Interview – Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Mon, 22 Jul 2024 10:29:23 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Sissi: „Die WM 1999 hat mein Leben, meine Generation verändert!“ https://ballverliebt.eu/2024/07/21/sissi-the-1999-world-cup-changed-my-life-and-my-generation/ https://ballverliebt.eu/2024/07/21/sissi-the-1999-world-cup-changed-my-life-and-my-generation/#respond Sun, 21 Jul 2024 18:33:41 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20475 Sissi: „Die WM 1999 hat mein Leben, meine Generation verändert!“ weiterlesen ]]> Vor 25 Jahren hat die Frauen-WM 1999 den Sport von Grund auf verändert. Brasiliens Spielmacherin Sissi war einer der Stars des Turniers, wurde Torschützenkönigin. Sie hat sich fast eineinhalbstunden Zeit genommen, um mit uns zu sprechen – über das Turnier damals, die Anfänge in Brasilien und die Lage des Frauenfußballs dort vor der Heim-WM 2027 – und warum die Niederlage im Halbfinale von 1999 wahrscheinlich wegweisend für ihr restliches Leben sein sollte.

Wenn es der Verkehr erlaubt, dauert die Autofahrt von Oakland nach Walnut Creek auf der California State Route 24 kaum mehr als 20 Minuten. Das Städtchen ist nicht recht bemerkenswert, Ski-Weltmeister Daron Rahlves ist hier geboren, Tenacious-D-Bassist Kyle Gass ebenso. Und es ist die Heimat des Fußballklubs Walnut Creek Surf. Es besteht eine Kooperation zum gleichnamigen Klub in San Diego, es ist ein Nachwuchs-Klub mit zahlreichen Junioren-Altersklassen.

Sissi gehört hier zum Trainerstab. Die Brasilianerin war eine elegante, technisch extrem beschlagene Spielmacherin, eine klassische Nummer 10, auffällig wegen ihrer Glatze und eine der Stars des Frauenfußballs dieser Zeit. Ihre sieben Tore bei der WM 1999 in den Vereinigten Staaten machten sie gemeinsam mit der Chinesin Sun Wen zur Torschützenkönigin. Dieses Turnier war das erste bei den Frauen, bei dem sich die Organisatoren getraut haben, es so groß aufzuziehen wie etwa die Männer-WM in den USA fünf Jahre zuvor.

Es war ein großes Risiko, aber eines, das sich ausgezahlt hat. Namen wie Mia Hamm, Sun Wen und eben Sissi wurden über die Szene hinaus bekannt. Nun, zum 25-jährigen Jubiläum dieses Turniers, haben wir Sissi gefragt, ob sie sich mit uns unterhalten will – über das Turnier selbst, was es für sie und den Sport generell bedeutet hat – und über den Zustand des Frauenfußballs in ihrer Heimat Brasilien, die 2027 die nächste Frauen-WM ausrichten wird.

Sissi, die Frauen-WM 1999 in den USA war eine große Sache. Aber war sie wirklich der Durchbruch für den Frauenfußball als Ganzes – oder nur für den Frauenfußball in den USA

Das Turnier von 1999 hat mein Leben verändert, meine ganze Generation. Wenn ich darüber rede, was damals passiert ist, bekomme ich immer noch Gänsehaut. In diesen großen, oft ausverkauften Stadien einzulaufen – wir haben ja nie geglaubt, jemals vor so vielen Menschen zu spielen. Ich bin überzeugt, dass sich der Frauenfußball nach 1999 für immer verändert hat, wiewohl es außerhalb der Vereinigten Staaten etwas länger gedauert hat.

In Brasilien war Frauenfußball bis 1979 verboten, deutlich länger als in anderen Ländern, und es sollte bis 1983 dauern, ehe der brasilianische Verband die grundsätzlichen Regularien für den Frauenfußball verabschiedet hat. Wie sind Frauen von den Vereinen, vom Verband, von Männern ganz allgemein behandelt worden, nachdem das Verbot gekippt worden ist?

Da gab es natürlich schon Widerstände, auch weil wir unsere eigene Identität haben wollten. Wir wollten beweisen, dass wir es auch können. Wir waren die Pioniere, hatten für unsere Möglichkeiten zu kämpfen. Es war nicht leicht, aber wenn ich jetzt zurück blicke, kann ich sagen, ja, das war es Wert.

Eine gut gelaunte Sissi nahm sich lange Zeit für unser Interview. „Die Jugendlichen im Verein kriegen mit, wer ich bin“, sagt sie, „ihre Eltern wissen über meine Karriere aber natürlich besser Bescheid.“

Sie waren 13 Jahre alt, als das Verbot gekippt wurde und bereits 16 Jahre alt, als der Verband grünes Licht gab. Sie haben aber doch sicher schon früher mit dem Fußball angefangen?

Ich bin in einer kleinen Stadt im Bundesstaat Bahia aufgewachsen. Mein Vater war Fußballer und er wollte, dass mein Bruder auch Profi wird. Ich habe sie immer auf die Probe gestellt. Wenn sie über etwas sagten, dass Mädchen es nicht könnten, habe ich gesagt: „Doch, und ich zeig’s euch.“ Sie haben also im Garten gekickt und ich wollte mitmachen, aber sie haben mich weggeschickt und gesagt, ich solle mit meinen Puppen spielen. Sie wollten mir keinen Ball geben, also habe ich die Köpfe von meinen Puppen abgerissen und habe mit denen Fußball gespielt.

Genau genommen haben Sie also mit den Puppen gespielt…

Ja! Und meine Schwester war dann sauer auf mich, weil für sie nur noch die Puppen ohne Köpfe da waren… Ich habe alles zum Kicken genommen, Socken, Klopapier, Orangen. Dann habe ich begonnen, mit den Jungs aus der Nachbarschaft zu spielen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie mich nicht mitspielen lassen, aber ganz im Gegenteil: Sie haben sich beim Wählen der Mannschaften bald um mich gestritten. Ich habe dafür Schwierigkeiten mit meiner Mutter bekommen, weil sie von den Nachbarn angepöbelt wurde, dass es sich nicht gehört, dass ich als Mädchen mit den Jungs spiele. Mir war das aber egal.

Nirgendwo auf der Welt konnten Frauen in den Achtzigern und Neunzigern vom Fußball leben, also auch nicht in Brasilien. Wie sind Sie über die Runden gekommen?

Wir mussten einfach einen Weg finden. Ich persönlich habe nicht nur Fußball gespielt, sondern auch Futsal. Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, vom Futsal zu leben, hätte ich das Spiel auf dem Feld vermutlich aufgegeben. Tatsache aber ist, dass viele Spielerinnen aus meiner Generation mit dem Fußball aufgehört haben, weil es sich einfach finanziell nicht ausgegangen ist. Ich hatte neben meinen Engagement im Futsal das Glück, dass die Klubs für die ich gespielt habe – FC São Paulo, Palmeiras, Vasco da Gama – zumindest so gute Verträge gaben, dass ich durchbeißen konnte. Aber natürlich musste ich immer noch jeden Cent sparen.

Es gab also keine Strukturen, die es ermöglicht hätten, sich auf den Fußball zu konzentrieren.

Nein, für mich änderte sich das erst, als ich 2001 in die USA ging, um in San Jose in der damals neu gestarteten Profiliga WUSA zu spielen. Erst da wurde ich wirklich Profi im Wortsinn.

Sie haben die erste Frauen-WM 1991 verletzungsbedingt verpasst, waren aber beim als Test-WM fungierenden Einladungsturnier in China 1988 dabei, ebenso bei der Frauen-WM in Schweden 1995. Wie waren diese Turniere aus Ihrer Sicht?

Also, 1988 war das Motto “Mal sehen, was passiert“. Sie haben eine Gruppe aus verschiedenen Teilen des Landes zusammengestellt, der Kern stammte aber von Spielerinnen von EC Radar. Für mich ging ein Traum in Erfüllung, denn ich habe immer davon geträumt, für Brasilien zu spielen und ich hatte nicht erwartet, dass sich die Chancen tatsächlich einmal bieten würde. Es war schwierig und herausfordernd, es war in puncto Spielsystem im Grunde nichts vorhanden. Wir haben aber gut abgeschnitten, sind ins Halbfinale gekommen. Danach hat sich eben die Frage gestellt, was danach kommt.

Haben sich die Dinge verbessert?

Wir hatten keine großen Erwartungen, manches hat sich vebessert, aber nicht besonders viel. Für 1995 gab es wieder ein paar Fortschritte, aber wieder nichts Substanzielles. Was Strukturen angeht, Unterstützung, Medieninteresse – in Wahrheit gab es nichts davon. Wir hatten nicht mal unsere eigenen Trikots, sondern mussten die der Männer auftragen.

Bei der Frauen-WM 1995 startete Brasilien zwar mit einem 1:0-Sieg gegen Gastgeber Schweden, verlor danach aber gegen Japan (1:2) sowie den späteren Finalisten Deutschland (1:6) und wurde Gruppenletzter.

Und für die WM von 1999?

Für die haben wir uns besser vorbereiten können, weil einige der großen Vereine in Brasilien da schon Frauen-Sektionen gegründet hatten. Es waren kleine Schritte, aber immerhin.

Wie war Ihre persönliche Vorbereitung für die WM 1999?

Das ist eine lustige Geschichte, denn ehe ich ins Trainingscamp einrückte, hatte ich einen Unfall beim Futsal. Ich war die Nacht über im Krankenhaus und die Ärzte sagten, sie müssten operieren, weil ich eine Fraktur unter dem Auge hatte. Ich sagte: „Nein, das geht nicht! Es ist WM und ich muss ins Trainingslager!” Also habe ich unterschrieben, dass ich das Krankenhaus gegen ärztlichen Rat verlasse. Es war das Verrückteste, was ich jemals gemacht habe.

Sie haben also die WM 1999 mit einer Knochenfraktur im Gesicht gespielt?

Ja, haben ich. Als ich eingerückt bin, habe ich dem Teamarzt nichts davon gesagt, außer ein paar Mitspielerinnen wusste niemand davon. Ich hatte das Gefühl, dass etwas Besonderes passieren würde. Ich kann nicht sagen, warum, aber ich fühlte, dass es meine Gelegenheit war, Großes zu vollbringen und ich wusste ja nicht, ob ich noch jemals wieder die Chance dafür haben würde. Ich gebe aber zu, dass ich etwas besorgt war, dass mich jemand schwer foulte.

Hätte Sie also jemand umgetreten wie es Australiens Alicia Ferguson im letzten Gruppenspiel mit Chinas Bai Jie gemacht hat – wobei sich die Chinesin eine Gehirnerschütterung zuzog – wäre das für Sie sehr problematisch gewesen?

Ganz genau. Aber auf dem Feld kann ich Ich selbst sein, mich ausleben. Fußball hat mir so viel Freude gegeben! Und auf dem Feld habe ich auch gar nicht über die Verletzung nachgedacht, ich wollte einfach spielen und Brasilien repräsentieren. Es waren einige der besten Tage, der besten Erinnerungen in meinem Leben.

Nach einem 7:1 gegen Mexiko hat Brasilien gegen Italien 2:0 gewonnen. Das Resultat spiegelt die Dominanz Brasiliens nicht mal ansatzweise wider: Adele Frollani und Federica D’Astolfo hatten Sissi rein gar nichts entgegen zu setzen.

Im ersten Spiel gab es einen 7:1-Kantersieg gegen Mexiko, danach gab es einen ungefährdeten 2:0-Sieg gegen Italien – damit war Brasilien bereits fix im Viertelfinale. Zu welchem Zeitpunkt im Turnier haben Sie erstmals gedacht, dass Brasilien wirklich weit kommen kann? Denn einerseits war die WM 1995 mit dem Vorrunden-Aus ein sportlicher Fehlschlag, andererseits hatte Brasilien bei Olympia in Atlanta 1996 schon das deutsche Team eliminieren können.

Das war wohl, als wir das 3:3 gegen Deutschland im letzten Gruppenspiel erreicht haben, das war ein wildes Spiel, wir haben in der Nachspielzeit ausgeglichen. Es gab zwei Länder, bei denen wir besonders heiß waren, sie zu besiegen – Deutschland und die USA. Und da besonders die Amerikanerinnen, jeder wollte die schlagen, weil sie die Besten waren. Aber nach dem Match gegen Deutschland habe ich gesagt, ja, wir haben eine Chance. Man fängt an, groß zu träumen. Warum auch nicht?

Sie wussten, dass es wohl einen Punkt gegen Deutschland braucht, um nicht im Viertelfinale schon gegen die USA spielen zu müssen. War das ein Thema?

Wir haben das schon mit dem Trainerstab besprochen, aber ganz ehrlich, es war uns relativ egal. Wenn man bei einer WM erfolgreich sein will, muss man so oder so die besten Teams besiegen.

Im dritten Gruppenspiel ging Deutschland durch Prinz (8.) früh in Führung, aber Brasilien drehte das Spiel rasch um (Kátia in der 15., Sissi in der 20. Minute). Deutschland tat nach der Halbzeit das selbe (Wiegmann per Elfmeter in der 46., Jones in der 58. Minute). Maycon, die für Suzana eingewechselt worden war, glich in der Nachspielzeit zum 3:3 aus.

Die Mannschaft, die Brasilien damals hatte – Sie selbst natürlich, Pretina und Katia als Stürmerinnen vor Ihnen, Formiga hinter Ihnen, Elane als Libero, Maravilha im Tor – wie sind Sie persönlich und auf dem Feld miteinander klar gekommen und wie war das Verhältnis mit Trainer Wilsinho?

Die meisten Spielerinnen haben im Verein beim FC São Paulo zusammen gespielt. Wir kannten uns, es gab einen Gemeinschaftssinn, ein gegenseitiges Verständnis. Wir waren wie eine Familie mit einem gemeinsamen Ziel. Es war wohl die beste Gruppe, mit der ich je arbeiten durfte! Im Grunde war es der FC São Paulo, nur mit anderem Trainer. Wir hatten uns auf Wilsinho einzustellen, aber er hat auch unsere Ideen angenommen und uns die Freiheit eingeräumt, wir selbst zu sein. Das sah man auch.

Inwiefern?

