Ballverliebt https://ballverliebt.eu Fußball. Fußball. Fußball. Wed, 20 Nov 2024 10:39:07 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 Der ÖFB und sein Team: Gut gemeint und doch auf die Nase gefallen https://ballverliebt.eu/2024/11/19/nations-league-ofb-slowenien-kasachstan-rangnick-mitterdorfer-gartner/ https://ballverliebt.eu/2024/11/19/nations-league-ofb-slowenien-kasachstan-rangnick-mitterdorfer-gartner/#respond Tue, 19 Nov 2024 15:13:01 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20837 Der ÖFB und sein Team: Gut gemeint und doch auf die Nase gefallen weiterlesen ]]> Nein, nötig wäre das nicht gewesen. Ist es wirklich ein sportliches Drama? Naja. Österreich hat in den Schlussminuten des Heimspiels gegen Slowenien noch den Sieg hergeschenkt und mit dem 1:1 den Direktaufstieg in die A-Gruppe der Nations League verpasst. Verschmerzbar, es gibt ja eh noch das Aufstiegsplayoff, und selbst wenn man in der B-Gruppe bleiben sollte – eigentlich wurscht. Der erste Topf für die WM-Quali ist sich gerade noch ausgegangen, das ist sicher wichtiger.

Aber die beiden abschließenden Spiele der vierten Nations League sind aus österreichischer Sicht ein Spiegelbild des Krawalls im ÖFB, der eben nicht hinter den Kulissen stattfindet, sondern auf dem Altar der Öffentlichkeit.

Klare Parallelen

Das Team erledigte einen potenziell unangenehmen Job beim 2:0 in Kasachstan ohne Drama. Dann, in einem voller Erwartung ausverkauften Happel-Stadion, ist man gegen Slowenien voll auf Kurs, kommt aber vor der Ziellinie ins Straucheln und fällt auf die Nase, wird für seine Versäumnisse bestraft.

Im Präsidium war davor die von Präsident Klaus Mitterdorfer angestrebte Strukturreform durchgegangen, alles sah eigentlich fein und zukunftsträchtig aus: Ein CEO, dazu ein Abteilungsleiter Sport (Peter Schöttel) und ein Finanz-Chef, also die Neuhold-Rolle. Als mögliche Geschäftsführer kursierten zunächst der aktuelle Bundesliga-Vorstand Christian Ebenbauer – dem im Frühjahr potenziell unangenehme Verhandlungen zum neuen TV-Vertrag ins Haus stehen – und der international bestens vernetzte ehemalige Bundesliga-Vorstand Georg Pangl, nun auch die von Mitterdorfer vorgeschlagene ehemalige Postbus-Chefin Silvia Kaupa-Götzl.

Und dann zerbröselt die Stimmung in schlechter Kommunikation und den verbalen Giftpfeilen, die sich die Beteiligten über die Medien gegenseitig zuwerfen: Die Mannschaft für Neuhold. Gartner gegen Rangnick („Man muss aufpassen, wo er hingaloppiert“). Alaba gegen Gartner (der verletzte Kapitän bezichtigt NÖFV-Präsidenten, unterstützt von OÖ-Präsident Götschhofer, bezüglich der von Gartner verbreiteten angeblichen Streik-Drohung der Spieler nun offen der Lüge). Mitterdorfer kann nur noch versuchen, die Brände auszutreten.

Wir erleben die größten Chaos-Tage im ÖFB seit dem Winter 2001/02, als Beppo Mauhart irgendwie einen Präsidenten Frank Stronach verhindern wollte und gleichzeitig ein neuer Teamchef gesucht wurde

Das 2:0 in Kasachstan

Dabei hat ja allgemein gefallen, was die Repräsentanten des ÖFB in diesem Jahr auf dem Rasen gezeigt haben, ach ja, Fußball wurde ja auch gespielt. Dem EM-Katerfrühstück im September (nur 1:1 in Slowenien, 1:2-Niederlage in Oslo) folgte die schwungvolle Auferstehung im September (4:0 gegen Kasachstan, gar 5:1 gegen Norwegen). Die Rechnung war klar: Zwei Siege in den letzten zwei Spielen, und Österreich ist Gruppensieger.

Der Flug ist lang, das Wetter kalt, das Stadion nicht mal halbvoll und der Gegner kann unangenehm sein – aber Österreich war in Kasachstan von der ersten Minute an da. Wie schon beim souveränen 4:0 in Linz war das ÖFB-Team wieder wach im Pressing, man ließ die Kasachen kaum Zeit am Ball und wenn die Hausherren doch mal am österreichischen Strafraum waren – wie in der 10. Minute – wirkte das so „hui, wir sind im Angriffsdrittel, ähm…. was mach ma jetzt? Na, versuch du was! Was? Keine Ahnung…“

Der kasachische Block ließ sich relativ leicht mittels Überladungen ins Zentrum ziehen, wodurch Posch extrem viel Raum zum Aufrücken hatte, zudem waren die beiden Ketten alles andere als kompakt – der einrückende Romano Schmid machte sich dort immer wieder anspielbar. Das 1:0 nach einer Viertelstunde wurde genau über so einen Pass rechts neben den in die Mitte geschobenen kasachischen Block vorgetragen, vor dem 2:0 versprach Marotchkin der Ball, was ihn zu einer Notbremse zwang. Der Freistoß saß, Kasachstan war einer weniger, das Match entschieden.

Österreich blieb griffig und giftig und die Kasachen (dann im 4-4-1) rissen den Zwischenlinienraum noch weiter auf, das war ein richtiger Ozean. Das ÖFB-Team bearbeitete diesen nach Belieben hätte bis zur Halbzeit schon auf 5:0 stellen können und nach nach dem Seitenwechsel gab es zwei, drei gute Aktionen, die jedoch nicht mit einem Tor endeten. So ab der 60. Minute wurde immer noch vorne draufgegangen, im eigenen Aufbau von hinten entwich jedoch das Tempo und die Bereitschaft zu Risikopässen. Das Spiel schlief ein wenig ein und plätscherte dem Endstand von 2:0 entgegen.

Das 1:1 gegen Slowenien

Da sich Norwegen am Donnerstag in Slowenien durchgesetzt hatte, brauchte Österreich auch im abschließenden Heimspiel gegen die Slowenen einen Sieg für Platz eins in der Gruppe und den direkten Aufstieg. Die Gäste überließen erwartungsgemäß dem ÖFB-Team den Ball und störte die Eröffnung.

Das sah in der Praxis so aus, dass die Stürmer Šeško und Vipotnik das österreichische ZM in den Deckungsschatten stellte und Timi-Max Elšnik aus dem Mittelfeld aufrückend und die österreichische IV anlaufend einen Eröffnungspass provizierte. Das in den schwarzen Trikots zum 50. Jubiläum der Kooperation mit Puma spielende ÖFB-Team löste diese Situationen zwar gefahrlos auf, situativ kippte Seiwald dafür ab. Es gelang aber nicht, etwa durch den entstehenden Raum zwischen Gnezda-Čerin und Mlakar hindurch nach vorne zu kommen.

Österreich vermied Risikopässe und achtete darauf, möglichst nicht in billige Ballverluste zu laufen. Wie in Kasachstan verdichtete man im Zentrum, Slowenien gab aber längst nicht so bereitwillig die Außenbahnen her. Die beste Route zum Tor ergab sich für Österreich, wenn man Slowenien aufgerückt erwischte – wie eben beim 1:0 nach einer halben Stunde. Ein Konter gegen Slowenien im eigenen Stadion, wenn sich die Gelegenheit ergibt, muss man sie auch nützen.

Allerdings: Das Bemühen, sich in den Zwischenlinienraum zu arbeiten und dort durch zu kommen, zeitigte ebenso immer wieder Erfolg. In der 33. Minute, als es aber knapp abseits war. In der 35. Minute, als Oblak gegen Baumgartner parierte. Wie Sabitzer, der in der 61. Minute aus aussichtsreicher Position zum Abschluss kam. Wie in der 64. Minute, als Sabitzer verzog. Defensiv schaffet es Österreich gleichzeitig, Šeško nie Tempo aufnehmen zu lassen.

Es war sicher nicht jene ultimative Glanzleistung, als die es Rangnick nach dem Spiel am ORF-Mikro zu verkaufen versuchte (was auch sicher eher als Signal und nicht als Analyse zu werten war), aber eine professionelle und konzentrierte, seriöse Darbietung, der einzig das Tor zur Entscheidung gefehlt hat. Erst, als nach 70 Minuten die Intensität kräftebedingt nachließ, konnte sich Slowenien etwas mehr ins Spiel einbringen. Matjaž Kek brachte einen neuen Flügelspieler, Rangnick beließ die Startformation hingegen bis kurz vor Schluss auf dem Feld.

Ohne neue Impulse und vor allem ohne frische Beine war es Österreich nun kaum mehr möglich, offensive Akzente zu setzen. Es ging darum, zumindest das 1:0 über die Zeit zu bringen. Bis Österreich in der 81. Minute einmal das slowenische Anlaufen nicht gut auflöste, Pentz‘ Befreiungsschlag beim Gegner landete und via Karničnik der völlig freie Gnezda-Čerin bedient wurde, der zum 1:1 abdrückte. Der Sieg war verspielt, damit der Gruppensieg.

We seem to have a knack for miscommunication…

Norwegen gewann gegen Kasachstan 5:0 und staubte diesen ab. Ärgerlich aber nicht tragisch. Also wieder Vorhang auf für das Bühnenstück im ÖFB. Komische Oper? Schicksalsschwangere Tragödie? Oder gar eine Farce?

Mitterdorfer jedenfalls hat eben im Oktober die Strukturreform durchgebracht, das geht nicht ohne zerschlagenes Porzellan. Wenn die Fraktion der üblichen Verdächtigen im Präsidium beleidigt ist, soll das so sein, es gibt wahrlich Schlimmeres. Es sollte wohl keinen offensichtlichen Sieger im seit Jahren tobenden Machtkampf zwischen Generalsekretär Thomas Hollerer und Wirtschafts-Vorstand Bernhard Neuhold geben (zumal Neuhold eine Rolle beim Aus von Gerhard Milletich gespielt hatte), dann müssen halt beide gehen – vom Blick von außen: nachvollziehbar. Dass sich Trainerstab und Mannschaft dabei öffentlich für den als umgänglich und professionell geltenden Neuhold in den Kugelhagel warfen, war aus ihrer Sicht notwendig, entsprechend verständlich war die verschnupfte Reaktion auf dessen Ausbootung. Fünf seiner sechs Monate Kündigungsfrist sind noch übrig.

Dass davor über Monate die Kommunikation zwischen Mitterdorfer und Rangnick zusammengebrochen war bzw. sein soll, sickerte erst nach der entscheidenden Präsidiumssitzung am 18. Oktober durch. Ein Eigentor von Mitterdorfer: Bei der Präsidiumssitzung im August war Rangnick dabei und dort forderte er weitere Schritte in Richtung Professionalisierung des vor allem auf Entscheider-Ebene immer noch ziemlich kleinmütig aufgestellten ÖFB. Die Blockadehaltung vor allem von NÖFV-Präsident Johann Gartner, der diese gerne und oft öffentlich vertritt, kann Mitterdorfer nicht entgangen sein. Umso fahrlässiger, dass er den starken und öffentlich überaus beliebten Teamchef für seine Pläne nicht näher an sich band, sondern im Gegenteil durch (kolportierten) fehlenden Kontakt von sich weg schob.

…that stabbed us in the back this time.

Nun ist Mitterdorfer, der als Macher und Reformer in die ÖFB-Geschichte eingehen hätte können, in einer Lose-Lose-Situation: Er hat das Präsidium UND die Mannschaft verloren. Und ein Sicherheit vermittelndes Signal an die Angestellten der ÖFB-Geschäftsstelle – wo sehr viele „Team Neuhold“ waren und nur sehr wenige „Team Hollerer“ – war die Vorgehensweise eher auch nicht.

„Wenn ich in meiner Teamchef-Zeit zu Präsident Mauhart gesagt habe, ich brauche dieses oder jenes, konnte ich mich darauf verlassen, dass er sich darum kümmert“, sagte Herbert Prohaska im ORF, angesprochen auf die öffentlich beleuchteten Bruchlinien innerhalb des ÖFB. Nun verband Beppo Mauhart mit Prohaska eine Nibelungentreue, wie sie wohl kein ÖFB-Präsident jemals mit einem der 27 anderen Teamchefs hatte. Die Machtfülle von Mauhart und die Strukturen innerhalb des Verbandes waren in den 1990ern aber noch anders als das Standing von Klaus Mitterdorfer im heillos zerstrittenen ÖFB-Präsidium.

Is this the end of the line?

Eine mögliche vorzeitige Vertragsverlängerung von Rangnick über die WM-Kampagne für 2026 hinaus wurde intern, wie kolportiert, seit Monaten auf Eis gelegt. Der Teamchef selbst tat das in seiner PK-Rede vor dem Flug nach Kasachstan aber ohnehin als nicht besonders pressierendes Thema ab – wird das WM-Ticket verpasst, wäre er sowieso von sich aus weg. Übrigens: Rangnick ist schon jetzt der viertälteste Teamchef der ÖFB-Geschichte (nach Brückner, Baric und Happel).

