiz: Ein Top-Kader und ein gutes Team, aber nicht so aufregend, wie es hätte sein können.

Denn eine außergewöhnliche Spielanlage oder gar Experimente gibt es bei dem 65-Jährigen nicht. Er verstand es, der Nati ein nicht besonders komplizierte, aber grundsätzlich funktionierende Spielweise einzuimpfen, mit einer klaren Ordenung. Zwei starke Außenverteidiger, ein kampfstarken Sechser, ein guter Passgeber auf der Acht. Nur vorne wollte es nicht so recht flutschen.

Shaqiri startete in den ersten beiden Spielen auf der rechten Seite, tauschte dann jeweils in der Halbzeit mit Granit Xhaka die Plätze, und jedesmal wurde es deutlich besser. Erst im dritten Spiel konnte sich Hitzfeld überwinden, Shaqiri von Beginn an auf die Zehn zu stellen – der Bayern-Spieler dankte es mit drei Toren gegen Honduras.

Auch in der Abwehr zögerte Hitzfeld lange, ehe er sich über die funktionierende Lösung drübertraute. Johan Djourou, der beim HSV eine Katastrophen-Saison gespielt hat, konnte sich der Nibelungentreue von Hitzfeld sicher sein – warum auch immer, schließlich war Djourou auch bei der WM ein ständiger Unsicherheitsfaktor. Nach der Verletzung von Nebenmann Steve von Bergen gab Hitzfeld aber immer noch nicht dem (von Experten schon vorm Turnier statt Djourou geforderten) Schär die Chance, sondern Senderos – und kassierte beim 2:5 gegen Frankreich die Rechnung.

Erst im dritten Spiel kam Schär, und mit ihm gab es in 210 Spielminuten nur noch ein Gegentor – das in der 118. Minute gegen Argentinien von Di María. Nun übernimmt Vladimir Petkovic für Hitzfeld, der sich nun endgültig in die Fußball-Pension verabschiedet. Der 50-Jährige, der zuletzt Lazio trainierte, übernimmt eine gutklassige Mannschaft, aus der man noch viel herausholen kann. Wenn man sich traut.

Griechenland: Wenig Glanz, aber wieder achtbar

Es ist so eine Sache mit den Griechen. Der praktisch flächendeckend als fußballhistorische Katastrophe aufgenommene EM-Titel von 2004 hängt ihnen noch immer nach. Dabei darf man aber nicht den Fehler machen, Negative Spielweise mit Pragmatismus zu verwechseln. Denn was Fernando Santos bei Hellas spielen lässt, ist nicht mehr der plumpe Destruktivismus der späten Rehhagel-Jahre, sondern einfach jene Spielweise, die am besten zu seiner Mannschaft passt.

Griechenland
Griechenland: Ein Team aus braven Arbeitern: Zusehen macht wenig Spaß, aber wieder einmal wurde die Gruppe überstanden – und das verdient.

Was aber nicht heißt, dass Griechenland immer nur verteidigt. Ganz im Gegenteil. Über weite Strecken des Spiels gegen die Ivorer waren sie die aktivere Mannschaft, was mit dem späten Siegtor und damit dem Achtelfinal-Einzug belohnt wurde. Gegen Costa Rica war man ebenso die fast über die ganzen 120 Minuten, jedenfalls aber in der letzten Stunde mit einem Mann mehr, zuweilen drückend überlegen. Und dass man in Unterzahl gegen Japan darauf schaut, das Spiel zumindest nicht zu verlieren, kann man dem Team schwer zum Vorwurf machen.

Im Grunde war Griechenland aber doch das, was Griechenland halt meistens ist: Eine nicht gerade prickelnde Mannschaft, die aus einer gesicherten Abwehr heraus vor allem dann seine Stärken hat, wenn man schnell und direkt umschalten und die Offensivkräfte die noch offenen Räume bearbeten können. Einen dezidiert kreativen Spieler im Mittelfeld gibt es nicht, es wird Fußball gearbeitet, nicht zelebriert.

Was das griechische Team unter Fernando Santos immerhin in zwei Versuchen zweimal in die K.o.-Phase einer EM bzw. einer WM gebracht hat. Und angesichts der Tatsache, dass der Kader nicht übertrieben alt ist und immer wieder Leute nachkommen – wie die U-19, die vor zwei Jahren Vize-Europameister war – muss damit auch noch nicht Schluss sein, nur weil Santos nach vier Jahren als Teamchef nicht mehr weitermacht.

Kroatien: Unter Wert geschlagen

Schon bitter. So furchtbar viel haben die Kroaten gar nicht falsch gemacht, und doch ging’s nach der Vorrunde nach Hause. Wegen eines erstaunlichen Paradoxons – obwohl man mit Modric und Rakitic zwei Gestalter im Mittelfeld-Zentrum stehen hatte und keinen Balleroberer, war es vor allem die fehlende Durchschlagskraft am Weg nach vorne, die das Aus bedeuteten. Und keine defensive Instabilität, wie man annehmen hätte können.

Team Kroatien
Kroatien: Zweieinhalb Spiele okay bis stark, aber dennoch hat es nicht fürs Achtelfinale gereicht.

Gegen Brasilien hätte man mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verloren, wenn nicht der Referee einen Elfmeter gepfiffen hätte, den man nicht hätte pfeifen sollen. Gegen Kamerun nützte man die eklatanten Schwächen des Gegners konsequent aus. Nur gegen Mexiko wurde – vielleicht auch, weil Teamchef Kovac von seinem 4-4-1-1 abging und ein 4-3-3 versuchte, in dem sich das Team merklich nicht sonderlich wohl fühlte – es verpasst, die auf dem Papier bestehenden Stärken auszuspielen.

Weil vorne die hängende Spitze als Anspielstation fehlter – in den ersten beiden Spielen konnten weder Mateo Kovacic noch Sammir da wirklich überzeugen – war man dem mexikanischen Pressing ausgeliefert. Dennoch: Rakitic und Modric haben beide noch zumindest eine WM im Tank, mit Dejan Lovren sollte es auch bald wieder einen Innenverteidiger von Format geben, die meisten Spieler haben noch Steigerungspotenzial.

Wenn man Kovac die Zeit lässt, kann da bei der EM in zwei Jahren durchaus einiges herausschauen.

Bosnien: Zu viel Respekt gezeigt

Die große Stärke in der Qualifikation, die bei Bosnien schon lange überfällig war: Die herausragende Offensive mit dem brandgefährlichen Sturm-Duo Edin Dzeko und Vedad Ibisevic, mit Zvjedzan Misimovic dahinter an der Spitze der Mittelfeld-Raute. So fegte man über die Gegner hinweg – weshalb es schon sehr erstaunlich ist, dass Teamchef Safet Susic in der nicht gerade unüberwindbaren Gruppe mit dem Iran und Nigeria vom Erfolgs-Konzept abwich.

Bosnien
Bosnien: Beim Debüt zu wenig Mut gezeigt und auch etwas Pech gehabt. Da war mehr möglich.

Nicht nur, das er gegen Argentinien und Nigeria Ibisevic opferte und mit nur einer Spitze agierte, nein, auch sonst zeigte Bosnien vor allem im entscheidenden Spiel gegen Nigeria deutlich zu viel Respekt vor dem Anlass und deutlich zu wenig von dem Punch nach vorne, der Bosnien sonst auszeichnet. Die Herangehensweise war zu verhalten, zu langsam.

Natürlich war auch Pech dabei. Pech, dass ein korrekter Treffer gegen Nigeria nicht zählte, Pech, dass Dzeko in der Nachspielzeit den Pfosten traf, Pech, dass Messi eine leblose argentinische Mannschaft im Alleingang rettete, Pech, dass wegen der anderen Ergebnisse das Aus schon vor dem letzten Spiel feststand.

Aber das Vorrunden-Aus alleine am Pech festzumachen, würde zu kurz greifen. Der Abwehr fehlt es an internationalem Format, Misimovic ganz dramatisch am Tempo (noch ein weiterer Grund, warum es keine gute Idee war, ihm eine Anspielstation in der Spitze zu nehmen). Aber es gab auch einen Spieler, der positiv überraschte: Es ist kaum anzunehmen, dass der erst 21-jährige Sechser Muhamed Besic, der Messi an der ganz kurzen Leine hatte, noch lange bei Ferencváros in der sportlich völlig wertlosen ungarischen Liga spielt.

Vieles deutet darauf hin, dass dies eine einmalige, wenn man so will goldene Generation der Bosnier ist, die mit dem nahenden Karriere-Ende von Misimovic bald ihren ersten elementaren Baustein verliert. Wie lange man mit der Taktik auf hohem Niveau Erfolg haben wird, Flüchtlings-Kinder zu finden, die in anderen Ländern gut ausgebildet wurden, wird sich erst zeigen müssen. Die erste Teilnahme und den ersten Sieg bei einer WM kann Bosnien keiner mehr nehmen. Jedoch auch nicht die Gewissheit, dass mehr möglich gewesen wäre.

Russland: Bestenfalls biederer Durchschnitt

Furchteinflößend für die Gegner war das ja nicht von den Russen. Im Gegenteil. Die Auftritte der Sbornaja erinnerten mit einer erschreckenden Ähnlichkeit jener der Engländer vor vier Jahren. Was auch daran liegen mag, dass damals wie heute Fabio Capello der Trainer ist. Bei Österreichs Gruppengegner in der anstehenden EM-Quali stimmte über alle drei Spiele gesehen so gut wie nichts und so schaffte man es sogar in der vermutlich schwächsten Gruppe, auszuscheiden.

Russland
Russland: Weit von vergangener Form entfernt. Bieder, hölzern, harmlos und fehleranfällig.

Torhüter Akinfejev wirkte unsicher und machte teils haarsträubende Fehler. Die Innenverteidigung ist langsam und hüftsteif. Von den Außenverteidigern kommt zu wenig. Für die Position im linken Mittelfeld hatte Capello nur Notlösungen zu bieten. Kurz: Russland war von einer ungeheuerlichen Harmlosig- und Biederkeit.

Es war auch nie erkennbar, wofür diese Mannschaft eigentlich inhaltlich stehen möchte. Es gab kein echtes Pressing, keinen vernünftigen Aufbau, Alibi-Pässe im Mittelfeld. Lichtjahre von dem entfernt, was das russische Team 2008 unter Guus Hiddink zu einer der aufregendsten des Turniers gemacht hat.

Die russische Liga hat aber auch ein ähnliches Problem wie die englische, die Capello ja davor als Rekrutierungs-Becken zur Verfügung hatte, wenn auch nicht so extrem: Annährernd die Hälfte aller Spieler der russischen Liga, in der alle 23 Kader-Spieler unter Vertrag stehen, sind keine Russen – und viele besetzen bei den Klubs auch Schlüsselpositionen.

Anders gesagt: Wenn es bessere Spieler gegeben hätte, wären sie auch mit dabei gewesen. So aber konnte Capello nur Durchschnitt aufbieten, dazu sind nur zwei Stammspieler jünger als 27 Jahre. Sieht mittelfristig nicht so gut für Russland aus.

Portugal: Was schief gehen kann, ging schief

Es war ein ziemlicher Total-Kollaps, den die Portugiesen hingelegt haben – jene Portugiesen, die praktisch in der selben Besetzung vor zwei Jahren beinahe das EM-Finale erreicht hätten. Das ist aber nur in Einzelfällen wirklich Spielern anzulasten, gar beim Teamchef die Schuld zu suchen, wäre eigentlich völlig verkehrt.

Portugal
Portugal

Ob man Pepe im ersten Spiel wirklich ausschließen muss, sei mal dahingestellt, aber besonders intelligent war seine Aktion gegen Thomas Müller in keinem Fall. Nur: Fábio Coentrão schon im ersten Spiel verletzt zu verlieren, dazu mit Almeida (im ersten Spiel) und Postiga (im zweiten Spiel) mit Muskelblessuren nach jeweils 20 Minuten zu verlieren, was will man da machen.

Einen an sich verlässlicher Innenverteidiger, einen sehr guten Linksverteidiger und den Einser-Stürmer schon im ersten Spiel zu verlieren, das dann auch noch 0:4 in die Binsen ging, das verkraftet kein Team. So musste Veloso von der Sechs auf die Linksverteidiger-Position auswandern (wo er sich sichtlich unwohl fühlte), musste der international völlig unerfahrene William Carvalho auf der Schlüsselposition im defensiven Mittelfeld ran, musste der Dritte-Wahl-Stürmer Éder ganz vorne aushelfen. Und zum Drüberstreuen verletzte sich im letzten Spiel auch noch Torhüter Beto.

