Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Thu, 24 Apr 2025 07:50:05 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.7.2 Liése Brancão: Von Novo Hamburgo nach Hamburg https://ballverliebt.eu/2025/04/23/liese-brancao-portrait-hsv-skn/ https://ballverliebt.eu/2025/04/23/liese-brancao-portrait-hsv-skn/#respond Wed, 23 Apr 2025 11:05:44 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21009 Liése Brancão: Von Novo Hamburgo nach Hamburg weiterlesen ]]> Erste Juli-Woche 2004, Flughafen Lissabon-Portela: Eine 22-jährige Brasilianerin war von den portugiesischen Behörden am Umsteigen in die Maschine nach Wien gehindert worden.

Es dauerte einige Stunden, ehe die Einreisebeamten Zeit für die verängstigte junge Frau hatten, die erstmals in ihrem Leben alleine brasilianischen Boden verlassen hatte. Sie hielt ihnen ihren frisch unterschriebenen Vertrag beim österreichischen Frauenfußball-Meister SV Neulengbach unter die Nase und ein kurzer Anruf der Behörde beim damaligen Vereins-Obmann Bruno Mangl bestätigte ihre Darstellung: Célia Liése Brancão Ribeiro gehörte nicht zu den etwa 25 jungen Frauen, die aus Porto Alegre vermutlich als Objekt von Menschenhandel nach Europa geschleust wurden. Liése Brancão war tatsächlich Fußballerin mit einem gültigen Vertrag im Gepäck.

Zwei Jahrzehnte und 14,5 Meistertitel* als Spielerin und Trainerin später ist Li, wie sie von jedem genannt wird, immer noch in Österreich. Bald nicht mehr: Die mittlerweile 43-Jährige wird im Sommer neue Trainerin beim Frauen-Team des HSV. Am 22. Dezember 2024 war sie nach achteinhalb Jahren als inoffizielle bzw. offizielle Trainerin von Österreichs Abo-Meister SKN St. Pölten zurückgetreten. Exakt vier Monate später wurde sie als Nachfolgerin von Marwin Bolz in Hamburg vorgestellt.

Der Werdegang von Liése Brancão

Womit sich zumindest vom Namen der Städte ein Kreis schließt, denn Li wurde am 9. November 1981 in Novo Hamburgo geboren. Das liegt außerhalb von Porto Alegre in Rio Grande do Sul, der südlichsten Provinz Brasiliens – sieben Autostunden von der argentinischen Grenze entfernt, fünf von jener zu Uruguay. São Paulo ist schon so weit weg, dass man eher fliegt als fährt. Ihr älterer Bruder war fußballnarrisch, ihr Vater war Trainer, Fußball war also immer Teil ihres Lebens – zunächst war aber Handball jener Sport, den sie vereinsmäßig betrieb.

Die Anfänge als Fußballerin

Der Fußball ließ sie jedoch nicht los und als sie 14 Jahre alt war, überredete sie ihren Vater, sie nach Porto Alegre zu fahren, um bei Grêmio ein Probetraining zu absolvieren. Dort wollte man sie aber nicht einmal vorspielen lassen. „Dann gehen wir eben zu Inter“, schnaubte Papa Ribeiro – und dort war sie willkommen. Als 16-Jährige debütierte Li in der 1997 frisch gestarteten Erwachsenen-Mannschaft von Internactional in Porto Alegre.

Von einem Gastspiel bei Palmeiras abgesehen – wo nach dem Abgang des glatzköpfigen WM-Stars Sissi ein Passus eingeführt wurde, dass alle Frauen im Verein lange Haare haben müssen („Absurd“, schüttelte Li noch Jahre später den Kopf), blieb sie Internacional treu, bis die Frauen-Sektion 2003 zugedreht wurde.

„Sie ist gemeinsam mit Rosana damals nach Österreich gegangen, richtig? Ich selbst erinnere mich nicht daran, gegen Liése Brancão gespielt zu haben. Aber ich habe mich umgehört bei Kolleginnen von ihr bei Internacional – und die sagen nur Gutes über sie.“

BRASILIENS FRAUENFUSSBALL-LEGENDE SISSI

Der Wechsel nach Österreich

Ihre Inter-Teamkollegin Rosana hatte da schon einen Vertrag bei Neulengbach in der Tasche, SVN-Obmann Bruno Mangl hatte die Stürmerin bei der WM 2003 in den USA gescoutet und für 2004 verpflichtet. Mangl war aber auch auf der Suche nach einem Sechser, Rosana hat ihm Liése Brancão empfohlen. Der 2017 verstorbene Mangl flog rüber, beobachtete sie und nahm sie unter Vertrag.

Der Zwischenstopp in Portugal war unerfreulich, ihr ehemaliger Internacional-Trainer Cyro Leães arrangierte einen neuen Weiterflug nach Wien, und ohne Deutsch- und mit minimalen Englisch-Kenntnissen wurde sie in Neulengbach – ein beschauliches 8.000-Seelen-Städtchen eine halbe Autostunde westlich von Wien – ins kalte Wasser geworfen. Ihre erste Zeit in Österreich beschreibt sie selbst als „positiven Kulturschock“, weil alles Struktur hatte. Was geplant ist, wird auch gemacht. Wenn es heißt, ein Training fängt um sieben an, dann fängt es auch um sieben an und nicht um halb acht.

Die Brasilianerin etablierte sich im defensiven Mittelfeld, rund um sie herum reiften Nina Burger, Nadine Prohaska, die heutige Rapid-Trainerin Katja Gürtler, ihre DM-Partnerin Kathrin Entner, Ines Ruiss, aber auch Daniela Tasch, Romina Bell und letztlich Manuela Zinsberger zu Nationalspielerinnen. Außerdem lernte sie dort Verteidigerin Alexandra Bíróová kennen, mit der sie mittlerweile eine Familie gegründet hat. Söhnchen Matteo ist zwei Jahre alt.

Acht Jahre lang spielte Liése Brancão mit Neulengbach auch im Europacup. Ihr letztes internationales Heimspiel war jenes gegen LdB Malmö (später FC Rosengård) im Achtelfinal-Hinspiel der Saison 2011/12.

Im Sommer 2012 suchte sie eine neue Herausforderung, kehrte zurück nach Brasilien, „aber dort hab ich’s nicht ausgehalten“ – also ging es im Winter 2013/14 zurück nach Österreich, zum USC Landhaus. Dort bekam sie von Trainer Thomas Flögel sofort die Kapitänsschleife umgehängt, sie machte zweieinhalb Bewerbsspiele, am 30. März 2014 riss im Match gegen Sturm Graz das Kreuzband.

Karriereende und Trainerinnen-Laufbahn

Warum Landhaus? „Weil bei Neulengbach schon sechs Ausländerinnen da waren“, erklärt Liése Brancão. Mangl – im Zivilberuf Direktor der lokalen Raiffeisenbank – hätte sie schon 2012 gerne behalten, er rief sofort bei der damals 32-Jährigen an, bot ihr den Trainerinnen-Job bei der 2. Mannschaft an, zeitgleich startete sie die nötigen Trainerlizenz-Kurse. Die 1b wurde 2015 unter ihrer De-facto-Leitung gleich Zweitliga-Meister, auch mit einer erst 15-jährigen Julia Hickelsberger im Kader, ebenso wie Isabella Kresche, Jenny Klein und (zumindest als Kaderspielerin) Yvonne Weilharter, alles künftige Teamspielerinnen.

Im 2015 wurde Li zur De-facto-Trainerin des Bundesliga-Teams befördert, als in Neulengbach alles zusammenbrach: Ohne den erstmals gegen St. Pölten verlorenen Meistertitel fielen die großzügigen Förderungen des Landes Niederösterreich weg, die Truppe flog komplett auseinander: Burger, Bíróová, Celouch, Haršanyová, Vojteková, Tasch, Radojčić, Škorvánková, Wasser, Prvulovic – alle weg. Nur zwei Stammkräfte blieben übrig, der Verein schrie Alarm, ein Zusperren stand im Raum.

Zehn Monate später war Neulengbach am Saisonende starker Dritter.

Mit dieser Visitenkarte lotste SKN-Obmann Willi Schmaus die Neulengbach-Trainerin nach St. Pölten. Auf dem Papier mussten einige Jahre andere unterschreiben (Fanny Vágó, Alexandra Bíróová, Gerhard Waldhart, Maria Wolf), in der Praxis war es Liése Brancão, die 2016 den von Schmaus trotz des Titels abgesägten Hannes Spilka ersetzte. Die folgenden Jahre glichen sich frappant: National wurde der SKN seither immer Meister, international blieb man aber ein kleines Licht.

Liése Brancãos SKN-Bilanz in der Bundesliga? 148 Spiele, 136 Siege, 9 Remis und drei Niederlagen bei 647:62 Toren. Der SKN gewann auch alle sechs fertiggespielten ÖFB-Cup-Bewerbe unter ihrer Leitung.

Tabelle der Frauen-Bundesliga von Sommer 2016 bis zu Liése Brancãs SKN-Rücktritt im Dezember 2024. Gelb markiert sind Teams, die sich in dieser Zeit zumindest einmal als Vizemeister für den Europacup qualifiziert haben; braun markiert sind nicht mehr in der Liga vertretene Teams.

Gegen die Top-4 der jeweiligen Jahre: 50 Spiele, 42 Siege, 5 Remis, 3 Niederlagen, 150:35 Tore.

Liése Brancão, die Führungskraft

Sie selbst erzählte mal von ihrer ersten harten Entscheidung, als sie 2015 Neulengbachs Kampfmannschaft übernahm. Es ging um Maria Gstöttner – Vereinslegende, ehemalige Nationalspielerin, eine die wenigen die geblieben sind, damals 31 Jahre alt – „aber das erste, was ich tat, war sie aus der Startformation zu nehmen“, so Liése Brancão, „das war sehr schwierig, sehr kompliziert. Sie war schon älter, sie war nie besonders schnell und ich war der Meinung, dass eine 18-Jährige damals die bessere Option war.“ [Anmerkung: Li führt es nicht genauer aus, aber die Vermutung liegt nahe, dass es sich um die damalige U-19-Teamstürmerin Valentina Schwarzlmüller handelte.]

Keine Angst vor harten Personalentscheidungen

„Ich musste sie spielen lassen, denn wie soll ich einer 18-Jährigen erklärten, dass sie nicht spielt, auch wenn sie besser ist? Also habe ich mich mit Mary hingesetzt, habe ihr gesagt: Du bist weiterhin wichtig, aber in einer andere Rolle.“ Gstöttner wurde für die zweite Halbzeit eingewechselt, erzielte drei Tore zum 4:2-Sieg gegen Landhaus. „Es war schwer, sie für ihre neue Rolle zu begeistern, aber ich wollte sie nicht verlieren, weil ich wusste: Sie ist wichtig für das Team und für den Erfolg. Nur halt eben nicht von Beginn an.“

Die sportliche Leitung war laut ihren Erzählungen nicht begeistert von Maria Gstöttner als Joker und „es ist ziemlich ermüdend und aufreibend, einem Funktionär, der den Fußball nicht versteht, so etwas zu erklären. Wenn die Spielerinnen in der zweiten Hälfte nach den Wechseln mehr Tore erzielen, warum lässt du die dann nicht beginnen?, fragten sie. Weil wir dann verlieren, sage ich, und wenn euch die Art und Weise, wie ich das hier mache, nicht passt, dann sucht euch eine andere Trainerin!“

Gstöttner war am Saisonende Neulengbachs beste Torschützin – und war dabei nur viermal von Beginn an auf dem Feld.

Fokus auf gewissenhafter Trainingsarbeit

„Ich kann es nicht ausstehen, wenn ich im Training jemanden sehe, der nicht alles reinhaut“, sagt Liése Brancão, die sich selbst als nicht mit viel Talent gesegnet bezeichnet, dafür mit umso größerem Arbeitseifer: „Ich mag Training, weil ich weiß, wenn ich mich da gut auf das Match vorbereite, ist die Chance auf den Erfolg höher. Das verlange ich auch von meinen Spielerinnen.“

Ihr erste Trainerin in Österreich war Olga Hutter. Li sagt, rein taktisch von anderen Trainern mehr gelernt zu haben – so wie ihren Internacional-Coach Rui. „Ich liebte Olga als Person von Anfang an“, erzählt Li, „aber ich war anfangs kein Fan ihres Trainings. Nur: Sie hatte das Team komplett im Griff, alle haben ihr aus der Hand gefressen.“ Warum? Weil Hutter auf die Bedürfnisse jeder einzelnen Spielerin eingehen konnte. Es fiel der Brasilianerin mit der hoch-professionellen Einstellung anfangs schwer zu akzeptieren, dass Teamkolleginnen – die einem regulären Job nachgingen oder studierten – von Hutter, sofern diese es für nötig erachtete, leichtere Behandlung bekamen. Jahre später sagte eine gereifte Li am Anfang ihrer Coaching-Karriere: „Ich halte sehr, sehr viel von ihr, sie ist ein exzellenter Mensch und ich bin immer noch mit ihr in Kontakt!“

Die Menschenführung

Liése Brancão ist das Gegenteil einer Selbstdarstellerin. Sie steht, dem eh überholten Klischee von Fußball-Brasilien widersprechend, eben nicht für Samba-Fußball und Schönspielerei und große Worte. Sie ist eine gewissenhafte Arbeiterin, die über viele Jahre hinweg unaufgeregt und unprätentiös mit einem oft nur minimal veränderten Kader das Maximum an nationalem Erfolg herausgeholt hat.

Das ist in dieser Form auch nur dann möglich, wenn es einen zwischenmenschlich funktionierenden Draht gibt.

Seit Liése Brancão 2016 zum SKN kam, gibt es zahllose Dauerbrennerinnen. Zver, Klein, Mikolajová, Balog, Brunnthaler und Meyer sind auch im aktuellen Kader.

Liése Brancão, die Taktikerin

Wenn man sich nach ihrem SKN-Rücktritt über die womöglich bevorstehende Vorstellung als ÖFB-Teamchefin in der Szene umhörte, war die Begeisterung über diese Entscheidung tendenziell überschaubar. „Wie viele haben sie sich wirklich angehört und angeschaut?“, schreibt Ballverliebt eine ehemalige Aktive. „So viel Auswahl hat der ÖFB ja nicht, wenn sie sich nur in Österreich umschauen“, jemand aus dem medialen Umfeld.

Die Skepsis speiste sich eher aus der taktischen Entwicklung, die für das Nationalteam nötig gewesen wäre. Die inhaltliche Hauptkritik an Fuhrmann war gewesen, dass es keine spielerische Weiterentwicklung gab, was gerade gegen gutklassige, aber tief stehende Gegner – wie eben beispielsweise Polen im EM-Playoff – zum existenziellen Problem geworden ist.

Wenig spielerische Lösungen

Die Erfahrung aus den letzten Jahren von Liése Brancão als SKN-Trainerin wäre kein wirklicher Mutmacher für eine spielstärkere mittelfristige Zukunft gewesen. Denn, man muss es so hart sagen: Das Aufbauspiel des SKN hat einfach nichts mit internationalem Format zu tun und das Fehlen von klaren offensiven Patterns im Spielaufbau war schon seit einigen Jahren ein ständiges Feature des Serienmeisters.

Nicht zuletzt war das im letzten November beim Spitzenspiel in der Liga zu sehen: Die Wiener Austria machte mit ihrer routinierten Defensive mit der geballten Erfahrung von 317 ÖFB-Länderspielen das Verteidigungsdrittel zu und der SKN hatte einfach gar keine offensive Idee.

Als der SKN der Austria nach einer Stunde ein Tor schenkte, wirkte man noch ratloser als vorher und nur ein unglückliches Kirchberger-Reflex-Eigentor in der Nachspielzeit rettete dem SKN das 1:1. Dieses Spiel steht ein wenig exemplarisch.

Der SKN ist sehr gut darin, im meistens eher überschaubaren Tempo des nationalen Kontextes die Räume zu finden, welche die gegnerischen Teams anbieten. Diese werden dann bespielt – eine große Rolle spielen dabei die Außenverteidigerinnen, die Flügelstürmerinnen und die Achter im üblichen 4-3-3. Von hinten herausgespielt wird sehr selten, oft behilft man sich auch mit einem langen Diagonalball aus der Innenverteidigung auf die Flügel. Innerhalb Österreichs recht das, in Verbindung mit der höheren individuellen Qualität, meistens völlig aus.

In den Spielen gegen die Teams auf den Plätzen fünf bis zehn in der Zehnerliga am jeweiligen Saisonende lautet die Bilanz: 98 Spiele, 94 Siege, 4 Remis, 497:27 Tore. Grob gesagt, diese Matches gewann der SKN im Schnitt mit 5:0.

Pressingpotenzial und -resilienz

Der SKN ist durchaus in der Lage, ein Offensivpressing zu zeigen. Das überforderte im Herbst 2020 etwa den FC Zürich im Europacup komplett, damit stellte man auch in der Saison 2023/24 zumindest streckenweise eine gewisse Augenhöhe mit Brann Bergen dar.

Das Problem des SKN war nur: In vielen internationalen Spielen kommt der SKN nicht dazu, weil man sich gegen deutlich bessere Konkurrenz meist defensiv zu erwehren hat – so wie es die österreichische Konkurrenz meistens gegen den SKN macht. Das heißt auch, dass man innerhalb Österreichs so gut wie nie mit der Situation konfrontiert ist, selbst angepresst zu werden, entsprechend schlecht ist die Pressingresilienz dann auf internationaler Bühne.

Ist das eine Schwäche von Liése Brancão oder eine Schwäche des Kaders beim SKN? Oder ist es eine bewusste Entscheidung gewesen, genau diese Form von Fußball zu spielen, weil sie national den gewünschten Erfolg brachte – mit dem Trade-Off, sich damit international eine gewisse Glasdecke zu schaffen? Denn es ist argumentierbar, darauf in der Trainingsarbeit zu verzichten, wenn man es vielleicht drei-, viermal in einer Saison braucht – und das gegen weit überlegene Gegner, gegen die man auch mit besserer Pressingresilienz höchstwahrscheinlich verlieren würde.

In der Quali stark, in der Gruppe fehlt’s

Denn einerseits: Ja, der SKN war in den letzten fünf Saisonen viermal unter den Top-16 der Women’s Champions League. Aber andererseits: In den 18 UWCL-Gruppenspielen holte man einen Sieg (gegen Slavia Prag), zwei Remis (auch beide gegen Slavia Prag, vor allem jenes im Dezember 2023 in einem schauderhaft schlechten Match beider Teams) und 15 Niederlagen. Da waren Debakel gegen Wolfsburg, Lyon und Barcelona dabei. Soll sein, diese lassen sich kaum verhindern.

Da waren auch die Partien gegen Brann Bergen (1:2 und 1:2) und Hammarby (0:2 und 1:2): In allen vier war man irgendwie in der Nähe, die Niederlagen waren dennoch alle korrekt. Das sind die Spiele gegen schon bessere, aber nicht unschlagbare Teams, die als Maßstab dienen können. Andererseits hat der SKN in den letzten fünf Jahren bis auf Juventus Turin eben alle Qualifikations-Hürden übersprungen: Gegen ZSKA Moskau (2020), Kuopio aus Finnland (2022) und Valúr Reykjavík aus Island (2023) – Erfolge, die schon was wert sind.

Es gelang in der laufenden Saison auch die Pflichtübung gegen Mura Murska Sobota aus Slowenien, nachdem schon zuvor der deutlich kompliziertere albanische Meister Vllaznia, der selbst schon mal UWCL gespielt hat, mit einem 1:0 eliminiert worden war, das knapper aussieht als es war. Beim Duell mit den Finninnen war 2022 kräftig Dusel dabei, in Island gewann der SKN ein Jahr später etwas surreal mit 4:0.

Und wie passt das alles zum HSV?

Die Schlagzeilen machten die HSV-Frauen natürlich mit dem Highlight-Spiel im Halbfinale des DFB-Pokal, als der Volkspark mit 57.000 Zusehern voll war und man den Bundesliga-Mittelständler in die Verlängerung zwang.

Der Alltag ist die 2. Liga, in der zu einem Entscheidungsspiel am letzten Spieltag am 18. Mai gegen Meppen um den Bundesliga-Aufstieg kommen könnte. Wenn es der HSV – der vier Spiele vor Schluss aktuell drei Punkte Vorsprung und die bessere Tordifferenz hat – schafft, wird das primäre Ziel zunächst vermutlich der Klassenerhalt sein. Die HSV-Frauenfußball-Chefin Saskia Breuer sprach in Liése Brancãos Vorstellungs-PA von „ihrer klaren Spielidee“, was genau das für den HSV in der Bundesliga heißt, bleibt aber ein Mysterium.

Will man sich vor allem verteidigen, wie der letztjährige Aufsteiger Jena? Defensiv-Fußball ist eigentlich nicht, was Li vorschwebt. Dump-and-Chase und dann die Löcher bei den Gegnerinnen suchen, wie beim SKN national? Dafür wird die Qualität im Vergleich zur Konkurrenz nicht ausreichen. Pressingfußball, wie sie es international gegen Teams auf Augenhöhe praktizieren ließ? Viel Glück damit in der Bundesliga. Von der individuellen Qualität ist der Zweitliga-HSV der Saison 2024/25 deutlich schwächer als der SKN aufgestellt.

Zwischenmenschlich wird die ruhige Arbeiterin Liése Brancão sehr wahrscheinlich gut zur nüchtern-norddeutschen Mentalität passen. Aber ob Li und der HSV und die Bundesliga auch sportlich-inhaltlich kompatibel wären…?

INFO: Die meisten Zitate stammen aus dem Interview, das Liése Brancão mit Su Ramos geführt hat.

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Europacup-Bilanz 2024/25: Danke, Rapid! https://ballverliebt.eu/2025/04/22/europacup-bilanz-2024-25-rapid-sturm-salzburg-lask-austria/ https://ballverliebt.eu/2025/04/22/europacup-bilanz-2024-25-rapid-sturm-salzburg-lask-austria/#respond Tue, 22 Apr 2025 15:05:31 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21619 Europacup-Bilanz 2024/25: Danke, Rapid! weiterlesen ]]> Am Ende ist es Platz 16 geworden, in dieser Saison. Gesamt bedeutet das wie schon 2024 Rang 13 in der Fünfjahreswertung der UEFA. Österreichs Bilanz in diesem Europacup-Jahr ist zwiespältig. Denn einerseits hat Rapid ordentlich in den Punktetopf gegriffen, ist ins Viertelfinale der Conference League vorgestoßen und erstmals waren zwei heimische Teams in der Champions League. Andererseits wäre bei Rapid sogar noch mehr möglich gewesen, der LASK hat kein einziges seiner acht Matches gewonnen und die Austria war schon draußen, da hatte noch nicht mal der August angefangen.