Rangnick wird jedoch eine Verlängerung über 2026 hinaus, dieses Urteil lässt seine bisherige Vita zu, auch von der Art und Weise abhängig machen, wie sich das Umfeld im ÖFB in den kommenden anderthalb Jahren entwickelt. Auf einen unprofessionellen Jahrmarkt der Eitelkeiten hat er keine Lust und mit dem muss er sich jetzt schon seit zweieinhalb Jahren herumschlagen.

Fraglos schwebte das Damoklesschwert eines schnellen Rangnick-Abgangs über der Abstimmung über die Struktur-Reform am 18. Oktober. Die nötige Zustimmung mit Zwei-Drittel-Mehrheit (die einzige, mit der aus seiner Sicht nicht gegebenen Zuständigkeit des Präsidiums für so eine Reform begründeten Gegenstimme kam von Josef Geisler aus Tirol, der sich im TT-Interview aber als Unterstützer des Teams in der Causa Neuhold präsentierte; Salzburg und Oberösterreich enthielten sich) wohl auch deshalb zustande, weil niemand derjenige sein wollte, der von mit Mistgabeln bewaffneten Nationalteam-Fans für eine Rangnick-Flucht ans Kreuz genagelt wird.

Dass einige von ihnen 2017 im Zuge der Ruttensteiner- und Koller-Entsorgung sogar vom ORF als Dorftrottel an die Öffentlichkeit gezerrt und als Karrieristen mit bestenfalls beiläufigem Sinn für die tatsächlichen Interessen des heimischen Spitzenfußballs gebrandmarkt wurden, haben die Landespräsidenten nicht vergessen. Es hat ihnen nicht gefallen.

Hinzu kommt: Mehrheitlich handelt es sich um Langzeit-Präsidenten, die nicht mehr lange in ihrem Amt sein werden. Götschhofer und Bartosch (beide 66) sowie Lumper (62) sind in Oberösterreich, der Steiermark und Vorarlberg in ihren letzten Amtsperioden, sie gelten aber ohnehin als unverdächtig, was persönliches Machtstreben angeht. Salzburgs Ewig-Landeschef Herbert Hübel (66) hat sich vor zwei Monaten zurückgezogen, Geisler (69) hat seine letzte, bis 2028 laufende Amtszeit begonnen. Dieses Quintett wird die reduzierte Rolle der Landes-Chefs im ÖFB-Präsidium nicht mehr betreffen.

Sedlacek (69) hat sich dafür in Wien erst letztes Jahr in eine vierte Amtszeit wählen lassen und Gartner (73), im Jahr 2002 (!) erstmals NÖFV-Präsident, kann sich eine weitere Amtsperiode durchaus vorstellen.

Noch nicht lange amtieren Mitterdorfers Nachfolger in Kärnten, Jurist Martin Mutz (51), Salzburgs Übergangs-Chef Wolfgang Zingerle (65) sowie Georg Pangl (59) im Burgenland. Dieser macht keinen Hehl daraus, das Amt des ÖFB-Präsidenten anzustreben – aber nur hauptamtlich. Ob sich das bis zur nächsten Wahl in einem halben Jahr ausgeht? Zweifelhaft. So viel Reform auf einmal, und der ÖFB ist ein verkrustetes Schlachtschiff, kein agiles Startup.

Cos that would be a crime!

Wo bei alledem die Mannschaft selbst steht? Nun, sie steht vor Aufstiegsspielen für die A-Liga der Nations League (am 22. November wird einer aus dem Quartett Belgien, Serbien, Ungarn, Schottland zugelost) und vor einer WM-Qualifikation, die man als Team aus Topf 1 in Angriff nehmen wird.

Das heißt: Frankreich, Spanien, England, Deutschland, Portugal, Italien, Niederlande, Belgien, Kroatien, Dänemark und die Schweiz kommen als Gegner nicht in Frage. Die zwölf Gruppensieger fahren direkt zur WM nach Nordamerika, die Zweiten müssen in ein zweistufiges Playoff. Keine Frage: Die Voraussetzungen, sich erstmals seit 1998 für eine WM-Endrunde zu qualifizieren, sind so gut wie in den letzten sieben Turnieren vermutlich nie.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich durch den verbandsinternen Wirbel nicht Umwälzungen ergeben, welche diesem Ziel Knüppel zwischen die Beide werfen.

Cos that would be a crime.

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/11/19/nations-league-ofb-slowenien-kasachstan-rangnick-mitterdorfer-gartner/feed/ 0 standard
3:0 und 2:1 über Slowenien, aber zufrieden ist niemand https://ballverliebt.eu/2024/10/30/osterreich-slowenien-frauen-puntigam/ https://ballverliebt.eu/2024/10/30/osterreich-slowenien-frauen-puntigam/#respond Wed, 30 Oct 2024 10:03:42 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20783 3:0 und 2:1 über Slowenien, aber zufrieden ist niemand weiterlesen ]]> „Schee hostas eineg’schoben!“ Was auffällig war, als Manuela Zinsberger mit einem gewohnt lautstarken Zwischenruf die nebenan zu ihren beiden Elfmeter-Toren interviewte Sarah Puntigam sichtlich aus dem Redefluss riss? Es fiel auf, dass es überhaupt auffiel. Österreichs Frauen haben nach dem 3:0 in Koper ein 2:1 in Ried nachgelegt, Slowenien in der ersten der beiden EM-Playoff-Runden pflichtgemäß eliminiert. Mehr aber auch nicht. Es gab keinerlei feixende Jubelstimmung.

Auch nicht erleichtertes Aufatmen. Mehr ein professionelles Registrieren von Pflichtsiegen in Spielen, die beim Zusehen echt keinen Spaß gemacht haben und auch den Spielerinnen selbst nur bedingt Freude an ihrem Tun bereitet hat. „Wir haben uns das Leben auch selber schwer gemacht“, sprach Jubilarin Sarah Puntigam nach ihrem 150. Länderspiel die vielen Unsauberkeiten im Passspiel an. „Es ist schon eine Aufgabe, in solchen Spielen mental fokussiert zu bleiben“, bestätigte Marie Höbinger.

Martin Lang legte sich im Gespräch mit den Beteiligten voll ins Zeug, um in den O-Tönen für Ö3 positive Stimmung vermittelt zu bekommen – mehr als ein „Ja, aber“ bekam er einfach nicht zurück. „Ja, aber war auch Pflichtaufgabe“, sprach Sarah Zadrazil. „Ja, aber wir hätten noch mehr machen können und wenn wir gegen Polen nicht hundert Prozent da sind, werden die uns bestrafen“, kündigte Marie Höbinger an. Und Irene Fuhrmann war sogar ziemlich offensiv unzufrieden. „Ja, aber die vielen Ballverluste kann ich mir im Moment nicht erklären und das müssen wir definitiv besser machen, wenn wir gegen Polen bestehen wollen“, und ihr finsterer Blick untermauerte die Aussage der Teamchefin.

An selber Stelle, in Ried, redete man sich im Mai mantra-artig stark, nachdem es mit einer eher dünnen Leistung ein sogar etwas schmeichelhaftes 1:1 gegen Island gegeben hatte. Wir kriegen das schon hin auswärts in Island in ein paar Tagen, unter Druck sind wir gut, passt schon. Davon war diesmal überhaupt nichts zu spüren, die Erinnerung an den Reinfall von Reykjavík und die leeren Worthülsen von damals war lehrreich.

Das 3:0 im Hinspiel in Koper

„Wir erwarten Slowenien sehr aggressiv und mit viel Willen“, gab Marie Höbinger schon vor dem Hinspiel zu Protokoll und das war im ausgesprochen spärlich besetzten Stadion von Koper dann auch tatsächlich so. Allerdings in den Details nicht ganz in der Art und Weise, wie man das kommen gesehen hat. Die Österreicherinnen wurden eins-auf-eins angelaufen. „Da haben wir uns zu lange nicht angepasst“, war Sarah Puntigam danach selbstkritisch.

Im slowenischen 4-4-2 wurden damit nämlich zwar die Wege ins Zentrum für Österreich aufgemacht, diese Räume wurden aber kaum bespielt – und wenn, verdichteten dort Čonč und Korošec sehr rasch. „Das hätten Sarah und ich mehr mit spielerischen Mitteln lösen können, als wir es getan haben“, reflektierte Sarah Zadrazil ihre Rolle und die von Sarah Puntigam.

Österreich brachte die Positionierungen in der Absicherung nicht korrekt hin, Slowenien verzeichnete zahlreiche Ballgewinne. Nur wenn Österreich das Passtempo und die Passgenauigkeit über mehrere Stationen hinweg hochhalten konnte, zwang man Slowenien zum nachlaufen. Das gelang aber zu selten.

Wie überhaupt zu den vielen durch das slowenische Pressing erzwungenen Ballverlusten noch einige unerzwungene dazukamen, die durch die generelle Gemengelage im Spiel dann noch mehr auffielen. Da spielte mal Georgieva fast an der Mittellinie einen Fünf-Peter-Pass in slowenische Beine. Abschläge von Zinsberger kamen nicht oft gewinnbringend an und die zweiten Bälle waren zumeist Beute der Sloweninnen. Barbara Dunst auf der linken Seite, gewohnt umtriebig, aber bei ihr wechseln sich starke Tage internationaler Klasse auch mal mit solchen ab, wo die Entscheidungen am Ball nicht zur Situation passen und einfach nichts gelingen will. Das war so einer.

Nach einer Stunde geht’s dann schnell

Und dann macht sie in der 69. Minute doch das 1:0, die Baba, und es war ihr letzter Ballkontakt. Österreich hatte sich am Riemen gerissen, die Fehlpässe eingedämmt und Slowenien mehr rausgelockt und hatte erkannt, wie man das Zentrum bespielen muss. „Die Kadertiefe ist oft ein Thema gegen uns, wenn wir gegen stärkere Teams spielen“, hatte Fuhrmann schon im Vorfeld gesagt, „das sollte jetzt umgekehrt gegen Slowenien für uns sprechen“. Und das tat es.

Slowenien hat die personellen Möglichkeiten, eine patente erste Elf aufzubieten, aber wenn nach einer Stunde die Kräfte schwinden, gibt es keine gleichwertigen Alternativen, die von der Bank kommen können. Man hatte sich müdegelaufen, räumte Österreich zunehmend mehr Platz ein und das nützten die ÖFB-Frauen. Nach Dunsts 1:0 fielen innerhalb von ein paar Minuten das 2:0 (Elfmeter von Puntigam) und das 3:0, bei dem man via Campbell hinter die bis zur Mittellinie aufgerückte slowenische Kette lief und Purtscheller nur noch den Fuß hinhalten musste.

Nur das Resultat machte glücklich

Happy war man nur mit dem Ergebnis von 3:0. „Klar ist, dass es zu viele unerzwungene Fehler im Spiel mit dem Ball gab, durch die wir uns in die Bredouille gebracht haben und so einen aggressiven Gegner noch stärker gemacht haben“, brummte Irene Fuhrmann, „ich gehe davon aus, dass die mentale Komponente eine Rolle gespielt hat, weil wir uns auch selbst als Favoriten gesehen haben und da muss man dann auch liefern. In unserer Struktur gegen den Ball waren wir nicht schnell genug, nicht sauber genug und diese letzten Prozentpunkte von der Intensität her haben wir vermissen lassen.“

Einerseits. Andererseits waren auch andere als klare Favoriten eingeschätzte Teams in den Hinspielen dieser ersten Playoff-Runde nicht gut – Belgien spielte nur 0:0 in Griechenland, Finnland kam gegen Montenegro zu einem mageren 1:0. Wales, direkter Wiederaufsteiger in die A-Gruppe der Nations League, verlor sogar bei der Slowakei, die beinahe in die C-Gruppe abgestiegen wäre. „Und wenn ich das sehe, denk ich mir schon, Irene, da geht’s nur ums Ergebnis. Aber wir haben halt schon den Anspruch auch schönen Fußball zu spielen.“

Übrigens: Sie alle kamen noch weiter, Belgien und Finnland fuhren danach 5:0-Heimsiege ein, Wales brauchte gegen die Slowakei allerdings die Verlängerung.

Das 2:1 im Rückspiel in Ried

Mit einer personellen Änderung (Billa statt Campbell, die im Training Kreislaufprobleme hatte) ging Österreich ins Rückspiel, aber mit deutlich mehr inhaltlichen Änderungen. Zum einen wurde von Beginn an darauf geachtet, das Tempo hoch zu halten, mit frühen Vertikalpässen das slowenischen Pressing ins Leere laufen zu lassen und in die Schnittstellen der rasch hoch aufrückenden slowenischen Abwehr zu kommen. In den ersten zehn Minuten kam Österreich so zwei-, dreimal in den Rücken der Kette und hätte eigentlich zwingend in Führung gehen müssen.

