Frauen-Fußball – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Fri, 28 Feb 2025 14:20:50 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Vibes, Taktik, Personal: Der erste Einblick in die Ära Schriebl https://ballverliebt.eu/2025/02/28/vibes-taktik-personal-schriebl-frauen-debut/ https://ballverliebt.eu/2025/02/28/vibes-taktik-personal-schriebl-frauen-debut/#respond Fri, 28 Feb 2025 14:20:45 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21208 Vibes, Taktik, Personal: Der erste Einblick in die Ära Schriebl weiterlesen ]]> „Wenn alle anderen an uns denken, sollen sie denken: ‚Maah, die Österreicherinnen… die jagen uns, die geben uns Stoff, die bringen uns aus der Komfortzone, gegen die müssen wir etwas leisten, dass wir da was holen.‘ Das soll in Zukunft passieren. Und Stars haben sie überall. Aber wenn die alleine sind und auf euch prallen, auf euch alle: Keine Chance! Da werdet ihr so viel Spaß haben. So viel!“

Mit diesen Worten hatte sich der neue ÖFB-Frauen-Teamchef Alexander Schriebl am Beginn des ersten Lehrgangs an die versammelte Mannschaft gewandt. Zwei Spiele später – ein 1:0-Sieg gegen Schottland und eine 1:4-Niederlage in Deutschland – ist schon einiges zu erkennen, was sich Handschrift des neuen Trainers interpretieren lässt.

Von den Vibes her, betreffend die Taktik und auch im Hinblick auf das Personal.

Die Vibes

Hörte man im Rahmen der ersten Zusammenkunft unter dem neuen Trainer hin, schwebte das Wort „Zweitausendsiebzehn“ durchaus ein wenig über den Eindrücken. „Ich finde, wir kommen wieder ein wenig zurück zu dem Ursprung, was uns über die Jahre ausgemacht hat: Diese gewisse Lockerheit, aber doch auch großer Ehrgeiz und der Wille zu gewinnen und performen zu wollen“, gab etwa Laura Feiersinger zu Protokoll.

Mit diesem Mix aus ansteckend-positiver Scheißminix-Attitüde neben dem Platz und dem perfekt gedrillten Hochenergie-Fußball auf dem Rasen wurden die ÖFB-Frauen damals, bei der EM 2017, nicht nur Semifinalist. Sondern im Zuge dessen von einem unbekannten Nobody in Rekordzeit zu Everybody’s Darlings – bei den Zusehern daheim ebenso wie bei den Beobachtern vor Ort in den Niederlanden.

Der Spaß am Gegner nerven ist zurück

Nachdem die Teams in Nürnberg aus dem Tunnel ins Stadion einmarschiert waren, war dieses gelöste, fette Grinsen in den österreichischen Gesichtern zu sehen – wie damals, vor dem Elfmeterschießen im Viertelfinale, als diese demonstrative, feixende gute Laune den Spanierinnen den Rest gegeben hat. Sure enough, zwei Minuten nach dem Anpfiff lag Österreich schon 1:0 in Front und jagte den Deutschen auch danach zumindest bis zur Pause das Weiße aus den Augen raus.

Obwohl Deutschland am Ende doch recht souverän 4:1 gewonnen hat, liefen im DFB-Lager alle, allen voran der neue deutsche Bundestrainer Christian Wück, nach dem Spiel mit einer Miene im Gesicht und einem Grummeln in der Stimme herum, als hätte man mit einer katastrophalen Leistung eine blamable Niederlage eingefahren. Wie wenn sie beim Zahnarzt gewesen und von einem besonders schmerzhaften Bohrer malträtiert worden wären.

Schnelle Vertrautheit

„Man baut recht schnell ein Gefühl auf“, so Feiersinger, die sehr rasch merkte: „Wir ticken recht ähnlich wie Alex. Man hat nicht das Gefühl, dass es der erste Lehrgang ist. Es fühlt sich schon sehr vertraut an.“ Das bestätigt, was Weggefährten über Schriebl gesagt haben: Die hohe soziale Kompetenz sorgt dafür, dass sich die Wellenlängen von Team und Trainer binnen kürzester Zeit überschneiden.

Dass die interne Stimmung so markant positiver ist als letztes Jahr, sollte man aber nicht alleine in Irene Fuhrmann festmachen. Im Treibsand der individuellen wie mannschaftlichen Formkrisen zog der schwere Rucksack voll mit Erwartungshaltung und entsprechendem Druck noch mehr nach unten. Da ist man nicht mehr (nach außen) glaubhaft zuversichtlich und schon gar nicht (nach innen) locker.

Das Personal

Es ist aber hilfreich, dass man auch in den ernüchternden Monaten von 2024 nie aufgehört hat, ein Team zu sein und dass alle das Nationalteam weiterhin stets als Herzensprojekt betrachtet haben. „Was mir immer gut getaugt hat: Es ist ein cooles Team und es herrschte immer ein sehr offener und ehrlicher Umgang“, bestätigte Isabel Hochstöger, bis vor Kurzem Teammanagerin.

Die EM kann nun komplett ausgeblendet werden, es ist ein frischer Start, praktisch bei null – zunächst nicht mit dem großen Druck-Rucksack, sondern mit leichterem Gepäck. Neue Gesichter prägen das Umfeld: Das betrifft das Trainerteam, Schriebl nahm Co-Trainerin Sara Schaible von Bergheim mit, bekam Gilbert Prilasnig als zweiten Assistenztrainer dazu. Spielanalyst Sven Palinkasch ist dafür nicht mehr beim ÖFB und eben auch Hochstöger nicht mehr direkt beim Team.

Die aus Oberösterreich stammende ehemalige Nationalspielerin (19 Einsätze zwischen 1999 und 2003) legte nach weit über einem Jahrzehnt ihren Posten als Teammanagerin zurück, um sich ihren Agenden als Leiterin der Abteilung für Mädchen- und Frauenfußball konzentrieren zu können. Die beiden Posten sind zeitlich und örtlich kaum noch zu vereinen gewesen („Es gab schon länger Überlegungen, dass ich nicht mehr als Head of Frauenfußball permanent unterwegs bin, sondern mich vermehrt um das Tagesgeschäft kümmern kann. Jetzt war ein guter Zeitpunkt, diesen Schritt zu setzen.“)

Vier Debütantinnen plus eine halbe

Auch auf dem Feld weht ein markanter frischer Wind. In den zwei Spielen gab es gleich vier Debütantinnen (Chiara D’Angelo, Carina Brunold, Maggy Rukavina und Melanie Brunnthaler) plus eine, die man noch nie in der Startelf bei einem Pflichtspiel gesehen hat, schon gar nicht in der Innenverteidigung: Claudia Wenger.

Sie durfte man schon als Teenager in der Talente-Schmiede von Union Kleinmünchen als kommende Abkippende Sechs betrachten, ihr Körper bremste ihre Karriere – sie hat anderthalb Jahre erst durch die Corona-Unterbrechung und dann durch Verletzung verloren. Die Eröffnungspässe von Marina Georgieva schwanken gerne mal zwischen Genie und Wahnsinn, das Skillset der exakten Spielgestaltung gehört bei Schriebl aber nicht zur unmittelbaren Job Description für Innenverteidigerinnen.

Tempo schon.

Wenger ist durchaus auch in der Lage, einen gepflegten ersten Pass zu spielen. Vor allem aber hat sie kein Problem damit, gegnerischen Steilpässen in den Rücken der Viererkette erfolgreich nachzulaufen und diese Situationen durch ihre geschickte Positionierung im Laufduell staubig zu entschärfen. Sie klärte eine Handvoll solcher Situationen ohne Drama und zumeist auch ohne Probleme. Ihr verletzungsbedingter Austausch in Nürnberg nach 55 Minuten tat nicht nur ihr weh.

Mut zu neuen Namen

Wenger ist bereits 23 Jahre alt und Melanie Brunnthaler, die überhaupt erstmals ein paar Minuten mitmachen durfte, sogar schon 24 Jahre. Ein internationaler Star wird die wie Marina Georgieva aus Bruck an der Leitha stammende Brunnthaler, die seit Jahren verlässlich für den SKN stürmt, vermutlich nicht mehr. Aber eine Karriere als eingewechselte, frische Kämpferin im offensiven Anlaufen (wie Viktoria Pinther) ist allemal noch drin.

Bei Carina Brunold (22) war es schon erstaunlich, dass sie überhaupt im Kader ist – sie ist erst im Winter von der SPG Lustenau/Dornbirn, eher im hinteren Teil der Bundesliga-Tabelle zu finden, zum SKN gewechselt. Dass sie tatsächlich spielen würde, glaubte sie selbst dann kaum, als sie von Athletik-Trainer Dominik Strebinger die entsprechende Order bekam: „Der Strebi hat gesagt, ,So, Carina, jetzt noch zwei Sprints!‘ und ich so, ,Carina? Ähm… ich…?'“

Debüts verteilen statt retten, was nicht mehr zu retten ist

Dazu kamen Chiara D’Angelo, Kapitänin der U-20-Achtelfinalisten von letztem Sommer, die gegen Schottland rechts hinten starten durfte und Maggy Rukavina, Sechser aus dieser Truppe, die in der Schlussphase in Nürnberg erstmals dabei war – wenn auch auf der Zehn statt Carina Brunold, die gegen Deutschland sogar statt Marie Höbinger anfangen durfte.

Rukavina kam zwar ebenso Out of Position zum Einsatz wie D’Angelo in den paar Minuten nach ihrer Einwechslung in Nürnberg (auf der Acht statt als Außenverteidigerin) und Brunnthaler (auf der Acht statt ganz vorne), das zeigt aber auch: Schriebl war es wichtig, sie überhaupt mal zu bringen. Das Spiel war zu dem Zeitpunkt längst tot und verloren, wann sollte man die frischen Namen bringen, wenn nicht da.

Und es zeigt auch: Es ist aktuell wichtiger, mittel- und langfristig zu denken, das kommende Personal an sich zu binden – emotional ebenso wie die Spielminuten betreffend – als verzweifelt ein Spiel im Hier und Jetzt retten zu wollen, das ohnehin nicht mehr zu retten war. Andererseits muss man kein Prophet sein, um zu erkennen, für wen es unter Schriebl eng wird und bald (oder schon jetzt) eher keine Rolle mehr spielen wird.

Die Taktik

Erste Auffälligkeit schon gegen Schottland war natürlich das System. Ein 4-3-1-2 gehörte nie zum engeren Repertoire des Teams und das letzte Mal, dass die ÖFB-Frauen in sowas ähnlichem wie einer Mittelfeld-Raute aufgelaufen sind, war im September 2014 bei einem 5:1 gegen Kasachstan. Und selbst da war es eben keine echte Raute, sondern eher eine markante Tiefenstaffelung von Zadrazil und Puntigam in der Mittelfeld-Zentrale.

Cornelia Sochor spielte bei dem Match damals ihre einzige halbe Stunde im Nationalteam. Die Conny ist längst nicht mehr aktiv und arbeitet als Projektmanagerin in der Glasfaser-Branche. Eine schnelle Verbindung zwischen Gehirn und Beinen braucht es auch im Schriebl-Fußball – das betrifft sowohl das Umschalten auf Gegenpressing bei Ballverlust als auch die Strukturen im hohen Angriffspressing, um Bälle möglichst weit vorne zu erobern.

„Es ist für uns ein komplett neues System, aber ich glaube, dass uns das gut tut, neu gefordert zu sein. Wir konnten uns immer schnell anpassen. Das hat man auch gemerkt: In der dritten, vierten Einheit war das schon in den Köpfen.“ Der Teamchef selbst bestätigt das, von seiner Handschrift sei „schon gar nicht so wenig bereits erkennbar gewesen“, wie er sagte, „weil die Mädels von Beginn an alles versucht haben, umzusetzen.“

Aufteilung auf dem Feld

Nicht nur das System wies eine klare Abweichung zum unter Fuhrmann präferierten 4-4-1-1 (bzw. davor 4-3-3) auf, sondern auch die Besetzung der Positionen. Ganz vorne spielten mit Lilli Purtscheller und Julia Hickelsberger zwei nicht besonders große, aber sehr schnelle Spielerinnen, die üblicherweise (also sowohl unter Fuhrmann im Team als auch bei Essen bzw. Hoffenheim im Verein) auf den Flügeln daheim sind. Ob das nur eine Reaktion auf die Abwesenheit von Eileen Campbell (rekonvaleszent nach Hüft-OP) ist oder eine Dauerlösung, muss man abwarten.

Neben Marie Höbinger auf der Zehn, die vor allem in pressender Mission unterwegs war, agierten Annabel Schasching (erstmals von Beginn an auf „ihrer“ Acht) und gegen Schottland, erstaunlich, die eigentlich defensivere Sarah Puntigam. Zadrazil gab bis zu ihrer Auswechslung die Sechs. Schaschings Dynamik war sowohl im Anlaufen als auch im Antritt mit dem Ball ein belebendes Element, das auch deswegen so auffiel, weil es dem Team im Vorjahr so gefehlt hatte. Die Vorstellung, dass auf der linken Acht Barbara Dunst spielen könnte, die diese Position im selben System bei Eintracht Frankfurt seit Jahren sehr gut besetzt, verstärkt den Wunsch nach rascher Heilung des gerissenen Kreuzbandes.

Aggressiv und vertikal

Auch in Sachen Spielstil war dieser Tage „2017“ da und dort zu hören. Damals, beim überraschenden Einzug ins EM-Semifinale, waren vor allem zwei Dinge wesentlich: Das extrem scharfe Angriffspressing zum einen (das die Schweiz komplett zerzauste und Island untergehen ließ) und das sehr vertikale Umschaltspiel zum anderen (vor dem sich die Spanierinnen im Viertelfinale so in die Hose machten, dass sie trotz 596:154 gespielten Pässen nie genug Spielerinnen nach vorne committeten).

Im Spiel mit dem Ball ortete man im ÖFB-Lager 2023 klare Fortschritte, davon war 2024 nicht mehr viel übrig. Die wahre Stärke der Truppe lag ohnehin seit den Aufbau-Jahren unter Dominik Thalhammer stets im aggressiven Spiel gegen den Ball: Wenn man Gegner anlaufen und nerven konnte, passten die Trigger, passten die Anlaufwinkel, passte die Absicherung und dank zumindest jeweils einer treffsicheren Stürmerin (Nina Burger bis 2017, danach Nici Billa bis 2022, seit 2023 Eileen Campbell) gab es meistens auch die nötigen Tore.

Das 1:0 in Ried gegen Schottland

Schriebl steht für diesen Stressfußball, beinahe schon in Reinkultur. Im Oktober 2022 wurde Österreich von Schottland im verlorenen WM-Playoff aus der Pressing-Komfortzone gerissen, im Februar 2025 ließ man sich nie nachhaltig aus dieser verdrängen.

Schottland kam systembedingt mit einem Messer zur Schießerei, Interims-Trainer Michael McArdle hatte offenkundig keine Ahnung von Schriebls präferiertem Spielstil. Im flachen 4-4-1-1 hatten die Schottinnen eine dramatische Unterzahl im Zentrum, die auf dem Spielberichtsbogen als nominelle Acht verzeichnete Weir schob weit nach vorne. So weit, dass sie im Zentrum aus dem Spiel war, gleichzeitig aber vorne nichts zum Stören hatte, weil Österreich ohnehin kaum von hinten aufbauen wollte.

Die Österreicherinnen pressten im Zentrum alles an, was sich bewegte, übten Druck auf die schottische Abwehr aus, versuchten die Außenverteidigerinnen zu isolieren. Schon nach einer Viertelstunde wurde der Druck gegen den Ball mit dem 1:0 durch Lilli Purtscheller erzielt, sie hämmerte den Ball in die Maschen, nachdem die schottische Verteidigung den Ball nicht aus der Gefahrenzone gebracht hatte.

Die gegen Schottland sichtbaren Schwächen

In den vorangegangenen 19 Spielen waren die ÖFB-Frauen nur einmal ohne Gegentor geblieben und es gab einige Situationen, in denen Schottland sehr wohl treffen hätte können. Schon nach wenigen Minuten schob Wenger gleich mal in Antizipation eines langen schottischen Passes ziemlich weit durch, ohne dass die Absicherung da war – Zinsberger musste retten. Dann verhungerte mal ein Pass von Kirchberger genau in den Beinen einer Schottin, wieder wurde es brenzlig.

Das hieß aber auch: Nur bei österreichischen Fehlern kamen die Gäste aus dem Spielverlauf vor das Tor – sonst nur bei Standards. Wie es Schottland allerdings möglich war, den Ball bei der Doppelchance nach Eckball in der 30. Minute nicht im Tor unterzubringen, wäre ein Fall für promovierte Physiker.

Kein Spiel für Fans von hohen Passquoten

Davon abgesehen: Natürlich ist diese Strategie der absoluten Druckausübung mit einem gewissen Risiko verbunden. Alexander Semeliker verwendete damals das Wort „Chaos-Pressing“ in seinen Analysen des von Adi Hütter trainierten SV Grödig: Andere achteten mehr auf die Strukturen hinter der ersten Welle, in Grödig ging es vor allem um das offensive Potenzial dieser Spielweise. Daran erinnert auch das Spiel der ÖFB-Frauen: Schriebl-Fußball kann nicht über Passquoten definiert werden. Dass viele Vertikalbälle nach Ballgewinnen nicht ihr gewünschtes Ziel finden, ist einkalkuliert, solange aus der Handvoll, die ankommen, echte Torgefahr entsteht.

Einmal im Rückstand, fehlte Schottland einfach komplett das Werkzeug, um gegen dieses aggressive Spiel gegen den Ball ein vernünftiges eigenes Spiel aufziehen zu können, das schaffen sie gegen Teams aus der A-Gruppe selbst ohne Gegnerdruck kaum und die Basis zum Aufstieg waren ein 0:0 und ein 1:0 gegen Serbien, durch welche die Schottinnen ihre B-Liga-Gruppe knapp gewannen. Im entscheidenden EM-Playoff gab es ein 0:0 und ein 0:2 gegen Finnland.

Also: Nein, offensives Powerhouse ist Schottland beileibe nicht. In der zweiten Halbzeit ließ das Wilde im österreichischen Spiel ein wenig nach, es wirkte alles kontrollierter, man schraubte den Ballbesitz auf erstaunliche 60 Prozent hoch und ließ Schottland am ausgestreckten Arm verhungern. Einen Abschluss im Strafraum aus dem Spiel heraus brachten die Gäste nicht mehr zu Wege.

Das 1:4 in Nürnberg gegen Deutschland

Sarah Zadrazil, die Ende Jänner einen Muskelfaserriss erlitten hatte, konnte gegen Deutschland nicht mitmachen, dafür rückte Puntigam wieder auf die Sechs und Laura Feiersinger erstmals seit Herbst 2023 in eine Pflichtspiel-Startformation. Dazu begann Brunold auf der Zehn statt Höbinger.

Wie kaum anders zu erwarten war, verdichtete Österreich sofort extrem aggressiv um den Ball, oft standen innerhalb kürzester Zeit drei bis vier Weiße um die ballführende Rote herum. Weil die deutsche IV mit Minge und der eher langsamen Knaak gegen Putscheller und Hickelsberger gebunden war und die Abstände im Zentrum nicht passten, wurde so vor allem Sjoeke Nüsken zu einer Ballverlust-Maschine – wenn auch das nicht nur ihre Schuld war, obwohl es Wück in seinen Aussagen nach dem Spiel ein wenig so dargestellt hat.

Nach zwei Minuten ließ sich Deutschland nach einem eigenen Einwurf düpieren und die Tiefen-Absicherung war mal gar nicht vorhanden, Schasching vollendete den Gegenstoß und man erntete einen nach oben gestreckten Daumen von Alex Schriebl. In dieser Tonart ging es weiter: Der deutsche Plan, über die rautenbedingt (vermeintlich) offenen Flügel zu spielen, wurde vom aggressiven österreichischen Verschieben zum Ball behindert, Hickelsberger hatte das 2:0 am Fuß, Deutschland wirkte 40 Minuten lang gehetzt und fahrig. Der 1:1-Ausgleich nach einem Freistoß an den langen Pfosten, der via Stanglpass bei Freigang landete und von ihrem Fuß im Tor, kam aus dem Nichts.

Die gegen Deutschland sichtbaren Schwächen

Das erste Gegentor hat sich Österreich also ziemlich banal eingefangen. Das 1:2 nach der Pause fiel genau in der Phase, in der Claudia Wenger verletzt behandelt wurde, von Brand – zugegeben extrem sehenswert – genau durch jenen Kanal vorbereitet, in der die für Wenger nach hinten gerückte Puntigam fehlte. Das 1:3 war ein Deluxe-Geschenk in Form eines zu kurzen Rückpasses von Laura Feiersinger.

Es würde aber zu kurz greifen, die überwiegend sehr vermeidbaren deutschen Tore herauszuheben, weil jene nach der Pause nur die Folge des Geschehens waren, nicht die Ursache.

Denn zum einen hatte Deutschland nach dem Seitenwechsel adaptiert: Däbritz kam für Nüsken und Dallmann für Freigang, vor allem aber rückte Feli Rauch von der linken Seite vermehrt in den Sechserraum ein. Damit hatten die zunehmend müden Österreicherinnen eine Deutsche mehr zum Anpressen. Selbst wenn es sich mathematisch ausgegangen wäre, ging es sich kräftemäßig nicht mehr aus: Das Pressing erlahmte, Deutschland hatte komplette Kontrolle über das Mittelfeld und zunehmend auch über die rechte Angriffsseite (gegen Hanshaw, die erst Schasching, dann D’Angelo, dann Brunnthaler vor sich hatte).

Wehe, das Konstrukt fällt auseinander

Das 1:4 geht aufgrund der Unterlegenheit nach der Pause schon in Ordnung. „Uns ist die Kraft ausgegangen, dann konnte Deutschland das Spiel leichter verlagern, und du musst immer wieder 40 Meter nachsprinten, nach hinten, und das vier-, fünf-, sechsmal. Da haben wir die Räume nicht mehr schließen können“, analysierte Manuela Zinsberger. „Mit diesen Spielverlagerungen haben sie ein Mittel gefunden, was ihnen vor der Pause – solange wir das Energielevel hochhalten konnten – nicht gefunden hatten“, bestätigte Annabel Schasching, „sie haben umgestellt, wir konnten uns keine Ruhepausen mehr verschaffen, haben oft schnell den Ball verloren, die Abstände wurden zu groß. So hatten sie viel Raum und Zeit zum Spielen, ohne dass wir Zugriff gefunden haben.“

Was in der Theorie logisch erscheint, erhielt in der zweiten Halbzeit von Nürnberg seinen praktischen Beweis: Wenn nicht alle immer voll dabei sind und alle immer die manchmal nötigen zwei, drei Extra-Schritte gehen können, wird aus einer „ersten Halbzeit, auf die wir stolz sein können“ (Verena Hanshaw) die Erkenntnis, dass es „ganz, ganz schwer wird, wenn wir an Struktur und Glauben verlieren“ (Alexander Schriebl).

Österreich sei „aktuell nur noch zweitklassig“, konstatierte Max-Jacob Ost vom Rasenfunk, der in Nürnberg vor Ort war, „das sind Spielerinnen, die keine große Rolle mehr in ihren Vereinen spielen oder an ihre alten Leistungen nicht anknüpfen können.“ Man kann ihm nicht widersprechen, aber der Blick geht eben nicht ins Jetzt, sondern in die Zukunft. D’Angelo, Brunold und Wenger sind (noch?) nicht Wenninger, Schnaderbeck und Burger. Die 2025er-Versionen von Feiersinger, Hanshaw und Puntigam sind nicht mehr die 2017er-Versionen von Feiersinger, Aschauer und Puntigam.

Es ist ein Team im Umbruch, aktuell ohne Quali-Druck, das für eine Zeit mit Quali-Druck aufgebaut wird.

Der Gesamteindruck

Der neue Teamchef hat es in kürzester Zeit geschafft, die Spielerinnen auf den neuen bzw. adaptierten, jedenfalls aber gemeinsamen weg einzuschwören. Schottland war der intensiven Spielweise der ÖFB-Frauen nicht gewachsen und die Deutschen konnte sich auch erst sammeln, als sie Personal, Passwege und Positionierungen umgestellt hatten und bei Österreich die Kraft im roten Bereich angekommen war.

Es wurde in dieser Woche sehr schnell sehr klar, dass die Resultate alleine einstweilen vielleicht nicht unwichtig sind, das sind sie in Hinblick auf die Ausgangsposition für die WM-Quali nämlich nicht, sehr wohl aber nicht allein prioritär. Da fängt halt gleich mal Chiara D’Angelo an, in der für den Klassenerhalt womöglich schon vorentscheidenden Partie gegen Schottland. Da spielt gleich mal Carina Brunold statt Marie Höbinger (die in Liverpool nach der Trennung von Matt Beard übrigens einen neuen Trainer bekommt) in Nürnberg, vor knapp 15.000 Zusehern. Vor mehr als 874 Leuten (letzten Mai beim Ländle-Derby in Altach) hatte Brunold davor nie gespielt und gegen ein Team dieser Qualität schon gar nicht. Dafür machte sie es richtig gut und richtig furchtlos.

Im Umgang mit den Spielerinnen hat Schriebl sehr offensichtlich einen Ton erwischt, der mitreißt und das Gefüge stärkt. Im Gespräch mit Medienvertretern – etwa bei den üblichen, via Zoom-Call durchgeführten Presseterminen oder auch in „Sport am Sonntag“ auf ORF – agierte der 46-Jährige sehr viel vorsichtiger, er wirkte eher zurückhaltend. Verständlich: Mit Ausnahme von Gerhard Öhlinger von den „Salzburger Nachrichten“ sind ihm die Leute alle neu. Dominik Thalhammer hatte zu Beginn im Grunde überhaupt nur mit Ballverliebt und gelegentlich mit der APA und Helmut Pichler zu tun, Irene Fuhrmann war als seine langjährige Co-Trainerin zumindest mit den Gesichtern vertraut.

Für Schriebl sind fast alle neu, da ist erstmal Vorsicht die Mutter der Porzellankiste. Solange das nur im Umgang mit den Reporterinnen und Reportern so ist und nicht auch mit dem Gegner, ist alles gut. Denn wie sagte Ron Dennis einst zu Journalisten? „We’re the ones who make history. You just write about it.“

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Alex Schriebl: Trainer mit klarer Linie für einen ÖFB ohne klare Richtung https://ballverliebt.eu/2025/01/24/alexander-schriebl-teamchef-frauen-neu/ https://ballverliebt.eu/2025/01/24/alexander-schriebl-teamchef-frauen-neu/#respond Fri, 24 Jan 2025 13:58:28 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21074 Alex Schriebl: Trainer mit klarer Linie für einen ÖFB ohne klare Richtung weiterlesen ]]> Die erste Antwort war immer die selbe. „Ein wirklich supernetter Typ, ein Menschenfänger“ sei Alexander Schriebl, und „zwischenmenschlich wird das ganz sicher passen!“ Wenn man Menschen fragt, die den neuen Teamchef der ÖFB-Frauen näher kennen, wird stets seine außerordentliche soziale Kompetenz betont. Sportlich setzte er beim Red-Bull-Klub in Bergheim auf hartes Pressing, eine gewisse Kompatibilität mit den Stärken des Nationalteams ist also sicher gegeben.

Aber kann er die Defizite im Aufbauspiel mit Ballbesitz beheben? Ist der Sprung vom Frauen-Team aus dem beschaulichen Salzburger Vorort direkt in die höchste Klasse der Nations League nicht doch sehr groß? Vor allem jedoch: Was sagt seine Verpflichtung und der Weg dorthin über den ÖFB aus – und dessen längerfristigen Plan für die Frauensektion, und gibt es eine solchen überhaupt?

Die ersten Bewährungsproben des 46-jährigen Salzburgers kommen jedenfalls rasch, am 21. Februar steht in Ried das erste Nations-League-Spiel gegen Schottland an, vier Tage später geht es in Nürnberg gegen Deutschland.

Rätselraten hat ein Ende

Am 21. Dezember trat Liése Brancão als Trainerin von Serienmeister SKN St. Pölten zurück. Eine Woche später, ab 27. Dezember wurde die Trennung von Irene Fuhrmann und dem ÖFB offiziell. Die Vermutung lag nahe, dass Li wiederum nur wenige Tage später als neue Teamchefin vorgestellt wird. Doch dann passierte… nichts. Über Wochen. Zuletzt hieß es, sie wäre nie eine ernsthafte Kandidatin gewesen.

Natürlich sagt niemand etwas on the record, aber es war zu vernehmen, dass sich die Suche erst in den letzten Tagen intensiviert haben könnte oder dürfte – ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel selbst gab an, „ab Anfang Jänner intensiv mit Kandidaten, denen ich den Job zutraue“, gesprochen zu haben. Aus welchem Pool suchte man? Wenn die Vorgaben waren „aus Österreich“ und „hat Erfahrung im Frauenfußball“, verbunden mit der vorgeschriebenen Trainer-Pro-Lizenz, sind die Möglichkeiten begrenzt. Dominik Thalhammer, Markus Hackl, Sargon Duran, Michael Steiner, Andreas Heraf, Kurt Russ und Alexander Schriebl, technically auch Johannes Uhlig, dazu Irene Fuhrmann und Maria Wolf sowie Liése Brancão, die aktuell den Pro-Lizenz-Kurs absolviert.

Konkret darauf angesprochen, sagte Schöttel:

„Ich habe auch über Kandidaten aus dem Ausland nachgedacht, es gab auch Gespräche, aber in den Endgesprächen am Schluss waren ausschließlich österreichische Kandidaten. Ich denke schon, dass man die Verpflichtung von Alex als Signal an die österreichische Liga werten kann, dass hier spannende Trainer am Werk sind und… ja.“

Und genau das offenbart so ein wenig das Problem.

Trainersuche per Namedropping

Denn ein echtes, inhaltliches Anforderungsprofil für den Posten – hat es das überhaupt gegeben? Es ist schon okay, als Verband zu sagen: Wir wollen das hier in Ruhe über die Bühne bringen, ohne eine öffentliche Debatte – die es auf der Frauen-Seite des ÖFB aber ohnehin eher als Stürmchen im Wasserglas gegeben hätte, nicht als ausgewachsenes Massenphänomen wie bei den Männern.

Wo waren die Problemfelder der letzten Monate unter Fuhrmann, wie kann man die beheben?

Wie soll der Fußball der ÖFB-Frauen mittel- und langfristig aussehen?

Welche Ziele setzt man sich für die nächsten fünf Jahre, zehn Jahre?

Ganz platt formuliert: Welche Vision gibt man sich für das Frauen-Team?

Diese Fragen müssten eigentlich beantwortet werden, ehe man mit diesen Antworten eine Shortlist an Namen erstellt, unabhängig davon, ob man dann in Österreich oder beispielsweise auch in Deutschland oder der Schweiz fündig wird oder womöglich ganz wo anders – der belgische Verband holte sich als Nachfolger von Langzeit-Teamchef Ives Serneels etwa Elisabet Gunnarsdottir, eine Isländerin, die 15 Jahre in Kristiansand in der schwedischen Liga Trainerin war. ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel hatte ja schon bei der Rangnick-Verpflichtung zugegeben, dass es jenseits seiner Phantasie war, ihn überhaupt zu fragen – Rangnick bot sich vor knapp drei Jahren praktisch selbst an.

Wer passt zum Status Quo?

Nun hat Schöttel dieses Netzwerk in der Frauen-Szene nicht, aber das macht nichts, es gibt im Umfeld genug, die das haben. ÖFB-Frauenfußball-Direktorin Isabel Hochstöger etwa. Die Sportchefin des SKN St. Pölten, Tanja Schulte, ist selbst Deutsche und hat schon vor 15 Jahren mit ihren Kontakten Transfers österreichischer Talente nach Deutschland eingefädelt. Man kennt sich ja.

Tatsächlich wirkt die Schriebl-Verpflichtung auf den ersten Blick so, als würde man sich im ÖFB auf eine Handvoll Möglichkeiten beschränken, Namen streichen die nicht gehen oder die man nicht will, dann sich für den entscheiden, der übrig bleibt – um hinterher eine Erklärung retro-fitten zu können, warum genau diese Entscheidung genau die ist, die inhaltlich optimal war.