Nun, Formiga und ich beispielweise waren gute Freunde. Sie sagte immer: “Hey, wenn dir jemand blöd kommt, keine Sorge, ich bin da für dich!“ Dank ihr konnte ich noch mehr glänzen, weil ich wusste, sie hält mir den Rücken frei. Sie sagt: „Ich mache die Drecksarbeit für dich, damit du das Spiel machen kannst.“ Sie ist unglaublich und ihre Mitspielerinnen sollten noch zwei Jahrzehnte von ihr profitieren.

Im Viertelfinale gegen Nigeria lagen Sie zur Halbzeit schon komfortabel 3:0 in Führung, aber Nigeria kämpfte sich zurück und erzwang die Verlängerung. Wie ist das geschehen?

Man muss halt das ganze Spiel hindurch fokussiert bleiben. Es braucht nur eine Sekunde der Unaufmerksamkeit und man macht dumme Fehler, weil man nicht aufpasst und abgelenkt wird. Ich denke, genau das ist uns passiert.

Im Viertelfinale gegen Nigeria sorgten Cidinha (4., 22.) und Nenê (35.) für eine komfortable 3:0-Pausenführung, aber Nigeria glich zum 3:3 aus (Emeafu in der 63., Okosieme in der 72. und Egbe in der 85. Minute). Kurz vor Ende der regulären Spielzeit saht Avre nach einem Foul an Maycon die gelb-rote Karte. In der Verlängerung traf Sissi per Freistoß zum Golden Goal.

In der 104. Minute erzielten Sie das berühmte Freistoß-Tor zum 4:3, es war das Golden Goal. Sie waren offenkundig die beste Standard-Schützin des Turniers, aber wie wurden Sie so gut bei Freistößen?

Ich habe viel trainert. Ich bin jeden Tag nach dem Training noch mit den Torhüterinnen geblieben, um Freistöße aus allen Positionen zu trainieren, Eckbälle, alles. Weil ich wusste, dass ein Spiel von solchen Details entschieden werden kann. Ich und unsere Torhüterin Maravilha haben uns duelliert, wir beide waren extrem ehrgeizig, jeder wollte die andere im Training besiegen. Als also gegen Nigeria dieses Foul an Maycon passierte, habe ich es sofort gewusst. Ich habe sogar zu ihr gesagt: „Du wirst sehen, jetzt ist es gleich vorbei!“ Ich wusste es einfach, weil ich es immer und immer wieder geübt hatte. Einige Zeit später habe ich Mercy Akide getroffen, die damals Nigerias Spielmacherin war, und sie hat mir gesagt: „Du hast dafür gesorgt, dass unsere Torhüterin danach den ganzen Tag geheult hat!“

Im Halbfinale ging es gegen die USA, das Match hat für Brasilien schlecht begonnen, das US-Team ist nach einem Fehlgriff von Maravilha früh in Führung gegangen. Brasilien war danach gut im Spiel, es hat aber nicht ganz gereicht. Wie erinnern Sie sich an dieses Spiel?

Wir haben sie uns genau angesehen, haben die TV-Bilder analysiert. Wir waren bereit und fokussiert, aber wir wussten auch, dass sie ein tollen Team waren und die Fans im Rücken hatten.

Damit lastete aber auch der ganze Druck auf deren Schultern.

Ganz genau. Wir haben uns gesagt, wir sind die Außenseiter, haben nichts mehr zu verlieren, halten uns an unseren Plan. Wir wussten, wen wir stoppen mussten. Sie aber auch. Brandi Chastain hat mir später erzählt, dass sie explizit angewiesen waren, keine Freistöße in Strafraumnähe herzugeben. Einige Situationen sind nicht zu unseren Gunsten ausgegangen und wir haben verloren.

Im Halbfinale, passenderweise am Independence Day ausgetragen, nützte die USA einen Fehler von Maravilha schon nach vier Minuten zur Führung. Am Ende sorgte ein Elfmeter von Akers nach Elane-Foul an Hamm zehn Minuten vor Schluss für den 2:0-Endstand.

Ein Qualitätsunterschied zwischen den Teams war kaum zu erkennen.

Es war recht ausgeglichen. Wir waren stolz auf uns, es war ein gutes Turnier für Brasilien. Als wir vor der WM Brasilien verlassen haben, waren die Erwartungen gering, die Leute haben erwartet, dass wir schnell wieder daheim sein würden. Wir sind aber bis zum Ende geblieben, haben das Spiel um den dritten Platz gegen Norwegen gewonnen.

Spielen wir mal “Was wäre, wenn“. Wenn Sie an diesem Tag die USA besiegt hätten, wäre dann die 2001 gestartete Profi-Liga WUSA überhaupt zu Stand gekommen? Denn wenn nicht, hätten Sie womöglich nie die Gelegenheit gehabt, in die Staaten zu kommen und dort Profi zu werden.

Das ist eine gute Frage. Ich bin nicht sicher. Ich denke, dass wir dank den Amerikanerinnen die erste Profiliga bekommen haben. Ich weiß es nicht.

Sie haben nie darüber nachgedacht, richtig?

Nein, um ehrlich zu sein, das ist das erste Mal, dass ich das gefragt werde. Die US-Spielerinnen haben damals für ihre Liga und für sich selbst gekämpft, sind sogar gegen ihren Verband vor Gericht gezogen. Wir müssen dankbar sein für diese Gruppe Spielerinnen. Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich ohne sie jemals hierher gekommen wäre.

Also: Die WM 1999 hat ihren Anteil, aber was den Frauenfußball wirklich verändert hat, war wohl diese Gruppe von US-Spielerinnen damals?

Absolut. Als ich nach San Jose kam und mit Brandi Chastain gespielt habe, hat sie erzählt, was alles passisert ist. Darum werde ich für immer dankbar sein. In der weltweit ersten Frauen-Profiliga zu spielen, mit den Besten der Besten… Das war etwas ganz Besonderes. Darum sage ich ihnen auch immer, wenn ich sie sehe: „All das ist wegen euch passiert und die Leute dürfen das niemals vergessen!“

Hat die WM 1999 und Ihr persönlicher Erfolg auch in Brasilien mittel- und langfristig verändert, oder passierte das erst in der Zeit von Marta oder gar noch später?

Es hat sich was verbessert, aber nicht viel. Und um ehrlich zu sein, wir kämpfen immer noch um Verbesserungen. Es gibt nicht viele Vereine, die sich wirklich zum Frauenfußball committen. Was die Strukturen angeht, was Wettbewerbe angeht, sind wir noch nicht da, wo wir hin müssen. Vielleicht ändert sich das jetzt, wo wir den Zuschlag für die Ausrichtung der WM 2027 erhalten haben. Das ist meine Hoffnung und die von vielen Spielerinnen in Brasilien.

Es ist in Brasilien aber immer noch besser als in anderen südamerikansichen Ländern, wenn man etwa an Argentinien oder Kolumbien denkt.

Sicher, keine Frage. Und ich finde das so schade, weil es so viele tolle Spielerinnen gibt, so viel Talente. Darum ist es ja so ärgerlich.

Beim W Gold Cup im Frühjahr kam Brasilien mit zahlreichen international kaum bekannten Spielerinnen bis ins Finale. Im Olympia-Kader für Paris fehlen die Routiniers Debinha, Bia Zaneratto und Luciana – Marta ist dafür mit dabei.

Sind Sie optimistisch, was die Aussichten in Brasilien angeht?

Ich träume davon, dass Brasilien etwas Großes gewinnt. Es gibt keine Formiga mehr, auch keine Marta, aber wenn man sich unsere jungen Spielerinnen ansieht, die haben richtig Qualität. Es kommen viele neue, junge Kräfte nach. Aber sie brauchen die Unterstützung, nicht nur finanziell, sondern in allen Bereichen. Warum verlassen denn so viele Spielerinnen Brasilien und suchen anderswo ihre Chancen? Weil es diese Chancen in Brasilien nicht gibt. Natürlich ist es besser, als es früher war, aber schauen Sie nach England, nach Spanien. Das müssen die Vorbilder für Brasilien sein.

Also: Während andere Länder in den letzten zehn Jahren investiert haben, hat es Brasilien verabsäumt, diesbezüglich nachzuziehen?

Ja.

Warum?

Wegen unsere Kultur. Die Menschen in Brasilien sind so kritisch. Auch im Männerbereich. Jetzt haben wir alles, was wir uns damals gewünscht hätten. Aber man stelle sich vor, wir hätten diese Unterstützung damals schon gehabt.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass 2027 für Brasilien einen Effekt haben könnte wie 1999 für die USA?

Das ist schon möglich. Aber die Chance wird verloren sein, wenn wir uns nicht für 2027 vorbereiten, und zwar ab jetzt. Nein, besser schon ab gestern! Wir dürfen nicht warten, dass das Turnier kommt und dann auf das Beste hoffen. Die USA hat sich für 1999 vorbereitet. Alle haben gesagt, dass sie verrückt sind, in diese riesigen Stadien zu gehen, aber man hat gesehen, was es für ein Erfolg wurde. Die WM 2027 ist eine Chance für Brasilien, vielleicht die einzige. Entscheidend ist, wie es jene Leute handhaben, die für den Frauenfußball in Brasilien verantwortlich sind. Wenn sie das jetzt nicht richtig machen… Aber man muss positiv bleiben und ich bin ein positiver Mensch. Ich hoffe, dass 2027 ein Erfolg wird.

Sie selbst haben auch bei Olympia 2000 in Sydney gespielt, wo Brasilien wiederum ins Halbfinale gekommen ist. Danach sind sie nie wieder für Brasilien aufgelaufen, obwohl sie in den USA regelmäßig auf höchstem Niveau gespielt haben. Warum?

Nun, 1999 war sehr gut, 2000 nicht. In Sydney war ich eine klare Führungsspielerin. Hinter den Kulissen sind einige Dinge passiert, und ich habe beschlossen, für mich und die anderen Spielerinnen einzustehen, auch für die, die nach uns kommen würden. Ich habe dem Verband meine Bedenken aufgezeigt und habe einen hohen Preis dafür bezahlt, zu sagen: „Das ist nicht gut genug!“

Hatte die Unruhe im Umfeld Auswirkungen auf Ihre Leistungen am Feld?

Durchaus, ich war nicht so gut wie ich es mir gewünscht hätte. Nach dem Turnier haben sie gesagt, ich wäre ein schlechter Einfluss für die Gruppe und würde Probleme verursachen. Aber ich wollte nur helfen, Veränderungen anstoßen. Ich habe versucht zu vermitteln, dass wir mehr Unterstützung brauchen und dass das, was der Verband bietet, nicht alles ist, was er bieten kann. Als ich einige Monate später in die USA gegangen bin, habe ich wohl meinen besten Fußball gespielt, weil ich reifer war und mich auf den Fußball konzentrieren konnte.

Ist es Ihnen leicht gefallen, Brasilien zu verlassen und in die Staaten zu gehen?

Oh nein, ich hatte große Angst, alles hinter mir zu lassen und ich konnte auch die Sprache nicht gut. Es war damals nicht leicht, aber es war das Beste, was ich jemals gemacht habe. Ich bin nicht nur als Sportlerin gewachsen, sondern auch als Mensch. Und ich konnte beweisen, dass ich mich durchsetzen kann, obwohl in der Heimat viele an mir gezweifelt haben. Das war mir ein zusätzlicher Ansporn, es allen zu zeigen. Durchhaltevermögen ist eine meiner großen Stärken und in der amerikanischen Profi-Liga zu spielen, war erfüllend.

Im ersten „Founders Cup“, dem Finale der US-Profiliga WUSA, setzten sich Sissis Bay Area CyberRays nach einem 3:3 im Elfmeterschießen gegen Atlanta Beat durch. Sun Wen, die bei den Beat eingewechselt worden war, verschoss ihren Elfer.

Gab es jemals die Chance, ins brasilianische Team zurückzukehren?

Ich wurde Jahre später tatsächlich noch einmal einberufen, aber sie haben Spiele mit mir gespielt, und sowas hasse ich. Ich dachte, ich könnte zeigen, dass ich dazu gehöre und ich hätte es geliebt, gemeinsam mit Marta zu spielen, aber es ist nicht dazu gekommen. Dass es nach 17 Jahren, in denen ich alles für das Team gegeben habe, auf diese Weise endet, war sehr frustrierend.

Kann man sagen, dass die brasilianische Öffentlichkeit ein gespanntes Verhältnis zu Ihnen hatte?

Nun, es ist… Sehen Sie, ich habe mir niemals – auch nicht in meiner eigenen Familie – von jemandem vorschreiben lassen, wie ich mit anzuziehen hätte oder wie ich mich benehmen solle. Ich habe schon mit meiner Großmutter darüber gestritten, es ging also schon damit los, als ich noch klein war! Wenn mir eine Gesellschaft vorschreiben will, wie ich sein soll oder wie ich aussehen soll, sage ich: Kommt gar nicht in Frage!

Als Sie sich vor der WM 1999 eine Glatze geschoren haben, hat das sicher für hitzige Reaktionen in Brasilien gesorgt.

Ich habe das aber aus ganz anderen Gründen getan, ich wollte nicht provozieren. Ich habe ein Versprechen abgegeben, und ein solches halte ich auch ein. Es ging um ein Kind, elf Jahre alt, das das Opfer von gezieltem Mobbing war, weil es keine Haare hatte. Aber die Menschen haben das nicht verstanden, haben nur gesagt: „Meine Güte, warum muss sie nur so sein?“ Darum ging es mir aber gar nicht.

Sie wurden aber zum Vorbild, besonders für Mädchen. Sie haben mit Ihrem Auftreten vermittelt: „Sei du selbst, stehe für dich und deine Überzeugungen ein und kämpfe für deine Ziele.“ Korrekt?

Das ist absolut korrekt. Auch heute ist meine Botschaft an meine Spielerinnen die gleiche: Ich versuche nicht, dich zu ändern. Du musst du selbst sein und lass dir von niemandem sagen, du könntest das nicht. Ich habe die volle Verantwortung für meine Handlungen übernommen. Und wenn mich jemand nicht mag, na und, ist mir egal. Ich muss mir nur selbst gegenüber loyal sein und zu jenen Menschen, die mich lieben.

Es hat Sie zu der Person gemacht, die Sie heute sind.

Genau! Das bin ich, das ist meine Identität. Ich habe niemals jemandem erlaubt, mich zu ändern. Auch nicht meiner Großmutter!