Aber der Reihe nach.

SK Rapid (4,55 Punkte für die 5JW)

Erst einmal: Bravo, Rapid! Auch, wenn das Ausscheiden am Ende ärgerlich war und sogar mehr als das Viertelfinale der Conference League möglich gewesen ist: Am Weg dorthin haben die Hütteldorfer zumeist gefallen. Im Herbst auch spielerisch, im Frühjahr zumindest kämpferisch.

Der Erfolg gegen den polnischen Zweitligisten Wisla Krakau war nur der Appetithappen, die beiden Siege gegen Trabzonspor (1:0 in der Türkei, dann 2:0 daheim) deuteten an, was Rapid zu leisten imstande ist. In Braga flog Lukas Grgic schon nach drei Minuten vom Platz, aber Rapid krallte sich fest, holte ein 1:2 und im Rückspiel war man schon 2:0 voran, ehe sich die höhere Klasse der Portugiesen doch durchsetzte.

Aber in der Conference League trumpfte Rapid auf. Dem starken 2:1 bei İstanbul Başakşehir – schon der zweite Auswärtssieg in der Türkei – folgten Pflicht-Dreier gegen Noah Jerevan und Petrocub Hîncesti. Als es im Oktober etwas harzig wurde, verlor man gegen Shamrock Rovers Punkte und bei Omonia Nicosia sogar das Spiel, doch eine 3:0-Gala gegen den FC Kopenhagen besiegelte den Top-8-Platz, damit das Freilos für die ersten K.o.-Runde und machbare Gegner danach. Sogar das Halbfinale schien im Bereich den Möglichen.

Als das Achtelfinale daherkam, kroch Rapid durch den Burgstaller-Ausfall und nach dem verhackten Frühjahrs-Start aber ordentlich auf dem Zahnfleisch daher. Einen sicheren (und verdienten) Sieg in Banja Luka verschenkte man durch einen Elfer in der Nachspielzeit, im Rückspiel hätte Rapid schon 3:0 führen müssen, als man plötzlich das 0:1 schluckte. Doch Rapid kämpfte, biss, zeigte viel Willen und erzwang die Verlängerung und dort doch den 2:1-Sieg.

Die Liga-Form hatte sich vor dem Viertelfinale gegen Djurgården nicht wirklich erholt, dennoch konnten die Hütteldorfer nach Schaubs Super-Solo einen 1:0-Sieg aus Stockholm entführen. Ehe sich das Braga-Match wiederholte: Diesmal holte sich Sangaré eine bescheuerte frühe rote Karte ab, wieder krallte sich Rapid ins Spiel, hatte Chancen auf die Führung. Doch in der Verlängerung hatten die Schweden den längeren Atem.

Was bleibt? Eine starke Gruppenphase, Rapids erstes internationales Viertelfinale seit 29 Jahren und das Andeuten des Potenzials. Angesichts des schwachen Frühjahrs aber auch die große Gefahr, nach der Saison ohne ein Europacup-Ticket für die kommende Spielzeit dazustehen. Euroapcup-Note: Zwischen Sehr Gut und Gut.

SK Sturm (2,0 Punkte für die 5JW)

Der Lohn dafür, nach zehn Jahren das Meister-Abo von Red Bull gekündigt zu haben, war ein Direktplatz in der Champions-League-Ligaphase. Man stöhnte ein wenig über Gegner, die man aus den letzten Europa-League-Jahren schon kannte und eher mittelmäßig attraktive Kontrahenten in den „Heim“-Spielen in Klagenfurt.

Man merkte schon, dass die eher aus der zweiten europäischen Reihe stammenden Vereine klar stärker (Sporting), auf diesem Level abgezockter (Brest) oder effizienter (Brügge) waren, aber die Grazer gaben ein kompetentes Bild ab und hielten auch in Dortmund bis zur 85. Minute ein torloses Remis, ehe es gegen Girona den ersten Königsklassen-Sieg seit dem 20. Februar 2001 gab – im ersten Europacup-Spiel nach dem Abgang von Christian Ilzer brachte ein Abstauber-Tor von Mika Biereth den 1:0-Erfolg.

Auch in Lille war ein Remis im Bereich des Möglichen, ehe es wie in Dortmund das späte Gegentor zur knappen Niederlage gab. Im Winter wurde Mika Biereth um viel Geld verkauft, aus dem Training heraus gab es beim 0:5 in Bergamo das einzige Match, in dem Sturm wirklich auseinander genommen wurde. Man rehabilitierte sich mit dem 1:0 gegen Leipzig zum Abschied.

Am Ende stehen zwei Siege zu Buche, das ist gemessen an Möglichkeiten, Gegnern und Anlass durchaus in Ordnung – zumal man bei immerhin vier der sechs Niederlagen zumindest in Griffweite eines Remis war. Europacup-Note: Gut

RB Salzburg (2,2 Punkte für die 5JW)

Die Bullen mussten sich durch die Qualifikation kämpfen, im der recht patent besetzten Verfolger-Zweig – in der nur zwei Ligaphasen-Tickets zu vergeben waren – setzte sich Salzburg gegen Twente Enschede durch (dominantes 2:1 daheim und zittriges 3:3 auswärts) sowie Dynamo Kyiv (glückliches 2:0 auswärts und kontrolliertes 1:1 daheim) durch.

Aus einem vernünftigen Saisonstart – CL-Quali überstanden und drei der ersten vier Liga-Spiele gewonnen – entwich im September aber massiv die Luft. Einem peinlichen 0:3 bei Sparta Prag (die Tschechen sollten sechs der restlichen sieben Matches verlieren) folgte eine nicht weniger katastrophale 0:4-Verprügelung im Heimspiel gegen Brest. Auch Dinamo Zagreb merkte, dass Salzburg nicht viel anbot und gewann 2:0.

Mit einer Mauer- und Kontertaktik überraschte man schließlich den späteren Achtelfinalisten Feyenoord, der 3:1-Erfolg in Rotterdam blieb aber auch der letzte Punktgewinn, denn die restlichen Gegner wären auch für ein Salzburg in Bestform kaum zu biegen gewesen. Beim 0:5 in Leverkusen ließ sich Salzburg recht bereitwillig vernichten und beim 0:3 gegen Paris St.-Germain ging es nur darum, das Ausmaß der sportlichen Katastrophe in Grenzen zu halten.

Kurz vor Weihnachten war Pep Lijnders seinen Trainer-Job los und die Matches bei Real Madrid (1:5) und gegen Atlético Madrid (1:4) im Jänner hatten schon sehr den Geruch vom Absolvieren einer lästigen Pflicht. Man ließ von den 35 anderen Teilnehmern nur die beiden punktelosen Meister aus der Schweiz (Young Boys) und der Slowakei (Slovan Bratislava) hinter sich, im Ganzen war das doch ziemlich katastrophal. Europacup-Note: Nicht genügend, auch wenn die Qualifikation geschafft wurde.

LASK (0,7 Punkte für die 5JW)

Nach der wegen menschlicher Verwerfungen zwischen Trainer und Spielerin erfolgten Trennung zwischen dem LASK und Valérien Ismaël im Sommer 2020 haben die Linzer nicht mehr zur Ruhe gefunden. Nach starkem Start unter Dominik Thalhammer brach das System auseinander, Kühbauer brachte Stabilität – aber auch einen Kader mit Spielern für einen reaktiven Spielstil. Mit Thomas Sageder blieb der Drang nach dem Pressingspiel Stückwerk, Thomas Darazs rettete die Saison 2023/24 auf den letzten Metern. Schon nach wenigen Wochen im August war die neue Saison aber schon wieder kurz davor, ein Abschreibposten zu werden.

Das Europa-League-Playoff wurde nach dem Heim-1:1 gegen den FCSB aus Bukarest in der Nachspielzeit des Rückspiels verloren und der Conference-League-Herbst war ein Spiegelbild der Liga-Saison. Unter dem mittlerweile verpflichteten Markus Schopp sollte ein Ballbesitzspiel etabliert werden, wie er es in Hartberg eindrucksvoll vorgemacht hatte. Doch im Kader passte einfach nichts zusammen.

Innenverteidiger, die keine Spieleröffnung draufhaben. Ein ZM ohne Phantasie – oder, wenn Sascha Horvath dort spielt, mit einem damit notwendigen Muskel-Abräumer neben ihm. AV, die rennen können, aber sonst nicht viel. Ein Valon Berisha, der ohne das Tempo jüngerer Jahre seiner größten Stärke beraubt ist. Und ein Robert Zulj, der Struktur bringt und Ideen hat, aber halt auch wirklich sehr langsam ist.

Exemplarisch war das 0:0 gegen Cercle Brugge: Vor allem nach dem Ausschluss von Denkey Ballbesitz ohne Ende, aber auch null Ideen, kein Tempowechsel, kaum Torgefahr. Es gab drei Heim-Remis (auch ein 2:2 gegen den späteren Semifinalisten Djurgården und ein 1:1 gegen Vikingur Reykjavík) – jeweils vor schütterer Kulisse, weil die Fans gegen die exorbitanten Ticket-Preise protestierten. Und es gab Auswärts-Niederlagen in Ljubljana (0:2), in Banja Luka (1:2 nach frühem Ausschluss) und, die negative Krönung, das 0:7 in Florenz.

In der Folge verpasste der LASK auch die Meisterrunde und cruist zwar durch die Bottom-6, hat aber auch schon vor Saisonende wieder die Trennung von Markus Schopp vollzogen. Dass die Renovierung dieser ohne jeglichen Sinn und Verstand zusammen gewürfelten Truppe ein Projekt für mindestens zwei Jahre sein würde, ist wohl noch nicht zu Siegmund Gruber durchgedrungen. Europacup-Note: Genügend, hart an der Grenze zum Fünfer

Austria (0,2 Punkte für die 5JW)

Vergleicht man die Austria vom April 2024 mit jener vom April 2025, liegen Welten dazwischen. Der populäre Michael Wimmer war damals, auf Platz acht liegend, nach einem 0:4 daheim gegen den WAC entlassen worden. Christian Wegleitner führte die Violetten zwar am WAC und an Hartberg vorbei in den Europacup, richtig viel Phantasie versprühte die Verpflichtung von Stephan Helm – zuvor beim SKN unter dem generellen St. Pöltner Chaos zerrieben – aber nicht.

Und es fing auch nicht gut an – im ersten Pflichtspiel, auswärts bei Ilves Tampere, setzte es gleich mal ein gar nicht unverdientes 1:2. Es folgte ein lockerer Cup-Sieg bei Regionalligist Saalfelden und im Rückspiel gegen den Klub aus Tampere (zu diesem Zeitpunkt der finnischen Saisonhalbzeit Liga-Vierter) ging die Austria 2:0 in Führüng, war bis in die Nachspielzeit 3:1 vorne, was gereicht hätte. Ilves schoss ein Tor, es ging in die Verlängerung, die Austria erzielte das 4:2, wieder kam Ilves heran. Im Elferschießen vergab Dominik Fitz als Einziger.

Dass Helm danach von „Doppelbelastung“ sprach – gemeint war eigentlich, dass wegen drei Spielen in sieben Tagen kaum in inhaltliches Training möglich war – brachte ihm Hohn und Spott ein, aber mit dem Königstransfer von Aleksandar Dragovic kam rasch Stabilität in die nur nur gegen Ilves vogelwilde Defensive. Ohne den 100-fachen Teamspieler fing sich die Austria in dieser Saison 1,7 Gegentore pro Match – mit ihm nur 0,9 pro Match. Den Zugriff auf den Meisterzug hat die Austria in der Finalphase der Bundesliga zwar verloren, aber am Verteilerkreis steht man wesentlich besser da als noch vor einem Jahr. Dennoch, ganz klar ist die Europacup-Note: Nicht genügend.

Der Ausblick auf die kommende Saison

Österreich belegt im UEFA-Ranking also Platz 13, ziemlich deutlich hinter Platz 12 (Griechenland) – mit dem Effekt, dass der Liga-Dritte (bzw. Liga-Vierte, sofern der Cup-Sieger aus den Top-2 kommt) auch im Sommer 2026 nicht in der Europa-League-Qualifikation loslegen darf – wie in der laufenden Saison Rapid – sondern in der Quali für die Conference League startet.

Der wirklich bedeutende Cut liegt aber zwischen den Plätzen 15 und 16, hier würden dann statt fünf nur noch vier Europacup-Plätze bestehen. Weil die recht solide Saison 2020/21 rausfällt (als der WAC in der Europa League die K.o.-Runde erreichte und der LASK zehn Punkte in der Gruppenphase holte), wird dieser Vorsprung ziemlich eingedampft.

Konkret heißt das: Auf Rang 16 hat Österreich mit Start der neuen Saison nur noch 1,25 Zähler Vorsprung (zur Schweiz), dahinter lauert Schottland (2,7 Punkte dahinter). Im Sommer 2026 fällt dann die besonders starke Saison 2021/22 (mit dem CL-Achtelfinale für Salzburg) aus der Wertung – dann wird ziemlich sicher eine Aufholjagd nötig sein, um Platz 15 zu retten.

So gesehen kann sich der Rest der Liga also bei Rapid bedanken: Wohl nur dank der starken Hütteldorfer Auftritte in der Conference League hat Österreich überhaupt eine realistische Chance, mittelfristig den fünften Europacup-Platz zu halten.

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Zweimal 1:3 gegen Oranje: Vielschichtig wie eine Zwiebel https://ballverliebt.eu/2025/04/10/osterreich-niederlande-schriebl-womens-nations-league/ https://ballverliebt.eu/2025/04/10/osterreich-niederlande-schriebl-womens-nations-league/#respond Thu, 10 Apr 2025 21:56:20 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21370 Zweimal 1:3 gegen Oranje: Vielschichtig wie eine Zwiebel weiterlesen ]]> „Oger haben Schichten.“ Als Shrek in dem nach ihm benannten Film den Esel mit diesem Satz überraschte, in dem er sich mit Zwiebeln verglich, konnte Esel nicht viel damit anfangen. Stinken sie? Bringen sie einen zum Weinen? Nein, der grüne Koloss mit den Röhren-Ohren wollte sagen: Nicht alles ist mit dem Offensichtlichen erklärt, unter dieser Oberfläche gibt es weitere Ebenen, die ebenso Teil des Ganzen sind.

Das Offensichtliche bei den beiden 1:3-Niederlagen von Österreichs Frauen-Nationalteam gegen die Niederlange in der Nations League sind die Ergebnisse. Eins zu drei verloren, beide Male, keine Heldentat, aber auch keine Blamage. Es ist, was man als inner-europäische Nummer elf gegen den Europameister von 2017 und WM-Finalisten von 2019 als normal erachten darf.

Immer noch recht neuer Trainer, es gab gute Phasen und einige Gegentore, die – sei es vom Referee, durch weniger Pech oder durch weniger Ziehen an gegnerischen Hosen – zu verhindern gewesen wären. Aber war man wirklich so nah dran an Punktgewinnen, wie es die Reaktionen nach Abpfiff klingen ließen? Zweifel sind angebracht.

Es gibt noch richtig viele Baustellen.

Das 1:3 in Almelo

Wo ist das Team der Niederlande verwundbar, Alex Schriebl? „Am Ehesten im defensiven Umschalten“, sagte der Trainer der ÖFB-Frauen vor den beiden Spielen gegen Oranje. So legte man es auch an: Es gab nur situatives Anpressen der holländischen Eröffnung, dafür stellten sich Purtscheller und Pinther – die beiden nominellen Stürmerinnen im angesagten 4-3-1-2 – sehr breit auf und orientierten sich auf Dijkstra und Buurman, während Höbinger durchschob und oft sogar als höchste aus dem Trio die ersten Pässe von Dominique Janssen zu verhindern trachtete.

Damit wurde Holland zu ungenaueren Pässen von hinten heraus gezwungen oder zu solchen auf die Wing-Backs, von denen es aber – bedingt durch das etwas seltsame System – eigentlich nur eine gab. Die Passempfängerinnen konnten dann isoliert und angepresst werden und damit die angesprochenen Umschaltsituationen provoziert.

Dabei gab es aber (neben dem frühen 1:0 für die Niederländerinnen, bei dem Hanshaw zu weit eingerückt und die Außenspur in den Strafraum für Groenens Weitschuss offen geblieben war) zwei Probleme. Zum einen, dass es zwar die Ballgewinne gab, aber nicht in ausreichendem Maß nachgerückt wurde: Die ballführende Österreicherin sah sich oft mehreren Gegnerinnen gegenüber, ohne eine sinnvolle Passroute als Ausweg. So wurden auch nicht allzu viele echte Torchancen erspielt.

Und zum anderen war es eben das asymmetrische System, das Andries Jonker spielen ließ. Nominell kann man es als 3-2-4-1 bezeichnen, aber die Besetzungen waren sehr fluid. So gab es keine echte rechte Flügelspielerin, weil Beerensteyn sehr hoch schob; manchmal rückte Dijkstra in den Raum nach, manchmal rückten Groenen oder Kaptein nach außen. Was immer sich Österreich an Anlauftriggern überlegt hatte, wurde dadurch verkompliziert – zumal Wieke Kaptein überall zu finden war, viele Freiheiten hatte und von den Österreicherinnen so gut wie nie greifbar war.

So gab es vorne einen Distanzschuss von Zadrazil ans Aluminium, einmal konnte Purtscheller in den Rücken der Abwehr geschickt werden, es gab nach der Pause einen Abschluss von Höbinger. Aber ansonsten waren die Niederländerinnen ungefährdet und legten kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit das 2:0 nach. Unterstützt von Referee Grundbacher – die weder Kapteins Foul an Purtscheller gesehen hatte, noch, dass Kaptein den Ball mit der Hand im Spiel hielt. Den Konter konnte Wenger noch vor Beerensteyn klären, der fällige Eckball landete hinter Zinsberger im Tor.

Es folgte das 3:0 (Kirchberger hatte sekundenlang im Strafraum an Beerensteyns Hose gezerrt), das Spiel war gelaufen. Tief in der Nachspielzeit konnte dann doch einmal mit Tempo durch ein ungeordnetes holländisches Defensiv-Umschalten hineingekontert werden, die eingewechselte Plattner traf in ihrem ersten Länderspiel nach zweieinhalbjähriger (Verletzungs)-Pause zum 1:3-Endstand. Torhüterin Daphne van Domselaar fiel dabei so unglücklich auf ihren eigenen Fuß, dass sie für das Rückspiel passen musste.

Das 1:3 in Altach

Die ÖFB-Frauen ließen sich in Almelo zu selten so richtig von der Leine – nach Ballgewinnen wurde die Absicherung nicht aufgegeben, damit wurde keine ausreichende Strafraumbesetzung hergestellt und die holländische Abwehr hatte keine Mühe, sich zu stellen. „Wir müssen den einen oder anderen Laufweg anders wählen, um geradliniger in die Box zu kommen“, so Schriebl. „Wir werden uns im Angriffspressing adaptieren“, bestätigte Kapitänin Puntigam.

Das sah so aus, dass Höbinger deutlich klarer auf der Zehn hinter Pinther und Hickelsberger agierte, dafür die Achter – vor allem Annabel Schasching rechts – wesentlich weiter nach vorne in den Halbraum zwischen Casparij und dem offensiven linken Wing-Back Brugts schob, Wienroither stellte Brugts ebenso früher. Klar: Wenn gegen den Ball alle etwas höher agieren, ist auch der Weg kürzer, mehrere Spielerinnen nach Ballgewinn in Richtung Strafraum zu bekommen.

Und wenn man die niederländische Hintermannschaft unter Druck setzt, kann sie auch Fehler machen. Wie in der 9. Minute, Casparij berechnete einen Pass von Janssen falsch, spitzelte ihn zu Brugts, die auch schon Druck bekam und die Kugel unkontrolliert in die Mitte zurück gab. Dorthin war Zadrazil aufgerückt, sie schickte Pinther zur Grundlinie, Stanglpass, und Hickelsberger spitzelte den Ball ins Tor. Ein Paradebeispiel von einem Treffer eines Schriebl-Teams, ein Paradebeispiel von einem Treffer für die Stärken der ÖFB-Frauen an guten Tagen.

Kaptein glich per abgefälschtem Weitschuss nur eine Minute später aus, dennoch war dies die beste Phase von Österreich in diesen beiden Spielen. Die Niederländerinnen waren extrem darauf bedacht, den Ball auf spielerischem Weg von hinten rauszuspielen und waren damit für die sehr hoch anlaufenden Österreicherinnen offene Ziele. Fast alle in weißen Trikots waren am offensiven Anlaufen bzw. direkten absichern.

Niederlande hält das Spiel vom eigenen Tor weg

Auch die konventionellere Formation der Gäste (es war ein recht klares 3-4-1-2 mit Chastity Grant als echter Flügelspielerin rechts) kam Österreich entgegen. Nach etwa einer halben Stunde ließ die österreichische Intensität ein wenig nach und Spitse war nun doch bereit, auch mal längere Bälle zu spielen. Damit fand sie zunehmend Platz hinter der Pressingwelle, Oranje konnte das Spiel etwas beruhigen.

Für die zweite Halbzeit kam hinten Janssen statt der unsicheren Casparij, die Niederlande blieb dabei, den Ball lieber direkt nach vorne zu spielen, dort die höhere technische Qualität auszuspielen. Wenn es Ballverluste gab, war der Weg für Österreich weit, es gab bei den ÖFB-Frauen auch kein ganz hohes Anlaufen mehr und nach einer Stunde schluckte man das nächste ärgerliche Tor – Weitschuss an die Stange, hinter der machtlosen Zinsberger vorbei zu Van de Donk, Dankeschön, 2:1.

Die Holländerinnen waren nun zunehmend okay damit, den österreichischen Druck im Mittelfeld zuzulassen, weil sie wussten, dass Österreich nach Ballgewinnen mit zu wenigen Leuten aufrückt, oder sie überließen Österreich den Ball nun gänzlich zum eigenen Aufbau – mit dem man sich schwer tut. Dann fand ein Pass die im Raum zwischen Kirchberger, Wienroither und Puntigam entwischte Miedema, die kraftvoll zum 3:1 abschloss.