„Die Art und Weise, wie seine Mannschaft Fußball spielt, deckt sich aus meiner Sicht sehr mit der Spielidee, die wir beim ÖFB eingeführt haben“, erklärte Schöttel bei der Vorstellungs-PK. Also: Wer passt zum Status Quo? Fein, mit dir machen wir das dann, zumindest bis zum Ende der WM-Quali für Brasilien 2027. Dann schauen wir mal, wie der neue Status Quo aussieht.

Über den Tellerrand der Komfortzone

Alexander Schriebl selbst, der nun also den Zuschlag bekommen hat, ist unbenommen von all dem aber sehr wohl eine spannende Persönlichkeit. Neben seiner Tätigkeit als Trainer von Red-Bull-Kooperationsklub FC Bergheim in der Frauen-Bundesliga bietet er verschiedene Fortbildungs-Kurse an, darunter auch „Train The Trainer“ – also Seminare für Coaches. Auch Camps für vereinslose Profis sowie für Kinder und Junioren.

Diese Tätigkeit ist es auch, weswegen er im Sommer so oder so als Chef-Trainer in Bergheim von Dušan Pavlović abgelöst worden und als Trainer in den Nachwuchsbereich gewechselt wäre – auf eigenen Wunsch, wie es heißt. Pavlović übernimmt in Bergheim nun eben schon jetzt.

Von Juli bis Dezember 2023 begab sich Schriebl zudem mit seiner Frau – Lehrerin und psyochosoziale Betreuerin – und den beiden Kindern auf eine „Auswandern-auf-Zeit“-Reise nach Mexiko. Das schult den Blick über den Tellerrand des Lebens und mit dem Verlassen von Komfortzonen hat Schriebl ganz offenkundig keine Probleme.

Ein Pressing, dass die Fetzen fliegen

Vorweg: Es ist sehr problematisch, die Details aus dem Bergheim-Spiel direkt auf ein österreichisches Nationalteam umzulegen. Andere Spielerinnen, andere Typen, auch andere Gegner und andere Gegebenheiten. Es kann hier nur um die generelle Attitude gehen, die grobe Sicht darauf, wie der Fußball gedacht wird.

Und wie spielt Bergheim nun inhaltlich? Ganz klar, hier wird nach der Handschrift von Red Bull agiert, und zwar nicht das lauwarme Irgendwas von Lijnders oder mit Struber’schen Mauer-Elementen, sondern quasi Old School Red Bull.

Anders gesagt: Hier wird angelaufen, dass die Fetzen fliegen.

Dabei ist es Schriebl und dem Team komplett wurscht, ob sie da mit Kleinmünchen/Blau-Weiß oder dem LASK auf dem Feld stehen, die gegen den Abstieg spielen, oder mit dem SKN St. Pölten oder der Austria, die um die Meisterschaft rittern. Hinten rausschieben, schon im Mittelfeld den Gegner unter Stress setzen, den Raum eng machen und die Zeit knapp. Es wurde in der Liga im Herbst 2024 zum Running Gag, dass Bergheim daheim immer 0:0 spielt.

Ein Hochfrequenzbohrer, der weh tut

0:0 gegen Lustenau/Dornbirn, 0:0 gegen die Austria, 0:0 gegen St. Pölten, 0:0 gegen Sturm Graz, 0:0 gegen Altach. Aber was nach Beton-Kick klingt, war das ganz und gar nicht, zumindest nicht im klassischen Sinn. Gegen Bergheim spielen zu müssen, ist grindig, macht keinen Spaß, es ist wie ein Zahnarztbesuch: Der Hochfrequenz-Bohrer verursacht Schmerzen.

Was Bergheim jedoch nicht zeigt, oder nur in Spurenelementen, ist ein eigenes Aufbauspiel. Kurze Abstoß-Varianten, wie sie in in den letzten Jahren modern wurden, gibt es bei Schriebls Bergheim nicht; das ist eher Dump-and-Chase: Weit nach vorne das Ding, und dann in Mannschaftsstärke nachpressen, die Abwehrreihe schiebt dabei bis zur Mittellinie vor. Auch hier gilt: Und wenn das der SKN ist, dann ist das halt der SKN. Wir schieben hoch.

Wie kann das für die ÖFB-Frauen passen?

Beim Frauen-Nationalteam des ÖFB, war es genau die Schwäche im Spielaufbau, die gegen vernünftige Teams auf Augenhöhe nötig wurde, die im letzten Jahr zum Misserfolg der verpassten EM geführt hatten. Bergheim hat quasi gar keinen eigenen Aufbau und in der Liga ist dieser auch nicht nötig: Es stellt sich da praktisch niemand eisenhart hinten rein, zumindest nicht gegen Bergheim. Nicht mal der LASK, der mit einer Passiv-Taktik gegen das reichlich unkreative Team aus Neulengbach einen überraschenden Sieg einfahren konnte.

Da Bergheim den Raum um den Ball extrem verdichtet, ist es nach einem Ballgewinn auch oft sehr eng, und da sind Laufwege und Entscheidungsfindung ziemlich oft eher off. Trotz Tuchfühlung zu den Top-4 in der Tabelle und bei allem Talent, das vor allem Alessia Pamminger hat, aber auch die Spinn-Schwestern und etwa auch Sara Grabovac unbestritten haben – es ist kein Zufall, dass Bergheim in den 13 Spielen im Herbst nur sieben Tore erzielt hat, davon fünf gegen den Letzten und den Vorletzten.

Freilich, die Auffassungsgabe und die Umsetzung ist bei einer Sarah Zadrazil von den Bayern, einer Marie Höbinger von Liverpool oder einer Eileen Campbell von Freiburg eine andere als bei einer Horde von 16- und 17-Jährigen. Bergheim stellt eine extrem junge Truppe. Furchtlos, lernwillig, aber zuweilen auch naiv und jedenfalls noch ziemlich unroutiniert.

Die Attitude aber: Lust am Fehler provozieren, nicht Angst vorm Fehler machen. „Unser Fußball ist nicht typisch und nicht alltäglich im Frauenfußball in Bergheim, das ist es, was ich auch mit dem Nationalteam machen möchte“, kündigt Schriebl an.

Seekirchen, Horn, Bergheim …

Als Spieler hat Schriebl, normalerweise in der Offensive daheim, zwischen 1998 und 2010 für Prä-RB-Salzburg, Braunau, Lustenau, Schwanenstadt, die Austria-Amateure und Hartberg in Bundesliga und 2. Liga gespielt. Dann war er Co-Trainer bei Austria Salzburg, ehe er mit einem starken Frühjahr 2016 als Cheftrainer bei Kuchl in der Salzburger Liga auf sich aufmerksam machte.

Es folgten vier Regionalliga-Jahre in Seekirchen, wo er mit einer über diese vier Jahre personell nur minimal veränderten Mannschaft die Plätze zehn, zwölf, fünf und drei einfuhr – und schon da war die Prämisse: Egal wie übermächtig ein Gegner ist, die Spielidee steht, und die Spielidee war da schon die selbe wie später in Bergheim. „Das ging so weit, dass wir in einem Testspiel gegen Red Bull Salzburg, damals unter Marco Rose, selbst unser Spiel im Red-Bull-Stil umzusetzen probiert haben“, erzählt Benjamin Taferner, langjähriger Stürmer unter Schriebl beim Flachgauer Verein.

Von 2016 bis 2020 war Schriebl Trainer in Seekirchen, mit einer über Jahre kaum veränderten Mannschaft. Sebastian Rauter kam auf diversen Positionen zum Einsatz, wenn da und dort mal jemand fehlte.

Die ausgesprochen geringe Fluktuation in Seekirchen – und auch beim Nationalteam kann man ja nicht mal so eben sechs neue Leute holen, wenn’s nicht passt – fällt auf. „Er nimmt alle Spieler mit, auch die Nummer 16 und die Nummer 20“, erzählt Taferner, „niemand hört gerne, dass er nicht im Kader ist, aber alle waren gerne da. Alex hatte überall nur gute Nachrede, auch von Leuten, die sportlich nicht so zum Zug gekommen sind. Am Platz und in der Kabine kann er auch ein harter Hund sein, aber außerhalb des Platzes war er gleich wieder eine Frohnatur mit einem offenen Ohr für die Anliegen seiner Spieler.“

In Bergheim hat er mit Mittelfeld-Raute spielen lassen, in Seekirchen zuvor üblicherweise ein flaches 4-4-2, wobei das System der Gegner gegebenenfalls gespiegelt wurde. „Wir waren meistens selbst verantwortlich für Erfolg oder Misserfolg“, erinnert sich Taferner, „wenn wir gewonnen haben, wussten wir im Normalfall, warum. Wenn wir verloren haben, auch.“ Das klingt banaler, als es ist. Dieses Wissen erleichtert die Analyse, macht auch die Spieler offener für Adaptierungen.

Im September 2020 ging Schriebl von Seekirchen direkt zu Zweitligist Horn – als vierter Trainer am 6. Spieltag – und musste den von UFA-Media hinterlassenen, wild zusammen gestoppelten und schnell auch wieder halb zerflogenen Kader-Schweinestall irgendwie sportlich moderieren, ein Himmelfahrtskommando. Im Sommer 2022 war er ein paar Monate in der Regionalliga bei Saalfelden, es folgte der Ausladsaufenthalt in Mexiko. Seit einem Jahr war Schriebl Trainer beim FC Bergheim – dem Kooperations-Klub von Red Bull Salzburg, der im Sommer vollends im RB-Branding aufgehen wird. Bernd Winkler, Leiter der Frauen-Abteilung von RB Salzburg und einst Teamkollege bei Salzburg-Alt und Braunau, hat Schriebl dort installiert.

… Nations League

Man sieht schon – Kuchl, Seekirchen, Horn, Bergheim, nein also die große Fußballwelt ist das nicht. Beim ÖFB erwartet Schriebl ein vielköpfiges Trainerteam und ein noch umfangreicherer Staff. Was er bisher machte, war von regionalem Interesse oder in einer ziemlich kleinen Nische ohne eine echte Öffentlichkeit. Nun wird er in ein paar Wochen in die Nations League starten – es ist alles ziemlich hochskaliert. „Es ist ein Sprung und der tollste Job im Frauenfußball in Österreich“, so Schriebl bei seiner Vorstellung.

Aber einen Einblick, was im internationalen Frauenfußball auf diesem Niveau geboten ist, was Möglichkeiten und Infrastruktur betrifft, aber auch das Umfeld, konnte er zwangsläufig noch nicht aus erster Hand gewinnen. Der Posten als Teamchef der ÖFB-Frauen ist, was den öffentlichen Rechtfertigungsdruck angeht, nicht mit Trainer-Jobs bei Rapid, bei Sturm oder beim Männer-Team vergleichbar. Er ist aber sehr wohl mit mehr (nicht selten auch untergriffig formulierter) öffentlicher Kritik verbunden als jene in Seekirchen und Bergheim.

„Egal, welches Niveau“, wehrte Schriebl aber ab, „es geht um den Menschen – Liebe,  Wertschätzung, Anerkennung, Zugehörigkeit. Ich sehe nicht viel Druck, es ist Fußball, es ist ein Spiel. Du kannst dich nur bestmöglich vorbereiten.“

An den Ansprüchen messen

„Es gibt Erwartungen und das ist ja gut und soll auch in Zukunft so sein“, so Schriebl weiter, und er betont in Hinblick auf EM- und WM-Endrunden: „Die Erwartungen sind, dass wir uns qualifizieren. Und wir können ein Publikum nur begeistern, wenn wir selber begeistert sind und wir ein Spiel auf den Platz bringen, das begeistert, Leidenschaft zeigt, Wille zeigt. Dann können wir viel bewegen.“

Ja, es ist durchaus möglich, dass der ÖFB mit Alexander Schriebl über eine Goldmine gestolpert ist – ein absolut geerdeter Mensch, für den seine Teams durchs Feuer gehen und dessen Vorstellung vom Fußball zum Team passt. Es kann sein, dass er die spielerischen Probleme vielleicht nicht löst, aber einen funktionierenden Weg findet, um diese Probleme herum zu spielen.

Es kann auch sein, dass es nicht funktioniert. Dass man aus der Nations League absteigt und dann im WM-Playoff aus einem dann vermutlich recht starken Team hängen bleibt, dass die gewünschte Entwicklung nicht stattfindet.

Wohin soll es jetzt wirklich gehen?

Wobei, und hier schließt sich der Kreis wieder: Was ist eigentlich die gewünschte Entwicklung? Darauf gab es auch bei der Vorstellungs-PK keine echten Antworten. „Wichtig ist, dass wir sehr klar sind in dem, was wir wollen“, forderte Schriebl zwar, „alle, ich genauso, und die Rahmenbedingungen vorgeben.“

Aber mit welchen klaren Strategien will man im ÖFB den Frauenfußball nun entwickeln, Peter Schöttel? „Wir können alle miteinander nur den Stellenwert des Frauenfußballs erhöhen durch Maßnahmen in den unterschiedlichsten Abteilungen, aber natürlich auch von außerhalb, dass wir alles unternehmen, um das, was sehr schleppend voran geht, zu beschleunigen.“

Na, wenn das mal keine klare Aussage ist.

Ein Ziel vor Augen

Als Willi Ruttensteiner damals im Frühjahr 2011 Dominik Thalhammer als Leiter der frisch aufgestellten ÖFB-Frauen-Akademie in St. Pölten verpflichtete – und Thalhammer wenige Wochen später nach dem Tod von Ernst Weber auch das Nationalteam übernahm – war das noch mehr eine Personalie aus der ganz tiefen Tiefe des Raumes als es Schriebl jetzt war.

Thalhammer arbeitete mit einem langfristigen Plan, den er konsequent verfolgte. Es war ganz klar, wie das Team spielen sollte, der Weg dorthin dauerte einige Jahre, aber die erfolgreiche EM 2017 mit dem Halbfinale bestätigte die Richtigkeit des Weges. Einige seiner Ideen in den Jahren danach waren womöglich etwas zu avantgardistisch, um sie in der Praxis gewinnbringend umsetzen zu können, aber sein Credo war immer: Ständige Weiterentwicklung, stets neue Inputs liefern und immer ein ambitioniertes, langfristiges Ziel anvisieren.

Er war genauso mit Herzblut bei der Sache wie danach Irene Fuhrmann, die etwas andere fußballerische Prioritäten setzte – taktisch weniger komplex, Arbeitsethos im Zweifel wichtiger als Körpergröße und Tempo, es galt zudem einen Generationswechsel zu vollziehen. Es gab schöne Erfolge und den Einbau einiger junger Spielerinnen für das nächste Jahrzehnt, das Pressing klappte meistens gut, am Ende ging der Amtszeit aber spürbar die Luft aus und auch die Ideen in der Spielgestaltung.

Mach mal, Trainer

Was Schriebl bei Bergheim spielen hat lassen ist tatsächlich sehr nahe an der Spielweise, für die auch der österreichische Nationalteamfußball steht – Anfang der Zehner-Jahre eingeführt von Marcel Koller bei den Männern und eben Thalhammer bei den Frauen. So gesehen ist die Entscheidung für ihn durchaus folgerichtig. Und doch stiehlt sich der ÖFB ein wenig aus der Verantwortung, so macht es zumindest den Anschein.

Fuhrmann hatte in ihrer allerletzten PK als Teamchefin, nach dem 0:1 in Wien gegen Polen, dem Verband nochmal so öffentlichkeitswirksam wie möglich mitgegeben, dass es mehr Investment braucht, etwa in den Trainerstab, in dem sie tatsächlich die einzige ist, die auch zwischen den Terminen hauptamtlich beim ÖFB arbeitet. Wird Schriebl froh sein, überhaupt zum ersten Mal so einen großen Staff zu haben und eben nicht unbequem mehr fordern? Nicht ausgeschlossen.

Und auch auf Aussagen zu einer strategischen Ausrichtung, die über ein „So wie bisher, nur bitte erfolgreicher“ hinausgehen, wartet man aus der sportlichen Leitung des ÖFB vergebens. Mach mal, Trainer, passt schon. Was wollen wir mittelfristig? Bei EM-Endrunden dabei sein. Ja, eh, aber das logische Ziel als ausreichend verkaufen?

Ins kalte Wasser

Schriebl gilt als Entwickler, als Tüftler. Er kommt nicht daher und stülpt ein System drüber – sehr wohl aber ist die Spielidee unumstößlich. So gesehen ist klar, was in den nächsten Jahren von den ÖFB-Frauen auf dem Platz zu erwarten ist. Und doch wird vieles von dem, was Aufgabe des Verbandes ist – langfristige Strategien, klare und ambitionierte Zielvorgaben, Richtungsentscheidungen, Aufmerksamkeit für das Team kreieren – auf den Trainer abgeladen, dieser ins kalte Wasser geworfen. „Am Beckenrand lernt man nicht schwimmen, ich springe gerne ins kalte Wasser“, grinste Schriebl zwar.

Aber der ÖFB tut so nicht viel dafür, den Eindruck seines Desinteresses am Frauenfußball zu zerstreuen.

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Das war die Ära Fuhrmann https://ballverliebt.eu/2024/12/27/bilanz-fuhrmann-osterreich-frauen/ https://ballverliebt.eu/2024/12/27/bilanz-fuhrmann-osterreich-frauen/#respond Fri, 27 Dec 2024 12:02:59 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20982 Das war die Ära Fuhrmann weiterlesen ]]> Dieser Job hat ihr die Welt bedeutet. Und doch haben am Ende die Mechanismen des Geschäfts gegriffen: Vier Jahren und vier Monaten nach dem ersten Spiel ihrer Amtszeit ist Irene Fuhrmann nicht mehr Teamchefin des österreichischen Frauenfußball-Nationalteams.

Die erste Amtszeit einer Frau in diesem Posten hat viel Schönes gebracht – wie das EM-Viertelfinale 2022 und Platz zwei in der Nations-League-Gruppe 2023. Dazu einiges, was notwendig war – 14 Spielerinnen haben unter Fuhrmann debütiert, darunter zukünftige Stützen wie Annabel Schasching, Lilli Purtscheller und Eileen Campbell.

Aber es war eben auch das verhackte WM-Playoff in Schottland dabei und vor allem dieses verflixte Jahr 2024. Die Entwicklung stagnierte, der Generationswechsel stagnierte, spielerisch ging nichts mehr weiter und einige der verlorenen Matches gingen auch auf sie. Die mit den beiden Playoff-Niederlagen gegen Polen verpasste EM-Teilnahme war die Kulmination einer schon länger sichtbaren Fehlentwicklung.

Foto: UEFA

ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel spricht von einer „Entscheidung, die sehr schwer zu treffen war“ und Fuhrmann selbst sagt: „Ich habe immer betont, dass es am Ende nicht um meine Person geht, sondern um die Weiterentwicklung des Frauen-Nationalteams, dem Zugpferd des gesamten österreichischen Frauenfußballs.“ Darum sei es jetzt die richtige Entscheidung, für „Platz für neue Impulse an der Spitze zu sorgen.“

Ob es nun mehr ein Rauswurf oder mehr ein Rücktritt war, lässt sich anhand der Zitate aus der ÖFB-Aussendung nicht wirklich festmachen, es tut aber am Ende auch nicht wirklich etwas zur Sache. Fakt ist: Die Ära Fuhrmann ist vorbei und damit ist die Gelegenheit da, Bilanz zu ziehen.

Komplexität raus, Talente rein

Dominik Thalhammer hatte vor ihr das Team auf die Landkarte gebracht, 2017 das EM-Semifinale erreicht, aber auch ein taktisches Konstrukt von zunehmender Komplexität gebaut. Von Kathi Schiechtls Debüt 2014 bis zu seinem Abgang 2020 hat es nur eine einzige Spielerin geschafft, neu reinzukommen und Stammkraft zu werden – Julia Hickelsberger im Herbst 2019, deren simple Rolle im WW-System es war, möglichst schnell die Seitenlinie auf- und abzulaufen.

Fuhrmann musste beginnen, junge Spielerinnen neu reinzubringen. Es blieb dabei, dass man sich am Wohlsten fühlte, wenn man einen Gegner hoch anpressen konnte, aber System- und Taktikexperimente hatten ein Ende, das Grundkonstrukt blieb ein 4-3-3. Selbst, wenn sie gewollt hätte, wären Experimente in den begrenzten Möglichkeiten der Corona-Zeit auch gar nicht sinnvoll möglich gewesen.

Höbinger, Wienroither und Naschenweng – unter Thalhammer maximal Wechselspielerinnen – wurden Stammkräfte. Barbara Dunst, unter Thalhammer nur sechs Mal in vier Jahren in Pflichtspiel-Startformationen, sollte jedes einzelne der 53 Spiele unter Fuhrmann absolvieren. Degen, Campbell und Purtscheller sind neue Gesichter des Teams geworden, Annabel Schasching wird dies sicher auch bald, Maria Plattner wäre ohne ihr Verletzungspech womöglich längst Stammkraft im Mittelfeld-Zentrum.

Auch, wenn einige der Routiniers noch dabei sind – Puntigam, Zadrazil, Hanshaw, Kirchberger: Das Team von 2023/24 hatte schon ein ganz anderes Aussehen als das von 2019/20. Als Fuhrmann übernommen hat, war Österreich im FIFA-Ranking auf Platz 14 im europäischen Vergleich, sie übergibt die ÖFB-Frauen auf Platz 11 – gegenüber damals vorbei an der Schweiz, Belgien und Schottland.

Ihre Amtszeit ist schön in die fünf Kalenderjahre einteilbar: 2020 ging es ums sportliche Überleben. 2021 war eine etwas ziellos wirkende Suche nach der Stärke, die 2022 gefunden war und mit dem EM-Viertelfinale ausgespielt wurde. 2023 war die Zeit des erfolgreichen Generationswechsels, ehe 2024 alles erstarrte und man keine Lösungen mehr fand.

2020: Kaltstart in Corona

Ende Juli 2020 wurde Irene Fuhrmann nach dem Wechsel von Vorgänger Dominik Thalhammer zum LASK von der Co-Trainerin zur Teamchefin befördert, also mitten im ersten Corona-Sommer. Viel Zeit ging für die komplizierte Anreise inklusive Covid-Tests drauf, dazu gab es die ständige Möglichkeit, nach positiven Tests kurzfristige Ausfälle verkraften zu müssen. Einmal musste etwa die komplette dreiköpfige Abordnung von Sturm Graz fernbleiben, weil man als Kontaktpersonen in Quarantäne steckte.

Das erste Spiel war auswärts in Kasachstan und das Ambiente passte. Es roch penetrant nach verbrannten Reifen, von der leeren Haupttribüne aus sah man auf die endlose braune Steppe, die sich außerhalb der Millionenstadt Shymkent erstreckt. Das Sport-Internat dahinter sieht eher aus wie eine sowjetische Militär-Baracke. Österreich gewann mit 5:0, es war das Startelf-Debüt von Marie Höbinger und das Pflichtspiel-Debüt von Laura Wienroither, zwei Namen, welche die Ära Fuhrmann prägen sollten. Andererseits verlor man schon in der 2. Minute Julia Hickelsberger mit einer fürchterlichen Knieverletzung.

„Wir sind dankbar, das professionell ausüben zu können, aber das spielt alles mit“, sagte Fuhrmann im Herbst 2020, „es ist so viel positive Energie da, trotz der Covid-Situation.“ Man war froh, dass die ÖFB-Frauen-Akademie schon relativ früh wieder trainieren durfte, anders als etwa in Deutschland. Österreich ermauerte sich ein 0:0 gegen Frankreich, das war für das EM-Ticket lebensnotwendig. Einem 0:3 in Guingamp folgte ein unendlich mühsames Match gegen Serbien, das erst spät und eher schmeichelhaft 1:0 gewonnen wurde. Das sollte letztlich knapp für das direkte EM-Ticket reichen.

2021: EM-Verschiebung und zähe Phase

Die EM-Verschiebung von 2021 auf 2022 nahm den Zeitdruck ein wenig raus. Man lief im Trainingslager auf Malta in ein 1:6 gegen Schweden, was schlimmer aussah, als es war und gewann gegen die Slowakei mit 1:0, was besser aussah, als es war. Im April 2021 lud Fuhrmann mal ganz viele junge Spielerinnen ein: Lilli Purtscheller, Celina Degen, auch Lara Felix und Julia Kofler; Annabel Schasching und Valentina Kröll fehlten coronabedingt.

„Es gibt mehr Inhalte für die Jungen, dass die sich auf dem Niveau mal messen können, das ist in ihrem Alltag anders“ – was man bei einer damals 18-Jährigen von Abstiegskandidat Wacker Innsbruck auch sah. „Purtscheller muss bei ihrem Klub den Ball schleppen, damit die anderen aufrücken können. Dazu kommt sie hier nicht, weil sie die Zeit am Ball gar nicht kriegt: Andribbeln, Freispielen, Strafraumbesetzung!“ Im Frühjahr 2021 ging der Lilli das alles noch zu schnell, im Herbst 2023 dann nicht mehr.

Es gab ein 2:2 gegen Finnland (nach rascher 2:0-Führung) und zwei Monate später ein 2:3 gegen eine italienische Experimental-Elf mit kaum zwei ernsthaften Startelf-Anwärtern, das eine annähernd in Bestbesetzung angetretene ÖFB-Elf nie verlieren darf. Die sportlich wertlosen ersten Matches in der angelaufenen WM-Qualifikation – 8:1 in Lettland, 6:0 in Nordmazedonien und 5:0 gegen Luxemburg – kann man inhaltlich kaum werten.

Den Auftritt am Nationalfeiertag 2021 in Belfast schon. Österreich presste Nordirland an die Wand, machte aber nur ein Tor. Nach Wiederanpfiff schlug es zweimal in kurzer Zeit ein – ein Konter und ein Freistoß – und die Nordirinnen zogen das Spiel auf ihr Niveau runter, nahmen Österreich den Rhythmus. Steffi Enzinger glich in der Nachspielzeit zumindest zum 2:2 aus.

Das Jahr 2021 – das mit einem braven Auftritt in Sunderland beim 0:1 in England und einem gebrochenen Schien- und Wadenbein von Gini Kirchberger beim 8:0 in Luxemburg endete – war bestenfalls durchwachsen. Das Fallobst sammelte man mühelos ein, aber bei den Auftritten gegen vernünftige Mannschaften war nicht viel Vergnügliches dabei.

2022: Höhenflug und Tiefschlag

Viel inhaltliche Arbeit war in der Corona-Zeit nicht möglich gewesen. Man behalf sich mit viel online vermittelter Theorie (Fuhrmann: „Die sind taktisch einiges gewöhnt, die können das zur Not auch auf diesem Wege aufnehmen“), die dann in der kurzen gemeinsamen Trainingszeit ohne lange Erklärungen umgesetzt werden sollte.

Beim Trainingslager in Spanien im Februar 2022 war gegenüber dem zähen Vorjahr eine dramatische Steigerung zu erkennen. Rumänien (6:1) und die Schweiz (3:0) waren dem erbarmungslosen Angriffspressing in keinster Weise gewachsen, Fuhrmann imponierte vor allem die Nachdrücklichkeit, mit der diese Spielweise in den beiden Tests in Marbella auch bei klarer Führung durchgezogen wurde. „Das war in aller Konsequenz wohl das Beste, was wir seit Jahren gespielt haben“, schwärmte die Teamchefin.

Im Sturmregen von Wr. Neustadt erarbeitete sich das Team danach ein 3:1 gegen Nordirland, womit Platz zwei in der Quali-Gruppe und damit das Playoff-Turnier für die erstmalige WM-Teilnahme nervenschonenderweise schon vor der verschobenen EM eingetütet war. Nur: Wie gut war Österreich wirklich? Das 8:0 gegen Lettland und ein 4:0 gegen Montenegro gaben darüber nicht wirklich Aufschluss. Solide Leistungen bei Testspielen gegen Dänemark (1:2) und in Belgien (1:0) deuteten an: Das wird schon passen.

Und wie es dann passte.

Vor 68.000 Zusehern im Old Trafford sah der Auftritt von Österreich so ähnlich aus wie neun Monate zuvor in Sunderland: Sehr solide, zuweilen unangenehm für die Lionesses, nach vorne relativ harmlos, aber defensiv auch nicht viel zugelassen. Es gab wieder eine 0:1-Niederlage, aber allenthalben Lob, zuweilen auch in Form geharnischter Kritik an den englischen Gastgeberinnen formuliert.

Mit einem weiteren Arbeitssieg gegen Nordirland (2:0) hatte man das erste Ziel erreicht, nämlich mit einer Chance auf das erneute Erreichen der K.o.-Runde in das letzte Gruppenspiel gegen Norwegen zu gehen. Dank des historischen 0:8-Debakels von Norwegen zuvor gegen England hätte Österreich sogar schon ein Unentschieden gereicht, darauf hatte man aber keine Lust. „Wie die Monster zertrampelten sie den letzten Rest norwegischen Stolzes unter einer nicht enden wollenden Kaskade von Angriffs- und Gegenpressing. Bei Norwegen haben sie Spielerinnen von Olympique Lyon, dem FC Barcelona und von Chelsea, aber klein wurden sie, ganz klein“, formulierten wir es an dieser Stelle.

Es war wohl das beste Spiel, das jemals ein österreichisches Frauen-Nationalteam auf den Rasen gezaubert hat, vor allem die erste Halbzeit. Einige Tage später hielt man das Viertelfinale gegen Deutschland trotz frühen Rückstandes zumindest 60 bis 70 Minuten lang offen und bereitete den DFB-Frauen einiges an Kopfschmerzen, bis die längere Bank das Pendel in die deutsche Richtung kippen ließ, in der Nachspielzeit schluckte man noch eher blöd das 0:2, aber es machte keinen echten Unterschied mehr.

Diese zwei Wochen in England waren der Höhepunkt der Ära Fuhrmann.

Die Resonanz war groß, das Stadion in Wr. Neustadt für das folgende WM-Quali-Heimspiel gegen England (0:2) deutlich zu klein – die Bilder von der benachbarten Wasserrutsche, von der aus einige Kiddies zuschauten, gingen um die Frauenfußball-Welt, begleitet mit Aufforderungen, man solle sich bitte angemessen schämen. Für das 10:0 gegen Mazedonien war die Anlage dann aber doch ausreichend.

Den EM-Schwung wollte man ins WM-Playoff mitnehmen, das Los meinte es nicht so schlecht mit Österreich – Schottland auswärts und Irland daheim sollte man schon bezwingen, wenn man zu einer WM will. Im schottischen Mistwetter von Glasgow ging aber 120 Minuten lang nichts für Österreich. 0:1 nach Verlängerung, der Horror von Hampden bedeutete einen schmerzhaften Schlag in die Magengrube.

Unmittelbar nach der EM hatten Viktoria Schnaderbeck und Lisa Makas das Ende ihrer Karrieren erklärt, einige Monate später auch Carina Wenninger (wiewohl diese nach einem Jahr Auszeit nun doch wieder spielt). Nach dem WM-Aus war eine ganze Saison da, um sich für die neue Nations League vorzubereiten – man startete im November mit einem 1:0-Sieg in Italien und einem 3:0 gegen widerstandslose Slowakinnen.

2023: Königinnen des Comebacks

Im Februar-Trainingslager auf Malta gab es dann den ersten großen Auftritt von Eileen Campbell. Die Vorarlbergerin mit nordirischer Mama sorgte im ersten von zwei Testspielen gegen die Niederlande für den späten Ausgleich, ehe Sarah Zadrazil in der Nachspielzeit sogar zum 2:1-Sieg treffen sollte. Vier Tage später gab es gegen den selben Gegner ein 0:4 und einige Wochen später lag man auch gegen Belgien nach zwei wunderlichen Gegentoren schon 0:2 im Rückstand – Österreich gewann aber dank Treffern in den Minuten 78, 84 und 90 noch 3:2.

Comebacks sollten ein bestimmendes Element von 2023 werden.