Sind Sie noch in Kontakt mit Ihren Mitspielerinnen oder mit anderen, so wie Marta?

Mit den meisten Teamkolleginnen, ja. Dank der modernen Technik ist das ja viel einfacher als früher und ich bin auch immer noch sehr eng mit Formiga. Ich hatte einige Male die Gelegenheit, mich mit Marta zu treffen, als sie in den USA gespielt hat. Einige Menschen haben versucht, Zwietracht zwischen uns zu schüren, aber für mich gab es niemals eine Konkurrenz zwischen Marta und mir.

Wie auch? Sie und Marta haben zu unterschiedlichen Epochen gespielt, auch etwas unterschiedliche Positionen.

Ja, aber Menschen kreieren gerne Kontroversen. Ich finde, man muss nicht jemanden klein halten, um andere hochzujubeln, das ergibt doch gar keinen Sinn. Ich habe damals gemacht, was ich für richtig hielt, so wie Marta zu ihrer Zeit und so wie es die nächste nach Marta tun wird. Und die Menschen müssen das akzeptieren.

Sind weibliche Spielerinnen geerdeter als Männer, eben weil sie für alles kämpfen müssen und wissen, dass sie in ihrer aktiven Zeit nicht genug Geld verdienen, um nach der Karriere davon leben zu können?

Wir sind geerdeter, ja. Müssen wir sein. Viele vergleichen uns dauernd mit den Männern, aber man muss beides für sich selbst sehen und wie man sieht, kommen die Menschen nun auch in immer größerer Zahl, um Frauenfußball zu sehen. Außerdem sind wie für die Fans nahbarer, bei den Männern ist es ja wirklich schwierig geworden. Aber wir kämpfen immer noch für Equal Pay, da ist immer noch ein gigantischer Unterschied und es gibt immer noch so viele Menschen, die alles debattieren wollen. Nein, nein, nein, nein! Wie ich sagte, wir wollen unsere eigene Identität. Aber der Sport ist der selbe.

Letzte Frage: Wenn es eine Revanchge gäbe von dem Halbfinale von 1999, Brasilien gegen USA, zum 25-jährigen Jubiläum, mit allen Spielerinnen von damals – Sie selbst, Pretinha oder Formiga genauso wie Mia Hamm, Brandi Chastain oder Cindy Parlow-Cone… wer würde gewinnen?

Brasilien! Gar keine Frage, natürlich Brasilien. Auch mit allen Rückenschmerzen, angeschlagenen Knien, was man in unserem Alter halt so hat. Weil ich überzeugt bin, dass Formiga immer noch voll auf der Höhe ist. Also, ja, Brasilien, gar kein Zweifel!

Wie alt sind sie jetzt? Die Spielerinnen von Brasilien und der USA bei der WM 1999 mit ihrem heutigen Alter.
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LASK-Trainer Thalhammer im In-Depth-Interview: „Das Spielsystem wird in der Zukunft überhaupt keine Rolle mehr spielen“ https://ballverliebt.eu/2020/08/21/lask-trainer-thalhammer-im-in-depth-interview-das-spielsystem-wird-in-der-zukunft-ueberhaupt-keine-rolle-mehr-spielen/ https://ballverliebt.eu/2020/08/21/lask-trainer-thalhammer-im-in-depth-interview-das-spielsystem-wird-in-der-zukunft-ueberhaupt-keine-rolle-mehr-spielen/#respond Fri, 21 Aug 2020 09:00:32 +0000 Oben die Flugzeuge im Anflug auf den Flughafen Linz-Hörsching, unten der neuer LASK-Trainer im Ballverliebt-Gespräch: Dominik Thalhammer hat sich die Zeit zu einem ausführlichen Gespräch genommen. Ausführlich und mit mit dem langfristigen Blick spricht der LASK-Coach zwar auch über das Spiel in Manchester, die schwindene Bedeutung von Systemen wird aber ebenso behandelt wie die Rolle des Sportdirektors und wie man Erfolg unabhängig von Personen reproduzierbar macht, dem Erweitern des inhaltlichen Repertoirs ohne die bekannten Stärken zu vernachlässigen, dass man beim Lehren auch selbst lernt – und ob es stimmt, dass Fußballerinnen intelligenter sind als Fußballer.

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Michael Cox-Interview (auf Deutsch): „Zidane ist der einzige Spieler, der nicht gut wegkommt“ https://ballverliebt.eu/2019/08/05/michael-cox-interview-auf-deutsch-zidane-ist-der-einzige-spieler-der-nicht-gut-wegkommt/ https://ballverliebt.eu/2019/08/05/michael-cox-interview-auf-deutsch-zidane-ist-der-einzige-spieler-der-nicht-gut-wegkommt/#respond Mon, 05 Aug 2019 15:22:05 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=16364 Michael Cox-Interview (auf Deutsch): „Zidane ist der einzige Spieler, der nicht gut wegkommt“ weiterlesen ]]> Wenn es so etwas wie einen internationalen Star-Fußballblogger gibt, dann ist das Michael Cox. Der englische Fußball-Journalist hat gerade sein zweites Buch herausgegeben (wenn ihr es kaufen wollt, dann doch bitte über diesen Partnerlink, der euch nicht mehr kostet aber uns ein paar Cent bringt (hier für eBook und Taschenbuch-Version)). Dieses Buch heißt „Zonal Marking“ und das ist vor allem deshalb ein praktsicher Name, weil dies auch der Name seines Blogs ist, den er 2009 ins Leben gerufen hat und auf der er seither taktische Analysen bietet.

In seinem neuen Buch – das im Herbst auch in deutscher Sprache erscheinen soll – behandelt Cox die Entwicklungen im europäischen Fußball seit 1992, wofür er jeweils in Vier-Jahres-Abschnitten die Phasen der Dominanz eines Landes präsentiert: Holland, Italien, Frankreich, Portugal, Spanien, Deutschland und England. Wir haben mit Michael Cox im Ballverliebt Fußball Podcast Podcast ein Gespräch geführt.

Hier ist eine Abschrift davon in deutscher Übersetzung.

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Ballverliebt: Wenn man sich Fußball heute ansieht: Wer hat gewonnen, Johan Cruyff oder Louis van Gaal?

Michael Cox: Ich tendiere dazu, Van Gaal zu sagen. Das erste Kapitel des Buches dreht sich um diese beiden. Ihnen schwebte zwar eine recht ähnliche Spielanlage vor, aber sie hatten völlig unterschiedliche Ideen, wie man mit Stars umgeht – Van Gaal glaubte an das Kollektiv, Cruyff an individuelle Genies. Wenn man sich Europas Top-Teams heute ansieht und wie sie strukturiert sind, sieht man darin eher Van Gaals Philosophie.

Ajax hat 2019 viele begeistert, hat Real Madrid und Juventus in der Champions League eliminiert und wäre fast ins Finale gekommen. War dieses Team eher Van Gaal oder Cruyff?

Ein wenig von beiden. Das Interessante an diesem Ajax-Team ist, wie sie die Außenbahnen überladen und wie die Flügelspieler miteinander spielen. Das ist zwar genau, was Van Gaal nicht wollte – er hatte sie gerne sehr hoch und sehr weit außen – aber ich denke, dass dies so ein wenig die modernisierte Version von Van-Gaal-Fußball war. Aber in diesem Ajax-Team ging es nicht um die individuelle Klasse, sondern um das Kollektiv. Vor allem im Angriffsspiel.

Wenn man betrachtet, wie Cruyff den FC Barcelona in den 1990ern mit Stars ausgestattet hat und ihnen auch Macht und Einfluss verliehen hat und andererseits betrachtet, welche Star-Kultur bei Real Madrid herrscht – wäre Cruyff nicht womöglich bei Real Madrid noch besser aufgehoben gewesen, oder wäre das ein zu blasphemischer Gedanke?

Das ist ein guter Punkt, das muss ich zugeben. Das hatte ich nicht bedacht, weil man Cruyff einfach so sehr mit Barcelona in Verbindung bringt. Aber sein Umgang mit Stars passt in der Tat eher zu Real Madrid, wo es immer eher um Spieler und Präsidenten ging und der Trainer oft nur ein austauschbarer Mittelsmann war.

Nochmal zurück zu Ajax: Würde sich Trainer Erik ten Hag in der Premier League zurecht finden und wenn ja, bei welchem Klub?

Ich wüsste nicht, warum er in der Premier League nicht funktionieren sollte. Er ist ein toller Trainer, arbeitet viel am Positionsspiel und lässt einen ballbesitzorientierten Fußball spielen. Von den großen Klubs würde wohl Arsenal am Besten zu ihm passen, vom Spielstil und der Klubphilosophie her.

Das nächste Kapitel im Buch beschäftigt sich mit Italien. Die Serie A war in den 1990er-Jahren ganz klar die beste Liga der Welt. Das ist sie heute nicht mehr. Was fehlt der Serie A, abgesehen vom Geld für die großen Stars?

Es gibt drei Problemfelder. Zum einen natürlich, wie schon in der Frage erwähnt, das Geld. Das zweite ist, dass Italien mit der Trainer-Ausbildung in Coverciano damals fast ein Monopol auf perfekt ausgebildete Coaches hatte, da waren die Italiener den anderen um Lichtjahre voraus, aber heute machen das alle anderen Länder auch. Und der dritte Punkt, und das ist ganz eindeutig: Das Tempo in der Serie A ist erheblich langsamer als in den anderen Top-Ligen und das sieht man oft auch im Europacup. Es ist aber schwierig zu sagen, warum das so ist. Es kann das warme Klima sein, oder das Ambiente halbleerer Stadien – aber das fehlende Tempo ist international ein Problem.

Italien hatte damals genau wie heute, ausgehend von Coverciano, eine Unmenge an spannenden Trainern. Aber warum – wenn man von wenigen Ausnahmen wie Carlo Ancelotti absieht – sind sie außerhalb von Italien nie lange im Amt?

Im italienischen Fußball gibt es eine Kultur des kurzfristigen Denkens und Planens. Nicht selten wechseln Klubs ihre Trainer dort drei-, viermal in einer Saison. Damit gibt es auch keinen Anreiz für Trainer, mit einem langfristigen Plan zu arbeiten oder junge Spieler mit Geduld einzubauen, weil sie längst wieder weg sind, bevor man die Ergebnisse ernten könnte.

Das war etwa bei Antonio Contes Amtszeit bei Chelsea gut zu sehen: Mit seiner Dreierkette hat er die Premier League völlig revolutioniert und innerhalb eines halben Jahres hat ihn die halbe Liga kopiert. Aber er zeigte überhaupt keine Ambition, das Team auf ein breiteres, personelles Fundament zu stellen. Nach zwei Jahren war Contes Chelsea ausgebrannt und er ist wieder gegangen.

Zusätzlich wird in Italien kein Fokus auf unterhaltsamen Fußball gelegt, sondern nur auf das Einfahren von Resultaten. Capello war zweimal bei Real Madrid, ist zweimal Meister geworden und ist zweimal als Meister gefeuert worden, weil sein nüchterner Spielstil einfach nicht goutiert wurde.

Wenn man sich an die Serie A der 1990er erinnert: Welches war das unterhaltsamste Team, welches das frustrierendste?

Das coolste Team war aus meiner Sicht Alberto Zaccheronis Udinese. Zac ließ ein 3-4-3 mit drei echten Sturmspitzen spielen, zu einer Zeit, als das sehr unüblich war. Als Zaccheroni zu Milan ging und Bierhoff und Helveg mitnahm, formte er ein sehr ähnliches Team, nur mit mehr Flair, etwa mit Zvonimir Boban. Das frustrierendste Team dieser Zeit war vermutlich Inter. Dort gab es so viele tolle Stürmer, aber es fehlte ihnen völlig die Bindung zum Rest des Teams, weil dieses sehr destruktiv ein- und aufgestellt war. Der klassischen Zehner war zu dieser Zeit völlig aus der Mode gekommen und ein offensives Mittelfeld fehlte völlig.

Es gab ein Champions-League-Spiel von Inter 1998 bei Sturm Graz. Inter spielte in einem 3-5-2, vorne Ronaldo und Djorkaeff. Und wer war der am höchsten positionierte Mittelfeldspieler? Diego Simeone.

Das sagt alles, ja. Der offensivste Mittelfeldspieler ist ein Sechser.

Stichwort Sechser, kommen wir zum nächsten Kapitel: Frankreich. Nach der WM 2018 hieß es in unserer Bilanz: „Dafür, ein Spektakel zu liefern, sieht sich Didier Deschamps nicht zuständig. Der Mann war einer der weltbesten Sechser. Und man wird das Gefühl nicht los, dass er genau das in seiner tiefsten Überzeugung auch heute noch ist. Zinedine Zidane, sein Welt- und Europameister-Kollege von 1998 und 2000, war das genaue Gegenteil: Ein individuelles Genie, das sich nicht viel um die Struktur des Teams scherte. Einer, der durch Individualität hilft, nicht durch Mitdenken.“ Ist es dieser Gegensatz, den Frankreich zwischen 1998 und 2006 so gut zu einer Einheit formte?

Deschamps hat die Rolle des Wasserträgers mit offenen Armen angenommen. Was dabei aber vergessen wird: Er war balltechnisch ein wirklich sehr guter Spieler mit einer exzellenten Ballannahme. Er bekommt nicht ganz die Anerkennung, die er verdient, obwohl er den Weg für seine Nachfolger wie Claude Makélélé und N’Golo Kanté ebnete.

Könnte es aber andererseits sein, dass man in der französischen Tradition der Nr. 10 mit Platini und Zidane zu lange nach einem „neuen Zidane“ gesucht hat, dass man darüber die generelle Entwicklung weg von dieser Position übersehen hat?

Leute wie Yohan Gourcuff und Samir Nasri konnten die Erwartungen nach Zidanes Rücktritt nicht Erfüllen. Man kann nur dann sinnvoll ein Team um eine Nr. 10 herum aufbauen, wenn man einen Nr. 10 hat, die gut genug ist, ein Team um diese herum zu bauen. Das ist eine banale Erkenntnis, aber Frankreich ist tatsächlich erst in den letzten drei, vier Jahren wieder in die Spur gekommen, als man das Spiel um die vorhandenen Stärken der vorhandenen Spieler konstruierte – also mit Griezmann als zweiter Spitze und ohne klassische Nummer zehn.