Derart verunsichert hätte man beinahe gegen die kampfstarken, aber individuell schwach besetzten US-Amerikaner verloren, da half dann auch der abschließende Sieg gegen Ghana nichts mehr. Und natürlich hätte Cristiano Ronaldo mehr zeigen können, aber wenn rund um ihn herum alles einstürzt, kann man das frühe Ausscheiden nicht dem Star von Real Madrid anlasten.

Es war ein Turnier nach dem Motto „Pech gehabt“. Abhaken, nach vorne schauen. Was soll’s.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Juni 2016 in Frankreich

Angesichts der Tatsache, dass sich neben dem Gastgeber noch 23 weitere Mannschaften für die aufgeblähte EM in zwei Jahren qualifizieren, ist anzunehmen, dass die komplette zweite Reihe aus Europa, die in Brasilien dabei war, auch dort dabei sein sollte. Einige davon werden auch sicher eine realistische Chance haben, dort gut auszusehen – vor allem Belgien, Kroatien und Portugal, aber auch die Schweizer.

Allen diesen Teams, den Mid-Majors aus dem alten Kontinent, ist beim Turnier in Brasilien aber eines gemeinsam: Bei allen herrschte Luft nach oben, niemand kann von sich sagen, das spielerische UND das resultatsmäßige Optimum herausgeholt zu haben. Die größten Sorgenkinder unter diesen Teams sind sicher die Russen (die mit Schweden, Österreich und Montenegro eine gemeine Quali-Gruppe haben) und die Bosnier, die wohl schon über dem Zenit sein dürfte (aber in der Gruppe mit Belgien, Israel und Wales kaum Probleme haben dürfte, sich zu qualifizieren).

Und klar ist auch: Viele Teams aus dieser zweiten Reihe sind nicht mehr auf Augenhöhe mit so manchem Vertreter der (vermeintlich) Großen, sondern hat diese schon überholt. Stellt sich nur die Frage, für wie lange.

(phe)

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Die Rückkehr der Dreierkette, gute Goalies und die ewige Diskussion um die Refs https://ballverliebt.eu/2014/07/15/die-rueckkehr-der-dreierkette-gute-goalies-und-die-ewige-diskussion-um-die-refs/ https://ballverliebt.eu/2014/07/15/die-rueckkehr-der-dreierkette-gute-goalies-und-die-ewige-diskussion-um-die-refs/#comments Tue, 15 Jul 2014 01:27:48 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10420 Die Rückkehr der Dreierkette, gute Goalies und die ewige Diskussion um die Refs weiterlesen ]]> Deutschland ist also zum vierten Mal Weltmeister. Das ist, woran man sich vordergründig erinnert, wenn von der Weltmeisterschaft 2014 die Rede ist, mehr noch als vom 1:0-Finalsieg gegen Argentinien dazu sicher von der deutschen 7:1-Vernichtung von Brasilien im Halbfinale. Aber was sind die inhaltlichen Erkenntnisse der 20. Endrunde? Hier zehn Punkte, die im Rückblick Erwähnung verdienen.

WM 2014 All-Stars
Streng subjektiv: Die All-Stars. Natürlich würde etwa auch Arejen Robben da hinein gehören. Nur: Statt wem?

1. – Die Dreierkette ist zurück

Vor vier Jahren in Südafrika spielten 27 Mannschaften durchgängig mit einer Viererkette, eine weitere (Uruguay) zumindest meistens. Waren Chile, Neuseeland, Nordkorea und Algerien 2010 diesbezüglich Exoten, hat die Dreier/Fünfer-Abwehr nun wieder einen gehören Schritt zurück in Richtung Mainstream genommen. Chile, Costa Rica, Mexiko, Uruguay und natürlich die Holländer: Alle fünf Teams, die nicht mit der Viererkette hinten agierten, überstanden die Vorrunde.

Die Dreierkette ist dabei die Reaktion einer Entwicklung, die sich in den letzten paar Jahren erst ergeben hat: Aus dem 4-2-3-1, das weltweit seit seinem Siegeszug bei der WM 2006 das dominierende System wurde, schob der Zehner in den letzten Jahren bei sehr vielen Mannschaften wieder weiter nach vorne, wodurch ein 4-4-1-1 entsteht – sehr schön zu sehen war dieses Vorrücken etwa bei Borussia Dortmund, als erst Kagawa und im letzten Jahr zumeist Reus bzw. Mkhitaryan als hängende Spitze agierten, weniger als Zehner.

War das 4-2-3-1 eine Reaktion auf das endgültige Aussterben der Dreierkette bis zur EM 2004 (die vom System her eine Übergangs-Phase markierte), das sich eben ab 2006 durchsetzte, ist die Dreierkette nun eine Reaktion darauf, dass der Zehner darin zum Anpressen der gegnerischen Spieleröffnung wieder so hoch steht wie der früher klassische zweite Stürmer.

Es ist also alles ein ewiger Kreislauf, die Reaktion auf eine Entwicklung hat die Reaktion auf die Reaktion zur Folge. So ist es auch in diesem Fall.

2. – Scharfe, kurze Pressing-Wege im Mittelfeld

Die Verwendung der Dreierkette hatte noch einen weiteren Vorteil, den alle Teams, die eine solche spielten, auch ausnützten – also nicht nur ein Dreierkette spielen um den Dreierkettespielens wegen, sondern mit Hintergedanke (logisch, sonst wären sie ja nicht bei einer WM dabei). Mit den höher stehenden Flügelverteidigern nämlich und dem verdichteten Zentrum war es möglich, die Gegner in diesem Bereich mit kurzen, aber scharfen Pressing-Wegen unter Druck zu setzen. Nicht selten sorgte ein sich zurückfallen lassender Stürmer (wie bei Mexiko oder Chile) bzw. zwei sich schräg zurück auf die Außen fallen lassende, verkappte Zehner (wie bei Costa Rica) oft für ein Sechser-Mittelfeld.

Gerade Costa Rica machte es extrem gut, den gegnerischen Ballführenden zu zweit, sehr oft aber auch zu dritt anzulaufen, und wegen der eigenwilligen Raumaufteilung mit sehr kurzen Wegen. Das ist natürlich den Bedingungen geschuldet: Bei großer Hitze und/oder hoher Luftfeuchtigkeit kann man nicht wild über dem ganzen Platz ein Pressing aufziehen, wie es Dortmund in den zwei Meisterjahren gezeigt hat.

Was ein Ansatz war, den sich aber im Grunde auch Jogi Löw mit seiner Umstellung vom 4-2-3-1 (das er im ganzen Turnier nur in der zweiten Hälfte des Finales spielen ließ) auf das 4-1-4-1 zu eigen machte. Auch hier wurde im Mittelfeld (Khedira und Kroos vor allem) kurz und scharf angepresst, aber nicht auf dem ganzen Platz.

3. – Der Experte für eh alles

Das totale Abkippen der Sechser zwischen die Innenverteidiger, das vor vier Jahren begonnen hatte und seither zeitweise sehr verbreitet war, hat sich weitgehend wieder aufgehört. Das ist eine Folge davon, dass immer mehr Mannschaften dazu übergegangen sind, selbst pressen zu wollen, anstatt den Ball zu haben und damit angepresst zu werden. Außerdem wird der Sechser nicht mehr so sehr als Spieleröffner und quasi „Quarterback“ gebraucht, weil diese Agenden immer mehr die Innenverteidiger übernehmen (oder zuweilen die Torhüter, siehe Manuel Neuer).

Der Sechser muss damit aber auch immer mehr zum Experten für eh alles werden: Sicheres Passspiel, gutes Auge und damit Stellungsspiel, im Zweifel erfolgreiche Tacklings, Pressen sollte er können und das Mittelfeld lesen und lenken auch noch. Andererseits geht die Bedeutung der Außenverteidiger ein wenig zurück. Belgien spielte mit vier Innenverteidigern in der Kette, Deutschland immer mit zumindest drei, Argentinien mit drei. Holland stellte einen gelernten Stürmer dorthin, Ghana einen Zehner.

Das ist wohl eine Folge der spielenden Stürmer, die immer mehr auf die Außen gehen und auch so für die Breite sorgen können, ohne dass durch allzu forsch aufrückende Außenverteidiger defensive Risiken eingegangen werden – Paradebeispiel, wie man es nicht macht, waren Marcelo und Dani Alves bzw. Maicon bei Brasilien.

Im Grunde ist auch diese Entwicklung nur der Versuch der Trainer, gleichzeitig offensiv variabler und defensiv gefestigter zu werden. Ein Balance-Akt.

4. – Südamerika rückt zusammen

Erstmals in der Geschichte der Weltmeisterschaften holte zum dritten Mal hintereinander eine europäische Mannschaft den Titel. Das ist vor allem spannend vor dem Hintergrund, dass Südamerika dennoch weiter aufgeholt hat – allerdings schließt dabei die zweite Reihe (Chile, Kolumbien, in den letzten Jahren auch Uruguay) die Lücke zu den beiden Hegemonialmächten Brasilien und Argentinien; nicht aber diese beiden an den europäischen Top-Teams.

Argentinien scheiterte zum dritten Mal hintereinander an Deutschland (wiewohl man dabei in nur einem Spiel wirklich die klar schlechtere Mannschaft war), Brasilien hat unglaublicherweise nur einen einzigen Offensiv-Spieler von Welt-Format. Sprich: Die Albicelete und die Seleção werden natürlich weiterhin als logische (Mit)-Favoriten in die nächste Copa America gehen, aber es gibt zumindest fünf, sechs Teams, die sich absolut realistische Titelhoffnungen machen dürfen. Das gab’s in den gefühlt vierzig Jahren davor nie.

5. – Ausgesprochen solide Torhüter

Natürlich: Jedes WM-Turnier ist auch geprägt von einer Handvoll absolut herausragender Torhüter. Was Neuer und Ochoa diesmal waren, war vor vier Jahren zum Beispiel Casillas, oder vor acht Buffon oder vor zwölf Kahn. Es gab aber auch immer eine Handvoll Pannenmänner, bei denen man schon Bauchweh hatte, wenn ein Ball nur in die Nähe kam – vornehmlich waren das Afrikaner.

Diesmal nicht. Natürlich gab es das eine oder andere richtig billige Gegentor (wie das zweite bei Ghana gegen Portugal oder Valladares‘ Eigentor für Honduras gegen Frankreich). Aber generell waren die Leistungen der Torhüter, quer über alle Kontinente, ausgesprochen solide. Über Keeper, von denen man sich fragte, warum sie bei einer WM spielen, sprach man im ganzen Turnier eigentlich nie.

6. – Kontroverse Referees

Im großen und ganzen waren die Leistungen der Schiedsrichter weder dramatisch schlechter noch signifikant besser als bei den letzten Endrunden. Die Tatsache, dass innerhalb von vier Wochen 64 Spiele im Fokus der Welt-Öffentlichkeit stehen, bringt es mit sich, dass die gefühlte Dichte an verpfiffenen Spielen höher ist, was mit der Realität aber natürlich nicht korreliert.

Tatsache ist aber zweifellos: Die beiden zentralen Vorgaben von FIFA-Referee-Boss Massimo Busacca waren beide ein grandioser Schuss in den Ofen. Seine Direktive, zentralere Laufwege einzuschlagen als die gewohnten Diagonalen (also jeweils die vom Assistenten entfernte Seite abzudecken), führte zu ungewöhnlich vielen Kollisionen mit Spielern (vor allem bei Ravshan Irmatov im Spiel USA-Deutschland, was ihm neben der etwas eskalierten Partie Mexiko-Kroatien wohl das Finale gekostet hat).

Und dann war natürlich die Sache mit den gelben Karten, mit denen Referees sparsam umgehen sollten. Gerade bei taktischen Fouls sollte im Zweifel eher nicht verwarnt werden, was genau dem Gegenteil von dem entspricht, was viele Trainer fordern. Vor allem Jürgen Klopp ist da ein Vorreiter, was das angeht. Eine Direktive, die (wenn auch erst ab der zweiten Turnier-Woche) dazu geführt hat, dass immer mehr geholzt wird. Mit dem traurigen Höhepunkt beim Viertelfinal-Spiel zwischen Kolumbien und Brasilien. Damit ist weniger das Foul von Zuñíga an Neymar gemeint (das war Gelb, aber nicht Rot), sondern mehr der Rekordwert an Fouls.

Die wenigen Referees, die sich nicht an die Gelb-Direktive hielten (am auffälligsten war das Howard Webb bei Brasilien-Chile, wo er sieben Verwarnungen verteilte; aber auch etwa Ben Williams), bekamen nach den Achtelfinals kein Spiel mehr.

6.a – Kein Grund für weniger Referees aus kleineren Ligen

Einzelne totale Fehlleistungen (wie Nishimura im Eröffnungsspiel oder Haimoudi im kleinen Finale) können immer passieren. Eine generelle Tendenz, dass Referees aus vermeintlich starken Ligen und/oder guten Konföderationen auch besser pfeifen, war nicht erkennbar – ganz im Gegenteil.