Beim Purtscheller-Debüt im April gewann Österreich 2:0 gegen Tschechien, es folgte ein ordentliches Spiel und ein Nachspielzeit-Gegentor beim 0:1 gegen Island, ehe die Nations League startete. In Oslo lief man der Musik eine Halbzeit lang eher hilflos hinterher, lag aber „nur“ 0:1 im Rückstand. Es folgte eine stark verbesserte zweite Hälfte, in der Campbell zum 1:1-Endstand traf. Dann, beim Rekordspiel im Stadion der Wiener Austria, waren erstmals über 10.000 Zuseher bei einem Frauen-Spiel in Österreich dabei, sie sahen eine frühe französische Führung und eine stark verbesserte zweite Hälfte der ÖFB-Frauen.

Dem 0:1 gegen Frankreich folgte eine hilflose erste Halbzeit in Altach gegen Portugal, ehe eine stark verbesserte zweite Hälfte folgte, in der ein Doppelschlag den 2:1-Sieg sicherte. „Ich will eigentlich gar nimmer wirklich was dazu sagen“, war Verena Hanshaw da die ständigen Fragen schon ein wenig leid, warum man immer eine Halbzeit brauche, um in Fahrt zu kommen. In Portugal war das Team dann sofort da, belohnte sich zwar nicht gleich, erarbeitete sich aber einen weiteren 2:1-Sieg – damit war der Klassenerhalt in der Leistungsgruppe A im Grunde fix.

Der mutige Auftritt in Frankreich Anfang Dezember machte durchaus Laune, auch wenn der spätere NL-Finalist doch zu einem zu hohen 3:0-Erfolg kam. Wie anderthalb Jahre zuvor hätte damit ein Remis gegen Norwegen zum zweiten Platz gereicht, wie anderthalb Jahre zuvor hatte Österreich darauf aber keine Lust. Angeführt von einer entfesselten Lilli Purtscheller ließen die ÖFB-Frauen die namhaften Konkurrentinnen bei klirrenden Minusgraden in der ziemlich schütter besuchten NV-Arena von St. Pölten aussehen wie plumpe Baumstämme. Norwegen kam nur zu einem bedeutungslosen Tor in der Nachspielzeit, Österreich gewann 2:1, „mia san verdammte Scheiße zweiter Platz“.

Die Systemumstellung von 4-3-3 auf 4-4-1-1 im Herbst hatte gegriffen. Höbinger, Campbell und Purtscheller wurden zunehmend zu tragenden Säulen, mit Georgieva und Degen gab es eine neue, verjüngte Innenverteidigung. Das Team sah bei sich Fortschritte im Ballbesitzspiel durch die vielen starken Gegner und es zeigte sich als mental sehr widerstandsfähig. Nur die Probleme auf der rechten Seite nach dem Kreuzbandriss von Laura Wienroither sorgten für Kopfschmerzen. Man startete aber mit großer Zuversicht in die EM-Quali.

2024: Stagnation, Rückfall, das Aus

Zurecht, diesen Eindruck vermittelte zumindest die erste halbe Stunde im Heimspiel gegen Deutschland in Linz. Schnell führte Österreich da 2:0, hetzte verunsicherte Deutsche in Fehler. Horst Hrubesch beruhigte sein Team in der Halbzeit, es glich aus und ein geschenkter Elfmeter brachte sogar den deutschen 3:2-Sieg. Vier Tage später zeigte Österreich in Polen großen Respekt vor den über die schnelle Ewa Pajor gespielten Konter, kam aber zu einem 3:1-Arbeitssieg.

Andererseits hatte Österreich bereits vor dem Quali-Start im Trainingslager eine neue Defensiv-Strategie ausprobiert, Gegnerorientierungen mit Übergabe der Deckungs-Aufgaben, um mehr Spielerinnen nach vorne bringen zu können, auf Kosten der defensiven Absicherung. Es ging spektakulär schief, 2:7 gegen England, noch in der Nachspielzeit lief ein weit aufgerücktes Österreich in zwei Gegentore. Es folgte ein sehr wackeliges Spiel gegen Dänemark mit einem schmeichelhaften 1:1.

Wo lag die Wahrheit im Frühjahr 2024?

Die beiden Spiele gegen Island würden über Gruppenplatz zwei und das direkte EM-Ticket entscheiden, das war schon vorher abzusehen. In Ried lähmte Island den österreichischen Aufbau, es war mühsam, nach dem 1:0 per Elfmeter nach einer halben Stunde schien man aber auf Schiene. Im Bemühen, den knappen Sieg zu verwalten, bekam der Gegner in der 75. Minute einen Elfmeter geschenkt, das Ergebnis von 1:1 war über das Spiel gesehen für Island aber mindestens verdient. Österreich redete sich gut zu, das wird schon in Reykjavík, wir holen die drei Punkte dort nach.

Doch auf den nordatlantischen Wind reagierte man überhaupt nicht. Erst bekamen hohe Bälle im Rückenwind ein Eigenleben, dann konnte man mit Gegenwind und unter Gegnerdruck nicht mehr hinten rausspielen. Am Ende stand es 1:2, aber es war ein inhaltliches Debakel und das Ergebnis war noch der erfreulichste Aspekt daran. Erwin Hujecek und Lisi Tieber waren sichtlich erschüttert, als sie im TV-Studio danach mit leerem Blick diese Katastrophen-Leistung einzuordnen versuchten. Das Direkt-Ticket war verspielt, man beendete die Gruppe nach einem sehr soliden 3:1 daheim gegen Polen und einem ziemlich naiven 0:4 in Deutschland als Dritter.

Jeglicher personeller Mut war in diesem Jahr aus der sportlichen Leitung gewichen, von einzelnen Verletzungen abgesehen spielte immer die selbe Mannschaft. Selbst, als nach dem glanzlosen 3:0-Arbeitssieg in Slowenien die Möglichkeit zur Rotation da gewesen wäre, wurde das nicht gemacht. Ein Jahr davor sind fast alle Spielerinnen auch in ihren Vereinen auf einer Erfolgswelle geschwommen, nun kämpften fast alle gegen Formdellen. Es gab im Rückspiel ein 2:1 gegen Slowenien, Pflicht erfüllt, zufrieden war aber keiner.

Das Jahr war geprägt von vielen Fehlpässen im Aufbau, kaum herausgespielten Chancen, inhaltlicher wie personeller Stagnation. Vor dem Island-Rückspiel gab man sich übertrieben überzeugt von sich selbst, nach den Slowenien-Spielen war die ernüchterte Erkenntnis aber längt manifest, dass man große Probleme hatte. Polen – ein vernünftiges, aber weiß Gott nicht angsteinflößendes Team, das zuvor in der A-Leistungsgruppe der EM-Quali alle sechs Spiele verloren hatte – wurde zum gefährlichen Kontrahenten hochgeredet.

Was kam, wissen wir: Man bekam nie Tempo ins eigene Spiel, die Strafraumbesetzung war zu dünn, die spielerischen Lösungen kaum da und als die Polinnen merkte, dass sie nichts zu befürchten hatten, wurden sie mutiger und gewannen das Hinspiel in Danzig verdient mit 1:0. Vier Tage später in Wien war bei Österreich viel Wille da, aber kaum spielerische Struktur. Man arbeitete sich an Polen ab, kam zu einigen Abschlüssen, wirklich gefährlich waren die wenigsten. In der Nachspielzeit traf Polen sogar noch, gewann auch das Auswärtsspiel mit 1:0.

Es war das letzte Spiel unter der Leitung von Irene Fuhrmann.

Numerische und ideelle Bilanz

In den 53 Spielen stehen insgesamt 33 Siege und 19 Niederlagen zu Buche. Gegen im FIFA-Ranking höher klassierte Teams gab es sechs Erfolge in 26 Spielen (zweimal gegen Norwegen, je einmal gegen die Niederlande, Italien, Belgien und die Schweiz). In Matches gegen schwächer klassierte Mannschaften gab es 22 Siege in 27 Spielen, dazu zwei Remis und drei Niederlagen – davon eine nach Verlängerung (in Schottland) und zwei in regulärer Spielzeit. Das waren genau die letzten beiden, jene gegen Polen.

Eine gewisse Schwäche in Playoff-Spielen lässt sich also nur schwer dementieren.

Irene Fuhrmann wird immer die erste Frau bleiben, die das Team hauptamtlich betreut hat. Die schönen Erfolge bei der EM 2022 und in der Nations League 2023 kann ihr keiner nehmen, sie hat weite Teile des Generationswechsels moderiert, lange ohne an sportlicher Potenz einzubüßen. Das ist ihr hoch anzurechnen. Sie stand wesentlich mehr im medialen Fokus als Dominik Thalhammer vor ihr, zum einen durch ihr Dasein als Frau, zum anderen aber auch, weil Thalhammer lange quasi im Verborgenen werken hatte können, mehr oder minder unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Das war Fuhrmann nicht möglich. Unterlief Thalhammer bzw. den von ihm betreuten Spielerinnen Fehler, bekam das zumindest vor 2017 praktisch niemand mit, der nicht auf Ballverliebt davon gelesen hat. Nur von einem einzigen der 53 Fuhrmann-Spiele gab es keine ORF-Übertragung (das war jenes in Kasachstan im September 2020), 31 wurden auf ORF Sport plus gezeigt, 19 auf ORF1 und zwei in der ORF TVThek.

Zum Vergleich: Von den ersten 50 Thalhammer-Spielen wurden sieben auf ORF Sport plus gezeigt, eines im ÖFB-Stream und 42 gar nicht.

Mit größerer medialer Präsenz vergrößert sich auch das Ausmaß, in dem man öffentlicher Kritik ausgesetzt ist. Unter Thalhammer hat lange niemand etwas von den ÖFB-Frauen erwartet, die Erfolge von 2017 und letztlich auch von 2022 haben die Erwartungshaltung entsprechend steigen lassen – auch zurecht. Verpasst man ein hoch gestecktes Ziel (WM-Teilnahme) aufgrund eines einzelnen schlechten Spiels, lässt sich das wegmoderieren.

Verpasst man hingegen die EM-Teilnahme, die längst gemeinhin als Mindestziel angesehen wird – auch von ehemaligen Spielerinnen wie Viktoria Schnaderbeck und Lisa Makas durchaus öffentlich formuliert – fällt das schwerer, zumal dieser Misserfolg eben nicht aus dem Nichts kam.

Die Geometrie des Spiels ging verloren

„Die Spielerinnen lernen, selbstständig Dreiecke zu bilden und nicht nur eingeübte Passwege zu stellen. Das ist ein großer, weiterer Schritt in Richtung Flexibilität und Systemunabhängigkeit!“ Dies sagte Dominik Thalhammer im Herbst 2019.

Solange man unter Fuhrmann gegen starke Teams pressen konnte, sah man gut aus, aber mit dem Ball ging immer weniger weiter. Das war 2020/21 etwa gegen Serbien oder Finnland oder Nordirland zu sehen, machte in der Folge aber wenig aus, weil man entweder gegen wirklich namhafte Mannschaften spielte, wo die ÖFB-Frauen ohnehin nicht selbst gestalten mussten – oder, wie in der WM-Quali, gegen heillos unterlegene.

2024 aber, da hießen die Kontrahenten Island, Polen, Slowenien und wiederum Polen – gutklassige bis vernünftige Teams ohne Ambition, selbst zu gestalten. Da wurde die vernachlässigte Kunst der Spielgestaltung offenkundig. Man baute ein wenig aneinander vorbei auf, das Spiel ohne Ball war ungenügend, die Ballführende war immer ein wenig auf sich alleine gestellt. Die Geometrie des Spiels ist verloren gegangen – und damit Irene Fuhrmanns Argumente zum Weitermachen. Ihre Nachfolge soll bis Jänner geklärt sein, heißt es seitens des ÖFB. Angesichts des für sich gesehen aus dem Nichts kommenden Rücktritts von Liése Brancão als langjährige Trainerin von Serienmeister SKN St. Pölten darf zumindest vermutet werden, dass die Entscheidung intern bereits gefallen ist.

Einsätze und Tore unter Irene Fuhrmann

Einsätze: Dunst 53, Puntigam 51, Hanshaw 47, Zadrazil 47, Billa 46, Feiersinger 45, Zinsberger 43, Höbinger 42, Georgieva 41, Naschenweng 35, Kirchberger 34, Wienroither 34, Wenninger 31, Hickelsberger 26, Campbell 22, Schasching 22, Kolb 21, Schiechtl 21, Degen 20, Pinther 19, Purtscheller 18, Enzinger 16, Makas 13, Wienerroither 11, Plattner 10, Eder 9, Schnaderbeck 9, Kresche 6, Klein 5, Pal 5, Wenger 5, Magerl 3, Croatto 2, Felix 2, Weilharter 2, Krammer 1, Leitner 1, Mayr 1.

Tore: Billa 20, Dunst 11, Campbell, Puntigam 9, Höbinger 7, Naschenweng 6, Enzinger, Feiersinger 5, Kirchberger, Plattner, Schiechtl, Zadrazil 4, Degen, Hanshaw, Wenninger 3, Hickelsberger, Purtscheller, Schasching, Wienerroither, Wienroither 2, Kolb, Magerl, Makas, Pinther 1.

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Oliwia Woś: „Wir waren einfach… zu positiv!“ https://ballverliebt.eu/2024/12/06/oliwia-wos-wir-waren-einfach-zu-positiv/ https://ballverliebt.eu/2024/12/06/oliwia-wos-wir-waren-einfach-zu-positiv/#respond Fri, 06 Dec 2024 13:34:12 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20954 Oliwia Woś: „Wir waren einfach… zu positiv!“ weiterlesen ]]> Von den 22 Spielerinnen, die bei den beiden Playoff-Spielen zur Frauen-EM zwischen Polen und Österreich in den Startformationen gestanden sind, spielte keine einzige ihren Liga-Fußball in Polen und nur eine in Österreich. Dafür zwei in Italien, je drei in Spanien, Frankreich und England – und acht in Deutschland.

Und zwei sind sogar in Deutschland aufgewachsen: Polens Sechser Tanja Pawollek, die aus dem Frankfurter Umland kommt – und die polnische Innenverteidigerin Oliwia Woś. Sie ist in Olesno in Oberschlesien geboren, aber in Witten aufgewachsen, dort wo auch Alexandra Popp herkommt, zwischen Essen und Dortmund. Ein Ruhrpott-Kind.

Dank ihr ist Witten auch nach dem Ende der Nationalteam-Karriere von Popp bei der kommenden EM vertreten. Ballverliebt hat sich nach der überraschend geschafften Qualifikation gegen Österreich mit der 1,82 Meter großen und 25 Jahre alten Woś – die nach ihrem Studium der Liberal Arts & Sciences an der University of Indiana 2022 zum FC Zürich gegangen ist, nun beim FC Basel unter Trainerin Kim Kulig spielt – unterhalten.

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Oliwia Woś (@oliwiawos)

Aus der Kabine hört’s man ja lautstark, bei euch ist Party angesagt. Was bedeutet die erstmalige EM-Teilnahme für den Frauenfußball in Polen?

Für uns ist das enorm. Wir konnten nur träumen, aber wir haben so doll geträumt, dass es irgendwann wahr wurde. Das ist einfach krass.

Du bist nach dem Spiel im Kabinengang gestanden, hast Marie Höbinger und Viktoria Pinther getröstet…

Wir haben alle zusammen Fußball gespielt in Zürich, ich, Viki und Marie. Als klar wurde, dass wir gegeneinander spielen und dass das ein All-In-Spiel ist, haben wir uns direkt gesagt: „So das ist eigentlich voll Scheiße, dass es entweder oder wird“, und wir nicht alle zur EM können. Aber ja, am Ende isses Fußball und, keine Ahnung… ich liebe die beiden über alles. Wir haben unseren Special Bond und der wird auch nicht weggehen und ich glaube, am Ende des Tages, ist das halt Fußball.

Nach dem 1:3 gegen Österreich im Frühjahr 2024 hat eure Trainerin Nina Patalon gesagt: Wir können über Phasen mithalten, zahlen aber den Preis dafür, dass Österreich auf diesem Niveau routinierter ist. Davon war jetzt nichts mehr zu sehen. Wie ging das?

Ich weiß nicht, was passiert ist. Vielleicht hat es die Situation des K.o.-Spiels ausgemacht. Bei uns hat man schon gespürt, dass wir auf jeden Fall bei der EM dabei sein können. Wir haben unsere Zeit gebraucht und wir haben alle so sehr gehofft dass es wir sind und… ja, jetzt sind es einfach wir. Und ich glaub wir waren einfach… zu positiv!

Zu positiv? Das muss ich mir merken.

Ja, zu positiv ist einfach das geilste was es gibt… ich bin einfach happy.

Das Spiel hier in Wien hat sich phasenweise angefühlt wie ein polnisches Heimspiel, oder?

Für mich ja. Unsere Fans, das ist wirklich unglaublich. Auch in Gdańsk beim Hinspiel, wie sie da 7.000 zusammen bekommen haben und einfach gesungen haben und mitgefiebert. Das zeigt schon auch diese Breite, die jetzt auch langsam in Polen kommt.

Und ihr seid jetzt dann auch sichtbar in Polen, bei der EM, das kann ja auch einen Schub geben, das die Mädels sehen: Das ist nicht nur Deutschland und USA, Frauenfußball geht in Polen auch.

Wir sind – wenn es um die Liga geht – nicht da wo andere Ligen sind, da sind wir schon hinten. Aber der Weg von uns Spielerinnen beim Nationalteam, die wir in Deutschland oder in Frankreich oder Spanien spielen zeigt doch, dass wir es können. Wir haben Ewa Pajor in Barcelona, eine unglaubliche Spielerin einfach. Wir haben eine super Keeperin, Kinga Szimek, generell einen super Kader. Und auch die jungen Spielerinnen, die gehen jetzt immer mehr ins Ausland und das ist einfach geil. Und das macht uns auch happy, dass wir nicht nur mit einer starken Elf spielen können, sondern auch elf dahinter, wir können auch wechseln.

Und das ist ja oft der Unterschied – wie bei Slowenien, die mit Österreich jeweils eine Stunde mithalten haben können, aber von der Bank nicht mehr die Qualität nachkommen konnte.

Stimmt, wir haben Konkurrenzkampf bis zum Ende auf jeder Position und das ist krass zu sehen. Und das ist geil, de dadurch werde auch ich ja besser, weißt du? Ich hab ’ne Paulina Dudek noch in der Verteidigung, eine der geilsten Spielerinnen die es gibt!

Und du spielst Innenverteidigung mit einer 17-Jährigen vom FC Barcelona, Emilia Szymczak.

Ja genau! Was gibt es besseres? Deswegen freu ich mich enorm auf dieses Kapitel mit Polen.

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Playoff-Pleite gegen Polen: Mia san verdammte Scheiße net dabei https://ballverliebt.eu/2024/12/05/playoff-pleite-polen-fuhrmann-osterreich-frauen/ https://ballverliebt.eu/2024/12/05/playoff-pleite-polen-fuhrmann-osterreich-frauen/#comments Thu, 05 Dec 2024 14:19:59 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20889 Playoff-Pleite gegen Polen: Mia san verdammte Scheiße net dabei weiterlesen ]]> Glasige Augen, wohin Oliwia Woś am Eingang des Spielertunnels auch blickte. Die über 1,80m große polnische Innenverteidigerin verteile Umarmungen – an Marie Höbinger und Viktoria Pinther, mit denen sie beim FC Zürich gemeinsam Schweizermeister geworden war. Und an Tanja Pawollek, ihre eigene Teamkollegin, die Rotz und Wasser heulte – völlig überwältigt davon, dass sich Polen erstmals für eine Frauen-EM qualifiziert hatte.

Und Österreich? Vor fast auf den Tag genau einem Jahr gab Manuela Zinsberger feixend den Satz „Mir san verdammte Scheiße zweiter Platz“ zu Protokoll, nachdem Österreich eben diesen mit einem 2:1 gegen Norwegen in der Nations-League-Gruppe fixiert hatte. The future was looking bright, doch mit Blick auf die EM gilt nach den beiden 0:1-Niederlagen im entscheidenden Playoff-Duell gegen Polen: Mia san verdammte Scheiße net dabei.

Wirklich schlechte Karten?

Das Kartenspiel „Cabo“ ist eine Mischung aus Strategie- und Glücksspiel, darin dem Fußball nicht ganz unähnlich. Es geht darum, seine vier Karten – von denen man zu Beginn allerdings nur zwei kennt – reihum so lange mit Karten vom Deck zu tauschen, bis man glaubt, einen Vorteil gegenüber den Gegnern zu haben. Jeder kann jederzeit die Spielrunde für beendet erklären, wenn dann tatsächlich die optimalen Karten hat, gewinnt. Dieses Spiel steht bei den ÖFB-Frauen gerade hoch im Kurs.

Im Fußball ist ein Match erst aus, wenn es aus ist. Aber Österreich hätte zu keinem Zeitpunkt der 193 Minuten und 30 Sekunden in den beiden Matches gegen Polen „Stop The Count“ (oder eben „Cabo!“) postulieren können, hätten sie es dürfen, um mit dem bestehenden Ergebnis zur EM in die Schweiz zu fahren.

Teamchefin Irene Fuhrmann hatte wiederholt über den Modus gestöhnt, dass es ein ziemlich enger Flaschenhals für die Direktqualifikation war (acht Teams) und sich alle anderen durch zwei Playoff-Runden quälen mussten. Nur: In der Qualifikation für die EM 2022 war es zwingend notwendig, einen Punkt gegen Frankreich zu holen UND alle anderen Spiele zu gewinnen, um gerade noch eines der damals zwölf Fix-Tickets zu ergattern. Nun brauchte es Siege gegen, bei allem Respekt, Slowenien und Polen.

Ist das wirklich schwieriger? Hat Österreich tatsächlich schlechte Handkarten gezogen?

Das 0:1 in Danzig

Wie schon beim 3:1 gegen Polen in Altach im Juli wurde beim Hinspiel in der Danziger EM-Arena versucht, die Flügelspielerinnen steil zu schicken. Damals war es gut gelungen, Dunst und Purtscheller zu finden und diese ihre Vorteile in Eins-gegen-Eins-Situationen ausspielen zu lassen. Das gelang in Danzig nur bedingt: Auch wenn man Dunst durch die Schnittstelle zwischen Zieniewicz und dem bei Barcelona ausgebildeten Abwehr-Talent Szymczak immer wieder fand, oft spielte sich Dunst fest.

An Purtscheller auf der rechten Angriffsseite lief das Spiel komplett vorbei, Schasching bemühte sich, war auf ungewohnter Position als RV aber längst nicht so reibungslos eingebunden wie noch in den Spielen gegen Slowenien. Durch das von Achcińska, Kamczyk und Pawollek verdichtete Zentrum gab es keinen Weg nach vorne; Marie Höbinger musste sich viel fallen lassen oder ausweichen. Die Strafraumbesetzung war unzureichend, Passoptionen mit Tempoverschleppung verbunden. „Es lag auch an den Bewegungen ohne Ball“, erkannte Fuhrmann: „Welches Angebot geben wir unserer Mitspielerin mit Ball?“

Im Rückwärtsgang konnte man zwei gute polnische Chancen nicht verhindern, aber im Ganzen hielt man Pajor gut aus dem Spiel heraus und potenzielle Kontersituationen wurden durch das österreichische Gegenpressing zumeist neutralisiert. Die erste Hälfte in Danzig war nicht besonders anregend, doch das 0:0 stellte einen akzeptablen Zwischenstand dar. Nach dem Seitenwechsel degenerierte das österreichische Spiel aber rasch. Was war geschehen?

Polen übernimmt das Ruder

Polen hatte Puntigam und Zadrazil vor der Pause die konstruktiven Passoptionen genommen, das österreichische Mittelfeld-Zentrum selbst aber noch weitgehend in Ruhe gelassen. In der zweiten Halbzeit nahmen Kamczyk und Achcińska das routinierte Duo im Mittelkreis in Manndeckung. Statt selbst Gegnerdruck ausüben zu können, sah sich Österreich diesem nun selbst ausgesetzt, der letzte Rest von Konstruktivität entwich.

Wer immer am Ball war, hatte sofort zwei Polinnen auf den Zehen stehen; Georgieva produzierte vermehrt Fehlpässe, auch Kirchberger wirkte zunehmend gehetzt. Schasching bewahrte noch am ehesten die Ruhe, entschärfte mit guter Positionierung ihres Körpers im Zweikampf die eine oder andere Situation. Es wäre auch in der 57. Minute hilfreich gewesen, wenn entweder Zadrazil, Kirchberger oder Höbinger die nach einem Puntigam-Fehlpass enteilende Kamczyk am Mittelkreis entschärft hätte, anstatt mitzulaufen. So konnte Kamczyk ungehindert den Steilpass auf Pajor spielen, die auf Padillla querlegte. Georgievas Rettungsversuch vor der Linie kam zu spät.

In der Folge rückte die österreichische Abwehlinie auf, Polen ging Passempfängerinnen an – ein solcher Fehlpass in der Spieleröffnung der weit aufrerückten Kirchberger resultierte in der 65. Minute in einem Gegenstoß über Pajor, die nur die Stange traf. So blieb Österreich am Leben, warf in der Schlussphase alles nach vorne, aber ein durchschlagender Abschluss war nicht mehr dabei.

Das 0:1 in Wien

„Mehr Aktivität, mehr Überzeugung“, forderte Furhmann vor dem Rückspiel. Nach einer wackeligen Startphase – in der Padilla und Kamczyk in der 8. Minute die polnische Führung auf dem Fuß gehabt haben, aber an Zinsberger scheiterten – war die Aktivität absolut da. Polen stand relativ tief, verstand es aber nicht, zwischen den Linien zuzumachen. Marie Höbinger machte sich dort oft anspielbar und hatte dann Zeit, sich schnell aufzudrehen. Gleichzeitig waren sie und Eileen Campbell extrem fleißig im Anlaufen, sie unterbanden einen geregelten Aufbau bei den spielerisch ohnehin limitierten Polinnen vollends. Im Kampf um zweite Bälle hatte Österreich zumeist die Nase vorne.

Und doch: Echte Torchancen gab es nicht besonders viele. Fuhrmann machte dafür vor allem die Entscheidungsfindung als Problemfeld aus: „Wenn wir den Ball hinter die Kette spielen können, oder scharf an die erste Stange – dann spielen wir den Ball nicht. Oder: Wie spielen ihn, dort ist aber keine Abnehmerin für den Pass. Oder: Der Pass ist nicht gut genug. An diesen drei Dingen hat es meiner Meinung nach gelegen.“

Das heißt aber eben auch: Da waren im Angriffsdrittel nicht alle mit dem selben Playbook unterwegs.

Bemüht, aber struktur- und kopflos

Gegen Ende der ersten Halbzeit knickte Barbara Dunst das Knie weg, das Kreuzband ist gerissen, das Jahr 2025 für die Flügelspielerin von Eintracht Frankfurt vermutlich verloren. Statt ihr kam Julia Hickelsberger, an der grundsätzlichen Gemengelage änderte sich aber nichts: Man versuchte ohne Dunst noch mehr, eher mit „Irgendwie“ als mit durchdachtem Spiel, die Kugel ins Angriffsdrittel zu bekommen – auf Höbi zum Weiterleiten, auf Purtscheller zum Leute ausdribbeln, auf Hickelsberger, wenn da drüben mal ein bisschen Raum war.

Polen sprintete situativ mal dazwischen, die ballführende Österreicherin an, zumeist aber war Absorbieren des Druckes angesagt. Die ÖFB-Frauen versuchten es, wollten, taten, arbeiteten. Aber es fehlte die Klarheit in den Aktionen, die Laufwege, aufeinander abgestimmtes Verhalten. Viel Kopf durch die Wand. Wenig, womit man Kinga Szemik im polnischen Tor wirklich prüfen konnte. Und dann, tief in der Nachspielzeit, fiel das Tor – aber nicht vorne zur Verlängerung, sondern hinten zur Entscheidung.

Ein Ballverlust bei einem Einwurf am eigenen Sechzehner, Pajor sagte Danke, das war’s. „Czas na nasza historię“, stand auf den polischen T-Shirts zum Erfolg, „Zeit für unsere Geschichte“. Jene bei der EM 2025 in der Schweiz wird ohne Österreich geschrieben werden.

Und jetzt? Ursachenforschung ist angesagt

Vor zwei Jahren haben die ÖFB-Frauen eine mögliche WM-Teilnahme in der ersten der zwei europäischen Playoff-Runden in Schottland versenkt. Aber 2022 war ein starkes Jahr – es gab überragende Matches gegen die Schweiz (3:0) und Rumänien (6:1), Siege gegen Nordirland in WM-Quali (3:1) und EM-Gruppenphase (2:0) und natürlich das geniale 1:0 im Spiel um den EM-Viertelfinaleinzug gegen Norwegen. Nach dem Horror von Hampden kam man zu einem verdienten Auswärtssieg in Italien.

Glasgow konnte man als Ausrutscher abtun, ohne die Chance, es im Rückspiel auszubügeln, weil es keines gab. Den Dämpfer von Danzig und die verpasste Wende von Wien nicht. Hier kulminierte viel Negativ-Entwicklung hinein.

Fortschritte im Ballbesitz?

„Wir wissen, dass wir es besser können, aber wir müssen es auch auf den Platz bringen“, hatte Fuhrmann vor dem Rückspiel gesagt. Aber: Wie oft in den letzten neun Monaten gelang das? Die erste halbe Stunde in Linz gegen Deutschland war richtig stark, das Heimspiel gegen Polen im Juli war solide und erwachsen. Aber die Spiele gegen Island waren ernüchternd (daheim) bzw. richtig schlecht (auswärts), in Deutschland war man naiv. Gegen Slowenien war viel Krampf dabei, der Gegner aber zu schwach, um es nützen.

Vor einem Jahr konstatierte man, in der Nations-League-Gruppe Fortschritte im Ballbesitz gemacht zu haben. Wo waren die hin? Die hohe Fehlpassquote im Aufbau zog sich wie ein roter Faden durch 2024, damit tat man sich schwer, konstruktiv ins Angriffsdrittel zu kommen.

In diesem Jahr gab es 18 Tore, davon resultierten vier aus Elfmetern, vier aus Standards und zwei aus schweren individuellen Schnitzern der Gegner, dazu bekam man ein Eigentor vom Gegner geschenkt. Es gab ein Weitschusstor, zwei aus Pressing-Ballgewinnen im Angriffsdrittel, einen Konter – und drei herausgespielte Treffer, wovon einer wahrscheinlich gar kein Tor war (das zwischenzeitliche 2:1 in Polen im Frühjahr, wo der Ball die Linie vermutlich nicht überquert hatte).

Nach großen Fortschritten im Ballbesitz sieht diese Bilanz ja eher nicht aus.

Formschwächen und Verletzungen – ja, eh

Vor einem Jahr schwammen viele Österreicherinnen auf einer Form-Welle, jetzt nicht. Eileen Campbell agiert als hängende Spitze im 4-4-1-1 von Freiburg in diesem Herbst bemüht, aber unglücklich und Annabel Schasching muss im Zentrum die Arbeit für drei Leute verrichten. Beim 1. FC Köln, nach zehn Spielen sieglos Vorletzter, ist Celina Degen zwar Kapitänin, aber oft verletzt. Laura Feiersinger schwimmt unauffällig im Mittelfeld-Zentrum mit, Billa kann sich nicht in Szene setzen. Essen regressiert mit Lilli Purtscheller nach der starken Vorsaison wieder zur Mitte, hat seit fünf Spielen kein Tor mehr erzielt. Dazu kommt die Kreuzband-Verletzung von Bayern-Linksverteidigerin Katharina Naschenweng, welche die Optionen auf den Flügeln ziemlich minimiert.

Bei Arsenal hat Manuela Zinsberger ihren Stammplatz an die niederländische Team-Keeperin Daphne van Domselaar verloren, für Laura Wienroither – die auch 18 Monate nach ihrem Kreuzbandriss nicht ganz sorgenfrei ist – wird es realistischerweise kaum noch einen Weg zurück ins Team geben. In Liverpool ist Marie Höbinger immer noch mit weitem Abstand die beste Torschuss-Vorbereiterin ihres Teams, allerdings mit einem weniger als halb so hohen xA-Wert als in ihrer überragenden letzten Saison. Sarah Puntigam war bei Houston in der NWSL Stammkraft, beendete die Saison (in der Orlando mit Altstar Marta und Stürmerin Barbra Banda das Finale gegen Washington 1:0 gewann) aber als Letzter.