Bei Zidane hat man ja den Großteil seiner Karriere bereits vergessen, man erinnert sich nur noch an die Highlights. Im Buch wird auch auf seine Klub-Karriere eingegangen und über weite Strecken war er da, nun ja, nicht besonders gut. Oder zumindest nicht so gut, wie man das erwarten hätte können.

Natürlich war er ein toller Spieler und bei Turnieren oft grandios und hat große Momente produziert. Aber in seinen zehn Saisonen in Italien und Spanien – er war fünf Jahre bei Juventus und fünf bei Real Madrid – waren da eigentlich nur zwei wirklich starke dabei. Der Rest: Probleme mit Form, mit Verletzungen, kaum Assists, generell kein herausragender Beitrag und sehr unkonstant. Zidane ist wohl der einzige Spieler, der im Buch genauer unter die Lupe genommen wird und nicht besonders gut dabei wegkommt.

Die Stärkephasen von Frankreich und danach jene von Portugal sind mehr geprägt von Nationalteams, aber nicht so sehr von der eigenen Liga; und natürlich von Spielern und Trainern. Der bedeudendste Trainer von Portugal in den letzten Jahrzehnten ist zweifellos José Mourinho. Bei ihm wirkt es aber so, als wäre er über seinem Zenit. Warum ist das so?

Mourinho ist wohl über seinem Zenit, ja. Er ist einer der Trainer, die völlig anders arbeiteten als die Konkurrenten. Er legte einen extremen Wert auf das Scouting von Gegnern, als das sonst kaum einer gemacht hat, zumindest nicht in Mourinhos Intensität. Dann konnte er die Gruppe selbst immer gut managen, wobei heutige Stars wohl etwas anders zu behandeln sind als damals und er nicht zu Sonderbehandlungen bereit ist. Und dann war sein Trainingsmodell, das körperliches, taktisches und technisches Training nicht voneinander trennte. Das war damals selten, heute machen das bis zu einem gewissen Grad fast alle.

Portugal prodzierte immer großartige Flügelspieler – Figo, Simão, Quaresma, Nani, der junge Cristiano Ronaldo – aber kaum echte Torjäger. Nun geht João Félix zu Atlético Madrid und er fühlt sich wohl auf dem Flügel ebenso wohl wie in der Spitze und als Spielmacher. Hat die Entwicklung von Ronaldo vom Flügelspieler zum Strafraumstürmer womöglich einen Paradigmen-Wechsel zur Folge und ist João Félix das erste Produkt davon?

Es sieht tatsächlich so aus, als wäre João Félix nicht der klassische portugiesische Flügelspieler, sondern tatsächlich überall spielen kann, wenn er körperlich etwas zulegt. Die Ronaldo-Generation wuchs auf mit dem Idol Figo und jeder wollte der nächste Figo sein, der großartig war, nur eben ein echter, klassischer Flügelspieler. Nun eifern die jungen Portugiesen Ronaldo nach und Ronaldo ist der Pionier des ultra-vielseitigen Offensiv-Allrounders.

Das Ende der portugiesischen Ära wurde mit der Installierung von Pep Guardiola als Barcelona-Trainer manifestiert. Sein langjähriger Rivale Mourinho ist, wie erwähnt, wohl eher auf dem absteigenden Ast. Wann wird das bei Guardiola der Fall sein?

Der große Unterschied ist, dass Guardiola permanent seine Methoden und sein Spiel aktualisiert und anpasst – wohl mehr, als notwendig wäre. Pep hat sich verändert, als er 2013 nach Deutschland gegangen ist und noch einmal, als er 2016 nach England gekommen ist. Er hat nicht versucht, überall Barcelona-Fußball zu spielen, sondern hat sich den lokalen Gegebenheiten angepasst. Darum ist er so erfolgreich.

Die spanischen Jahre ab 2008 fallen zusammen mit einem Wiederaufleben der Ideen des holländischen „Total Football“ aus den 1970ern. Kann man Guardiolas Zugang unter dem Schlagwort „Total Midfield“ zusammenfassen – also im Grunde ist jeder Feldspieler ein Mittelfeldspieler – und ist das die logische Weiterentwicklung der Ideen, die mit Rinus Michels damals begonnen haben?

Ja, gut möglich. Schon damals war die Idee, dass sich die Stürmer zurückfallen lassen können und die Abwehrspieler hoch nach vorne schieben und sich allem im Mittelfeld zusammen zieht. Barcelonas Stil, der sich vor zehn Jahren entwickelt hat, ist eine Neuauflage davon. Die Wiederentdeckung eines pass-orientieren Mittelfeld war definitiv die bestimmende Kompenente des spanischen Fußballs und in der Folge des europäischen Fußballs in diesem Zeitraum.

Im Buch geht es auch um den argentinischen Einfluss auf Spanien und um zwei Spieler im Speziellen: Alfredo di Stefano, der in den 1950ern die starre Trennung von Abewehr- und Angriffspersonal aufweichen wollte und Lionel Messi, der im Grunde die Erfindung der „Falschen Neun“ forciert hat. Das wirft die Frage auf: Wird taktische Entwicklung im Fußball generell eher von Spielern oder von Trainern vorangetrieben?

Ich denke… puh, das ist eine schwierige Frage. Ich denke, dass es wohl im Bereich von 50:50 ist. Das ist eine langweile Antwort, aber viele Menschen denken, dass es sich vor allem um Trainer und ihre Ideen handelt. Aber es ist oft so, dass wenn Spieler von einem Land in ein anderes wechseln und einen neuen Stil bringen, dass das viel ausmacht. Messi ist ein gutes Beispiel dafür – er wollte ein Zehner sein und dribbeln, aber beides kommt bei Barcelona eigentlich nicht vor. So traf man sich in der Mitte: Messi ließ sich auf das Barca-Spiel ein und das Barca-Spiel schaffte Raum für Messi und seine Stärken und Vorlieben.

Vermutlich verschiebt sich das Verhältnis aber derzeit zu den Trainern, weil es nicht mehr so große Unterschiede gibt und Fußball von überall zu sehen ist. Eine Schockwelle, wie sie damals Eric Cantona und sein Spielstil nach seinem Wechsel zu Manchester United in der Premier League ausgelöst hat, ist heute nicht mehr so leicht vorzustellen.

Drei Paare haben Barcelona in den letzten Jahrzehnten geprägt. Erst Rinus Michels und Johan Cruyff. Dann Cruyff und Pep Guardiola. Dann Guardiola und Xavi. Nun hat Xavi in Katar seine Trainerkarriere begonnen. Reden wir in zehn Jahren vom nächsten Paar mit Xavi als Trainer?

Das wäre der logische nächste Schritt. Wahrscheinlich glaubt niemand so sehr an die Barcelona-Philosophie wie Xavi, er ist ein intelligenter und wissbegieriger Mensch, er zeigte schon früh die Ambition, Trainer zu werden. Ich halte es für ziemlich unvermeidlich. Die Frage ist nur, wie sein Weg aussieht, bis er früher oder später Barcelona-Trainer wird. Ähnlich sieht es mit Xabi Alonso aus, der zwar nicht bei Barcelona gespielt hat, aber ebenso bereits als Spieler wie ein Trainer gedacht hat und ebenfalls gerade seine Coaching-Karriere beginnt.

Aber auch Xabi Alonso hat mit Guardiola gearbeitet, nämlich bei Bayern München. Als sie gekommen sind, war der deutsche Fußball schon zurück an der Spitze, mit dem deutschen CL-Finale 2013 und dem WM-Titel 2014. Eines der zentralen Elemente dieser Rückkehr – und damit kommen wir nach Deutschland – war die Neu-Erfindung seiner selbst. Dazu gehörte auch das unkonventionelle Spiel von „Raumdeuter“ Thomas Müller und das Torhüter-Libero-Spiel von Manuel Neuer. Einer unserer Leser meinte kürzlich, dass Neuer einer der größten Torhüter aller Zeiten hätte werden können, wenn er nicht versucht hätte, seine Position neu zu erfinden. Stimmt das?

Neuers Leistungen in den letzten Jahren waren nicht mehr allzu außergewöhnlich, das stimmt. Aber Neuer war ein großartiger „klassischer“ Torhüter, selbst in der Blütephase seines Sweeper-Keeper-Spiels. Ich mit nicht sicher, ob ich mit dieser These übereinstimme und ich bin mit nicht sicher, ob seine Ausflüge der Grund dafür waren, dass seine Qualitäten auf der Linie nachgelassen haben.

Die deutsche Fußball-Landschaft ist nie mit Guardiola warm geworden, er wurde eher sogar dafür angefeindet, dass er zu wenig Fokus auf den Kampf legte und auch Löw dazu veranlasste, den klassischen Strafraumstürmer kaum mehr zu berücksichtigen. Kann es sein, dass eine Entwicklung wie Jürgen Klopps „Heavy-Metal-Fußball“ mit dem Gegenpressing mit der großen Bedeutung von Kondition, Kraft und Ausdauer die einzig mögliche war, die aus einem Land mit Deutschlands Fußballgeschichte kommen konnte?

Das kann schon sein. Es ist eine Kombination aus einer Weiterentwicklung von fußballerischen Ideen und einem Fokus auf körperlicher Robustheit und harter Arbeit. Das geht sicher mit dem kühleren Klima in Deutschland besser als etwa in Sevilla und das geht auch bei einem Arbeiter-Klub wie Dortmund sicher leichter als bei Bayern München. Erst als Dortmund zweimal damit Meister wurde, kopierten es die Bayern. Aber ja, das ist stilistisch sicher ein sehr deutsches Spiel.

In den Guardiola-Jahren waren die Bayern ein extrem innovatives Team und auch was die taktische Entwicklung angeht führend in Europa. Nun, ein paar Jahre später – wenn man sich etwa das Champions-League-Duell mit Liverpool ansieht – sind die Bayern ein ziemlich gewöhnliches Team ohne irgendeine spezielle Eigenheit. Liegt die aktuelle Schwächephase der Bundesliga nur am Abgang von Guardiola und Klopp?

Das ist wahrscheinlich der Hauptfaktor. Außerdem sind auch viele Spieler einer ungewöhnlich starken Generation alt geworden oder haben die Bundesliga verlassen, wie Toni Kroos. Und die anderen haben gelernt, mit dem Pressing umzugehen. Als Pochettino 2013 nach England kam, gab es in der Premier League de facto kein Pressing. Die deutschen Teams machten auf dem Feld Dinge, welche die englischen nicht einmal versuchten. Diesen Wettbewerbsvorteil hat Deutschland verloren.

Klopps Dortmund hatte mit seinem Gegenpressing-Spiel ein Ablaufdatum von drei, vier Jahren. Nun hat er bei Liverpool diesen Stil mit einem gestiegenen Ballbesitz-Fokus vermengt. Ist damit die Gefahr gebannt, dass auch Liverpool seine Halbwertszeit bald überschritten hat?

Wahrscheinlich hat Klopp die richtigen Lektionen aus seiner Spätphase bei Dortmund gelernt. Außerdem war Dortmund selbst in Klopps letzter Saison dort viel besser als die Resultate aussagen. Liverpool hat auch die Möglichkeit, einen breiteren Kader zur Verfügung zu stellen.

Und damit kommen wir zum letzten Buch-Kapitel, welches England gewidmet ist. Es ist heute häufiger geworden, dass Trainer in andere Länder wechseln, vor allem nach England. Die Premier League ist ein Schmelztiegel verschiedenster Fußballkulturen. Ist das ein Vorzeichen dafür, wie es in Zukunft überall sein wird, oder ist das ein Spezifikum der Premier League, dass es keine nationale fußballerische Identität mehr gibt?

Die Unterschiede werden generell sicher geringer. Aber die Premier League ist dahingehend einzigartig, dass hier fast gar keine eigenen Trainer produziert werden und fast völlig auf ausländische Trainer und ihre Ideen aus der ganzen Welt angewiesen sind.

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Ist das ein Zeichen von Stärke, da man sich die besten Spieler und die besten Trainer leisten kann? Oder ein Zeichen von Schwäche, weil man mit dem eigenen traditionellen Stil seit Jahrzehnten nichts mehr gewonnen hat?

Beides, würde ich sagen. Aber bei all dem Geld, das in der Premier League ausgegeben wird, waren die Europacup-Resultate der englischen Klubs bis zu diesem Jahr einfach nicht gut genug. Das hatte verschiedene Gründe, die meines Erachtens eher mit spezifischen Schwächen der einzelnen Klubs zu tun hatte, nicht so sehr mit einem kollektiven Problem. Auf hohem Level gibt es keine Teams mehr, die das traditionelle englische Spiel fortleben lassen und mit Stoke, West Brom und Cardiff sind in den letzten Jahren einige der letzten Exemplare abgestiegen.

In den letzten Jahren sind ein paar vielversprechende, junge und interessante englische Trainer zu Vorschein gekommen, die nicht direkt alteingesessenen englischen Fußball spielen lassen – etwa Eddie Howe von Bournemouth, Graham Potter bei Brighton und Chris Wilder bei Sheffield United. Ich hoffe, dass sich dieser Trend fortsetzt.

Sieht man einen von denen auch mal bei einem Top-Klub?

Ich mag Eddie Howe und ich glaube, dass eine gute Chance bestanden hätte, dass er den Job bei Tottenham bekommt, wäre Pochettino gegangen. Von den großen kann ich mir aber nicht vorstellen, dass jemand anderer sich trauen würde, Howe zu verpflichten. Der Sprung von einen Klub wie Bournemouth, den er in die Premier League geführt und dort etabliert hat, zu einem der Top-Teams, ist ohne Zwischenschritt wohl etwas zu groß.

Chelsea hat Frank Lampard einen noch großeren Schritt beschert.

Ja, und ich kann diesen Move nicht so reicht einschätzen, um ehrlich zu sein. Ich drücke ihm die Daumen, aber ich fürchte, dass diese Aufgabe für ihn ein wenig zu früh kommt.

Im Buch wird die englische Ära von 2016 bis 2020 angegeben. Ist das mit der Hoffnung auf eine erfolgreiche EM im nächsten Jahr verbunden?