Dazu wurden aus dem 4-4-1-1 gegen die slowenische Eröffnung ein 4-3-1-2 mit Zadrazil, die ganz weit hoch schob. Damit lähmte man Slowenien: Die beiden Sechser im 4-4-2 waren im Deckungsschatten und die Außenverteidigerinnen schoben so hoch, dass sie sich selbst aus dem Spiel nahmen. „Das haben wir so gemacht, weil Sarah [Puntigam] und ich im Zentrum heute komplett zugedeckt waren“, erklärte Sarah Zadrazil die Maßnahme, „und so konnten wir gut einige Male hinter die Kette kommen“. War also in der Form gar nicht explizit geplant? Zum Teil, so die Bayern-Legionärin: „Bei langem Ball wollen wir eine Staffelung haben, damit wir gut für die zweiten Bälle positioniert sind. Dann hat es sich einfach oft ergeben, dass ich durchlaufe, weil eben Slowenien sehr hoch gestanden ist.“

Schnell vermittelte Slowenien den Eindruck, ein nach dem Hinspiel gebrochenes Team zu sein, dass dieses Rückspiel halt über sich ergehen lässt. Vor lauter hinterherlaufen kam man nicht zum Anlaufen der österreichischen Ballführenden. Nach einer Viertelstunde aber schaltete Österreich mehrere Gänge zurück. Zadrazil: „Ich find’s okay, dass man sagt: Jetzt auch mal ein bissi mehr Kontrolle und nicht nur lange Bälle, weil und das einfach mehr Spielkontrolle gibt.“

Zadrazil zog sich also weiter zurück, bei Ballgewinnen wurde eher gesichert als umgeschaltet, vor allem nachdem Slowenien doch ein paarmal effektvoll scharf hoch angelaufen war. Aus der Partie entwich jegliches Tempo, nachdem auch Lana Golob zweimal länger behandelt und dann auch ausgewechselt werden musste. „Diese vielen Unterbrechungen haben uns sicher ein wenig aus dem Rhythmus gebracht“, meinte Kapitänin Sarah Puntigam nach ihrem 150. Länderspiel.

Die unbedrängten Fehlpässe wurden in diese Phase nicht nur mehr, sondern überstiegen gefühlt die Quote aus dem Hinspiel noch. Es wurde ein ziemlich fahriger Kick, der niemanden der immerhin 2.600 Zuseher in irgend einer Weise unterhielt oder gar von den Sitzen riss. Zwischen der 17. Minute und dem Ende der ersten Halbzeit gab es keinen nennenswerten österreichischen Torschuss, Slowenien wirkte gefährlicher.

Billa mit Problemen, Vorteile in Hälfte zwei

Neben vielen anderen Aspekten hat Österreich hier auch Eileen Campbell gefehlt. Es tat schon fast weh, Nici Billa zuzusehen, wie eine Halbzeit lang das Spiel an ihr vorbeizieht. Es ist über ein Jahr her, dass sie zuletzt von Beginn an in einem Pflichtspiel am Feld war und zwei Jahre, dass sie zuletzt im Nationalteam getroffen hat und sie wirkte wie ein Fremdkörper. Die Laufwege passten nicht, ihre Passrouten passten nicht, sie war kaum involviert. Als sich Golob und Meršnik gegenseitig behinderten und Billa frei durch war, passte der Winkel nicht, der Angriff versandete. Für die zweite Halbzeit wurde Billa ausgewechselt.

„Wir brauchen alle“, ließ Sarah Puntigam, ganz Kapitänin, aber nichts über ihre Teamkollegin kommen, die auch nach ihrem Wechsel von Hoffenheim nach Köln nicht wirklich in Schwung gekommen ist, „es ist unsere Aufgabe als Team, auch diejenigen zu unterstützen, bei denen es vielleicht nicht so gut läuft.“

Für die zweite Halbzeit jedenfalls spielte Viktoria Pinther statt ihr und Julia Hickelsberger am Flügel statt Dunst, Österreich hielt hinten vermehrt den Ball, lockte Slowenien heraus und brachte dann den langen Ball in Richtung der schnellen Außenspielerinnen Hickelsberger und Purtscheller; im Zentrum werden Pressing-Situationen vermehrt mit Dribblings aufgelöst. Österreich bekam damit wieder vermehrt Zugriff, nach einer Stunde rempelte SKN-Routinier Mateja Zver im Strafraum die flinke Lilli Purtscheller um, Elfmeter, Puntigam zum 1:0. Zwölf Minuten später räumte die auf der Linie starke, aber bei Flanken arg unsichere Torhüterin Meršnik komplett sinnlos Hickelsberger ab, wieder Elfmeter, wieder Puntigam zum 2:0.

Slowenien hatte längst nicht mehr die körperlichen Mittel, um dagegen zu halten, die spielerischen sowieso nicht, Konter wurden schlecht ausgespielt. Ein Elfmeter in der Nachspielzeit (war’s wirklich einer? Naja.) ermöglichte Frankfurt-Legionärin Prašnikar noch den Ehrentreffer. Im Grunde – wurscht. Trainer Kolman, der verletzungsbedingt auf Italien-Legionärinnen Eržen und Kramžar verzichten musste, gab sich dennoch zufrieden und sah die beiden Matches als „Beweis, dass wir zumindest über weite Phasen in einem Spiel mit echt guten Teams mithalten können.“ Ja, eh. Bis nach einer Stunde halt gewechselt werden muss.

Die Jubilarin und ihre frustrierende Saison

Als erste Österreicherin erreichte Sarah Puntigam in Ried die Marke von 150 Länderspiel-Einsätzen. „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich zum Team reise, aber auch, wenn ich bei meinem Klub in Houston bin“, strahlt die Steirerin – menschlich passt es da wie dort. Sportlich war 2024 aber nicht herausragend. In der harzigen EM-Quali im Frühjahr war auch sie nicht immer in Top-Form und die demnächst beendete Saison bei Houston Dash war ein Desaster, der Playoff-Zug war für Houston schon früh abgefahren und entsprechend ist man mit einem Zuschauer-Schnitt von 6.000 auch in dieser Wertung Liga-Schlusslicht.

Ein Spiel vor Ende der Regular Season ist Houston Letzter, vor allem Spielgestaltung und Torabschluss waren die Schwachpunkte, dazu kam jede Menge Unruhe im Umfeld. Der im Winter installierte Trainer Fran Alonso geriet früh in die sportliche Kritik, Ende Juni fuhr er mal „aus gesundheitlichen Gründen“, wie es hieß, nicht zu einem Auswärtsspiel mit. Er kam nie wieder, was genau los war, erfuhren auch die Spielerinnen nie. Zwei Tage vor Ende der Transferzeit wurde dann noch Managerin Alex Singer entlassen. „Ein ganz unglücklicher Zeitpunkt“, stöhnt Puntigam.

Erst vor vier Wochen wurde die Trennung von Alonso offiziell, das Jahr für Houston war ein chaotischer Clusterfuck. Im April gab es einige vielversprechende Neuverpflichtungen, die in der Unruhe kaum Impact hatten. „Ich und einige andere Stammkräfte haben uns aber zum Verein committed, unsere Verträge verlängert“, so Puntigam, deren neues Arbeitspapier bis Ende 2026 läuft. „So lange bin ich also auf jeden Fall noch aktiv. Und ein halbes Jahr später wäre eine WM“, äugt die kürzlich 32 Jahre alt gewordene Kapitänin auf die Endrunde in Brasilien.

Als sie beim Algarve Cup 2009 erstmals für Österreich spielte, bei einem 2:1 über Wales, war die Frauenfußball-Welt noch eine ganz andere. Punti war damals mit einem ganzen Schwung weiterer junger Spielerinnen – Kristler, Entner, Rappold und Walzl – erstmals dabei und hatte als 16-Jährige schon mit eineinhalb Jahren Bundesliga in den Beinen. Die Partien an der Algarve waren die ersten Testspiele überhaupt nach über sechs Jahren, in dieser Zeit hatte das Team ausschließlich EM- und WM-Qualispiele ausgetragen, also vier bis fünf Spiele im Jahr.

15 Jahre, 150 Länderspiele, ein EM-Semifinale und ein EM-Viertelfinale später, nach Stationen in der Schweiz (Kriens), Deutschland (Bayern, Freiburg, Köln) und Frankreich (Montpellier), lebt Puntigam – seit 2022 mit ihrer Genessee verheiratet – in einer Frauenfußball-Welt, die sich dramatisch verändert hat. Professioneller, athletischer, schneller. Leistungssportlerin eben, sieben Mal im Jahr von Texas nach Österreich und wieder zurück. Und doch: Volle Bodenhaftung.

Wer erlebt hat, wie es damals war, bleibt davon geprägt.

Kader Österreich beim Algarve Cup 2009: Tor: Anna-Carina Kristler (20 Jahre, FC St. Veit, 0 Länderspiele/0 Tore), Birgit Leitner (27, Bayern/GER, 22/0), Jasmin Pfeiler (24, Neulengbach, 0/0). Abwehr: Kathrin Entner (20, Neulengbach, 0/0), Susanna Gahleitner (24, Ardagger, 8/0), Marlies Hanschitz (22, Innsbruck, 12/2), Susi Höller (19, Sindelfingen/GER 2, 3/0), Kathrin Höllmüller (22, Ardagger, 6/0), Mariella Rappold (21, LUV Graz, 0/0), Carina Wenninger (18, Bayern II/GER 3, 6/0). Mittelteld: Doris Adamovics (22, Innsbruck, 2/0), Nina Aigner (28, Bayern, 34/6), Isabella Berger (19, Landhaus, 4/0), Sarah Puntigam (16, LUV Graz, 0/0), Viktoria Schnaderbeck (18, Bayern II/GER 3, 3/0), Lisi Tieber (18, Landhaus, 3/1). Angriff: Nina Burger (21, Neulengbach, 15/8), Marion Gröbner (23, Landhaus, 12/0), Katrin Walzl (21, Landhaus, 0/0). Teamchef Ernst Weber (60).

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/10/30/osterreich-slowenien-frauen-puntigam/feed/ 0 standard
Die Aktivität ist zurück: Österreich siegt 4:0 und 5:1 https://ballverliebt.eu/2024/10/18/osterreich-norwegen-kasachstan-nations-league/ https://ballverliebt.eu/2024/10/18/osterreich-norwegen-kasachstan-nations-league/#comments Fri, 18 Oct 2024 21:27:52 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20738 Die Aktivität ist zurück: Österreich siegt 4:0 und 5:1 weiterlesen ]]> „Wenn man so gar nichts von seinen Stärken zeigt, obwohl alle Gelegenheiten dafür da gewesen wären, ist das nicht gut.“ Die ersten beiden, sehr schaumgebremsten und auch vom Resultat her unbefriedigenden Länderspielen nach der EM, hinterließen etwas Ratlosigkeit: Negativer Ausreißer oder doch mehr?

Das 4:0 gegen Kasachstan und das 5:1 gegen Norwegen – und hierbei vor allem die Art und Weise des Auftritts, nicht nur die nackten Zahlen – stellten nun klar: Die Enttäuschungen vom September zeigten nicht das neue, blutleere Gesicht des EM-Achtelfinalisten. Sie bleiben aber das Mahnmal dafür, wie das ÖFB-Team aussieht, wenn die geistige Bereitschaft für das aufwändige Spiel nicht zu hundert Prozent gegeben ist.

Das 4:0 gegen Kasachstan

Der Wille, den gehemmten Eindruck vom September zu revidieren, war schon in den ersten Minuten des Matches gegen Kasachstan zu erkennen. Die Probleme, sich gegen tief stehende Gegner durchzukombinieren, sind bekannt – nicht zuletzt ganz frappant zu sehen gewesen im EM-Achtelfinale gegen die Türkei – und das ÖFB-Team hatte sich einen Plan zurechtgelegt, wie es sich gar nicht erst auf endlos-brotlose Ballstaffetten einlassen muss.

„Der beste Spielmacher war das Gegenpressing“, sagte Teamchef Ralf Rangnick nach dem Spiel und das war auch genau so gemeint. Österreich schlug immer wieder die Bälle vor das kasachische Tor bzw. in die grobe Richtung der Sturmspitzen. Gar nicht so sehr, um die Pässe direkt an den Mann zu bringen, sondern vor allem, um den Bällen nachzupressen und sie sofort zu erobern, weil die technisch recht limitierten kasachischen Verteidiger wenig damit anzufangen wussten und auch sofort ein Schwarm von Österreichern über sie herfiel.

Zudem gab man mit diesen Bällen dem unsicheren Torhüter Igor Shatsky die Möglichkeit, Fehler zu machen und Österreich holte auf diese Weise auch einen Eckball nach dem anderen heraus – alleine in der ersten Halbzeit waren es acht, am Ende des Spiels hieß die Eckenbilanz 14:3 für die Hausherren.

Es waren vielleicht nicht explizit absichtliche Ballverluste, um das Gegenpressing auszulösen, aber es ging schon deutlich in diese Richtung.

Leistung für die innere Hygiene

Das 1:0 durch Baumgartner fiel justament aus einer jener Situationen, in denen Kasachstan den Ball hinten gegen das scharfe österreichische Pressing nicht schnell genug und schon gar nicht kontrolliert nach vorne gebracht hat und den Gästen kam es überhaupt nicht gelegen, dass man eben nicht in Ruhe den Strafraum verbarrikadieren konnte. Kasachstan kam nie wirklich in die von Stanislav Tcherchessov gewünschte und etwa beim 0:0 gegen Norwegen und danach auch beim knappen 0:1 gegen Slowenien in anständiger Qualität gezeigte, eigene Spielweise.