„Jeder Trainer wünscht sich 23 Spielerinnen, die in ihren Klubs Leistungsträger sind und dabei alle top performen“, sagte Fuhrmann nach dem Rückspiel, „das ist derzeit nicht gegeben und das ist ein Puzzleteil von vielen.“

Generationswechsel gebremst, nichts ausprobiert

Der Nations-League-Herbst 2023 war der Praxistest für die Verjüngung, die nach der EM 2022 und dem WM-Playoff-Aus in Schottland eingeleitet wurde. Eileen Campbell hat sich etabliert und Nici Billa aus dem Team gespielt, Lilli Purtscheller machte das im Laufe des Herbstes mit Laura Feiersinger – im entscheidenden Spiel gegen Norwegen war die junge Tirolerin erstmals statt der routinierten Salzburgerin in der Startformation und spielte grandios.

Im Herbst 23 gab es mutige Personalentscheidungen von Fuhrmann. Celina Degen bekam nach einem Horror-Frühjahr mit wenig Spielpraxis in Köln das volle Vertrauen in der Innenverteidigung – und zahlte mit Leistung zurück. Fuhrmann stellte das System um, schob Höbinger von der Acht auf die Position der hängenden Spitze – das funktionierte prächtig, obwohl es eine ganz andere Rolle ist, als sie in im 5-3-2 von Liverpool spielt. „Dort bin ich mehr in die erste Phase des Spielaufbaus involviert, muss das gegnerische Pressing brechen“, erklärt Höbinger, „im Nationalteam steht in meiner Rolle viel mehr das Offensivspiel und die Kontersituationen im Vordergrund, und den Ball nach vorne zu tragen.“

2024 passierte diesbezüglich nichts mehr. Sarah Puntigam spielte ein mäßiges Frühjahr und einen wackeligen Herbst, aber Annabel Schasching – in Freiburg mit großer Verantwortung ausgestattet und sehr gereift – durfte in den zehn Pflichtspielen des Jahres nur zweimal eine zweite Halbzeit im Zentrum spielen, eine davon beim da schon längst kaputten Spiel in Deutschland. Bevor sie im Herbst in den vier Playoff-Matches als RV aushelfen musste, war Schasching niemals in einer Pflichtspiel-Startelf gestanden.

Fuhrmann vollzog nur noch personelle Wechsel, die ihr von äußeren Umständen aufgezwungen wurden. Nach dem Auswärts-3:0 in Slowenien hätte es es im Rückspiel Startelf-Chancen für andere gegeben. Aber „es wäre größte Gefahr zu glauben, mit dem 3:0 wäre eh alles erledigt. Dann kommen wir nicht weiter“, sagte Fuhrmann am Tag vorm Rückspiel.

Lust am Siegen wich der Furcht vorm Misserfolg

Mädl, Ojukwu, D’Angelo und Torhüterin El Sherif aus jenem U-20-Team, das zuvor ins WM-Achtelfinale gekommen war, standen bei den Slowenien-Matches im Aufgebot. Mädl war angeschlagen letztlich nicht matchfit, Ojukwu und D’Angelo schon – ihre Debüts bekam sie aber nicht. Es spielte die volle Einserpanier und die Verteidigerinnen Magerl und Croatto, die unter ihrem neuen Coach in Leipzig vermehrt Minuten bekommen (vor allem Magerl), wurden in der Schlussphase beim Stand von 2:0 eingewechselt. Es wirkte dieses Jahr zunehmend so, als würde Fuhrmanns Gespür für mutige Änderungen vom schieren Ergebnisdruck in die Schranken gewiesen.

Gegner wie Polen (alle sechs Gruppenspiele verloren!) oder Slowenien (letztes Jahr in die 3. Liga der Nations League abgestiegen!), wurden öffentlich unnötig starkgeredet. Es ist glaubhaft, gegen die großen Namen wie Frankreich oder Norwegen die Außenseiterrolle zu betonen und dann frech nach oben zu boxen. Es ist aber kleinmütig, bei Polen und Slowenien nicht zu sagen: Wir sind Österreich, waren 2017, 2022 und 2023 dreimal unter den Top-8 in Europa, es ist selbstverständlich unser Anspruch, unsere Autorität auf diese Kontrahenten auszuüben und wir zeigen denen, wer hier das Sagen hat, nämlich wir. Punkt.

„Ein 2:0 auswärts, das würde ich nehmen“, gab Barbara Dunst vor den Polen-Spielen ihre Ambition preis. Fuhrmann strich hingegen heraus, dass Polen einige Spielerinnen bei richtig guten Klubs hat.

The end of the line?

Die Pressekonferenz am Tag vor dem Polen-Rückspiel war inhaltlich insofern bemerkenswert, als Fuhrmann hier offen die Kritik in den Raum stellte, dass der ÖFB nicht genug getan habe, um das entscheidende Heimspiel zu promoten. Es waren dann nur 3.200 Leute da, darunter viele Polen, die sich auch bemerkbar machten. „Für mich hat sich’s angefühlt wie ein Heimspiel“, bestätigte Oliwia Woś. Vor allem aber war bemerkenswert, was man eher wahrnahm als hörte. Es waren Angriffe aus einer defensiven Position heraus. Körpersprache, Mimik, Wortwahl: Versuche, den Druck zu kanalisieren.

Irgendwie das Ding drüber nudeln, damit Luft verschaffen. Es ist das selbe Henne-Ei-Problem wie von ihr nach dem Match angesprochen: „Wir hatten Erfolg, daraus resultierten Investitionen. Da ist jetzt aber womöglich ein Moment, von dem aus wieder investiert werden muss, um wieder Erfolg zu haben. Von nichts kommt nichts.“ Manpower auch zwischen den Lehrgängen, etwa – die Co-Trainer Michael Zulehner und Michael Brownlow sind eigentlich von der SV Ried bzw. der Burschen-Akademie in St. Pölten.

Die Erfolge der letzten zehn Jahre ließen in Österreich eine gewisse Erwartungshaltung entstehen, die 2024 eindeutig nicht erfüllt wurde. Daraus erwächst auch die Kritik an Fuhrmann. Leise hochblubbernd nach den taktischen Fehlleistungen in Reykjavík und Hannover, unüberhörbar nach den Pleiten gegen Polen.

„Man will den Vergleich ja irgendwie gar nicht anstellen, aber im Männerfußball wäre die Konsequenz, dass der Teamchef mit diesem Leistungsnachweis gehen muss“, formulierte es Georg Sohler bei 90minuten. „Der Elefant im Raum ist die Frage nach der Zukunft von Irene Fuhrmann als Teamchefin“, Karoline Krause-Sandner im Kurier. „Eine EM-Qualifikation ist kein Selbstläufer, als elftbeste UEFA-Nation muss sie für Österreich allerdings der Anspruch sein. Ob Fuhrmann, seit Sommer 2020 im Amt, noch einmal für frischen Schwung sorgen kann?“, fragt Die Presse in Person von Senta Wintner.

Und auch prominente ehemalige Nationalspielerinnen stärken Fuhrmann nicht mehr den Rücken. „Man macht die Gegnerinnen stark. Man kann schon ein Spiel nicht gut spielen, aber das zieht sich über viele Partien“, so Austria-Sportchefin Lisa Makas bei 90minuten, „wir wissen ja, wie das Fußballgeschäft funktioniert. Da sitzt das Trainerteam immer am kürzesten Ast.“ Und Viktoria Schnaderbeck sagt im Standard-Interview bei Moritz Ettlinger: „Mir fehlt eine ganz klare Philosophie. Wer sind die Schlüsselspielerinnen und wer die Führungsspielerinnen? Wer übernimmt Verantwortung? Ich sehe derzeit nicht, wer in diese Rollen schlüpfen soll, wenn die erfahrenen Spielerinnen weg sind. Da braucht es vom Trainerteam eine klare Strategie und Leadership.“

Ob sie selbst bleiben möchte, konnte und/oder wollte Fuhrmann nach dem Aus gegen Polen nicht Sagen, „und es gibt ja auch noch einen Arbeitgeber, der da was zu sagen hat.“ Wie man die handelnden Personen beim Arbeitgeber in den letzten Jahren kennen und einschätzen gelernt hat, gilt wahrscheinlich: Wenn Irene geht, dann geht sie selbst – Sportchef Schöttel ist nicht der Typ, der Leute rausschmeißt. Fuhrmann wirkte nach dem Aus gegen Polen leer und die demonstrativen Lobeshymnen, die ihr der Vertreter vom ORF-Radio nach der PK am Rückweg durch die Mixed Zone umhängte, quittierte sie mit einem peinlich berührten Lächeln.

Die Zukunft steht vor der Tür

Viel Zeit vor den nächsten Spielen bleibt nicht, schon im Februar beginnt die neue Ausgabe der Nations League, Österreich bekommt es dort wieder mit Deutschland zu tun, dazu warten die Niederlande und Schottland. Es gilt, möglichst die Klasse zu halten, um in der Qualifikation für die WM 2025 in Brasilien nicht in eine schlechtere Ausgangslage zu rutschen.

Und von unten kommt durchaus was nach. Die erwähnte U-20, die bei der WM in Kolumbien im Achtelfinale war, sowieso. Die U-19 hat ihre EM-Quali-Vorrunde als Gruppensieger vor Serbien und Tschechien beendet und peilt ebenso eine Endrunden-Teilnahme an wie die U-17, die beinahe die große Sensation in Spanien geschafft hätte. Man presste und konterte Spanien aus, führte bereits 3:1 – einem 35-Meter-Heber von Valentina Pötzl inklusive – und kassierte in der Nachspielzeit noch das 3:3. „Das beste Ballbesitz-Team im europäischen Juniorinnen-Fußball hat gegen das beste Pressing-Team im europäischen Juniorinnen-Fußball gespielt“, sagte Trainer Patrick Haidbauer danach.

Katharina Moser ist bei der Austria mit ihren 16 Jahren schon mehr oder weniger Stammkraft auf der Sechs, vor der IV mit Kirchberger und Wenninger. Alessia Pamminger ist die Einser-Stürmerin bei Red-Bull-Kooperationsklub Bergheim. Österreich braucht jedes Jahr zumindest ein bis zwei junge Spielerinnen, die sich im Erwachsenenbereich durchsetzen, um die immer noch relativ dünne Personaldecke aufrecht erhalten zu können. Aktuell sieht es danach aus, dass das vorerst gelingen sollte.

Karten ziehen, bitte

Wie beim eingangs erwähnten Kartenspiel ist man aber auch hier gezwungen, da und dort mal ins Risiko zu gehen und eine Karte auszutauschen, die man eigentlich nicht tauschen will – obwohl das auf Sicht wahrscheinlich nötig ist. Man weiß nicht, ob jeder Move eine gute Idee ist. Der Vorteil vom Fußball gegenüber „Cabo“ ist: Hier kann man sich die Spielerinnen Woche für Woche ansehen, bei jedem Einsatz. Kann mit ihnen kommunizieren, mal da und mal dort einsetzen. Im Kartenspiel darf man hin und wieder einen Blick auf eine Karte werfen.

Der 2024 unterbrochene Umbau sieht nach dem Fehlschlag, der dieses Jahr darstellt, seiner Fortsetzung entgehen. Dafür ist Weitsicht nötig, ein genauer Plan, eine klare Strategie. Mit Geduld, aber auch mit unangenehmen Entscheidungen. Was man im Kartenspiel vom Deck zieht, ist pure Glückssache. Im Fußball ist viel mehr Einfluss möglich. Einen großen Vorteil hat „Cabo“ aber gegenüber dem Fußball:

Die Karten können sich nicht das Kreuzband reißen. Gute Besserung, Barbara Dunst.

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3:0 und 2:1 über Slowenien, aber zufrieden ist niemand https://ballverliebt.eu/2024/10/30/osterreich-slowenien-frauen-puntigam/ https://ballverliebt.eu/2024/10/30/osterreich-slowenien-frauen-puntigam/#comments Wed, 30 Oct 2024 10:03:42 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20783 3:0 und 2:1 über Slowenien, aber zufrieden ist niemand weiterlesen ]]> „Schee hostas eineg’schoben!“ Was auffällig war, als Manuela Zinsberger mit einem gewohnt lautstarken Zwischenruf die nebenan zu ihren beiden Elfmeter-Toren interviewte Sarah Puntigam sichtlich aus dem Redefluss riss? Es fiel auf, dass es überhaupt auffiel. Österreichs Frauen haben nach dem 3:0 in Koper ein 2:1 in Ried nachgelegt, Slowenien in der ersten der beiden EM-Playoff-Runden pflichtgemäß eliminiert. Mehr aber auch nicht. Es gab keinerlei feixende Jubelstimmung.

Auch nicht erleichtertes Aufatmen. Mehr ein professionelles Registrieren von Pflichtsiegen in Spielen, die beim Zusehen echt keinen Spaß gemacht haben und auch den Spielerinnen selbst nur bedingt Freude an ihrem Tun bereitet hat. „Wir haben uns das Leben auch selber schwer gemacht“, sprach Jubilarin Sarah Puntigam nach ihrem 150. Länderspiel die vielen Unsauberkeiten im Passspiel an. „Es ist schon eine Aufgabe, in solchen Spielen mental fokussiert zu bleiben“, bestätigte Marie Höbinger.

Martin Lang legte sich im Gespräch mit den Beteiligten voll ins Zeug, um in den O-Tönen für Ö3 positive Stimmung vermittelt zu bekommen – mehr als ein „Ja, aber“ bekam er einfach nicht zurück. „Ja, aber war auch Pflichtaufgabe“, sprach Sarah Zadrazil. „Ja, aber wir hätten noch mehr machen können und wenn wir gegen Polen nicht hundert Prozent da sind, werden die uns bestrafen“, kündigte Marie Höbinger an. Und Irene Fuhrmann war sogar ziemlich offensiv unzufrieden. „Ja, aber die vielen Ballverluste kann ich mir im Moment nicht erklären und das müssen wir definitiv besser machen, wenn wir gegen Polen bestehen wollen“, und ihr finsterer Blick untermauerte die Aussage der Teamchefin.

An selber Stelle, in Ried, redete man sich im Mai mantra-artig stark, nachdem es mit einer eher dünnen Leistung ein sogar etwas schmeichelhaftes 1:1 gegen Island gegeben hatte. Wir kriegen das schon hin auswärts in Island in ein paar Tagen, unter Druck sind wir gut, passt schon. Davon war diesmal überhaupt nichts zu spüren, die Erinnerung an den Reinfall von Reykjavík und die leeren Worthülsen von damals war lehrreich.

Das 3:0 im Hinspiel in Koper

„Wir erwarten Slowenien sehr aggressiv und mit viel Willen“, gab Marie Höbinger schon vor dem Hinspiel zu Protokoll und das war im ausgesprochen spärlich besetzten Stadion von Koper dann auch tatsächlich so. Allerdings in den Details nicht ganz in der Art und Weise, wie man das kommen gesehen hat. Die Österreicherinnen wurden eins-auf-eins angelaufen. „Da haben wir uns zu lange nicht angepasst“, war Sarah Puntigam danach selbstkritisch.

Im slowenischen 4-4-2 wurden damit nämlich zwar die Wege ins Zentrum für Österreich aufgemacht, diese Räume wurden aber kaum bespielt – und wenn, verdichteten dort Čonč und Korošec sehr rasch. „Das hätten Sarah und ich mehr mit spielerischen Mitteln lösen können, als wir es getan haben“, reflektierte Sarah Zadrazil ihre Rolle und die von Sarah Puntigam.

Österreich brachte die Positionierungen in der Absicherung nicht korrekt hin, Slowenien verzeichnete zahlreiche Ballgewinne. Nur wenn Österreich das Passtempo und die Passgenauigkeit über mehrere Stationen hinweg hochhalten konnte, zwang man Slowenien zum nachlaufen. Das gelang aber zu selten.

Wie überhaupt zu den vielen durch das slowenische Pressing erzwungenen Ballverlusten noch einige unerzwungene dazukamen, die durch die generelle Gemengelage im Spiel dann noch mehr auffielen. Da spielte mal Georgieva fast an der Mittellinie einen Fünf-Peter-Pass in slowenische Beine. Abschläge von Zinsberger kamen nicht oft gewinnbringend an und die zweiten Bälle waren zumeist Beute der Sloweninnen. Barbara Dunst auf der linken Seite, gewohnt umtriebig, aber bei ihr wechseln sich starke Tage internationaler Klasse auch mal mit solchen ab, wo die Entscheidungen am Ball nicht zur Situation passen und einfach nichts gelingen will. Das war so einer.

Nach einer Stunde geht’s dann schnell

Und dann macht sie in der 69. Minute doch das 1:0, die Baba, und es war ihr letzter Ballkontakt. Österreich hatte sich am Riemen gerissen, die Fehlpässe eingedämmt und Slowenien mehr rausgelockt und hatte erkannt, wie man das Zentrum bespielen muss. „Die Kadertiefe ist oft ein Thema gegen uns, wenn wir gegen stärkere Teams spielen“, hatte Fuhrmann schon im Vorfeld gesagt, „das sollte jetzt umgekehrt gegen Slowenien für uns sprechen“. Und das tat es.

Slowenien hat die personellen Möglichkeiten, eine patente erste Elf aufzubieten, aber wenn nach einer Stunde die Kräfte schwinden, gibt es keine gleichwertigen Alternativen, die von der Bank kommen können. Man hatte sich müdegelaufen, räumte Österreich zunehmend mehr Platz ein und das nützten die ÖFB-Frauen. Nach Dunsts 1:0 fielen innerhalb von ein paar Minuten das 2:0 (Elfmeter von Puntigam) und das 3:0, bei dem man via Campbell hinter die bis zur Mittellinie aufgerückte slowenische Kette lief und Purtscheller nur noch den Fuß hinhalten musste.

Nur das Resultat machte glücklich

Happy war man nur mit dem Ergebnis von 3:0. „Klar ist, dass es zu viele unerzwungene Fehler im Spiel mit dem Ball gab, durch die wir uns in die Bredouille gebracht haben und so einen aggressiven Gegner noch stärker gemacht haben“, brummte Irene Fuhrmann, „ich gehe davon aus, dass die mentale Komponente eine Rolle gespielt hat, weil wir uns auch selbst als Favoriten gesehen haben und da muss man dann auch liefern. In unserer Struktur gegen den Ball waren wir nicht schnell genug, nicht sauber genug und diese letzten Prozentpunkte von der Intensität her haben wir vermissen lassen.“

Einerseits. Andererseits waren auch andere als klare Favoriten eingeschätzte Teams in den Hinspielen dieser ersten Playoff-Runde nicht gut – Belgien spielte nur 0:0 in Griechenland, Finnland kam gegen Montenegro zu einem mageren 1:0. Wales, direkter Wiederaufsteiger in die A-Gruppe der Nations League, verlor sogar bei der Slowakei, die beinahe in die C-Gruppe abgestiegen wäre. „Und wenn ich das sehe, denk ich mir schon, Irene, da geht’s nur ums Ergebnis. Aber wir haben halt schon den Anspruch auch schönen Fußball zu spielen.“

Übrigens: Sie alle kamen noch weiter, Belgien und Finnland fuhren danach 5:0-Heimsiege ein, Wales brauchte gegen die Slowakei allerdings die Verlängerung.

Das 2:1 im Rückspiel in Ried

Mit einer personellen Änderung (Billa statt Campbell, die im Training Kreislaufprobleme hatte) ging Österreich ins Rückspiel, aber mit deutlich mehr inhaltlichen Änderungen. Zum einen wurde von Beginn an darauf geachtet, das Tempo hoch zu halten, mit frühen Vertikalpässen das slowenischen Pressing ins Leere laufen zu lassen und in die Schnittstellen der rasch hoch aufrückenden slowenischen Abwehr zu kommen. In den ersten zehn Minuten kam Österreich so zwei-, dreimal in den Rücken der Kette und hätte eigentlich zwingend in Führung gehen müssen.

Dazu wurden aus dem 4-4-1-1 gegen die slowenische Eröffnung ein 4-3-1-2 mit Zadrazil, die ganz weit hoch schob. Damit lähmte man Slowenien: Die beiden Sechser im 4-4-2 waren im Deckungsschatten und die Außenverteidigerinnen schoben so hoch, dass sie sich selbst aus dem Spiel nahmen. „Das haben wir so gemacht, weil Sarah [Puntigam] und ich im Zentrum heute komplett zugedeckt waren“, erklärte Sarah Zadrazil die Maßnahme, „und so konnten wir gut einige Male hinter die Kette kommen“. War also in der Form gar nicht explizit geplant? Zum Teil, so die Bayern-Legionärin: „Bei langem Ball wollen wir eine Staffelung haben, damit wir gut für die zweiten Bälle positioniert sind. Dann hat es sich einfach oft ergeben, dass ich durchlaufe, weil eben Slowenien sehr hoch gestanden ist.“

Schnell vermittelte Slowenien den Eindruck, ein nach dem Hinspiel gebrochenes Team zu sein, dass dieses Rückspiel halt über sich ergehen lässt. Vor lauter hinterherlaufen kam man nicht zum Anlaufen der österreichischen Ballführenden. Nach einer Viertelstunde aber schaltete Österreich mehrere Gänge zurück. Zadrazil: „Ich find’s okay, dass man sagt: Jetzt auch mal ein bissi mehr Kontrolle und nicht nur lange Bälle, weil und das einfach mehr Spielkontrolle gibt.“

Zadrazil zog sich also weiter zurück, bei Ballgewinnen wurde eher gesichert als umgeschaltet, vor allem nachdem Slowenien doch ein paarmal effektvoll scharf hoch angelaufen war. Aus der Partie entwich jegliches Tempo, nachdem auch Lana Golob zweimal länger behandelt und dann auch ausgewechselt werden musste. „Diese vielen Unterbrechungen haben uns sicher ein wenig aus dem Rhythmus gebracht“, meinte Kapitänin Sarah Puntigam nach ihrem 150. Länderspiel.

Die unbedrängten Fehlpässe wurden in diese Phase nicht nur mehr, sondern überstiegen gefühlt die Quote aus dem Hinspiel noch. Es wurde ein ziemlich fahriger Kick, der niemanden der immerhin 2.600 Zuseher in irgend einer Weise unterhielt oder gar von den Sitzen riss. Zwischen der 17. Minute und dem Ende der ersten Halbzeit gab es keinen nennenswerten österreichischen Torschuss, Slowenien wirkte gefährlicher.

Billa mit Problemen, Vorteile in Hälfte zwei

Neben vielen anderen Aspekten hat Österreich hier auch Eileen Campbell gefehlt. Es tat schon fast weh, Nici Billa zuzusehen, wie eine Halbzeit lang das Spiel an ihr vorbeizieht. Es ist über ein Jahr her, dass sie zuletzt von Beginn an in einem Pflichtspiel am Feld war und zwei Jahre, dass sie zuletzt im Nationalteam getroffen hat und sie wirkte wie ein Fremdkörper. Die Laufwege passten nicht, ihre Passrouten passten nicht, sie war kaum involviert. Als sich Golob und Meršnik gegenseitig behinderten und Billa frei durch war, passte der Winkel nicht, der Angriff versandete. Für die zweite Halbzeit wurde Billa ausgewechselt.

„Wir brauchen alle“, ließ Sarah Puntigam, ganz Kapitänin, aber nichts über ihre Teamkollegin kommen, die auch nach ihrem Wechsel von Hoffenheim nach Köln nicht wirklich in Schwung gekommen ist, „es ist unsere Aufgabe als Team, auch diejenigen zu unterstützen, bei denen es vielleicht nicht so gut läuft.“

Für die zweite Halbzeit jedenfalls spielte Viktoria Pinther statt ihr und Julia Hickelsberger am Flügel statt Dunst, Österreich hielt hinten vermehrt den Ball, lockte Slowenien heraus und brachte dann den langen Ball in Richtung der schnellen Außenspielerinnen Hickelsberger und Purtscheller; im Zentrum werden Pressing-Situationen vermehrt mit Dribblings aufgelöst. Österreich bekam damit wieder vermehrt Zugriff, nach einer Stunde rempelte SKN-Routinier Mateja Zver im Strafraum die flinke Lilli Purtscheller um, Elfmeter, Puntigam zum 1:0. Zwölf Minuten später räumte die auf der Linie starke, aber bei Flanken arg unsichere Torhüterin Meršnik komplett sinnlos Hickelsberger ab, wieder Elfmeter, wieder Puntigam zum 2:0.

Slowenien hatte längst nicht mehr die körperlichen Mittel, um dagegen zu halten, die spielerischen sowieso nicht, Konter wurden schlecht ausgespielt. Ein Elfmeter in der Nachspielzeit (war’s wirklich einer? Naja.) ermöglichte Frankfurt-Legionärin Prašnikar noch den Ehrentreffer. Im Grunde – wurscht. Trainer Kolman, der verletzungsbedingt auf Italien-Legionärinnen Eržen und Kramžar verzichten musste, gab sich dennoch zufrieden und sah die beiden Matches als „Beweis, dass wir zumindest über weite Phasen in einem Spiel mit echt guten Teams mithalten können.“ Ja, eh. Bis nach einer Stunde halt gewechselt werden muss.

Die Jubilarin und ihre frustrierende Saison

Als erste Österreicherin erreichte Sarah Puntigam in Ried die Marke von 150 Länderspiel-Einsätzen. „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich zum Team reise, aber auch, wenn ich bei meinem Klub in Houston bin“, strahlt die Steirerin – menschlich passt es da wie dort. Sportlich war 2024 aber nicht herausragend. In der harzigen EM-Quali im Frühjahr war auch sie nicht immer in Top-Form und die demnächst beendete Saison bei Houston Dash war ein Desaster, der Playoff-Zug war für Houston schon früh abgefahren und entsprechend ist man mit einem Zuschauer-Schnitt von 6.000 auch in dieser Wertung Liga-Schlusslicht.

Ein Spiel vor Ende der Regular Season ist Houston Letzter, vor allem Spielgestaltung und Torabschluss waren die Schwachpunkte, dazu kam jede Menge Unruhe im Umfeld. Der im Winter installierte Trainer Fran Alonso geriet früh in die sportliche Kritik, Ende Juni fuhr er mal „aus gesundheitlichen Gründen“, wie es hieß, nicht zu einem Auswärtsspiel mit. Er kam nie wieder, was genau los war, erfuhren auch die Spielerinnen nie. Zwei Tage vor Ende der Transferzeit wurde dann noch Managerin Alex Singer entlassen. „Ein ganz unglücklicher Zeitpunkt“, stöhnt Puntigam.

Erst vor vier Wochen wurde die Trennung von Alonso offiziell, das Jahr für Houston war ein chaotischer Clusterfuck. Im April gab es einige vielversprechende Neuverpflichtungen, die in der Unruhe kaum Impact hatten. „Ich und einige andere Stammkräfte haben uns aber zum Verein committed, unsere Verträge verlängert“, so Puntigam, deren neues Arbeitspapier bis Ende 2026 läuft. „So lange bin ich also auf jeden Fall noch aktiv. Und ein halbes Jahr später wäre eine WM“, äugt die kürzlich 32 Jahre alt gewordene Kapitänin auf die Endrunde in Brasilien.

Als sie beim Algarve Cup 2009 erstmals für Österreich spielte, bei einem 2:1 über Wales, war die Frauenfußball-Welt noch eine ganz andere. Punti war damals mit einem ganzen Schwung weiterer junger Spielerinnen – Kristler, Entner, Rappold und Walzl – erstmals dabei und hatte als 16-Jährige schon mit eineinhalb Jahren Bundesliga in den Beinen. Die Partien an der Algarve waren die ersten Testspiele überhaupt nach über sechs Jahren, in dieser Zeit hatte das Team ausschließlich EM- und WM-Qualispiele ausgetragen, also vier bis fünf Spiele im Jahr.

15 Jahre, 150 Länderspiele, ein EM-Semifinale und ein EM-Viertelfinale später, nach Stationen in der Schweiz (Kriens), Deutschland (Bayern, Freiburg, Köln) und Frankreich (Montpellier), lebt Puntigam – seit 2022 mit ihrer Genessee verheiratet – in einer Frauenfußball-Welt, die sich dramatisch verändert hat. Professioneller, athletischer, schneller. Leistungssportlerin eben, sieben Mal im Jahr von Texas nach Österreich und wieder zurück. Und doch: Volle Bodenhaftung.

Wer erlebt hat, wie es damals war, bleibt davon geprägt.

Kader Österreich beim Algarve Cup 2009: Tor: Anna-Carina Kristler (20 Jahre, FC St. Veit, 0 Länderspiele/0 Tore), Birgit Leitner (27, Bayern/GER, 22/0), Jasmin Pfeiler (24, Neulengbach, 0/0). Abwehr: Kathrin Entner (20, Neulengbach, 0/0), Susanna Gahleitner (24, Ardagger, 8/0), Marlies Hanschitz (22, Innsbruck, 12/2), Susi Höller (19, Sindelfingen/GER 2, 3/0), Kathrin Höllmüller (22, Ardagger, 6/0), Mariella Rappold (21, LUV Graz, 0/0), Carina Wenninger (18, Bayern II/GER 3, 6/0). Mittelteld: Doris Adamovics (22, Innsbruck, 2/0), Nina Aigner (28, Bayern, 34/6), Isabella Berger (19, Landhaus, 4/0), Sarah Puntigam (16, LUV Graz, 0/0), Viktoria Schnaderbeck (18, Bayern II/GER 3, 3/0), Lisi Tieber (18, Landhaus, 3/1). Angriff: Nina Burger (21, Neulengbach, 15/8), Marion Gröbner (23, Landhaus, 12/0), Katrin Walzl (21, Landhaus, 0/0). Teamchef Ernst Weber (60).

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Abenteuer Kolumbien: Österreich bei der U-20-WM https://ballverliebt.eu/2024/09/20/osterreich-u20-wm-kolumbien-frauen-2024/ https://ballverliebt.eu/2024/09/20/osterreich-u20-wm-kolumbien-frauen-2024/#respond Fri, 20 Sep 2024 14:32:28 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20188 Abenteuer Kolumbien: Österreich bei der U-20-WM weiterlesen ]]> Der Zug, der Zug, der Zug hat keine Bremsen? Naja, irgendwann ist man nach einigen Party-Polonaisen durch die Katakomben mit dem Mallorca-Hit aus der Boombox doch auf eine Truppe geprallt, die besser war. Nicht nur ein bisschen, die U-20-Mädels waren in ihrem WM-Achtelfinale gegen den späteren Weltmeister Nordkorea schon einigermaßen mittellos, vor allem in Unterzahl und Rückstand. Nur: Wir reden hier von einem WM-Achtelfinale. Noch nie hatte ein österreichisches Frauen-Team überhaupt bei einer WM spielen können.

Als U-17 haben sie ihre komplette EM samt Qualifikation an Corona verloren. Als U-19 dann: Siege gegen England, Deutschland, Italien, den späteren WM-Halbfinalisten Niederlande. Und als U-20 gab es das 6:0 im Playoff gegen Island sowie Erfolge gegen Ghana und Neuseeland bei der WM selbst.

They’ve come a long way. Wie viele von ihnen den nächsten Schritt schaffen werden?

Rückblende

8. Oktober 2020, ein Donnerstag: Österreichs Männer gewinnen einen Test gegen Griechenland 2:1, die Corona-Kommission erhöht die Zahl der auf der Corona-Ampel auf orange gestellten Bezirke auf 33 – und die 2004er, der neue U-17-Jahrgang der ÖFB-Frauen, absolvieren ihr erstes Spiel. Ein Test in Au in der Schweiz, kaum mehr als einen Kilometer von Lustenau entfernt gleich hinter der Grenze, 1:2 verloren. Coronabedingt sollte es das einzige offizielle Match dieses Teams bleiben.

12. September 2024, wieder ein Donnerstag: Österreich rüstet sich in der Aussicht auf anhaltenden Starkregen für das zu befürchtende Hochwasser, Formel-1-Designer Adrian Newey macht seinen Wechsel zu Aston Martin offiziell. Und die 2004er, mittlerweile der U-20-Jahrgang der ÖFB-Frauen, spielen nicht in der Vorarlberger Nachbarschaft, sondern am anderen Ende der Welt, in Kolumbien. Es ist das WM-Achtelfinale, es geht gegen Nordkorea verloren.