Das Nationalteam ist gegenüber vor fünf, sechs Jahre definitiv besser aufgestellt und inhaltlich ist man viel weiter als etwa 2006 und 2010, als England Weltstars hatte, aber wirklich keine Ahnung taktischer Natur. In den letzten Jahren herrschte große Ernüchterung, aber jetzt wird das Verhältnis zwischen Spieler und Fans deutlich besser und das macht es auch für die Spieler leichter – es gibt diese Versagensängste nicht mehr.

Wie gut ist England?

Bei der EM finden Halbfinale und Finale in London statt. Wenn England da dabei ist, ist womöglich mit dem Heimvorteil vieles möglich. Es gibt aber noch einige Schwachstellen, wie die Passsicherheit im Mittelfeld und ich habe auch leichte Vorbehalte gegenüber Torhüter Pickford. Ich habe das ungute Gefühl, dass die WM letztes Jahr die eine echte Chance war, weil Kroatien im Halbfinale schlagbar gewesen wäre und England auch taktisch ein wenig naiv agiert hat. Was mit bei Southgate aber gefällt ist, dass er Risiken eingeht und Spielern vertraut. Er hat Callum Hudson-Odoi eingesetzt, gerade weil er bei Chelsea keine Chance bekommen hat und damit symbolisiert: Schaut, er ist gut genug, lasst ihn doch spielen.

Einige generelle Fragen noch. Der Widerstand der alten Garde ist eines der Themen, die sich durch fast alle Kapitel ziehen. Der Widerstand gegen die Ideen von Arrigo Sacchi in Italien, der Widerstand gegen die Aufgabe des Liberos in Deutschland, der Widerstand gegen einen weniger körperbetonten Zugang in England. Ist aus solchen Diskussionen jemals etwas Konstruktives entstanden oder waren das nur die letzten Zuckungen einer Generation, deren Ideen aus dem Fußball verschwinden?

Letzteres, in der Regel. Ich persönlich mag verschiedene Stile und hege eine gewisse Sympathie dafür, dass die Italiener stolz auf ihre Philosophie sind. Aber selbstverständlich muss man sich anpassen und mit generellen Entwicklungen Schritt halten, wenn man etwas gewinnen möchte. Es sind fast immer die progressiven Vordenker, die am Ende die Oberhand behalten und ich finde, dafür sollten wir dankbar sein.

Das Buch behandelt den europäischen Fußball und in diesem Zeitraum haben europäische Teams die Klub-WM fast nach Belieben dominiert und die letzten vier WM-Siege sind alle nach Europa gegangen, das hat es davor nie gegeben. Ist es wirklich so, dass man keine maßgebliche Entwicklung verpasst hat, wenn man die anderen Kontinente außen vor lässt?

Das ist leider so und ich finde das sehr traurig. Ich liebe es, dass der Fußball dieser globale Sport ist und es so viele regionale Varianten gibt. Aber alles Talent fließt heute nach Europa. Das Niveau selbst in Südamerika ist leider nicht besonders hoch – früher waren beim Weltcup die Teams aus Brasilien und Argentinien, die es zu schlagen gilt. Vor 20 Jahren hieß es in England, man müsse die WM schnell gewinnen, denn in zwei Jahrzehnten – also jetzt – ist die USA so weit, Australien womöglich auch, Japan ebenso; Nigeria und Kamerun sind gerade Olympiasieger geworden und schickten sich an, echte Kandidaten zu werden. Und nichts davon ist passiert. Im Gegenteil. Und das ist wohl auch einer der Kernpunkte des Buches: Europa bestimmt den Kurs wie nie zuvor.

Mr. Cox, wir bedanken uns herzlich für das Gespräch!

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Von Holland bis England: Die Entwicklung des europäischen Fußballs (mit Michael Cox) https://ballverliebt.eu/2019/07/22/von-holland-bis-england-die-entwicklung-des-europaeischen-fussballs-mit-michael-cox/ https://ballverliebt.eu/2019/07/22/von-holland-bis-england-die-entwicklung-des-europaeischen-fussballs-mit-michael-cox/#respond Mon, 22 Jul 2019 09:34:09 +0000 Mit seinem Blog Zonal Marking tut Michael Cox seit 2009 das für die englischsprachige Welt, was wir bei Ballverliebt auf Deutsch seit 2007 machen: Er schreibt hochkompetent aber verständlich über Taktik im Weltfußball. Wir lesen seine Texte mit Begeisterung. Nun hat der sympathische Brite sein zweites Buch geschrieben, das denselben Namen wie der Blog trägt. Es bespricht die taktische Entwicklung des europäischen Fußballs von den 1990ern bis heute. Wir haben es natürlich gelesen und Michael zum Gespräch in den Podcast geladen. Viel Spaß!

PS: Wenn ihr Michaels Buch nach unserem Gespräch kaufen wollt, dann tut das doch bitte über diesen Partnerlink (hier für eBook und Taschenbuch-Version). Es kostet für euch keinen Cent mehr, aber Amazon wirft für uns dann ein paar Brösel vom Kuchen ab.

PPS: Für alle, die mit Englisch nicht so gut können: Sobald wir dazu kommen, werden wir auch eine gekürzte deutsche Fassung als Text veröffentlichen. Auch diese werdet ihr Unterstützer natürlich zuerst zu sehen bekommen.

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Es ist auch absolut wieder Zeit für einen Blick zum österreichischen Frauen-Nationalteam, denn es stehen wichtige Frauen-WM-Quali-Spiele an. Wir bereden das!

Und dann haben wir noch einen Stargast für unser erstes Podcast-Interview bei uns: Europameisterschafts-Dritte Sarah Puntigam beantwortet die Frage, die ihr euch schon immer gestellt habt: Was hat sie mit Paul Breitner gemeinsam? Und: Hat Sarah Puntigam ihre deutschen Teamkolleginnen gehänselt? Es ist alles da!

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Interview mit Johann Gartner: „Ist Fußball Wissenschaft oder Sport?“ https://ballverliebt.eu/2017/10/09/interview-gartner-schoettel-ruttensteiner-wissenschaft/ https://ballverliebt.eu/2017/10/09/interview-gartner-schoettel-ruttensteiner-wissenschaft/#comments Mon, 09 Oct 2017 14:52:03 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=14219 Interview mit Johann Gartner: „Ist Fußball Wissenschaft oder Sport?“ weiterlesen ]]> Peter Schöttel ist also neue Sportdirektor des ÖFB – und zwar mit 10. Oktober, also dem Tag nach dem Spiel in Moldawien. Abgesehen von Wolfgang Fellners Österreich (extrem pro Teamchef Herzog) und Kronen Zeitung (eher neutral) gab es für die Bestellung und die Vorgehensweise kräftig mediale Dresche. Vom ORF in Sport am Sonntag, von den OÖ.-Nachrichten, vom Profil, vom Standard. Selbst in den Postings und Facebook-Kommentaren von Krone und Österreich regiert das Kopfschütteln.

Die OÖN berichtete, dass acht Präsidiums-Mitglieder gegen Ruttensteiner waren (Hübel, Geisler, Gartner, Sedlacek, Milletich sowie die drei Bundesliga-Vertreter Rinner, Kraetschmer und Fuchs), fünf waren für ihn (Götschhofer, Bartosch, Lumper, Mitterdorfer und Präsident Windtner).

Darum soll jetzt mal wieder einer der Landespräsidenten zu Wort kommen, der für seine Ablöse gestimmt hat: Niederösterreichs Verbandspräsident Johann Gartner.

Herr Gartner, Sie werden in der „Kronen Zeitung“ vom 9. Oktober über den Sportdirektor-Posten mit dem Satz zitiert: „Wir wollen bei seinem Amt weg von der Wissenschaft, zurück zum Fußball“. Wie ist das zu verstehen?
Die Frage ist: Ist Fußball eine Wissenschaft oder ein Sport?

Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte anschaut: Ohne Verwissenschaftlichung geht man unter. Wenn nun verlangt wird, die Wissenschaft zurück zu fahren, ist das doch eher eine gefährliche Drohung.
Wissenschaftliche Unterstützung ist immer gut. Aber die Spieler sind Menschen. Sie sind nicht vorhersehbar. Das ist ja kein Angriff auf den Koller, der hat eine Spitzen-Arbeit geleistet. Die Philosophie, die gelebt werden soll, ist aber nicht die Wissenschaft, sondern der sportliche Weg mit wissenschaftlicher Unterstützung.

Man hatte aber den Eindruck, dass das Motto war: Egal wer Sportdirektor wird, Hauptsache der Ruttensteiner ist weg.
Ich habe ja nie gesagt, dass der Willi was Schlechtes gemacht hat. Das Nationale Zentrum für Frauenfußball beispielsweise ist ja wirklich ein Meilenstein. Der Spordirektor hat aber eine breitere Aufgabenstellung. Es gibt außer dem Nationalteam noch viele andere Bereiche – Jugendfußball, Frauenfußball, und so weiter. Und das Verantwortungsprofil für den neuen Sportdirektor wurde von der Task Force ja auch abgespeckt. In dieser ist übrigens kein Landespräsident gesessen, das möchte ich klarstellen.

Wäre es dann eine Überlegung gewesen, eine Person als Sportdirektor für das Nationalteam zu haben und eine für die anderen Bereiche?
Das wäre sicher keine schlechte Lösung, aber es ist nicht zu finanzieren.

Finanziell geht es dem ÖFB doch aber nicht so schlecht.
Es ist die Aufgabe eines Aufsichtsrates, sich die Bilanzen anzuschauen. Und Tatsache ist: Gegen Georgien waren keine 15.000 Zuseher im Stadion, und wäre das letzte Heimspiel nicht gegen Serbien gewesen, hätte es da ähnlich ausgesehen.

Die Analyse von Willi Ruttensteiner war aber anscheinend sehr in Ordnung, das wurde ihm auch öffentlich bescheinigt.
Ja, das war sie. Aber natürlich wäre es hilfreicher gewesen, wenn sie so gleich nach der EM erfolgt wäre. Und wenn schon da die Frage beantwortet worden wäre, wie es etwa sein kann, dass man im 3. EM-Gruppenspiel mit einer völlig neuen Spielanlage daherkommt.

Aber das stimmt doch nicht. Die Spielanlage war wie immer, nur das System war anders. Das eine hat ja mit dem anderen nichts zu tun.
Aber natürlich hat es das!

Nein. Ob man Angriffspressing spielt, oder defensiv verteidigt, hat nichts damit zu tun, ob man ein 4-4-2, ein 3-4-3 oder ein 4-2-3-1 spielt.
Hat Ihnen die erste Halbzeit gegen Island gefallen?

Es wäre vermutlich besser gewesen, das System vorher gegen besseren Gegner als einen Schweizer Sechstligisten zu testen.
Sehen Sie.

Aber ist die Verhältnismäßigheit wirklich gegeben? Gerald Gossmann schreibt im „Profil“ über das Vorgehen des ÖFB: „Es würde ein paar Spachtelarbeiten benötigen, derzeit wird aber das Haus niedergerissen. Anstatt zarte Ausbesserungen vorzunehmen wird mit dem Vorschlaghammer hantiert.“
Vor zwei Jahren, bei Ruttensteiners letzter Vertragsverlängerung, hat es offenbar geheißen – ich selbst war nicht dabei, aber es wurde mir berichtet – dass er mehr Ressourcen verlangt. Wenn er mehr Verantwortung und mehr Geld will, dann muss er danach auch für ein mögliches Scheitern gerade stehen.

Ex-ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner. Foto: CC BY-SA 3.0/Steindy

Ruttensteiner legt eine ausführliche Präsentation dar, und Peter Schöttel offenbar kaum mehr als ein paar Gedanken. Und Schöttel bekommt den Zuschlag. Wie geht das?
Die Analyse von Willi Ruttensteiner hat sich bezogen auf das Nationalteam in den letzten zwei Jahren. Das hatte nichts mit dem Konzept für die Zukunft zu tun. Nach dieser Analyse wurde den Kandidaten die Frage gestellt: Wie stellt ihr euch die Zukunft vor?

Und da haben die Vorstellungen von Peter Schöttel eher entsprochen als das Konzept von Willi Ruttensteiner?
Sonst wäre die Mehrheit nicht so rausgekommen. Das ist jetzt eh Geschichte und es ist mit den Stimmen so entschieden worden. Und ich halte es auch für unfair, von Vornherein auf Peter Schöttel einzudreschen und ihm die Qualifikation abzusprechen. Er hat ja viele Länderspiele absolviert.

Das sagt aber überhaupt nichts aus.
Na oh ja!

Man ist nicht automatisch ein guter Trainer oder Sportdirektor, nur weil man als Spieler gut war.
Nein, ist man nicht. Aber ich vertraue auf die Expertise der sportlichen Verantwortlichen, dass der bestmögliche Teamchef geholt wird. Das ist schließlich in unser aller Interesse.

Herr Gartner, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Anmerkung: Herr Gartner hat sich ein wenig darüber mokiert, dass sich Hannes Steiner in der Krone nur „das aus unserem langes Gespräch für das Interview herausgepickt hat, was ihm grad gefallen hat“. Darum ist hier de facto unser ganzes Gespräch zu lesen.

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Teamchef-Suche: Die Landespräsidenten am Wort https://ballverliebt.eu/2017/09/21/teamchef-suche-die-landespraesidenten-am-wort/ https://ballverliebt.eu/2017/09/21/teamchef-suche-die-landespraesidenten-am-wort/#comments Thu, 21 Sep 2017 11:40:14 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=14157 Teamchef-Suche: Die Landespräsidenten am Wort weiterlesen ]]> 13 Männer sitzen in jenem ÖFB-Präsidium, das über den Nachfolger von ÖFB-Teamchef Marcel Koller entscheiden wird. Das sind ÖFB-Präsident Leo Windtner, drei Vertreter der Bundesliga – und die neun Präsidenten der Landesverbände. Seit der Sitzung am 15. September, wo das Ende der Ära Koller beschlossen und Sportdirektor Willi Ruttensteiner die Rute ins Fenster gestellt wurde, ist viel über diese neun Herren gesprochen worden.

Aber es ist sehr wenig mit ihnen gesprochen worden. Das ändern wir jetzt.