Nach der Pause fielen auch die Tore, um innerhalb kürzester Zeit mit dem 2:0 und dem 3:0 alles klar zu machen, am Ende hieß es 4:0 und das war natürlich auch in der Höhe absolut korrekt. Dass man gegen Kasachstan gewinnen würde (und das auch muss), stand nie ernsthaft zur Debatte, es ging aber in der Tat mehr um das „Wie“ als um das „Was“. Gelingt es, wieder ein willigeres, aktiveres Gesicht zu zeigen als im September?

Die klare Antwort war „Ja!“ und damit versicherte man sich auch selbst, dass es kein grundsätzliches Problem war vor allem beim Spiel in Oslo, sondern eine mentale Blockade, entstanden aus den psychischen Nachwirkungen des zu frühen EM-Aus und den spezifischen Umständen des Spiels (Norwegens lange Bälle, die man nicht verteidigt bekam und das Doppelmühle-Spiel, das Sørloth und Ødegård mit Prass veranstalteten).

Das 5:1 gegen Norwegen

Der klare Sieg gegen Kasachstan war schön, aber es wurde auch deutlich, dass dieses Team das eindeutig schwächste der Gruppe ist. Wie soll man also gegen Norwegen jene Problemfelder umgehen, die in Oslo so schlagend wurden – sprich: Wie kann Österreich das eigene Spiel aufziehen, ohne Norwegen wieder ins offene Messer zu laufen?

Einer der größten Faktoren waren die Pressingauslöser. Es wurden die norwegischen Innenverteidiger vor allem dann mit Macht angelaufen, wenn sie mit dem Rücken zum Spielgeschehen standen – also nicht unmittelbar die Gefahr eines langen norwegischen Passes bestand. Wenn die Gäste es schafften, diese erste Welle zu überspielen – wie in der 6. Minute – hatten sie im Zentrum sofort Platz, was gleich mit einem Pfostenschuss von Håland bestraft wurde.

Oder – wenn doch ein langer Ball in Richtung des österreichischen Sechserraumes geflogen kam – verdichtete Österreich so rasch in dieser Zone, dass Norwegen eben nicht ungehindert die zweiten Bälle aufsammeln konnten. Dazu ging das ÖFB-Team wiederum früh durch Arnautovic in Führung, Baumgartner hatte ausnahmsweise zu viel Platz im norwegischen Zwischenlinienraum gehabt, konnte quasi ungehindert vor das Tor, ähnlich wie schon beim 1:0 gegen Kasachstan.

Österreich war danach sehr bemüht, die Kontrolle über das Spiel zu etablieren, indem Ballbesitzphasen ausgedehnt wurden – auch gegen das Anlaufen der Norweger. Im Zweifel mal ein Rückpass, jeder Ballführende hatte immer eine Exit-Option. Zwischen der 20. und der 25. Minute gab es eine Phase von 41 Pässen, nur von einem norwegischen Befreiungsschlag unterbrochen, die in einem Torschuss von Baumgartner mündete. Es folgte eine weitere Ballbesitzphase mit 27 Pässen. Zwischen 21:15 und 25:15 Minuten Spielzeit gab es nur drei norwegische Ballkontakte: der erwähnte Befreiungsschlag sowie danach Torhüter Nyland und Pedersen, der den Ball dann wegdrosch.

Norwegen mit untauglichen Mitteln

Norwegen machte den Zwischenlinienraum zu und verdichtete dort extrem, wenn Österreich da rein wollte. Da macht die Gestaltung zäh und zwang Österreich auf die Flügel – mit der Führung im Rücken hatte das ÖFB-Team aber keine Veranlassung, das mit aller Macht verhindern zu wollen. Zudem hatte Norwegen versucht, durch ein Hochschieben von Thorsby die österreichische Eröffnung zu behindern. Aber weil sich Seiwald (gegebenenfalls auch Laimer) zurückfallen ließ und Österreich so aus einer Dreierkette eröffnete, hatte das für Norwegen nicht den erhofften Effekt.

Der aus einem Freistoß resultierende 1:1-Ausgleich kurz vor der Pause – Pentz war auf der Linie geklebt – kam aus dem Nichts, sollte sich aber dank des reichlich ungeschickten Elfmeter-Fouls von Hanche-Olsen wenige Sekunden Beginn der zweiten Halbzeit nicht als nachhaltige Spaßbremse erweisen. Damit war Norwegen wieder gezwungen, selbst mehr zu tun, nun fiel das Fehlen von Martin Ødegaard so richtig ins Gewicht: Das Mittelfeld-Zentrum war kreativ tot, Linksaußen Nusa war vor der Pause kaum involviert und nach einer Stunde ausgewechselt; der wuchtige Ryerson hatte mit dem wuseligen Mwene große Probleme und Håland hing wie Sørloth in der Luft.

Österreich hingegen ging weiter drauf. Posch bedrängte nach einer Stunde Møller-Wolfe an der norwegischen Torlinie so sehr, dass letzterer einen Eckball hergab – der landete zum 3:1 im Netz. Wenig später behauptete der sehr fleißige Arnautovic, wie schon zuvor in vielen Situationen, von drei Norwegern bedrängt im Zehnerraum den Ball, erlaubte den Mitspielern das Aufrücken und er bediente Sabitzer, der schließlich das 4:1 assistierte.

Norwegen wusste nicht so recht, ob man das Ergebnis aufzuhübschen trachten sollte oder doch das 1:4 verwalten, und schon fing man sich aus einem Konter das 1:5. Vor allem Flanken aus dem Halbfeld auf die zweite Stange erwiesen sich als für Norwegen kaum zu verteidigen.

Wenn alles passt, ist es immer noch gut

Die norwegischen Medien übergossen ihr Team mit einer Lawine der Kritik. Knut Espen Svegaarden etwa, Beatwriter des norwegischen Teams für die größte Boulevard-Zeitung VG, sprach gar von der „katastrophalsten, peinlichsten Halbzeit Norwegens in meinen 40 Jahren als Sportjournalist“. Besonders bitter, weil Norwegen ja vor gerade mal einem Monat in Oslo auf Augenhöhe mit Österreich agiert habe und sogar gewonnen hat.

Aber war das da wirklich so? „Das sind wir“, betonte Marko Arnautovic nach dem 5:1 von Linz ins ORF-Mikro. Das in Oslo im September, das war nur ein Schatten des österreichischen Teams. Norwegen sah damals auf Augenhöhe aus, weil Österreich wirklich schlecht war, vermutlich das schlechteste Spiel der bisherigen Amtszeit von Ralf Rangnick abgeliefert hat. Das von Linz, das ist der tatsächliche Leistungsunterschied. Vielleicht nicht vier Tore, das war auch situationsabhängig. Aber spielt Österreich, was Österreich kann, kann Norwegen nicht mal hinschnuppern.

Die Art und Weise, wie Österreich diese beiden Spiele absolviert hat ist beruhigend. Die Ergebnisse sowieso. Aber, auch wenn ein 4:0 und ein 5:1 natürlich ein super Statement sind – hier ging es um das Selbstverständnis und um die Erkenntnis: Wenn die passende Strategie ordentlich umgesetzt wird, ist Österreich zu stark für die Gegner im B-Zug der Nations League. Wenn es aber nicht passt – der Gegner einen am falschen Fuß erwischt, das unglückliche EM-Aus noch im Hinterkopf ist, kein Druck ausgeübt wird – geht es eben auch gegen die Truppen aus dem B-Zug der Nations League schief.

Österreich hat den Gruppensieg nun in der eigenen Hand, Siege in Astana sowie in Wien gegen Slowenien reichen fix zum direkten Wiederaufstieg in die A-Gruppe. Spielt man so wie in den beiden Oktober-Matches, gelingt das. Spielt man so wie im September, eher nicht.

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/10/18/osterreich-norwegen-kasachstan-nations-league/feed/ 1 standard
Jürgen Klopp bei Red Bull, Österreich in der Nations League https://ballverliebt.eu/2024/10/09/juergen-klopp-bei-red-bull-oesterreich-in-der-nations-league/ https://ballverliebt.eu/2024/10/09/juergen-klopp-bei-red-bull-oesterreich-in-der-nations-league/#respond Wed, 09 Oct 2024 20:27:39 +0000 Jürgen Klopp ist ab Jänner 2025 bei Red Bull als neuer globaler Sportdirektor. Was ist davon zu halten? Und was erwarten wir uns von Österreich in der Nations League? Tom und Philipp diskutieren und urteilen.

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/10/09/juergen-klopp-bei-red-bull-oesterreich-in-der-nations-league/feed/ 0 standard
Abenteuer Kolumbien: Österreich bei der U-20-WM https://ballverliebt.eu/2024/09/20/osterreich-u20-wm-kolumbien-frauen-2024/ https://ballverliebt.eu/2024/09/20/osterreich-u20-wm-kolumbien-frauen-2024/#respond Fri, 20 Sep 2024 14:32:28 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20188 Abenteuer Kolumbien: Österreich bei der U-20-WM weiterlesen ]]> Der Zug, der Zug, der Zug hat keine Bremsen? Naja, irgendwann ist man nach einigen Party-Polonaisen durch die Katakomben mit dem Mallorca-Hit aus der Boombox doch auf eine Truppe geprallt, die besser war. Nicht nur ein bisschen, die U-20-Mädels waren in ihrem WM-Achtelfinale gegen den späteren Weltmeister Nordkorea schon einigermaßen mittellos, vor allem in Unterzahl und Rückstand. Nur: Wir reden hier von einem WM-Achtelfinale. Noch nie hatte ein österreichisches Frauen-Team überhaupt bei einer WM spielen können.

Als U-17 haben sie ihre komplette EM samt Qualifikation an Corona verloren. Als U-19 dann: Siege gegen England, Deutschland, Italien, den späteren WM-Halbfinalisten Niederlande. Und als U-20 gab es das 6:0 im Playoff gegen Island sowie Erfolge gegen Ghana und Neuseeland bei der WM selbst.

They’ve come a long way. Wie viele von ihnen den nächsten Schritt schaffen werden?

Rückblende

8. Oktober 2020, ein Donnerstag: Österreichs Männer gewinnen einen Test gegen Griechenland 2:1, die Corona-Kommission erhöht die Zahl der auf der Corona-Ampel auf orange gestellten Bezirke auf 33 – und die 2004er, der neue U-17-Jahrgang der ÖFB-Frauen, absolvieren ihr erstes Spiel. Ein Test in Au in der Schweiz, kaum mehr als einen Kilometer von Lustenau entfernt gleich hinter der Grenze, 1:2 verloren. Coronabedingt sollte es das einzige offizielle Match dieses Teams bleiben.

12. September 2024, wieder ein Donnerstag: Österreich rüstet sich in der Aussicht auf anhaltenden Starkregen für das zu befürchtende Hochwasser, Formel-1-Designer Adrian Newey macht seinen Wechsel zu Aston Martin offiziell. Und die 2004er, mittlerweile der U-20-Jahrgang der ÖFB-Frauen, spielen nicht in der Vorarlberger Nachbarschaft, sondern am anderen Ende der Welt, in Kolumbien. Es ist das WM-Achtelfinale, es geht gegen Nordkorea verloren.

Wobei, was heißt „2004er“? Nur neun der 21 Spielerinnen im Kader sind tatsächlich im Jahr 2004 geboren. Bei sieben von ihnen steht 2005 auf der Geburtsurkunde, bei vier 2006 und bei Greta Spinn sogar 2007. Als die Burschen damals in Kanada ins WM-Halbfinale gekommen sind, lag die fünf Monate alte Greta in einem Bettchen in Steinach am Brenner und hatte noch keine Ahnung davon, was ein Fußball überhaupt ist. „Wir können nicht mit Spielerinnen aus einem Geburtsjahrgang ein ganzes, auf diesem Niveau konkurrenzfähiges Team aufstellen. Dafür fehlt einfach die Breite“, erklärt Teamchef Markus Hackl – Irene Fuhrmanns Co-Trainer hat das Team im Sommer kurzfristig übernommen.

2:1 gegen Ghana

Die Höhenlage war ein Thema, der Jet-Lag auch, ebenso wie das für Verdauungsprobleme sorgende kolumbianische Wasser – dagegen konnte auch der mitgebrachte Koch Roland Trappmeier nichts ausrichten. Es gab ein 1:0 in einem Test gegen Venezuela, ebenfalls WM-Teilnehmer, danach war man ob der 2.500 Meter Seehöhe schon einigermaßen kaputt. „Es war wichtig, eine ganze Woche vor dem ersten Spiel vor Ort zu sein, um uns zu akklimatisieren“, so Hackl, „aber es ist klar: Da kannst nicht 90 Minuten lang marschieren. Du musst dir im Spiel deine Ruhepausen nehmen.“

Auftaktgegner war Ghana, unterfordert qualifiziert gegen Guinea-Bissau, Eswatini und Senegal und dem ÖFB stand kaum brauchbares Video-Material zur Verfügung, um wirklich zu wissen, was auf einen zukommt. Auf dem Feld in Bogotá stand dann zunächst ein Gegner, der Abstand hielt, Räume hergab und vom gut strukturierten Angriffs- und Gegenpressing der jungen Österreicherinnen komplett überfordert war. Nach einer halben Stunde führte Österreich 1:0 durch Hannah Fankhauser, es hätte auch schon 3:0 stehen können.