Wobei, was heißt „2004er“? Nur neun der 21 Spielerinnen im Kader sind tatsächlich im Jahr 2004 geboren. Bei sieben von ihnen steht 2005 auf der Geburtsurkunde, bei vier 2006 und bei Greta Spinn sogar 2007. Als die Burschen damals in Kanada ins WM-Halbfinale gekommen sind, lag die fünf Monate alte Greta in einem Bettchen in Steinach am Brenner und hatte noch keine Ahnung davon, was ein Fußball überhaupt ist. „Wir können nicht mit Spielerinnen aus einem Geburtsjahrgang ein ganzes, auf diesem Niveau konkurrenzfähiges Team aufstellen. Dafür fehlt einfach die Breite“, erklärt Teamchef Markus Hackl – Irene Fuhrmanns Co-Trainer hat das Team im Sommer kurzfristig übernommen.

2:1 gegen Ghana

Die Höhenlage war ein Thema, der Jet-Lag auch, ebenso wie das für Verdauungsprobleme sorgende kolumbianische Wasser – dagegen konnte auch der mitgebrachte Koch Roland Trappmeier nichts ausrichten. Es gab ein 1:0 in einem Test gegen Venezuela, ebenfalls WM-Teilnehmer, danach war man ob der 2.500 Meter Seehöhe schon einigermaßen kaputt. „Es war wichtig, eine ganze Woche vor dem ersten Spiel vor Ort zu sein, um uns zu akklimatisieren“, so Hackl, „aber es ist klar: Da kannst nicht 90 Minuten lang marschieren. Du musst dir im Spiel deine Ruhepausen nehmen.“

Auftaktgegner war Ghana, unterfordert qualifiziert gegen Guinea-Bissau, Eswatini und Senegal und dem ÖFB stand kaum brauchbares Video-Material zur Verfügung, um wirklich zu wissen, was auf einen zukommt. Auf dem Feld in Bogotá stand dann zunächst ein Gegner, der Abstand hielt, Räume hergab und vom gut strukturierten Angriffs- und Gegenpressing der jungen Österreicherinnen komplett überfordert war. Nach einer halben Stunde führte Österreich 1:0 durch Hannah Fankhauser, es hätte auch schon 3:0 stehen können.

Dann verstand Ghana, dass man Österreich einschüchtern kann, wenn man körperlich reingeht, und das tat Ghana dann auch – durchaus fies zuweilen. Die ÖFB-Juniorinnen stellten Versuche, hinten rauszuspielen, komplett ein, bekamen aber keine Ruhe und keine Kontrolle mehr in das Spiel, Mariella El Sherif musste mehrmals eingreifen. Nach 70 Minuten verwertete Nicole Ojukwu einen Elfmeter zum 2:0, es blieb aber eine Zitterei. Von Zehnerin Stella Nyamekye angetrieben, drängte Ghana, kam in der Nachspielzeit noch zum Anschlusstreffer, aber Österreich brachte den knappen Sieg drüber.

Ghanas Trainer Yusif Barsigi stöhnte danach, man habe die erste halbe Stunde verschlafen und dann die Chancen für einen verdienten Punkt nicht genützt, und man kann ihm nicht widersprechen. In Österreich war dafür die Erleichterung groß, weil man wusste: Jetzt kann mit dem erklärten Ziel Achtelfinale eigentlich nicht mehr viel schief gehen.

Wie ein Vereinsteam

Schon unter Hackls Vorgänger Hannes Spilka, der im Juli nach offenkundig gravierenden internen Vorkommnissen vom Posten entfernt worden war, war die Spielweise des Teams sehr österreichisch gewesen. Das heißt: Scharfes Angriffspressing, durchdachte Struktur hinter der ersten Welle, über Jahre hinweg eingedrillt. Wie Rangnicks Herren bei der EM spielen auch die ÖFB-Juniorinnen praktisch wie ein Vereinsteam, weil man in der Akademie in St. Pölten über Jahre hinweg täglich miteinander trainiert.

Im allerersten Testspiel als U-19 hat dieses Team auswärts in England gewonnen. Zugegeben, von diesem englischen Jahrgang haben es seither nur drei zu regelmäßigen WSL-Einsätzen gebracht (Man-City-Torhüterin Keating, Liverpool-Talent Parry und Layzell, die mit Bristol abgestiegen ist) und von den dreien war nur Layzell hier mit dabei, es entpuppte sich also nicht gerade als Super-Jahrgang und die jungen Lionesses scheiterten dann in der EM-Quali auch deutlich gegen Spanien. Aber ein Sieg in England ist ein Sieg in England.

Das Überstehen der ersten Quali-Phase ist für Österreich stets eine Formsache, in der Eliterunde braucht es für das EM-Ticket aber den Gruppensieg. Nach lockeren Siegen gegen Bosnien und Griechenland brauchte es gegen Italien, Gruppenkopf und Gastgeber des Mini-Turniers, zumindest einen Punkt. Nach knapp einer Stunde rammte Ojukwu einen 35-Meter-Schuss zum 1:0 ins Tor, in der 80. Minute machte Aistleitner den Deckel drauf, Italien schaffte nur noch den Anschlusstreffer – genau wie Ghana beim WM-Auftakt anderthalb Jahre später.

3:1 gegen Neuseeland

Die Ferns hatten ihr Auftaktspiel gegen Japan mit 0:7 verloren und auch gegen das aggressive Anlaufen von Österreich war Neuseeland zunächst überfordert. Es gelang Österreich zwar nicht, nach den hohen Ballgewinnen direkt zu gefährlichen Abschlüssen zu kommen, aber auch die im Angriffsdrittel provozierten Freistöße reichten völlig aus. Vienna-Verteidigerin Sarah Gutmann hielt zweimal den Kopf hin und nach einer Viertelstunde stand es 2:0 für Österreich.

Wenn es leicht geht und der Gegner es erlaubt, wird schon versucht, auch kontrolliert von hinten heraus zu spielen. Zumeist war aber der lange Ball von der Innenverteidigung auf die Mittelfeld-Außen zu sehen, um die Kugel entweder selbst festzumachen oder auf den zweiten Ball zu pressen. Das ähnelte sehr der Spielweise, mit der Japan bei der WM 2011 viele Gegner vor große Schwierigkeiten stellte und letztlich Weltmeister wurde. Minus natürlich der Stärke im Passspiel.

Neuseeland stellte dann wie Ghana vermehrt den Körper rein, Österreich reagierte mit noch mehr langen Bällen und Zweikämpfen. Schön war das Spiel nicht und Neuseeland bekam kurz vor der Halbzeit sogar per Elfmeter die Chance, das Spiel wieder aufzumachen, aber El Sherif parierte gegen Pijnenberg. Halb durch die zweite Halbzeit bekamen die ÖFB-Juniorinnen einen Konter mal schön strukturiert durch das Zentrum nach vorne gespielt, schon schlug es ein, 3:0 durch Mädl. Der Ehrentreffer durch Milly Clegg, die schon bei Olympia als Joker bei Neuseelands A-Team dabei gewesen ist, war nur noch Ergebniskosmetik.

Herausspielen? Eher vermeiden

Eine auffällige Eigenheit war eben, dass es möglichst vermieden wurde, aus der Abwehr heraus zu spielen. Rukavina und Ojukwu im Mittelfeld-Zentrum waren primär Abfangjäger vor der Abwehr, weniger kreative Elemente, obwohl zumindest Ojukwu das durchaus könnte. Warum? Das Zauberwort heißt Risikominimierung. Grundsätzlich hat man auch unter Spilka schon eher auf Angriffspressing gesetzt als auf kontrollierten Aufbau, dennoch war dieser schon mehr als in Spurenelementen zu sehen gewesen. Doch dann kam der Auftakt zur U-19-EM vor einem Jahr.

Schon in der ersten Quali-Phase im Herbst 2022 war man auf Deutschland getroffen, ging dort nach einer halben Minute in Führung und konnte sich dann aufs Halten verlegen, 2:1 gewinnen. Bei der EM in Belgien aber lief man nach starken ersten 20 Minuten erst ins 0:1 und dann, kaum eine Minute später, landete ein Aufbaupass von Lainie Fuchs genau bei der Gegenspielerin, zack, 0:2. Kurz darauf eine ähnliche Situation, beinahe das 0:3 – die Österreicherinnen waren mental durch, bis zur Halbzeit hatten sie vier Gegentore gefangen, am Ende hieß es 0:6.

„Die Devise war, sehr einfach zu spielen, um zu verhindern, dass wir uns mit Fehlpässen im Verteidigungsdrittel selbst in Schwierigkeiten bringen“, erklärt Hackl.

0:2 gegen Japan

Vor dem letzten Gruppenspiel ging es sowohl für Japan als auch für Österreich, die eben beide ihre ersten zwei Spiele gewonnen hatten und damit schon fix im Achtelfinale waren, nur noch um die Platzierung. Beide Trainer wechselten ihre Teams kräftig durch, Michihisa Kano hatte nur fünf Stammkräfte aus den ersten beiden Spielen auf dem Feld, Markus Hackl tauschte auch viermal.

„Ich habe in diesem Altersbereich selten ein Team gesehen, dass dermaßen ballsicher ist“, war Hackl von Japan beeindruckt. Japan ging es ohne den letzten Punch an, erlaubte Österreich in den ersten 20 Minuten sogar eine ausgeglichene Ballbesitz-Bilanz, aber Japan war natürlich mit der Kugel wesentlich produktiver und zielgerichteter als Österreich. Wann immer die Japanerinnen das Tempo anzogen und ein paar schnelle Pässe aneinander reihten, brannte es. Mariella El Sherif musste einige Male in höchster Not eingreifen, am Ende gewann Japan mit 2:0. „Man verliert nie gerne“, brummte Isabell Schneiderbauer danach, die aber auch betonte, wie wendig die Gegenspielerinnen waren.

Japan ließ Erfolge gegen Nigeria, Titelverteidiger Spanien und das letzte verbliebene europäische Team aus den Niederlanden folgen, erreichte Finale. Hackl sagt klar: „Japan ist fußballerisch das mit Abstand beste Team bei diesem Turnier!“

Die Sache mit der Challenge beim VAR

Bei Diskussionen um den VAR wird immer wieder der Vorschlag ins Feld geführt, man sollte doch den Trainern die Möglichkeit geben, eine Entscheidung zu challengen – ähnlich wie wenn ein NFL-Trainer den Referees das rote Tuch vor die Füße wirft. Bei dieser U-20-WM der Frauen wurde das tatsächlich probiert: Jeder Teamchef hatte zweimal im Match die Möglichkeit, eine Entscheidung überprüfen zu lassen. Der Elfmeter, der Österreich gegen Ghana das 2:0 ermöglicht hat, ist über genau so eine Intervention von Markus Hackl erst zugesprochen worden.

„Ich find’s grundsätzlich eine gute Idee“, bilanziert Hackl, der auch mit der einen oder anderen Challenge abgeblitzt ist, das gehört dazu. Er schränkt aber ein: „Die Kommunikation muss besser werden!“ Zum einen für TV-Zuseher, denn sehr oft – wenn es sich nicht um eine klare Sache handelt – hat man nicht wirklich eine Ahnung, was gerade passiert.

Dummerweise schien das zum anderen auch auf Referees und Trainer zuzutreffen, bei einigen Schiedsrichterinnen fehlte es zudem einfach am fließenden Englisch – ein Armutszeugnis eigentlich, auf diesem Niveau. So wollte Hackl im Achtelfinale beim 1:3 überprüfen lassen, ob beim nordkoreanischen Freistoß alles korrekt war („Aus unserer Sicht stand die Koreanerin, die beim Freistoß angespielt wurde, direkt bei unserer Mauer, sie hätte aber einen Meter Abstand haben müssen – für uns war das Tor irregulär!“).

Die chilenische Unparteiische bzw. ihre Assistentin haben aber nicht verstanden, was Hackl ihnen sagen will, und überprüften nur auf Abseits. Das war es nicht, das hat aber auch keiner behauptet.

2:5 gegen Nordkorea

Der nordkoreanische Trainer Ri Song-Ho wollte derweil das zwischenzeitliche österreichische Tor zum 1:1 überprüfen lassen, das nach einem Freistoß gefallen war. Minutenlang diskutierte er via seiner Dolmetscherin mit der vierten Offiziellen. Warum, blieb für den TV-Zuseher auch hier im Dunklen. Hackl klärt auf: „Er wollte das Foul zum Freistoß überprüfen lassen, nachdem wir das Tor gemacht haben.“ Erstens war das aber natürlich zu spät und zweitens ist ein Freistoß schon mal grundsätzlich nicht überprüfbar, selbst wenn man rechtzeitig reklamiert hätte.

Beide Szenen waren aber eher Randnotizen, weil Nordkorea einfach zu gut war. Einmal kurz die Hüfte gedreht, schon lief das österreichische Pressing ins Leere. Schnell im Kopf, schnell in den Beinen, perfekt aufeinander eingestellt – so wie Nordkorea in besten Zeiten halt spielt, und traditionell ist Nordkorea eine absolut nennenswerte Frauenfußball-Nation. Gleich nach drei Minuten ließ sich Österreich von einem kurz abgespielten Eckball überrumpeln, es gelang rasch der Ausgleich, dann beging Nicole Ojukwu eine Dummheit.

Nach einem taktischen Foul – das sie nehmen hatte müssen – wollte sie in Richtung Ball laufen, die Schiedsrichterin stand im Weg, Ojukwu schubste sie ein wenig zur Seite. Dione Rissios war davon nicht begeistert, pfiff energisch und hielt Ojukwu ihre zweite gelbe Karte unter die Nase. Durch den neu zu organisierenden Sechserraum bereitete Nordkorea wenig später das 2:1 vor, nach dem Seitenwechsel folgte das 3:1 aus jenem kurz abgespielten Freistoß, den Hackl vergeblich an den VAR schicken wollte.

Eine koreanische Verteidigerin verlängerte wenig später einen eigentlich harmlosen 45-Meter-Freistoß ins eigene Tor, aber dennoch: In Unterzahl und mit Rückstand war für ein österreichisches Team, das schon zuvor nur mit größter Mühe irgendwie drangeblieben war, nichts mehr zu machen. Ein Solo von Chae Un-Young sorgte für das 4:2, ehe sich Gutmann in der Nachspielzeit von der eingewechselten Park Mi-Ryong düpieren ließ.

Nach dem 5:2 gegen Österreich gewann Nordkorea noch 1:0 gegen Brasilien und dann im Halbfinale auch 1:0 gegen das US-Team und im Endspiel 1:0 gegene mit Japan. Österreich hat zwei Spiele bei dieser WM verloren. Genau gegen die beiden Finalisten.

Wer ist Österreich?

Es ist die erste WM-Teilnahme auf jeglicher Ebene für ein österreichisches Frauen-Team überhaupt gewesen. Ja, man hat „nur“ auf dem Umweg Playoff, mit dem 6:0 gegen Island, das Ticket gelöst und die Chance hat sich auch nur deshalb ergeben, weil die FIFA das Turnier vor zehn Monaten kurzfristig von 16 auf 24 Teilnehmer erweitert und sich damit ein fünfter Startplatz für Europa ergeben hat. Nur, eben: Fünf. Das war ein verdammt enger Flaschenhals und Frauenfußball-Großmächte wie Schweden oder England, aber auch Dänemark haben es eben nicht geschafft.

Die andere Seite ist natürlich: Wenn man schon einen der wenigen europäischen Startplätze hat, ist ein Einzug ins Achtelfinale natürlich Pflicht. Das hat Österreich souverän geschafft. Und wer sind diese österreichischen Spielerinnen nun?

Torhüterin Mariella El Sherif aus Hartberg, im Sommer von Sturm Graz zum deutschen Aufsteiger Jena gewechselt, ist extrem sprungstark, ist sehr gut mit dem Ball am Fuß und hat starke Reflexe, ist aber für eine Torhüterin ziemlich klein. Nicole Ojukwu, einst von Nina Burger zur Vienna geholt, hat im Mittelfeld-Zentrum ein unglaubliches Gespür für die Situation, kann ein Spiel lesen, räumt defensiv viel auf, kann gut anpressen und ihre Standards sind gefürchtet. Sie ist aber nicht besonders schnell und sie wird in Freiburg nun ein wenig an körperlicher Robustheit zulegen müssen. Valentina Mädl, schlacksige Stürmerin aus Mönchhof, kommt beim SKN St. Pölten eher von der Seite, viel Talent, aber zuletzt auch einige Verletzungen. Die drei sind mal die ersten Kandidaten auf einen A-Einsatz in nicht allzu ferner Zukunft.

Maggy Rukavina führt im Zentrum die wichtigen Zweikämpfe und gibt den Ball unspektakulär ab, ein wenig wie früher Julian Baumgartlinger. Chiara D’Angelo, in Abwesenheit von Lainie Fuchs Kapitänin, hat sich ein Jahr in Hoffenheim versucht, es hat nicht funktioniert, ist nun zum SKN gegangen. Sie hat trotz gesundheitlicher Probleme im Vorfeld ein gutes Turnier gemacht und hat ein paar Tage nach der Rückkehr beim 3:0 im Europacup-Playoff für den SKN gegen Mura Murska Sobota eine Stunde gespielt; ihre jüngere Schwester Theresa ist im neuen U-19-Jahrgang dran. Die Schwestern Laura und Greta Spinn sind nun beide beim Red-Bull-Kooperationsklub Bergheim, gerade bei Greta muss man die Entwicklung noch abwarten.

Tatjana Weiß, eher Typ Kante, hat die Leitung in der Abwehr von Fuchs übernommen. Jovana Cavic hat ein gutes Gespür für das Rausrücken, aber wohl ein bisschen zu wenig Körper. Isabell Schneiderbauer spielt, wenn es was Abzuräumen gibt und Sarah Gutmann hat sich mit einer ansprechenden Saison bei Vizemeister Vienna noch einen Platz im Zug ohne Bremsen gesichert. So ehrlich muss man aber sein, die Abwehr und der erste Pass gehören auf diesem Level nicht zu den Prunkstücken dieses Teams.

Eines Teams, dem auch einige gefehlt haben, die in den letzten zwei Jahren eine große Rolle gespielt haben. Die Wienerin Lainie Fuchs natürlich, Kapitänin und Abwehrchefin, die sich nach ihrer Rückkehr aus der US-College-Liga im Winter das Kreuzband gerissen hat. Stürmerin Isabel Aistleitner aus Marchtrenk, die normalerweise immer zentral vorne gespielt hat, auch verletzt. Wie Linda Natter aus Mellau, riesiges Jahr 2023 für Altach an der Seite von Eileen Campbell gespielt, dann auch Kreuzbandriss. Amelie Roduner, Pressingmaschine aus dem Montafon, deren unermüdliches Anlaufen gegen Holland bei der U-19-EM einen großen Beitrag zum 1:0-Sieg geleistet hat – auch sie hat weite Teile der letzten Saison in der 2. Mannschaft von Bayern München verletzungsbedingt verpasst.

Wie weit sind die Spielerinnen?

Als Dominik Thalhammer 2011 übernahm, waren Schnaderbeck und Wenninger 20 Jahre alt, Makas war 19, Feiersinger, Zadrazil und Puntigam waren 18, Hanshaw (damals noch Aschauer) und Kirchberger erst 17 – Nina Burger, die älteste der Generation, die zusammen wachsen sollte, war 24 Jahre alt. Die Truppe, die damals Dänemark besiegte und bis ins EM-Playoff gegen Russland kam, war also im Grunde eine frisierte U-20, die halt auf „echte“, sprich ältere, Nationalteams losgelassen worden ist. Die paar, die so im Alter von Burger waren – Marlies Hanschitz, Susi Höller, Marion Gröbner – waren ab 2013 nicht mehr dabei.

Die aktuelle U-20 wird seit fünf Jahren in der Akademie körperlich und taktisch auf den Fußball der Großen vorbereitet. Es ist natürlich ein Äpfel-Birnen-Vergleich, weil die ganze Frauenfußball-Welt in den letzten 15 Jahren dramatische Entwicklungsschritte genommen hat, aber: Ist diese Truppe also nicht eigentlich schon weiter als es die Aufbau-Generation Anfang der 10er-Jahre mit dem gleichen Alter war?

Das muss man differenziert beurteilen, sagt Viktoria Schnaderbeck: „Wir sind damals früh, mit 16 oder 17 Jahren, ins Ausland gegangen, haben große Veränderungen auf uns genommen und in ganz jungen Jahren schon deutsche Bundesliga gespielt. Gerade was die persönliche Reife angeht, war das sicher eine ganz andere Liga als jetzt.“ Die Etablierung der 2011 gestarteten ÖFB-Akademie war ein Meilenstein, der für die damals jungen Mädchen zu spät kam.

Denn die andere Seite ist: „Die Mädels jetzt haben Akademie, dadurch schon ganz jung einen anderen Bezug zu Taktik und Fitness, haben Athletiktrainer, viel bessere trainingswissenschaftliche Gegebenheiten. Das mussten wir uns damals nach bestem Wissen und Gewissen selbst erarbeiten“, so Schnaderbeck, die sich erinnert: „Vor 2011 mit Ernst Weber, da war sportlich und von den Bedingungen, von der Professionalität, eine andere Liga wie danach bei Thalhammer. Der hat 2011 erstmal anfangen müssen: Was heißt kompakt sein, im Verbund arbeiten, defensiv stabil sein. Da ist sicher vom taktischen Wissen, physischen Wissen, trainingswissenschaftlichen Gegebenheiten, jetzt viel mehr da als damals, als wir in dem Alter waren.“

Nicht viel liegen gelassen

Andere Teams sehen solche Turniere auch als Bühne für die zwei, drei echten Kandidaten auf eine große Karriere – etwa Ally Sentnor bei den USA, die schon ihre zweite U-20-WM gespielt hat, Priscila bei Brasilien, oder Olivia Smith bei Kanada. Bei der letzten WM vor zwei Jahren glänzten Salma Paralluelo und Olivia Moultrie, 2018 Aitana Bonmatí und Georgia Stanway und Hinata Miyazawa. Dieses österreichische Team ist hingegen tatsächlich ein Team, es ist mehr als die Summe seiner Einzelteile.

Das ist gut, weil so möglich war, Defizite in der individuellen Qualität durch taktische Geschlossenheit auszugleichen. Das heißt aber andererseits, dass eben jene individuelle Qualität, die für den nächsten, entscheidenden Schritt in den Erwachsenenfußball benötigt wird, womöglich fehlt. Von den 2007er-Burschen, die in Kanada ins Halbfinale gekommen sind, haben ungewöhnlich viele den Durchbruch geschafft: Prödl und Harnik, Junuzovic und Kavlak vor allem aber auch Suttner und Okotie, Hoffer, Madl und Lukse haben A-Einsätze vorzuweisen.

Ob auch bei den 2024er-Mädels neun künftige A-Nationalspielerinnen dabei sind? Machen wir mal ein Fragezeichen dahinter. Fix ist dafür, dass der ÖFB mit diesem Jahrgang das Maximum herausgeholt hat. Von den 14 Pflichtspielen war nur ein einziges dabei, wo man ein potenziell mögliches bessere Resultat liegen gelassen hat – das war das 3:3 bei der EM im letzten Gruppenspiel gegen Belgien. Und selbst da hätte ein Sieg nicht mehr zum Halbfinal-Einzug gereicht, weil das Parallelspiel ein für Österreich ungünstiges Ergebnis gebracht hat. Allenfalls noch das 1:1 in der Qualifikation gegen die Ukraine, das änderte aber nichts am Gruppensieg.

Einige Testspiele gingen resultatsmäßig daneben (gegen Dänemark, Portugal, Finnland, zweimal gegen Brasilien, dazu nur 0:0 gegen Marokko), aber wenn es in Pflichtspielen wichtig war, war das Team da. „Das 0:6 wird schon morgen beim Frühstück abgehakt sein“, war Spilka nach dem Debakel zum EM-Auftakt überzeugt. Er sollte recht behalten: Es folgte das 1:0 gegen die Niederlande, Tor von Mädl nach Eckball, bei dem natürlich auch Glück dabei war. Und natürlich war die Truppe bei der 6:0-Verprügelung von Island, dem anderen EM-Gruppendritten, im Entscheidungsspiel um die WM-Teilnahme sowas von bereit.

Und jetzt?

Die 2004 geborenen Spielerinnen müssen sich jetzt im Erwachsenenfußball etablieren. El Sherif ist schon nach Deutschland gegangen, D’Angelo ist wieder zurück gekommen. Bei Weiß und Holl (Neulengbach) Schneiderbauer, Cavic und Seidl (alle Vienna) könnte das ein zu großer Schritt sein, ihre Klubkolleginnen Natter (eine 2005er) und Fuchs sowie die von der Vienna zum SKN gewechselte Aistleitner müssen erstmal ihre Knie auskurieren. Wirnsberger ist seit längerem Stammkraft bei Sturm Graz, Keutz ist das noch nicht.

Für die 2005 geborenen Spielerinnen geht es darum, sich jetzt für einen Wechsel ins Ausland zu positionieren. Mädl (St. Pölten) wird das, Verletzungsfreiheit vorausgesetzt, hinbekommen. Rukavina ist im Vienna-Zentrum Nachfolgerin der nach Deutschland transferierten Ojukwu, das könnte gut passen. Die Torhüterinnen Rusek (Neulengbach) und Schönwetter (Back-up bei der Vienna) haben vermutlich weniger Chancen, ins Ausland zu kommen, als die gleichaltrige Austria-Keeperin Larissa Haidner, der ihr Handgelenk ein Jahr gekostet hat. Purtscher kämpft um regelmäßige Einsätze bei Altach, Laura Spinn ist quasi der Premium-Zugang von Bergheim mit Blick auf eine Red-Bull-Zukunft. Sie haben die U-19-EM in diesem Jahr durch einen unnötigen Selbstfaller gegen Irland in der Qualifikation versenkt.

Die 2006er können ihre WM-Erfahrungen in den neuen U-19-Jahrgang mitnehmen. Fankhauser (Vienna) ist praktisch aus dem Nichts zur WM-Stammkraft geworden, ebenso Gutmann (ebenfalls Vienna). Sisic geht in der Rasselbande von Kleinmünchen/Blau-Weiß Linz schon als Routinier durch und Ziletkina, die im letzten Jahr ihren Körper ordentlich aufmagaziniert hat, wird im Austria-Angriff ihre Chancen bekommen.

Und Greta Spinn, die letzte Saison noch U-17 gespielt hat, darf man durchaus als Indikator betrachten, was bei Red Bull passiert. Sie ist wie ihre Altersgenossinnen Valentina Illinger (die auch schon im WM-Großkader war und den Cut knapp nicht geschafft hat, Stürmerin im Team und Linksverteidigerin beim Verein) und Tina Krassnig diese Saison neu beim Salzburger Klub, der von Alexander Schriebl in eine Zukunft im Bullenstall herangeführt wird. „Und man erkennt in Bergheim auch schon deutlich die taktische Handschrift von Red Bull, mehr als noch letzte Saison“, bestätigt Hackl.

Der 2006er-Jahrgang gilt von der Breite her als ziemlich dünn. Wie sieht es mit den kommenden aus, Trainer? „Der 2007er ist nicht viel stärker“, sagt Hackl, der nun permanent die U-19-Teams trainieren wird, „aber der 2008er schon, von der Quantität der vielversprechenden Spielerinnen.“ Das kann durchaus schon der Einfluss von Red Bull sein.

Anmerkung: In der ersten Version dieses Artikels stand Nordkorea als „Finalist“. Nach dem Endspiel und dem 1:0-Sieg Nordkoreas gegen Japan wurden die entsprechenden Stellen gemäß des Ausgangs des Finales adaptiert

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Stabilisiert, durchgebrunzt, ausgelaugt: Das seltsame Pariser Olympia-Turnier https://ballverliebt.eu/2024/08/23/review-olympia-paris-2024/ https://ballverliebt.eu/2024/08/23/review-olympia-paris-2024/#respond Fri, 23 Aug 2024 15:26:10 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20409 Stabilisiert, durchgebrunzt, ausgelaugt: Das seltsame Pariser Olympia-Turnier weiterlesen ]]> Rekordsieger USA holt das Gold, der kommende WM-Ausrichter Brasilien das Silber und Vize-Europameister Deutschland Bronze. Das Ergebnis dieses Olympischen Frauenfußball-Turniers ist klar, sonst aber nicht besonders viel – selbst bei den Top-3. Konnten wir vor drei Jahren bei Tokio von einem großartigen und wilden Turnier sprechen, das viele Narrative für das neue Jahrzehnt aufsetzt, muss nach Paris 2024 konstatiert werden:

Diese Olympischen Spiele haben mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.

Ein seltsames Treppchen

Denn schon alleine diese Top-3 geben sin seltsames Bild ab. Wären sie alle im Viertelfinale gescheitert, niemandem wäre das ungewöhnlich vorgekommen. Emma Hayes, neue US-Teamchefin, hatte seit Amtsübernahme genau vier Testspiele, allesamt gegen unterlegene Kontrahenten. Brasilien schlingert seit mehr als einem Jahrzehnt ohne Spielidee anonym von einer Enttäuschung zu nächsten. Und Deutschland? Ein Team ohne Identität, die über „wir nudeln uns irgendwie über die nächste Hürde drüber“ hinaus ginge, weil der Interims-Teamchef nur gekommen ist, um die Mannschaft zu verwalten, bis sein längst feststehender Nachfolger das Steuer übernimmt.

Auf der anderen Seite steht ein Weltmeister Spanien, der die Spiele wie gewohnt mit dem Ball am Fuß absolvierte, aber die nötige Intensität vermissen ließ und im Halbfinale auch noch lächerliche Abwehrfehler beging. Ein Gastgeber Frankreich, der Kontrolle will und in entscheidenden Phasen doch nur Panik und innere Zerrissenheit offenbarte. Ein japanisches Team, dem nach einer Stunde stets die Präzision in der Ausführung abhanden kam. Australien, hinten löchrig und nach vorne fahrig, schon in der Vorrunde gescheitert, einem absurden 6:5 gegen Sambia inklusive.

Und, naja, die Drohnen-Spione aus Kanada – trotz sechs Punkten Abzug und kräftig Wirbel in die K.o.-Runde eingezogen und dort gegen Deutschland eigentlich das bessere Team.

Wie die Causa Kanada das Turnier erklärt

Wohl kaum ein Team verkörperte das Olympia-Turnier von Paris 2024 besser als eben Kanada. Kurz vor dem ersten Spiel wurden zwei kanadische Staff-Mitglieder erwischt, wie sie mit Drohnen-Kameras das Training von Auftaktgegner Neuseeland filmten. Es wurde schnell klar: Trainerin Bev Priestman, unter der Kanada 2021 wohlgemerkt Olympiasieger wurde, baut schon lange auf solche Praktiken. Der Verband tat überrascht und entrüstet, trennte sich von Priestman und Co-Trainer Andy Spence übernahm.

Die FIFA als organisierender Dachverband zog Kanada sechs Punkte ab, womit ein Vorrunden-Aus vorgezeichnet war. Doch Kanada besiegte nach Neuseeland auch Frankreich und Kolumbien und stand am Ende sogar als Gruppenzweiter im Viertelfinale. Hier kamen zwei Dinge zusammen: Zum einen das psychologische Element – Gabby Carle und Evelyne Viens sprachen nach dem Turnier offen über die zuvor negative Stimmung, die Fehlerkultur unter Priestman und dass ihre Abwesenheit „befreiend“ gewesen wäre.

Und zum anderen kam die grundsätzliche Dynamik des Turniers den kanadischen Stärken durchaus entgegen: Wer sich wohl fühlte, den Ball nicht zu haben, war am Ende zumeist im Vorteil – sofern man sich nicht plump hinten einbunkerte, sondern den spielgestaltenden Gegner früh störte und es gleichzeitig schaffte, Spielerinnen rasch und mutig vor den Ball zu bekommen und auch eine gewisse Quirligkeit beim eigeninitiativen Weg ins Angriffsdrittel an den Tag legte. Brasilien hat das ebenso mit stetig wachsender Freude gemacht, Kolumbien ging es ähnlich an.