Die neun Landespräsidenten sind in alphabetischer Reihenfolge:

  • Wolfgang Bartosch, Steiermark, Direktor der steirischen Arbeiterkammer, seit 2011
  • Johann Gartner, Niederösterreich, Bürgermeister von Ziersdorf, 2002-2012 und seit 2016
  • Josef Geisler, Tirol, Richter am Innsbrucker Landesgericht, seit 2008
  • Gerhard Götschhofer, Oberösterreich, Rechtsanwalt aus Vorchdorf, seit 2013
  • Herbert Hübel, Salzburg, Rechtsanwalt aus Salzburg, seit 2001
  • Horst Lumper, Vorarlberg, Rechtsanwalt aus Bregenz, seit 2006
  • Gerhard Milletich, Burgenland, Verleger (Bohmann-Verlag) und Medien-Unternehmer (Schau-TV), seit 2012
  • Klaus Mitterdorfer, Kärnten, ehemaliger Trainer in der Kärntner Liga, Stellvertretender Kammeramts-Direktor der Kärntner Ärztekammer, seit 2016
  • Robert Sedlacek, Wien, ehemaliger Bundesliga-Referee, Vorsitzender der ÖFB-Schiedsrichterkommission, seit 2010

Wir haben alle neun Landespräsidenten kontaktiert und ihre Antworten zu einem großen Interview zusammengefasst. Darauf möchten wir explizit hinweisen: Es handelt sich um Einzelgespräche und keine Telefonkonferenz.

Drei Landespräsidenten kommen in dieser Interview-Melange nicht oder nur am Rande vor.  VFV-Präsident Lumper ist beruflich im Ausland unterwegs und war dementsprechend leider nicht zu erreichen. SFV-Präsident Hübel weilte beim UEFA-Kongress in Genf und war entsprechend kurz angebunden; große Lust, mit uns zu reden, hatte er aber offenkundig ohnehin nicht („Ich weiß schon, was Sie von mir hören wollen, aber seien Sie mir nicht böse, dass ich zu dem Thema nichts sagen möchte.“). Auch TFV-Präsident Geisler verwies darauf, dass es sich bei der Teamchef-Suche um Interna handle, die er nicht an die Öffentlichkeit tragen wolle.

Milletich: „Jetzt ist einmal Sportdirektor Ruttensteiner beauftragt, alles zu analysieren.“

Es heißt, bei der Präsidiumssitzung in Gmunden am 15. September wäre mehr über Sportdirektor Willi Ruttensteiner gesprochen worden als über Marcel Koller.

Johann Gartner (NÖ): Wir haben gefragt: Müssen wir nicht Trainer und Sportdirektor gemeinsam bedenken? Sonst wäre die Gefahr, dass eine Situation entsteht wie bei Rapid, wo der neue Sportdirektor einen Trainer geerbt hat, der seinen Plänen nicht entspricht.
Wolfgang Bartosch (Steiermark): Es ging eigentlich mehr um die Personalie Sportdirektor als um die Personalie Teamchef, das ist richtig. Ich persönlich bin für eine Weiterarbeit mit Willi Ruttensteiner, dazu bekenne ich mich. Ich bin der Überzeugung, dass er sehr gute Arbeit geleistet hat. Man darf auch nicht nur den Männer sehen: Es gab unter ihm einen massiven Aufschwung und tolle Erfolge auch im Junioren-Bereich und bei den Frauen.
Robert Sedlacek (Wien): Ein neuer Sportdirektor wird aktuell gar nicht gesucht. Der aktuelle hat nun einen Bericht über die vergangenen Jahre abzuliefern. Auf dieser Basis wird dann diskutiert, ob mit ihm verlängert wird oder nicht.
Gerhard Götschhofer (OÖ): Wir haben über den ganzen Sportbereich diskutiert. Es ist vernünftig und richtig, dass man sich keine Grenzen im Denken setzt, wenn man auf dem Papier sportlichen Misserfolg hat. Und die Geschehnisse sind so, wie sie sind, weil man sportlich nicht zufrieden sein kann.
Klaus Mitterdorfer (Kärnten): Es ist letztlich um eine Frage gegangen: Wie geht es weiter? Aber man darf es nicht nur an der negativen Phase der letzten 16 Monate festmachen, sondern alles zusammen betrachten. Man muss die ganzen sechs Jahre unter Koller sehen, die ganzen 16 Jahre mit Ruttensteiner. Man kann sich nicht nur im Erfolg sonnen und im Misserfolg alles auf den Sportdirektor abwälzen, man muss das Ganze betrachten. Und: Man muss es trennen können, ob einem jemand sympathisch ist und wie gut er seine Arbeit macht.
Gerhard Milletich (Burgenland): Jetzt ist einmal ist Sportdirektor Ruttensteiner beauftragt, alles zu analysieren – die Zeit nach der erfolgreichen EM-Qualifikation. Da passten die Resultate nicht.

(Noch?)-ÖFB-Sportdirektor Willi Ruttensteiner. Foto: CC BY-SA 3.0/Steindy

Wie beurteilen Sie die Arbeit von Marcel Koller?

Gerhard Milletich (Burgenland): Er hat uns sehr weit gebracht und der ÖFB hat sehr stark von ihm profitiert. Aber die Ergebnisse des letzten Jahres waren um nichts besser als vor der Bestellung von Marcel Koller.
Robert Sedlacek (Wien): Koller hat die Anforderungen grundlegend erfüllt, aber zuletzt ist eben der Erfolg ausgeblieben. Daher ist es wohl legitim, dass nach sechs überwiegend erfolgreichen Jahren über eine Änderung diskutiert wird. Wir waren uns überwiegend einig, den Teamchef zu wechseln – zumal ja auch der Vertrag von Marcel Koller ausläuft.
Wolfgang Bartosch (Steiermark): Man kann viel über ihn diskutieren, aber insgesamt war es über die vielen Jahre seiner Amtszeit sehr gut unter ihm.
Klaus Mitterdorfer (Kärnten): Ich persönlich wäre dafür gewesen, mit Koller weiter zu arbeiten. Die Mehrheit im Präsidium hatte eine andere Meinung.

Götschhofer: „Bisher wurde eher die Vergangenheit aufgearbeitet, als die Zukunft diskutiert.“

Wie ist nun der weitere Ablauf?

Robert Sedlacek (Wien): Die Art und Weise der Teamchefsuche ist geklärt. Es gibt ein Gremium – in diesem sind ÖFB-Präsident Windtner, die Geschäftsleitung des ÖFB, Vertreter der Bundesliga und der Sportdirektor – und sie wägen ab, wer dafür in Frage kommt, neuer Teamchef zu sein.
Gerhard Milletich (Burgenland): Das ist eine ganz klare Geschichte. Es muss eine Entscheidung fallen, wer Sportdirektor sein wird. Und dieser wird dann beauftragt, ein Anforderungsprofil für den Teamchef zu erstellen und zu suchen.
Wolfgang Bartosch (Steiermark): Der nächste Schritt ist jetzt einmal, dass ein Anforderungsprofil für den neuen Teamchef erstellt wird. Das wird sicher vom Sportdirektor in Zusammenarbeit mit dem ÖFB-Präsidenten und den Generalsekretären geschehen.
Gerhard Götschhofer (OÖ): Bisher wurde eher die Vergangenheit aufgearbeitet als die Zukunft diskutiert. Ich gehe aber davon aus, dass die nächste Sitzung eher Anfang Oktober als Ende Oktober stattfinden wird.
Josef Geisler (Tirol): Ich weiß nicht, wann die nächste Sitzung stattfindet. Dazu müsste ich ja ein Hellseher sein.

Also: Erst wird der Sportchef geklärt, dann der Teamchef?

Herbert Hübel (Salzburg): Das würde ich nicht als falsch bezeichnen. Wir müssen das ja auch nicht überstürzen, es bricht ja nicht morgen der Krieg aus.
Gerhard Milletich (Burgenland): Wir haben jetzt den Vorteil, dass die ersten EM-Quali-Spiele noch weit weg sind. Wenn die Personalie Sportdirektor geklärt ist, muss dieser dann nach seinem Anforderungsprofil suchen: Wer ist am Markt? Wer ist finanzierbar? Wer ist geeignet? Und dann schlägt der Sportdirektor dem Präsidium einen Kandidaten vor.

Gartner: „Natürlich ist auch Bauchgefühl dabei.“

Dann übernimmt der Sportdirektor die suche nach dem Teamchef?

Herbert Hübel (Salzburg): Man wird den Sportdirektor bei der Suche sicher einbinden müssen. Ich bin nur ein kleines Rädchen innerhalb des Entscheidungsprozesses.

Und dieser Vorschlag wird dann im Präsidium diskutiert?

Wolfgang Bartosch (Steiermark): So ist es.
Robert Sedlacek (Wien):
So sollte es sein, ja. Es wird vermutlich um Gehälter gehen und wann der neue Teamchef beginnen kann. Und es ist auch noch nicht absehbar, ob es einen, zwei oder mehrere Kandidaten geben wird.
Gerhard Götschhofer (OÖ): Es wird Vorschläge der Sportlichen Direktion  geben, und dann entscheide ich für mich: Überzeugt mich das oder überzeugt es mich nicht?
Johann Gartner (NÖ): Wir werden im Präsidium die Vorschläge nach verschiedenen Gesichtspunkten diskutieren. Natürlich ist auch Bauchgefühl dabei, man kann schließlich nicht alles in Zahlen messen. Primär ist aber wichtig, dass der Erfolg zurückkehrt.

Braucht es im Präsidium Einstimmigkeit, um einen Teamchef zu bestätigen?

Josef Geisler (Tirol): Nein, es reicht grundsätzlich die Mehrheit.

Bartosch: „Man sollte sich nicht durch die Vorgabe einer bestimmten Nationalität einengen.“

Es gab 2011 einen Anforderungskatalog bei der Teamchef-Suche – Deutschkenntnisse, Wohnsitz in Wien, Erfolge in der Vita, und so weiter. Glauben Sie, dass sich an diesen Anforderungen etwas ändern wird?

Klaus Mitterdorfer (Kärnten): An den Anforderungen wird sich nicht viel ändern. Es geht um Qualität und Leistbarkeit.
Johann Gartner (NÖ): Wir sind 2011 vor der Situation gestanden, dass Deutschkenntnisse wichtig waren, und dass es sich um eine starke Persönlichkeit handeln sollte. Da kann man ja nicht irgendeinen Trainer hinstellen, der braucht natürlich auch den Respekt der Spieler. Daran hat sich nichts geändert.
Robert Sedlacek (Wien): Es ist wichtig, dass Sportdirektor und Teamchef harmonieren. Also: Wenn Willi Ruttensteiner Sportdirektor bleibt, wird sich am Profil kaum etwas ändern. Ein neuer Sportdirektor könnte aber natürlich sehr wohl neue Vorstellungen haben.

Ist auch die Nationalität von Bedeutung – oder würden Ihnen Deutschkenntnisse reichen?

Klaus Mitterdorfer (Kärnten): Natürlich wäre es positiv, wenn der neue Teamchef Deutsch spricht, aber es sollte doch vorrangig um die Qualität gehen.
Wolfgang Bartosch (Steiermark): Es reicht, wenn er Deutsch kann. Ich bin der Meinung, man sollte sich nicht durch die Vorgabe einer bestimmten Nationalität in der Suche einengen.
Johann Gartner (NÖ): Die Nationalität ist nicht wichtig, fließendes Deutsch schon.

Aber die Spieler sollten grundsätzlich schon alle Englisch können.

Johann Gartner (NÖ): Natürlich, gar keine Frage. Aber der Teamchef muss ja nicht nur mit den Spielern kommunizieren. Zu seinen Aufgaben gehört auch Öffentlichkeitsarbeit; Medien- und Sponsorentermine. Da stelle ich mir Kommunikation auf Englisch schon problematisch vor.

Sedlacek: „Es hat schon einen Grund, warum der Sportdirektor den Teamchef sucht.“

Was wäre Ihnen persönlich bei einem neuen Teamchef wichtig?

Gerhard Milletich (Burgenland): Es geht nicht darum, dass dieses Präsidiumsmitglied diesen Trainer und jenes Präsidiumsmitglied jenen Trainer will. Namen wurden in der Sitzung keine genannt.
Gerhard Götschhofer (OÖ): Darüber mache ich mir keine Gedanken, da verlasse ich mich voll und ganz auf die sportliche Expertise des Sportdirektors. Sonst könnte ich ja gleich selber einen Vorschlag einbringen. Aber das maße ich mir nicht an.

Genau das wird Ihrem Kollegium aber zuweilen vorgeworfen.

Robert Sedlacek (Wien): Vielleicht gibt es den einen oder anderen. Aber wenn ich die letzte Teamchef-Suche betrachte, war es da rein die Entscheidung der sportlichen Leitung. Aber es hat schon seinen Grund, warum der Sportdirektor den Teamchef sucht: Weil er dann auch den meisten Kontakt mit ihm hat.
Wolfgang Bartosch (Steiermark): Es ist richtig, dass es da gewisse Strömungen gibt, wo ich den Eindruck habe, dass das womöglich schon so sein kann.
Gerhard Götschhofer (OÖ): Ich kann über meine Kollegen nicht urteilen, aber ich unterstelle niemandem Eigeninteressen. Ich habe keinen Favoriten und kein Interesse, einen Vorschlag zu machen.
Klaus Mitterdorfer (Kärnten): Man muss natürlich Landesinteressen in dieser Causa unbedingt absolut hintanstellen. Es kann und darf einzig um die Interessen des gesamten österreichischen Fußballs gehen.

Das öffentliche Image der Landespräsidenten ist nicht gerade positiv. Worin sehen Sie das begründet?

Gerhard Milletich (Burgenland): Ich gehe davon aus, dass da viele unqualifizierte Aussagen von Journalisten dabei sind, die noch nie Verantwortung getragen haben.
Klaus Mitterdorfer (Kärnten): Mit tut das negative Bild schon ein bisschen weh. Es wird immer von „Landesfürsten“ geredet, und was sie sich alles anmaßen würden. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass wir ein anderes Bild abgeben als derzeit.

Sie sprechen den Vorwurf des „Machtrausches“ an?