Wirklich ganz knapp dran?

„Ärgerlich, es wäre mehr drin gewesen“, seufzte Sarah Puntigam nach dem Match in Almelo. „Wir hätten mehr mitnehmen müssen“, meinte Laura Wienroither nach jenem in Altach. „Das Ergebnis ist für mein Empfinden zu deutlich“, sagte Sarah Zadrazil in Almelo. „Es ist schade, dass wir immer gut mitspielen, aber uns nicht belohnen“, schob sie nach Altach nach.

Und: „Wir haben nie aufgehört zu kämpfen und daran zu glauben, dass wir das Spiel noch irgendwie drehen können und gewinnen werden.“ Man muss den Spielerinnen, wie in diesem Fall Julia Hickelsberger, zugestehen, dass es sich auf dem Platz oft ein wenig anders anfühlt als es von außen aussieht. Aber doch wurde man das Gefühl nicht los, dass hier etwas zu sehr auf Schönes Wetter gemacht wurde.

Denn zweimal 1:3 gegen Holland, das ist die Normalität, und man musste nie die Angst haben, dass es ein richtig wildes Debakel wird – anders als bei den Schottinnen, die in Wolfsburg innerhalb von 16 Minuten sechs Gegentore geschluckt haben. Das waren bei Österreich so klassische „Jo, eh“-Spiele. Nichts dramatisch Schlechtes, aber genug Kleinigkeiten, die sich an fehlender Klasse summieren, dass du halt kaum eine echte Chance hast, was mitzunehmen.

Wir müssen reden

„Es sind Kleinigkeiten, die uns fehlen“, ortete Sarah Zadrazil, ja, aber es sind aktuell ziemlich viele Kleinigkeiten.

Reden wir zum Beispiel über Manuela Zinsberger. In beiden Spielen war zu sehen, dass Mitspielerinnen Bauchweh haben, ihr den Ball in die Füße zu spielen – das ist nicht die Stärke der Torhüterin, und das ist in den letzten Jahren eher auffälliger als besser geworden. Ob bei Annabel Schasching in Almelo oder bei der in Altach eingewechselten Marina Georgieva: In Drucksituationen ließen sie sich lieber in Zweikampfe verwickeln oder spielten den Ball unkontrolliert nach vorne, als die offensichtliche – und offene – Passroute zu Zinsberger zu wählen. Das nimmt Österreich in heiklen Situationen die Optionen.

Wie überhaupt sehr vielen Pässen die Überzeugung fehlte, als man von den Niederlanden zur eigenen Eröffnung eingeladen wurde. Das war schon im letzten Jahr unter Irene Fuhrmann nicht die Comfort Zone des Teams, nun schien man sich damit noch unwohler zu fühlen, im Wissen, dass einem ein Fehlpass sofort um die Ohren fliegen würde.

Apropos um die Ohren fliegen. Von der ersten halben Stunde in Altach abgesehen, traute sich Österreich zu wenig, nach Ballgewinnen die Absicherung ein wenig aufzulassen und die Strafraumbesetzung herzustellen. Ein ganz ähnliches Phänomen war zuletzt bei den Männern in den Spielen gegen Serbien zu erkennen gewesen, aus dem selben Grund fehlte es auch hier an der konstanten Torgefahr.

Wir müssen auch über die Eckbälle reden, defensiv (das 0:2 in Almelo) und noch mehr offensiv. In beiden Spielen zusammen erspielte sich Österreich 15 Eckbälle, eine stolze Zahl. Aber fast alle waren Inswinger zentral vor das Tor, da konnten sich noch so oft vier Österreicherinnen in einer Reihe aufstellen und dann ausschwärmen, das hatten die Holländerinnen früh durchschaut. Und die zwei, drei kurz abgespielten Ecken waren so mit Ansage, dass rasch eine Gegnerin da war, um die Aktion zu stellen. Wobei, ja, es stimmt: Viel Zeit hatte Schriebl noch nicht, und es ging wohl bisher eher um andere Inhalte.

Laura Wienroither war sehr aktiv im Anlaufen, das kann sie gut, darin geht sie auf. Sie wirkte jedoch zuweilen unsicher im defensiven Stellungsspiel und wackelig mit dem Ball am Fuß – ihr fehlt deutlich die Spielpraxis, sie hat in dieser Saison nur zwei Vereinsspiele von Anfang an bestritten. Gini Kirchberger, nun ja, sie hat in den letzten 15 Jahren wirklich mega viel aus ihren Möglichkeiten herausgeholt. Aber zunehmend läuft ihr die Athletik der Gegnerinnen davon.

Es braucht Geduld, es braucht Ehrlichkeit

Nichts davon hat eine schnelle, einfache Lösung, mit der Österreich sofort wieder die Top-8 in Europa attackieren kann. Es braucht Geduld, bis die nachrückenden Jungen – Schriebl hat in Almelo in Sophie Hillebrand Debütantin Nummer fünf im dritten Spiel gebracht – weit genug sind.

Es braucht die nötigen Trainingseinheiten und auch ein wenig die nötige Kreativität im Gestalten der Standards, den Holländerinnen hat man das Antizipieren da etwas gar leicht gemacht. Man darf auf eine Rückkehr von Eileen Campbell hoffen, die nach ihrer Hüft-OP noch nicht so weit ist, oder auf Genesung bei Katharina Naschenweng (Kreuzband) und Barbara Dunst (auch Kreuzband). Andererseits ist Maria Plattner mit der Rückennummer 15 aufgelaufen. Auf diese hatte in den letzten Jahren eigentlich Nici Billa ein Exklusivrecht. Der Verdacht, dass Billa sowohl mit der Formkurve als auch mit ihrer Spielweise kaum noch eine Rolle spielen dürfte, wurde dadurch nicht gerade entkräftet.

Es braucht aber vor allem eines: Ehrlichkeit. Dem Publikum gegenüber, aber vor allem sich selbst gegenüber. War man wirklich, wie man den Eindruck vermittelt bekam, nur ein paar Zentimeter von einem Punktgewinn entfernt? Nein, sorry, war man nicht. Die Niederlande stellten in beiden Spielen die über 90 Minuten bessere, reifere, abgebrühtere, kontrolliertere Mannschaft, die beide Spiele, über 90 Minuten betrachtet, vollauf verdient gewonnen hat.

Und hatte Desirée Grundbacher vor dem Konter, der in der Folge zum 0:2 geführt hat, einen unerklärlichen, doppelten Knick in der Optik? Zweifellos, das war ein erschütternder Fehler. Aber es war nicht Grundbachers Schuld, dass beim Eckball sowohl Hanshaw als auch Puntigam die Torschützin Damaris Egurrola zentral vor dem Tor sehr alleine ließen.

Es gab auch gute Seiten (Wenger! Schasching! Plattner!)

Österreich war beleibe nicht katastrophal, es war im Lichte der aktuellen Situation sogar ganz in Ordnung. Und diese Szene vor dem Eckball, dieser Konter, hat eines ganz deutlich zementiert: Claudia Wenger ist absolut die Entdeckung der ersten vier Spiele unter Alex Schriebl.

Lineth Beerensteyn gehört zu den schnellsten Spielerinnen Europas und wenn die mal ohne Verteidigerin vor ihr auf das Tor zuläuft, ist im Normalfall zusammengeräumt, weil niemand nachkommt. Claudia Wenger schon. Sie hat Beerensteyn abgelaufen. Und sie hat auch sonst wieder ihre Reife, ihre Tempo, ihre Übersicht gezeigt – und sogar ihren Wert im Pressing. Sie hat überhaupt kein Problem damit, bis in die gegnerische Hälfte vor zu schieben. Wenger von Abo-Meister SKN St. Pölten ist an einem Punkt angekommen, an dem sie der heimischen Liga entwachsen ist.

Ebenfalls ihren Wert gezeigt hat Annabel Schasching, die unter Schriebl auf der rechten Acht in der Raute bisher gesetzt war und das angesichts ihrer Athletik und ihres umsichtigen Einsatzes im Pressing wahrscheinlich bleibt. Man darf auch annehmen, dass sie vom bevorstehenden Wechsel von Freiburg zu Leipzig profitieren dürfte: In Freiburg wird sie oft im etwas unklaren Alles-ein-bisserl-und-nix-so-wirklich-Spielstil aufgerieben, in dieser Saison kommt Freiburg mit vielen Unsauberkeiten durch, im Sommer steht eine Neubesetzung des Trainerpostens an.

Und natürlich, die Feel-Good-Story der letzten Wochen, das Comeback von Maria Plattner. Sie hatte sich vor der EM 2022 ins Mittelfeld gespielt, ähnlich wie Schasching mit Robustheit und Furchtlosigkeit, verpasste die EM aber mit einem Schlüsselbeinbruch. Im Herbst 22 folgte eine Sprunggelenksverletzung inklusive Knochenödem und keine gute Reha. Sie spielte letztes Jahr bei Wacker Innsbruck, als Stürmerin, stieg ab („Aber es ging wirklich in erster Linie darum, den Spaß am Fußball zu finden. Der war immer ein großer und wichtiger Teil, das sollte nicht verloren gehen.“).

Es gab im Sommer 2024 Kontakt zu Bergheim, „aber ich fühlte mich noch nicht bereit. Es war die richtige Entscheidung, noch ein halbes Jahr in Innsbruck zu spielen“, sagte sie. Im Winter ging’s zu Bayern München II in die 2. Liga in Deutschland, das Vertrauen in den Körper ist zurück. Plattner hat in dieser Zeit ein Psychologiestudium begonnen und Trainerlizenzen gemacht, ist sehr reif geworden.

Und in Almelo war sie erstmals wieder dabei, und dann gelang ihr auch noch gleich das Tor.

Das Casting wird weitergehen

Man muss sich nichts vormachen: Von der realistischen Leistungsfähigkeit ist Österreich aktuell dort, wo man so im Bereich 2014 oder 2015 war: Gut genug, um die gehobene Mittelklasse (damals war es Finnland, diesmal Schottland) hinter sich zu lassen – aber mit einem über eine gesamte Spieldauer spürbaren Abstand zu den Gruppenkopf-Teams, wie es Deutschland und die Niederlande sind.

Es geht in diesem Nations-League-Frühjahr darum, dass sich Teamchef Alex Schriebl ein genaues Bild von den Stärken, vor allem aber von den Defiziten macht. Und es wird auch ein personelles Casting bleiben: Der im letzten Jahr unter Irene Fuhrmann gestoppte Generationswechsel wird weitergehen und Schriebl wird auch im Juni in Glasgow und in Wien gegen Deutschland austesten, auf wen er darüber hinaus bauen kann und wer eher keine zentrale Rolle spielt.

In diesem Lichte muss man auch die beiden 1:3-Niederlagen jetzt gegen Holland sehen. Eben nicht nur die oberste Schicht der Zwiebel, das nackte Resultat. Sondern die Schichten darunter, wie Shrek sie beschrieben hat. Der Esel schlug im Film im Übrigen vor, dass ein Kuchen doch viel besser sei als eine Zwiebel. Oder ein Parfait!

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20 Jahre Red Bull Salzburg – Teil 4: Wie der Bullen-Kick Österreich prägte https://ballverliebt.eu/2025/04/07/20-jahre-red-bull-salzburg-teil-4-ideelle-bilanz/ https://ballverliebt.eu/2025/04/07/20-jahre-red-bull-salzburg-teil-4-ideelle-bilanz/#respond Mon, 07 Apr 2025 21:47:51 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21479 20 Jahre Red Bull Salzburg – Teil 4: Wie der Bullen-Kick Österreich prägte weiterlesen ]]> Wo wäre Österreich ohne Red Bull? Zwei Jahrzehnte nach der Übernahme des Mozartstädter Bundesligisten durch den Energydrink-Konzern lässt sich der massive Einfluss von Red Bull auf den kompletten heimischen Kick nicht wegdiskutieren. Mehr noch: Der rot-weiß-rote Fußball hat die beinahe komplette Redbullisierung durchgemacht – was die Spielidee betrifft. Was das Transfer-Geschäftsmodell betrifft. Und längst auch, was das Nationalteam betrifft.

Im vierten und letzten Teil unserer Serie: Welchen Einfluss hatte Red Bull nun auf den österreichischen Fußball?

Nun, wir können etwa darauf hinweisen, dass seit der Saison 2006/07 – der ersten, in der Salzburg unter dem Mateschitz-Dach international aufgeschlagen hat – 40 Prozent der heimischen Punkte im UEFA-Ranking auf das Salzburger Konto gehen. Das sind mehr, als Rapid (21 Prozent) und Austria (12 Prozent) zusammen beigetragen haben. Und das, obwohl Salzburg erst im vierten Jahr erstmals den September überlebt hat.

Salzburg 40 Prozent, Rapid 20 Prozent, Austria 12 Prozent, Sturm 9 Prozent, LASK 10 Prozent, andere 8 Prozent

Das alljährliche Scheitern in der Champions-League-Qualifikation war *der* Running Gag bei der Konkurrenz und bei vereins-ideologischen Gegnern. Doch dass man sich für 2019 den Fixplatz gesichert hat, war vor allem ein Salzburger Verdienst – 48 Prozent der maßgeblichen Punkte zwischen 2013/14 und 2017/18 kamen von Red Bull.

Mateschitz als Stronach 2.0

Die Zeit von Frank Stronach als Quasi-Besitzer der Wiener Austria war, zwei Meistertiteln zum Trotz, eher eine Lachnummer – er gab viel Geld für hohe Transfersummen und horrende Gehälter aus, aber eine echte Dominanz ging sich nicht aus. Alleine an Transferzahlungen wurde zwischen 2000 und 2005 viermal so viel investiert, wie eingenommen wurde. Weil der Betriebsführungsvertrag von Stronachs Firma Magna mit der Austria nur von Magna, keinesfalls aber vom Verein gekündigt werden konnte, musste der erratische Stronach aus diesem rausgemobbt werden. Im November 2005 hatten sie ihn so weit.

Zwischen April 2005 – als Dietrich Mateschitz mit seinem Konzern den Salzburger Verein übernahm – bis zur Verpflichtung von Ralf Rangnick sieben Jahre später war es in Salzburg ähnlich. Dreimal so hohe Transfer-Ausgaben wie Transfer-Einnahmen, vier Meistertitel, ein bis zwei davon begünstigt von einer katastrophalen Konkurrenz.

Wie hat Red Bull in diesen ersten Jahren den österreichischen Fußball geprägt? Man kann argumentieren: Genauso wenig wie Stronach vor ihm – man schmeißt tonnenweise Geld auf den Markt und schaut, was sich daraus machen lässt, wenn davon abgesehen einfach so weitergearbeitet wird wie bisher.

Nur Gludovatz scherte aus

Was die Einstellung zu ihrem Tun betrifft, war diese Zeit bis 2012 für die Gegner gemütlich. Man musste sich nicht selbst hinterfragen, weil Salzburg eh nichts anderes machte als man selbst, nur eben mit mehr Geld. Die anderen waren ja selbst mit Löcherstopfen beschäftigt: Rapid hatte das Hofmann-Loch, die Austria päppelte sich mit Offensiv-Fußball langsam aus dem vom Stronach-Abgang verursachten Finanz-Loch heraus, Sturm mit Safety-First-Fußball aus dem vom Kartnig-Konkurs verursachten Finanz-Loch.

Das war alles eingebettet, ganz ganz tief, in die Fußballkultur. Als Paul Gludovatz im Sommer 2010 den Rieder Volksheld Herwig Drechsel erst auf die Bank und dann nach Grödig abschob, war das Kopfschütteln groß. „Beim ÖFB mag er mit den Jungen was gerissen haben, aber in der Bundesliga funktioniert das nicht“, schüttelte Wolfgang Irrer – damals wie heute das TV-Gesicht des oberösterreichischen Unterhaus-Fußballs – mir gegenüber am Rande eines Regionalliga-Spiels in Pasching (es müsste das 2:2 gegen St. Florian gewesen sein) den Kopf: „Wenn der Stefan Reiter das durchwinkt, steigen die ab!“

Reiter winkte es durch, ein halbes Jahr später war Ried Bundesliga-Herbstmeister.

Warum? Weil Gludovatz aus dem eingefahrenen Denken ausbrach und neue Wege ging. Was die Zusammenstellung des Kaders betraf, aber auch das System. Selbst Rapid-Trainer Peter Pacult gestand im TV-Interview offen ein, Gludovatz‘ 3-3-3-1 nicht zu verstehen. Es ging dabei aber nur am Rande um eine Fünferkette mit Sechser davor, einem die gegnerische Eröffnung anlaufenden Zehner sowie zwei Flügel- und einen Mittelstürmer. Es ging ums Prinzip.

Vorsprung durch Hirnschmalz

Nämlich jenem Prinzip, das Jürgen Klopp Mitte der Neunziger in Mainz von seinem Lehrmeister Wolfgang Frank mitbekommen hat: Dass es eben kein Naturgesetz ist, dass die Teams mit den besseren Spielern sich im Regelfall automatisch durchsetzen. Sondern dass mit einer klugen, passenden Taktik individuelle Defizite absolut auszugleichen sind – vor allem, wenn die besser besetzten Teams weniger intelligent spielen.

Wolfgang Frank war Mitte der Neunziger als Trainer bei der Wiener Austria gescheitert, weil es dieses Denken in Österreich nicht gab und weil auch keiner bereit war, sich darauf einzulassen. „Der Star ist die Mannschaft“ galt nur, wenn man aus irgendwelchen Gründen keinen herausragenden Spieler hatte. Nicht, weil man es wirklich so haben wollte.

Die Kellner vom Plattensee

Sobald aber auch in Salzburg eine stringente Strategie da war, die unabhängig vom Namen des Trainers zumindest als relativ enge Leitplanken eingezogen wurden, zwischen denen man zu arbeiten hatte, war der überlegene monetäre Einsatz von Salzburg wie eine Keule für die nationale Konkurrenz. Wenn möglichen Neuzugänge danach gescoutet wurden, was sie können könnten und einbringen, welches Potenzial sie zur Entwicklung haben – und man sich nicht, um den letztes Jahr verstorbenen Christoph Daum zu zitieren, vom Ungarn-Urlaub den Kellner vom Plattensee für seinen Kader mitnahm.

Daum wurde 2002/03 als Nestbeschmutzer angefeindet, als er als unbequemer Auswärtiger den Posten von Walter Schachner bei der Austria übernahm, nachdem Schachner trotz überlegenem Vorsprung von Stronach entlassen worden war. Denn „wenn man einen Daum haben kann, muss man ihn holen“, wie der Mäzen damals erklärte. Aber er wurde angefeindet, weil man insgeheim wusste, dass er recht hatte, als er den Finger in die Wunde eines finanziell wie sportlich kaputt gewirtschafteten österreichischen Fußballs legte.

Noch im Winter 2004/05 holte Rudi Quehenberger sieben neue Legionäre, um seine schlingernde Salzburger Austria vor dem drohenden Abstieg zu retten, Durchschnitts-Alter 28 Jahre.

675 Millionen an Transfer-Einnahmen

Der planlose Schlendrian war in Salzburg so weit eingerissen, dass es ein Jahr dauerte, bis Rangnick und Schmidt den Laden auf Vordermann gebracht hatten. 2014 aber stand der Meistertitel bereits rechnerisch de facto an einem Tag fest, an dem Marcel Hirscher noch ein Weltcup-Rennen gefahren ist. Die Konkurrenz war derart überrumpelt, dass sie auf Jahre hinaus chancenlos war. Vom LASK 2019/20 abgesehen gab es bis zu Sturms Meistersaison 2023/24 kein anderes Team mehr, das nach Anfang März vor Salzburg Tabellenführer gewesen wäre.

Was heißt das? Es heißt, dass Geld eben doch Tore schießt, sofern man weiß, wie man es ausgibt und mit man seine Ressourcen optimal einsetzt. Und natürlich, die Ressourcen waren da. Um rund 300 Millionen Euro hat sich Salzburg in den letzten 20 Jahren Spieler gekauft. Das ist eine ungeheure Anschub-Finanzierung, die anderen Vereinen nicht zur Verfügung stand – zumal in den Jahren vor Rangnick im Schnitt drei Millionen pro Jahr eingenommen wurden, und rechnet man den Janko-Abgang weg, wären es sogar nur zwei.

Seither kommt jeder Euro, den Salzburg in neue Spieler investiert, 2,3-fach an späteren Einnahmen zurück. Seit 2012 hat Salzburg rund 675 Millionen Euro an Transferzahlungen eingenommen. In Europa streifen nur Ajax Amsterdam und Benfica mehr ein.

Die Ausbildungsliga

Noch 2022 geiferte Hans Krankl bei „Talk und Tore“ auf Sky: „Es hat vor Jahren begonnen, dass man gesagt hat, Rapid wäre ein Ausbildungsverein. Rapid darf niemals ein Ausbildungsverein sein! Rapid ist so ein großer Klub, der so einen Namen hat in Österreich und Europa, dass er niemals ein Ausbildungsverein sein darf.“

Salzburg hat aber nicht nur eine Anschubfinanzierung aus weltweiten Dosenverkäufen erhalten, sondern hat ganz deutlich auch als Impulsgeber für andere Vereine in Österreich gegeben. Denn Rapid war zwar auf dem Platz nicht so erfolgreich, wie man gerne gewesen wäre – fünfmal Vizemeister, immerhin – aber auch in Hütteldorf hat man seit 2005 einen 2,4-fachen Transferüberschuss erzielt. Die Verkäufe u.a. von Ümit Korkmaz, Jimmy Hoffer, Nikica Jelavić, Robert Berič, Maximilian Wöber, Louis Schaub, Mert Müldür und Yusuf Demir waren in Summe durchaus lukrativ.

Bei der Austria war man allzu großzügig mit Gehältern und Vertragslaufzeiten, aber rein was Transfersummen angeht, war auch Violett deutlich im Plus unterwegs. Und Sturm Graz hat in den letzten Jahren ohnehin alle übertroffen: Aus 29 Millionen Ausgaben hat Andreas Schicker in seinen fünf Jahren als Geschäftsführer Sport knapp 70 Millionen an Einnahmen generiert. Mika Biereth, Emanuel Emegha und Rasmus Højlund waren keine billigen Zugänge, wurden aber sportliche wie finanzielle Goldminen.

Genug Personal für alle

Schicker hat sich, wie alle seiner Kollegen, natürlich auch aus dem schier endlosen Talente-Reservoir der Red-Bull-Nachwuchsprogramme bedient. Mit Alexander Prass, David Affengruber und Jusuf Gazibegović waren drei Stützen der Meistermannschaft ehemalige Salzburg-Junioren.