Ravshan Irmatov aus Usbekistan ist schon mit 36 Jahren ewiger Rekordhalter mit neun geleiteten WM-Spielen. Der Gambier Gassama bekam zwar nur ein Spiel, leitete dieses aber absolut fehlerlos, der Algerier Haimoudi war bis zu seinem Totalausfall im kleinen Finale grundsolide. Der Amerikaner Geiger und der Australier Williams gefielen über weite Strecken, auch Joel Aguilar aus El Salvador fiel nicht negativ auf.

Anders als Profi-Referee Nishimura aus Japan, als Rizzoli mit seinem fehlerhaften Finale, als Brych, der über einen nicht gegebenen Elfmeter stolperte, als Kuipers, der mitten in ein französisches Tor hinein abpfiff, als Velasco Carballo, der ziemlich hacken ließ.

7. – Wider dem Dogma, Pragmatismus ist „in“

Natürlich würde sicher auch Louis van Gaal sicher spektakulären Fußball mit Dauerdruck und vielen Toren sehen. Aber er wusste: Ohne Kevin Strootman nicht zu machen. Also wurde das komplette System und die ganze Spielweise auf die neuen Gegenbenheiten ausgerichtet. Natürlich wusste auch Joachim Löw, dass Lahm in seinem Kader rechts hinten besser aufgehoben ist – weil aber Khedira und Schweinsteiger in der Vorrunde noch ihrer Fitness nachliefen, ließ er halt vorübergehend Lahm im Zentrum ran. Genauso Sabella und letztlich auch Scolari – ihre Überlegungen fußten nicht auf Dogma, sondern auf Pragmatismus.

Im Grunde war es nur Jorge Sampaoli, der es auf die Kompromisslose versuchte und seine Chilenen ein strenges Ab-nach-Vorne-Koste-es-was-es-wolle-Konzept durchziehen ließ. Damit war Chile zum zweiten Mal hintereinander schon die geilste Mannschaft des Turniers und es ist ewig schade, dass Pinilla im Achtelfinale gegen Brasilien in der 120. Minute nur die Latte getroffen hat, und nicht ins Tor.

8. – Wo ist der Knipser?

Diese Sache mit dem „falschen Neuner“ wird natürlich deutlich hysterischer diskutiert, als es nötig wäre (vor allem in solchen Kreisen, die sich nicht per se mit Fußball-Taktik eingehender befassen). Aber auch bei diesem Turnier war auffällig: Torjäger der Marke Ronaldo, Klose oder Batistuta gibt es de facto nicht mehr. Gefragt ist der Stürmer, der Bälle halten kann, sich zurückfallen lässt und Räume schafft. Und die Spieleröffnung anpresst.

Es ist kein Zufall, dass sieben der zehn erfolgreichsten Torschützen des Turniers NICHT in vorderster Front aufgeboten waren (James, Neymar, Messi und Shaqiri als Zehner; Müller und Schürrle als Flügel; Enner Valencia als hängender Stürmer). Dazu ist Arjen Robben eigentlich auch gelernter Flügelspieler – und Van Persie und Benzema sind auch spielende Stürmer, die nicht nur im Strafraum auf die Zuspiele warten.

9. – Wilde Vorrunde, vorsichtige K.o.-Phase

Hollands 5:1 gegen Spanien, Costa Ricas Siege gegen Uruguay und Italien, die Never-Say-Die-Auftritte der US-Amerikaner, die unglaublichen Chilenen, das hochdramatische 2:2 zwischen Deutschland und Ghana, das 4:2 von Algerien gegen Südkorea – die Vorrunde strotzte nur so vor Kurzweil. Spaßbringende Spiele am laufenden Band, überraschende Früh-Heimflieger (Spanien, Italien, auch England, Portugal und Japan), respektlose Außenseiter. So macht eine WM Freude.

Als in der K.o.-Phase aber jede Niederlage das Aus bedeutet hat, war’s vorbei mit dem Risiko und es galt wie immer der Grundsatz: Wer früh glänzt, der früh verliert. Weil man eine Top-Form aus der Vorrunde nicht über vier Wochen konservieren kann. So kamen vor allem die Teams weiter, die erstmal hinten keine unnötigen Dinger reinbekommen haben. Das war deswegen nicht weniger interessant. Sehr wohl aber deutlich weniger spektakulär.

10. – Sture Kontinuität wird nicht belohnt

Der Titelgewinn von Deutschland ist der verdiente Lohn für zehn Jahre gezielte und kontinuierliche Aufbau-Arbeit von Grund heraus. Das heißt aber nicht, dass Kontinuität per se belohnt wird. Ganz im Gegenteil, das hat dieses Turnier auch gezeigt.

So war es von Amtsantritt an das Ziel von Luiz Felipe Scolari, mit einem Kader die WM bestreiten zu wollen, der schon ein Jahr davor praktisch feststeht. Dabei wurde aber nicht berücksichtigt, dass etwa Paulinho, der einen großartigen Confed-Cup gespielt hat, völlig außer Form ist. Dass Hulk eine maue Saison hinter sich hat, dass Fred von der letztjährigen Form weit entfernt ist. Oder Uruguay – praktisch das selbe Team wie vor vier Jahren, keinerlei Impulse von Jungen. Japan hat das Personal gegenüber der Asientitel 2011 nicht verändert und ist nicht nur älter, sondern wirkt auch so.

Kontinuität ist unerlässlich, bringt aber nur etwas, wenn man sich nicht dogmatisch sieht, sondern seine Augen immer offenhält für Adaptierungen, leichte Veränderungen und sich auch traut, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Das war’s.

Bald startet die Qualifikation für die EM in zwei Jahren in Frankreich, auch in den anderen Kontinenten geht’s mit großen Turnieren weiter – überall außer in Europa und Ozeanien geht’s schon 2015 wieder um Titel, dazu wartet 2016 die erste gemeinsame Copa America von Süd- und Nordamerika. Im Juni nächsten Jahres steigen dann die ersten Qualifikationsspiele für die 21. WM-Endrunde, die am 8. Juli 2018 in Moskau im nächsten Finale kulminieren wird.

Es wird und also nicht fad.

 

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Drei Gründe, warum Ron Vlaars Elfmeter gegen Argentinien kein Tor war https://ballverliebt.eu/2014/07/12/drei-gruende-warum-ron-vlaars-elfmeter-gegen-argentinien-kein-tor-war/ https://ballverliebt.eu/2014/07/12/drei-gruende-warum-ron-vlaars-elfmeter-gegen-argentinien-kein-tor-war/#comments Sat, 12 Jul 2014 11:24:13 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10402 Drei Gründe, warum Ron Vlaars Elfmeter gegen Argentinien kein Tor war weiterlesen ]]> „Ein Youtube-Video sorgt für Aufregung“, schreiben manche Medien derzeit. Eine verwackelte Aufnahme vom Penaltyschießen zwischen Argentinien und den Niederlanden soll eine Kontroverse auslösen, ob Ron Vlaars Elfmeter (der allererste der Serie) nicht vielleicht doch die Linie überquert hat, nachdem Sergio Romero in abgewehrt hat.

Hier eine unverwackelte Aufnahme.

Was für Aufregung sorgt, sind allerdings eher einige Medien, als diese Videos von Fans. Denn diese werfen erstmal nur eine Frage auf, die sich recht einfach klären lässt.

War das doch ein Tor?

Nein.

1. Der Ball war nicht über der Linie

Man kann es dem Fan im Stadion und dem Betrachter des obenstehenden Videos verzeiehen, wenn er glaubt, der Ball könnte mit seinem Drall über die Linie gerutscht sein. Nicht aber dem Journalisten zuhause, der Tage später darüber ergebnisoffen berichtet. Denn es gibt andere Videos. Zum Beispiel dieses, in dem ganz eindeutig zu sehen ist, dass der Ball nie über die Linie rollt.

2. Die Torlinientechnologie war an

Selbst wer seinen Augen nicht traut, kann zudem der Torlinientechnologie vertrauen. „Warum wurde die nicht bemüht?„, fragt die FAZ. Und man könnte jetzt bei der FIFA anfragen und diese Frage im Raum stehen lassen, aber die dahinterstehende These ist wahrscheinlich schon falsch. Es ist natürlich anzunehmen, dass die Torlinientechnologie während einem Elferschießen an ist.

Die Torlinientechnologie ist nämlich nicht nur an, wenn sie im Fernsehen animiert wird, sondern immer. Anders als zum Beispiel im Tennis wird sie nicht erst „bemüht“, sondern meldet sich. (Warum das im Tennis anders ist, verstehe wer will.) Wenn das Fernsehen die Bilder zeigt, gibt es im Fußball jedenfalls genau genommen trotz der zwecklosen Inszenierung als spannendem, alles aufklärendem Moment nichts mehr zu klären. War der Ball drinnen, hat der Schiedsrichter längst ein Signal erhalten und das Tor gegeben. War er nicht drinnen, dann wurde längst weitergespielt. Diskussionen sind sinnlos, auch wenn das bei der WM noch nicht jede Fernsehstation verstanden zu haben scheint und tatsächlich Debatten geführt wurden.

3. Ron Vlaar berührt den Ball ein zweites Mal

All das ist aber ohnehin nur von theoretischem Wert, denn die Szene war schon vorher vorbei. Es gibt noch ein weiteres Video aus einer Perspektive hinter dem Schützen. Aus dieser ist eindeutig zu erkennen: Ron Vlaar hat den Ball ein zweites Mal berührt und damit die Situation beendet. Es ist der Moment, bevor er sich an den Kopf fasst und während der Schiedsrichter sich wegdreht, der die Berührung also wohl auch gesehen und den Elfer für beendet befunden hat.

(Edit: Auf einem anderen, online leider überall bereits gesperrten Video aus der Kameraperspektive hinter Vlaar war die Berührung noch besser zu sehen)

Ob der dann noch über der Linie war, ist deshalb völlig uninteressant. Anders als hier:

PS: Um an dieser Stelle allgemeinem Bashing gegen Medien und Journalisten die Grundlage zu entziehen: Zahlreiche andere Medien haben ihre Aufgabe erfüllt und zwar über die Situation berichtet, sie allerdings auch aufgeklärt.

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Analyse: Deutschland schlägt Brasilien in unglaublichem WM-Halbfinale 7:1 https://ballverliebt.eu/2014/07/09/deutschland-brasilien-7-1-halbfinale-wm-2014-analyse/ https://ballverliebt.eu/2014/07/09/deutschland-brasilien-7-1-halbfinale-wm-2014-analyse/#comments Tue, 08 Jul 2014 22:48:45 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10383 Analyse: Deutschland schlägt Brasilien in unglaublichem WM-Halbfinale 7:1 weiterlesen ]]> Es ist das wohl denkwürdigste Halbfinale in der 84-jährigen WM-Geschichte – Gastgeber Brasilien, für den nur der Titel zählte, bekam von den Deutschen den Hintern verdroschen, wie noch nie einem Halbfinalisten der Hintern verdroschen wurde. Am Ende steht ein 7:1 in den Geschichtsbüchern, dass sogar ein 7:0 hätte werden können, wenn nicht Oscar doch noch einen reingebracht hätte. Aber wie konnte es dazu kommen, dass Brasilien zwischen der 23. und der 29. Minute vier Tore schluckte?

Brasilien - Deutschland 1:7 (0:5)
Brasilien – Deutschland 1:7 (0:5)

Brasilien begann eigentlich recht schwungvoll – anders als im Turnierverlauf oft, eher so, wie man vor einem Jahr den Confed-Cup angelegt hatte. Ohne ersichtlichen Grund aber nahm die Selção nach fünf Minuten das Tempo völlig raus. Hinten spielten sich David Luiz, Dante und Luiz Gustavo den Ball plötzlich nur noch gemütlich hin und her. Folge war: Der ganze deutsche Mannschaftsverbund, der nach dem frühen Druck recht weit hinten gestaffelt war, rückte Meter um Meter auf. Quasi zum Austesten, wie die Brasilianer reagieren.

Sie reagierten gar nicht. Großer Fehler.

Khedira fing recht schnell immer mehr an, vor allem Dante anzulaufen. Bein einem Ballgewinn reagierte Deutschland nun im Verbund mit kollektivem, raschen nach-vorne-rücken. Die Brasilianer zeigten in zwei, drei Szenen schnell Wirkung – ein ungenauer Abschlag von Júlio César, ein überhasteter und meilenweit von jedem Mitspieler entfernter langer Ball in Richtung Bernard: Deutschland hatte schon vor dem 1:0 die Kontrolle übernommen.