Dann verstand Ghana, dass man Österreich einschüchtern kann, wenn man körperlich reingeht, und das tat Ghana dann auch – durchaus fies zuweilen. Die ÖFB-Juniorinnen stellten Versuche, hinten rauszuspielen, komplett ein, bekamen aber keine Ruhe und keine Kontrolle mehr in das Spiel, Mariella El Sherif musste mehrmals eingreifen. Nach 70 Minuten verwertete Nicole Ojukwu einen Elfmeter zum 2:0, es blieb aber eine Zitterei. Von Zehnerin Stella Nyamekye angetrieben, drängte Ghana, kam in der Nachspielzeit noch zum Anschlusstreffer, aber Österreich brachte den knappen Sieg drüber.

Ghanas Trainer Yusif Barsigi stöhnte danach, man habe die erste halbe Stunde verschlafen und dann die Chancen für einen verdienten Punkt nicht genützt, und man kann ihm nicht widersprechen. In Österreich war dafür die Erleichterung groß, weil man wusste: Jetzt kann mit dem erklärten Ziel Achtelfinale eigentlich nicht mehr viel schief gehen.

Wie ein Vereinsteam

Schon unter Hackls Vorgänger Hannes Spilka, der im Juli nach offenkundig gravierenden internen Vorkommnissen vom Posten entfernt worden war, war die Spielweise des Teams sehr österreichisch gewesen. Das heißt: Scharfes Angriffspressing, durchdachte Struktur hinter der ersten Welle, über Jahre hinweg eingedrillt. Wie Rangnicks Herren bei der EM spielen auch die ÖFB-Juniorinnen praktisch wie ein Vereinsteam, weil man in der Akademie in St. Pölten über Jahre hinweg täglich miteinander trainiert.

Im allerersten Testspiel als U-19 hat dieses Team auswärts in England gewonnen. Zugegeben, von diesem englischen Jahrgang haben es seither nur drei zu regelmäßigen WSL-Einsätzen gebracht (Man-City-Torhüterin Keating, Liverpool-Talent Parry und Layzell, die mit Bristol abgestiegen ist) und von den dreien war nur Layzell hier mit dabei, es entpuppte sich also nicht gerade als Super-Jahrgang und die jungen Lionesses scheiterten dann in der EM-Quali auch deutlich gegen Spanien. Aber ein Sieg in England ist ein Sieg in England.

Das Überstehen der ersten Quali-Phase ist für Österreich stets eine Formsache, in der Eliterunde braucht es für das EM-Ticket aber den Gruppensieg. Nach lockeren Siegen gegen Bosnien und Griechenland brauchte es gegen Italien, Gruppenkopf und Gastgeber des Mini-Turniers, zumindest einen Punkt. Nach knapp einer Stunde rammte Ojukwu einen 35-Meter-Schuss zum 1:0 ins Tor, in der 80. Minute machte Aistleitner den Deckel drauf, Italien schaffte nur noch den Anschlusstreffer – genau wie Ghana beim WM-Auftakt anderthalb Jahre später.

3:1 gegen Neuseeland

Die Ferns hatten ihr Auftaktspiel gegen Japan mit 0:7 verloren und auch gegen das aggressive Anlaufen von Österreich war Neuseeland zunächst überfordert. Es gelang Österreich zwar nicht, nach den hohen Ballgewinnen direkt zu gefährlichen Abschlüssen zu kommen, aber auch die im Angriffsdrittel provozierten Freistöße reichten völlig aus. Vienna-Verteidigerin Sarah Gutmann hielt zweimal den Kopf hin und nach einer Viertelstunde stand es 2:0 für Österreich.

Wenn es leicht geht und der Gegner es erlaubt, wird schon versucht, auch kontrolliert von hinten heraus zu spielen. Zumeist war aber der lange Ball von der Innenverteidigung auf die Mittelfeld-Außen zu sehen, um die Kugel entweder selbst festzumachen oder auf den zweiten Ball zu pressen. Das ähnelte sehr der Spielweise, mit der Japan bei der WM 2011 viele Gegner vor große Schwierigkeiten stellte und letztlich Weltmeister wurde. Minus natürlich der Stärke im Passspiel.

Neuseeland stellte dann wie Ghana vermehrt den Körper rein, Österreich reagierte mit noch mehr langen Bällen und Zweikämpfen. Schön war das Spiel nicht und Neuseeland bekam kurz vor der Halbzeit sogar per Elfmeter die Chance, das Spiel wieder aufzumachen, aber El Sherif parierte gegen Pijnenberg. Halb durch die zweite Halbzeit bekamen die ÖFB-Juniorinnen einen Konter mal schön strukturiert durch das Zentrum nach vorne gespielt, schon schlug es ein, 3:0 durch Mädl. Der Ehrentreffer durch Milly Clegg, die schon bei Olympia als Joker bei Neuseelands A-Team dabei gewesen ist, war nur noch Ergebniskosmetik.

Herausspielen? Eher vermeiden

Eine auffällige Eigenheit war eben, dass es möglichst vermieden wurde, aus der Abwehr heraus zu spielen. Rukavina und Ojukwu im Mittelfeld-Zentrum waren primär Abfangjäger vor der Abwehr, weniger kreative Elemente, obwohl zumindest Ojukwu das durchaus könnte. Warum? Das Zauberwort heißt Risikominimierung. Grundsätzlich hat man auch unter Spilka schon eher auf Angriffspressing gesetzt als auf kontrollierten Aufbau, dennoch war dieser schon mehr als in Spurenelementen zu sehen gewesen. Doch dann kam der Auftakt zur U-19-EM vor einem Jahr.

Schon in der ersten Quali-Phase im Herbst 2022 war man auf Deutschland getroffen, ging dort nach einer halben Minute in Führung und konnte sich dann aufs Halten verlegen, 2:1 gewinnen. Bei der EM in Belgien aber lief man nach starken ersten 20 Minuten erst ins 0:1 und dann, kaum eine Minute später, landete ein Aufbaupass von Lainie Fuchs genau bei der Gegenspielerin, zack, 0:2. Kurz darauf eine ähnliche Situation, beinahe das 0:3 – die Österreicherinnen waren mental durch, bis zur Halbzeit hatten sie vier Gegentore gefangen, am Ende hieß es 0:6.

„Die Devise war, sehr einfach zu spielen, um zu verhindern, dass wir uns mit Fehlpässen im Verteidigungsdrittel selbst in Schwierigkeiten bringen“, erklärt Hackl.

0:2 gegen Japan

Vor dem letzten Gruppenspiel ging es sowohl für Japan als auch für Österreich, die eben beide ihre ersten zwei Spiele gewonnen hatten und damit schon fix im Achtelfinale waren, nur noch um die Platzierung. Beide Trainer wechselten ihre Teams kräftig durch, Michihisa Kano hatte nur fünf Stammkräfte aus den ersten beiden Spielen auf dem Feld, Markus Hackl tauschte auch viermal.

„Ich habe in diesem Altersbereich selten ein Team gesehen, dass dermaßen ballsicher ist“, war Hackl von Japan beeindruckt. Japan ging es ohne den letzten Punch an, erlaubte Österreich in den ersten 20 Minuten sogar eine ausgeglichene Ballbesitz-Bilanz, aber Japan war natürlich mit der Kugel wesentlich produktiver und zielgerichteter als Österreich. Wann immer die Japanerinnen das Tempo anzogen und ein paar schnelle Pässe aneinander reihten, brannte es. Mariella El Sherif musste einige Male in höchster Not eingreifen, am Ende gewann Japan mit 2:0. „Man verliert nie gerne“, brummte Isabell Schneiderbauer danach, die aber auch betonte, wie wendig die Gegenspielerinnen waren.

Japan ließ Erfolge gegen Nigeria, Titelverteidiger Spanien und das letzte verbliebene europäische Team aus den Niederlanden folgen, erreichte Finale. Hackl sagt klar: „Japan ist fußballerisch das mit Abstand beste Team bei diesem Turnier!“

Die Sache mit der Challenge beim VAR

Bei Diskussionen um den VAR wird immer wieder der Vorschlag ins Feld geführt, man sollte doch den Trainern die Möglichkeit geben, eine Entscheidung zu challengen – ähnlich wie wenn ein NFL-Trainer den Referees das rote Tuch vor die Füße wirft. Bei dieser U-20-WM der Frauen wurde das tatsächlich probiert: Jeder Teamchef hatte zweimal im Match die Möglichkeit, eine Entscheidung überprüfen zu lassen. Der Elfmeter, der Österreich gegen Ghana das 2:0 ermöglicht hat, ist über genau so eine Intervention von Markus Hackl erst zugesprochen worden.

„Ich find’s grundsätzlich eine gute Idee“, bilanziert Hackl, der auch mit der einen oder anderen Challenge abgeblitzt ist, das gehört dazu. Er schränkt aber ein: „Die Kommunikation muss besser werden!“ Zum einen für TV-Zuseher, denn sehr oft – wenn es sich nicht um eine klare Sache handelt – hat man nicht wirklich eine Ahnung, was gerade passiert.

Dummerweise schien das zum anderen auch auf Referees und Trainer zuzutreffen, bei einigen Schiedsrichterinnen fehlte es zudem einfach am fließenden Englisch – ein Armutszeugnis eigentlich, auf diesem Niveau. So wollte Hackl im Achtelfinale beim 1:3 überprüfen lassen, ob beim nordkoreanischen Freistoß alles korrekt war („Aus unserer Sicht stand die Koreanerin, die beim Freistoß angespielt wurde, direkt bei unserer Mauer, sie hätte aber einen Meter Abstand haben müssen – für uns war das Tor irregulär!“).

Die chilenische Unparteiische bzw. ihre Assistentin haben aber nicht verstanden, was Hackl ihnen sagen will, und überprüften nur auf Abseits. Das war es nicht, das hat aber auch keiner behauptet.

2:5 gegen Nordkorea

Der nordkoreanische Trainer Ri Song-Ho wollte derweil das zwischenzeitliche österreichische Tor zum 1:1 überprüfen lassen, das nach einem Freistoß gefallen war. Minutenlang diskutierte er via seiner Dolmetscherin mit der vierten Offiziellen. Warum, blieb für den TV-Zuseher auch hier im Dunklen. Hackl klärt auf: „Er wollte das Foul zum Freistoß überprüfen lassen, nachdem wir das Tor gemacht haben.“ Erstens war das aber natürlich zu spät und zweitens ist ein Freistoß schon mal grundsätzlich nicht überprüfbar, selbst wenn man rechtzeitig reklamiert hätte.

Beide Szenen waren aber eher Randnotizen, weil Nordkorea einfach zu gut war. Einmal kurz die Hüfte gedreht, schon lief das österreichische Pressing ins Leere. Schnell im Kopf, schnell in den Beinen, perfekt aufeinander eingestellt – so wie Nordkorea in besten Zeiten halt spielt, und traditionell ist Nordkorea eine absolut nennenswerte Frauenfußball-Nation. Gleich nach drei Minuten ließ sich Österreich von einem kurz abgespielten Eckball überrumpeln, es gelang rasch der Ausgleich, dann beging Nicole Ojukwu eine Dummheit.

Nach einem taktischen Foul – das sie nehmen hatte müssen – wollte sie in Richtung Ball laufen, die Schiedsrichterin stand im Weg, Ojukwu schubste sie ein wenig zur Seite. Dione Rissios war davon nicht begeistert, pfiff energisch und hielt Ojukwu ihre zweite gelbe Karte unter die Nase. Durch den neu zu organisierenden Sechserraum bereitete Nordkorea wenig später das 2:1 vor, nach dem Seitenwechsel folgte das 3:1 aus jenem kurz abgespielten Freistoß, den Hackl vergeblich an den VAR schicken wollte.

Eine koreanische Verteidigerin verlängerte wenig später einen eigentlich harmlosen 45-Meter-Freistoß ins eigene Tor, aber dennoch: In Unterzahl und mit Rückstand war für ein österreichisches Team, das schon zuvor nur mit größter Mühe irgendwie drangeblieben war, nichts mehr zu machen. Ein Solo von Chae Un-Young sorgte für das 4:2, ehe sich Gutmann in der Nachspielzeit von der eingewechselten Park Mi-Ryong düpieren ließ.

Nach dem 5:2 gegen Österreich gewann Nordkorea noch 1:0 gegen Brasilien und dann im Halbfinale auch 1:0 gegen das US-Team und im Endspiel 1:0 gegene mit Japan. Österreich hat zwei Spiele bei dieser WM verloren. Genau gegen die beiden Finalisten.

Wer ist Österreich?

Es ist die erste WM-Teilnahme auf jeglicher Ebene für ein österreichisches Frauen-Team überhaupt gewesen. Ja, man hat „nur“ auf dem Umweg Playoff, mit dem 6:0 gegen Island, das Ticket gelöst und die Chance hat sich auch nur deshalb ergeben, weil die FIFA das Turnier vor zehn Monaten kurzfristig von 16 auf 24 Teilnehmer erweitert und sich damit ein fünfter Startplatz für Europa ergeben hat. Nur, eben: Fünf. Das war ein verdammt enger Flaschenhals und Frauenfußball-Großmächte wie Schweden oder England, aber auch Dänemark haben es eben nicht geschafft.

Die andere Seite ist natürlich: Wenn man schon einen der wenigen europäischen Startplätze hat, ist ein Einzug ins Achtelfinale natürlich Pflicht. Das hat Österreich souverän geschafft. Und wer sind diese österreichischen Spielerinnen nun?