Von 40 auf 60 Pflichtspiele von 2012 auf 2024

Dabei merkte man diesem Olympia-Turnier noch mehr als den vergangenen Ausgaben an, welche besonderen Umstände hier herrschen. Sechs Spiele in 18 Tagen für die Finalisten (bzw. in 17 Tagen für Spanien und Deutschland, die das Bronze-Spiel bestritten), und dass mit einer Kadergröße von 20 Feldspielerinnen, von denen nur 16 pro Match am Spielberichtsbogen sein dürfen).

Was nun in Frankreich anders war als in Japan 2021, in Brasilien 2016 oder Großbritannien 2012? Nun – die Saison davor ist nun wesentlich intensiver. Das betrifft nicht nur die Intensität, die aufgrund der dramatisch verbesserten Trainingsmöglichkeiten nun im Gegensatz zu damals möglich ist. Sondern auch die schiere Anzahl der Pflichtspiele.

Zum Vergleich: Der Europacup-Sieger von 2012, Olympique Lyon, spielte in der Saison vor Olympia in London 34 Pflichtspiele, dazu kamen sechs Bewerbsspiele des französischen Nationalteams. Für den Europacup-Sieger von 2024, den FC Barcelona, kamen alleine auf Vereins-Ebene 46 Pflichtspiele zusammen – plus 14 des spanischen Nationalteams seit dem WM-Triumph Mitte August letzten Jahres.

Kein Wunder, dass die Spielerinnen von europäischen Spitzenteams ausgebrannt wirkten.

USA: Un-Amerikanisch zur Goldmedaille

Das US-Team hatte den Vorteil, keine euroäische Saison in den Beidnen zu haben: Die NWSL spielt im Kalenderjahr, die Saison hat im März begonnen, davor gab’s vier Monate Pause. Man war geistig frischer und Neo-Teamchefin Emma Hayes war kaum zur Rotation gezwungen. Neun Leute spielten das Turnier de facto durch, nur Davidson und Sonnett hinten bzw. Lavelle und Albert in der Offensive wechselten ein wenig durch.

Wer geglaubt hatte, Hayes hätte in der kurzen Zeit im Amt – sie hat die Saison noch als Chelsea-Trainerin beendet – kaum etwas ausrichten können, durfte beim zweiten Turnierspiel – dem 4:1 gegen Deutschland – erstaunt sein. Aus dem 4-2-3-1 wurde im eigenen Aufbau nämlich hinten eine Dreierkette geformt (Fox, Girma, Davidson/Sonnett), davor standen Horan und Coffey im Zentrum. Rodman rechts und Dunn links agierten als Wing-Backs, schoben hoch – es wurde ein 3-2-5.

Damit löste Hayes mehrere Probleme. Zum einen war mit dem 3-2-Aufbau sichergestellt, dass Ballzirkulation im eigenen Ballbesitz da ist, mit der man Gegner in gewisse Räume locken kann, ohne sofort den vertikalen Pass zu suchen – diese Vorhersehbarkeit war unter Vorgänger Andonovski ein großes Problem gewesen. Zum anderen ist mit dieser 3-2-Staffelung gewährleistet, dass die Tiefe abgesichert ist, sollte ein Vorwärtspass misslingen oder der Gegner einen Konter fahren wollen.

Vorne sorgten Sophia Smith (die gerade im ersten Deutschland-Spiel schlicht nicht zu verteidigen war), Mallory Swanson (die gegenüber ihren wechselhaften Jugend-Jahren gereift ist) und Trinity Rodman (deren Schwäche im Passspiel sie manchmal isolierte, ihre Dribblings brachten aber oft Gefahr) für Wirbel. Den Ball flüssig von aus dem ZM nach vorne zu bekommen, war zuweilen aber ein Problem. Die Spielweise des USWNT war sehr un-amerikanisch: Geduldig im Aufbau, ohne Hektik, auch nicht immer in hohem Tempo und möglichst nicht mit langen Bällen – weil es vorne keine Kanten gibt, die sie sichern.

Es war sehr kontrolliert, sehr ökonomisch. Hinten war dicht (zwei Gegentore in sechs Spielen, davon eines bedeutungslos in der Nachspielzeit) und dann reicht es halt, vorne einmal durchzukommen, und sei es in der Verlängerung – wie im Viertelfinale gegen Japan und im Halbfinale gegen Deutschland. Und auch das Finale gegen Brasilien wurde ja mit 1:0 gewonnen.

Brasilien: Super Stimmung und starker Underdog-Fußball

Das US-Team hat unter Hayes eine sehr brauchbare Basis gelegt, um die nächsten Schritte in eine fußballerisch-inhaltliche Erneuerung zu gehen, noch dazu dekoriert mit Gold. Man kann davon ausgehen, dass die USA in drei Jahren bei der nächsten WM natürlich wieder ein seriöser Titelkandidat sein wird. Das Silber von Brasilien ist hingegen komplett aus dem Nichts gekommen und was das für die Heim-WM 2027 aussagt, ist kaum zu beurteilen.

Beim ersten Spiel konnte einem schon Angst und Bange werden. Gegen Nigeria, als Brasilien zum eigenen Aufbau gezwungen war, standen hinten vier Verteidigerinnen, ganz vorne vier Stürmerinnen und dazwischen zwei Sechser im Deckungsschatten. Es gab einen 1:0-Sieg, aber sowas von dreckig, sowas von nicht anzusehen, sowas von vorsintflutlich – ein katastrophal übler Primitiv-Kick war das. Wo war das flotte Team hin, das im Frühjahr sehenswert ins Finale des Gold-Cups gekommen war?

Das Glück von Brasilien war, ab da nicht mehr selbst gestalten zu müssen. Japan hatte man am Haken, ehe man in der Nachspielzeit noch einen Elfer und ein 35-Meter-Tor zur 1:2-Niederlage kassierte; Spanien frustrierte man mit einem ultra-defensiven 5-4-1 (bzw. einem 5-4-0 nach Martas Ausschluss) zumindest 70 Minuten lang. Man ließ Frankreich im Viertelfinale keinen Rhythmus aufnehmen und schlug spät zum 1:0 zu, ehe man im Semifinale wiederum gegen Spanien einfach eiskalt die Fehler nützte und durch das erlahmte Gegenpressing durchkonterte.

Im Finale gegen die USA agierte Brasilien furchtlos, ließ eine Stunde lang wiederum das Ballkontroll-Spiel des Gegners nicht zu, nach dem 0:1 fehlte aber die Klasse. Sei’s drum: Das von Arthur Elias in dem einen Jahr seit seiner Amtsübernahme radikal umgebaute Team hat den Underdog-Fußball schon mal sehr gut drauf, das ist eine gute Basis, für eine erfolgreiche Heim-WM 2027 wird’s aber noch ein wenig mehr brauchen.

Besonders auffällig war bei Brasilien aber etwas, was es in dieser Form wohl seit den Tagen eines Wilsinho 1999 nicht mehr gegeben hat: Eine grandiose interne Stimmung. Wie sich Spielerinnen, Trainer und Staff gegenseitig geherzt haben, mit strahlenden Augen, echt und voller Begeisterung: Was für ein krasser Gegensatz etwa zum eiskalten Gegeneinander der Spanierinnen mit Ex-Trainer Jorge Vilda, aber auch bei Brasilien selbst zur schroffen Pia Sundhage, zum grummeligen Vadão, aber auch zu Kleiton Lima, der kürzlich unter Missbrauchsvorwürfen als Trainer der Frauen vom FC Santos zurückgetreten ist.

Marta war es auch in ihrem unverhofften vierten großen Endspiel (nach Olympia 2004, WM 2007 und Olympia 2008) nicht vergönnt, einen globalen Titel zu holen, dieser blieb Brasiliens Frauen weiterhin verwehrt. Die Grande Dame selbst, nach ihrem Kung-Fu-Tritt in der letzten Gruppenpartie zwei Matches gesperrt und im Finale zunächst auf der Bank, verabschiedet sich aber vom ersten Team seit über einem Jahrzehnt, das ernsthaft Hoffnung auf eine gute Zukunft bietet.

Deutschland, Spanien, Frankreich: Zwischen innerer Hygiene und spielerischer Unsauberkeit

Für Weltmeister Spanien und Gastgeber Frankreich zählte nur eine Medaille, idealerweise Gold. Deutschland war nach einem Jahr voller Selbstzweifel froh, überhaupt dabei zu sein – und genau dieses deutsche Team war es letztlich, dass eine Medaille holte. Bronze glänzt für den DFB tatsächlich fast wie Gold, weil zwar alle auf ein gutes Abschneiden hofften, aber niemand wirklich mit einer Medaille gerechnet hatte.

Deutschland hat nichts besonders gemacht – man war diszipliniert im mannschaftstaktischen Umschalten beider Richtungen. Das deutsche Team hat im eigenen Aufbau nicht allzu viel Kreativität gezeigt, auch weil eine Lena Oberdorf auf der Sechs, die ein Spiel wenn nötig von hinten ein wenig in die Hand nehmen kann, mit einem Kreuzbandriss gefehlt hat. Alex Popp, die bis auf ein Spiel (das bedeutungslose letzte Gruppenspiel gegen Sambia) tatsächlich hinter Nüsken im defensiven Mittelfeld-Zentrum gespielt hat, hat nicht viel kaputt gemacht, viel gebracht aber auch nicht.

Man nützte die Chancen gegen Australien cool, es kam Deutschland entgegen, dass den Tillies noch weniger einfiel. Man fand beim (etwas zu hohen) 1:4 gegen die USA keinen Zugriff auf das Zentrum und musste sich im Viertelfinale gegen Kanada mit viel Nachlaufen ins Elferschießen retten. Das Halbfinale (wo man das US-Team viel besser kontrollierte als im Gruppenspiel) und das Bronze-Spiel (wo man Spanien den Ball überließ, auch das nötige Glück hatte) waren vernünftige Darbietungen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ann-Katrin Berger hielt gegen Spanien in der Nachspielzeit noch einen Elfmeter von Putellas, damit war Bronze sicher.

Dieser Erfolg ist ein schöner Bonus für Deutschland, womit die „Mission Innere Hygiene“ von Interims-Trainer Horst Hrubesch ein voller Erfolg war: Nach den zwischenmenschlich eher unerquicklichen Jahren unter Martina Voss-Tecklenburg kommen nun wieder alle gerne zum Nationalteam und obendrein gab es auch noch einen zählbaren Erfolg. Nun übernimmt Christian Wück, der letztes Jahr die deutschen U-17-Burschen zum WM-Titel geführt hat.

Hrubesch war zehn Monate Bundestrainer, für Hervé Renard endet die Amtszeit als Sélectionneur von Frankreich nach 16 Monaten. Sportlich war sie mit den Viertelfinal-Niederlagen bei der WM 2023 und nun bei Olympia 2024 nichts Besonderes, dem Final-Einzug in der Nations League zum Trotz. Konnte man das WM-Aus im Elfmeterschießen gegen Australien auch als Pech abtun, nach recht guten Leistungen zuvor, hat sich nun das Aus gegen Brasilien mit einer wackeligen Gruppenphase schon ein wenig abgezeichnet.

Zwar zog man Kolumbien zum Auftakt mit Leichtigkeit durch das Stadion und führte auch in der Höhe verdient schon 3:0, aber zwei schnelle Gegentore aus dem Nichts brachten das ganze Gebilde höllisch zum Einstürzen. Man zitterte den Sieg über die Zeit, gegen Kanada war es aber ähnlich: Man war nicht überragend, aber gut genug, kassierte nach einer Stunde das Tor zum 1:1-Ausgleich und schien danach nicht zu wissen, ob man auf Sieg spielen oder den Punkt absichern soll und machte letztlich weder noch, verlor in der Nachspielzeit 1:2.

War es die lange Saison? Der Druck des Heim-Turniers, dem Frankreich schon 2019 nicht standgehalten hat? Hervé Renard gab unablässig Anweisungen, über die Außen-Mikros gut zu hören, aber seinem Team fehlte der Zusammenhang, die Passgenauigkeit, es spielten – wenn es eng wurde – nicht alle vom selben Notenblatt. Im Viertelfinale bohrte Brasilien genau das an, nervte Frankreich, war giftig und griffig und erzielte gegen Ende tatsächlich das siegbringende Tor zum 1:0.

Renard redete die Enttäuschung klein, „für mich ist es mir egal, ich habe schon genug gewonnen und verloren“, was ein wenig kalt wirkt. Auf dem Feld hat er Frankreich weder weiter gebracht noch schlechter gemacht, aber er hat – wie Hrubesch – viel von der Toxizität seiner Vorgängerin rausgenommen. Wer Frankreich in die EM nächstes Jahr in der Schweiz führt, ist noch unklar, ebenso wie vieles andere. Amandine Henry spielte kaum eine Rolle (sie war Renard wohl zu wenig robust, wird kolportiert), Eugenie Le Sommer ebenso; Wendie Renard kommt in die Jahre.

In Frankreich wird moniert, dass der Spielwitz der frühen 10er-Jahre, als man unter Bruno Bini in die Weltspitze schoss, einer athletischen Funktionalität gewichen sei, und das ist nicht von der Hand zu weisen. Die defensiven Außenpositionen sind ein Problem (Bacha und Karchaoui haben klare defensive Schwächen, De Almeida offensive), von der Sechs kommen zu wenige Impulse. Die Generation mit Nécib, Abily und Laura George hat nix gewonnen. Die Generation mit Henry, Le Sommer und Renard hat auch nix gewonnen. Soll der neue Trainer mit ihnen auch 2025 noch in die EM gehen oder im Gegenteil ein neues Kapitel, eventuell auch stilistisch, aufschlagen?

Auch der Weltmeister geht mit leeren Händen aus dem Turnier. Spanien war im letzten Jahr fraglos das beste Team der Frauenfußball-Welt, aber auch hier galt: Ganz auf der Höhe war die Truppe bei Olympia nicht. Der Ballbesitz war immer noch sicher, man spielte sich in gewohnter Manier die Bälle zu. Aber es fehlte die Durchschlagskraft nach vorne, es fehlte die Intensität im Gegenpressing – und damit wurden die Schwächen in der Abwehr ohne Mapi León doch aufgedeckt.

Sie ist die letzte von „Las 15“, den Streikführern unter Jorge Vilda, die auch ein Jahr nach seinem Abgang eine Rückkehr ins Nationalteam verweigert. In der Vorrunde schien das noch kein echtes Problem zu sein: Japan verlor nach einer scharfen ersten Halbzeit die Ordnung und Spanien gelang mit einem 2:1-Sieg die Revanche für das Vorrunden-0:4 bei der WM letztes Jahr. Gegen Nigeria hatte man gefühlt 96 Prozent Ballbesitz (tatsächlich waren es 77), man brauchte aber einen späten Freistoß zum 1:0-Sieg. Und gegen ein mit allen Feldspielerinnen verteidigendes Brasilien dauerte es auch über 70 Minuten, bis man in Führung ging.

Benefit of Hindsight: Hätte Spanien danach in der K.o.-Runde überzeugender performt, wäre die Gruppenphase als kraftschonender Aufgalopp wahrgenommen worden. Die giftigen Konter eines griffigen kolumbianischen Teams brachte Spanien im Viertelfinale aber schon an den Rand des frühen Aus, es stand lange 0:2, erst in der Nachspielzeit rettete sich Spanien in die Verlängerung, gewann dann das Elfmeterschießen. Die hanebüchene Implosion von Marseille, das 2:4 gegen Brasilien mit wirklich lächerlichen Schnitzern in der Abwehr, beendete aber jeden Anspruch auf eine Bestätigung des WM-Titels. Zumal das Resultat noch besser aussieht, als das Spiel war: Brasilien vergab noch zahllose gute Chancen, das erste spanische Tor fiel erst in der 85. Minute.

Am Ende gab es nicht mal Bronze, weil man Deutschland im kleinen Finale nicht mal aus einem Elfmeter ein Tor schießen konnte. Was war los? Kein einziger Gegner erlaubte es der schnellen Paralluelo, ihr Tempo auszuspielen, die Strafraumbesetzung war dadurch kaum vorhanden. Und die Abwehr, die sich schon in Nations League und EM-Quali zuweilen als löchrig erwiesen hat, ist nun mal nicht das Prunkstück.

Enttäuschend? Ja, keine Frage. Grund zur Panik? Erstmal nein, denn auch bei Spanien gilt: In den elf Monaten unter Montse Tomé ist einiges an zerbrochenem Porzellan wieder gekittet worden. Dass es sehr viele Ungenauigkeiten gab, die auf geistige Müdigkeit schließen lassen, ist für den neuen FC-Barcelona-Trainer Pere Romeu aber ein Einstandsgeschenk, auf das er gerne verzichtet hätte.

Kanada: Dank Skandal von mentalen Fesseln befreit

Der Sieger von 2021 hatte seine eigene, ganz spezielle Stunde Null. Nach dem Wirbel um die (erst) Suspendierung und (dann) Entsorgung von Trainerin Bev Priestman kam Kanada im emotionalen Ausnahmezustand zu einem 2:1-Sieg gegen Neuseeland, man wirkte nur körperlich anwesend und gewann auch wegen einer taktischen Dummheit der früh in Führung gegangenen Ferns. Dann kam einen Tag vor dem zweiten Spiel auch noch der Sechs-Punkte-Abzug dazu – und es passierte etwas erstaunliches.

Gabby Carle und Evelyne Viens berichteten nach dem Turnier nicht nur von einer Jetzt-Erst-Recht-Stimmung, sondern vor allem von einem Gefühl der Befreiung. Priestman hat wohl mit Vorlieben auf Fehlern und Schwächen ihres Teams herumgehackt und im Team ein Gefühl der Angst vor Fehlern geschaffen – so versteht man die biedere Langweiligkeit, die Kanada in den letzten Jahren versprüht hat und womöglich auch die widerstandslose Implosion gegen Australien vor einem Jahr, als man mit einem 0:4-Debakel aus der WM-Vorrunde gekickt worden ist.

Andy Spence aber, der zunächst mal interimistisch das Trainer-Amt übernommen hat, verbreitete sofort eine positive Atmosphäre nach dem Motto „Zeigt, was du kannst“. Im Wissen, Frankreich besiegen zu müssen, taute man nach einer Stunde merklich auf, suchte seine Chance und gewann tatsächlich noch. Einen Sieg gegen Kolumbien später stand Kanada im Viertelfinale und spielte dort auch Deutschland, je länger das Spiel lief, immer mehr an die Wand. Im Elfmeterschießen endete die Reise dann.

Diese Transformation innerhalb von kaum mehr als einer Woche – von einem Paria der Frauenfußball-Welt zu einem immer mitreißender wirkenden Team, mit dem man mitfieberte – ist ziemlich einzigartig. Dem Schwung dieser Ausnahmesituation in etwas Längerfristiges mitzunehmen, wird eine Herausforderung sein, denn immer noch leidet der Verband unter Geldnot und für Kanada steht nun lange kein ernsthaftes Turnier mehr an. Nächstes Jahr startet mal die neue, eigene Liga.

Japan und Kolumbien: Guter Eindruck mit Schwachpunkten

Die Nadeshiko war letztes Jahr bei der WM der Liebling der neutralen Zuseher aufgestiegen: Unglaublich gut aufeinander abgestimmt, extrem clever, schnell im Kopf und flink mit den Beinen; im entscheidenden Moment fehlte die routinierte Abgeklärtheit. Nun waren all diese Elemente wieder zu sehen: Japan presste Spanien an und sorgte beim Weltmeister für Bauchweh, stellte Brasilien vor nahezu unlösbare Aufgaben. Allerdings: Jeweils nur eine Stunde lang.

Denn Japan, wo längst auch das Gros der Truppe in den europäischen Top-Ligen spielt, schien für dieses vor allem im Kopf sehr anstrengende Spiel nie mehr Luft als eine Stunde zu haben. Dann wurde die Intensität geringer, die Laufwege ungenauer und die Kontrolle über das Spiel ging verlustig. Gegen Spanien verlor man noch, gegen Brasilien musste eine Willensleistung her, ehe man gegen ein harmloses Nigeria schon zur Pause hoch genug führte, um den Sieg noch zu gefährden.

Im Viertelfinale gegen die USA stellte man sich ganz tief rein, ließ das kontrollierte US-Spiel über sich ergehen und baute darauf, dass man den Amis keine Lücke anbot. Die Momente, in denen man das Spiel ein wenig an sich reißen hätte können, ließ Japan passiv verstreichen und in der Verlängerung schlug es dann halt doch noch ein. Für Japan war dieses olympische Turnier ein Bestätigung dessen, dass man mit cleverem Spiel jedes Team der Welt fordern kann – dass aber, wenn es hart auf hart kommt, in einer K.o.-Partie gegen ein routiniertes Team doch der Killerinstinkt (noch?) fehlt. Der japanische Verband jedenfalls ist nicht überzeugt davon, dass Futoshi Ikeda diese Fähigkeiten vermitteln kann, und verweigerte ihm die Vertragsverlängerung.

Kolumbien war letztes Jahr im WM-Viertelfinale, jetzt im Olympia-Viertelfinale und dort war man drauf und dran, Spanien aus dem Turnier zu kegeln. Was war dieses Turnier für Kolumbien: Der endgültige Durchbruch als Team, das an ein Semifinale anklopft oder ist man doch nur ein Team der zweiten Reihe, dass einen Großen nerven kann, wenn alles passt – aber nicht wirklich eine Mannschaft, die ernsthaft behaupten kann, schon fast zu den Großen zu gehören?

Denn, nüchtern betrachtet, hat Kolumbien ein einziges Spiel gewonnen und das war ein nie gefährdeter, aber eben auch pflichtgemäßer 2:0-Erfolg über Neuseeland. Ja, man sorgte bei Frankreich für Panik – aber erst, nachdem man schon 0:3 im Rückstand lang. Ja, man hielt gegen Kanada mit – verlor aber dennoch. Kolumbien hat eine unspektakuläre, aber solide Defensive und eine flinke Offensivabteilung, hat mit Caicedo ein technisch ungemein versiertes Wunderkind in den eigenen Reihen. Dank der vielseitigen Catalina Usme – die am Flügel, ganz vorne und auch auf der Sechs spielte – konnte man sich auch um die Zwei-Spiele-Sperre von Chelsea-Stürmerin Mayra Ramírez herumschummeln.

Wenn es bei Kolumbien läuft, lauft das Bällchen schnell, zu schnell definitiv für Neuseeland, im Umschalten auch zu schnell für ein etwas hühnerhaufig gestaffeltes Spanien an diesem Tag. Aber Kolumbien fehlt einfach massiv die Kadertiefe. Ab dem zweiten, spätestens dem dritten Wechsel ist das Leistungsgefälle schon massiv. Als Spanien in der Nachspielzeit zum 2:2 ausglich, war eigentlich schon klar, dass Kolumbien in einer Verlängerung nichts mehr zuzusetzen hat.

Aber hey, wenn man bedenkt, dass man nach der verpassten WM-Quali für 2019 Sorge haben musste, dass Kolumbien in der Bedeutungslosigkeit versinkt, sind das ja Luxusprobleme. Man kann angesichts des Auftritts im Viertelfinale mit Optimismus aus diesem Olympia-Turnier rausgehen.

Australien und Neuseeland: Eine 6:5-Achterbahn mit Folgen und ein Team ohne jede Offensiv-Qualität

Welche Spiele werden von diesem Turnier in Erinnerung bleiben? Man muss ehrlich sein, es sind nicht viele. DAS Spiel des Turniers – und ein Spiel, auf das man noch lange verweisen wird – war natürlich das komplett absurde 6:5 von Australien gegen Sambia. Sechs zu fünf.

Zum Auftakt lief der Halbfinalist von Olympia 2021 und Heim-WM 2023 in ein 0:3 gegen Deutschland, früh im Rückstand und dann kein Mittel gefunden, nicht gut, aber kein existenzielles Drama. Dann aber ließ Tony Gustavsson seine langsame Abwehr gegen die gefürchtet schnellen sambischen Konterstürmerinnen tief stehen, während der Rest vorne ein Spiel zu gestalten versuchte. Und man kassierte ein Gegentor nach dem anderen.

Nach 40 Sekunden versuchte Banda halb aus der Not einen Schuss aus 30 Metern, traf genau, 0:1. Schlechte Restverteidigung bei einem Kundananji-Konter, 1:2. Arnold vertut sich bei einer Ecke, Banda trifft per Drehschuss aus seltsamem Winkel, 1:3. Hunt drischt den Ball beim Klärungsversuch genau Banda auf den Körper, die kann sich gegen das Tor gar nicht wehren, 2:4. Kundananji völlig frei bei Freistoß, 2:5. Der Gag war, dass Australien Chancen am laufenden Band hatte, aber ein bescheuertes Tor nach dem anderen fing. Man schob danach die Abwehr weiter nach vorne, gab weniger Räume her und nützte doch noch ein paar Möglichkeiten, gewann 6:5, aber der Schaden war angerichtet.

Tabellarisch, weil man einen höheren Sieg gebraucht hätte, um als Dritter mit drei Punkten durchzuschleichen. Vor allem aber im Kopf. Verschreckt und verschüchtert bibberte man sich ins Match gegen die USA, ultra-defensiv in einem 5-4-1, und man kam nicht mal aus dem Schneckenhaus, als man nach dem Rückstand eigentlich ein Remis jagen hätte müssen. Sang- und klanglos schied Australien aus und so endet nach vier Jahren die im Ganzen dennoch sehr erfolgreiche Ära des schwedischen Tillies-Trainers. Dieser Misserfolg – ohne die verletzte Stürmerin Sam Kerr, die halt nicht zu ersetzen ist – ist ärgerlich, sollte aber den ungemein positiven Einfluss Gustavssons auf das australische Team nicht vergessen lassen.

Der ozeanische Nachbar und WM-Co-Gastgeber Neuseeland hätte einem mental zerzausten kanadischen Team zum Start beinahe einen Punkt abgetrotzt, aber was folgte, war dann doch wieder, was man von Neuseeland gewohnt ist. Die Ferns kommen auf einen Expected-Goals-Wert von 0,7 – in allen drei Gruppenspielen addiert, wohlgemerkt.

Michael Mayne, der die nach internen Vorkommnissen suspendierte Teamchefin Jitka Klimková ersetzte, hat eine Defensive auf durchaus vorzeigbarem, durchschnittlich-gutem internationalen Niveau zur Verfügung: Anständige Mittelklasse, durchaus auf der Höhe – xGA von 1,8 pro Spiel, immerhin Platz acht im Turnier. Aber davor ist halt einfach überhaupt nichts da. Aus dem Mittelfeld kommt schon nichts Brauchbares in die gegnerische Hälfte, geschweige denn ins Angriffsdrittel – und selbst wenn, sind die zur Verfügung stehenden Stürmerinnen international nicht mal zweitklassig.

Dass man damit sogar zwei Tore geschafft hat – einmal nach einer Ecke, einmal ein Weitschuss nach Einwurf – ist aller Ehren wert. Aber wenn man früher das Gefühl hatte, es wäre mit Leuten wie Wilkinson, Hassett, Percival, Riley und Erceg ein wenig mehr im Team drin, wenn es sich nur trauen würde, ist die traurige Wahrheit ein Jahr nach der Heim-WM: Für mehr als sich nicht zu blamieren reicht die Substanz einfach nicht.

Nigeria und Sambia: Sechs Spiele, sechs Niederlagen, aber hier stehen andere Dinge im Fokus

Drei afrikanische Teams waren letztes Jahr im WM-Achtelfinale. Nigeria hatte Kanada eliminiert, Südafrika hatte Italien nach Hause geschickt und für Marokko war ein Erfolg gegen Kolumbien entscheidend. Nun bei Olympia heißt die bittere Wahrheit für das afrikanische Duo: Kein einziger Punktgewinn und niemand war an einem Überstehen der Vorrunde auch nur nahe dran.

Unterhaltsamer war Sambia, keine Frage. Barbara Banda und Rachel Kundananji, für die die US-Profiklubs aus Orlando und San Jose ein Vermögen bezahlt haben, sorgten zumindest bei Australien schon mit ihrer schieren Anwesenheit für Angst und Schrecken. Gegen die Matildas machte man aus sehr wenig ziemlich viel, musste aber froh sein, „nur“ sechs Gegentreffer bekommen zu haben, und nicht zehn oder zwölf. Denn diese Abwehr, ojemine, das hat mit internationalem Format so gar nichts zu tun.

Gegen das defensiv-stabile US-Mittelfeld kam Sambia kaum aus der eigenen Abwehr heraus und Deutschland hatte man spätestens nach dem zweiten Gegentreffer nichts mehr entgegen zu setzen. Stamm-Torhüterin Hazel Nali ist mit Kreuzbandriss out, Vertreterin Ngamo Musole griff diverse Male daneben. Auch ihren Vorderleuten ging es rasch mal zu schnell. Sambia sammelte in den drei Matches einen Expected-Goals-Against-Wert von sagenhaften 12,0 (!!!) an – fast doppelt so viel wie das Team mit der zweitschlechtesten Abwehr.

Das Team aus Nigeria hat seine Schwächen im Vorwärtsgang. Zum Auftakt gegen Brasilien durfte man sich ein wenig als unglücklich betrachten, aber ausnützen konnte man die offenbarten Räume zwischen den brasilianischen Linien auch nicht – 0:1. Gegen Spanien verbarrikadierte man 85 Minuten lang eisern den eigenen Strafraum, schoss nur einmal ernsthaft auf das Tor, fing sich dann ein Freistoß-Gegentor.

Ein Weiterkommen war da eh schon nicht mehr realistisch, es setzte noch ein 1:3 gegen Japan, was soll’s. Beide afrikanischen Teams waren (gemeinsam mit Neuseeland) im vierten Topf, da hat man es halt nur mit objektiv besseren Teams zu tun. Wir können darüber reden, dass Nigeria ja schon eigentlich eine gewisse Qualität auch vor der Abwehr hat, aber afrikanische Teams muss man halt leider immer noch mit anderen Gesichtspunkten beurteilen als andere.

Denn während in Kanada eine Bev Priestman sofort eliminiert wurde, in der NWSL (oft zu spät, aber doch) übergriffige Trainer ihre Jobs los sind, in Spanien nach dem WM-Titel den Männerbünden im Verband ihr Verhalten um die Ohren geflogen ist und Klimková in Neuseeland suspendiert wurde, ist in Sambia der Lustmolch Bruce Mwape halt immer noch Trainer. Nicht mal, dass die französischen Behörden ihm bis zur letzten Minute das Visum verweigerten und er keinen privaten Kontakt zum Team haben durfte, war für den sambischen Verband ein Entlassungsgrund. In sambischen Medien wird Mwapes Ablöse gefordert – aber nicht wegen der ihm zur Last gelegten sexuellen Übergriffe, sondern weil man das Spiel gegen Australien noch verloren hat.

Und bei Nigeria kann man selbstverständlich über die (oft allzu) vorsichtige Spielweise von Waldrum sprechen und das Fehlen von eingespielten Angriffszügen und den Unterschied, den es im Spielweise, Positionierung und Passrouten gibt, wenn die Weltklasse-Konterspielerin Oshoala am Feld ist oder nicht. Nur: Waldrum war in den letzten Jahren eben auch die Lebensversicherung für das Team in Form eines Schutzschildes gegen den nigerianischen Verband, der dem Frauen-Team bei jeder Gelegenheit Knüppel in die Speichen schiebt, strukturell ebenso wie finanziell.

Waldrum ist erfolgreich Trainer in Amerika, beim Universitäts-Team von Pittsburgh, er ist auf den Job in Nigeria in keinster Weise angewiesen. Die Spielerinnen sind aber darauf angewiesen, das ein starker, resilienter und dickhäutiger Trainer ihnen den Rücken gegen die internen Querschüsse frei hält – ob das Angriffsspiel nun klappt oder nicht, ist leider eher zweitrangig.

Bitte mehr Teams und größere Kader, bitte weniger Nachspielzeit

Die Aufnahme des Frauenfußballs ins olympische Programm 1996 hat dem Sport eine entscheidende Glaubwürdigkeit verliehen, bis heute ist der Stellenwert eines Olympiasieges sehr hoch. Diskussionen, ob der Sport im Zeichen der fünf Ringe eine Zukunft hat, sind also überzogen. Allerdings: Über die Form kann, soll, muss man reden.