Kompaktheit geht völlig verloren

Dass man bei einer Ecke Müller am langen Pfosten erstaunlich frei lässt, ist zwar nicht besonders geschickt (wiewohl von Deutschland auch gut gemacht), kann aber schon mal passieren und ist eigentlich kein Grund, in sich zusammen zu fallen, vor allem dann nicht, wenn noch 79 Minuten zu spielen sind. Doch die Brasilianer verloren in der Folge jegliche Kompaktheit vor allem im Zentrum – obwohl Marcelo (wie im ganzen Turnier) einen ziemlichen Drall nach innen hatte und sich auch Aufbau-Versuche bei Brasilien oftmals ins Zentrum verlagerten.

David Luiz marschierte öfter nach vorne mit, ohne abgedeckt zu werden. Wie überhaupt sich die Offensiv-Kräfte Brasiliens noch weiter vorne postierten, der Defensiv-Verbund aber nicht geschlossen nachrückte. Gleichzeitig fuhren die Deutschen nun ein Pressing-Brett, dem der Gastgeber nichts entgegen zu setzen hatte.Nach Ballgewinnen hatten die Deutschen nicht nur Überzahl, sondern auch richtig viel Platz.

Das hat genau gar nichts mit dem Fehlen von Neymar zu tun. Aber sehr viel mit jenem von Thiago Silva.

Treibsand

Die ordnende Hand, die der Gelbgesperrte normalerweise ist, fehlte komlett. Nach dem zweiten Gegentor wurden die Löcher bei Brasilien noch größer, versuchte noch mehr jeder in seiner Panik auf eigene Faust, das Geschehene wettzumachen. Die Folge war ein Treibsand-Effekt: Die Deutschen, die schon ohne gruppentaktisches schnelles Umschalten Räume ohne Ende hatten, verstanden es exzellent, die immer mehr verunsicherten Brasilianer aus ihren Positionen zu ziehen und damit Räume zu schaffen.

So vergaß Maicon, der viel zu zentral stand, beim 0:3 hinter ihm auf Kroos. Die Brasilianer halfen sich auch nicht gegenseitig. Es kann niemand Fernandinho gewarnt haben, dass hinter ihm ein Deutscher auf ihn zuläuft, so billig, wie er ihn vor dem 0:4 verloren hat. Das Chaos setzte sich auch beim 0:5 fort. Je mehr die Brasilianer versuchten, das Ruder herum zu reißen, desto mehr ging das Gruppendenken verloren und desto leichter hatte es die deutsche Mannschaft, sich auszutoben.

Runter vom Gas

Natürlich war das Spiel nach einer halben Stunde entschieden und natürlich stieg Deutschland danach deutlich vom Gas. Oscar zum Beispiel versteckte sich weiterhin nach Kräften, der kleine Bernard hatte gegen Höwedes keine Chance, Fred sah kaum einen Ball. Die Chancen, die man sich nach der Pause erarbeitete, machte dann auch noch Neuer zunichte.

Und obwohl Deutschland kaum noch aktiv am Spiel teilnahm, das Pressing logischerweise weitgehend eingestellt hatte und der Nachdruck nach vorne fehlte, erhöhte man sogar noch auf 7:0. Im Grunde war in der zweiten Hälfte aber die Luft natürlich völlig draußen.

Fazit: Deutschland nützte Schwächen konsequent aus

Dass die Seleção so dermaßen in sich zusammenklappte, lag in erster Linie an der Panik, die (eigentlich unverständlicherweise) nach dem frühen 0:1 ausbrach. Mit dieser Hektik und ohne jedes gruppentaktische Verhalten bot man den Deutschen Räume an, die diese extrem clever zu nützen verstanden. Und eiskalt – so gut wie jede Torchance wurde auch konsequent genützt. So konnte sich schon so früh ein so ungewöhnliches Ergebnis abzeichnen.

Was die deutschen Spieler wussten, das wurde in den Interviews schnell deutlich. Ihnen war klar, dass ihnen der Gegner und der Spielverlauf so in die Hände spielten, dass so ein Ergebnis dabei heraus kam. Im Finale wird es ein völlig anderes Spiel werden.

Wie es mit den brasilianischen Spielern weitergeht, wird interessant zu verfolgen sein. Viele der Beteiligten an Österreichs 0:9 in Valencia 1999 waren für ihre Karriere zerstört. Für Brasilien ist diese Niederlage, mit allem was damit zusammenhängt, noch viel, viel schlimmer als der ÖFB-Kegelabend in Spanien damals.

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Die Großen stagnieren, der Kleine überraschte – dank taktischem Geschick https://ballverliebt.eu/2014/07/06/die-grossen-stagieren-der-kleine-ueberraschte-dank-taktischem-geschick/ https://ballverliebt.eu/2014/07/06/die-grossen-stagieren-der-kleine-ueberraschte-dank-taktischem-geschick/#comments Sat, 05 Jul 2014 22:51:17 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10372 Die Großen stagnieren, der Kleine überraschte – dank taktischem Geschick weiterlesen ]]> Vier Teilnehmer, davon drei im Achtelfinale und einer im Viertelfinale – so gut haben die CONCACAF-Teilnehmer bei einer WM noch nie abgeschnitten. Vor allem aber, dass es nicht einer der beiden „Großen“ Mexiko und USA war, der in die Runde der letzten 8 eingezogen ist, sondern das kleine Costa Rica (von der Einwohnerzahl der zweitkleinste Teilnehmer), ist schlichtweg eine Sensation. Die Tatsache aber, dass dieser Erfolg keinesfalls zufällig zustande kam, sondern durchaus verdient war, zeigt: Die Spitze in Nord- und Mittelamerika wird breiter. Was aber nicht heißt, dass auch die Dichte steigt.

Costa Rica: Das Optimum aus den Ressourcen gemacht

Dass die Ticos den leichten Weg ins Viertelfinale nahmen, kann man ja nicht behaupten. In der Vorrunde wurde Italien besiegt, wurde Uruguay besiegt, wurde auch gegen England nicht verloren. Am Meisten musste man im Achtelfinale gegen Griechenland zittern, als man über eine Dreiviertelstunde in Unterzahl agieren musste.

Costa Rica
Costa Rica: Geschickte und kurze Pressing-Wege im Zentrum und eine kaum durchdringbare Abwehr

Spektakulär und aufregend war das bei den Ticos natürlich nicht, aber es funktionierte. Gegen den Ball agierte man in einem 5-4-1, im Ballbesitz wurde schnell ein 3-4-3 daraus, weil die Flügel-Verteidiger aufrückten. Der Clou war die Spielweise im Mittelfeld: Weil mit den vier auf einer Linie agierenden Leuten plus potenziell aufrückenden Außenverteidigern konnte man mit kurzen Pressing-Wegen den ballführenden Gegner zuzweit oder gar zudritt angehen.

War der Ball gewonnen, war der Weg nach vorne nicht besonders kompliziert: Vornehmlich über die Außen wurden Ruiz und Bolaños bedient, vorne bearbeitete Campbell die Kanäle und die Räume zwischen den Reihen, die sich bei offensiv agierenden Gegnern boten.

Damit nützte Teamchef Jorge Luis Pinto den Umstand gut aus, dass gegen seine Mannschaft fast alle Kontrahenten das Spiel selbst in die Hand nahmen, vor allem beim Auftaktspiel gegen Uruguay (das Costa Rica ja 3:1 gewann) war man erbarmungslos darin, einen nicht auf dieses Problemfeld reagierenden Gegner zu bestrafen.

In der Defensive machten die Ticos vor allem das Zentrum zu, mit einer Dreierkette (die sich auf die Abseitsfalle versteht) und mit zwei Sechsern als Absicherung davor. Hier war es vor allem das Team aus Italien, das dagegen überhaupt kein Mittel fand. Hinzu kommt, dass man mit Keylor Navas über einen ausgesprochen guten Torhüter verfügt.

Bei Costa Rica passte alles zusammen: Die wohl beste Spielergeneration in der Geschichte des Landes, ein Team im richtigen Alter, in dem die Mischung aus Routine und jugendlichem Übermut stimmt; ein Trainer, das das zu nützen versteht und auch ein wenig Spielglück, wie im Achtelfinale gegen Griechenland und auch im Viertelfinale gegen die Holländer, die ja auf dem Weg ins Elfmeterschießen zweimal das Torgestänge getroffen haben.

In der Concacaf-Gruppe wird Costa Rica auf absehbare Zeit die Nummer drei bleiben (wie man das in den letzten zehn, zwanzig Jahren zumeist ja auch war). Für einen langfristigen Angriff auf Mexiko und die USA fehlen aber wohl die personellen Ressourcen.

USA: Gutes Abschneiden dank viel Willen

Dass dies die beste Generation der US-Fußball-Geschichte ist, könnte man nicht behaupten. Sicher, deutlich besser als die College-Greenhorns 1990 oder das üble Kick-&-Rush-Team, das mit mächtig Dusel die Vorrunde bei der Heim-WM 1994 überstanden hat. Der Glanz, den im Idealfall ein Landon Donovan verbreiten konnte, fehlte dieser überwiegend bieder besetzten Mannschaft. Was sie aber auf ihrer Seite hatte: Den absoluten Willen.

USA
USA: Unbändiger Kampfgeist und ein gutes Kollektiv, aber inhaltlich nicht so berauschend

Jürgen Klinsmann hat es verstanden, aus einem durchschnittlichen Kader eine absolute Einheit zu machen – ähnlich wie 2006 auf höherem Niveau bei Deutschland. Man klammerte sich mit allem, was man hatte, am frühen Vorsprung gegen Ghana fest und ließ sich auch vom späten Ausgleich nicht schocken. Man biss sich als an sich klar unterlegene Mannschaft gegen Portugal so sehr in das Spiel fest, dass man es beinahe gewonnen hätte. Und hätte Chris Wondolowski seinen Mörder-Sitzer beim Stand von 0:0 gegen Belgien verwertet, man wäre sogar im Viertelfinale gewesen.

Und das, obwohl man von Goalie Tim Howard und (mit Abstichen) Clint Dempsey niemanden hat, der – wie es so schön heißt – ein Spiel alleine entscheiden könnte. Sechser Kyle Beckerman, der mit der filzigen Hippe-Matte, hat eine hervorragende Spielübersicht, aber selbst in der MLS geht’s ihm oft mal zu schnell. Jones ist ein verbissener Kämpfer, aber kein Spielgestalter. Bradley ist ein guter Spieleröffner, aber kein Spielmacher.

Und doch hat das Team als Kollektiv überzeugt, sodass es erstmals zum zweiten Mal in Folge gelang, die Vorrunde zu überstehen – und das in einer von der Grund-Qualität echt guten Gruppe, in der man am Papier selbst die deutlich schwächste Mannschaft war. Wie Tony Kornheiser von ESPN richtig sagte: „Team USA is now a Mid-Major“.

Aber obwohl am Ende das gleiche Ergebnis zu Buche steht wie vor vier Jahren – das Achtelfinal-Aus nach Verlängerung – fällt es schwer, bei den USA eine längerfristige, inhaltliche Weiterentwicklung zu erkennen. Davor hat sich Klinsmann bei Deutschland ja gedrückt. Und daran, wie es ihm mit dem US-Team gelingt, wird er sich messen lassen müssen.

Mexiko: Besser als zu befürchten war

Was war das für ein Chaos, in der Qualifikation. Als die Mexikaner phasenweise mehr gefeuerte Teamchefs auf dem Konto hatte als Tore. Erst einiges an US-Schützenhilfe und der eilig einberufene Trainer von Club América, Miguel Herrera – der im Play-Off gegen Neuseeland praktisch seine Klubmannschaft antreten ließ – brachten El Tri wieder in ruhigeres Fahrwasser.

Mexiko
Mexiko: Schnelles Umschalten nach Ballgewinn im Mittelfeld mit zwei Stürmern davor – und hinten mit Dreierkette und starkem Torhüter absichern.

Der eine oder andere Europa-Legionär war nun doch wieder im Kader, und das neue Konzept griff schnell. Statt in einem 4-4-1-1 wie unter Juan Manuel de la Torre (dem letzten mexikanischen Teamchef, der länger im Amt war als ein, zwei Spiele), gibt es bei Herrera zwei Stürmer, zwei potentielle Spielmacher und zwei Flügelspieler, die wegen der Dreierkette hinten hoch aufrücken können. Und wenn alles nichts mehr half – oder wie Brasilien ein richtig starker Gegner da war – rettete hinten Guillermo Ochoa, einer der absoluten Top-Goalies bei dieser Weltmeisterschaft.

Herrera hat in den paar Monaten, in denen er Teamchef war, nicht aus dem Nichts eine Top-Mannschaft geformt, sondern im Endeffekt nur aus einem plötzlichen Loch dorthin zurück gebracht, wo Mexiko seit Jahrzehnten ist. Ein echter Schritt nach vorne ist diese Mannschaft aber nicht. Herrera, so sehr er sich als Rumpelstielzchen benahm und so sehr er wie ein windiger Gebrauchtwagen-Händler aussieht, ist ein Pragmatiker.