Torhüterin Mariella El Sherif aus Hartberg, im Sommer von Sturm Graz zum deutschen Aufsteiger Jena gewechselt, ist extrem sprungstark, ist sehr gut mit dem Ball am Fuß und hat starke Reflexe, ist aber für eine Torhüterin ziemlich klein. Nicole Ojukwu, einst von Nina Burger zur Vienna geholt, hat im Mittelfeld-Zentrum ein unglaubliches Gespür für die Situation, kann ein Spiel lesen, räumt defensiv viel auf, kann gut anpressen und ihre Standards sind gefürchtet. Sie ist aber nicht besonders schnell und sie wird in Freiburg nun ein wenig an körperlicher Robustheit zulegen müssen. Valentina Mädl, schlacksige Stürmerin aus Mönchhof, kommt beim SKN St. Pölten eher von der Seite, viel Talent, aber zuletzt auch einige Verletzungen. Die drei sind mal die ersten Kandidaten auf einen A-Einsatz in nicht allzu ferner Zukunft.

Maggy Rukavina führt im Zentrum die wichtigen Zweikämpfe und gibt den Ball unspektakulär ab, ein wenig wie früher Julian Baumgartlinger. Chiara D’Angelo, in Abwesenheit von Lainie Fuchs Kapitänin, hat sich ein Jahr in Hoffenheim versucht, es hat nicht funktioniert, ist nun zum SKN gegangen. Sie hat trotz gesundheitlicher Probleme im Vorfeld ein gutes Turnier gemacht und hat ein paar Tage nach der Rückkehr beim 3:0 im Europacup-Playoff für den SKN gegen Mura Murska Sobota eine Stunde gespielt; ihre jüngere Schwester Theresa ist im neuen U-19-Jahrgang dran. Die Schwestern Laura und Greta Spinn sind nun beide beim Red-Bull-Kooperationsklub Bergheim, gerade bei Greta muss man die Entwicklung noch abwarten.

Tatjana Weiß, eher Typ Kante, hat die Leitung in der Abwehr von Fuchs übernommen. Jovana Cavic hat ein gutes Gespür für das Rausrücken, aber wohl ein bisschen zu wenig Körper. Isabell Schneiderbauer spielt, wenn es was Abzuräumen gibt und Sarah Gutmann hat sich mit einer ansprechenden Saison bei Vizemeister Vienna noch einen Platz im Zug ohne Bremsen gesichert. So ehrlich muss man aber sein, die Abwehr und der erste Pass gehören auf diesem Level nicht zu den Prunkstücken dieses Teams.

Eines Teams, dem auch einige gefehlt haben, die in den letzten zwei Jahren eine große Rolle gespielt haben. Die Wienerin Lainie Fuchs natürlich, Kapitänin und Abwehrchefin, die sich nach ihrer Rückkehr aus der US-College-Liga im Winter das Kreuzband gerissen hat. Stürmerin Isabel Aistleitner aus Marchtrenk, die normalerweise immer zentral vorne gespielt hat, auch verletzt. Wie Linda Natter aus Mellau, riesiges Jahr 2023 für Altach an der Seite von Eileen Campbell gespielt, dann auch Kreuzbandriss. Amelie Roduner, Pressingmaschine aus dem Montafon, deren unermüdliches Anlaufen gegen Holland bei der U-19-EM einen großen Beitrag zum 1:0-Sieg geleistet hat – auch sie hat weite Teile der letzten Saison in der 2. Mannschaft von Bayern München verletzungsbedingt verpasst.

Wie weit sind die Spielerinnen?

Als Dominik Thalhammer 2011 übernahm, waren Schnaderbeck und Wenninger 20 Jahre alt, Makas war 19, Feiersinger, Zadrazil und Puntigam waren 18, Hanshaw (damals noch Aschauer) und Kirchberger erst 17 – Nina Burger, die älteste der Generation, die zusammen wachsen sollte, war 24 Jahre alt. Die Truppe, die damals Dänemark besiegte und bis ins EM-Playoff gegen Russland kam, war also im Grunde eine frisierte U-20, die halt auf „echte“, sprich ältere, Nationalteams losgelassen worden ist. Die paar, die so im Alter von Burger waren – Marlies Hanschitz, Susi Höller, Marion Gröbner – waren ab 2013 nicht mehr dabei.

Die aktuelle U-20 wird seit fünf Jahren in der Akademie körperlich und taktisch auf den Fußball der Großen vorbereitet. Es ist natürlich ein Äpfel-Birnen-Vergleich, weil die ganze Frauenfußball-Welt in den letzten 15 Jahren dramatische Entwicklungsschritte genommen hat, aber: Ist diese Truppe also nicht eigentlich schon weiter als es die Aufbau-Generation Anfang der 10er-Jahre mit dem gleichen Alter war?

Das muss man differenziert beurteilen, sagt Viktoria Schnaderbeck: „Wir sind damals früh, mit 16 oder 17 Jahren, ins Ausland gegangen, haben große Veränderungen auf uns genommen und in ganz jungen Jahren schon deutsche Bundesliga gespielt. Gerade was die persönliche Reife angeht, war das sicher eine ganz andere Liga als jetzt.“ Die Etablierung der 2011 gestarteten ÖFB-Akademie war ein Meilenstein, der für die damals jungen Mädchen zu spät kam.

Denn die andere Seite ist: „Die Mädels jetzt haben Akademie, dadurch schon ganz jung einen anderen Bezug zu Taktik und Fitness, haben Athletiktrainer, viel bessere trainingswissenschaftliche Gegebenheiten. Das mussten wir uns damals nach bestem Wissen und Gewissen selbst erarbeiten“, so Schnaderbeck, die sich erinnert: „Vor 2011 mit Ernst Weber, da war sportlich und von den Bedingungen, von der Professionalität, eine andere Liga wie danach bei Thalhammer. Der hat 2011 erstmal anfangen müssen: Was heißt kompakt sein, im Verbund arbeiten, defensiv stabil sein. Da ist sicher vom taktischen Wissen, physischen Wissen, trainingswissenschaftlichen Gegebenheiten, jetzt viel mehr da als damals, als wir in dem Alter waren.“

Nicht viel liegen gelassen

Andere Teams sehen solche Turniere auch als Bühne für die zwei, drei echten Kandidaten auf eine große Karriere – etwa Ally Sentnor bei den USA, die schon ihre zweite U-20-WM gespielt hat, Priscila bei Brasilien, oder Olivia Smith bei Kanada. Bei der letzten WM vor zwei Jahren glänzten Salma Paralluelo und Olivia Moultrie, 2018 Aitana Bonmatí und Georgia Stanway und Hinata Miyazawa. Dieses österreichische Team ist hingegen tatsächlich ein Team, es ist mehr als die Summe seiner Einzelteile.

Das ist gut, weil so möglich war, Defizite in der individuellen Qualität durch taktische Geschlossenheit auszugleichen. Das heißt aber andererseits, dass eben jene individuelle Qualität, die für den nächsten, entscheidenden Schritt in den Erwachsenenfußball benötigt wird, womöglich fehlt. Von den 2007er-Burschen, die in Kanada ins Halbfinale gekommen sind, haben ungewöhnlich viele den Durchbruch geschafft: Prödl und Harnik, Junuzovic und Kavlak vor allem aber auch Suttner und Okotie, Hoffer, Madl und Lukse haben A-Einsätze vorzuweisen.

Ob auch bei den 2024er-Mädels neun künftige A-Nationalspielerinnen dabei sind? Machen wir mal ein Fragezeichen dahinter. Fix ist dafür, dass der ÖFB mit diesem Jahrgang das Maximum herausgeholt hat. Von den 14 Pflichtspielen war nur ein einziges dabei, wo man ein potenziell mögliches bessere Resultat liegen gelassen hat – das war das 3:3 bei der EM im letzten Gruppenspiel gegen Belgien. Und selbst da hätte ein Sieg nicht mehr zum Halbfinal-Einzug gereicht, weil das Parallelspiel ein für Österreich ungünstiges Ergebnis gebracht hat. Allenfalls noch das 1:1 in der Qualifikation gegen die Ukraine, das änderte aber nichts am Gruppensieg.

Einige Testspiele gingen resultatsmäßig daneben (gegen Dänemark, Portugal, Finnland, zweimal gegen Brasilien, dazu nur 0:0 gegen Marokko), aber wenn es in Pflichtspielen wichtig war, war das Team da. „Das 0:6 wird schon morgen beim Frühstück abgehakt sein“, war Spilka nach dem Debakel zum EM-Auftakt überzeugt. Er sollte recht behalten: Es folgte das 1:0 gegen die Niederlande, Tor von Mädl nach Eckball, bei dem natürlich auch Glück dabei war. Und natürlich war die Truppe bei der 6:0-Verprügelung von Island, dem anderen EM-Gruppendritten, im Entscheidungsspiel um die WM-Teilnahme sowas von bereit.

Und jetzt?

Die 2004 geborenen Spielerinnen müssen sich jetzt im Erwachsenenfußball etablieren. El Sherif ist schon nach Deutschland gegangen, D’Angelo ist wieder zurück gekommen. Bei Weiß und Holl (Neulengbach) Schneiderbauer, Cavic und Seidl (alle Vienna) könnte das ein zu großer Schritt sein, ihre Klubkolleginnen Natter (eine 2005er) und Fuchs sowie die von der Vienna zum SKN gewechselte Aistleitner müssen erstmal ihre Knie auskurieren. Wirnsberger ist seit längerem Stammkraft bei Sturm Graz, Keutz ist das noch nicht.

Für die 2005 geborenen Spielerinnen geht es darum, sich jetzt für einen Wechsel ins Ausland zu positionieren. Mädl (St. Pölten) wird das, Verletzungsfreiheit vorausgesetzt, hinbekommen. Rukavina ist im Vienna-Zentrum Nachfolgerin der nach Deutschland transferierten Ojukwu, das könnte gut passen. Die Torhüterinnen Rusek (Neulengbach) und Schönwetter (Back-up bei der Vienna) haben vermutlich weniger Chancen, ins Ausland zu kommen, als die gleichaltrige Austria-Keeperin Larissa Haidner, der ihr Handgelenk ein Jahr gekostet hat. Purtscher kämpft um regelmäßige Einsätze bei Altach, Laura Spinn ist quasi der Premium-Zugang von Bergheim mit Blick auf eine Red-Bull-Zukunft. Sie haben die U-19-EM in diesem Jahr durch einen unnötigen Selbstfaller gegen Irland in der Qualifikation versenkt.

Die 2006er können ihre WM-Erfahrungen in den neuen U-19-Jahrgang mitnehmen. Fankhauser (Vienna) ist praktisch aus dem Nichts zur WM-Stammkraft geworden, ebenso Gutmann (ebenfalls Vienna). Sisic geht in der Rasselbande von Kleinmünchen/Blau-Weiß Linz schon als Routinier durch und Ziletkina, die im letzten Jahr ihren Körper ordentlich aufmagaziniert hat, wird im Austria-Angriff ihre Chancen bekommen.

Und Greta Spinn, die letzte Saison noch U-17 gespielt hat, darf man durchaus als Indikator betrachten, was bei Red Bull passiert. Sie ist wie ihre Altersgenossinnen Valentina Illinger (die auch schon im WM-Großkader war und den Cut knapp nicht geschafft hat, Stürmerin im Team und Linksverteidigerin beim Verein) und Tina Krassnig diese Saison neu beim Salzburger Klub. „Und man erkennt in Bergheim auch schon deutlich die taktische Handschrift von Red Bull, mehr als noch letzte Saison“, bestätigt Hackl.

Der 2006er-Jahrgang gilt von der Breite her als ziemlich dünn. Wie sieht es mit den kommenden aus, Trainer? „Der 2007er ist nicht viel stärker“, sagt Hackl, der nun permanent die U-19-Teams trainieren wird, „aber der 2008er schon, von der Quantität der vielversprechenden Spielerinnen.“ Das kann durchaus schon der Einfluss von Red Bull sein.

Anmerkung: In der ersten Version dieses Artikels stand Nordkorea als „Finalist“. Nach dem Endspiel und dem 1:0-Sieg Nordkoreas gegen Japan wurden die entsprechenden Stellen gemäß des Ausgangs des Finales adaptiert

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/09/20/osterreich-u20-wm-kolumbien-frauen-2024/feed/ 0 standard
Fehlstart in die Nations League: Warnschuss beim Erwartungs-Management https://ballverliebt.eu/2024/09/12/fehlstart-nations-league-osterreich-slowenien-norwegen/ https://ballverliebt.eu/2024/09/12/fehlstart-nations-league-osterreich-slowenien-norwegen/#comments Thu, 12 Sep 2024 05:48:30 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20474 Fehlstart in die Nations League: Warnschuss beim Erwartungs-Management weiterlesen ]]> Ein eher unglückliches 1:2 gegen die Türkei hat die EM früher als nötig beendet. Grundsätzlich war die EM okay, doch der Start in die Nations League ging völlig in die Hose, man kann’s schon als Blamage werten. Aber immerhin: Nach dem 1:4 gegen Georgen hat Tschechien durch einen 3:2-Sieg über die Ukraine die Kurve noch bekommen, wie es scheint.