Aktuell sind bei sämtlichen elf Kontrahenten von Salzburg ehemalige Spieler des Red-Bull-Nachwuchssystems unter Vertrag: Sturm (Karic), Austria (Wiesinger), Rapid (Sangaré, Böckle), WAC (Niangbo, Atanga), Blau-Weiß Linz (Briedl, Gölles, Schmidt), LASK (der an den Hartberg verliehene Havel), Hartberg (Omoregie), Altach (Kameri, L. Gugganig, Ingolitsch, Aigner), Wattens (Stejskal, D. Gugganig, Anselm), Klagenfurt (Bobzien aus dem Leipziger Bullenstall, dazu Hinteregger), GAK (Jano, Schiestl) – nur beim LASK stehen jetzt gerade, im Frühjahr 2025, keine von Red Bull ausgebildeten Kicker im Kader.

Mit Robert Klauß (Rapid) und Fabio Ingolitsch (Altach) gibt es auch zwei ehemalige Red-Bull-Trainer an den Seitenlinien.

Taktischer Schub von Ruttensteiner …

Pep Guardiola und Jürgen Klopp machten es ab 2008 vor, die Welt machte es ihnen nach – das Pressing-Spiel hatte schon längst die Fußballwelt erobert, als man in Österreich 2011/12 noch nichts davon gehört hatte. Lehrstunden wie jene von Salzburg selbst gegen Metalist Kharkiv (1:4 und 0:4) – ja, auch in der Ukriane wurde längst heftig gepresst – legten den taktisch-intellektuellen Rückstand der österrechischen Liga schonungslos offen.

Willi Ruttensteiner hatte das Defizit erkannt und Marcel Koller im Herbst 2011 als neuen Teamchef durchgedrückt. Niemand, der vor dreizehneinhalb Jahren alt genug dafür war, kann jemals die wehklagende ORF-Talkrunde vergessen, in der Frenkie Schinkels, Werner Gregoritsch, Herbert Prohaska und Toni Polster der Nation zu erklären versuchten, dass diese Wahl eine Katastrophe für den österreichischen Fußball ist.

Der oft schwierige, aber auch stets scharfsinnige Martin Blumenau kommentierte das damals so:

„Diese Gruppe lebt von der gegenseitigen Weiterempfehlung, und sie hält das für legitim. Diese Gruppe verwechselt den Fußball mit einem Pensions-Fonds, einem automatisierten Füllhorn, das sie für vergangene Taten entlohnt. Wegen dieses Automatismus hat sich diese Kaste weit von den Coaching-Realitäten Europas entfernt – es war in Österreich schlicht nicht notwendig sich weiter-/fortzubilden. Dass ein Teilnehmer des bisher allumspannenden Systems beschlossen hat auszuscheren (aus Panik den Anschluss an Europa komplett zu verlieren) führt zu Panik innerhalb des Systems.“

Ein knappes Jahr später presste Österreich in einem Test die Türkei derart brutal an, dass Kavlak und Ivanschitz schon innerhalb der ersten fünfeinhalb Minuten auf 2:0 für das ÖFB-Team gestellt hatten.

… und noch mehr aus Salzburg

Auf dieser Saat war der Input von Rangnick der Dünger. Schon in Salzburg war das Anlaufen aggressiv, aber bei Adi Hütter war es in Grödig wie Red Bull mit Steroiden. Als Oliver Glasner – selbst mit Salzburg-Vergangenheit – den LASK wieder in die Bundesliga brachte, wurde auch auf Pressing gesetzt. Gerald Baumgartner hat es bei der Austria versucht, hatte aber nicht den Kader dafür, ähnlich wie nach ihm Thomas Letsch und Christian Ilzer. Bei Sturm bekam Ilzer dann, was er brauchte und lieferte den Grazern damit den Meisterteller.

Der österreichische Klubfußball besteht in der internationalen Wahrnehmung seit vielen Jahren praktisch ausschließlich aus RB Salzburg. Sturm gibt es, Rapid taucht als Name immer mal wieder igendwo auf. Sie werden so wahrgenommen wie der FC Lugano (der in der Conference League im Achtelfinale war), wie Slovan Bratislava (aha, die waren auch in der Champions League?), wie Alkmaar (in Holland sind ja auch eigentlich nur Ajax, Feyenoord und Eindhoven von Belang).

Die Redbullisierung des Nationalteams

Ralf Rangnick ließ Red Bull in Österreich full circle gehen, als er 2022 zum ÖFB-Teamchef wurde – fast genau zehn Jahre, nachdem er Red Bull als international ernstzunehmendes Projekt aufgesetzt hat. Praktisch alle Nationalspieler sind oder waren bei Red-Bull-Teams in Ausbildung oder unter Vertrag. Und jene, die es nicht waren, kennen das Pressing-Spiel aus der deutschen Liga, die in Folge der Klopp-Revolution und den entsprechend formulierten Leitlinien in der DFB-Trainerausbildung bis heute eine Anlauf- und Umschaltliga ist.

Er konnte das ÖFB-Team wie eine Vereinsmannschaft behandeln: Während die Teamchefs anderer Länder aus den zur Verfügung stehenden Spielern einen oft schiefen strategischen Kompromiss eingehen müssen, sind bei Österreich von Haus aus alle in die selbe Richtung unterwegs. Kein anderes Nationalteam in Europa, vermutlich weltweit, kann so effektiv pressen wie es Österreich vor allem im EM-Sommer 2024 gezeigt hat. Es fehlte die letzte, individuelle Qualität, um etwas wirklich großes in Form eines Halbfinales zu schaffen.

Das Tier auf der Brust zählt

Wie mühsam ein Nationalteam aussieht, das bei vergleichbarem Talent-Level eben nicht nach der dazu passenden Idee auf das Feld geschickt wird, müssen wir uns nicht vorstellen. Wir haben es in der Amtszeit von Franco Foda gesehen. Oder eben zunehmend nicht mehr, selbst als sich Österreich im Herbst 2019 nach einem Gewürge von einem Jahr für die EM qualifiziert hatte, waren im Happel-Stadion tausende Sitze leer geblieben.

Das Nationalteam unter Rangnick zeigt, dass die Menschen diese Form von Fußball durchaus begeistert, selbst wenn die Resultate wie in den letzten Monaten nicht passen. Zweimal wurde der Nations-League-Aufstieg verschenkt, und doch war das nächste Heimspiel gegen Rumänien innerhalb weniger Tage ausverkauft. Weil es die Fans gerne sehen, wenn ein österreichisches Nationalteam einen aktiven, aggressiven Fußball spielt. Red-Bull-Fußball ohne Red-Bull-Trikot.

Wenn aber nicht der Adler auf der Brust ist, sondern der Bulle, hilft der aktive, aggressive Fußball nicht viel. Dietrich Mateschitz war damals vorgeschwebt, aus dem Fußball ein Event zu machen. Es wurde viel – und zu Recht! – über die Lichtershows bei erzielten Toren gelacht, ebenso wie über andere pseudo-attraktive Beiträge zum Partyprogramm. Sobald der Reiz des Neuen weg war, fehlte die Nestwärme und die Nahbarkeit, die zur Entwicklung einer größeren Fan-Basis nötig ist.

Der kalten Konzern-Atmosphäre im Klub folgend, blieb zumeist auch die Stimmung in der für den Liga-Betrieb viel zu großen EM-Arena kalt, die auf Matzeschitz‘ Geheiß eben nicht nach der EM auf die ursprüngliche Kapazität von 18.000 zurück gebaut wurde. Der Red-Bull-Fußball wird durchgängig als erfolgreich betrachtet, Red Bull Salzburg aber als unpersönlich. Auch auf dem Feld ist RBS für so gut wie keinen eine Herzensangelegenheit, sondern ein Sprungbrett für die persönliche Karriere.

Die eigene Identität und die der anderen

Natürlich haben in Salzburg nicht alle den Wechsel von Violett auf Rot-Weiß mitgemacht. Im Herbst 2005 erfolgte die Gründung des SV Austria Salzburg als Anlaufstelle für all jene, die die traditionellen Farben und diese Nestwärme über den Erfolg stellten. Zehn Jahre später war der Klub erstmals wieder in der 2. Liga angekommen, verschluckte sich aber daran, ging beinahe zugrunde. Weitere zehn Jahre später ist SVAS drauf und dran, zum zweiten Mal den Sprung von der Dritt- in die Zweitklassigkeit zu schaffen, diesmal am eigenen Sportplatz in Salzburg-Maxglan.

Die Nähe zu Red Bull ist nur geographisch, das Max-Aicher-Stadion befindet sich vielleicht 500 Meter vom Hangar-7 entfernt. Ein gewaltiger Teil der eigenen Identität speist sich aus der Abgrenzung des Fan-Vereins gegenüber dem Konzern-Klub – so weit, dass selbst die U-11-Junioren von Red Bull ausgepfiffen wurden, bzw. das Handshake der eigenen Burschen mit teils Schulkollegen im Trikot des Feindes, wie damals beim Hallenturnier um den „Salzburger Stier“ in der Sporthalle Alpenstraße.

Die beiden Kampfmannschaften haben nur ein einziges Mal die Klingen gekreuzt, das war im ÖFB-Cup im Herbst 2023. Die Bullen gewannen locker mit 4:0, wie eben ein Meister gegen Regionalliga-Spieler normalerweise gewinnt.

Wenn das Team mit dem Red-Bull-Logo auf dem Trikot daher kommt, bedeutet das für Scouts eine Ansammlung vielversprechender Fußballer. Für die Gegner oft nichts Gutes. Und für Fans anderer Vereine oft mit religiösem Eifer vorgetragene Ablehnung. Auch damit haben sie leben gelernt.

Es ist, neben vielen anderen Dingen, eben auch ein Teil ihrer eigenen Identität.

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20 Jahre Red Bull Salzburg – Teil 3: Erling und seine Erben https://ballverliebt.eu/2025/04/06/20-jahre-red-bull-salzburg-teil-3-erling-und-seine-erben/ https://ballverliebt.eu/2025/04/06/20-jahre-red-bull-salzburg-teil-3-erling-und-seine-erben/#respond Sun, 06 Apr 2025 11:33:18 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21528 20 Jahre Red Bull Salzburg – Teil 3: Erling und seine Erben weiterlesen ]]> Es war der 17. September 2019, als um 21:01 Uhr ein junger Norweger die internationale Bühne betrat. Nein, besser: Als er begann, über sie hereinzubrechen. 1:41 Minuten waren gegen Genk gespielt, als Erling Braut Håland im ersten Salzburger Champions-League-Spiel seit der Red-Bull-Übernahme das erste mal netzte. Um 21:32 Uhr das zweite Mal. Um 21:43 Uhr das dritte Mal. Schon zur Halbzeit führte Salzburg 5:1 (fünf zu eins!).

14 Jahre hatte man warten müssen, nichts passierte. Aber einmal da, wurde es eine Lawine.

2019/20: Meister unter Jesse Marsch

Dabei war gar nicht sicher, dass Salzburg das enorme Niveau, das in den vorangegangenen beiden Jahren im Europacup unter Marco Rose gezeigt worden war, halten könnte. Dabbur (Sevilla), Samassékou (Hoffenheim), Lainer (M’gladbach), Schlager (Wolfsburg) und auch Wolf (Leipzig) – weg. Der Sommer hat 70 Millionen Euro auf das Salzburger Festgeldkonto gespült, aber mit den Abgängen war auch viel Qualität weg.

Aber Salzburg unter Christoph Freund wäre nicht Salzburg unter Christoph Freund gewesen, wenn das zum Problem geworden wäre.

Jesse Marsch war ein paar Jahre Coach der MLS-Filiale in New York und ein Jahr Assistent in Leipzig, er wurde Rose-Nachfolger. Unter ihm wurde es wieder etwas mehr Hütter-Stil als Rose-Stil: Ballgewinn und nach vorne, nach vorne und nachpressen, gar nicht erst groß spielerische Lösungen suchen. Aus der Raute wurde wieder ein 4-4-2, und vorne war ein norwegischer Blondschopf, der wie ein überlegener Außerirdischer die Gegner ganz einfach kaputt machte.

Beim 2:0 zum Auftakt gegen Rapid begnügte sich Erling Håland mit einem Assists. Aber dann: In den kommenden sechs Spielen erzielte Salzburg 32 Tore, elf davon scorte Håland, zweimal per Dreierpack, dazu noch vier Torvorlagen. Drei Tage nach dem 7:2 gegen Hartberg hielt der belgische Meister Genk nur unwesentlich besser, Salzburg gewann 6:2, drei Tore vom Norweger. Und der Kantersieg gegen Genk war keine internationale Eintagsfliege: In Liverpool holte man ein 0:3 auf, kassierte aber noch das 3:4. Jürgen Klopp war so begeistert, dass er Takumi Minamino mehr oder weniger vom Fleck weg engagierte. 2:3 bei Napoli, wieder zwei Håland-Tore. Ein 4:1-Erfolg in Genk folgte. Natürlich traf auch der Norweger.

Salzburg wurde Gruppendritter, Håland der Außerirdische war weg. Seine gesamte Salzburg-Karriere dauerte 27 Spiele (22 davon im Herbst 2019), brachte 29 Tore (28 davon im Herbst) und 20 Millionen Euro von Borussia Dortmund im Winter. In der Bundesliga überwinterte Salzburg mit 13 Siegen und 5 Remis bei 66:18 Toren. Uneinholbar in Front? Nein! Denn der LASK lauerte dank eines überragenden Herbstes nur zwei Punkte dahinter.

Ohne Håland und Minamino lief Salzburg im Februar in Troubles. Aus in der Europa League gegen Frankfurt, nur zwei Punkte aus den restlichen vier Spielen im Grunddurchgang, der LASK war unter Glasner-Nachfolger Ismaël damit schon sechs Punkte enteilt (bzw. drei nach der Punkteteilung). Und dann kam Corona.

Der LASK war in seinem ganzen Schwung ausgebremst, ließ sich beim Mannschaftstraining trotz coronabedingtem Verbot erwischen, kassierte damit obendrein noch einen Punkteabzug. Von den zehn im Juni durchgepeitschten Geisterspielen gewann Salzburg acht und teilte zweimal die Punkte, wurde letztlich überlegen Meister und schoss Lustenau im Cupfinale 5:0 aus dem leeren Wörtherseestadion.

2020/21 – Meister unter Jesse Marsch

Diesmal hatte Salzburg die großen personellen Abgänge schon im Winter und nicht im Sommer, damit konnte mit einer eingespielten Truppe die neue Saison – praktisch komplett ohne Zuseher ausgetragen – begonnen werden. Verteidiger Oumar Solet war der einzige echte Neue, dafür wurden im Laufe der Saison Seiwald und Sučić von Liefering hochgezogen und Noah Okafor, im Winter vor Corona von Basel gekommen, spielte sich ins Team.

Der Salzburger Star des Herbstes 2020 war aber Dominik Szoboszlai. Ein Jahr, nachdem sich Erling Håland in der Champions League ins internationale Rampenlicht gespielt hatte, war nun der Ungar dran. In der Quali gegen Maccabi Tel-Aviv gewann Salzburg tatsächlich beide Spiele (beide mit Toren des 19-Jährigen), dann traf Szoboszlai beim 2:2 gegen Lok Moskau, ebenso beim 2:3 bei Atletico Madrid. In der Bundesliga glänzte er mit Assists am laufenden Band, im Winter wurde Szoboszlai nach Leipzig beordert. Wieder 36 Millionen von einem Red-Bull-Konto auf das andere.

Mit Fortdauer des Herbstes wurde aus dem erfolgreichen Vertikal-Gebolze aber zunehmend Übermut. Gegen die Bayern hielt Salzburg bis zur 79. Minute ein 2:2, stürmte kopflos weiter und schlich 2:6 geprügelt vom Feld – das erste Mal, dass Marsch für seine Route wirklich mit der Kritik-Keule geprügelt wurde. In der Folge gab es ein 1:1 bei Rapid, ein 1:3 daheim gegen Salzburg und, sehr peinlich, ein 0:1 bei Schlusslicht Admira. Wieder war es der LASK, der diesmal unter Dominik Thalhammer kurzzeitig die Tabellenführung übernahm, kurz vor Weihnachten gewann auch der WAC in Salzburg.

Im Winter kam Brenden Aaronson aus Philadelphia, auf Empfehlung des dort tätigen ehemaligen Salzburg-Jugendleiters Ernst Tanner, als Szoboszlai-Ersatz. Nach der kurzen Winterpause schied man recht sang- und klanglos in der Europa League gegen Villarreal aus, national hatte aber in der extrem verdichteten Saison – die erst im September begonnen hatte – niemand mehr den Atem, Salzburg zu fordern.

Neun der zehn verbleibenden Spiele bis zur Teilung gewann Salzburg, ebenso wie acht der zehn Matches in der Meisterrunde und natürlich gewann man auch den Cup, im Finale 3:0 gegen den LASK. Das überzeugte die Chefs in Leipzig: Marsch wechselte als Nagelsmann-Nachfolger in die deutsche Red-Bull-Dependance.

2021/22: Meister unter Matthias Jaissle

Auch Torschützenkönig Patson Daka verließ Salzburg, ebenso wie Sturmpartner Mergim Berisha; Enock Mwepu (der später wegen einer Herzerkrankung aufhören musste) wurde auch verkauft, Ramalho wollte es doch noch einmal im Ausland probieren. Und auf der Trainerbank? Die Lieferketten waren auch in der Corona-Zeit stabil: Es wurde einfach wieder der Liefering-Trainer befördert.

Mit Matthias Jaissle schloss sich ein Kreis. Denn der 33-jährige Deutsche war damals, als Rangnick mit Hoffenheim die Bundesliga aufmischte, nicht nur dessen Innenverteidiger gewesen, sondern auch Kapitän.

Da Zlatko Junuzovic weite Teile der Saison in Folge einer Fersenprellung verpasste, blieb der ewige Andi Ulmer der einzige Stammspieler, der älter war als 24 Jahre. Mit diesem Kindergarten von einem Kader ging man nach der souveränen Quali gegen Brøndby in die Champions-League-Gruppe mit Sevilla, Lille und Wolfsburg. Dort brach man allerhand Rekorde, was das jüngste Team in der Geschichte der Königsklasse angeht und schaffte nebenbei – als erstes österreichisches Team seit Sturm Graz in der Saison 2000/01 – den Aufstieg unter die Top-16 der Champions League. Dort holte Salzburg gegen die Bayern daheim im Hinspiel ein 1:1, im Rückspiel (1:7) ging’s dann aber so richtig schief.

Und nach Erling Håland und Dominik Szoboszlai waren es in diesem Herbst 2022 Karim Adeyemi und Noah Okafor, der die Blicke auf sich zogen. Adeyemi wurde zum ersten DFB-Teamspieler aus der österreichischen Liga. Der Deutsche ging im Sommer 2023 zu Dortmund, Okafor blieb noch ein Jahr länger. Durch die Liga schnitt Salzburg im Übrigen in gewohnter Manier durch: Nach 14 Runden betrug der Vorsprung auf den Zweiten schon ebenso viele Punkte.

Inhaltlich war der Unterschied von Marsch zu Jaissle vergleichbar mit dem vom Hütter’schen Vertikal-Gebolze zum etwas kultivierteren Spiel mit mehr Ballbesitz-Elementen unter Rose. Beide Stürmer, Adeyemi und Okafor, fühlen sich auf den Flügeln durchaus wohl, sie wichen oft aus, Aaronson stieß zentral vor. Gleichzeitig fungierte Mohamed Camara auf der Sechs und Nicolas Seiwald neben ihm als unauffällige, aber gleichzeitig unverzichtbare Anker, der die Defensiv-Arbeit verrichten.

Man durfte schon rechnen, ob es sich ausgehen könnte, dass Salzburg schon vor der Punkteteilung Meister ist. Das ging sich nicht ganz aus, aber den Grunddurchgang gewannen die Bullen mit 18 Punkten Vorsprung, in der Meisterrunde gewann Salzburg wieder acht der zehn Spiele, der Sieg im Cup-Finale gegen Ried wurde fast nebenbei mitgenommen. Außerdem wurde zum zweiten Mal hatte 2022 mit der U-20 das Youth-League-Finale erreicht, mit Roko Šimić, Samson Baidoo und Dijon Kameri. Dieses wurde gegen Benfica verloren.

2022/23: Meister unter Matthias Jaissle

Es folgte der nächste Umbruch auf dem Feld, mehr als die halbe Stammformation war im Sommer 2022 einmal mehr weg, aber wie immer wurde auch das von Sportdirektor Christoph Freund unaufgeregt und wie selbstverständlich wegmoderiert. Mit den Verkäufen von Aaronson und Kristensen (nach Leeds zum bei Leipzig krachend gescheiterten Jesse Marsch, Wöber folgte im Winter) sowie Camara (nach Monaco) und eben Adeyemi kamen wieder 100 Millionen Euro auf die Haben-Seite. Längst war Salzburg unabhängig von den finanziellen Zuschüssen von Red Bull, konnte sich problemlos selbst erhalten.

Nach Jahren der weitgehenden nationalen Konkurrenzlosigkeit ist Salzburg ab 2022 endgültig ein neuer Gegner erwachsen: Sturm schlug Salzburg zu Saisonbeginn mit den eigenen Pressing-Mitteln 2:1, die neuformierte Truppe war auch noch nicht ganz eingespielt. Sobald das Werkl lief, lief es aber so richtig: Ein hochverdientes 1:1 gegen Milan und ein glückliches 1:1 bei Chelsea (jeweils mit Okafor-Toren) sowie vier Punkte gegen Dinamo Zagreb brachten schon früh Platz drei in der Champions-League-Gruppe auf Kurs. In der Europa League gewann man das Heimspiel gegen Mourinhos AS Roma, in Italien wurde 0:2 verloren.

Und in der Liga? Da blieb die Niederlage bei Sturm die einzige Niederlage der ganzen Saison. Wegen Punkteteilung und den erstaunlich stabilen Grazern – die Salzburg im Viertelfinale aus dem Cup warfen – waren die Bullen aber bis zum drittletzten Spieltag voll gefordert, erst ein 2:1-Sieg gegen Sturm beendete die Grazer Hoffnungen auf die Meisterschaft.