Die Dreierkette  hinten ist notwendig, weil gerade Rafa Márquez, aber auch Francísco Rodríguez nicht mehr die schnellsten sind. Andererseits eignete sich die enge Staffelung im Fünfer-Mittelfeld hervorragend, um Gegner an der Gestaltung zu hindern, mit dem schnellen Umschalten und zwei Sturmspitzen vorne vor allem gegen Kroatien ein gutes Mittel.

Herrera machte nichts dramatisch neues, aber er fand für das Potenzial seiner Spieler die optimale Formation und die optimale Herangehensweise. So fehlten nur wenige Minuten zu einem Viertelfinale in einem Turnier, vor dem man mit dem Vorrunden-Aus gerechnet hatte. Aber auch für Herrera gilt wie für Klinsmann: Die WM hat er gerettet, aber jetzt ist der nächste Schritt gefragt. Wie seit zwanzig Jahren, bei Mexiko.

Honduras: Nicht so schlecht wie es aussieht

Anders als Mexiko qualifizierte sich Honduras direkt für die WM – was aber natürlich nichts daran ändert, dass man mit einigem Abstand die schwächste CONCACAF-Mannschaft bei dieser Endrunde war. So schlecht wie es aussieht – mit drei Niederlagen im Gepäck – stellten sich die Honudraner aber auch wieder nicht an.

Honduras
Honduras

Natürlich: Besonders spannend ist die Spielanlage, die Luis Fernando Suárez seinem Team verpasst hat, nicht. Ein flaches 4-4-2 ohne Spielmacher, mit einem Schrank (Costly) und einem etwas geschmeidigeren (Bengston) Stürmer vorne, mit Flanken von außen und noch mehr aus dem Halbfeld, mit gutem Verschieben in Richtung Ballnähe. Aber ohne wirkliche Phantasie im Aufbau, ohne trickreiche Spielzüge und ohne echten Glanz zu verbreiten.

Und natürlich: Mit großem körperlichen Einsatz. Die allzu robuste Gangart bescherte schon in der ersten Halbzeit des ersten Spiels einen berechtigten Platzverweis. Dazu fehlte die individuelle Klasse, um ein etwas besser besetztes, aber nicht viel intelligenter spielendes Team aus Ecuador einen Punkt abzutrotzen und gegen die Schweizer und die Franzosen sowieso – wiewohl auch das 0:3 gegen die Eidgenossen schlimmer aussieht als es war.

Mit der Mischung aus US-Legionären, Spielern aus britischen Mittelklasse-Teams und Leuten aus der heimischen Liga ist die zweite Qualifikation in Folge schon ein enormer Erfolg.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Juli 2015, vermutlich in den USA

Was nicht heißt, dass eine dritte Teilnahme in Folge eine Überraschung wäre. Weil bis auf Panama in der Concacaf-Zone niemand wirklich nachrückt. Costa Rica ist inhaltlich derzeit sicherlich die beste Truppe des Kontinental-Verbandes, Mexiko hält mit individueller Klasse dagegen und die USA mit purem Willen. Hinter diesen vier, fünf Teams reißt es aber völlig ab. Kanada etwa lief in der Qualifikation in Honduras in eine 1:8-Niederlage.

Das heißt: An der generellen Großwetterlage in Nord- und Mittelamerika wird sich nichts ändern, aber dass es Costa Rica ins Viertelfinale geschafft hat und Mexiko und die USA nicht, wird bei den Großmächten sicher nicht gerne gesehen, zumal der Abstand zwischen diesen beiden und der Weltspitze seit längerem stagniert. Das nicht nicht so schlecht, aber es wird auch nicht wirklich besser.

Und: Dauerzustand ist Costa Rica im Viertelfinale ja sicher auch nicht.

(phe)

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Afrika bei der WM 2014: Super-Ansätze und Super-Chaos – einmal mehr https://ballverliebt.eu/2014/07/01/super-ansaetze-und-super-chaos-bei-afrikas-teams-einmal-mehr/ https://ballverliebt.eu/2014/07/01/super-ansaetze-und-super-chaos-bei-afrikas-teams-einmal-mehr/#comments Tue, 01 Jul 2014 10:25:22 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10362 Afrika bei der WM 2014: Super-Ansätze und Super-Chaos – einmal mehr weiterlesen ]]> Man würde es ja so gerne sagen. Dass das Klischee vom afrikanischen Fußball, der sich durch amateurhafte und/oder korrupte Funktionäre, vorsintflutliche Strukturen, haarsträubende Fehler und ungesunder Team-Hierarchien selbst aus dem Rennen nimmt, nicht mehr stimmen würde. Das Traurige ist nur: Bei dieser WM haben vier von fünf afrikanischen Teilnehmer wieder ein unerschütterliches Talent dafür gezeigt, sich selbst ins Bein zu schießen. Manche mehr als andere natürlich, und schließlich schafften ja auch erstmals zwei CAF-Teams den Sprung ins Achtelfinale.

Das war aber eher starken Trainern zu verdanken, die ein funktionierendes Team formten und das Chaos im Umfeld abzuschirmen versuchten. Aber keiner generellen Trendwende.

Algerien: Geringer Beinschuss-Faktor

Die rühmliche Ausnahme bildete ausgerechnet jenes Team aus dem afrikansichen Quartett, von dem man sich m Vorfeld am wenigsten erwartet hatte. Weil es sich in der Quali extrem schwer tat und es jenes Team ist, von dem einem die wenigsten Spieler geläufig sind. Aber schon in unserer Abschluss-Analyse nach dem letzten Afrika-Cup sagten wir nach dem algerischen Vorrunden-Aus

„Algerien machte schon ziemlich viel richtig. Ein gutklassiger Kader mit vielen Spielern aus europäischen Top-Ligen, mit Vahid Halilhodzic ein guter Teamchef. Dazu eine aktive Spielanlage und das Bemühen, das Spiel selbst zu gestalten. Aber halt keinen, der die Tore schießt. Bis auf die Stürmerposition hat man einen deutlich besseren Fußball gezeigt hatte als zumindest vier der Viertelfinalisten.“

Algerien: Eigeninitiative, Teamwork, präzise taktische Vorbereitung. Bravo!
Algerien: Eigeninitiative, Teamwork, präzise taktische Vorbereitung. Bravo!

Was soll man sagen: Nun fielen auch die Tore. Obwohl es nicht so gut begann, mit einer für Halilhodzic ungewöhnlich defensiven Herangehensweise gegen Belgien, die am Ende auch bestraft wurde und die ihm heftige Kritik einbrachte. Die algerische Öffentlichkeit verlangte fliegende Fahnen, der Verband entschloss sich nach diesem Spiel, nach der WM nicht mit Halilhodzic weiterzumachen. Der einzige Unruheherd bei den Wüstenfüchsen – und nichts, was es in ähnlicher Form nicht auch außerhalb Afrikas gäbe.

Zumal Algerien dann gegen Südkorea alles auspackte, was man kann. Exzellente Technik, flinke Spieler, eine aktive Spielanlage und erstaunlicherweise auch sehr guter Abschluss. Wie überhaupt es Halilhodzic exzellent verstand, seine Mannschaft sehr gut auf den Gegner einzustellen. Dazu passte das Teamgefüge, keiner der vermeintlichen Stars scherte aus, jeder stellte sich immer voll und ganz in den Dienst der Mannschaft. Der erstmalige Achtelfinal-Einzug war der verdiente Lohn.

Und auch die Deutschen irritierte man völlig. Man kappte das schnelle Passspiel mit geschickten, kurzen Pressingläufen, zog das funktionierende Konzept eisenhart durch und wurde am Ende nur von einem praktisch nicht zu verteidigenden Geniestreich von André Schürrle geschlagen.

Wie sehr es im Team stimmt und wie gut die Spieler das Erreichte einordnen können, wurde nach dem Achtelfinale klar: Alle herzten ihren scheidenden Teamchef und auch im den Interviews überwog der Stolz über die großartige WM schon der Enttäuschung über das knappe Aus.

Nigeria: Großer Beinschuss-Faktor, aber starker Trainer

Mit Afrikameister Nigeria schaffte es noch ein weiteres CAF-Team über die Gruppenphase hinaus. Ganz ähnlich wie bei Algerien ist auch bei den Super Eagles ein überwiegend junger Kader unterwegs, in dem die Stinkstiefel aussortiert wurden (wie Taye Taiwo) oder erfolgreich ins Teamgefüge integriert (Yobo, Odemwingie). Der Grund dafür, dass das klappte, hat einen Namen: Stephen Keshi.

Denn was hinter den Kulissen passierte, spottete mal wieder jeder Beschreibung. Da boykottierten die Spieler das Training, weil sie die Achtelfinal-Prämien sofort haben wollten – aus alter Erfahrung, weil sie wussten, dass sie der Verband sonst einbehält. Am Ende zahlte der Staatspräsident und die offizielle FIFA-Prämien werden mal wieder in den Kassen der Funktionäre verschwinden. Keshi ist den Verbands-Oberen schon lange ein Dorn im Auge, weil er nicht, so wie andere einheimische Trainer in der Vergangenheit, kuschte – sondern jeden Missstand offen ansprach und anprangerte. Nur der Erfolg bewahrte dem unbequemen Keshi vor seiner Entlassung.

Nigiera:
Nigiera: Junge Truppe, klares Konzept, aber etwas einfallslos in der eigenen Spielgestaltung.

Dass er nun, nach einem schönen Erfolg – und das ist das Erreichen des Achtelfinals in jedem Fall – selbst den Hut nimmt, ist nur konsequent. Wie schon beim Triumph beim Afrika-Cup war die Spielanlage eher reaktiv und fußte auf schnelles Umschalten, gute Versorgung der Flügel und das Spiel aus einer guten Defensive heraus. Das geht, weil Vincent Enyeama (seinen Fehlern im Achtelfinale gegen Frankreich zum Trotz) ein Torhüter auf hohem internationalen Niveau ist und weil der alte Yobo den früh verletzten Godfrey Oboabona umsichtig ersetzte.

Nur gegen den sehr destruktiven Iran, als man gezwungen war, das Spiel selbst zu gestalten, agierte man etwas hilflos.

Aber sonst war das sehr okay. Auch das Fehlen von Stamm-Linksverteidiger Elderson Echiejile fiel nicht so sehr ins Gewicht, weil Juwon Oshaniwa einen guten Job machte. Der einzige, der wirklich abfiel, war John Obi Mikel: Der Mann von Chelsea spielte ein fürchterliches Turnier, produzierte Fehlpässe am laufenden Band, brachte nach vorne überhaupt nichts und war nach hinten zuweilen ein ziemliches Risiko.

Wie die Zukunftsprognose für Nigeria aussieht, hängt davon ab, ob es wieder einen ähnlich starken Charakter auf der Trainerbank geben wird wie Stephen Keshi. Das Talent, in den nächsten Jahren noch einiges zu erreichen, hat der ausgesprochen junge Kader allemal.

Wie man den nigerianischen Verband kennt, wird sich dieser aber davor hüten, wieder einen starken Mann zu installieren, der sich so bedingungslos vor die Mannschaft stellt. Ist schlecht fürs Geschäft.

Côte d’Ivoire: Hauptsächlich sportlicher Beinschuss-Faktor

Mit einem unglaublich dämlichen Elfmeter in der Nachspielzeit der letzten Gruppenpartie verdaddelten die Ivorer ihren sicher scheinenden Platz in der Runde der letzten 16. Was aber eigentlich wieder nur perfekt in die jüngere Geschichte der „Elefanten“ passt. Die fraglos talentierteste Ansammlung von Spielern in der Geschichte des ivorischen Fußballs hat noch immer einen Weg gefunden, grandios zu scheitern.

Côte d'Ivoire:
Côte d’Ivoire: Ausgeglichen ordentlich besetztes Team, aber wieder  bezwang man sich selbst.

Statt seit dem Durchbruch von Didier Drogba, den Touré-Brüdern so um 2004 herum einen Afrika-Titel nach dem anderen einzusacken und bei einer WM mal zumindest ins Viertelfinale zu kommen, stehen nun drei Vorrunden-Ausscheiden und kein einziger Afrika-Titel zu Buche.

Dabei hatte man auch diesmal alles in der eigenen Hand, hätte die nötige Qualität dazu gehabt und auch der Verband ist einer der besonneneren am afrikanischen Kontinent – er hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, als man etwa nach dem Viertelfinal-Aus im Afrikacup 2010 Vahid Halilhodzic in einer Panik-Aktion feuerte und Sven-Göran Eriksson, der das Teamgefüge nicht kannte, bei der WM ohne Chance war.