Zugegeben, das war jetzt ein eher plumper Kunstgriff zum Einstieg. Die reinen Resultate sagen nicht immer alles aus. „Der Optimismus ist gekommen, um zu bleiben“, hieß es an dieser Stelle nach Österreichs knappen Achtelfinal-Aus gegen die Türkei, und: „Anders als in der Vergangenheit passen Zielsetzung und Leistungen nun tatsächlich zueinander“, weswegen „der bei Niederlagen in großen Spielen sonst immer einsetzende typisch österreichische Fundamental-Fatalismus längst nicht so ausgeprägt ist“, wie man das von früher kennt.

Und nun fängt die Post-EM-Zeit mit einem 1:1 in Slowenien und einer 1:2-Niederlage in Norwegen an. Und in beiden Spielen wäre ein Sieg auch nicht verdient gewesen. Resultate sagen nicht immer alles aus, nein. Aber besser als die Resultate waren die Leistungen Österreichs ja auch nicht.

Ganz andere Spiele als bei der EM

Wie wichtig ist diese Nations League für Österreich? Sportlich gesehen: nicht besonders. Natürlich sollte man aus einer Gruppe mit Slowenien, Norwegen und Kasachstan als Stärkster hervorgehen, aber selbst wenn nicht: Auch als Zweiter spielt man Aufstiegs-Playoff und wenn man in der B-Liga bleibt, macht das in Wahrheit auch keinen echten Unterschied.

Sehr wohl wichtig ist dieser Herbst aber, was das Erwartungs-Management angeht. Es ist kein Geheimnis, dass Österreich seine größten Schwächen gegen Mittelklasse-Teams hat, die dem ÖFB-Team die Bürde der Spielgestaltung überlassen – vor allem, wenn Österreich nicht früh in Führung geht. Vor diesem Nations-League-Start ist die Mannschaft in nur zwei der acht Spiele im Jahr 2024 nicht innerhalb der ersten Minuten nach Anpfiff in Führung gegangen. Beide Spiele, gegen Frankreich und die Türkei, wurden verloren.

Was mit „Erwartungs-Management“ gemeint ist? Nun: Spielt man so wie Österreich unter Rangnick, mutig und nach vorne verteidigend, sind das die Zutaten für kompetitive Matches gegen starke Kontrahenten – siehe Niederlande, Frankreich, Deutschland, Italien. Verweigert der Gegner aber einen eigenen Aufbau, wird es schwierig. Siehe Polen, siehe Türkei, siehe Slowenien. In diesem Herbst stehen praktisch nur solche Spiele an.

Das 1:1 in Ljubljana

Das Ziel ist, die vor und bei der EM entstandene Euphorie mitzunehmen in diesen Herbst und darüber hinaus. Die Kunst ist, umzuschalten: Vom Pressing-Fußball, den die Gegner nicht zulassen, auf einen Aufbau-Fußball, den Österreich einfach nicht besonders gut kann.

Das Angriffspressing ist zudem nicht immer sinnvoll anwendbar. Slowenien, im gewohnten 4-4-2, kann solche Situationen ideal auflösen, weil einfach der lange Ball auf den schnellen Stürmer Benjamin Šeško kommt. Das ist von Haus aus der Einser-Move, da braucht man die Slowenen – bei der EM ohne Niederlage im Elfmeterschießen des Achtelfinales gescheitert – nicht auch noch dazu einladen, so wohl der Gedankengang.

Also gab es ein solches Anlaufen der slowenischen Innenverteidigung auch nicht und darum sah das österreichische Spiel auch so statisch, so passiv aus. Rangnick drehte sein Mittelfeld-Zentrum um, ließ ein 4-1-4-1 spielen, womit Laimer und Sabitzer direkt auf Gnezda-Čerin und Elšnik standen, die beiden slowenischen Sechser schnell scharf anlaufen lassend. In der Theorie.

In der Praxis nämlich drehten die Slowenen den Spieß um, agierten sehr mannorientiert. Sie rissen ihren Block dadurch Löcher, welche die Österreicher aber nicht fanden. In den ersten 20 Minuten war der Ballbesitz tatsächlich bei 50:50 ausgeglichen. Erst nach dem Ausgleich – Laimer ist seinem Bewacher entwischt und Mwene hat einen super Pass in den freien Raum gespielt – etablierte Österreich den Ballbesitz. In der restlichen Spielzeit sollte er über 70 Prozent betragen, insgesamt waren es am Ende 61 Prozent.

Die Slowenen verstanden es jedoch weiterhin sehr gut, die Österreicher im Mittelfeld zu hetzen und eben nicht – wie es gegen die Türkei möglich war – in aller Seelenruhe den Ball hin und her zu schieben, auf dass sich eine Lücke auftun möge. Die Slowenen gaben diese zwar her, gleichzeitig verhinderten sie durch ihre mannorientierte Spielweise, dass die Österreicher diese auch bespielen konnten – weil auch die Laufwege dort hinein nicht genommen wurden.

Die Folge war, dass sich auch nach der Pause nie ein echter Spielfluss entwickeln konnte, kaum zielgerichtete Angriffsaktionen. Die Punkteteilung entsprach durchaus den gezeigten Leistungen.

Das 1:2 in Oslo

Norwegen hat höhere individuelle Qualität als Slowenien, hat aber in der jüngeren Vergangenheit nicht als Team funktioniert, schon gar nicht als kreatives – erstaunlich, hat man doch einen Martin Ødegård in seinen Reihen. Der Plan gegen ein Norwegen im gewohnten, statischen 4-1-4-1 wäre wohl recht simpel gewesen: Gib Ødegård einen Kettenhund (Seiwald etwa), lenke die norwegischen Angriffe auf die Außen und verzettle sie in Zweikämpfen. So hat es Kasachstan gemacht und ein 0:0 runterverteidigt.

Gegen Österreich hat es Ståle Solbakken aber anders angelegt. Er stellte ein 4-4-2 auf, in dem Ødegård nicht auf der Acht, sondern auf der rechten Seite spielte – und zwar nicht entlang der Linie, sondern halb eingerückt. Dafür wich der zweite Stürmer Sørloth, normalerweise im Team links außen daheim, immer wieder auf diese Seite aus. Damit nahmen die beiden Alexander Prass in die Doppelmühle und der Neo-Hoffenheim-Legionär zeigte rasch Wirkung.

Prass in der Doppelmühle, Seiwald hängt in der Luft

Er produzierte Fehlpässe und wusste oft nicht, ob er sich nun zu Sørloth oder zu Ødegård orientieren sollte. Seiwald war zu weit innen, um zu helfen und wenn Lienhart mit Sørloth rausrückte, um Prass zu unterstützen, bestand wiederum die Gefahr, Håland zu viel Raum zu gewähren. Gleichzeitig fehlte es Österreich nach vorne an den Ideen: Dadurch, dass Ødegård (normal rechter Achter) und Myhre (normal linker Achter) beide die nominellen Außen waren, hatte Seiwald im Zentrum niemanden zum anpressen und im Aufbau ist Seiwald nun mal nicht besonders hilfreich.

Nach etwa 20 Minuten tauschte Rangnick die Positionierungen von Sabitzer und Laimer, danach etablierte man mehr Kontrolle im Zentrum und man vermied es auch, Pässe auf die aufrückenden Außen zu spielen – vor allem Mwene wurde zuvor dort gut isoliert. Die verstärkte Konzentration auf die zentralen Kanäle tat Österreich gut und auch, wenn man nicht gut Tempo aufnehmen konnte, war das 1:1 doch korrekt.

Viel zu passiv

Womöglich in Erwartung einer österreichischen Reaktion ging Solbakken für die zweite Hälfte wieder auf ein 4-1-4-1, mit Ødegård zurück auf der Acht und mit Dribbler Nusa neu auf der linken Seite. Norwegen schob die Ketten relativ nahe zusammen und brachte die Bälle direkt von hinten auf die Flügel, womit Ødegård schon vor seiner verletzungsbedingten Auswechslung nach einer Stunde nicht mehr allzu involviert war. Sehr wohl aber musste sich Österreich erst recht wieder neu orientieren und Mwene, der gegen Nusa am Rande der gelb-roten Karte wandelte, zwang Rangnick zu einem eher nicht geplanten Wechsel.

Es war ähnlich wie gegen Slowenien: Österreich traute sich die Innenverteidiger aus Sorge um die langen Bälle auf Sørloth und Nusa nicht anlaufen. Die Pressing-Trigger waren die Pässe auf die Außenverteidiger, hier schauten aber bestenfalls österreichische Einwürfe heraus, während die Innenverteidiger unbehelligt blieben, sogar bis ins Mittelfeld aufrücken konnten und selbst dort sind die Österreicher nicht in die Zweikämpfe gekommen.

Und dann steht Håland zehn Minuten vor Schluss halt einmal um eineinhalb Zentimeter nicht im Abseits, peng, verloren.

Wieder mehr „Underdog-Fußball“?

Alaba, Schlager, Gregoritsch, Danso, Kalajdzic, Trauner, Lainer, Entrup – natürlich ist die Liste der fehlenden Alternativen lang. „Wir müssen solche Spiele wie ein Underdog spielen und nicht wie ein vermeintlicher Favorit“, meinte Ralf Rangnick nach der Niederlage in Oslo. Gemeint hat er damit die Konsequenz im Anlaufen und den Willen, den Kampf anzunehmen.

Aber man ist ja Frankreich auch hoch angegangen, obwohl im Rücken der Pressinglinie ein Kylian Mbappé gelauert hat. So gesehen ist es nicht ganz verständlich, warum man nun – vor allem in der zweiten Hälfte gegen Norwegen – eben nicht anläuft. Norwegen hatte immerhin 45 Prozent Ballbesitz, und zwar in beiden Spielhälften, es ist also keineswegs so, dass die nur hinten zugemacht und gehofft hätten, dass Österreich mit dem Ball nichts einfällt.

Schuss vor den Bug

Slowenien war mit seinen Mannorientierungen zäh und die Räume, die man gehabt hätte, unkonventionell. Aber gegen Norwegen war es einfach nur zu passiv, zu zurückhaltend, ja, zu feig. „Nun ist Österreich natürlich kein europäisches Spitzenteam, zählt realistischerweise auch nicht zu den Top-8, aber man stellt sehr wohl gehobene Mittelklasse dar“, konstatierten wir Anfang Juli, und: „Dass es noch viel weiter nach oben geht, ist kaum darstellbar, […] aber den Status im Bereich des Rennens um den „Best Of The Rest“ zu halten, darf ein legitimer und realistischer Anspruch sein.“

Das ist er auch immer noch. Das Remis in Slowenien und die Niederlage in Norwegen ändern nichts daran. Sie tun im großen Ganzen auch nicht besonders weh, weil sie (noch) keine Konsequenzen haben. Sehr wohl aber sind sie ein klarer Schuss vor den Bug: Es ist das eine, Probleme bei der Lösungsfindung gegen destruktive, strikt defensive Teams zu haben, die sich hinten einbunkern, wie die Türkei in Leipzig.

Es ist auch verschmerzbar, wenn der Gegner ungut ist, wenig zulässt, auch selbst aggressiv ist und es versteht, die österreichischen Stärken einzudämmen und die Schwächen zu verstärken. Ein 1:1 in Slowenien ist keine Tragik und das wurde auch so eingeordnet. Der Bauchfleck in Norwegen zeigte aber: Wenn man so gar nichts von seinen Stärken zeigt, obwohl alle Gelegenheiten dafür da gewesen wären – wie in der zweiten Hälfte – ist das nicht gut.

Es ist ein Schuss vor den Bug. Die Spiele werden nicht unkomplizierter, Kasachstan wird sich in Linz mit Teamchef Stanislav Tchertchessov in einem 5-2-3 tief verteidigen, da heißt’s Bretter bohren. Danach im Heimspiel gegen Norwegen aber wird sich Österreich nicht noch einmal so zurückhaltend präsentieren dürfen, sonst schlägt das mit dem Erwartungs-Management dann eben doch wieder in Fatalismus um.

Denn Zielsetzung und Leistung haben – anders als bei der EM – nun zum Nations-League-Start nämlich definitiv nicht zusammen gepasst.

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/09/12/fehlstart-nations-league-osterreich-slowenien-norwegen/feed/ 3 standard
Stabilisiert, durchgebrunzt, ausgelaugt: Das seltsame Pariser Olympia-Turnier https://ballverliebt.eu/2024/08/23/review-olympia-paris-2024/ https://ballverliebt.eu/2024/08/23/review-olympia-paris-2024/#respond Fri, 23 Aug 2024 15:26:10 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20409 Stabilisiert, durchgebrunzt, ausgelaugt: Das seltsame Pariser Olympia-Turnier weiterlesen ]]> Rekordsieger USA holt das Gold, der kommende WM-Ausrichter Brasilien das Silber und Vize-Europameister Deutschland Bronze. Das Ergebnis dieses Olympischen Frauenfußball-Turniers ist klar, sonst aber nicht besonders viel – selbst bei den Top-3. Konnten wir vor drei Jahren bei Tokio von einem großartigen und wilden Turnier sprechen, das viele Narrative für das neue Jahrzehnt aufsetzt, muss nach Paris 2024 konstatiert werden:

Diese Olympischen Spiele haben mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.