Auf dem Feld konnten die ständigen personellen Wechsel von einer Saison zu nächsten problemlos aufgefangen werden, auf Management-Ebene aber nicht. Das sollte sich nach dem Sommer 2023 deutlich zeigen.

2023/24: Zweiter mit Gerhard Struber sowie Onur Cinel

Im Juli 2023 wurde offiziell, was zuvor schon gemunkelt worden war: Christoph Freund, Architekt des Erfolgs, wechselt per 1. September als Sportdirektor zu Bayern München. Der langjährige Akademieleiter Bernhard Seonbuchner folgte ihm nach. Hatte sich der Freund-Abgang einige Zeit angedeutet, kam jener von Matthias Jaissle eher über Nacht: Weil er heftig mit einem Umzug in die zahlungskräftige Saudi-Liga spekulierte, wurde er einen Tag vor dem ersten Bundesliga-Spiel der Saison beurlaubt.

Hastig wurde Gerhard Struber als Nachfolger installiert. Ohne Vorbereitung mit dem Team (das im Sommer Šeško, Seiwald, Okafor und Adamu verloren hatte) und mit jeder Menge verletzungsbedingten Ausfällen kam aber vor allem die Offensive um den hochbegabten Oscar Gloukh nie so richtig in Schwung. Unüblich für Red Bull war es vor allem die sehr stabile Defensive und der vom LASK verpflichteten Teamgoalie Alexander Schlager, der die nötigen Ergebnisse sicherte. Nie hatte Salzburg nach 22 Spielen weniger Gegentore (12), aber auch nur einmal seit den Tagen von Huub Stevens weniger eigene erzielt (45).

Besonders plakativ war das in der Champions League zu sehen. Mit 44 Prozent Ballbesitz bei 80 Minuten Überzahl stahl Salzburg bei Benfica ein 2:0, nach zwei knappen Niederlagen gegen Inter gab es bei Real Sociedad ein 0:0 mit einer Zerstörer-Mauertaktik, die im Red-Bull-Universum geradezu als Affront gewertet werden musste, ähnlich legte man es im entscheidenden Heimspiel gegen Benfica, trainiert ausgerechnet von Roger Schmidt, an. Tief in der Nachspielzeit kassierte man das Tor zum erstmaligen Komplett-Aus in der Gruppenphase, aber es war dramatisch hochverdient.

Ohne Freund als Schutzschild war Struber der zunehmenden Kritik beinahe schutzlos ausgeliefert, Seonbuchner fehlte die öffentliche Präsenz und das Standing. Dazu kam, dass Sturm Graz einfach nicht locker ließ. Am 2. Spieltag der Meisterrunde gewann Salzburg in Graz ein Match, dass am Ende eher an eine Wrestling-Rauferei erinnerte, 1:0 und war scheinbar auf Kurs – vier Tage später kochte Sturm die Bullen aber im Cup-Halbfinale ab, das gab Salzburg den mentalen Rest.

Nach einem 1:1 gegen Rapid und einem 1:3 beim LASK sahen sich Seonbuchner, Reiter und wohl auch die Konzernzentrale zum Handeln gezwungen. Onur Cinel, Rangnicks ÖFB-Assistent und Liefering-Trainer, sprang ein, es änderte sich wenig – 3:4 in Klagenfurt, 0:2 bei Rapid. Eine vorzeitige Entscheidung zugunsten Sturms konnte im direkten Duell gerade noch abgewendet werden, aber dennoch: Erstmals nach zehn Meistertiteln in Folge reichte es nicht mehr.

2024/25: Pep Lijnders als Fehlgriff

Salzburg schnappte sich Pepijn Lijnders, der bei Liverpool als Assistent des scheidenden Jürgen Klopp fungiert hatte. Dieser nahm mit Bobby Clark und Stefan Bajcetic gleich zwei Liverpool-Talente mit, aus der Vizemeister-Mannschaft brachen Šimić, Pavlović, Sučić und Solet sowie Andi Ulmer, der nach 15 Jahren Red Bull keinen neuen Vertrag mehr bekam, weg. Den entgleisenden Zug mit neuformierter Mannschaft wieder auf Kurs bringen? Das Vertrauen war groß, Lijnders bekam einen Dreijahresvertrag.

Nach einem vernünftigen Saisonstart – vier der ersten sechs Liga-Spiele gewonnen, als erster österreichischer Vizemeister via Twente und Dynamo Kyiv über den schweren Verfolger-Weg für die Champions League qualifiziert – entwich aber rasch die Luft aus den Reifen. Daran waren einige Verletzungen Schuld (Yeo nach starkem Saisonstart, Kjærgaard stand praktisch nie zur Verfügung, Verteidiger Blank selten, Gourna-Douath schleppte sich von einem Wehwehchen zum nächsten). Aber auch Lijnders.

Ohne Not machte er den aus Leipzig geliehenen Torhüter Janis Blaswich – auf den nicht einmal eine Kauf-Option bestand – zum neuen Kapitän. Das sorgte ebenso für Unruhe wie Clark und Bajcetic, die zwar wenig Leistung zeigten, aber als Lieblingsschüler von Lijnders galten. Gleichzeitig war mit Ulmer auch der letzte Feldspieler, der Routine hatte, weg. Das Team wirkte kopflos, es war keine Einheit, es gab keine Erfahrung, wie man erfolgreich mit Krisensituationen umgeht.

Vom überraschenden 3:1 in Rotterdam abgesehen, taumelte Salzburg in der Champions League von einer Blamage (0:3 bei Sparta Prag) zur nächsten (0:4 daheim gegen Brest), anders als in den Saisonen davor war kein einziges Europacup-Heimspiel ausverkauft und in der Liga – in der Salzburg zwischen den Plätzen vier und sechs taumelte – brach der Zuschauerzuspruch komplett ein.

Am Ende der Herbstsaison und mit sechs sieglosen Liga-Spielen am Stück war die Trennung von Lijnders unausweichlich geworden, auch Seonbuchner musste gehen. Thomas Letsch, zwischen 2015 und 2017 schon in Salzburg unter Vertrag, übernahm das Trainer-Ruder und Rouven Schröder kam aus Leipzig als Sportdirektor. Es kam ein Routinier (Karim Onisiwo) und ein Stürmer, der sofort einschlug (Yobe Vertessen). Dank spürbarer eigener Stabilisation, einem wackeligen Tabellenführer Sturm Graz und der Punkteteilung hat Salzburg immer noch alle Chancen auf den nächsten Titel. Allerdings: Taktisch ist es auch im Frühjahr 2025 ein großes, undefinierbares Etwas – vorläufig geht es nur darum, irgendwie die Resultate zu holen. Wie das aussieht, ist einstweilen zweitrangig.

Ein bisschen wie vor der Rangnick-Verpflichtung

Erst in den anderthalb Jahren seit seinem Abgang erkennt man den Wert der Arbeit, die Christoph Freund in Salzburg verrichtet hat. Auf dem Trainersektor waren beide Trainer, die nach dem Bekanntwerden seines Wechsels nach München geholt wurden, Fehlgriffe. Dazu brach der Nachschub an Talenten aus der Lieferinger Akademie in den letzten Jahren völlig ein.

Aus jenem Lieferinger Team, das vor vier Jahren in der 2. Liga Zweiter hinter Blau-Weiß Linz und vor Aufsteiger Austria Klagenfurt wurde, sind so gut wie alle in der Bundesliga oder gar im Nationalteam gelandet, nicht alle bei Salzburg, aber viele. Aber schon 2022 schaffte nur noch kein einziger Lieferinger mehr einigermaßen direkt den Sprung in die Bundesliga-Mannschaft (Baidoo brauchte dafür lange), seither überhaupt keiner mehr. Liefering selbst war 2023 lange in Abstiegsgefahr und in der letzten Saison war auch der Herbst schwach, so wie in dieser auch.

In der ersten Mannschaft gibt es nach Andi Ulmer – der seine Karriere mittlerweile beendet hat – niemanden mehr, mit dem sich Sympathisanten wirklich identifizieren können. Man hat sich in Salzburg daran gewöhnt, dass man die wirklich guten jungen Spieler nur ein, zwei Jahre sieht, ehe sie für viel Geld weiterziehen – aber es gab eben einen Ulmer, einen Junuzovic, einen Ramalho, die lange da waren; Gesichter, die man mit dem Geschehen auf dem Rasen identifiziert.

In gewisser Weise ist Salzburg zum 20. Red-Bull-Jubiläum wieder dort angekommen, wo man vor der Verpflichtung von Ralf Rangnick war: Eine Ansammlung von Spielern, die man nur schwer als funktionierende Mannschaft betrachten kann, und ein Fußballklub, der nicht so richtig zu wissen schein, in welche Richtung es denn gehen soll und daher etwas ziellos vor sich hin mäandert.

So macht man der Konkurrenz – wie Rapid 2008 oder Sturm 2011 – die Türe auf; Sturm hat das letzte Saison schon genützt. Die Ende der alles bestimmenden Dominanz ist sicher erreicht. Aber wenn man in zwei Jahrzehnten Red Bull etwas gelernt hat, dann das: Ob die Bullen Erfolg haben oder nicht, liegt zu einem großen Teil an ihnen selbst. So lange der Nachschub aber stockt und die Klarheit fehlt, damit die PS nicht auf den Boden gebracht werden, haben die anderen einen Chance.

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20 Jahre Red Bull Salzburg – Teil 2: Von Düdelingen zur Champions League https://ballverliebt.eu/2025/04/05/20-jahre-red-bull-teil-2-von-dudelingen-zur-champions-league/ https://ballverliebt.eu/2025/04/05/20-jahre-red-bull-teil-2-von-dudelingen-zur-champions-league/#respond Sat, 05 Apr 2025 10:28:15 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21454 20 Jahre Red Bull Salzburg – Teil 2: Von Düdelingen zur Champions League weiterlesen ]]> Es war der 21. Juli 2012, als um 16 Uhr eine neue Zeitrechnung im österreichischen Fußball begann. Das erste Spiel der neuen Bundesliga-Saison wurde angepfiffen, Sturm Graz unter dem neuen Coach Peter Hyballa gegen Meister Salzburg, ebenfalls mit neuer sportlicher Leitung. Nach der vermutlich schlechtesten Bundesliga-Saison aller Zeiten waren auf einmal zwei Teams da, die auf Pressing setzten – ein Konzept, das in Österreich bis dahin keinerlei Anwendung gefunden hatte.

Vier Wochen zuvor war Ralf Rangnick als neuer Sportdirektor aus dem Red-Bull-Hut gezaubert worden, er brachte Roger Schmidt als Trainer aus Deutschland mit. Rangnick kannten alle von seiner Zeit auf Schalke, vor allem aber als sportlicher Architekt des Emporkömmlings Hoffenheim. Schmidt kannte niemand, der sich nicht tiefer mit dem deutschen Fußball beschäftigt hatte: Der 45-Jährige war zuvor beinahe mit Paderborn in die Bundesliga aufgestiegen, viel mehr hatte er noch nicht in seiner Vita stehen. Einige Wochen später stieß Jochen Sauer von Wolfsburg kommend als General Manager hinzu.

Es herrschte Skepsis.

2012/13: Zweiter unter Roger Schmidt

Bei Sturm war der Aufbruch nach den Foda-Jahren nicht nachhaltig, weil Hyballa ein abgedrehter Psycho war, mit dem es die Grazer nicht mal ein ganzes Jahr aushielten. Das neue Regime in Salzburg schien aber schon wesentlich früher auf die Nase zu fallen. Schon ein paar Tage vorher hatte man das Hinspiel der Champions-League-Quali beim luxemburgischen Meister Düdelingen verloren. Peinlich, aber das sollte man im Rückspiel, vor allem mit einem starken 2:0-Sieg in Graz im Rücken, doch noch biegen.

Nein, man bog es nicht mehr.

Aber kein Fluch ohne Segen: Was bis heute als eine der plakativsten Blamagen der heimischen Europacup-Geschichte steht, war im Nachhinein betrachtet eine gute Gelegenheit, den Kader-Umbau schneller durchzuführen. Von den Düdelingen-Blamierten konnte man mit Mendes da Silva, Cristiano, Zárate und Lindgren einige mit dem Pressingspiel nicht kompatible Spieler rasch abladen, Leonardo hatte mit Handgreiflichkeiten im Training schon zuvor ein Einweg-Ticket in die Vereinslosigkeit gelöst, Jantscher ging nach Russland, auch Maierhofer spielte keine Rolle mehr und war im Winter weg. Die verletzungsbedingten Langzeitausfälle von Švento (Kreuzband) und Sekagya (Meniskus) wurden kompensiert.

Dafür wurden gezielt junge Spieler gescoutet, die Entwicklungspotenzial und Weiterkaufswert hatten. Sadio Mané (20) kam nach der Düdelingen-Pleite aus der 2. Liga in Frankreich, Kevin Kampl (21) aus der 2. Liga in Deutschland, dazu aus Norwegen Valon Berisha (19) und Håvard Nielsen (19) – zu dieser Zeit absolute No-Names und die Reaktion auf die Transfers war auch eher Häme als Neugier.

Und wie meistens, es dauerte ein wenig, bis die neue Spielidee griff, umso mehr, weil sie ja sehr radikal war. Es gab ein 4:4 gegen die Admira, Punktverluste gegen Wr. Neustadt und Ried, zwei Niederlagen gegen Rapid. Während die Austria unter Peter Stöger – der zuvor beim GAK in der Regionalliga ein Intensivpressing-Spiel etabliert hatte – gewann und gewann und gewann, streute Salzburg immer wieder Remis ein, vor allem zu Beginn der Frühjahrssaison.

Ende März hatte die Austria schon 13 Punkte Vorsprung, das war zu viel. Dennoch war die Häme von Saisonbeginn schon da der Erkenntnis gewichen, dass Salzburg seinen Krempel nun in Ordnung gebracht hätte und der Geld-Vorteil auch längerfristig zielgerichtet in einen Wettbewerbsvorteil umgemünzt werden könnte – eben weil eine stringente Strategie dahinter war und man im Sommer 2013 auch den FC Liefering als De-facto-Reserve in die 2. Liga brachte.

2013/14: Meister unter Roger Schmidt

Das Pressing war gekommen, um zu bleiben und wer presste, hatte einen klaren Wettbewerbsvorteil. Das war in der Folgesaison nicht nur dank Salzburg zu sehen, die Bullen hatten ja das meiste Geld und auch den besten Kader. Aber da bis in dem März hinein der SV Grödig erster Salzburg-„Verfolger“ sein sollte, wenn auch mit bis zu 25 Punkten Rückstand, unterstrich diesen Umstand. Beim Aufsteiger aus dem Salzburger Umland war der ehemalige Red-Bull-Juniors-Coach Adi Hütter federführend, mit einer besonders wilden Form des Pressings.

Salzburg startete mit annähernd unverändertem Kader in die neue Saison und nun konnte die Konkurrenz eben gar nichts mehr entgegen setzen. 5:1 gegen die Austria, 8:1 und 5:1 gegen Wr. Neustadt, 5:0 und 4:0 gegen Ried, 6:0 gegen Innsbruck. Am Ende standen 110 Tore zu Buche, eine Zahl, wie man sie aus den 1950ern kannte, Soriano netzte 31 Mal, Alan 26 Mal, Mané scorte 13 Tore. Am 16. März – jenem Tag, an dem der Ski-Weltcup beendet wurde – stand der Salzburger Titel de facto rechnerisch fest. Neun Spiele vor Schluss hatte man 27 Punkte und 68 Tore Vorsprung auf den Zweiten, das war eben noch Grödig.

Und auch international sorgte Salzburg für Glanzlichter. Schon in der CL-Quali gegen Fenerbahçe machte man eine gute Figur, in der Europa-League-Gruppenphase wurden wieder alle sechs Spiele gewonnen und im Februar folgten jene zwei Spiele, in denen man Ajax am Nasenring durch das Stadion zog. Der Gesamtscore von 6:1 für Salzburg schmeichelte dem stolzen Ajax sogar. Gegen Basel ließ sich Salzburg im Achtelfinale zwar abkochen, aber zur Meisterschaft kam dann auch noch der Cupsieg am Ende einer der dominantesten Jahre der heimischen Fußball-Geschichte.

2014/15: Meister unter Adi Hütter

Roger Schmidt war nicht mehr zu halten, er wurde von Bayer Leverkusen abgeworben. Statt ihm kam Adi Hütter die paar Kilometer aus Grödig herüber. Für Mané, der seinen Wechsel zu Southampton mit un-subtilem Druck erzwang, bekam Salzburg 23 Millionen Euro, es war der erste von vielen sehr lukrativen Transfers, im Winter folgten Kampl (für 12 Millionen nach Dortmund) und Alan (für 11 Millionen nach China).

Mit Naby Keïta kam ein weiterer Afrikaner aus der 2. Liga in Frankreich, dazu Marcel Sabitzer von Rapid – offiziell war es ein Leihgeschäft mit Leipzig. Auch dies sollte nicht die letzte enge Transfer-Kooperation mit dem Schwesterklub sein. Die Saison begann jedenfalls, wie die alte geendet hat: Dominant. Ein 6:1 gegen Rapid am 1. Spieltag, 5:0 in Neustadt am zweiten, 8:0 gegen Grödig am dritten, 5:0 gegen Altach am fünften. Doch die gegen Malmö trotz 2:1-Hinspielsieg verhackte Champions-League-Qualifikation war ein Tiefschlag. Es folgten drei Niederlagen in Folge.

Aber Salzburg fing sich, holte die Tabellenführung vom WAC zurück und ging mit acht Zählern Vorsprung sowie 57 erzielten Liga-Toren in die Winterpause, gewann problemlos seine Europa-League-Gruppe mit Celtic, Dinamo Zagreb und Astra Giurgiu (ehe man gegen Villarreal ausschied). Die Dominanz blieb auch ohne Kampl und Alan im Frühjahr bestehen, Salzburg wurde ohne echtes Drama erneut Meister, was nach dem drittletzten Match klar war und die Bullen schappten sich trotz Ausschluss von Gulácsi gegen die Austria auch den Sieg im Cup-Finale.

Meistertrainer Hütter wollte dennoch weg. „Ich sehe mich nicht als Ausbildungstrainer“, sagte er und kritisierte die Strategie, jedes Jahr wichtige Spieler zu verkaufen. Manager Jochen Sauer beharrte aber auf den von Ralf Rangnick etablierten Plan. Rangnick konzentrierte sich ab Sommer 2015 derweil voll und ganz auf den RB-Standort in Leipzig, übernahm dort selbst das Traineramt. Sein Nachfolger als Sportchef in Salzburg wurde der bisherige Sportkoordinator Christoph Freund.

2015/16: Trennung von Zeidler, Meister mit Óscar García

Liefering-Trainer Peter Zeidler wurde zum Hütter-Nachfolger befördert und es gab einen größeren personellen Umbruch, das erdrückende Team der vergangenen Jahre zerfiel zusehends. Gulácsi, Ilsanker und Sabitzer wurden nach Leipzig geholt, um den Bundesliga-Aufstieg zu bewerkstelligen, Ramalho versuchte sich bei Roger Schmidt in Leverkusen.

Dafür kam Austria-Stürmer Damari, Verteidiger Miranda aus Brasilien, Lainer aus Ried, Oberlin aus der Schweiz und Goalie Stankovic aus Grödig, dazu Ex-Rapid-Youngster Pehlivan aus der Türkei zurück, die Stürmer Yabo und Prevljak. Im Nachhinein ist man immer schlauer: Teile eines großen Salzburger Teams wurden die meisten eher nicht. Ein 17-jähriger Dayot Upamecano kam aus Valenciennes, er durfte sich zunächst bei Liefering beweisen.

Sportlich war der Sommer 2015 ein Desaster. Nur ein Punkt aus den ersten drei Liga-Spielen, in der CL-Quali flog man nach einem 2:0 daheim gegen Malmö mit einem 0:3 in Schweden raus, und weil man Dinamo Minsk im Elferschießen unterlag, endete die Europacup-Saison schon, ehe der September überhaupt begonnen hatte. Aus den acht Zählern Rückstand, die man bis dahin auf Rapid aufgerissen hatte, wurde zwar bis zum 17. Spieltag sogar die Tabellenführung, dennoch musste Zeidler wenig später gehen.

Neben der wackeligen sportlichen Performance stolperte Zeidler vor allem über das zerrüttete Verhältnis zu Martin Hinteregger. In der Winterpause kam Óscar García, dafür wurde Hinteregger nach Mönchengladbach verliehen. Stürmer Munas Dabbur wollte man holen, aber nicht um den von GC Zürich vorgegeben Preis (kolportiert wurden 6 Millionen).

García stellte die Amtssprache in Salzburg auf Englisch um – der ehemalige Barcelona-Spieler konnte kein Deutsch – und von einem 0:1-Hoppala in Ried abgesehen, blieb Salzburg im Frühjahr ungeschlagen und machte bereits am drittletzten Spieltag die dritte Meisterschaft in Folge klar. Unter García wurde immer noch hoch gepresst, aber mehr Wert auf eine Absicherung gelegt. Das Spiel war immer noch vertikal, aber es wurde nicht mehr so sklavisch jeder Ball sofort nach vorne gespielt wie unter Hütter.

Es war kontrollierter, weniger spektakulär als unter Schmidt und Hütter. Grandiose Emotionen weckten weder der spröde Katalane noch die Mannschaft, der von Ulmer und Soriano abgesehen ein wenig die Identifikationsfiguren fehlten. Zur Meisterparty, einem 1:1 gegen Sturm Graz, kamen gerade einmal 11.300 Zuseher ins Salzburger Stadion. Noch weniger waren es in Klagenfurt beim 5:0 im Cup-Finale gegen die Admira.

2016/17: Meister unter Óscar García

Da man im Sommer 30 Millionen für Naby Keïta (zu Liverpool) und zehn für Hinteregger (zu Augsburg) einnahm, leistete man sich nun doch die Dienste von Munas Dabbur, so richtig zündete der Israeli aber noch nicht, im Frühjahr wurde er zurück an die Zürcher verliehen. Dafür spielte sich Dayot Upamecano so eindrucksvoll in die Starformation, dass er – zwei Ausschlüssen zum Trotz – schon im Winter nach Leipzig geholt wurde. Rund 18 Millionen Euro wanderten von einem Red-Bull-Konto auf das andere.