Nein, man hielt gegen die massive Kritik von Fans und Medien nach dem letzten Kontinental-Turnier an Sabri Lamouchi fest und versuchte, Ruhe und Geschlossenheit zu demonstrieren. Durchaus nicht un-erfolgreich. Lamouchi traute sich, den schon deutlich altersmüden Drogba auf die Joker-Rolle zu degradieren, sein „Ersatz“ Bony gab ihm mit zwei Toren in den drei Spielen auch durchaus recht.

Mit Serge Aurier hatte man einen der besseren Rechtsverteidiger im Turnier, mit Barry einen der bessern afrikanischen Torhüter. Auch abseits des Platzes machte man einen durchaus geschlossenen Eindruck. Und trotzdem hat es wieder nicht funktioniert.

Schön langsam gehen einem da die Erklärungen aus.

Ghana: Sehr hoher Beinschuss-Faktor

Vor vier Jahren waren die Black Stars nur eine von Luis Suárez‘ mittlerweile bedenklich vielen unsportlichen Aktionen bzw. einen verwandelten Elfmeter vom Halbfinale entfernt. Schlechter ist die Mannschaft, rein vom Potenzial her, seit dem Turnier in Südafrika nicht geworden. Aber Teamchef James Kwesi Appiah hat genau das, was sein nigerianischer Kollege Keshi geschafft hat, nicht auf die Reihe bekommen: Er verzichtete nicht auf die Stinkstiefel.

Ganz im Gegenteil: Mit der Nominierung des als äußerst schwierig bekannten Kevin-Prince Boateng – der seit der letzten WM ja nie für Ghana gespielt hat – machte sich Appiah ein Fass auf, das meilenweit gegen den Wind nach Fäulnis roch. Eine Entscheidung, die noch seltsamer wird, wenn man bedenkt, dass Appiah den gebürtigen Berliner im ersten Spiel auf die Bank setzte. Ungeschickt. Und zu allem Unglück ging die Partie gegen die USA dann auch noch verloren.

Ghana
Ghana: Gute Mannschaft, interessantes Konzept, aber zwischenmenschliche Problemfälle.

Spätestens da war das Tischtuch zerrissen. Gegen die Deutschen spielte Boateng zwar von Beginn an, wirklich zu funktionieren begann das ghanaische Konzept aber erst, als er wieder ausgewechselt worden war. Vor dem letzten Gruppen-Match gegen Portugal eskalierte der Streit, Boateng und sein Buddy Muntari wurden suspendiert. Und trotz allem Chaos fehlte bis zu zehn Minuten vor Schluss nur ein Tor, um trotz allem das Achtelfinale zu erreichen.

Weil das Konzept und die beteiligten Spieler durchaus gut und interessant waren und von der Raumaufteilung her an jene von Red Bull Salzburg erinnert. Ein Absicherer vor der Abwehr, vier extrem hoch stehende Offensiv-Kräfte und konsequent nach vorne preschende Außenverteidiger. Gegen die USA war man fast 90 Minuten das deutlich dominierende Team, Deutschland hatte man am Rande der Niederlage und gegen Portugal kosteten nur zwei haarsträubende individuelle Fehler den Sieg.

Dumm gelaufen für James Kwesi Appiah. Nicht seine taktischen Entscheidungen kosteten die nächste Runde, sondern seine personellen schon vor dem Turnier. Eine verschenkte Chance.

Kamerun: Extremer Beinschuss-Faktor

Er hat um seine Machtlosigkeit gewusst, das war schnell deutlich. Volker Finke wusste, dass er dem Chaos in seiner Mannschaft, in seinem Verband und im ganzen Umfeld hilflos ausgeliefert war. Seine Körpersprache zeigte während des ganzen, für Kamerun einmal mehr sehr kurzen Turniers die innere Emigration, in die sich Finke zurückgezogen hatte. Er ließ die WM über sich ergehen.

Weil Kamerun wie schon in den letzten Jahren in der Geiselhaft von Samuel Eto’o steckt. Egal, wer Trainer ist, egal, wer die Mitspieler sind: Der Rekordtorjäger bestimmt alles und ist der Hauptgrund dafür, dass die „Unzähmbaren Löwen“ tatsächlich unzähmbar sind – für ihre Trainer. Egal, ob die nun Finke heißen, Clemende, Le Guen, Pfister, Haan oder Schäfer. Niemand bekam die Macht eingeräumt, für professionelle Bedingungen zu sorgen. Das war schon vor Eto’o so und hat sich mit dem Ego-Shooter nur noch verstärkt.

Seit dem Viertelfinal-Einzug 1990 hat Kamerun bei fünf WM-Teilnahmen noch genau ein einziges Spiel gewonnen – 2002 gegen jene verunsicherten Saudis, die ein paar Tage davor 0:8 gegen Deutschland verloren hatten. Bei den letzten beiden Afrika-Meisterschaften war Kamerun nicht mal unter den 16 qualifizierten Teams. Und die WM erreichte man nur, weil Togo keine gelben Karten zusammenzählen konnte.

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Kamerun: Ein Desaster. Undiszipliniert, passiv, unwillig und zerstritten. Der arme Volker Finke.

Und auch auf dem Feld stimmte praktisch gar nichts. Teams von Volker Finke, vor allem jene in Freiburg, waren immer bekannt für eine extrem aktive Spielanlage, für Pressing, für flinke Angriffe und einen guten Teamgeist. All das war bei Kamerun nicht erkennbar.

Gegen Mexiko stand man nur doof in der Gegend herum und übte nicht den geringsten Druck auf den ballführenden Gegner aus. Gegen Kroatien fing man mit dem giftigen Aboubakar statt des verletzten Eto’o vorne zwar vielversprechend an, dafür passte hinten nichts, Song flog mit einer Aktion vom Platz, für die selbst ein Einzeller zu intelligent wäre, und dann gerieten auch noch Benoit Assou-Ekotto und Benjamin Moukandjo aneinander. Gegen Brasilien ging’s nur noch um Schadensbegrenzung.

Kamerun vereinte bei dieser WM (wie auch schon bei der letzten, als man auch alle drei Spiele verlor) alle negativen Klischees über den afrikanischen Fußball. Anzeichen auf Besserung gibt es keine.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Jänner 2015 in Marokko

Erstmals haben zwei afrikanische Teams das Achtelfinale erreicht und zwei weitere hatten realistische Chancen und hätten es beinahe geschafft. Eine umso erstaunlichere Quote, wenn man bedenkt, wie unglaublich niveaulos der letzte Afrikacup von anderthalb Jahren war. Was aber auch nur zeigt: Das sportliche Potenzial für erfolgreiches Abschneidens auf der großen Bühne wäre ja absolut da, aber immer noch verhindern vor allem Unprofessionalität außerhalb des Platzes gute Resultate.

Das Traurige ist: Selbst das ausgesprochen gute Abschneiden von Algerien, das gute von Nigeria und das Potenzial der Ivorer und von Ghana reicht nicht als Versprechen dafür, dass es jetzt auch gut weitergeht. Nigeria wird vermutlich wieder im Chaos versinken, wenn Keshi nicht mehr Teamchef ist. Bei den Ivorern steht ein Generationswechsel an, bei Ghana gibt es zu viele Egomanen und wie Christian Gourcuff bei Algerien das Werk von Vahid Halilhodzic weiterführt, kann auch keiner beurteilen.

Die Gefahr besteht, dass alles wieder in der Dahinwurschtelei versinkt, auch bei jenen Teams, die eigentlich auf einem guten Weg sind. So etwas wie „benefit of the doubt“ gibt es bei den Erfahrungen, die man mit afrikanischen Teams in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, ja leider nicht.

(phe)

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Asien bei der WM 2014: 12 Spiele, 3 Remis, 9 Pleiten https://ballverliebt.eu/2014/06/27/12-spiele-3-remis-9-pleiten/ https://ballverliebt.eu/2014/06/27/12-spiele-3-remis-9-pleiten/#comments Fri, 27 Jun 2014 19:50:45 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10348 Asien bei der WM 2014: 12 Spiele, 3 Remis, 9 Pleiten weiterlesen ]]> Auf der fußballerischen Überholspur hat sich Asien befunden. Die Versprechen, die Afrika vor 20 Jahren abgegeben hatte, schienen von den Asiaten eingelöst zu werden. Aber: Keines der vier AFC-Teams in Brasilien konnte auch nur ein Spiel gewinnen. Vor allem die vermeintlich „Großen“ Japan und Südkorea enttäuschten auf der ganzen Linie. Das Asien-Quartett fuhr in zwölf Spielen 3 Remis und 9 Niederlagen ein.

Japan: Drei Jahre zu früh gepeakt

Was war das für ein großartiges Turnier von Japan beim Asien-Cup vor drei Jahren. Wie ein Wirbelwind überzog man die Konkurrenz, und auch als es in der K.o.-Phase zum Teil etwas harzig wurde, verlor man nie die Übersicht. Kagawa (in seiner ersten Saison bei Dortmund), Honda (nach einem halben Jahr bei ZSKA Moskau) und Okazaki (ein halbes Jahr vor einem Wechsel in die Bundesliga) machten in der offensiven Dreierreihe mit ihrem Tempo und ihren unermüdlichen Rochaden die Gegner wahnsinnig, aus der Defensive stießen Hasebe (Kapitän beim gerade-nicht-mehr-amtierenden Meister Wolfsburg) und Endo nach, über die Seiten machten Uchida und Nagatomo Druck – das unglaubliche Turnier von Letzterem brachte ihm einen Vertrag und einen Stammplatz bei Inter Mailand ein.

Zu wenig Elan, zu wenig Rochade, zu wenig Überraschendes - Japan enttäuschte auf ganzer Linie.
Zu wenig Elan, zu wenig Rochade, zu wenig Überraschendes – Japan enttäuschte auf ganzer Linie.

Alberto Zaccheroni, der entnervt vom alles zerredenden Italien in Japan eine neue Heimat gefunden hatte, formte eines der zu diesem Zeitpunkt fünf besten Teams der Welt. Und das ist der Schlüsselsatz: „zu diesem Zeitpunkt“. Bei der WM in Brasilien war der ganze Schwung weg. Kagawa hat zwei Jahre auf der Bank von Manchester verschleudert, Honda hat in der Serie A noch nicht wirklich Fuß gefasst. Okazaki hat in Mainz eine tolle Saison als Mittelstürmer hinter sich, wird im Team aber auf der linken Seite gebraucht – so muss vorne ein Stürmer von einem deutschen Zweitliga-Mittelständler ran. Endo war nicht fit, Hasebe mit Nürnberg gerade abgestiegen.

Ohne die Rochaden und das wilde Tempo vorne wurde Japan ausrechenbar. Dazu fehlt auch der Druck von den Jungen: Bis auf Stürmer Maeda und den eben nicht auf der Höhe seiner Kräfte agierenden Sechser Endo sind alle Spieler, die in Katar den Asien-Titel 2011 holten, immer noch dabei, und es sind auch keine neuen Leistungsträger wirklich in Sicht: U-20-WM-Endrunden verpasst Japan in schöner Regelmäßigkeit und die jüngeren WM-Fahrer versprechen auch kaum große Entwicklungssprünge.

Diese Generation der Japaner hat sich einen glanzvollen Asien-Titel geholt, aber die WM in Brasilien kam ihr um zumindest zwei Jahre zu spät. Leider.

Südkorea: Kreative falsch oder gar nicht eingesetzt

Beste Voraussetzungen wären das für die Koreaner gewesen: Eine Generation von guten, jungen und aufstrebenden Talenten und Stammspieler in guten europäischen Ligen, gepaart mit einer echt nicht besonders guten Gruppe. Und doch fiel man komplett durch, holte nur einen Punkt und machte auch nie den Eindruck, dass wirklich mehr drin gewesen wäre.

Was bei dem Talente-Pool verwundert, allerdings kommt man nicht umhin, Teamchef Hong Myung-Bo zu unterstellen, diesen völlig verkehrt eingesetzt zu haben. Vor allem im kreativen Zentrum klaffte ein Loch, das man locker schließen hätte können – etwa mit Koo Ja-Chaol, der in Mainz eine bärenstarke Saison spielte, aber als Stürmer verschenkt war. Oder mit Ji Dong-Won, der zu Dortmund wechselt, aber weitgehend ignoriert wurde. So blieb viel zu viel an Leverkusens Son Heung-Min hängen, der die Schwächen im System aber auch nicht ausgleichen konnte.

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Großes Talent, aber auch große Passivität: Südkorea ließ das Spiel der Gegner zu oft über sich ergehen.