Klaus Mitterdorfer (Kärnten): Genau. Davon müssen wir wegkommen, weil es auch ganz und gar nicht meine Philosophie ist. Es geht natürlich um den Spitzensport, aber wir haben in den Landesverbänden vor allem sehr viele Aufgaben im Breitensport-Segment.
Wolfgang Bartosch (Steiermark): Das ist natürlich nicht angenehm. Ich persönlich fühle mich nicht als „Landesfürst“. Und auch nicht als Alpha-Tier, wie womöglich andere.
Robert Sedlacek (Wien): Unser Image ist in der Tat immer sehr durchwachsen. Ich kann nur für mich sagen, dass ich mich nicht als jemand fühle, der einen Teamchef oder einen Sportdirektor abmontieren oder behalten will.
Johann Gartner (NÖ): Der ÖFB ist ein Unternehmen mit einem Budget im mittleren zweistelligen Millionenbereich, und wir leben von der Nationalmannschaft. Wenn nur 13.000 Zuseher kommen, dann muss man sich etwas überlegen.

Mitterdorfer: „Nicht anmaßen, sich in sportliche Belange einzumischen“

Abgesehen davon, dass es formal in der Satzung so steht – warum stimmen die Landespräsidenten überhaupt über die Personalie Teamchef mit ab? Sollte das nicht rein Sache der Sportlichen Leitung sein?

Gerhard Götschhofer (OÖ): Die Teamchef-Sache ist eines der wichtigsten Themen, weil die Wirtschaftlichkeit des ÖFB vom Nationalteam abhängt, das ist ja kein Geheimnis. Und der Teamchef ist da entscheidend. Da sollten auch alle Mitglieder eine Stimme haben.
Robert Sedlacek (Wien): Im Gesamtpaket Teamchef/Sportdirektor geht es nicht nur um Personen, sondern auch um Kosten. Das betrifft ja auch andere Mannschaften. Und hier ist das Präsidium eben die Instanz, die „ja“ oder „nein“ sagen muss.
Johann Gartner (NÖ): An sich sind die Landesverbände und die Bundesliga auch Eigentümer des ÖFB. Und auch in der Wirtschaft ist es üblich, dass der Aufsichtsrat wichtige Entscheidungen bestätigen muss.
Klaus Mitterdorfer (Kärnten): Die föderale Struktur mach schon Sinn. Wie auch, dass sich die Gesamtstruktur des österreichischen Fußballs über die maßgeblichen Entwicklungen Gedanken macht und Entscheidungen trifft. Dabei ist ist nur die Frage: Wie? Ganz wichtig ist, dass man sich auf seine Kernkompetenzen konzentriert und sich nicht anmaßt, sich als Landespräsident in sportliche Belange einzumischen.

Also: Personalie bestätigen – ja; aber Personalie suchen – nein?

Gerhard Götschhofer (OÖ): Bei der Grundlagenfindung zur Teamchef-Entscheidung kann man nur darauf bauen, dass die Sportlichen Verantwortlichen einen guten Job machen.

Sollte es eine durchgängige Philosophie vom A-Nationalteam bis ganz nach unten und in den Jugendbereich geben, oder sollte jeder Trainer nach seinen Vorstellungen arbeiten dürfen?

Klaus Mitterdorfer (Kärnten): Ich glaube, es muss ein Mix sein. Eine Grundphilosophie ist sicher gut, aber ansonsten soll schon auch die Individualität der Teams und der Spieler eine Bedeutung haben.
Robert Sedlacek (Wien): Es wird ja grundsätzlich jetzt schon nach dem „Österreichischen Weg“ gearbeitet. Es mag schon sein, dass der eine oder andere Trainer womöglich abweicht. Aber ich denke schon, dass es eine durchgängige, einheitliche Spielphilosophie geben sollte.
Wolfgang Bartosch (Steiermark): In den Nationalteams innerhalb des ÖFB ist eine einheitliche Spielphilosophie auf jeden Fall sinnvoll. In der Jugendarbeit bei den Klubs bin ich da etwas anderer Meinung. Aber: Der Sportdirektor wird da sicher die bestmöglichen Vorgaben machen.

Wir danken für die Gespräche.

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Braucht der Fußball Videobeweis, Netto-Spielzeit und andere Regeländerungen? https://ballverliebt.eu/2017/06/25/braucht-der-fussball-videbeweis-netto-spielzeit-und-andere-regelaenderungen/ https://ballverliebt.eu/2017/06/25/braucht-der-fussball-videbeweis-netto-spielzeit-und-andere-regelaenderungen/#comments Sun, 25 Jun 2017 17:57:31 +0000 In dieser Folge des Ballverliebt.eu Fußball-Podcasts bekommen Tom und Philipp Besuch. Kevin Bell (früher Fanreport, jetzt im Medienteam des ÖFB) ist zu Gast, denn er kennt sich im Regelwerk von vielen internationalen Sportarten gut aus und das passt. Wir sprechen diesmal nämlich über den Videobeweis, wie er beim Confed Cup bisher so funktioniert, was seine Zukunft sein kann und warum Herbert Prohaska und der ORF wirklich daneben liegen. Auch die wichtigsten Regeländerungen, die im aktuellen und teilweise radikalen IFAB-Vorschlag zu finden sind, nehmen wir ein wenig unter die Lupe. Wie ist die Idee einer Netto-Spielzeit für den Fußball zu bewerten? Braucht der Fußball ein Tie Break? Es ist eine super Show geworden, vor allem weil wir Philipps Redepart an manchen Stellen um ungelogene 753 Prozent beschleunigt haben. Warum? Das merkt ihr schon selbst, wenn ihr reingehört habt.

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Nach Teamchef-Jubiläum wartet EM-Ticket auf ÖFB-Frauen https://ballverliebt.eu/2016/09/17/nach-teamchef-jubilaeum-wartet-em-ticket-auf-oefb-frauen/ https://ballverliebt.eu/2016/09/17/nach-teamchef-jubilaeum-wartet-em-ticket-auf-oefb-frauen/#respond Sat, 17 Sep 2016 10:59:11 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=13067 Ein Spiel noch – dann ist die Qualfikation für die Frauen-EM im kommenden Jahr in Holland vorbei. Österreich beendet zum dritten Mal hintereinander seine Gruppe auf dem zweiten Platz – und, wenn nicht etwas völlig Schräges passiert, ist man nach dem Match in Wales am Dienstag erstmals für ein großes Turnier qualifiziert.

weuro-qualiDie rot markierten Teams sind bereits fix für die mit 16 Teams ausgetragene Endrunde qualifiziert, die grün markierten Teams haben zumindest einen Platz im Play-Off sicher. Die sechs besten Zweiten sind wie die Gruppensieger direkt qualifiziert, die zwei schwächeren Zweiten spielen in einem K.o.-Duell noch ein weiteres Ticket aus.

runnersup

Hier ist die Rechnung für die ÖFB-Frauen grundsätzlich recht simpel: Ein Punkt in Wales reicht definitiv, und selbst bei einer Niederlage müssten Rumänien oder Russland zehn bzw. elf Tore aufholen UND Finnland müsste hoch in Spanien gewinnen – all das zusammen ist de facto auszuschließen. (Anmerkungen: Portugal könnte Finnland noch vom zweiten Gruppenplatz verdrängen – und die Resultate gegen die Gruppenletzten fließen nicht in diese Wertung ein. Das blau markierte Team am Ende jeder Zeile ist der jeweilige Gegner am letzten Spieltag am Dienstag.)

Da Schottland, Belgien und Dänemark allesamt gegen den Gruppenkopf spielen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Österreich sogar als bester Gruppenzweiter abschließt – und damit selbst im alten Modus bei nur 12 Teilnehmern fix qualifziert gewesen wäre. Die Anreise nach Newport (in der Nähe von Cardiff) erfolgt via Flug nach London und von dort mit dem Bus weiter (Thalhammer: „Die Flugverbindungen nach Cardiff sind alle eher sch…“), und zwar am Sonntag – also zwei Tage vor dem Spiel.

„Haben damals sehr viel falsch gemacht“

Das tolle 2:2 in Norwegen im Juni war für ÖFB-Teamchef Dominik Thalhammer das 50. offizielle Länderspiel (plus eines gegen Frankreich B, das von FIFA und UEFA nicht als offizielles Match anerkannt wird). Seinem 53. Einsatz an der Seitenlinie wird die Party über das dann auch theoretisch fixierte EM-Ticket folgen. Praktisch war die Sache ja schon nach dem letzten Spiel gegen Israel durch. Ballverliebt hat sich mit dem Teamchef unterhalten und nach hinten sowie nach vorne geblickt.

Ballverliebt: Der 27. April 2011, ein etwas im Wald versteckter Sportplatz in Slowenien: Dein erstes Länderspiel – als Nummer 24 im Europa-Ranking. Hätte Dir damals jemand gesagt, dass ihr euch fünfeinhalb Jahre später für die EM qualifizierten würdet, als Nummer 25 Welt – hättest Du es geglaubt?

Dominik Thalhammer: Diese Entwicklung in der Form habe ich nicht erwartet. Man muss auch ehrlich sagen: Wenn ich mich an das erste Pflichtspiel erinnere, das 1:1 daheim gegen Tschechien im September 2011 – da haben wir zwar das Resultat gebracht, aber wirklich sehr viel falsch gemacht. Und wenn ich das vergleiche mit dem 2:2 zuletzt in Norwegen: Da hatten wir mehr Pässe in den gegnerischen Strafraum und mehr Vertikalpässe in der gegnerischen Hälfte als der amtierende Vize-Europameister. Diese Entwicklung darf aber nicht aufhören, sie muss weitergehen.

Ballverliebt: Du hast damals kurzfristig für den verstorbenen Ernst Weber übernommen – und das war auch eigentlich nur interimistisch geplant, oder? Und wie beurteilst Du im Nachhinein eure Leistungen von damals

Thalhammer: Das hat sich erst ein paar Monate später ergeben, dass ich den Posten längerfristig behalte. Und es waren ganz andere Voraussetzungen als heute – bei der Spielidee von damals, vor allem gegen stärkere Teams wie beim 0:3 im Herbst 2011 in Dänemark, ist es nur darum gegangen, defensiv organisiert zu sein. Viel mehr konnte die Mannschaft damals nicht.

„Reaktive Spielweise alleine ist zu wenig“

Ballverliebt: Und dann kam eine Weiterentwicklung nach der anderen.

Thalhammer: Genau. Los ging es dann mit dem Angriffspressing, das war 2012 zum Beispiel beim Heimsieg gegen Dänemark schon in Ansätzen ganz gut, in der nächsten Qualifikation 2013/14 gegen Frankreich und Finnland noch besser. Aber wir haben noch zu viele Bälle im Spielaufbau verloren – darum kam dann das Gegenpressing dazu, wie wir es beim Istrien-Cup 2015 gut und beim Sieg gegen Australien noch besser gemacht haben. Das alleine, diese reaktive Herangehensweise, ist aber zu wenig, wenn wir wirklich eine gute Rolle spielen oder sogar Trendsetter sein wollen.

Ballverliebt: Das heißt?

Thalhammer: Das heißt, dass wir im Ballbesitz besser werden mussten und müssen und in diesen Ballbesitz-Phasen gleichzeitig aber Vorkehrungen treffen, dass man sich keine Konter einfängt. Der nächste Schritt ist dann, dass die Außenverteidiger nicht an der Linie bleiben, sondern ins Zentrum einrücken.

„Mentaliät macht diese Truppe so stark“

Ballverliebt: Bei deinem ersten Pflichtspiel 2011 waren Wenninger, Feiersinger, Prohaska, Schnaderbeck, Makas und Burger schon dabei, und Sarah Puntigam wäre es ohne ihren Kreuzbandriss damals auch gewesen. Dieser Grundstock von sieben Spielerinnen, diese personelle Kontinuität – wie wichtig ist das für diese permanente Steigerung?

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Teamchef Thalhammer. Foto: Thaka1982 / CC BY-SA 3.0

Thalhammer: Das ist auf jeden Fall einer der entscheidenden Punkte. Eine gewisse Breite würde uns aber auch nicht schaden. Was diese Truppe aber vor allem so stark macht, ist ihre Mentalität. Die entwickelt sich mit den Erfolgen mit. Vor drei Jahren etwa: Daheim gegen Frankreich haben wir gut angefangen, aber nach dem französischen Doppelschlag nach einer Viertelstunde fehlten uns die Mittel und auch die mentale Kraft, noch dagegen zu halten.

Ballverliebt: Wenn man die Auswärtsspiele in Finnland 2013 und das in Norwegen 2016 vergleicht, sieht man diese Entwicklung schön.

Thalhammer: Stimmt: In Finnland sind wir einem Rückstand hinterher gelaufen, haben in der 80. Minute den Ausgleich erzielt, und postwendend wieder das Gegentor bekommen und verloren. Jetzt in Norwegen sind wir auch einem Rückstand hinterher gelaufen, haben kurz vor Schluss wieder den Ausgleich erzielt – und haben das Remis dann drüber gebracht.

„Schlechteste Leistungen gegen schlechte Teams“

Ballverliebt: Wenn ich eine Shortlist der fünf besten Spiele machen müsste, die die ÖFB-Frauen unter deiner Leitung absolviert haben, wären darauf das 3:1 gegen Dänemark 2012, das 1:2 in Finnland 2013, das 1:3 in Frankreich 2014, das 2:1 gegen Australien 2015 und das 2:2 in Norwegen 2016. Welches ist für dich das beste Spiel gewesen?

Thalhammer: Von der Reife und von der Bedeutung des Spiels her, würde ich das 2:2 in Norwegen nehmen, vor dem 3:1 gegen Dänemark, was unser erstes außergewöhnlich gutes Resultat war. An deiner Liste sieht man aber, dass du – genauso wie wir – eher prozessorientiert denkst, nicht so sehr in reinen Ergebnissen, weil du da auch zwei Niederlagen dabei hat. Es gab viele Zwischenschritte. Wenn man sich die letzten zwei Jahre ansieht, seit dem Spiel in Le Mans im April 2014, haben wir nur ein einziges Spiel verloren – und das war unglücklich, das 0:1 daheim gegen Norwegen. Wir sind extrem stabil geworden, das zeichnet ein Team auch aus.