Die FIFA will das Turnier sehr wohl erweitern, von 12 auf 16 Teams (wie bei den U-23-Männern) und auf mehr als 18 Spielerinnen im Kernkader. Das IOC blockt diese beiderseitig sinnvolle Vergrößerung mit dem „da könnten das andere ja auch wollen“ kategorisch ab. Die fußballerische Qualität ist durch den extrem engen Terminplan (der ja verständlich ist) längst nicht so hoch wie bei einer WM. Da das Turnier in der öffentlichen Wahrnehmung unter 328 anderen Medaillen-Entscheidungen eher untergeht, ist ein „das ist keine Werbung für den Sport“ kein echtes Argument.

Aber man würde sich schon wünschen, dass ein Finalist nicht im Endspiel eine verletzte Spielerin einwechseln muss, weil sonst einfach niemand mehr da ist. Brasilien ist das so ergangen. Brasilien war auch der größte Leidtragende der alle Rahmen sprengenden Nachspielzeiten, welche die FIFA bei ihren Matches sehen will. Im Schnitt dauerten die 26 Partien nämlich 103 Minuten und 30 Sekunden.

Bei fünf der acht Spiele mit der meisten Nachspielzeit war Brasilien beteiligt. Der Vergleich mit der diesbezüglich sehr angenehmen EM verdeutlichte einmal mehr, was für ein kompletter Blödsinn das mit den Ewig-Nachspielzeiten ist – gerade bei einem Turnier mit so wenig Regenerationszeit und so kleinen Kadern. Das Gruppenspiel zwischen Brasilien und Spanien bekam 10 Minuten in der ersten und 19 Minuten in der zweiten Hälfte obendrauf.

Seriously, was soll das.

So geht es weiter

In Europa ist im Sommer 2025 die EM in der Schweiz, im Oktober und November werden die zwei Playoffrunden dafür gespielt. Österreich trifft zunächst auf Slowenien und im (wahrscheinlichen) Erfolgsfall in Entscheidungsspielen vermutlich auf Polen.

Afrika wird im kommenden Sommer, parallel zur EM, jene Kontinentalmeisterschaft nachholen, die eigentlich für 2024 geplant war, für die man aber in diesem Jahr keinen Platz im Kalender gefunden hat. Auch in Südamerika geht zeitgleich die Copa América Femenina über die Bühne, und zwar in Brasilien quasi als Testlauf für die WM 2027. Letztmals soll dieses danach zweijährig ausgetragene Event gleichzeitig die WM-Quali sein, für 2031 will die Conmebol auf eine eigene Quali wie bei den Männern umstellen.

Im Sommer 2027 steigt eben die WM in Brasilien und um die nächste Goldmedaille geht’s dann im Rahmen der Spiele von Los Angeles 2028 – allerdings nicht verteilt im ganzen Land, sondern beschränkt auf Kalifornien. Ob dann schon 16 statt 12 Teams mitmachen dürfen? Lieber nicht drauf wetten.

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Olympia Preview: Gold für Spanien am Silbertablett? https://ballverliebt.eu/2024/07/23/olympia-2024-preview-gold-fuer-spanien-am-silbertablett/ https://ballverliebt.eu/2024/07/23/olympia-2024-preview-gold-fuer-spanien-am-silbertablett/#respond Tue, 23 Jul 2024 15:34:00 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20528 Olympia Preview: Gold für Spanien am Silbertablett? weiterlesen ]]> Europameister bei den Männern? Spanien. Amtierender Nations-League-Sieger? Spanien, bei den Männern und den Frauen. Amtierender Frauen-Weltmeister? Genau, Spanien. Sieger der Women’s Champions League? Der FC Barcelona, zum dritten Mal in den letzten vier Jahren.

Zum ersten Mal haben sich Spaniens Frauen nun auch für ein Olympisches Turnier qualifiziert und selbstverständlich sind Aitana Bonmatí und Co. der klare Favorit auf Gold. Wer soll sie schlagen – das US-Team, auf der Suche nach einer neuen Identität? Die Französinnen, die im Nations-League-Finale im Februar völlig chancenlos waren? Titelverteidiger Kanada, die wankelmütigen Deutschen, die aufstrebenden Australierinnen, die cleveren Japanerinnen oder gar der kommende WM-Gastgeber Brasilien?

Oder spielen sie alle in Wahrheit nur um Silber oder Bronze?

Ein spezielles Turnier

Nur: So ein olympisches Turnier bietet anderer Unwägbarkeiten als eine WM oder eine EM. Da wäre zunächst der Kalender. Sechs Spiele in 17 Tagen, alle drei Tage ein Match – das ist eine Knochenmühle. Gleichzeitig durften die Verbänden nur 18 Spielerinnen nominieren, bei der WM letztes Jahr waren es noch 26 Spielerinnen gewesen.

Durch den relativ späten Termin mit Start Ende Juli fällt das Turnier zudem nach eine verkürzte Sommerpause anstatt im Anschluss an eine Saison. Andererseits kommen acht der zwölf Teilnehmer ins Viertelfinale und die Gruppenphase ist für die Favoriten eher nur ein Platzieren für den K.o.-Baum. Dieser kommt ob all dieser Umstände bei Olympia nicht selten eher random daher.

Wer ist dabei, wer fehlt?

In Europa wurde erstmals nicht das Abschneiden der vorangegangenen WM als Qualifikation hergenommen, sondern die zwei Teilnehmer neben Gastgeber Frankreich auf sportlichem Weg in der Nations League ermittelt. Spanien als Sieger und Deutschland als Dritter haben sich hier durchgesetzt; Frankreich hätte sich als NL-Finalist auch sportlich die Teilnahme gesichert. Das heißt, dass Schweden erstmals (!) bei einem Olympia-Turnier fehlt, auch Europameister England (als „Team GB“ 2012 und 2021 mit dabei) und die Leeuwinnen der Niederlande sind nicht vertreten.

In Asien haben sich Japan und Australien durchgesetzt; China ist wie Südkorea schon vor den Entscheidungsspielen an Nordkorea gescheitert. Die Südamerika-Plätze wurden gemeinsam mit den WM-Tickets an Brasilien und Kolumbien vergeben (bei der WM war auch Argentinien noch dabei), Concacaf-Meister USA war direkt dabei, Titelverteidiger Kanada musste nochmal in ein Playoff gegen den Concacaf-Dritten Jamaika und gewann das 2:0 und 2:1.

Neuseeland spazierte zum Ozeanien-Ticket und in der Afrika-Quali, rein nach K.o.-Format ausgetragen, setzten sich in den ungemein engen Finalspielen Nigeria (hauchdünn gegen Südafrika) und Sambia (nach Verlängerung gegen Marokko) durch.

Der Weltmeisterinnen: Spanien

Nach dem WM-Triumph hat man sich in der Nations League im vergangenen Herbst und der EM-Quali in diesem Frühjahr zwei Patzer erlaubt – ein 2:3 gegen Italien und ein 1:2 in Tschechien. Davon abgesehen war Spanien absolut makellos unterwegs: Zwei Siege gegen Schweden (3:2 und 5:3), zwei Siege gegen Dänemark (2:0 und 3:2), zweimal hat man die Schweiz verprügelt (5:0 und 7:1), dazu kamen die Machtdemonstationen im Final-Four der Nations League mit dem 3:0 gegen die Niederlande und dem zu knappen 2:0 im Finale gegen Frankreich.

In den 14 Pflichtspielen seit dem WM-Finale hat Trainerin Montse Tomé insgesamt 30 Spielerinnen eingesetzt, was wiederum Bände über die Kadertiefe spricht. Sieben bis acht Spielerinnen der Grundformation kommen von Liga- und Europacup-Dominator FC Barcelona oder sind dort ausgebildet worden; dazu kommen Linksverteidigerin Carmona, Sechser Abelleira und Flügelstürmerin Athenea von Real Madrid, die sich ins flüssige Gesamtspiel gut einfügen.

Das Spiel dreht sich um Weltfußballerin Aitana Bonmatí auf der Acht, ein Inbegriff des La-Masia-Fußballs: Klein, wenig, gedankenschnell, technisch perfekt, fehlerfreies Passspiel, grandioses Auge, kann antizipieren und auch noch Tore schießen. Doch selbst, wenn man die 26-Jährige an die Kette nimmt, bringt das oft nichts: Abelleira hinter ihr kann nicht nur die Abwehr abschirmen, sondern ebenso ein Metronom sein, die Qualitäten von Hermoso oder Putellas sind bekannt. Mariona Caldentey hat ein extremes Gespür für Räume und Laufwege, die Außenterteidigerinnen Batlle und Carmona sind Waffen im Spiel nach vorne, die Innenverteidigerinnen sind spielstark und Sprinterin Salma Paralluelo war – aller technischen Schwächen zum Trotz – mit ihrem Tempo schon bei der WM kaum zu halten.

Nach dem holprigen Start ihrer Amtszeit als Nachfolgerin des ungeliebten und im Zuge der Rubiales-Affäre aus dem Amt gespülten Jorge Vilda wirken Tomé und ihr Team zumindest nach außen wie eine echte Einheit. Wenn alles normal läuft, kann sich Spanien am Weg zum Gold eigentlich nur selbst schlagen – aber, wie erwähnt, das haben sie in den letzten Monaten auch schon zweimal geschafft.

Spaniens Gegner: Japan, Brasilien, Nigeria

Rückblende, Wellington in Neuseeland, 31. Juli 2023: Japan hat im letzten WM-Gruppenspiel gegen Spanien nur 23 Prozent Ballbesitz, gewinnt dennoch mit 4:0. Fast auf den Tag ein Jahr später kommt es zur Revanche im ersten Olympia-Gruppenspiel. Seit der WM, bei der sich das radikal verjüngte japanische nach vier grandiosen Spielen im Viertelfinale von Schweden abkochen hat lassen, kam die Nadeshiko ein wenig ins Holpern.

Das lag weniger an einem stockenden Lernprozess, sondern an personellen Sorgen. WM-Torschützenkönigin Hinata Miyazawa hat sich im Dezember den Knöchel gebrochen, die linke Flügelspielerin Jun Endo das Kreuzband gerissen, Hina Sugita spielt bei Portland in den USA eine schwache Saison. Man hatte im Quali-Playoff gegen Nordkorea extreme Mühe, beim SheBelieves Cup verlor Japan knapp gegen die USA und remisierte gegen Brasilien.

Ikeda hat zuletzt eher mit einem 4-2-3-1 gespielt statt mit dem 5-4-1 der WM, er hat personelle Optionen. Fuka Nagano hat sich bei Liverpool (als Nebenfrau von Marie Höbinger) ein Jahr in der englischen Liga abhärten können, Miyazawa ist zurück, mit Kumagai – die zuletzt in Testspielen aus der Innenverteidigung auf die Sechs vorgerückt ist – kann Ikeda ohne personelle Wechsel wieder die Fünferkette herstellen. Kiko Seike, die nun noch mit 27 Jahren den Sprung nach England zu Brighton wagt, ist eine Option auf dem Flügel.

Die Spielweise hat sich seit der WM nicht geändert: Japan hat kein Problem damit, dem Gegner den Ball zu überlassen, weil das Team extrem gut organisiert ist, die Räume manipulieren kann, technisch gut ist, schnell denken kann und durch immer mehr Legionärinnen in Europa, und da vor allem in England, auch von körperlicher Robustheit nicht mehr abgeschreckt ist.

Mit einigen Fragezeichen kommt Brasilien zum olympischen Turnier. Nicht, was das grundsätzliche Potenzial angeht, das ist fraglos da. Aber mit welchen Personal und in welchem System Teamchef Arthur Elias, der nach dem WM-Vorrunden-Aus gegen Jamaika letztes Jahr von Pia Sundhage übernommen hat, ist völlig offen.

Beim W Gold Cup im Februar und März, wo Brasilien mit zahlreichen frischen Gesichtern aufgetaucht ist, erreichte man nach den bleiernen Jahren unter Vadão und Sundhage mit erstaunlich frischem, flinkem und ineinander greifendem Spiel und einem 3-4-3 das Finale, unterlag dort der USA in einem engen Spiel. Beim SheBelieves Cup im März war es wieder ein 3-4-3, aber mit völlig anderem Personal – die Alten wie Marta, Cristiane und Tamires waren dabei, dazu ein paar komplett Unbekannte. Dann, bei zwei Tests gegen Jamaika, war es personell eine Mischung, dafür mit einmal mit 4-3-3 und einmal mit 4-2-3-1.

Stammkräfte wie Bia Zaneratto, Debinha und Torhüterin Luciana fehlen im Aufgebot komplett, Cristiane – die zwischendurch dabei war – ebenso, auch Geyse von Manchester United ist nicht mal auf Abruf. Dafür ist Marta wieder da und Kerolin scheint im Kader auf – obwohl die nach ihrem Kreuzbandriss seit Oktober kein Spiel mehr in den Beinen hat.

Es ist der letzte echte Pflichtspiel-Härtetest für Brasilien vor der Heim-WM in drei Jahren und in diesem Kontext muss man dieses Turnier sehen. Man darf nach den ermutigenden Auftritten darauf hoffen, dass Brasilien eine geschlossenere Mannschaft sein wird, nicht mehr nur eine Ansammlung an Individualisten. Und dieses Turnier wird der internationale Abschied von Marta: Die 38-Jährige hat im April noch einmal bekräftigt, das dies ihre letzten Länderspiele werden. Bei der WM 2023 war sie nur noch Wechselspielerin.

Der vierte im Bunde in der Gruppe C ist Nigeria. Bei der WM waren Oshoala und Co. trotz großer interner Turbulenzen zwischen Verband und Team ins Achtelfinale vorgestoßen und hätten dort beinahe England eliminiert. Der Verband, der Waldrum im WM-Vorfeld offiziell medial ausgerichtet hat, ihn für ein „ahnungsloses Großmaul“ und einen „Schmarotzer“ zu halten, verlängerte dann doch mit dem US-Amerikaner. Dieser blieb erfolgreich, qualifizierte Nigeria in einem engen Playoff gegen Südafrika (1:0 und 0:0) für Paris.

Und Waldrum blieb auch unbequem, fordert weiterhin öffentlich mehr Commitment vom Verband: „Wir sind wie Journalisten, die noch mit Bleistift und Block arbeiten, nicht mit modernen Geräten wie die anderen!“ Instrumente zur Leistungsmessung gibt es nicht, Tracking-Software ebenso nicht. Mit Nnadozie vom FC Paris, einer der besten Torhüterinnen der französischen Liga, und Angriffs-Sprinterin Oshoala (die in der NWSL bei Bay FC in San Jose spielt) ragen zwei Spielerinnen aus dem ansonsten guten, aber nicht überwältigenden Kollektiv heraus. Ein Viertelfinal-Einzug wäre eine kleine Überraschung.

Die Rekordsiegerinnen: USA

Das US-Team ist nicht nur Rekord-Weltmeister (1991, 1999, 2015, 2019), sondern auch Rekord-Olympiasieger (1996, 2004, 2008, 2012). Die planlosen Darbietungen beim peinlich frühen Aus im WM-Achtelfinale letztes Jahr – nachdem man schon das Olympia-Turnier von Tokio verhackt hatte – sorgten aber für eine schwere Identitätskrise. Man musste erkennen, dass die Europäer, die immer schon technisch und taktisch besser waren, nun auch athletisch kicken können.

Nachdem die große Generation der Zehner-Jahre um Rapinoe, Morgan, Lloyd und Ertz in die Jahre gekommen war, ist deutlich geworden, dass man unter der damaligen Überlegenheit im eigenen NWSL-Saft schmorend den Anschluss zum aufmagazinierten Europa verloren hat. Die naheliegende Lösung: Man holt sich eine jene Trainerinnen aus Europa, die mit dafür verantwortlich ist – Emma Hayes. Der US-Verband war letzten Herbst nach der WM so verzweifelt, dass er die komplette Saison auf die langjährige Chelsea-Trainerin gewartet hat.

Hayes, die siebenmal mit Chelsea englische Meisterin war, hat sich während der Saison von Twila Kilgore vertreten und personelle Grundlagenarbeit leisten lassen. Sie hat nun exakt vier Testspiele hinter sich, keines davon gegen ein Team von Olympia-Kaliber. Einzelne Rückschlüsse lassen sich ziehen, furchtbar ins Detail gehen konnte Hayes aber sicher noch nicht.

Das große Problem unter Vorgänger Andonovski war, dass es praktisch keinen Aufbau im Mittelfeld gab. Die Idee war, den Ball irgendwie ins Angriffsdrittel zu bolzen und dort mit überlegener Physis und mit individueller Qualität vor das Tor zu kommen. Mit diesem primitiven Spiel hätte man bei der WM fast sogar gegen Portugal verloren.

Im Gegensatz dazu setzt Hayes nun bewusst auf Spielerinnen im Mittelfeld, die vielleicht nicht über-kreativ gestalten können, aber doch Stabilität durch Passsicherheit bieten. Sam Coffey ist, was Michael Carrick früher bei Manchester United war: Unauffällig, gutes Stellungsspiel, keine spektakulären Pässe, aber auch keine Fehlpässe. Korbin Albert läuft viel, kann Präsenz zeigen und arbeiten, ist aber menschlich durch ihre ablehnende Haltung zu LGBTQ-Themen intern isoliert. Kapitänin Lindsey Horan sieht sich als Bindeglied zwischen Mittelfeld und Angriff, hat Routine und Führungsqualitäten.

Was sie alle miteinander nicht sind: Zweikampf-Monster. Jaelin Howell von Louisville, die einzige echte Abräumerin in der NWSL mit amerikanischem Pass, spielt im Nationalteam keine Rolle. Hayes geht das Risiko ein, im Mittelfeld die Ballsicherheit gegenüber der Absicherung der Abwehr zur priorisieren; in ihren vier Spielen gab es noch kein Gegentor, aber bei allem Respekt, da ging es gegen Südkorea (2x), Mexiko und Costa Rica. Naomi Girma ist auf dem Weg dazu, die beste Abwehrspielerin der Welt zu werden, defensiv sicher und mit einem grandiosen ersten Pass gesegnet. Hexerin ist sie aber keine. Und Sambia kommt im ersten Spiel mit einigen ganz scharfen Konter-Waffen daher.

Es ist für das USWNT kein Übergangsturnier, kein reines Test-Event auf dem Weg in eine taktisch-spielerisch tolle Zukunft. Das kann es für ein Team wie das der USA nicht sein, für das die höchsten Ansprüche gerade gut genug sind und bei dem bei jedem Antreten alles außer dem Turniersieg als fundamentaler Fehlschlag betrachtet wird. Genau das ist in dieser Situation vermutlich das Problem: Wenn einzig das Ergebnis zählt, rückt der Weg dorthin und die zugrunde liegenden Leistungen in den Hintergrund.

Diese Diskrepanz zu moderieren, wird eine zentrale Aufgabe für Hayes sein. Wenn sie das Gold nicht holt, ganz sicher. Noch viel mehr aber wahrscheinlich, sollte sie das Gold tatsächlich holen.

Die US-Gegner: Deutschland, Australien, Sambia

So richtig gerechnet damit haben sie beim DFB nicht, dass sie sich tatsächlich für die Spiele qualifizieren würden. Im Nachgang der komplett verunglückten WM vor einem Jahr brach der Vulkan bei Deutschland aus: Die atmosphärischen Störungen zwischen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, old-school in den Methoden und kühl-distanziert im menschlichen Umgang, traten offen zu Tage. Von nicht vorhandener Kommunikation war die Rede, Trainerin und eine junge Generation von fordernden, mündigen Spielerinnen waren nicht kompatibel, eine echte spielerische Strategie war in den drei Spielen in Australien ohnehin nicht zu erkennen.

Im Oktober erfolgte nach einer veritablen Hängepartie die Trennung und Horst Hrubesch sollte das Schiff wieder irgendwie in ruhige See führen, während im Verband erst eine neue Verantwortliche für den Frauenfußball gesucht wurde (es kam Nia Künzer) und dann ein hauptamtlicher Voss-Nachfolger (es wird nach Olympia Christian Wück übernehmen). Unter Hrubesch spielte Deutschland mal ganz okay und mal ziemlich schlecht, aber viel wichtiger: Alle kamen wieder gerne zum Nationalteam. „Der Horst“, wie auch die Spielerinnen den nordischen Seelenstreichler liebevoll nennen, brachte menschliche Wärme und Berechenbarkeit.

Für die Entwicklung einer mittel- und langfristig tragfähigen Spielidee sieht sich Hrubesch nicht zuständig, dafür sah er im permanenten Ergebnisdruck auch keine Zeit, und so sieht das deutsche Spiel auch aus. Es ist alles Work In Progress, zumal nach der Kreuzbandverletzung von Lena Oberdorf eine Woche vor Turnierstart im EM-Quali-Spiel gegen Österreich. Wenn es um die Verteilung der Medaillen geht, ist der Olympiasieger von 2016 eher nur Außenseiter. Das Erreichen des Viertelfinales muss aber das absolute Minimal-Ziel sein, wenn man schon einen der drei europäischen Startplätze hat.

Australien hat vor einem Jahr bei der Heim-WM für akutes „Tillies Fever“ gesorgt: Die Matildas rissen mit dem dramatischen Halbfinal-Einzug die ganze Nation mit. Den Grundstein hatte Tony Gustavsson mit einem überraschend guten Olympia-Abschneiden 2021 in Japan gelegt, als Australien erstmals bei einem Welt-Turnier in ein Halbfinale eingezogen war.

Letztes Jahr hatte Gustavsson lange auf die angeschlagene Star-Stürmerin Sam Kerr verzichten müssen, Runde um Runde wurde gezittert, ob sie fit wird. Nun ist von Haus aus klar: Kerr ist nach ihrem im Jänner erlittenen Kreuzbandriss definitiv nicht dabei. Und das ist ein Problem, denn das Spiel ist natürlich auf die beste Spielerin ausgerichtet. Wie letztes Jahr bei der WM baut Gustavsson grundsätzlich auf ein 4-4-2 – grundsolide Abwehr, schnelle Flügelspielerinnen. Das Mittelfeld-Zentrum hat war auf diesem Niveau nicht besonders große Kreativität zu bieten, dafür umso mehr Lunge.

Am Wohlsten fühlt sich Australien, wenn man dem Gegner den Ball überlassen kann und die schnellen Flügel bzw. in weiterer Folge Stürmerin Kerr schicken kann. Ohne die 30-Jährige von Chelsea wird wohl Michelle Heyman ganz vorne ran müssen, entweder mit Mary Fowler als Adjutantin oder mit Emily van Egmond oder mit Cortnee Vine (Fowler spielt sonst links, Gorry im Zentrum). Heyman hat viel Routine, war schon vor acht Jahren bei der WM dabei, aber von der Klasse einer Kerr ist sie weit entfernt.

Das Spiel der Matildas ist fußt darauf, nicht in Rückstand zu geraten. Die Bilanz gegen starke Teams ist seit der WM ernüchternd: Drei Niederlagen gegen Kanada, ein Remis und ein knapper Sieg gegen China. In der Olympia-Quali hatte man etwas Losglück und mit unterlegenen Kontrahenten der Kragenweite Taiwan, Philippinen und Usbekistan keine Probleme.

Ein drittes internationales Semifinale in Folge wäre ein großer Erfolg für die Matildas, die allerdings auch auf den vierten Gruppengegner achten müssen. Frag nach bei Deutschland – ein Jahr ist es her, dass die DFB-Elf in Fürth ein Testspiel vor der WM 2:3 gegen Sambia verloren hat.

Vor drei Jahren war Sambia überraschend mit dabei, war zwar in der Defensive vogelwild, aber schoss China vier Tore und Holland drei. Bei der WM zog man in der Gruppe gegen Spanien und Japan den Kürzeren, schärfte aber das Profil. Rachel Kundananji (um 800.000 Euro zum Bay FC) und Barbara Banda (um 700.000 Euro zu Orlando) sind nicht nur die teuersten Transfers der NWSL-Geschichte, sie sind dabei überhaupt die teuersten Fußballerinnen bisher. Die Konter von Sambia über die beiden sind gefürchtet und sie sind es auch, das das individuell sonst recht schwache Team konkurrenzfähig machen.

Sambia ist aber auch ein mahnendes Beispiel dafür, wieviel hinter den Kulissen oft noch im Argen liegt. Dass sich Trainer Bruce Mwape an seinen Spielerinnen vergeht, gilt in der Szene weitgehend als verbrieft; dass er sie (wie bei der WM auch FIFA-Delegierte) begrapscht, steht zweifelsfrei fest. Der 64-jährige Lustmolch genießt dennoch das Vertrauen des Verbandes, Frankreich gewährte ihm aber nur nach langem Hin und Her ein Visum und nur unter der Auflage, dass er keinen privaten Kontakt zu den Spielerinnen hat.

Die Gastgeberinnen: Frankreich

Die Französinnen haben nach einer soliden WM das Viertelfinale gegen Australien im Elfmeterschießen verloren – nach einem zähen 0:0 zum Start gegen Jamaika war man zu einem starken 2:1-Sieg gegen Brasilien gekommen, bewies mentale Widerstandskraft, daran hatte es Frankreich ja immer gefehlt. Nach zahllosen Versuchen erreichte man in der Nations League auch wirklich mal ein (halbwegs) großes Finale. Dort stand halt Spanien auf der anderen Seite, was will man da machen.

Unter Hervé Renard – der nach Olympia einen neuen Job annehmen wird, kolportiert wird Interesse vom US-Verband für das Männer-Team – umweht die Französinnen so ein wenig der kontrollierte Wind der Marke Deschamps. Es ist längst nicht so zurückhaltend wie bei den Männern, aber Renard will eher Kontrolle sehen. Mit Katoto im Sturmzentrum, die nach ihrem bei der EM 2022 erlittenen Kreuzbandriss fast eineinhalb ihrer besten Jahre verloren hat, gibt es eine eiskalte Vollstreckerin.Wenn es der Gegner erlaubt, spielt man sich aber durchaus auch gerne an den Strafraum, mit den Flügelstürmerinnen Diani, Bacha oder Cascarino. In der Viererkette stürmt Karchaoui links gerne weit mit nach vorne, dafür verleiht die deutlich defensivere De Almeida rechts die defensive Balance. Es wird nicht im Block verteidigt, sondern mit gezieltem Mittelfeld-Pressing ein gezielte Aufbau beim Gegner unterbunden.

Mit dem Zugang, dass Kontrolle im Zweifel den Vorzug vor Flair erhält, gab es im Frühjahr in der EM-Quali den Gruppensieg in einer extrem harten Gruppe mit knappen Arbeitssiegen. 1:0 nach früher Führung gegen Irland, 1:0 mit einer späten Ecke in Schweden, man fügte England mit dem 2:1 in Newcastle die erste Pflichtspiel-Heimniederlage seit 19 Jahren zu und gewann auch daheim gegen Schweden 2:1. England revanchierte sich zwar mit dem 2:1 in St.-Étienne und das abschließende 1:3 in Irland – wo sich eine Woche vor Olympia-Start niemand mehr weh tun wollte – war ein wenig peinlich, änderte aber nichts an Platz eins.

Seit dem damals etwas überraschenden WM-Halbfinal-Einzug 2011 gehörte Frankreich praktisch immer zu den Mit-Favoriten, brachte immer einen Weltklasse-Kader daher, hat es aber immer geschafft, viel zu früh zu scheitern. Hervé Renard hat mit Sambia und der Elfenbeinküste den Afrikacup gewonnen, war mit den Männern von Marokko und Saudi-Arabien bei WM-Endrunden. Er weiß, wie man Turnieren managen kann und die Final-Teilnahme in der Nations League bestätigt, dass sein Zugang nicht völlig verkehrt ist.

Der Auftrag beim olympischen Heimspiel lautet selbstverständlich, die Goldmedaille zu holen. Sollte es nach einer möglichen Niederlage im programmgemäßen Halbfinale gegen Spanien „nur“ Bronze werden, wäre das aber dennoch ein schöner Erfolg.

Frankreichs Gegner: Kanada, Kolumbien, Neuseeland

Im Vergleich zu den anderen beiden Gruppenköpfen hat Frankreich vermutlich die am wenigsten starke Gruppe erwischt – man bekommt es mit fraglos guten Teams zu tun, aber nicht mit unbedingten Medaillen-Kandidaten. Oder muss man Kanada doch wieder dazu zählen?

Der Sieger des Olympia-Turniers von 2021 hat damals in Japan den Titel eher ein wenig abgestaubt als ihn mit fliegenden Fahnen erobert. Kanadas große Legende Christine Sinclair, die vor 21 Jahren mit dem WM-Halbfinal-Einzug den Durchbruch geschafft hatte, hat ihre Nationalteam-Karriere nach der WM 2023 beendet, man ist immer noch keine allzu kreative Truppe und der Spielerpool ist relativ klein. Trainerin Bev Priestman bringt aber auf jeden Fall eine sehr patente erste Elf auf den Rasen.

Sie hat nach dem Vorrunden-Aus letztes Jahr (bei dem, wie beim Olympiasieg, die Umstände eine ebenso große Rolle spielten wie die eigenen Leistungen) vom 4-2-3-1 auf ein 3-4-3 umgestellt, in dem die beiden Wing-Backs die signifikanteste Anpassung gegenüber der WM erfahren haben. Priestman hat sie nämlich erstens die Seiten tauschen lassen – Linksfuß Ashley Lawrence spielte im Frühjahr stets rechts, Rechtsfuß Jayde Riviere links. Zum anderen schoben die beiden extrem weit nach vorne, während die Doppelsechs mit zwei aus dem Trio Fleming / Grosso / Awujo gemeinsam mit der Dreier-Abwehr die Tiefenstaffelung absichert.

Damit ist Kanada seit 14 Spielen ungeschlagen, kreuzte dabei dreimal mit Australien, zweimal mit Brasilien und auch mit den USA die Klingen, also absolut nicht nur Fallobst. Ob der personelle Atem reicht, um die vierte Medaille in Folge zu erobern – schon 2012 in London und 2016 in Rio hat Kanada jeweils Bronze geholt – ist eher fraglich. Aber eine Rehabilitation für das frühe WM-Aus vor einem Jahr muss es schon sein.

Weiter gekommen als erwartet ist bei der WM das Team aus Kolumbien, es wurde nach dem Gruppensieg (vor Deutschland) das Viertelfinale. Mit annähernd unveränderter Mannschaft wird nun im dritten Versuch nach 2012 und 2016 das erstmalige Erreichen des olympischen Viertelfinales angepeilt. Fokuspunkt ist natürlich immer noch Wunderkind Linda Caicedo, zu der auf allen Offensiv-Positionen einsetzbaren Caicedo ist mit Mayra Ramírez nun auch eine zweite Spielerin ins Blickfeld gerückt.

Chelsea blätterte für die Stürmerin, die auch am Flügel spielen kann, vor einem halben Jahr einen Ablösesumme hin, die kurzzeitig sogar Weltrekord im Frauen-Bereich war. Wenn Caicedo die unverschämt talentierte TikTok-taugliche Trickserin ist, ist Ramírez der unglamouröse, hart arbeitende und ziemlich erdige Gegenpol. Sie ist aber um nichts weniger torgefährlich. Die starke WM war der Beweis, dass Kolumbien die Krise nach der verpassten WM 2019 (und den damit ebenfalls verpassten Olympischen Spielen 2021) überstanden hat, es nur eine Hürde war, kein Anfang vom Ende.

Der damalige Co-Trainer Ángelo Marsiliga hat nach der WM 2023 von Teamchef Nelson Abadía das Amt übernommen, die Ergebnisse bewegen sich im unauffälligen Bereich des erwartbaren: Gegen Kaliber wie USA und Brasilien geht nicht viel, Mittelklasse-Gegner wie Mexiko und Neuseeland sind aber auf der Abschlussliste.

Apropos Neuseeland. Die Ferns sind natürlich auch wieder dabei, aber statt Optimismus nach dem vorzeigbaren Auftritt bei der Heim-WM mit dem gefeierten Sieg gegen Norwegen, gibt’s kräftig Ärger. Teamchefin Jitka Klimková hat sich mehr oder weniger selbst suspendiert, weil gegen sie eine interne Untersuchung läuft. Was genau zwischen ihr und der Mannschaft vorgefallen ist, halten alle Beteiligten unter Verschluss, aber es muss gravierend sein.