Denn vor allem passte die Umsetzung des Systems nicht. Hong ließ in einem flachten 4-4-2 spielen, ohne Kreativ-Spieler im Zentrum, ohne körperlich ausreichend robuste Stürmer für lange Anspiele – aber auch ohne jegliche Form von Pressing. Das war schon beim 1:1 gegen Russland augenfällig, ging aber noch halbwegs gut, weil die Russen auch so ihre Probleme hatten.

Aber dem Schwung, den Algerien vor allem im verdichteten Zentrum aufbaute, war man überhaupt nicht gewachsen. Es gab aber auch keine inhaltlichen Antworten, nur ein kurzes Aufflackern individueller Klasse zu Beginn der zweiten Hälfte gegen Algerien. Sonst nichts. Man ließ das Spiel aller Kontrahenten über sich ergehen. Das war zu wenig.

Und damit ist das sang- und klanglose Ausscheiden auch folgerichtig. Südkorea hätte den Kader für den Achtelfinal-Einzug gehabt, war aber aus 100 % eigenem Verschulden meilenweit davon entfernt, tatsächlich ins Achtelfinale einzuziehen.

Iran: Im Rahmen der Möglichkeiten ganz okay

Deutlich näher dran an der nächsten Runde war der Iran, und das mit dem vermutlich schwächsten Kader aller 32 Endrunden-Teilnehmer. Ashkan Dejagah ist als prominentester Spieler aus der Premier League abgestiegen, Stürmer Ghoochannejhad spielt bei einem englischen Zweitligisten, praktisch alle anderen in der heimischen Liga, der sogar Teamchef Carlos Queiroz „Amateur-Niveau“ bescheinigt.

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Attraktiv zum Zusehen war es nicht, , aber der Iran holte wohl das Maximum aus den Möglichkeiten.

Und doch schaffte es der erfahrene Portugiese, das Optimum aus seinem äußerst limitierten Team herauszuholen. Das strikte Defensiv-Konzept war zwar weder besonders ausgeklügelt noch besonders schön anzusehen, orientierte sich aber an den Stärken und den Schwächen seines Kaders. Robuste, aber nicht besonders schnelle Innenverteidiger. Dazu umsichtige, aber nicht besonders schnelle zentrale Mittelfeld-Spieler. Natürlich gibt’s da keinen Champagner-Fußball.

Dennoch war das Remis gegen Nigeria nie wirklich in Gefahr, hatte man Argentinien am Rande der Niederlage. Natürlich, nach vorne kamen kaum einmal drei Pässe in Folge an und es gab in drei Spielen nur ein einziges Tor. Aber gemessen an den Möglichkeiten war es ganz okay – vor allem, wenn man bedenkt, dass es keine vernünftigen Aufbaugegner gab, man in einem Flughafen-Hotel zwei Stunden vom Trainingszentrum hausen musste und offenbar sogar die Trikots beim Waschen schrumpften.

Dazu machte vor allem Torhüter Alireza Haghighi auf sich aufmerksam. Nur als Nummer drei in den Kader gerutscht, absolvierte der Portugal-Legionär letztlich alle drei Spiele und agierte umsichtig, souverän und weitgehend fehlerfrei. Dazu waren seine schwarzen Stutzen und die schwarzen Schuhe zum ansonsten knall-orangen Outfit im Spiel gegen Bosnien auch einfach stylish ohne Ende.

Australien: Erfolgreiches Test-Turnier trotz null Punkten

Das muss man sich auch erst einmal trauen: Ange Postecoglou übernahm im Herbst ein Team, das schon für die WM qualifiziert war, aber unglaublich unansehnlichen Fußball spielte und gnadenlos überaltert war. Also eliminierte er bis zur Endrunde schrittweise Spieler wie Brett Holman (63 Länderspiele), Sasa Ognenovski (35 Jahre), Josh Kennedy (31 Jahre) und Luke Wilkshere (80 Länderspiele), Carl Valeri (50 Spiele) und Chelsea-Keeper Mark Schwarzer, die vor drei Jahren beim Final-Einzug beim Asien-Cup alle noch dabei waren.

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Hungrige Junge und eine routinierte Achse: Australien verlor zwar alles, überzeugte aber.

So sank der Altersschnitt im Team schlagartig um vier Jahre und nach der Auslosung, die Spanien, Holland und Chile bescherte, gab Postecoglou die klare Direktive aus: Jungs, wir werden untergehen, aber wir werden das mit fliegenden Fahnen tun. So zeigte sich diese Mannschaft extrem hungrig, sehr kampfstark, steckte nie auf.

Und sie hat die richtige Mischung aus jung und routiniert gefunden. Mit Wilkinson, Jedinak, Bresciano und Cahill gab es eine Achse von „Alten“, um die herum sich die jungen Wilden austoben konnte. Natürlich fehlt da die individuelle Klasse und taktisch war das auch nicht besonders aufregend, aber es war trotzdem gut anzusehen und die Socceroos versprühten Freude an ihrem Tun – genau das fehlten in den letzten Jahren unter Pim Verbeek und vor allem unter Holger Osieck ja völlig.

So kommt es zu dem Paradoxon, dass die AFC-Mannschaft mit der schlechtesten Bilanz – 3 Niederlagen – den besten Eindruck hinterlassen hat. Was auch dringend nötig war, schließlich war die WM für die Australier ein Test-Turnier für den Asien-Cup. Den richtet man in einem halben Jahr nämlich selbst aus.

Nächste Kontinental-Meisterschaft: Jänner 2015 in Australien

Für die hat man sich mit den engagierten Auftritten in Brasilien in eine sehr gute Position gebracht, denn während man selbst schon voll am Weg ist und gezeigt hat, dass man die heimischen Fans trotz Niederlagen hinter sich vereinen kann, steht bei den anderen Top-Teams entweder ein Umbruch oder zumindest ein Teamchef-Wechsel (Japan, Iran), muss es große Zweifel an der Spielweise geben (Südkorea), oder ist so weit im Eck, dann man sich erstmal um sich selbst kümmern muss (China, Saudi-Arabien).

Der starke Eindruck, den nicht nur der Asien-Cup 2011, sondern auch die überwiegend guten Auftritte von Japan und Südkorea bei den WM-Endrunden seit 2002 hinterlassen hatten, ist bei der WM in Brasilien völlig an die Wand gefahren worden. Ob das ein kurzfristiges Schlagloch ist, oder eine dauerhafte Entwicklung, wird in den nächsten Jahren zu beantworten sein.

Für den Iran ist eine okaye Performance bei einer WM der Plafond, bei Australien war ein gutes Abschneiden schon nach der Auslosung kein Thema mehr, diese beiden haben nicht enttäuscht. Südkorea hat das personelle Potenzial, auch weiterhin um Achtel- und Viertelfinals mitzuspielen, man müsste es nur auch inhaltlich umsetzen.

Nur bei Japan muss man sich aktuell ernsthafte Sorgen machen.

(phe)

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WM-Geschichte für Einsteiger (4) https://ballverliebt.eu/2014/06/12/wm-geschichte-fuer-einsteiger-4/ https://ballverliebt.eu/2014/06/12/wm-geschichte-fuer-einsteiger-4/#comments Thu, 12 Jun 2014 04:16:12 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=10312 WM-Geschichte für Einsteiger (4) weiterlesen ]]> Eine Weltmeisterschaft, das war immer auch ein Treffen der Weltanschauungen. Die spielerischen Brasilianer, die giftigen Argentinier und die bärbeißigen Urus aus Südamerika. Dazu die athletischen Deutschen, die disziplinierten Italiener, die kampfstarken Engländer, die schöngeistigen Holländer und die permanent unter Wert geschlagenen Spanier. Dazu ein paar lustige, aber chancenlose Farbtupfer von anderswo her. In den 1990er-Jahren aber weichte dieses Bild aber zunehmend auf. Außenseiter aus allen Kontinenten stießen plötzlich in ungeahnte Gefilde vor. Die Fußballwelt globalisierte.

1994 – Auf zu neuen Ufern

Bei der 15. Endrunde betrat man erstmals geographisches Neuland – bis dahin hatte die WM immer in Europa oder Lateinamerika stattgefunden. Das Globalisierungsdenken der FIFA führte dazu, dass man Fußball-Entwicklungsland USA das Turnier veranstalten lässt, einem Land, das neun Jahre nach dem Ende der NASL nicht mal eine eigene Liga hatte, das seit 44 Jahren kein WM-Spiel gewonnen hatte und 1990 erstmals nach 40 Jahren überhaupt dabei war. Dennoch war der Zuschauer-Zuspruch enorm, der Schnitt von 69.000 pro Match wurde nie wieder auch nur annähernd erreicht. Es hat aber auch sonst kein Land eine derartige Masse an Riesen-Arenen, der NFL sei Dank.

Und waren es bislang immer nur einzelne Außenseiter, die im Turnierverlauf weit kommen, startete nun die Zeit, in der das zum Massenphänomen wurde. Natürlich auf Kosten der arrivierten Teams. Argentinien etwa wurde durch Diego Maradonas positiven Dopingtest nicht stärker, blieb im Achtelfinale hängen – an Rumänien. Top-Favorit Deutschland schwächte sich durch die Stinkefinger-Affäre von Stefan Effenberg selbst, scheiterte im Viertelfinale – an Bulgarien. Kolumbien, als Mitfavorit zur WM gefahren, überstand nicht einmal die Vorrunde und Verteidiger Andres Escobar wurde zehn Tage nach seinem Eigentor gegen die USA in der Heimat umgebracht. Andererseits kamen krasse Außenseiter mit gutklassigen Kadern und Spielern, die in ganz Europa verstreut spielten, sehr weit – wie die Semifinalisten Schweden und Bulgarien, wie Viertelfinalist Rumänien. Die Zeiten, in denen nur Nationalmannschaften aus Ländern mit starken Ligen erfolgreich sein konnten, war vorbei, weil nun auch die Kicker aus anderen Ländern in diesen guten Ligen spielten.

Brasilien - Italien 0:0 n.V., 4:2 i.E.
Brasilien – Italien 0:0 n.V., 4:2 i.E.

Nur zwei „Große“ hatten die Viertelfinals überstanden, und letztlich trafen sich Brasilien und Italien dann auch im Finale. Die Azzurri unter Arrigo Sacchi spielten jenes kompakte Raumdeckungs-Spiel, mit dem das große Milan unter Sacchi so erfolgreich war. Bei Brasilien wurde der etatmäßige Kapitän Raí schon in der Vorrunde wegen Verhaltens-Auffälligkeiten rasiert. Carlos Alberto Parreira ließ ein zutiefst un-brasilianisches Spiel spielen, pragmatisch, sichere Defensive, nichts zulassen. Die Folge war ein Finale, das sich zog.

120 Minuten lang kaum eine echte Torchance produzierte. Und so das erste WM-Finale wurde, das im Elfmeterschießen entschieden wurde. Nach dem Fehlschuss von Roby Baggio jubelte die Seleção über den vierten Titel. Dass Carlos Dunga, der wegen seiner taktischen Disziplin „der Deutsche“ genannt wurde, Kapitän dieses Teams war, war kein Zufall.

1998 – Intervention von oben

Auf der Bank saß beim Triumph in der Rose Bowl bereits ein 17-jähriger Nachwuchsstürmer, der vier Jahre später der große Star des Turniers in Frankreich werden sollte: Ronaldo. Mit Mario Zagallo hatte der Weltmeister-Trainer von 1970 das Ruder wieder übernommen und von einer (bedeutungslosen) Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen Norwegen abgesehen ging zunächst auch alles glatt. Was man von anderen nicht behaupten konnte, setzte sich doch der schon in Amerika begonnene Trend der starken Außenseiter und der schwächelnden vermeintlichen Top-Teams fort.

Spanien etwa blieb nach einer Pleite gegen Nigeria schon in der Vorrunde kleben, die Deutschen würgten sich ins Viertelfinale und wurden dort von Kroatien zerlegt, England spielte einen schönen Mist und musste nach Beckhams Auszucker im Achtelfinale auch früh heim. Dafür zeigte Dänemark herzerfrischenden Fußball und brachte Brasilien im Viertelfinale an den Rand der Niederlage, butterte Kroaten bei der ersten WM-Teilnahme als eigener Staat auf, wirbelte sich ins Halbfinale und führte dort sogar

Bei Gastgeber Frankreich war der störrische Teamchef Aimé Jacquet schon vor dem Turnier ein Feinbild der Medien, weil der Erz-Pragmatiker Weltklassespieler wie Eric Cantona und David Ginola nicht berief und er stattdessen auf eine gut zusammengeschweißte, aber auch irgendwie langweilige Truppe setzte. Verlängerung gegen Paraguay, Elferschießen gegen Italien, purer Wille gegen Kroatien – aber man schaffte es ins Finale.