Ballverliebt: Das schlechteste Spiel, das ich von euch gesehen habe, war das 4:0 daheim gegen Bulgarien 2013. Ich habe aber natürlich von den eher obskuren Auswärts-Spielen etwa in Kasachstan, Bulgarien oder Armenien, keines gesehen. Ich erinnere mich, dass Du auch nach dem 6:1 in Bulgarien richtig sauer warst, obwohl das Ergebnis eigentlich gut aussah. Würdest Du dich drüber trauen, ein Spiel zu benennen, von dem Du sagst: Das war das schlechteste?

Thalhammer: Das will ich eigentlich nicht, aber es stimmt schon: Gegen die schlechteren Teams haben auch wir unsere schlechtesten Leistungen gezeigt. Wir hatten zwar viel Ballbesitz, aber keine wirkliche Kontrolle über das Spiel, nach zwei oder drei Pässen sind die Bälle dann oft wieder verloren gegangen. Aber wenn ich mir jetzt ansehe, wie konsequent und ohne Leerlauf und praktisch ohne Fehlpässe wie etwa zuletzt gegen Israel gespielt haben, dann muss ich sagen: Das ist es, wo wir hin müssen.

„Wir sollten im Frauenfußball zum Trendsetter werden“

Ballverliebt: Im kommenden Sommer wird Österreich erstmals bei einer Frauen-EM mit dabei sein. Siehst du das eher als Ziel einer Entwicklung oder als Startpunkt, nach dem Motto: Jetzt geht’s erst so richtig los?

Thalhammer: Ich würde das eher als Startpunkt sehen, um sich dauerhaft in der europäischen Spitze anzusiedeln und sich festzusetzen. In den nächsten Wochen und Monaten, bis zur EM, sollen wir uns auch keine Grenzen setzen und tatsächlich versuchen, im Frauenfußball zum Trendsetter zu werden. Und auch entsprechend aufzutreten, sowohl von den Fähigkeiten, als auch von der Körpersprache. Das sollte unser Ziel in den nächsten Jahren sein. Und mir ist es auch wichtig, dass wir in jedem Lehrgang einen neuen Entwicklungsschritt setzen, etwas Neues erlernen. Kein Beharren auf dem, was man kann, sondern ein ständiger Fortschritt.

„Der Level steigt, aber die Breite fehlt“

Ballverliebt: Wenn ich heute zu Spielen der heimischen Frauen-Bundesliga gehe, sehe ich dort Mädchen von 15 oder 16 Jahren, die schon absolut furchtlos agieren und eine äußerst selbstbewusste Ausstrahlung auf dem Platz haben. Liegt darauf im Nationalen Zentrum für Frauenfußball in St. Pölten, wo der beste Nachwuchs Österreich gebündelt ausgebildet wird, auch der Fokus?

Thalhammer: Naja, es gibt drei Säulen. Erstmal brauche ich eine Spielidee. Dann braucht man die passende Mentalität. Und man darf nicht nur darüber reden, sondern muss es auch umsetzen. Und auch, wenn man einen schlechten Tag hat: Die Mentaliät muss immer passen.

Ballverliebt: Wie siehst du den Nachwuchs? Der 1997er-Jahrgang war ja bei U-17-EM und bei der U-19-EM dabei. Sind die Fähigkeiten der Neuankömmlinge mit 14, 15 Jahren jetzt besser als 2011, als das Nationale Zentrum startete?

Thalhammer: Der grundsätzliche Level hat sich etwas gesteigert. Probleme haben wir aber nach wie vor in der Breite, da ist es zu wenig. Es gibt tolle Jahrgänge, und es gibt schwächere. Und die Gesamtzahl der Mädchen, die Fußball spielen, stagniert, kommt mir vor. Aber vielleicht gibt die EM-Teilnahme einen Push. Man wird sehen.

spiele-unter-thalhammer

ÖFB-Kader gegen Wales: Tor: Jasmin Pal (20 Jahre, Wacker Innsbruck, 0 Länderspiele/0 Tore), Manuela Zinsberger (20, Bayern München/GER, 21/0). Abwehr: Marina Georgieva (19, St. Pölten, 0), Virginia Kirchberger (23, Duisburg/GER, 37/1), Sophie Maierhofer (20, Kansas Jayhaws/USA Univ., 12/1), Katharina Naschenweng (18, Sturm Graz, 1/0), Katharina Schiechtl (23, Werder Bremen/GER, 15/5), Viktoria Schnaderbeck (25, Bayern München, 51/2), Carina Wenninger (25, Bayern München, 56/3). Mittelfeld: Verena Aschauer (22, Sand/GER, 34/5), Barbara Dunst (18, St. Pölten, 6/0), Jasmin Eder (23, St. Pölten, 29/0), Laura Feiersinger (23, Sand/GER, 43/7), Nadine Prohaska (26, St. Pölten, 62/7), Sarah Puntigam (23, Freiburg/GER, 60/9), Sarah Zadrazil (23, Turbine Potsdam/GER, 36/5). Angriff: Nicole Billa (20, Hoffenheim/GER, 21/9), Nina Burger (28, Sand/GER, 78/45), Stefanie Enzinger (26, Sturm Graz, 3/0).

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„Für jede Krankheit gibt’s bestimmte Pillen. Bei Fußball-Taktik ist es ganz genauso!“ https://ballverliebt.eu/2013/07/26/fur-jede-krankheit-gibts-bestimmte-pillen-bei-fusball-taktik-ist-es-ganz-genauso/ https://ballverliebt.eu/2013/07/26/fur-jede-krankheit-gibts-bestimmte-pillen-bei-fusball-taktik-ist-es-ganz-genauso/#comments Fri, 26 Jul 2013 00:43:24 +0000 http://ballverliebt.eu/?p=9232 „Für jede Krankheit gibt’s bestimmte Pillen. Bei Fußball-Taktik ist es ganz genauso!“ weiterlesen ]]> Die nackten Zahlen beeindrucken kaum: Zwei Punkte aus drei Gruppenspielen, per Los-Entscheid überhaupt nur ins Viertelfinale gekommen. Dann im Viertel- und Halbfinale jeweils 1:1, einmal das Elferschießen gewonnen (gegen Frankreich), dann verloren (gegen Norwegen). Da ist kein „echter“ Sieg dabei.

Dennoch: Dänemark war durchaus verdient im Halbfinale. Obwohl das Team auf dem Papier sicher nicht zu den besten vier der Frauen-EM gehört. Wohl auch nicht zu den besten sechs. Womöglich nicht mal zu den besten acht. Aber Teamchef Kenneth Heiner-Møller verpasste seinem Team in jeder Partie eine andere taktische Marschroute. Und inhaltlich war das Team des 42-Jährigen immer der Punktsieger.

Norwegen - Dänemark 1:1 n.V. (1:1, 1:0), 4:2 i.E.
Norwegen – Dänemark 1:1 nV (1:1, 1:0), 4:2 iE

Das Turnier der Däninnen: Gegen Schweden ein 4-2-3-1 mit abkippender Sechs und brutal hohen Außen-Verteidigerinnen, um die eng stehende schwedische Viererkette zu fordern. Gegen Italien mit defensiveren AV aber verstärktem Zentrum, womit man die Italienerinnen bis zu deren Doppelschlag überfuhr. Volle Offensive gegen Finnland, wo Dänemark trotz 20:4 Torschüssen nur 1:1 spielte. Ein defensives 4-4-1-1 gegen Frankreich. Und eine wagemutigen Umstellung auf ein 3-3-4 gegen Norwegen, als es nötig wurde.

Letztlich endete die Reise für Dänemark und auch für Kenneth Heiner-Møller, der nach acht Jahren sein Amt als Teamchef zurücklegt, im Elfmeterschießen gegen Norwegen. Ballverliebt hat sich mit dem aus taktischer Sicht interessantesten Trainer der Frauen-EM danach unterhalten.

Ballverliebt: Erstmal gratuliere ich zu einem tollen Turnier. Ich muss ehrlich sein: Vor zehn Monaten, nach eurem 1:3 in der EM-Quali gegen Österreich in St. Pölten, hätte ich euch das Halbfinale nie im Leben zugetraut. Seid ihr an dieser Niederlage sogar gewachsen, weil ihr daraus gelernt habt?

Heiner-Møller: Das Spiel damals sehe ich ein wenig anders. Wir können hervorragend spielen, aber auch ziemlich schlecht. In St. Pölten waren wir ziemlich schlecht und Österreich hat unsere Schwächen sehr gut ausgenützt. Wir haben ein hohes und ein niedriges Level. Das niedrige Level muss in Zukunft höher werden.

Kenneth Heiner-Møller kurz nach dem verlorenen Elferschießen
Kenneth Heiner-Møller nach dem verlorenen Elferschießen

Ballverliebt: Nun, im Halbfinale gegen Norwegen, spielte die gelernte Innenverteidigern Janni Arnth links hinten, die gelernte Außenverteidigerin Line Røddik dafür innen. Was war die Überlegung hinter dieser Maßnahme?

Heiner-Møller: Das haben wir im Viertelfinale gegen Frankreich auch schon so gespielt. Janni ist eine gute Innenverteidigerin, aber auf international hohem Level ist mir mit Line innen wohler. Zudem kann Janni auch außen spielen, genau wie Mia Brogaard. Gegen Finnland habe ich Cecilie Sanvdej links hinten hingestellt. Sie ist gut, aber gegen die echten Top-Teams brauchen wir etwas mehr. Auch Mia Brogaard kann dort spielen, wie gegen Schweden und Italien, aber ihre Passgenauigkeit ist auch im zentralen Mittelfeld gefragt. Darum spielte sie gegen Frankreich und Norwegen auch dort. Und, ach ja, mit Caroline Hansen hat Norwegen da eine richtig gute Flügelstürmerin. Das könnte auch ein Grund für meine Maßnahme gewesen sein, Janni als Linksverteidigerin einzusetzen… (grinst)

Ballverliebt: Sie haben in diesem Turnier generell von Spiel zu Spiel einiges an Formation, Personal und individuellen Aufgaben verändert.

Heiner-Møller: Das hängt mit den verschiedenen Qualitäten der Spielerinnen zusammen. Wir sind lange zusammen und wissen, wie wir uns jeweils verhalten müssen, wenn verschiedene Teams verschiedene Angriffs-Systeme gegen uns spielen. Dementsprechend ändert sich auch immer unser Defensiv-Spiel, während unser Offensiv-Spiel fast immer ziemlich gleich ist. Dieses Turnier hat uns gezeigt, in den Spielen gegen Schweden und Frankreich vor allem, dass dieser Ansatz richtig ist und wir damit Erfolg haben können.

Anfang März beim Algarve Cup, dem alljährlichen stark besetzten Test-Turnier, ließ Heiner-Møller kein aktives 4-2-3-1 mit stark aufrückenden Außen und abkippender Sechs spielen, sonden ein extrem defensives 4-4-2. Es gab ein 0:0 gegen Deutschland und ein 0:0 gegen Norwegen – also genau gegen die beiden EM-Finalisten.

Dänemarks 0:0 gegen Norwegen beim Algarve Cup
Dänemarks 0:0 gegen Norwegen beim Algarve Cup

Ballverliebt: Wenn man sich eure Spiele beim Algarve Cup angesehen hat, sah es so aus, als hättet ihr dort den defensiven Zugang gedrillt. Stimmt der Eindruck?

Heiner-Møller: Wir haben getestet, was wir tun müssen, wenn wir auf ein Team wie eben im Viertelfinale Frankreich treffen. Das haben wir beim Algarve Cup gegen Deutschland und Norwegen probiert, das haben wir bei unserem Test-Turnier in Brasilien im Dezember probiert. Man braucht für verschiedene Krankheiten verschiedene Pillen, und bei Fußball-Taktik ist es genau dasselbe. Die muss man auch testen. Und meistens erwischen wir die richtige Pille.

Ballverliebt: Wenn ich sagen würde: Hättet ihr eine echte Knipserin, dann hättet ihr nach der Gruppenphase hier bei der EM sieben Punkte gehabt und nicht nur zwei – hätte ich dann recht?

Heiner-Møller: Manchmal rettet einen der Keeper, manchmal die Stürmer; manchmal patzt der Keeper und die Stürmer treffen nicht. Ich denke, dass Pernille Harder ein gutes Turnier für uns gespielt hat.

Ballverliebt: Trotzdem hättet ihr den Viertelfinal-Einzug auch leichter haben können als durch den Los-Entscheid gegen Russland.

Heiner-Møller: Hätten wir absolut, ja. Wenn man sich die Anzahl der Chancen ansieht, die wir uns in allen Gruppenspielen erarbeitet haben, kann man nicht mehr verlangen. Tormöglichkeiten herausgespielt haben wir mehr als genug. Wir haben aber auch ein paar zu viele zugelassen.

Heiner-Møller hat eine durchschnittliche Karriere als Aktiver hinter sich. Der Stürmer spielte ein Jahr bei Ferencváros in Ungarn, zurück in der Heimat war er bei B1903 Kopenhagen, Aarhus und Velje unter Vertrag. Eine Verletzung beendete die Karriere mit 30 Jahren. Als Trainer braucht er keinen Mental-Coach – weil er als ausgebildeter Psychologe eigentlich ja selbst einer ist.

Kenneth Heiner-Møller
Kenneth Heiner-Møller

Ballverliebt: Was hat eure tolle Leistung beim 1:1 im Eröffnungsspiel gegen Schweden für eure Psyche bewirkt?

Heiner-Møller: Wir haben viel darüber geredet und ich sage meinen Spielerinnen immer wieder: Wir können jedes Team dieser Welt schlagen. Aber, wie gesagt, wir können auch fürchterliche Aussetzer haben. Gegen Italien haben wir zwischen der 30. und der 60. Minute ganz schlecht gespielt, und die ersten 35 Minuten hier gegen Norwegen waren unsere schlechtesten im ganzen Turnier. Nach dem Schweden-Spiel dachten wir insgeheim, dass wir besser wären als wir eigentlich sind.

Ballverliebt: Für Sie war es nach acht Jahren das letzte Spiel als Teamchef von Dänemark. Wie geht es mit Ihnen weiter?

Heiner-Møller: Am 1. August werde ich meinen neuen Job antreten. Der hat nichts mit Fußball zu tun, sondern in einem Institut für die Entwicklung von Führungskräften in Dänemark.

Ballverliebt: Also erstmal kein Fußball?

Heiner-Møller: So sieht es aus.

(phe)

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