Statt ihr wird ihr 39-jähriger Assistent Michael Mayne das neuseeländische Team bei Olympia betreuen und besonders ermutigend war das erste Jahr nach der WM nicht. Von einem 4:0 gegen Thailand abgesehen, gab es gegen außer-ozeanische Konkurrenz keinen einzigen Sieg und nur drei Tore in acht Spielen gegen Chile, Kolumbien, Sambia, Thailand und Japan. Die große Schwäche von Neuseeland ist der eigene Spielaufbau, dieser kostete auch den Aufstieg ins WM-Achtelfinale (weil man dort gegen die Philippinen und die Schweiz kaum eine Torchance erarbeiten konnte).

Die WM war gegenüber den ambitionslosen Auftritten bei den vielen Turnieren davor – und dank der Nicht-Konkurrenz in der Südsee ist Neuseeland ja immer dabei – ein Fortschritt, weil zumindest ein Bemühen erkennbar war. Routinier Hannah Wilkinson (Siegtorschützin gegen Norwegen) ist in Paris nicht dabei, Annalie Longo ist nur auf Abruf. Im Idealfall nehmen die Ferns da oder dort einen Punkt mit. Die Chance auf ein Überstehen der Gruppenphase war letztes Jahr aber wohl größer.

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Sissi: „Die WM 1999 hat mein Leben, meine Generation verändert!“ https://ballverliebt.eu/2024/07/21/sissi-the-1999-world-cup-changed-my-life-and-my-generation/ https://ballverliebt.eu/2024/07/21/sissi-the-1999-world-cup-changed-my-life-and-my-generation/#respond Sun, 21 Jul 2024 18:33:41 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20475 Sissi: „Die WM 1999 hat mein Leben, meine Generation verändert!“ weiterlesen ]]> Vor 25 Jahren hat die Frauen-WM 1999 den Sport von Grund auf verändert. Brasiliens Spielmacherin Sissi war einer der Stars des Turniers, wurde Torschützenkönigin. Sie hat sich fast eineinhalbstunden Zeit genommen, um mit uns zu sprechen – über das Turnier damals, die Anfänge in Brasilien und die Lage des Frauenfußballs dort vor der Heim-WM 2027 – und warum die Niederlage im Halbfinale von 1999 wahrscheinlich wegweisend für ihr restliches Leben sein sollte.

Wenn es der Verkehr erlaubt, dauert die Autofahrt von Oakland nach Walnut Creek auf der California State Route 24 kaum mehr als 20 Minuten. Das Städtchen ist nicht recht bemerkenswert, Ski-Weltmeister Daron Rahlves ist hier geboren, Tenacious-D-Bassist Kyle Gass ebenso. Und es ist die Heimat des Fußballklubs Walnut Creek Surf. Es besteht eine Kooperation zum gleichnamigen Klub in San Diego, es ist ein Nachwuchs-Klub mit zahlreichen Junioren-Altersklassen.

Sissi gehört hier zum Trainerstab. Die Brasilianerin war eine elegante, technisch extrem beschlagene Spielmacherin, eine klassische Nummer 10, auffällig wegen ihrer Glatze und eine der Stars des Frauenfußballs dieser Zeit. Ihre sieben Tore bei der WM 1999 in den Vereinigten Staaten machten sie gemeinsam mit der Chinesin Sun Wen zur Torschützenkönigin. Dieses Turnier war das erste bei den Frauen, bei dem sich die Organisatoren getraut haben, es so groß aufzuziehen wie etwa die Männer-WM in den USA fünf Jahre zuvor.

Es war ein großes Risiko, aber eines, das sich ausgezahlt hat. Namen wie Mia Hamm, Sun Wen und eben Sissi wurden über die Szene hinaus bekannt. Nun, zum 25-jährigen Jubiläum dieses Turniers, haben wir Sissi gefragt, ob sie sich mit uns unterhalten will – über das Turnier selbst, was es für sie und den Sport generell bedeutet hat – und über den Zustand des Frauenfußballs in ihrer Heimat Brasilien, die 2027 die nächste Frauen-WM ausrichten wird.

Sissi, die Frauen-WM 1999 in den USA war eine große Sache. Aber war sie wirklich der Durchbruch für den Frauenfußball als Ganzes – oder nur für den Frauenfußball in den USA

Das Turnier von 1999 hat mein Leben verändert, meine ganze Generation. Wenn ich darüber rede, was damals passiert ist, bekomme ich immer noch Gänsehaut. In diesen großen, oft ausverkauften Stadien einzulaufen – wir haben ja nie geglaubt, jemals vor so vielen Menschen zu spielen. Ich bin überzeugt, dass sich der Frauenfußball nach 1999 für immer verändert hat, wiewohl es außerhalb der Vereinigten Staaten etwas länger gedauert hat.

In Brasilien war Frauenfußball bis 1979 verboten, deutlich länger als in anderen Ländern, und es sollte bis 1983 dauern, ehe der brasilianische Verband die grundsätzlichen Regularien für den Frauenfußball verabschiedet hat. Wie sind Frauen von den Vereinen, vom Verband, von Männern ganz allgemein behandelt worden, nachdem das Verbot gekippt worden ist?

Da gab es natürlich schon Widerstände, auch weil wir unsere eigene Identität haben wollten. Wir wollten beweisen, dass wir es auch können. Wir waren die Pioniere, hatten für unsere Möglichkeiten zu kämpfen. Es war nicht leicht, aber wenn ich jetzt zurück blicke, kann ich sagen, ja, das war es Wert.

Eine gut gelaunte Sissi nahm sich lange Zeit für unser Interview. „Die Jugendlichen im Verein kriegen mit, wer ich bin“, sagt sie, „ihre Eltern wissen über meine Karriere aber natürlich besser Bescheid.“

Sie waren 13 Jahre alt, als das Verbot gekippt wurde und bereits 16 Jahre alt, als der Verband grünes Licht gab. Sie haben aber doch sicher schon früher mit dem Fußball angefangen?

Ich bin in einer kleinen Stadt im Bundesstaat Bahia aufgewachsen. Mein Vater war Fußballer und er wollte, dass mein Bruder auch Profi wird. Ich habe sie immer auf die Probe gestellt. Wenn sie über etwas sagten, dass Mädchen es nicht könnten, habe ich gesagt: „Doch, und ich zeig’s euch.“ Sie haben also im Garten gekickt und ich wollte mitmachen, aber sie haben mich weggeschickt und gesagt, ich solle mit meinen Puppen spielen. Sie wollten mir keinen Ball geben, also habe ich die Köpfe von meinen Puppen abgerissen und habe mit denen Fußball gespielt.

Genau genommen haben Sie also mit den Puppen gespielt…

Ja! Und meine Schwester war dann sauer auf mich, weil für sie nur noch die Puppen ohne Köpfe da waren… Ich habe alles zum Kicken genommen, Socken, Klopapier, Orangen. Dann habe ich begonnen, mit den Jungs aus der Nachbarschaft zu spielen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie mich nicht mitspielen lassen, aber ganz im Gegenteil: Sie haben sich beim Wählen der Mannschaften bald um mich gestritten. Ich habe dafür Schwierigkeiten mit meiner Mutter bekommen, weil sie von den Nachbarn angepöbelt wurde, dass es sich nicht gehört, dass ich als Mädchen mit den Jungs spiele. Mir war das aber egal.

Nirgendwo auf der Welt konnten Frauen in den Achtzigern und Neunzigern vom Fußball leben, also auch nicht in Brasilien. Wie sind Sie über die Runden gekommen?

Wir mussten einfach einen Weg finden. Ich persönlich habe nicht nur Fußball gespielt, sondern auch Futsal. Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, vom Futsal zu leben, hätte ich das Spiel auf dem Feld vermutlich aufgegeben. Tatsache aber ist, dass viele Spielerinnen aus meiner Generation mit dem Fußball aufgehört haben, weil es sich einfach finanziell nicht ausgegangen ist. Ich hatte neben meinen Engagement im Futsal das Glück, dass die Klubs für die ich gespielt habe – FC São Paulo, Palmeiras, Vasco da Gama – zumindest so gute Verträge gaben, dass ich durchbeißen konnte. Aber natürlich musste ich immer noch jeden Cent sparen.

Es gab also keine Strukturen, die es ermöglicht hätten, sich auf den Fußball zu konzentrieren.

Nein, für mich änderte sich das erst, als ich 2001 in die USA ging, um in San Jose in der damals neu gestarteten Profiliga WUSA zu spielen. Erst da wurde ich wirklich Profi im Wortsinn.

Sie haben die erste Frauen-WM 1991 verletzungsbedingt verpasst, waren aber beim als Test-WM fungierenden Einladungsturnier in China 1988 dabei, ebenso bei der Frauen-WM in Schweden 1995. Wie waren diese Turniere aus Ihrer Sicht?

Also, 1988 war das Motto “Mal sehen, was passiert“. Sie haben eine Gruppe aus verschiedenen Teilen des Landes zusammengestellt, der Kern stammte aber von Spielerinnen von EC Radar. Für mich ging ein Traum in Erfüllung, denn ich habe immer davon geträumt, für Brasilien zu spielen und ich hatte nicht erwartet, dass sich die Chancen tatsächlich einmal bieten würde. Es war schwierig und herausfordernd, es war in puncto Spielsystem im Grunde nichts vorhanden. Wir haben aber gut abgeschnitten, sind ins Halbfinale gekommen. Danach hat sich eben die Frage gestellt, was danach kommt.

Haben sich die Dinge verbessert?

Wir hatten keine großen Erwartungen, manches hat sich vebessert, aber nicht besonders viel. Für 1995 gab es wieder ein paar Fortschritte, aber wieder nichts Substanzielles. Was Strukturen angeht, Unterstützung, Medieninteresse – in Wahrheit gab es nichts davon. Wir hatten nicht mal unsere eigenen Trikots, sondern mussten die der Männer auftragen.

Bei der Frauen-WM 1995 startete Brasilien zwar mit einem 1:0-Sieg gegen Gastgeber Schweden, verlor danach aber gegen Japan (1:2) sowie den späteren Finalisten Deutschland (1:6) und wurde Gruppenletzter.

Und für die WM von 1999?

Für die haben wir uns besser vorbereiten können, weil einige der großen Vereine in Brasilien da schon Frauen-Sektionen gegründet hatten. Es waren kleine Schritte, aber immerhin.

Wie war Ihre persönliche Vorbereitung für die WM 1999?

Das ist eine lustige Geschichte, denn ehe ich ins Trainingscamp einrückte, hatte ich einen Unfall beim Futsal. Ich war die Nacht über im Krankenhaus und die Ärzte sagten, sie müssten operieren, weil ich eine Fraktur unter dem Auge hatte. Ich sagte: „Nein, das geht nicht! Es ist WM und ich muss ins Trainingslager!” Also habe ich unterschrieben, dass ich das Krankenhaus gegen ärztlichen Rat verlasse. Es war das Verrückteste, was ich jemals gemacht habe.

Sie haben also die WM 1999 mit einer Knochenfraktur im Gesicht gespielt?

Ja, haben ich. Als ich eingerückt bin, habe ich dem Teamarzt nichts davon gesagt, außer ein paar Mitspielerinnen wusste niemand davon. Ich hatte das Gefühl, dass etwas Besonderes passieren würde. Ich kann nicht sagen, warum, aber ich fühlte, dass es meine Gelegenheit war, Großes zu vollbringen und ich wusste ja nicht, ob ich noch jemals wieder die Chance dafür haben würde. Ich gebe aber zu, dass ich etwas besorgt war, dass mich jemand schwer foulte.

Hätte Sie also jemand umgetreten wie es Australiens Alicia Ferguson im letzten Gruppenspiel mit Chinas Bai Jie gemacht hat – wobei sich die Chinesin eine Gehirnerschütterung zuzog – wäre das für Sie sehr problematisch gewesen?

Ganz genau. Aber auf dem Feld kann ich Ich selbst sein, mich ausleben. Fußball hat mir so viel Freude gegeben! Und auf dem Feld habe ich auch gar nicht über die Verletzung nachgedacht, ich wollte einfach spielen und Brasilien repräsentieren. Es waren einige der besten Tage, der besten Erinnerungen in meinem Leben.

Nach einem 7:1 gegen Mexiko hat Brasilien gegen Italien 2:0 gewonnen. Das Resultat spiegelt die Dominanz Brasiliens nicht mal ansatzweise wider: Adele Frollani und Federica D’Astolfo hatten Sissi rein gar nichts entgegen zu setzen.

Im ersten Spiel gab es einen 7:1-Kantersieg gegen Mexiko, danach gab es einen ungefährdeten 2:0-Sieg gegen Italien – damit war Brasilien bereits fix im Viertelfinale. Zu welchem Zeitpunkt im Turnier haben Sie erstmals gedacht, dass Brasilien wirklich weit kommen kann? Denn einerseits war die WM 1995 mit dem Vorrunden-Aus ein sportlicher Fehlschlag, andererseits hatte Brasilien bei Olympia in Atlanta 1996 schon das deutsche Team eliminieren können.

Das war wohl, als wir das 3:3 gegen Deutschland im letzten Gruppenspiel erreicht haben, das war ein wildes Spiel, wir haben in der Nachspielzeit ausgeglichen. Es gab zwei Länder, bei denen wir besonders heiß waren, sie zu besiegen – Deutschland und die USA. Und da besonders die Amerikanerinnen, jeder wollte die schlagen, weil sie die Besten waren. Aber nach dem Match gegen Deutschland habe ich gesagt, ja, wir haben eine Chance. Man fängt an, groß zu träumen. Warum auch nicht?

Sie wussten, dass es wohl einen Punkt gegen Deutschland braucht, um nicht im Viertelfinale schon gegen die USA spielen zu müssen. War das ein Thema?

Wir haben das schon mit dem Trainerstab besprochen, aber ganz ehrlich, es war uns relativ egal. Wenn man bei einer WM erfolgreich sein will, muss man so oder so die besten Teams besiegen.

Im dritten Gruppenspiel ging Deutschland durch Prinz (8.) früh in Führung, aber Brasilien drehte das Spiel rasch um (Kátia in der 15., Sissi in der 20. Minute). Deutschland tat nach der Halbzeit das selbe (Wiegmann per Elfmeter in der 46., Jones in der 58. Minute). Maycon, die für Suzana eingewechselt worden war, glich in der Nachspielzeit zum 3:3 aus.

Die Mannschaft, die Brasilien damals hatte – Sie selbst natürlich, Pretina und Katia als Stürmerinnen vor Ihnen, Formiga hinter Ihnen, Elane als Libero, Maravilha im Tor – wie sind Sie persönlich und auf dem Feld miteinander klar gekommen und wie war das Verhältnis mit Trainer Wilsinho?

Die meisten Spielerinnen haben im Verein beim FC São Paulo zusammen gespielt. Wir kannten uns, es gab einen Gemeinschaftssinn, ein gegenseitiges Verständnis. Wir waren wie eine Familie mit einem gemeinsamen Ziel. Es war wohl die beste Gruppe, mit der ich je arbeiten durfte! Im Grunde war es der FC São Paulo, nur mit anderem Trainer. Wir hatten uns auf Wilsinho einzustellen, aber er hat auch unsere Ideen angenommen und uns die Freiheit eingeräumt, wir selbst zu sein. Das sah man auch.

Inwiefern?

Nun, Formiga und ich beispielweise waren gute Freunde. Sie sagte immer: “Hey, wenn dir jemand blöd kommt, keine Sorge, ich bin da für dich!“ Dank ihr konnte ich noch mehr glänzen, weil ich wusste, sie hält mir den Rücken frei. Sie sagt: „Ich mache die Drecksarbeit für dich, damit du das Spiel machen kannst.“ Sie ist unglaublich und ihre Mitspielerinnen sollten noch zwei Jahrzehnte von ihr profitieren.

Im Viertelfinale gegen Nigeria lagen Sie zur Halbzeit schon komfortabel 3:0 in Führung, aber Nigeria kämpfte sich zurück und erzwang die Verlängerung. Wie ist das geschehen?

Man muss halt das ganze Spiel hindurch fokussiert bleiben. Es braucht nur eine Sekunde der Unaufmerksamkeit und man macht dumme Fehler, weil man nicht aufpasst und abgelenkt wird. Ich denke, genau das ist uns passiert.

Im Viertelfinale gegen Nigeria sorgten Cidinha (4., 22.) und Nenê (35.) für eine komfortable 3:0-Pausenführung, aber Nigeria glich zum 3:3 aus (Emeafu in der 63., Okosieme in der 72. und Egbe in der 85. Minute). Kurz vor Ende der regulären Spielzeit saht Avre nach einem Foul an Maycon die gelb-rote Karte. In der Verlängerung traf Sissi per Freistoß zum Golden Goal.

In der 104. Minute erzielten Sie das berühmte Freistoß-Tor zum 4:3, es war das Golden Goal. Sie waren offenkundig die beste Standard-Schützin des Turniers, aber wie wurden Sie so gut bei Freistößen?

Ich habe viel trainert. Ich bin jeden Tag nach dem Training noch mit den Torhüterinnen geblieben, um Freistöße aus allen Positionen zu trainieren, Eckbälle, alles. Weil ich wusste, dass ein Spiel von solchen Details entschieden werden kann. Ich und unsere Torhüterin Maravilha haben uns duelliert, wir beide waren extrem ehrgeizig, jeder wollte die andere im Training besiegen. Als also gegen Nigeria dieses Foul an Maycon passierte, habe ich es sofort gewusst. Ich habe sogar zu ihr gesagt: „Du wirst sehen, jetzt ist es gleich vorbei!“ Ich wusste es einfach, weil ich es immer und immer wieder geübt hatte. Einige Zeit später habe ich Mercy Akide getroffen, die damals Nigerias Spielmacherin war, und sie hat mir gesagt: „Du hast dafür gesorgt, dass unsere Torhüterin danach den ganzen Tag geheult hat!“

Im Halbfinale ging es gegen die USA, das Match hat für Brasilien schlecht begonnen, das US-Team ist nach einem Fehlgriff von Maravilha früh in Führung gegangen. Brasilien war danach gut im Spiel, es hat aber nicht ganz gereicht. Wie erinnern Sie sich an dieses Spiel?

Wir haben sie uns genau angesehen, haben die TV-Bilder analysiert. Wir waren bereit und fokussiert, aber wir wussten auch, dass sie ein tollen Team waren und die Fans im Rücken hatten.

Damit lastete aber auch der ganze Druck auf deren Schultern.

Ganz genau. Wir haben uns gesagt, wir sind die Außenseiter, haben nichts mehr zu verlieren, halten uns an unseren Plan. Wir wussten, wen wir stoppen mussten. Sie aber auch. Brandi Chastain hat mir später erzählt, dass sie explizit angewiesen waren, keine Freistöße in Strafraumnähe herzugeben. Einige Situationen sind nicht zu unseren Gunsten ausgegangen und wir haben verloren.

Im Halbfinale, passenderweise am Independence Day ausgetragen, nützte die USA einen Fehler von Maravilha schon nach vier Minuten zur Führung. Am Ende sorgte ein Elfmeter von Akers nach Elane-Foul an Hamm zehn Minuten vor Schluss für den 2:0-Endstand.

Ein Qualitätsunterschied zwischen den Teams war kaum zu erkennen.

Es war recht ausgeglichen. Wir waren stolz auf uns, es war ein gutes Turnier für Brasilien. Als wir vor der WM Brasilien verlassen haben, waren die Erwartungen gering, die Leute haben erwartet, dass wir schnell wieder daheim sein würden. Wir sind aber bis zum Ende geblieben, haben das Spiel um den dritten Platz gegen Norwegen gewonnen.

Spielen wir mal “Was wäre, wenn“. Wenn Sie an diesem Tag die USA besiegt hätten, wäre dann die 2001 gestartete Profi-Liga WUSA überhaupt zu Stand gekommen? Denn wenn nicht, hätten Sie womöglich nie die Gelegenheit gehabt, in die Staaten zu kommen und dort Profi zu werden.

Das ist eine gute Frage. Ich bin nicht sicher. Ich denke, dass wir dank den Amerikanerinnen die erste Profiliga bekommen haben. Ich weiß es nicht.

Sie haben nie darüber nachgedacht, richtig?

Nein, um ehrlich zu sein, das ist das erste Mal, dass ich das gefragt werde. Die US-Spielerinnen haben damals für ihre Liga und für sich selbst gekämpft, sind sogar gegen ihren Verband vor Gericht gezogen. Wir müssen dankbar sein für diese Gruppe Spielerinnen. Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich ohne sie jemals hierher gekommen wäre.

Also: Die WM 1999 hat ihren Anteil, aber was den Frauenfußball wirklich verändert hat, war wohl diese Gruppe von US-Spielerinnen damals?

Absolut. Als ich nach San Jose kam und mit Brandi Chastain gespielt habe, hat sie erzählt, was alles passisert ist. Darum werde ich für immer dankbar sein. In der weltweit ersten Frauen-Profiliga zu spielen, mit den Besten der Besten… Das war etwas ganz Besonderes. Darum sage ich ihnen auch immer, wenn ich sie sehe: „All das ist wegen euch passiert und die Leute dürfen das niemals vergessen!“

Hat die WM 1999 und Ihr persönlicher Erfolg auch in Brasilien mittel- und langfristig verändert, oder passierte das erst in der Zeit von Marta oder gar noch später?

Es hat sich was verbessert, aber nicht viel. Und um ehrlich zu sein, wir kämpfen immer noch um Verbesserungen. Es gibt nicht viele Vereine, die sich wirklich zum Frauenfußball committen. Was die Strukturen angeht, was Wettbewerbe angeht, sind wir noch nicht da, wo wir hin müssen. Vielleicht ändert sich das jetzt, wo wir den Zuschlag für die Ausrichtung der WM 2027 erhalten haben. Das ist meine Hoffnung und die von vielen Spielerinnen in Brasilien.

Es ist in Brasilien aber immer noch besser als in anderen südamerikansichen Ländern, wenn man etwa an Argentinien oder Kolumbien denkt.

Sicher, keine Frage. Und ich finde das so schade, weil es so viele tolle Spielerinnen gibt, so viel Talente. Darum ist es ja so ärgerlich.

Beim W Gold Cup im Frühjahr kam Brasilien mit zahlreichen international kaum bekannten Spielerinnen bis ins Finale. Im Olympia-Kader für Paris fehlen die Routiniers Debinha, Bia Zaneratto und Luciana – Marta ist dafür mit dabei.

Sind Sie optimistisch, was die Aussichten in Brasilien angeht?

Ich träume davon, dass Brasilien etwas Großes gewinnt. Es gibt keine Formiga mehr, auch keine Marta, aber wenn man sich unsere jungen Spielerinnen ansieht, die haben richtig Qualität. Es kommen viele neue, junge Kräfte nach. Aber sie brauchen die Unterstützung, nicht nur finanziell, sondern in allen Bereichen. Warum verlassen denn so viele Spielerinnen Brasilien und suchen anderswo ihre Chancen? Weil es diese Chancen in Brasilien nicht gibt. Natürlich ist es besser, als es früher war, aber schauen Sie nach England, nach Spanien. Das müssen die Vorbilder für Brasilien sein.

Also: Während andere Länder in den letzten zehn Jahren investiert haben, hat es Brasilien verabsäumt, diesbezüglich nachzuziehen?

Ja.

Warum?

Wegen unsere Kultur. Die Menschen in Brasilien sind so kritisch. Auch im Männerbereich. Jetzt haben wir alles, was wir uns damals gewünscht hätten. Aber man stelle sich vor, wir hätten diese Unterstützung damals schon gehabt.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass 2027 für Brasilien einen Effekt haben könnte wie 1999 für die USA?

Das ist schon möglich. Aber die Chance wird verloren sein, wenn wir uns nicht für 2027 vorbereiten, und zwar ab jetzt. Nein, besser schon ab gestern! Wir dürfen nicht warten, dass das Turnier kommt und dann auf das Beste hoffen. Die USA hat sich für 1999 vorbereitet. Alle haben gesagt, dass sie verrückt sind, in diese riesigen Stadien zu gehen, aber man hat gesehen, was es für ein Erfolg wurde. Die WM 2027 ist eine Chance für Brasilien, vielleicht die einzige. Entscheidend ist, wie es jene Leute handhaben, die für den Frauenfußball in Brasilien verantwortlich sind. Wenn sie das jetzt nicht richtig machen… Aber man muss positiv bleiben und ich bin ein positiver Mensch. Ich hoffe, dass 2027 ein Erfolg wird.

Sie selbst haben auch bei Olympia 2000 in Sydney gespielt, wo Brasilien wiederum ins Halbfinale gekommen ist. Danach sind sie nie wieder für Brasilien aufgelaufen, obwohl sie in den USA regelmäßig auf höchstem Niveau gespielt haben. Warum?

Nun, 1999 war sehr gut, 2000 nicht. In Sydney war ich eine klare Führungsspielerin. Hinter den Kulissen sind einige Dinge passiert, und ich habe beschlossen, für mich und die anderen Spielerinnen einzustehen, auch für die, die nach uns kommen würden. Ich habe dem Verband meine Bedenken aufgezeigt und habe einen hohen Preis dafür bezahlt, zu sagen: „Das ist nicht gut genug!“

Hatte die Unruhe im Umfeld Auswirkungen auf Ihre Leistungen am Feld?

Durchaus, ich war nicht so gut wie ich es mir gewünscht hätte. Nach dem Turnier haben sie gesagt, ich wäre ein schlechter Einfluss für die Gruppe und würde Probleme verursachen. Aber ich wollte nur helfen, Veränderungen anstoßen. Ich habe versucht zu vermitteln, dass wir mehr Unterstützung brauchen und dass das, was der Verband bietet, nicht alles ist, was er bieten kann. Als ich einige Monate später in die USA gegangen bin, habe ich wohl meinen besten Fußball gespielt, weil ich reifer war und mich auf den Fußball konzentrieren konnte.

Ist es Ihnen leicht gefallen, Brasilien zu verlassen und in die Staaten zu gehen?

Oh nein, ich hatte große Angst, alles hinter mir zu lassen und ich konnte auch die Sprache nicht gut. Es war damals nicht leicht, aber es war das Beste, was ich jemals gemacht habe. Ich bin nicht nur als Sportlerin gewachsen, sondern auch als Mensch. Und ich konnte beweisen, dass ich mich durchsetzen kann, obwohl in der Heimat viele an mir gezweifelt haben. Das war mir ein zusätzlicher Ansporn, es allen zu zeigen. Durchhaltevermögen ist eine meiner großen Stärken und in der amerikanischen Profi-Liga zu spielen, war erfüllend.

Im ersten „Founders Cup“, dem Finale der US-Profiliga WUSA, setzten sich Sissis Bay Area CyberRays nach einem 3:3 im Elfmeterschießen gegen Atlanta Beat durch. Sun Wen, die bei den Beat eingewechselt worden war, verschoss ihren Elfer.

Gab es jemals die Chance, ins brasilianische Team zurückzukehren?

Ich wurde Jahre später tatsächlich noch einmal einberufen, aber sie haben Spiele mit mir gespielt, und sowas hasse ich. Ich dachte, ich könnte zeigen, dass ich dazu gehöre und ich hätte es geliebt, gemeinsam mit Marta zu spielen, aber es ist nicht dazu gekommen. Dass es nach 17 Jahren, in denen ich alles für das Team gegeben habe, auf diese Weise endet, war sehr frustrierend.

Kann man sagen, dass die brasilianische Öffentlichkeit ein gespanntes Verhältnis zu Ihnen hatte?

Nun, es ist… Sehen Sie, ich habe mir niemals – auch nicht in meiner eigenen Familie – von jemandem vorschreiben lassen, wie ich mit anzuziehen hätte oder wie ich mich benehmen solle. Ich habe schon mit meiner Großmutter darüber gestritten, es ging also schon damit los, als ich noch klein war! Wenn mir eine Gesellschaft vorschreiben will, wie ich sein soll oder wie ich aussehen soll, sage ich: Kommt gar nicht in Frage!

Als Sie sich vor der WM 1999 eine Glatze geschoren haben, hat das sicher für hitzige Reaktionen in Brasilien gesorgt.

Ich habe das aber aus ganz anderen Gründen getan, ich wollte nicht provozieren. Ich habe ein Versprechen abgegeben, und ein solches halte ich auch ein. Es ging um ein Kind, elf Jahre alt, das das Opfer von gezieltem Mobbing war, weil es keine Haare hatte. Aber die Menschen haben das nicht verstanden, haben nur gesagt: „Meine Güte, warum muss sie nur so sein?“ Darum ging es mir aber gar nicht.

Sie wurden aber zum Vorbild, besonders für Mädchen. Sie haben mit Ihrem Auftreten vermittelt: „Sei du selbst, stehe für dich und deine Überzeugungen ein und kämpfe für deine Ziele.“ Korrekt?

Das ist absolut korrekt. Auch heute ist meine Botschaft an meine Spielerinnen die gleiche: Ich versuche nicht, dich zu ändern. Du musst du selbst sein und lass dir von niemandem sagen, du könntest das nicht. Ich habe die volle Verantwortung für meine Handlungen übernommen. Und wenn mich jemand nicht mag, na und, ist mir egal. Ich muss mir nur selbst gegenüber loyal sein und zu jenen Menschen, die mich lieben.

Es hat Sie zu der Person gemacht, die Sie heute sind.

Genau! Das bin ich, das ist meine Identität. Ich habe niemals jemandem erlaubt, mich zu ändern. Auch nicht meiner Großmutter!

Sind Sie noch in Kontakt mit Ihren Mitspielerinnen oder mit anderen, so wie Marta?

Mit den meisten Teamkolleginnen, ja. Dank der modernen Technik ist das ja viel einfacher als früher und ich bin auch immer noch sehr eng mit Formiga. Ich hatte einige Male die Gelegenheit, mich mit Marta zu treffen, als sie in den USA gespielt hat. Einige Menschen haben versucht, Zwietracht zwischen uns zu schüren, aber für mich gab es niemals eine Konkurrenz zwischen Marta und mir.

Wie auch? Sie und Marta haben zu unterschiedlichen Epochen gespielt, auch etwas unterschiedliche Positionen.

Ja, aber Menschen kreieren gerne Kontroversen. Ich finde, man muss nicht jemanden klein halten, um andere hochzujubeln, das ergibt doch gar keinen Sinn. Ich habe damals gemacht, was ich für richtig hielt, so wie Marta zu ihrer Zeit und so wie es die nächste nach Marta tun wird. Und die Menschen müssen das akzeptieren.

Sind weibliche Spielerinnen geerdeter als Männer, eben weil sie für alles kämpfen müssen und wissen, dass sie in ihrer aktiven Zeit nicht genug Geld verdienen, um nach der Karriere davon leben zu können?

Wir sind geerdeter, ja. Müssen wir sein. Viele vergleichen uns dauernd mit den Männern, aber man muss beides für sich selbst sehen und wie man sieht, kommen die Menschen nun auch in immer größerer Zahl, um Frauenfußball zu sehen. Außerdem sind wie für die Fans nahbarer, bei den Männern ist es ja wirklich schwierig geworden. Aber wir kämpfen immer noch für Equal Pay, da ist immer noch ein gigantischer Unterschied und es gibt immer noch so viele Menschen, die alles debattieren wollen. Nein, nein, nein, nein! Wie ich sagte, wir wollen unsere eigene Identität. Aber der Sport ist der selbe.

Letzte Frage: Wenn es eine Revanchge gäbe von dem Halbfinale von 1999, Brasilien gegen USA, zum 25-jährigen Jubiläum, mit allen Spielerinnen von damals – Sie selbst, Pretinha oder Formiga genauso wie Mia Hamm, Brandi Chastain oder Cindy Parlow-Cone… wer würde gewinnen?

Brasilien! Gar keine Frage, natürlich Brasilien. Auch mit allen Rückenschmerzen, angeschlagenen Knien, was man in unserem Alter halt so hat. Weil ich überzeugt bin, dass Formiga immer noch voll auf der Höhe ist. Also, ja, Brasilien, gar kein Zweifel!

Wie alt sind sie jetzt? Die Spielerinnen von Brasilien und der USA bei der WM 1999 mit ihrem heutigen Alter.
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