Das Champions-League-Quali-Murmeltier grüßte diesmal in Form von Dinamo Zagreb, ein weiteres Jahr Europa League vertrieb die Zuseher eher. Bei den 0:1-Heimniederlagen gegen Nizza und Krasnodar war das Stadion zu bis zu drei Vierteln leer und auch das abschließende 2:0 gegen Schalke (vor immerhin 23.000) konnte das Aus nicht mehr abwenden. In der Liga konnte man zwischen August und Dezember nie mehr als zwei Siege am Stück einfahren, man rangierte hinter den Konter-Truppen von Franco Foda (Sturm Graz) und Damir Canadi (Altach) zumeist auf Platz drei.

Nach der Winterpause, ohne Europacup-Belastung aber auch ohne den für 15 Millionen nach China gewechselten Soriano, wurde das kontrollierte Pressing auch wieder zu einer unaufhaltsamen Ergebnis-Maschine. 13 der 16 Frühjahrs-Spiele gewann Salzburg, der eigene Punkterekord aus der 2014er-Saison wurde von 80 auf 81 verbessert, nach dem viertletzten Spieltag stand der Titel fest und dank eines 2:1 im Cupfinale gegen Rapid gab es das vierte Double in Folge.

Zeitgleich wurde die U-20 unter Marco Rose und dessen Co-Trainer René Maric Sieger der Youth League, als erstes österreichisches Team gewann Salzburg damit einen europäischen Bewerb. In all seiner lähmenden Dominanz schien Salzburg – seit der Winterpause mit Stephan Reiter statt Jochen Sauer als Geschäftsführer – also auf Jahre hinaus unschlagbar.

2017/18: Meister unter Marco Rose

García wechselte zum AS St.-Étienne, das Lieferinger Trianerteam um Marco Rose wurde hochgezogen. Wie überhaupt sich das „System Liefering“ immer mehr zu bewähren begann: Die Nachwuchs-Truppe wurde 2015 und 2017 Zweitliga-Zweiter, die Talente bekamen Spielpraxis und lernten, die Red-Bull-Spielweise im Erwachsenenbereich umzusetzen.

Konrad Laimer und Duje Ćaleta-Car wurden 2015 hochgezogen, Hwang Hee-Chan und Diadié Samassékou 2016, Xaver Schlager und Hannes Wolf waren 2017 dran und dieses Spielchen sollte sich Jahr für Jahr für Jahr wiederholen. Den zwei Millionen, die Salzburg im Sommer 2017 an Transferkosten ausgab, standen 17 Millionen an Einnahmen gegenüber, und das war noch ein vergleichsweise mageres Transfer-Jahr.

Genauso, wie sich die Titel Jahr für Jahr wiederholten. Zu sagen, Salzburg wäre unter Rose auf dem Status einer frisierten U-21 angekommen, wäre ein wenig übertrieben, aber die Bullen stellten wirklich jedes Jahr ein noch jüngeres Team. Mit dessen Intensität und vor allem dessen erbarmungsloser Stabilität kam auf der nationalen Ebene niemand mit – zumindest nicht über einen ganze Saison. Denn im Herbst 2017 brillierte das von Günter Kreissl zusammen gestellte und von Franco Foda trainierte Sturm Graz mit erstaunlicher Variabilität.

Mit der war es bei Foda vorbei, als er im Herbst zum ÖFB-Teamchef bestellt wurde, und bei Sturm war es mit der Ergebnisstabilität vorbei. Für Sturm blieb der Cup-Sieg, Salzburg zeigte dafür erstmals den internationalen Lauf, den sich Mateschitz schon 2005 gewünscht hatte. Zwar kam man diesmal in der CL-Quali nicht an Rijeka vorbei, aber nach souveräner Gruppenphase in der Europa League presste sich Salzburg erst an Real Sociedad, dan am von Peter Stöger trainierten Borussia Dortmund vorbei, mit einem Sieg im Westfalenstadion.

Im Viertelfinale gegen Lazio verlor Salzburg das Hinspiel in Rom 2:4 und im Rückspiel daheim nach einer Stunde 0:1, ehe Dabbur ausgleich und die irrsten fünf Eruopacup-Minuten folgten, die dieses Stadion je gesehen hat. Haidara 72., Hwang 74., Lainer 76. – Salzburg war im Halbfinale. In Marseille verlor Salzburg 0:2, zwang OM eine Woche später aber in die Verlängerung. Dort bekam Marseille in der 116. Minute eine Ecke, die keine war. Marseille traf und zog ins Finale ein.

Dass die Bullen die Liga dominierten und mit 83 Zählern einen neuen absoluten Punkterekord aufstellten, lief in der Wahrnehmung fast ein wenig nebenher mit.

2018/19: Meister unter Marco Rose

Damit die Meisterschaften nicht schon im Februar mehr oder weniger entschieden sind, führte die Bundesliga mit dem neuen Modus mit Meister- und Abstiegsrunde auch noch die Punkteteilung nach 22 Runden ein. Statt die Spannung zu erhöhen, hatte es aber den gegenteiligen Effekt: Weil die eh schon dominanten Bullen die Spiele in der Liga nicht austrudeln lassen konnten, gaben sie in der Meisterrunde einfach weiter Vollgas.

Von den zehn Spielen gegen die anderen Top-6 gewann Salzburg im Frühjahr 2019 acht und verlor nur eines.

Obwohl es im Sommer 2018 nach dem Erreichen des Europacup-Halbfinales wieder einen spürbaren personellen Aderlass gab (Haidara zu Leipzig, Ćaleta-Car zu Marseille, Berisha zu Lazio, Lazaro zu Hertha BSC, Hwang nach Hamburg), machte Salzburg einfach so weiter. Es dauerte bis Oktober, ehe die Bullen erstmals Punkte ließen (ein 1:1 gegen Innsbruck) und es dauerte sogar bis Februar, ehe erstmals verloren wurde (ein 0:2 bei Rapid).

Sogar die Champions League wurde verpasst, ohne in der Qualifikation eine Niederlage kassiert zu haben – 0:0 und 2:2 gegen Roter Stern Belgrad und damals galt die Auswärtstorregel noch. In der Europa League knüpfte man aber an die starke Vorsaison an, gewann beide Matches gegen den Schwesterklub aus Leipzig und montierte in Brügge in der ersten K.o.-Runde trotz 1:2-Hinspiel-Niederlage in der Retour-Begegnung 4:0 ab. Im Achtelfinale war Napoli dann aber eine Nummer zu groß.

Die Truppe hatte die richtige Balance aus Routine (Ulmer, Deutschland-Heimkehrer Junuzovic) und Jugend; aus Red-Bull-typischem Anpressen vorne und dem Suchen und Finden spielerischer Lösungen, vor allem über die extrem offensiven Außenverteidiger, welche neben der Raute die Flügel besetzten. Die vielen Punkte, die Salzburg in der Europa League geholt hat, brachten Österreich im Ranking so weit nach vorne, dass 2019 sogar ein Fixplatz in der Champions League an die heimische Bundesliga ging. Marco Rose ging zu Borussia Mönchengladbach, aber er ließ Salzburg endlich die lang ersehnte erste Champions-League-Teilnahme da.

Und dann lauerte da ja noch ein 18-jähriger Norweger, den Christoph Freund im Winter aus Molde an die Salzach gelotst hatte. Nach einer Handvoll Kurzeinsätzen durfte dieser im drittletzten Bundesliga-Spiel gegen Vizemeister LASK erstmals von Beginn an ran. Und im Herbst, ja, im Herbst explodierte er, dieser Erling Håland.

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20 Jahre Red Bull Salzburg – Teil 1: Die Prä-Rangnick-Jahre https://ballverliebt.eu/2025/04/04/20-jahre-red-bull-salzburg-teil-1-die-prae-rangnick-jahre/ https://ballverliebt.eu/2025/04/04/20-jahre-red-bull-salzburg-teil-1-die-prae-rangnick-jahre/#respond Fri, 04 Apr 2025 13:33:35 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21481 20 Jahre Red Bull Salzburg – Teil 1: Die Prä-Rangnick-Jahre weiterlesen ]]> Es war der 6. April 2005, kurz nach 20 Uhr. Da flatterte eine Presse-Aussendung in die Postfächer der Sportredaktionen des Landes: „Beginn einer neuen Fußball-Ära in Salzburg: Die Red Bull GmbH aus Fuschl übernimmt ab sofort die Salzburg Sport AG und damit den Fußballbetrieb des Salzburger Bundesligisten.“

Salzburg war damals Vorletzter der Bundesliga, schwerstens finanzmarod und der für die sieben Millionen Schulden bürgende Langzeit-Präsident Rudi Quehenberger froh, weil damit das Salzburger Überleben gesichert war. Das ist nun genau 20 Jahre her und die Art und Weise, wie Red Bull den heimischen Kick geprägt und verändert hat, ist tiefgreifend und umfassend. Das steht außer Frage.

Das mit dem „Salzburger Überleben“ hingegen ist seither ein eher kontroverses Thema.

Die Ausgangslage

Im Dezember 2002 hatten die Violetten aus Salzburg das alte Stadion in Lehen verlassen, Lars Søndergaard mischte mit einem damals sehr modernen 4-4-2-Zonenfußball die Liga auf und wurde 2003 Dritter. „Lars Søndergaard war ein herausragender Trainer“, erinnert sich Alex Schriebl, heute Teamchef der ÖFB-Frauen, „er hat es geschafft, dass wir innerhalb von vier Wochen die Viererkette beherrscht haben. Das hat uns auch konditionell sehr geholfen, weil unsere Laufwege viel ökonomischer waren als mit Manndeckung.“

So wurde man mit einem Kader, dem das von seiner individuellen Qualiät eigentlich nicht zugestanden wären, Dritter. „Wir haben furchtlos gespielt“, so Schriebl, „aber im Herbst haben wir dann einige Spiele knapp verloren, da war dann auch die Ruhe im Umfeld nicht da.“ Von den vielen Neuen stand nur ein schon erheblich gealterter Thomas Häßler einigermaßen regelmäßig auf dem Rasen, Ende Oktober war Salzburg Letzter, Søndergaard wurde nach einer Heimniederlage gegen die Admira entlassen. Er wusste es nach dem Spiel, die Fans auch, Søndergaard kam direkt nach Abpfiff zur Kurve, winkte, wurde mit warmem Applaus verabschiedet.

Der Klassenerhalt 2004 wurde ein Kraftakt, bis in den April herrschte akute Abstiegsgefahr. Das war auch 2004/05 nicht anders, Anfang März warf Trainer Peter Assion das Handtuch, man lag nach Verlustpunkten einen Zähler vor Schlusslicht Bregenz. Nikola Jurčević kam, holte sich gleich mal ein 1:5 im Cup beim damaligen Drittligisten St. Pölten ab, die Fans stürmten noch vor der Halbzeitpause das Feld am Voith-Platz und vollzogen einen Sitzstreik. Das war zwei Wochen vor dem ominösen 6. April 2005.

An diesem Tag trat Kurt Jara etwas überraschend als Kaiserslautern-Trainer zurück, die Schlagzeilen gehörten davon abgesehen eher der Austria, die tags darauf ihr Viertelfinal-Hinspiel im UEFA-Cup gegen Parma absolvierte. „Selten haben wir eine Entscheidung länger und genauer geprüft als jene, in das österreichische bzw. internationale Fußballgeschehen einzusteigen“, ließ sich Dietrich Mateschitz zitieren, „Unsere Zielsetzungen sind äußerst ambitioniert und können nur die langfristige permanente Teilnahme in den obersten Europäischen Wettbewerben zum Inhalt haben. Damit hat Red Bull neben der Formel-1 ein zweites Standbein in seinem Sportengagement mit internationaler Reichweite.“

Knapp zwei Wochen später wurde bekannt gegeben, dass Jara in der neuen Saison Trainer wird – sein Rücktritt in Lautern muss in diesem Licht betrachtet werden – und Manfred Linzmaier würde statt Jurčević als Statthalter die Saison zu Ende trainieren. Der Satz „Red Bull in der Red Zac“ nach dem damaligen Namenssponsor der 2. Liga geisterte durch belustigte Fan-Kreise, aber weil Bregenz sportlich noch kaputter war und auch keine Lizenz mehr bekam, blieb das dem neuen Regime erspart.

2005/06: Zweiter unter Kurt Jara

Von den sagenhaften 34 Spielern, die den letzten violetten Kader zum Durchhaus gemacht hatten, blieben nach dem Takeover nur eine Handvoll übrig – das war erwartet worden. Wie radikal Red Bull aber mit der Vergangenheit brechen würde, kristallisierte sich erst in den Monaten nach der Übernahme heraus. Zum Missfallen des harten Fan-Kerns, den man mit einer violetten Kapitänsschleife und violetten Torwart-Socken abspeisen wollte, legte Mateschitz großen Wert darauf, alles Vergangene aus dem Salzburger Bundesliga-Auftritt zu tilgen.

Es kamen große Namen: Mateschitz‘ Spezi Franz Beckenbauer vermittelte die Alt-Bayern Zickler und Linke, es kamen Schopp und Manninger (der im Herbst verletzungsbedingt von Heinz Arzberger vertreten wurde) aus Italien zurück, dazu Ježek, Kirchler, Knavs und Mayrleb, mit denen Jara beim FC Tirol schon Meister geworden war. Die Truppe war routiniert (um nicht zu sagen: alt), bis auf Carboni – mit 26 der jüngste Stammspieler – hatte niemand irgendeine Form von Weiterverkaufswert. Es ging nur um das Hier und Jetzt.

Die Konkurrenz sah die Bullen sofort als Titelfavorit, Jara selbst sprach davon, dass zumindest ein Europacup-Platz der Anspruch im ersten Jahr sein müsse. Es begann auch etwas holprig, im Cup scheiterte man an der 2. Mannschaft der Wiener Austria, aber zwischen Anfang September und Ende November holte Salzburg neun Punkte auf die Spitze auf und wurde sogar Herbstmeister, wiewohl die Austria letztlich auf Platz eins überwinterte. Gerade am heimischen Kunstrasen war die Truppe kaum zu biegen.

Mit der Verpflichtung von Teamkapitän Andi Ivanschitz von Rapid riss Red Bull im Winter auch bei anderen Vereinen spürbare emotionale Wunden auf. Man verholperte den Frühjahrs-Start, die Austria zog davon und auch ein 3:0-Sieg gegen die Wiener im März machte die Meisterschaft nur gefühlt wieder spannend. Salzburg beendete die erste Saison als Red Bull auf dem zweiten Platz der Tabelle und als klare Nummer eins bei den Besucherzahlen.

Mit 16.500 Zusehern war die noch nicht ausgebaute EM-Arena praktisch durch-ausverkauft. Dem Krach mit den violetten Kern zum Trotz: Die Attraktion der Star-Truppe zog. Es sollte aber die bis heute letzte Saison sein, dass jemand anderer als Rapid die meisten Stadiongeher anzog.

2006/07: Meister unter Giovanni Trapattoni und Lothar Matthäus

Jara war sein Amt dennoch los, aber nicht wegen sportlicher Gründe, sondern weil ihm Mateschitz vorgeworfen hat, bei Spielertransfers mitgeschnitten zu haben. Von diesem Vorwurf wurde Jara später gerichtlich freigesprochen – dennoch blieb es bis heute sein letzter Trainerposten. „Groß denken“ galt für den Sommer 2006 zwar nur begrenzt am Spielersektor (es kamen bis auf Niko Kovač nur semi-bekannte Namen), dafür umso mehr bei der Jara-Nachfolge – Giovanni Trapattoni und Lothar Matthäus. Im Herbst stieß noch Oliver Kreuzer als Sportdirektor dazu.

„Trapatthäus“ schob gleich mal Markus Schopp (New York) und Alex Manninger (Siena) ab, kam in der CL-Qualifikation zunächst mit Glück gegen den FC Zürich weiter, ehe das Hinspiel gegen Valencia 1:0 gewonnen wurde. Nach dem 1:4 im Mestalla hielten die Bullen in der ersten UEFA-Cup-Runde Blackburn daheim bei einem 2:2, verloren danach im Ewood Park 0:2.

National zog man von Beginn weg souverän seine Kreise und profitierte auch von der implodierenden Konkurrenz. Rapid war zur Saisonhalbzeit Letzter und Meister Austria über die Winterpause, Sturm ging pleite, der GAK nach krassen Punktabzügen ebenso. Lange war Mattersburg Zweiter, am Ende schloss Ried als Vizemeister ab. Salzburg war so dermaßen alleine auf weiter Flur, dass man sich die japanischen PR-Gags Miyamoto und Alex leisten konnte.

Als der Titel Mitte April auch rechnerisch feststand, hatte Salzburg nur drei der 30 Bundesliga-Spiele verloren, in den 15 Heimspielen hatte man zu diesem Zeitpunkt eine Bilanz von 12 Siegen und drei Remis bei 39:6 Toren. Der Kunstrasen war gefürchtet, wurde als zusätzlicher umstrittener Heimvorteil angesehen. Und doch war Trap nicht immer happy. Nach dem Cup-Aus im Halbfinale gegen Mattersburg setzte er zu einer veritablen Wutrede an. Das Ziel waren Journalisten, die sich über die vielen Verletzten wunderte: „Was verstehen Sie vom Fußball, über das Training? Ich bin Profi in Physiologie. Wenn Sie sehen Training, was verstehen?“

2007/08: Zweiter unter Giovanni Trapattoni

„Unterschiedliche Auffassungen im Trainingsablauf und bei strategischen Entscheidungen“ führten im Sommer 2007 zur Trennung von Lothar Matthäus – die Chemie zwischen den beiden Alphatieren war schon in der Meistersaison nicht immer harmonisch gewesen. Im September musste auch Sportchef Kreuzer gehen. Wegen der Transfers? Einige Wunschspieler konnten wohl nicht zum Kommen bewegt werden. Es kam Ibrahim Sekagya, von dem Matthäus gesagt hatte, weder er noch Trap hätten den in Argentinien beschäftigten Ugandaer je spielen gesehen. Es kam Christoph Leitgeb vom konkursreifen SK Sturm, Linke wurde aussortiert. Und es kam Heinz Hochhauser als neuer Sportdirektor.

Gegen Shachtar Donetsk fehlen nur wenige Minuten zur erstmaligen Teilnahme an der Champions-League-Gruppenphase, im UEFA-Cup ging’s dann schon in der 1. Runde gegen AEK Athen raus – das stand schon nach dem Hinspiel-0:3 in der griechischen Hauptstadt fest. Auch die Liga begann holprig: Niederlage beim neuen Verein Austria Kärnten, der im Namen den Umzug schon vollzogen hatte, aber noch in Pasching spielen musste, weil das neue Stadion noch nicht fertig war.

Punktverluste in Mattersburg und Altach, Niederlagen gegen die Rapid, Sturm, den LASK, Ried und Innsbruck: Als nach 23 Spielen die Winterpause kam, hatte Salzburg nur 37 Punkte auf dem Konto – aber alle anderen waren genauso unkonstant: Sturm 37, Salzburg 37, Austria 37, Rapid 36, LASK 35. Zwei Tage, bevor im Februar der Massensprint zum Meistertitel begann, gab Trap bekannt: Im Sommer ist Schluss, er wechselt nach Irland. Sechs Wochen später, nachdem die Bullen den LASK mit einem 4:0 aus dem Titelrennen geschossen hatten, waren nur noch zwei Teams realistisch im Titelrennen: Salzburg und Rapid. Was dann am Ostersonntag kam, ist österreichische Fußballgeschichte.

Salzburg null. Rapid sieben.

2008/09: Meister unter Co Adriaanse

Statt dem vorsichtigen Trap kam der ultra-offensive Adriaanse und mit ihm ein spürbarer Holland-Einschlag: Nelisse, Opdam und Bobson kamen (und nicht alle schlugen ein), das System wurde ein angriffiges 4-3-3, dazu fand man in Norwegen den Kameruner Somen Tchoyi, gegen den sich österreichische Verteidiger brutal schwer taten.

Der totale Wechsel der Spielphilosophie brauchte zwei Monate, bis er griff, dann schoss Salzburg aber aus allen Rohren. Marc Janko, den in den Jahren zuvor immer wieder Verletzungen geplagt hatten, blieb fit und wurde mit geradezu surrealen 39 Toren Schützenkönig. Salzburg schnitt durch gegnerische Abwehrreihen, dass es auch immer wieder (zu) viele Gegentore gab, war eingepreist. Es gab ein 4:3 in Altach, 7:3 gegen Kapfenberg, ein 5:1 gegen die Austria.

Aber eben auch ein absurdes 2:5 in Kapfenberg und gleich zwei Niederlagen gegen Austria Kärnten, ein neuerliches Cup-Aus bei den Austria-Amatueren (wie schon 2006) und im UEFA-Cup war man in der 1. Runde gegen Sevilla deutlich zu leichtgewichtig unterwegs. Als Sportchef Hochhauser Anfang April ankündigte, dass Adriaanses Ein-Jahres-Vertrag nicht verlängert wird („Es gab Dinge, die nicht so gepasst haben“), hatten die Bullen „nur“ fünf Punkte Vorsprung auf Rapid.

Salzburg humpelte über die Linie, verlor vier der letzten sechs Spiele, brachte den zweiten Titel der Red-Bull-Ära aber in trockene Tücher.

2009/10: Meister unter Huub Stevens

Erstmals hatten unter Adriaanse Salzburg-Spiele als Offensiv-Feuerwerk richtig Spaß gemacht, damit war ab Sommer 2009 Schluss. Es wurde wieder staubig an der Salzach: Zu Sekagya, der einer der besten Verteidiger seiner Zeit in der Bundesliga war, kam mit Rabiu Afolabi (einst bei der Austria schon stark) ein weiterer Prügel für die Innenverteidigung, der gelernte IV Fränky Schiemer – der Mann mit dem Turban-Abo – räumte davor ab, praktisch ohne Bindung zum Aufbauspiel. Der Einser-Pass wurde der von Torhüter Gustafsson zu Stürmer Janko, der „nur“ 18 Treffer beisteuern konnte.

Dafür wurde im fünften Jahr erstmals eine echte Verjüngung durchgeführt. Statt Spieler jenseits der 30 mit Königsverträgen auszustatten, wurden nun Mittzwanziger geholt. Aufhauser – lange Fixpunkt im Zentrum – wurde im Winter zum LASK abgegeben, Ježek zur Admira, Bodnár nach Ungarn, der Flop Ilić zurück zu Partizan. Der langjährige Keeper Ochs brauchte einige Monate, um einen neuen Verein zu finden.