Frankreich - Brasilien 3:0 (1:0)
Frankreich – Brasilien 3:0 (2:0)

Vor dem Ronaldo einen epileptischen Anfall erlitt, er daher auch von Zagallo nicht in die Start-Elf berufen wurde, zur allgemeinen Verwirrung. Es muss Druck von oben gegeben haben – Verband? Nike? Vielleicht sogar die FIFA? – jedenfalls spielte Ronaldo dann doch. Oder besser: Er war auf dem Platz, taumelte aber mehr nur über das Spielfeld und war von seiner Top-Form, die er beim Turnier zeigte, meilenweit entfernt.

Mit de facto zehn Mann am Platz und mit ihrem Besten im Grunde nicht involviert fand Brasilien keine Antwort auf die beiden Kopfballtore, die Zinedine Zidane jeweils nach Eckbällen erzielte. So gewann der aufstrebende Star seiner Zeit nach verlorenen Europacup-Finals 1996, 1997 und 1998 nun doch endlich mal was Großes. Nicht mal Marcel Desaillys Ausschluss halb durch die zweite Hälfte konnte daran etwas ändern und Emmanuel Petit sorgte in der Nachspielzeit den 3:0-Endstand. Frankreich war der erste neue Weltmeister seit 20 Jahren.

2002 – Sportliches Chaos

Die Equipe Tricolore dominierte in den Jahren danach den europäischen Fußball, wurde als klar beste Mannschaft des Turniers 2000 Europameister. In der Tat hieß es vor der WM 2002 in Japan und Südkorea – wieder betrat man mit der ersten Endrunde in Asien Neuland – dass nur zwei Teams Weltmeister werden können, weil sie um so viel besser sind als alle anderen: Frankreich und Argentinien.Schon im Achtelfinale aber war keines der beiden Teams übrig.

In einer WM, die man nicht nach rationalen Gesichtspunkten erklären kann. Japan und Südkorea, zwei historische Feinde, wurden zusammengespannt, aber jeder wollte eigentlich seine eigene WM haben. So kam jedes der beiden Länder mit zehn modernen Stadien daher – also 20 Arenen für die 64 Spiele. Durch die extreme Klub-Saison in Europa mit der Zwischenrunde in der Champions League, durch den ungewöhnlich frühen Start der WM bereits im Mai und durch die hohe Hitze und die Luftfeuchtigkeit waren alle Prognosen schnell für die Würste.

Neben Frankreich und Argentinien war auch EM-Halbfinalist Portugal schon nach der Vorrunde draußen, eine seltsam leblose italienische Auswahl nach dem Achtelfinale, mit der Folge, dass Perugia-Präsident Gaucci den bei ihm angestellten Ahn Jung-Hwan, dessen Tor Italien besiegt hatte, feuern wollte. Dafür trumpften Außenseiter auf. Der Senegal etwa, der Frankreich im Eröffnungsspiel besiegt hatte, eine davor und danach im Weltfußball absolut inexistente Mannschaft, kam ins Viertelfinale. Die Türkei, die eine der aufregendsten Mannschaften waren, kamen ins Halbfinale, ebenso wie Co-Gastgeber Südkorea (wenn auch mit ein wenig Hilfe der Referees), ein ausgesprochen biederes US-Team hatte im Viertelfinale Deutschland am Nasenring durchs Stadion gezogen und verlor mit sehr viel Pech 0:1.

In Deutschland hatte man im Vorfeld angesichts der nicht vorhandenen Klasse diskutiert, ob man überhaupt nach Asien fliegen und sich die Blamage des allseits erwarteten Vorrunden-Aus überhaupt antun sollte, Brasilien spielte eine Katastrophen-Quali, verschliss dabei zwei Trainer und erst Luiz Felipe Scolari brachte Ruhe rein und den RoRiRo-Angriff mit Ronaldo, Rivaldo und Ronaldinho so richtig zum funktionieren. Dass sich Kapitän und Mittelfeld-Stratege Emerson bei einem Jux-Kick im Training, wo er aus Gaudi als Torwart agierte und dabei die Schulter auskegelte, hatte angesichts des puren Chaos dieses Turniers keine aufhaltende Wirkung.

Brasilien - Deutschland 2:0 (0:0)
Brasilien – Deutschland 2:0 (0:0)

Vor allem, weil Ronaldo nach einer Serie von schweren Verletzungen und nach Jahren des Leidens ein nicht mehr für möglich gehaltenes Comeback feierte. Er traf in jedem einzelnen WM-Spiel und profitierte auch davon, dass sich der einzige Grund für die Final-Teilnahme der deutschen Mannschaft – der überragende Torhüter Oliver Kahn – seinen ersten echten Fehler bei diesem Turnier für die 67. Minute des Finales aufgehoben hatte. Kahn ließ, nachdem Deutschland auch ohne den gelbgesperrten Michael Ballack eine erstaunlich gute Figur gemacht hatte, einen Schuss von Rivaldo prallen und Ronaldo staubte ab. Elf Minuten später ließ Rivaldo für Ronaldo durch, dieser zog ab, das 2:0. Die Entscheidung, der fünfte Titel für Brasilien und die persönliche Wiedergutmachung für Ronaldo.

2006 – Sommermärchen

In Deutschland passierten 2006 drei erstaunliche Dinge, mit denen nach den Erfahrungen der Vergangenheit nicht unbedingt zu rechnen war. Zum einen, dass das Team des Gastgebers nach wenigen guten, aber ziemlich vielen ziemlich schlechten Turnieren seit dem Titel 1990 plötzlich wieder ein ernst zu nehmender Faktor war, den man sich angesichts der flotten Spielweise auch gut ansehen konnten. Zweitens, dass das im Land der Humorlosen und Stocksteifen so etwas wie einen neuen Patriotismus auslöste, bei dem man sich nicht gleichzeitig für den 2. Weltkrieg entschuldigen muss – Stichwort „Sommermärchen“.

Und drittens, dass es plötzlich mit allen anderen sportlichen Überraschungen vorbei war. Zwei Jahre davor hatte Griechenland noch die Europameisterschaft gewonnen, aber nach den vielen Mittelklasse-Teams in Viertel- und Halbfinals bei den drei WM-Turnieren davor lief nun wieder alles erstaunlich nach Plan. Schon im Viertelfinale war nur noch ein einziges Team dabei, das man dort vor dem Turnier nicht unbedingt erwartet hatte, und die Ukraine haben auch nur aufgrund einer günstigen Auslosung und eines Elferschießen-Sieges gegen die Schweizer im Achtelfinale dorthin. Und war beim 0:3 gegen Italien auch chancenlos. Doch sonst war alles irgendwie wie früher: Den Teams, die in der Vorrunde aufgeigen (diesmal: Argentinien, Spanien) ist ein frühes Aus beschieden. Den Teams, die langsam loslegen (diesmal: mal wieder Italien und ganz extrem Frankreich) gehören die entscheidenden Spiele. So beendete Italien mit Toren in den Minuten 119 und 122 die Finalhoffnungen der Gastgeber und in Zidanes letztem Turnier ein Elfer im Halbfinale die Finalhoffnungen von Figo in seinem letzten Turnier.

Italien - Frankreich 1:1 n.V. (1:1, 1:1), 5:3 i.E.
Italien – Frankreich 1:1 n.V. (1:1, 1:1), 5:3 i.E.

Wie schon 1982 kam Italien mit einem Serie-A-Skandal im Rücken zur Endrunde, und wie 1982 war es auch ein davon ausgelöstes „Jetzt-Erst-Recht“-Gefühl, das die Mannschaft immer mehr zusammen schweißte. Im Finale brachte ein frühes Gegentor von Zidane aus einem unter die Latte gezitterten Elfer Italien auch nicht aus der Ruhe, wenige Minuten später glich Innenverteidiger Materazzi nach einer Ecke aus.

Bei diesem 1:1 blieb es auch lange, bis in die Verlängerung, bis auch zu jenem Zeitpunkt, an dem sich Zidane vom nicht gerade mit Universitäts-Diploma überhäuften Materazzi provozieren ließ und zum Stier wurde, der seinen Gegner per Kopfstoß in die Brust fällte. Die rote Karte für Zidane in seinem letzten Spiel, einem WM-Finale, gab zwar ein emotionales Bild ab, als er am bereitstehenden Pokal vorbei in die Katakomben schlich, hatte aber für den Ausgang des Spiels bzw. des Elferschießens keine Auswirkung. Zidane wäre im Shoot-Out als letzter Franzose drangewesen. Dazu kam es nach Trezeguets Lattenschuss aber nicht mehr. Italien war Weltmeister.

2010 – Öööööööööööööööööööööööö

Sepp Blatter war beleidigt. Der FIFA-Boss hätte schon 2006 die WM gerne in Südafrika gesehen, das Exekutiv-Komitee machte ihm aber einen Strich durch die Rechnung. Also erfand sich der Blatter-Sepp ein wunderbares Prinzip, um seinen Willen durchzusetzen: Die Kontinental-Rotation. Blatter sagt, für die WM 2010 dürfen sich nur afrikanische Länder bewerben. Prompt bekam er mit Südafrika seinen Wunsch. Und nachdem auch endlich Südamerika 2014 wieder eine WM bekam, mit Brasilien als einzigem Bewerber (die wohl langweiligste Host Selection ever), war’s mit der Kontinental-Rotation auch schon wieder vorbei.

Schnell vorbei war die WM 2006 ja für Brasilien gewesen, man agierte wie eine Ansammlung von Feuerhydranten (eher bewegungsarm) und schied im Viertelfinale aus. Für das Turnier in Südafrika sollte Carlos Dunga die richtige Mischung aus Pragmatismus und Angriff finden – umsonst, wieder war im Viertelfinale Schluss. Der andere Favorit, Europameister Spanien, setzte dafür eher auf die ultimative Form des Defensiv-Fußballs – Ballbesitz Ballbesitz Ballbesitz. Und die Zuseher in Südafrika setzten auf ihr bewährtes Mittel zur Herstellung von Stadion-Sound: der Vuvuzela. Ööööööööö.

Auch die gewöhnungsbedürfte Kulisse konnte aber nicht verhindern, dass Südafrika als erster Gastgeber überhaupt jemals die Vorrunde nicht überstand. Einige Nebengeräusche gab es auch bei Frankreich, wo die Spieler ihren Teamchef Domenech, der ihnen mit seiner schrulligen, esoterischen und gleichzeitig überstrengen Art schon seit Jahren mächtig auf den Sack gegangen war, boykottiertern. Deutlich unspektakulärer war da schon das Vorrunden-Aus von Titelverteidiger Italien. Man war einfach nicht gut genug.

Das Turnier verlief weitgehend pannenfrei (wenn man vom englischen Torhüter Rob Green absieht) und es gab auch wieder die eine oder andere Überraschung, allen voran Uruguay. Das kleine Land zwischen Argentinien und Brasilien, das zuletzt über 50 Jahre davor so etwas wie echte fußballerische Relevanz hatte, schaffte es angetrieben von Diego Forlán und der Handarbeit von Luis Suárez bis ins Halbfinale. Auch mit Ghana und Paraguay unter den letzten Acht konnte man nicht unbedingt rechnen. So sehr das Turnier aber lange ein Festival der südamerikanischen Teams war – nur eines der 14 Vorrunden-Spiele verlor das CONMEBOL-Quintett und auch im Achtelfinale flog man nur gegen Seinesgleichen aus dem Turnier – trafen sich im Finale dennoch mit Europameister Spanien und mit Holland zwei euopäische Teams. Womit erstmals ein solches außerhalb des eigenen Kontinents Weltmeister wurde.

Spanien - Niederlande 1:0 n.V.
Spanien – Niederlande 1:0 n.V.

Im Endspiel tat Oranje dann alles, um das mühsam über Jahrzehnte aufgebaute Image des schöngeistigen Angriffs-Fußballs in Rekordzeit zu zerstören. Man trat auf alles ein, was sich nicht rechtzeitig aus dem Staub machen konnte, Nigel de Jong durfte trotz eines Kung-Fu-Tritts gegen Xabi Alonso weitermachen, insgesamt verteilte Referee Webb zehn gelbe Karten alleine gegen Holland, davon zwei gegen John Heitinga. Spanien behielt aber immer den Kopf oben, ließ sich nicht zu Revanche-Fouls hinreißen und wurde dafür belohnt, indem Arjen Robben alleine auf Casillas zulaufend vergab.

Als man sich schon auf ein Elfmeterschießen nach 120 torlosen Minuten eingestellt hatte, traf Andrés Iniesta nach 116 Zeigerumdrehungen doch noch zum Sieg. Womit Spanien der erste Premieren-Weltmeister seit Brasilien 52 Jahre davor wurde, der den ersten Titel nicht im eigenen Land eingefahren hat. Einen neuen Weltmeister kann es 2014 auch geben. Aber ein neuer Weltmeister mit Heimvorteil? Das geht sich nicht aus.

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