Der Erfolg gab Hochhauser (bzw. Dietmar Beiersdorfer, der im Herbst neuer Sportchef wurde) im ersten Jahr unter Stevens recht, so wurden erstmals echte Erfolgserlebnisse im Europacup eingefahren: Zwar verwehrte Maccabi Haifa den Zugang zur Champions League, in der neuen Europa-League-Gruppenphase gewann Salzburg aber alle sechs Spiele gegen Villarreal, Lazio und Levski Sofia. Erst im Februar war gegen Standard Lüttich Endstation.

Und in der Liga? Salzburg machte selten großen Spaß, aber holte Punkt um Punkt, Sieg um Sieg. Dass man nicht im Winter schon auf und davon war, lag daran, dass auch Rapid (weiterhin und Peter Pacult) und die Austria (unter Karl Daxbacher) sehr wenig liegen ließen. Erst der 1:0-Sieg im St. Hanappi (Tor: Afolabi) ließ das Pendel in Richtung Salzburg ausschlagen – vermeintlich. Denn hatte sich Salzburg in den ersten 33 Runden nur zwei Niederlagen geleistet, folgten in der dritt- und der vorletzten zwei weitere (in Kapfenberg und gegen die Austria).

Der der 2:0-Sieg bei Sturm Graz in der letzten Runde sicherte den Meistertitel für Salzburg doch noch – mit starken 74 Punkten. Zum Vergleich: Das war nur ein Punkt weniger als 2007, als man konkurrenzlos mit 19 Zählern Vorsprung auf Ried den Titel geholt hatte.

2010/11 – Zweiter mit Stevens bzw. Moniz

Freude bei der Konkurrenz: Der Kunstrasen war Geschichte, ab sofort wurde bei Salzburger Heimpartien auf natürlichem Geläuf gespielt. Marc Janko durfte nun endlich ins Ausland wechseln, für Somen Tchoyi überwies West Brom immerhin drei Millionen, Alexander Zickler ließ die Karriere fortan beim LASK ausklingen. Die entstandenen Lücken sollten Roman Wallner, der (noch) unbekannte Brasilianer Alan und Joaquín Boghossian füllen. Das gelang nur teilweise. Als nach 19 Spielen die Winterpause ins Land zog, hatten die Bullen erst 22 Tore erzielt. Man lag vier Punkte hinter Herbstmeister Ried. Gludo, schau owa.

Natürlich: Mit vier Innenverteidigern in der Kette brannte wenig an, das Tor hütete Gerhard Tremmel in Abwesenheit von Eddie Gustafsson – dem Schwede hatte sich im Frühjahr 2010 bei einem Crash mit LASK-Stürmer Kragl schwer verletzt. Aber der Stevens-Kick spielte das Stadion ziemlich effektiv leer: Die Arena war doppelt so groß wie 2005/06, aber die Besucherzahlen betrugen nur noch die Hälfte. In der Europa League gab es in einer harten Gruppe (Juventus, Man City, Lech Posen) zwei Punkte, dazu kamen interne Reibereien: Co-Trainer Achterberg und Stevens wurden im Winter-Trainingslager handgreiflich. Achterberg musste gehen, zwei Monate später auch Stevens.

Und mit ihm Dietmar Beiersdorfer: Die Filiale in Leipzig steckte in der 4. Liga fest, der österreichische Titel schien an die groß aufspielende Austria verloren. Anfang April übernahmen Technik-Trainer Ricardo Moniz, ihm wurde Niko Kovač zur Seite gestellt, der die Red Bull Juniors trainierte. Passend zum Spielstil (und dem generellen Trend der Liga) gewann Salzburg alle vier verbleibenden Auswärtsspiele, aber nur zwei der fünf Heimpartien, Pleiten gegen den abgeschlagenen Letzten LASK und gegen Innsbruck inklusive.

Dennoch hätte es fast zum Titel gereicht, weil die Austria noch wilder zusammenbrach. Doch ein Last-Minute-Punktverlust gegen Ried in der vorletzten Runde machte Sturm Graz zum Überraschungs-Meister.

2011/12: Meister unter Ricardo Moniz

Heinz Hochhauser kam nach knapp zwei Jahren als Nachwuchsleiter zurück auf den Sportdirektoren-Posten, bestätigte den zunächst als Interimslösung angedachten Moniz als Chefcoach und gab eine neue Marschroute aus: „Ich nehme den Trainern hiermit den Champions-League-Rucksack ab. Dieser Rucksack hat in den letzten Jahren sehr viel verhindert. Es hat vor allem verhindert, dass junge Spieler eine Chance kriegen. Wir wollen Spieler entwickeln.“

Also kamen Stefan Maierhofer (29), Petri Pasanen (31) und Rasmus Lindgren (27) – sowie, im Winter dann, ein 26-jähriger Stürmer von der B-Mannschaft des FC Barcelona. Ein gewisser Jonatan Soriano.

Diese Saison zementierte das Salzburger Image als gesichtslose Geldvernichtungsmaschine: Es war keine Spielidee erkennbar, es gab kaum Kreativität (in einer Liga, in der das Pressing noch nicht angekommen war) und auch keine Strategie bei der Kaderzusammenstellung. Amüsierte man sich zuvor an den im Jahrestakt wechselnden Philosophien – sehr defensiv, super-offensiv, dann wieder einbunkern – war Red Bull im Herbst 2011 zu einer Karikatur seiner selbst geworden. Eine Ansammlung von Ich-AGs, oder, wie wir es damals formulierten: „Salzburg schafft es nicht und nicht, aus dem vorhandenem Spielermaterial ein funktionierendes Gesamtgefüge zu machen – Grundvoraussetzung, bevor man darüber diskutieren kann, welches System und welche Spielanlage denn nun dazu passt.“

Zur Saisonhalbzeit war Salzburg nur Fünfter – hinter dem erneuten Herbstmeister Ried, hinter Rapid und der Austria (wo man so unzufrieden war, dass man Daxbacher durch Vastic ersetzte) und der Admira. Im Europacup überwinterte Salzburg, weil man sich an einem PSG vorbei drückte, das den Europacup mehr oder weniger abgeschenkt hat – ebenso wie der Salzburger Anhang, der in sechs der sieben internationalen Heimspiele nur vierstellig erschienen war. Als es im Februar eine krachende Demontage gegen das ukrainische Extrem-Pressing-Team von Metalist Kharkiv setzte (0:4 und 1:4), war Hochhauser schon nicht mehr im Amt, seine Agenden waren unter Moniz, Geschäftsführer Vogl und dessen Assistenten aufgeteilt worden. Einem gewissen Oliver Glasner.

Salzburg wurde am Ende doch noch Meister, weil man unspektakulär die nötigen Resultate holte: Nach einem 3:1 gegen Rapid (mit den entscheidenden Treffern in den Minuten 86 und 90) im März gab es 30 von 36 möglichen Punkten in den verbleibenden 12 Spielen, dabei aber nur ein einziges Mal mehr als zwei eigene Tore. Außerdem gab es endlich den ersten Cup-Sieg.

Alles in bester Ordnung also? Nicht für Ricardo Moniz. Zwei Tage vor Trainingsstart warf er im Juni 2012 das Handtuch: „Ich habe bei Red Bull nur Streit gehabt. Schon im November wollten sie mich rauswerfen“, beklagte er sich, mit Bernd Pansold – Leiter des  „Diagnostik- und Trainingszentrums“ und Sport-Arzt mit DDR-Doping-Vergangenheit – konnte und/oder wollte Moniz nicht zusammen arbeiten.

Zwei Wochen später stand Ralf Rangnick als neuer fußballerischer Head of Red Bull da. Und alles sollte sich ändern.

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Zahlen bitte: Rangnicks Bilanz, nüchtern betrachtet https://ballverliebt.eu/2025/04/02/zahlen-bitte-rangnicks-bilanz-nuechtern-betrachtet/ https://ballverliebt.eu/2025/04/02/zahlen-bitte-rangnicks-bilanz-nuechtern-betrachtet/#respond Wed, 02 Apr 2025 21:53:35 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21402 Zahlen bitte: Rangnicks Bilanz, nüchtern betrachtet weiterlesen ]]> „Nüchtern betrachtet“, ließ sich Johann Gartner im profil zitieren, „sind wir mit Rangnick nicht weiter als unter Foda.“ Nun gibt es sehr wohl einiges, was man an den Spielen des ÖFB-Teams – und den Resultaten – im letzten halben Jahr kritisch anführen kann. Verpasster Gruppensieg in der B-Abteilung der Nations League, das verstolperte Playoff gegen Serbien, und nicht alles war nur Pech.

Aber: Hält die Behauptung des NÖFV-Präsidenten, selbst wenn man nur die Zahlen betrachtet? (Spoiler: Nein.)

Vergleichen wir Rangnick mal mit seinen acht Vorgängern, die zumindest 20 Spiele lang das Nationalteam trainiert haben. Also ohne Brückner, weil seine sieben Spiele einfach eine zu kleine Sample Size sind. Und niemand vor Prohaska, weil ab den 90ern die Anzahl der Verbände in Europa von 33 auf rund 50 angestiegen ist. Alles, was vorher war, ist nicht seriös vergleichbar.

Der Punkteschnitt

Wenn man die banalste aller Zahlen hernimmt, ist Rangnick knapp nicht voran – der Punkteschnitt ist de facto gleich wie bei Foda und besser als bei allen anderen Teamchefs der letzten drei Jahrzehnte. Und, schau schau: Franco Foda hat auch einen höheren Schnitt als Marcel Koller. Kann das sein, wo doch Foda kein einziges Bewerbsspiel gegen ein besser klassiertes Team gewonnen hat?

Ja, kann sein. Weil man ja auch die Stärke der Gegner einbeziehen muss.

Die Stärke der Gegner (Durchschnitt laut Elo-Rating)

Hoppala, Franco Foda hatte ja viel leichtere Gegner als Rangnick! Naja, fast logisch: Die Gruppenköpfe der beiden Qualifikationen unter Foda waren Polen und Dänemark, nicht Spanien und Frankreich. Foda trainierte zwei Durchgänge in der B-Liga der Nations League, einen erfolglos, einen mit einem erzitterten Aufstieg. Wer schwächere Gegner hat, wird mehr Punkte machen.

Kann man die schlechte Bilanz von Didi Constantini also auch an den schweren Gegnern in einer EM-Quali-Gruppe mit Deutschland, Belgien und der Türkei festmachen? Constantini hatte in seiner Zeit als Teamchef viele andere Probleme – aufkommende strategische Kritik, der Generation Gap, fehlendes Verständnis für den modernen Fußball, damit fehlende Autorität in der Innen- und der Außendarstellung. Aber ja, die harten Gegner machten ihm das Leben definitiv auch nicht leichter.

Korrelation der Stärke von Österreich und seiner Gegner

Die Differenz zwischen der Durchschnitts-Platzierung im Elo-Rating von Österreich und dem seiner Gegner über den gesamten Amtszeitraum bestätigt das: Constantini hatte ständig teils deutlich stärkere Teams vor sich. Das lag natürlich auch daran, dass Österreich selbst unter ihm so richtig schlecht dastand. Ähnliches galt für Josef Hickersberger, der von Hans Krankl ein kaputtes Team geerbt hatte und im Vorfeld der Heim-EM gegen einige schwache (Liechtenstein, Malta) und relativ viele recht gute Teams (Deutschland, Niederlande, Frankreich, England, Schweiz, Elfenbeinküste) getestet hat.

Aber hui, kurzer Blick auf Foda: Nach dieser Berechnung hatte niemand einen im Vergleich zur eigenen Stärke so leichten Spielplan zu absolvieren! Und doch ist die Bilanz schlechter als unter Rangnick. Wir erinnern uns kurz: Selbst gegen Polen, Israel und Mazedonien machte man unter Foda harte Arbeit aus einem zweiten Platz; dann wurde man hinter Dänemark, Schottland und Israel gar nur Gruppenvierter.

Die Niederlagen

Drehen wir die Sache mal um: Wie viele ihrer Spiele haben die Teamchefs eigentlich verloren? Das 0:2 in Serbien war die neunte Niederlage im 34. Spiel unter Rangnick. Klingt viel? Ist es nicht.

In der Tat hat Rangnick den geringsten Anteil an Niederlagen von den letzten neun Teamchefs (Brückner hat 57 Prozent, der Vollständigkeit halber). Gegen wen hat Rangnick verloren? Gegen Dänemark (2x), Frankreich (2x), Kroatien, Belgien, die Türkei, Norwegen und Serbien. Foda hat im Vergleich immer noch eine vorzeigbar niedrige Niederlagen-Quote, er hatte aber – wie gesehen – auch die wesentlich leichteren Gegner.

Niederlagen unter Foda beinhalteten die zwei Pleiten in Israel sowie das Fanal der Niederlage in Lettland – das wegen der Wurschtigkeit des Trainers verloren wurde. Es waren die einzigen Punkte, die Lettland in der EM-Quali damals überhaupt gemacht hat.

Die Zuschauerzahlen

Gartner glaubte auch zu orten, dass die Connection zwischen Fans und (Trainer-)Team im Serbien-Spiel gefehlt habe. Da wir selbst im Stadion waren und selbst miterlebt haben, wie fein das Gespür der ausverkauften Hütte dafür war, wann das österreichische Team welche Form von Support brauchte, verwundert uns diese Aussage einigermaßen. Umso mehr, weil trotz des objektiven Misserfolgs gegen Serbien das nächste Heimspiel gegen Rumänien innerhalb weniger Tage ebenso ausverkauft war wie es die meisten Rangnick-Heimspiele waren.

Bei Foda wurden nur die Spiele ohne coronabedingte Zugangsbeschränkungen berücksichtigt

Nicht alle Matches finden im Happel-Stadion statt, das ist unter Rangnick nicht anders als bei seinen Vorgängern. In den letzten Jahren hat der ÖFB die neue Linzer Arena als attraktives Klein-Stadion für weniger wichtige Spiele für sich entdeckt, davor sind es eben Klagenfurt, Salzburg, Innsbruck und Graz gewesen. Auffällig ist aber sehr wohl, wie die Euphorie um das Team in der Koller-Zeit explodiert ist und wie effektiv unter Foda das Happelstadion schon leergespielt war, als das noch gar nicht wegen Corona so sein hätte müssen.

Kein einziges Bewerbs-Heimspiel unter Foda hatte mehr als 41.100 Zuseher. Acht der neun im Happel-Stadion ausgetragenen Rangnick-Pflichtspiele hatten mehr Zuseher als diese Marke und das Match gegen Rumänien wird den Rangnick-Schnitt auf 32.900 nach oben drücken.

Der Draht, der den ÖFB zum Glühen bringt

Die Reaktionen auf David Alabas Ausbruch gegen die wahrlich entbehrlichen, offenkundig schwachsinnigen und jedenfalls unqualifizierten Wortmeldungen des niederösterreichischen Langzeit-Verbandspräsidenten waren überwiegend von Zustimmung für den Legionär von Real Madrid geprägt. Die öffentliche Meinung über das ÖFB-Präsidium ist ohnehin seit 2017 im Keller.

Damals übrigens, 2017, argumentierte eben jener Gartner auch mit ausbleibenden Zusehern für die Trennung von Koller („Wir leben von der Nationalmannschaft. Wenn nur 13.000 Zuseher kommen, dann muss man sich etwas überlegen!“). Dies ist aktuell definitiv nicht der Fall. Und der Draht der Fans zu Foda? Es dauerte nach der EM 2021 mit dem heroischen Achtelfinale gegen Italien genau ein Spiel, bis „Foda raus“-Rufe durch das Happel-Stadion peitschten.

Nun, unter Rangnick, wurde zweimal ohne Not der Aufstieg in der Nations League versemmelt, und die Tickets für das nächste Spiel – gegen einen wahrlich nicht besonders attraktiven Kontrahenten – sind zwei Monate vor dem Anpfiff vergriffen.

Es war auch gaaanz sicher reiner Zufall, dass Georg Pangls Compliance-Verstoß just einen Tag durchgestochen wurden, ehe Pangl sich bei der Präsidiumssitzung als Präsident oder CEO des ÖFB in Stellung bringen hätte können. Dass er einen solchen Posten angestrebt hat, ist kein Geheimnis. Dass der auf schlanke Strukturen bedachte, international bestens vernetzte Pangl von einigen aus dem Kreis der Regional-Funktionäre sehr skeptisch beäugt wird, liegt nahe.

Was war passiert? Pangl hatte in seiner Funktion als burgenländischer Landespräsident zwei Verbands-Autos bei einem Händler in Oberösterreich angeleiert statt im Burgenland. Das sei laut Pangl zwar wesentlich günstiger gewesen, doch die regionale Wirtschaftskammer machte Stunk und brachte Compliance-Regeln ins Spiel, BFV-Vize Konrad Renner drängte Pangl umgehend zum Rücktritt.

Der ÖFB hat bis heute keinen neuen Präsidenten, weiterhin führt Wolfgang Bartosch diesen interimistisch. Nicht alle Funktionäre, die den Landesverbänden vorstehen, verstehen diese als Service-Einrichtungen für die Vereine zu sein, die sie vertreten: Von Pfaffenschlag bis Wr. Neustadt, von Hellas Kagran bis zum SC Kopten, von Straßwalchen bis Mittersill. Auch acht Jahre, nachdem sie 2017 als Dorftrottel wie die Sau durchs öffentliche Dorf getrieben wurden, verstehen sich wohl zumindest manche aus diesem ehrenamtlichen Kreis als berufen, auch jene ganz großen Geschicke des ÖFB maßgeblich zu bestimmen, die mit höchstem Profitum zu tun haben.

Nüchtern betrachtet

Im Grunde hat David Alaba mit seiner öffentlichen Abkanzelung von Gartner („Es ist nicht das erste Mal, dass jemand aus dem Präsidium sich in der Öffentlichkeit in einer Art und Weise äußert, die wir als Spieler nicht akzeptieren können. Wenn jetzt jemand sagt, wir sollen uns hinten reinstellen und unsere Spielweise verändern, dann hat er keine Ahnung von Fußball“) sogar noch erstaunliche Contenance bewahrt.

Denn der Kapitän sieht es ebenso wie die meisten Beobachter: Sportliche Kritik gehört dazu und dieser muss man sich als Leistungssportler auch stellen. Aber nur, wenn sie sachlich und fundiert vorgetragen wird.

Und nein, das waren Gartners Wortmeldungen nicht. Ganz nüchtern betrachtet.

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Österreich unterliegt Serbien: Der Underdog-Fußball beißt zurück https://ballverliebt.eu/2025/03/24/osterreich-serbien-nations-league-relegation/ https://ballverliebt.eu/2025/03/24/osterreich-serbien-nations-league-relegation/#comments Mon, 24 Mar 2025 22:58:57 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21320 Österreich unterliegt Serbien: Der Underdog-Fußball beißt zurück weiterlesen ]]> „Wenn man ehrlich ist, sind wir wahrscheinlich in der B-Gruppe besser aufgehoben…“ Das sagte nach dem Match in Belgrad kein Österreicher, der sich die Playoff-Niederlage gegen Serbien schönreden wollte. Sondern Dragan Stojković, Teamchef der Serben: „Aber es ist gut, dass wir in der A-Gruppe verbleiben können!“

Dass Österreich nun nach dem 1:1 in Wien und dem 0:2 in Belgrad – dem sechsten sieglosen Auftritt in der serbischen Hauptstadt in Folge – in der B-Gruppe der Nations League verleibt, ist ärgerlich, aber verschmerzbar: Natürlich wäre es gut für’s Ego, ganz oben antreten zu dürfen. Viel mehr aber sagt das verdaddelte Playoff nach dem verdaddelten Direktaufstieg aber etwas über den Gesamt-Zustand das ÖFB-Teams aus, ehe es im Juni in die WM-Qualifikation geht.

„Österreich war in beiden Spielen die bessere Mannschaft“, sagte Lazar Samardžić, Torschütze in Wien, nach dem Spiel in Belgrad. „Wir haben schlechter gespielt als wir können, Österreich ist ein starkes Team“, meinte Dušan Vlahović, dessen Treffer zum 2:0 im Rückspiel den serbischen Gesamtsieg endgültig fixierte. Doch auch, wenn die Serben ihren Erfolg mit ungewohnte Demut registrierten und Ralf Rangnick das Resultat der zwei Begegnungen als „absurd“ bezeichnete – eine gewisse Logik steckt schon dahinter.

Und diese rechtfertigt noch nicht, mit Blick auf die leichtestmögliche WM-Quali-Gruppe mit Rumänien und Bosnien-Herzegowina den Panik-Knopf zu drücken. Aber eine gewisse Rekalibrierung der Erwartungen können die Spiele seit der EM schon zur Folge haben – nicht, was die Ergebnisse angeht. Aber doch den Weg dorthin betreffend.

Das 1:1 in Wien

Wie ist Serbien verwundbar? Nun, das gäbe es einiges. Bei der EM etwa präsentierte sich die Truppe von Dragan Stojković als Meister im aneinander vorbeispielen: Draufgehen oder verteidigen? Rausspielen oder langer Hafer? Oftmals unklar. Dann das System: Serbien hat keine echten Außenverteidiger – nur umfunktionierte Flügel-Stürmer (Živković, Kostić, Birmančević, Mimović) oder umfunktionierte Innenverteidiger (Stefan Mitrović, Spajić) oder international bestenfalls mittlere AV-Preisklasse (Nedeljković, Terzić, Gajić).

Spielt Serbien Viererkette, ist die Außen-Besetzung nicht gut genug für A-Niveau und die Schnittstellen sind offen (wie beim serbischen Test vor der EM), spielt Serbien Dreier/Fünfer-Kette, ergibt sich oft Platz hinter den Wing-Backs. Tatsächlich dauerte es in Wien keine 30 Sekunden, ehe der rechte Flügelverteidiger Mimović den hinter ihm in den Raum startenden Baumgartner erstmals übersah und sich nur per Foul zu helfen wusste.

Die Serben agierten im gewohnten 3-4-1-2 und machten dabei die Reihen sehr eng, vor allem wenn die Abwehr hoch aufrückte – sehr häufig vor allem in der Anfangsphase.

So überließ man Österreich zwar den Ball, das aber möglichst weit hinten und ohne Möglichkeit, in die Mitte hinein zu spielen – dorthin, wo Rangnick-Teams am liebsten hin wollen. Die Stürmer Jović und Vlahović sowie Zehner Samardžić stellten zu dritt den Sechserraum zu, wodurch Österreich auf die Außenbahnen gedrängt wurde.

Diese Maßnahme war aber nur semi-clever, weil Österreich auf den Außenbahnen praktisch immer eine 2-gegen-1-Überzahl hatte. Hinzu kam, dass die Serben kaum in die Zweikämpfe gingen und in den Laufduellen Nachteile. Es hatte schon seinen Grund, warum sie möglichst jedes Tempo aus dem Spiel heraus halten wollten.

Kein Ertrag weil kaum Strafraum-Präsenz

Die Serben waren also sehr passiv und ließen sich damit dennoch immer wieder hinten hinein drängen. Rund um den Strafraum – vor allem links und rechts davon – agierte Österreich in diesen Phasen sehr gedankenschnell und mit kurzen, gezielten Laufwegen von nicht-ballführenden Österreichern wurde oft sehr gut Platz für den ÖFB-Spieler am Ball ausgeräumt. Nur bespielt wurde dieser nicht konsequent genug und auch die Strafraumbesetzung war zu mager.

So reichte es im Angriffsdrittel zwar, wenn Romano Schmid nur mit dem Hintern wackelte, dass der überforderte Birmančević den Weg für ihn frei machte, zumal dieser auch noch den konsequent offensiv laufenden und oft einrückenden Patrick Wimmer im Blick haben musste. Doch wenn es darum ging, den Ball in die Box zu bringen, stand dort zuweilen nur ein Österreicher gegen drei serbische Innenverteidiger plus zwei absichernde Sechser.

Einmal wurde Baumgartner von Schmid geschickt, einmal konnte man Arnautovic freispielen, aber so etwas wie Tempo im Spiel vor das Tor war bei Österreich zu selten zu sehen. Kein Zufall, dass das 1:0 in der 37. Minute weder mit spielerischen Elementen noch mit Strafraumbesetzung zu tun hatte: Langer Ball von Alaba auf Arnautovic, dessen Ablage versenkte Gregoritsch aus 18 Metern Entfernung.

Stecker gezogen

Nach der Pause knüpfte Österreich zunächst nahtlos an, Arnautovic – der lange eine großartige Partie ablieferte, einen großen Aktionsradius hatte und viele kluge, unerwartete Kurzpässe spielte – zog etwa einmal ab. Aber auch das grundsätzliche Problem blieb bestehen: Zumeist wurde nicht der Abschluss gesucht, sondern durch die vielbeinige serbische Abwehr ein besser postierter Mitspieler gesucht. Eine Suche, die oft hektisch verlief und selten mit Finden verbunden war.

Bis sehenswerte Weitschuss-Treffer von Samardžić die ansonsten erstaunlich ruhigen serbischen Fans kurzfristig aufweckte und gleichzeitig den Schwung in Österreichs Spiel zum Einschlafen brachte.

Baumgartner, der sich im Zweikampf zuvor wohl eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen hatte, musste zudem raus und Rangnick konnte eben nicht den verletzten Sabitzer oder den gelbgesperrten Laimer bringen. Es kam zunächst Muhammed Cham, in der Folge auch erstmals Raul Florucz sowie ein Xaver Schlager, der wegen anhaltender Knieprobleme noch keine einzige Minute im Jahr 2025 absolvieren hatte können.

Die Serben jedenfalls bunkerten sich nun hinten ein und Österreich erging es ähnlich wie im EM-Achtelfinale gegen die Türkei: Viel Ballbesitz gegen einen tief stehenden Kontrahenten, aber wenig Idee, wie es ohne die Chance, jemanden anzulaufen und ihm so den Ball abzunehmen, Torgelegenheiten geben soll. Die guten, kurzen Laufwege aus der ersten Halbzeit? Weg. Die unzureichende Besetzung des Strafraums dafür – immer noch da.

In der 89. Minute fand Arnautovic nach Flanke von Cham noch die Gelegenheit auf den Siegtreffer vor, aber es war die einzige seriöse Chance. Die letzte halbe Stunde des Spiels war ziemlich lähmend.

Das 0:2 in Belgrad

Für das Match in der serbischen Hauptstadt adaptierte Dragan Stojković seine Formation ein wenig. Statt dem 3-4-1-2, das die Außenbahnen relativ offen gelassen hatte, kam nun ein 5-2-2-1 zum Einsatz. In diesem hatten Samardžić und Lukić die Aufgabe, im Zentrum Überzahl herzustellen und Österreich damit wieder nicht durch die Mitte aufbauen zu lassen. Gleichzeitig aber verschoben sie nach außen, wenn das ÖFB-Team den Ball dort hin spielte, und sie stellten somit auch dort die gefahrlosen Aufbau-Routen für Österreich zu.

Damit sah das Match sehr ähnlich aus wie die letzte halbe Stunde von Wien, nur eben von Anfang an. Österreich sammelte Ballbesitz, allerdings nur dort, wo es Serbien nicht weh tat. Bei Ballverlusten war das ÖFB-Team schnell griffig im Gegenpressing, aber es fehlte gleichzeitig die Bereitschaft, aus den Strukturen heraus Laufwege anzubieten, welche die Serben aus der Formation reißen konnten. Das traute man sich vorne am serbischen Strafraum in Wien zu – aus der letzten Linie heraus in Belgrad aber nicht.

Hier fehlte wohl auch die Präsenz und das Spielgefühl von David Alaba, der nach seiner langen Verletzungspause noch nicht ganz die Sicherheit für zweimal 90 Minuten direkt hintereinander hatte. Österreich agierte sehr statisch und strahlte sehr wenig Torgefahr aus. Schmid kam einmal aus guter Position zum Schuss, viel mehr war nicht: Instinktiv drängte der österreichische durch das Zentrum, wo dieser Aufbau so gut wie immer von den Serben verschluckt wurde.

Slapstick-Gegentor und Ausschluss

Rangnick stellte in der Pause ziemlich um: Laimer, der auf der Zehn mitten im Gewühl verpuffte, war nun Rechtsverteidiger und Wimmer ging statt Mwene nach links, dafür kam Arnautovic statt Flügelspieler Cham für die Spitze und Grüll dafür neu auf den Flügel. Was sich am Spiel änderte? Nicht sehr viel, bis zu 56. Minute. Da passte Schlager einen Abstoß kurz nach vorne auf Seiwald, dieser bekam aber von Maksimović Druck – panisch bolzte Seiwald die Kugel zurück Richtung Tor, Schlager konnte den Ball überrascht nur noch irgendwie an den Pfosten lenken, gegen den abstaubenden Maksimović war er machtlos.

Die Serben hatten derweil ihrerseits umgestellt: Der flinke Stürmer Luka Jović war für Sechser Gudelj gekommen, im 5-3-2 wollte man nun vermehrt Nadelstiche setzen, während gleichzeitig stets eine Dreierkette vor der Abwehr das Zentrum abdichtete. Vlahović traf kurz nach dem 1:0 auch noch den Pfosten, Österreich verlor in dieser Phase spürbar die Ruhe und die Ordnung. Und dann holze auch noch Trauner den in den Strafraum ziehenden Mitrović um – kurz vor der Strafraumgrenze, damit gab’s den Ausschluss.

Mehr Risiko in Unterzahl

In der Folge kam Alaba nun doch rein, er füllte die von Trauner hinterlassene Lücke, Österreich musste nun aus einem 4-2-2-1 heraus erhöhtes Risiko gehen. Vlahović traf einmal knapp aus Abseits schon zum vermeintlichen 2:0, zweimal rettete auch Schlager in höchster Not.

Ab ca. 75. Minute

Andererseits war dieser Endspurt aber auch jene Phase im Match, in der Österreich noch am strukturiertesten in Richtung Strafraum kam. Weil es eben nichts mehr brachte, mit der defensiven Absicherung als Handbremse auf halber Höhe zu stehen, wurde nun mehr Leute nach vorne committed und es gab auch in Ansätzen wieder jedes Spiel um den Strafraum, mit dem man die Serben in der ersten Halbzeit in Wien so genervt hatte.

Es blieb aber auch dabei, dass Österreich daraus nicht in seriöse Abschlusspositionen kam. So fiel am Ende aus einem Konter das 2:0 für Serbien statt der rettende Ausgleich für Österreich.

Was haben wir gelernt?

Natürlich stellt sich Ralf Rangnick schützend vor sein Team. Wir kennen ihn aus drei Jahren Teamchef nun aber doch auch schon gut genug, um zu erahnen: Je energischer er das tut, desto mehr brodelt es in ihm. Schon auch natürlich, weil damit der Aufstieg in die A-Gruppe der Nations League nach dem mega-unnötigen späten Ausgleich gegen Slowenien im November quasi zum zweiten Mal verspielt worden ist.

Zum anderen aber auch, weil die Learnings aus den beiden Serbien spielen eh genau jene sind, die es schon aus dem EM-Achtelfinale gegen die Türkei zu ziehen gab und aus den Slowenien-Spielen im Herbst: Gegen ein gutklassiges, geschickt verteidigendes Team (wie die Türkei) fehlen die Ideen, wenn man selbst gestalten muss. Und zweitens: Wenn man schon das Spiel im Griff hat und sich auch irgendwie eine Führung erarbeitet hat, wär’s halt schon gut, diese gegen einen im Grunde geschlagenen Gegner auch drüber zu bringen.

Und hier ist eben die individuelle Qualität der Spieler auch ein Thema. Natürlich hat Österreich einen Alaba, der seit 15 Jahren – sofern fit – bei Bayern München und Real Madrid immer bombenfeste Stammkraft war. Ja, es gibt einen Marcel Sabitzer, dessen Zahlen bei Borussia Dortmund besser sind als die Wahrnehmung. Freilich, Konrad Laimer spielt bei den Bayern, wo immer er gebraucht wird.

Aber zur Wahrheit gehört halt auch: Seiwald ist in Leipzig bestenfalls Mitläufer. Grillitsch ist bei Hoffenheim ausgebootet worden und sammelt jetzt beim Liga-Letzten in Spanien Minuten. Gregoritsch ist kein Stammspieler in Freiburg. Bremen – wo Schmid, Grüll und eigentlich auch Friedl spielen: Bundesliga-Mittelmaß. Die „Goldene Generation“, von der verschiedentlich die Rede ist, ist keine: Es sind gutklassige Spieler, deren Stärke es vor allem ist, wie eine Vereinsmannschaft zu spielen – mit einer klaren Spielidee, im Idealfall perfekt aufeinander abgestimmt.

Wenn das flutscht, kann man jeden starken Gegner damit nerven. Es ist im Grunde seines Herzens aber Underdog-Fußball, der an seine Grenzen stößt, wenn man nicht der Underdog ist.

Und doch: In Wien gewann Österreich das Expected-Goals-Duell gegen Serbien mit 1,8 zu 0,4 laut Footmob, man kam nicht zu Chancen am Fließband, aber zu genug, um 2:0 oder 3:1 zu gewinnen. Dann findet dieses wirklich limitierte serbische Team keinen Weg mehr zurück, zumal das halbleere Marakana in Belgrad nun wahrlich kein klischeehaft-serbischer Hexenkessel war. Österreich fand dort die Balance aus Risiko und Sicherheitsdenken nicht, die Zeit verging, ohne spürbare Dellen im serbischen Selbstverständnis zu hinterlassen, selbst wie ein Außenseiter zu agieren.

Der Blick auf die WM-Quali

Was das Ranking der Gegner betrifft, hat Österreich die leichteste aller Quali-Gruppen für die WM in Nordamerika nächstes Jahr gezogen. Doch das letzte halbe Jahr, die letzten acht Spiele waren kein Mutmacher.

Rumänien und Bosnien werden Notiz davon genommen haben und vor allem die Bosnier haben an diesem Wochenende schon gezeigt, was Österreich von ihnen zu erwarten hat: Vor 50.000 Zusehern in Bukarest stellte sich das Team mit dem Innviertler Malić und dem Pinzgauer Dedić defensiv auf, ließ die Rumänen machen. Rumänien hatte 66 Prozent Ballbesitz, 491:211 Pässe und 15:5 Torschüsse bei 1,8 zu 0,9 Expected Goals.

Bosnien gewann 1:0.

Österreich hat sich von Serbien zu leicht das Zentrum nehmen lassen, hat vor allem in Belgrad zu sehr das Risiko gescheut. Es fehlen weiterhin die Lösungen und vor allem die Laufwege und das Tempo gegen diese destruktiven Teams. Und die zwei, drei Möglichkeiten, die Österreich durch das Dickicht an Beinen zufallen, werden zu wenig konsequent genützt. In Wahrheit schon gegen dezimierte und längst besiegte Kasachen, definitiv gegen Slowenien, jetzt auch gegen Serbien. Und die Bosnier freuen sich schon.

Nichts an den jüngsten Spielen ändert etwas daran, dass es ohne Wenn und Aber der Anspruch sein muss, sich als Österreich in dieser Gruppe durchzusetzen und erstmals seit 1998 zu einer WM zu fahren. Sehr wohl aber ändern sie etwas an dem Gefühl, mit dem man am 7. Juni mit dem Heimspiel gegen die durch die Pleite gegen Bosnien schon kräftig unter Zugzwang stehenden Rumänen in die WM-Quali startet.

Aus einer Position der absoluten Stärke heraus wird man in dieses Spiel eher nicht gehen können. Weil Österreich zwar gerne wie ein Außenseiter spielt, in der WM-Quali nominell aber der klare Favorit ist. Trotz allem.

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Österreich in Belgrad: Eine Zeitreise https://ballverliebt.eu/2025/03/22/osterreich-belgrad-serbien-jugoslawien-zeitreise/ https://ballverliebt.eu/2025/03/22/osterreich-belgrad-serbien-jugoslawien-zeitreise/#comments Sat, 22 Mar 2025 10:58:17 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=21290 Österreich in Belgrad: Eine Zeitreise weiterlesen ]]> Nach dem 1:1 im Hinspiel in Wien muss Österreich in Belgrad gegen Serbien gewinnen, um den Aufstieg in die A-Gruppe der Nations League doch noch zu bewerkstelligen. Es wird das siebente Spiel des ÖFB-Teams in Belgrad. Der letzte Sieg datiert aus dem Jahr 1949.

Hier eine kleine Zeitreise: Das waren Österreichs bisherigen Länderspiele in Belgrad.

5:2 für Österreich im November 1949

Nach dem Krieg dauerte es einige Jahre, bis das neuformierte, junge ÖFB-Team Konkurrenzfähigkeit entwickelte. Im Jahr 1949 war tatsächlich erstmals wirklich Stabilisation bzw. Fortschritt zu erkennen: Unter der Leitung von Verbandskapitän Walter Nausch, der nach dem Olympia-Fiasko von 1948 übernommen hat, es gab Siege gegen die Schweiz und die Tschechoslowakei und dann, am 13. November 1949, sogar einen 5:2-Sieg im Partizan-Stadion von Belgrad.

Dolfi Huber und Karl Decker schossen Österreich nach einer halben Stunde zur 2:0-Führung, das Anschlusstor durch Željko Čajkovski – den jüngeren Bruder des späteren Bayern-Trainers Zlatko – konterte Huber zur 3:1-Pausenführung. Bobek schoss nach einer Stunde das 2:3, ehe ein Decker-Doppelpack den 5:2-Endstand herstellte.

Ein Jahr später beim Besuch der Jugoslawen in Wien kam Österreich sogar zu einem 7:2-Erfolg.

4:2 für Jugoslawien im September 1952

In den 50ern gehörte Jugoslawien zu den häufigsten Gegnern von Österreich. Das ÖFB-Team hat in den Jahren 1950 und 1951 seinen Zenit erreicht, danach ging es schön langsam wieder etwas bergab. Als man im Herbst 1952 wiederum ins Partizan-Stadion von Belgrad reist, waren die Spieler schon müde: Sie hatten alle keine Sommerpause, weil ihre Vereine auf lukrative Tourneen gegangen waren.

Jugoslawien ging durch Stjepan Bobek früh in Führung, nach der Pause stellte ein Doppelschlag von Bobek (51.) und Vukas (56.) auf 3:0. Österreich bäumte sich auf und kam durch Alfred Körner und dem Admiraner Fritz Cejka in seinem einzigen Länderspiel noch auf 2:3 heran, kurz vor Schluss markierte Bobek aber per Elfmeter den 4:2-Endstand.

Zwei Jahre später kam Österreich im ersten Spiel nach der WM, bei dem das ÖFB-Team ins Semifinale gekommen und Dritter geworden war (Jugoslawien hatte das Viertelfinale erreicht), zu einem 2:2.

3:3 im September 1957

In der letzten Ausgabe der Mitteleuropa-Meisterschaft, die danach mit der Einführung der EM obsolet werden sollte, machte Jugoslawien auch mit. In Zagreb gab es im Sommer 1956 ein 1:1, nachdem Österreich zuvor in Wien 2:1 gewonnen hatte. In Belgrad trat der ÖFB im Spätsommer 1957 wieder an.

In diesem Spiel gingen die Jugoslawien relativ rasch 2:0 in Führung, aber Happel (per Elfmeter) und Dienst glichen noch vor der Pause aus und nach einer Stunde stellte Dienst sogar auf 3:2. Milutinovic rettete noch das 3:3 für die Hausherren. Es waren im Kern natürlich schon jene Mannschaften, die ein Jahr später für die beiden Länder in die WM gehen sollten (Jugoslawien erreichte wieder das Viertelfinale, Österreich stand in der Gruppe mit Brasilien, der Sowjetunion und England auf verlorenem Posten).

In den Jahrzehnten danach sollte Österreich weiterhin immer wieder gegen Jugoslawien spielen, aber nicht mehr in Belgrad: Im Jahr 1961 gewann Jugoslawien 2:1 in Zagreb, im Frühjahr 1970 gab es ein 1:1 in Sarajevo, im März 1987 gewann Jugoslawien gegen ein Österreich in desolatem Zustand 4:0 in Banja Luka.

4:1 für Jugoslawien, EM-Quali im Oktober 1990

Wenige Wochen nach der 0:1-Blamage gegen die Färöer-Inseln machte sich das Team unter dem hastig als Hickersberger-Nachfolger installierten Alfred Riedl auf, um in Belgrad möglichst nicht unter die Räder zu kommen: Jugoslawien hatte eine starke WM gespielt, die erst im Viertelfinale im Elfmeterschießen geendet hatte.

Andi Ogris nützte eine Unachtsamkeit in der jugoslawischen Deckung zum 1:0 für Österreich, in der Folge drehten die Hausherren aber, angeführt von einem überragenden Robert Prosinečki, auf. Tore von Pančev und Katanec sorgten schon vor der Pause für die 2:1-Führung für Jugoslawien, kurz nach der Pause stellte Pančev auf 3:1, kurz vor Schluss auf 4:1. Pecl wurde von Darko Pančev lächerlich gemacht, Artner rannte seinen Gegenspielern nur hinterher, Herzog war unsichtbar, Reisinger hatte eine erstaunliche Fehlpassquote, Polster präsentierte sich als Immobilie. Nur Ogris stemmte sich mit allem, was er hatte, dagegen, aber kurz nach der Pause musste er verletzt raus.

In der jugoslawischen Startformation von Teamchef Ivica Osim war nur ein einziger Serbe (Predrag Spasić) und auf dem Weg zum Gruppensieg verabschiedeten sich erst Slowenien und Kroatien, dann auch Bosnien aus dem gesamt-jugoslawischen Team. Mehr als eine Rumpftruppe hätte sie also nicht mehr zur EM schicken können, wären sie nicht zuvor wegen des Krieges ausgeschlossen worden. Der Qualigruppen-Zweite Dänemark rückte kurzfristig nach, der Rest ist Geschichte.

1:0 für Serbien, WM-Quali im Juni 2009

Das Staatengebilde zerfiel, „Rest-Jugoslawien“ machte nach drei Jahren Sperre wieder mit, ab 2003 nannte man sich „Serbien-Montenegro“, nach der montenegrinischen Unabhängigkeit 2006 letztlich nur noch Serbien. Es dauerte bis zur WM-Quali für 2010, ehe Österreich wieder gegen ein Team des Landes antrat – beim Spiel in Wien im Herbst 2008, kurz nach der Heim-EM, führte Serbien schon nach einer halben Stunde mit 3:0 und gewann locker. Beim Rückspiel in Belgrad saß bereits Didi Constantini statt Karel Brückner auf der Betreuerbank.

Serbien – Österreich 1:0 (1:0)

Der kürzlich verstorbene Constantini baute Aleksandar Dragovic (Austria) und Yasin Pehlivan (Rapid) ein, obwohl beide erst eine Handvoll Bundesliga-Spiele in den Beinen hatte, vorne ließ er das grün-weiße Meister-Sturmduo „MaierHoffer“ auflaufen. Michael Gspurning, heute ÖFB-Torwart-Trainer, verursachte nach einem verunglückten Stranzl-Rückpass früh einen Elfmeter, den Milijaš zum 1:0 nützte, danach schwamm sich Österreich aber immer mehr frei.

Es war im zweiten Match der Ära Constantini wohl so ziemlich das Beste unter dem Tiroler, zu einem Ausgleich kam Österreich aber nicht mehr. Serbien wurde vor Frankreich sogar Gruppensieger, schied bei der WM aber schon in der Gruppe aus. Österreich wurde immerhin noch Gruppendritter vor Rumänien.

3:2 für Serbien, WM-Quali im Oktober 2016

Nach Constantini kam Koller, der Aufschwung, die überragende EM-Quali für 2016 und ein enttäuschendes EM-Turnier in Frankreich. In dessen Folge konnte das ÖFB-Team nicht mehr an die Erfolge der Jahre davor anknüpfen, was 2014 und 2015 knappe Siege wurden, wurden 2016 und 2017 knappe Niederlagen.

Serbien – Österreich 3:2 (2:1)

Eine davon kam in Belgrad, im bisher letzten Match des ÖFB-Nationalteams in der serbischen Hauptstadt. Österreich presste dabei extrem hoch, ließ dabei aber die Absicherung ein wenig vermissen und ließ sich von den Serben auf eine Seite locken, womit diese dann jede Menge Platz für Konter hatten. Dreimal lief Österreich auf diese Weise auswärts in Konter-Tore, verlor 2:3 – es war der erste echte Rückschlag im Kampf um ein WM-Ticket, dem einige weiter folgen sollten. Ein Jahr später war Marcel Koller nicht mehr Teamchef.

Sein letztes Heimspiel war übrigens gegen Serbien – ein überzeugender Sieg zu einem Zeitpunkt, als seine Demission bereits feststand.

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