Ein seltsames Treppchen

Denn schon alleine diese Top-3 geben sin seltsames Bild ab. Wären sie alle im Viertelfinale gescheitert, niemandem wäre das ungewöhnlich vorgekommen. Emma Hayes, neue US-Teamchefin, hatte seit Amtsübernahme genau vier Testspiele, allesamt gegen unterlegene Kontrahenten. Brasilien schlingert seit mehr als einem Jahrzehnt ohne Spielidee anonym von einer Enttäuschung zu nächsten. Und Deutschland? Ein Team ohne Identität, die über „wir nudeln uns irgendwie über die nächste Hürde drüber“ hinaus ginge, weil der Interims-Teamchef nur gekommen ist, um die Mannschaft zu verwalten, bis sein längst feststehender Nachfolger das Steuer übernimmt.

Auf der anderen Seite steht ein Weltmeister Spanien, der die Spiele wie gewohnt mit dem Ball am Fuß absolvierte, aber die nötige Intensität vermissen ließ und im Halbfinale auch noch lächerliche Abwehrfehler beging. Ein Gastgeber Frankreich, der Kontrolle will und in entscheidenden Phasen doch nur Panik und innere Zerrissenheit offenbarte. Ein japanisches Team, dem nach einer Stunde stets die Präzision in der Ausführung abhanden kam. Australien, hinten löchrig und nach vorne fahrig, schon in der Vorrunde gescheitert, einem absurden 6:5 gegen Sambia inklusive.

Und, naja, die Drohnen-Spione aus Kanada – trotz sechs Punkten Abzug und kräftig Wirbel in die K.o.-Runde eingezogen und dort gegen Deutschland eigentlich das bessere Team.

Wie die Causa Kanada das Turnier erklärt

Wohl kaum ein Team verkörperte das Olympia-Turnier von Paris 2024 besser als eben Kanada. Kurz vor dem ersten Spiel wurden zwei kanadische Staff-Mitglieder erwischt, wie sie mit Drohnen-Kameras das Training von Auftaktgegner Neuseeland filmten. Es wurde schnell klar: Trainerin Bev Priestman, unter der Kanada 2021 wohlgemerkt Olympiasieger wurde, baut schon lange auf solche Praktiken. Der Verband tat überrascht und entrüstet, trennte sich von Priestman und Co-Trainer Andy Spence übernahm.

Die FIFA als organisierender Dachverband zog Kanada sechs Punkte ab, womit ein Vorrunden-Aus vorgezeichnet war. Doch Kanada besiegte nach Neuseeland auch Frankreich und Kolumbien und stand am Ende sogar als Gruppenzweiter im Viertelfinale. Hier kamen zwei Dinge zusammen: Zum einen das psychologische Element – Gabby Carle und Evelyne Viens sprachen nach dem Turnier offen über die zuvor negative Stimmung, die Fehlerkultur unter Priestman und dass ihre Abwesenheit „befreiend“ gewesen wäre.

Und zum anderen kam die grundsätzliche Dynamik des Turniers den kanadischen Stärken durchaus entgegen: Wer sich wohl fühlte, den Ball nicht zu haben, war am Ende zumeist im Vorteil – sofern man sich nicht plump hinten einbunkerte, sondern den spielgestaltenden Gegner früh störte und es gleichzeitig schaffte, Spielerinnen rasch und mutig vor den Ball zu bekommen und auch eine gewisse Quirligkeit beim eigeninitiativen Weg ins Angriffsdrittel an den Tag legte. Brasilien hat das ebenso mit stetig wachsender Freude gemacht, Kolumbien ging es ähnlich an.

Von 40 auf 60 Pflichtspiele von 2012 auf 2024

Dabei merkte man diesem Olympia-Turnier noch mehr als den vergangenen Ausgaben an, welche besonderen Umstände hier herrschen. Sechs Spiele in 18 Tagen für die Finalisten (bzw. in 17 Tagen für Spanien und Deutschland, die das Bronze-Spiel bestritten), und dass mit einer Kadergröße von 20 Feldspielerinnen, von denen nur 16 pro Match am Spielberichtsbogen sein dürfen).

Was nun in Frankreich anders war als in Japan 2021, in Brasilien 2016 oder Großbritannien 2012? Nun – die Saison davor ist nun wesentlich intensiver. Das betrifft nicht nur die Intensität, die aufgrund der dramatisch verbesserten Trainingsmöglichkeiten nun im Gegensatz zu damals möglich ist. Sondern auch die schiere Anzahl der Pflichtspiele.

Zum Vergleich: Der Europacup-Sieger von 2012, Olympique Lyon, spielte in der Saison vor Olympia in London 34 Pflichtspiele, dazu kamen sechs Bewerbsspiele des französischen Nationalteams. Für den Europacup-Sieger von 2024, den FC Barcelona, kamen alleine auf Vereins-Ebene 46 Pflichtspiele zusammen – plus 14 des spanischen Nationalteams seit dem WM-Triumph Mitte August letzten Jahres.

Kein Wunder, dass die Spielerinnen von europäischen Spitzenteams ausgebrannt wirkten.

USA: Un-Amerikanisch zur Goldmedaille

Das US-Team hatte den Vorteil, keine euroäische Saison in den Beidnen zu haben: Die NWSL spielt im Kalenderjahr, die Saison hat im März begonnen, davor gab’s vier Monate Pause. Man war geistig frischer und Neo-Teamchefin Emma Hayes war kaum zur Rotation gezwungen. Neun Leute spielten das Turnier de facto durch, nur Davidson und Sonnett hinten bzw. Lavelle und Albert in der Offensive wechselten ein wenig durch.

Wer geglaubt hatte, Hayes hätte in der kurzen Zeit im Amt – sie hat die Saison noch als Chelsea-Trainerin beendet – kaum etwas ausrichten können, durfte beim zweiten Turnierspiel – dem 4:1 gegen Deutschland – erstaunt sein. Aus dem 4-2-3-1 wurde im eigenen Aufbau nämlich hinten eine Dreierkette geformt (Fox, Girma, Davidson/Sonnett), davor standen Horan und Coffey im Zentrum. Rodman rechts und Dunn links agierten als Wing-Backs, schoben hoch – es wurde ein 3-2-5.

Damit löste Hayes mehrere Probleme. Zum einen war mit dem 3-2-Aufbau sichergestellt, dass Ballzirkulation im eigenen Ballbesitz da ist, mit der man Gegner in gewisse Räume locken kann, ohne sofort den vertikalen Pass zu suchen – diese Vorhersehbarkeit war unter Vorgänger Andonovski ein großes Problem gewesen. Zum anderen ist mit dieser 3-2-Staffelung gewährleistet, dass die Tiefe abgesichert ist, sollte ein Vorwärtspass misslingen oder der Gegner einen Konter fahren wollen.

Vorne sorgten Sophia Smith (die gerade im ersten Deutschland-Spiel schlicht nicht zu verteidigen war), Mallory Swanson (die gegenüber ihren wechselhaften Jugend-Jahren gereift ist) und Trinity Rodman (deren Schwäche im Passspiel sie manchmal isolierte, ihre Dribblings brachten aber oft Gefahr) für Wirbel. Den Ball flüssig von aus dem ZM nach vorne zu bekommen, war zuweilen aber ein Problem. Die Spielweise des USWNT war sehr un-amerikanisch: Geduldig im Aufbau, ohne Hektik, auch nicht immer in hohem Tempo und möglichst nicht mit langen Bällen – weil es vorne keine Kanten gibt, die sie sichern.

Es war sehr kontrolliert, sehr ökonomisch. Hinten war dicht (zwei Gegentore in sechs Spielen, davon eines bedeutungslos in der Nachspielzeit) und dann reicht es halt, vorne einmal durchzukommen, und sei es in der Verlängerung – wie im Viertelfinale gegen Japan und im Halbfinale gegen Deutschland. Und auch das Finale gegen Brasilien wurde ja mit 1:0 gewonnen.

Brasilien: Super Stimmung und starker Underdog-Fußball

Das US-Team hat unter Hayes eine sehr brauchbare Basis gelegt, um die nächsten Schritte in eine fußballerisch-inhaltliche Erneuerung zu gehen, noch dazu dekoriert mit Gold. Man kann davon ausgehen, dass die USA in drei Jahren bei der nächsten WM natürlich wieder ein seriöser Titelkandidat sein wird. Das Silber von Brasilien ist hingegen komplett aus dem Nichts gekommen und was das für die Heim-WM 2027 aussagt, ist kaum zu beurteilen.

Beim ersten Spiel konnte einem schon Angst und Bange werden. Gegen Nigeria, als Brasilien zum eigenen Aufbau gezwungen war, standen hinten vier Verteidigerinnen, ganz vorne vier Stürmerinnen und dazwischen zwei Sechser im Deckungsschatten. Es gab einen 1:0-Sieg, aber sowas von dreckig, sowas von nicht anzusehen, sowas von vorsintflutlich – ein katastrophal übler Primitiv-Kick war das. Wo war das flotte Team hin, das im Frühjahr sehenswert ins Finale des Gold-Cups gekommen war?

Das Glück von Brasilien war, ab da nicht mehr selbst gestalten zu müssen. Japan hatte man am Haken, ehe man in der Nachspielzeit noch einen Elfer und ein 35-Meter-Tor zur 1:2-Niederlage kassierte; Spanien frustrierte man mit einem ultra-defensiven 5-4-1 (bzw. einem 5-4-0 nach Martas Ausschluss) zumindest 70 Minuten lang. Man ließ Frankreich im Viertelfinale keinen Rhythmus aufnehmen und schlug spät zum 1:0 zu, ehe man im Semifinale wiederum gegen Spanien einfach eiskalt die Fehler nützte und durch das erlahmte Gegenpressing durchkonterte.

Im Finale gegen die USA agierte Brasilien furchtlos, ließ eine Stunde lang wiederum das Ballkontroll-Spiel des Gegners nicht zu, nach dem 0:1 fehlte aber die Klasse. Sei’s drum: Das von Arthur Elias in dem einen Jahr seit seiner Amtsübernahme radikal umgebaute Team hat den Underdog-Fußball schon mal sehr gut drauf, das ist eine gute Basis, für eine erfolgreiche Heim-WM 2027 wird’s aber noch ein wenig mehr brauchen.

Besonders auffällig war bei Brasilien aber etwas, was es in dieser Form wohl seit den Tagen eines Wilsinho 1999 nicht mehr gegeben hat: Eine grandiose interne Stimmung. Wie sich Spielerinnen, Trainer und Staff gegenseitig geherzt haben, mit strahlenden Augen, echt und voller Begeisterung: Was für ein krasser Gegensatz etwa zum eiskalten Gegeneinander der Spanierinnen mit Ex-Trainer Jorge Vilda, aber auch bei Brasilien selbst zur schroffen Pia Sundhage, zum grummeligen Vadão, aber auch zu Kleiton Lima, der kürzlich unter Missbrauchsvorwürfen als Trainer der Frauen vom FC Santos zurückgetreten ist.

Marta war es auch in ihrem unverhofften vierten großen Endspiel (nach Olympia 2004, WM 2007 und Olympia 2008) nicht vergönnt, einen globalen Titel zu holen, dieser blieb Brasiliens Frauen weiterhin verwehrt. Die Grande Dame selbst, nach ihrem Kung-Fu-Tritt in der letzten Gruppenpartie zwei Matches gesperrt und im Finale zunächst auf der Bank, verabschiedet sich aber vom ersten Team seit über einem Jahrzehnt, das ernsthaft Hoffnung auf eine gute Zukunft bietet.

Deutschland, Spanien, Frankreich: Zwischen innerer Hygiene und spielerischer Unsauberkeit

Für Weltmeister Spanien und Gastgeber Frankreich zählte nur eine Medaille, idealerweise Gold. Deutschland war nach einem Jahr voller Selbstzweifel froh, überhaupt dabei zu sein – und genau dieses deutsche Team war es letztlich, dass eine Medaille holte. Bronze glänzt für den DFB tatsächlich fast wie Gold, weil zwar alle auf ein gutes Abschneiden hofften, aber niemand wirklich mit einer Medaille gerechnet hatte.

Deutschland hat nichts besonders gemacht – man war diszipliniert im mannschaftstaktischen Umschalten beider Richtungen. Das deutsche Team hat im eigenen Aufbau nicht allzu viel Kreativität gezeigt, auch weil eine Lena Oberdorf auf der Sechs, die ein Spiel wenn nötig von hinten ein wenig in die Hand nehmen kann, mit einem Kreuzbandriss gefehlt hat. Alex Popp, die bis auf ein Spiel (das bedeutungslose letzte Gruppenspiel gegen Sambia) tatsächlich hinter Nüsken im defensiven Mittelfeld-Zentrum gespielt hat, hat nicht viel kaputt gemacht, viel gebracht aber auch nicht.

Man nützte die Chancen gegen Australien cool, es kam Deutschland entgegen, dass den Tillies noch weniger einfiel. Man fand beim (etwas zu hohen) 1:4 gegen die USA keinen Zugriff auf das Zentrum und musste sich im Viertelfinale gegen Kanada mit viel Nachlaufen ins Elferschießen retten. Das Halbfinale (wo man das US-Team viel besser kontrollierte als im Gruppenspiel) und das Bronze-Spiel (wo man Spanien den Ball überließ, auch das nötige Glück hatte) waren vernünftige Darbietungen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ann-Katrin Berger hielt gegen Spanien in der Nachspielzeit noch einen Elfmeter von Putellas, damit war Bronze sicher.

Dieser Erfolg ist ein schöner Bonus für Deutschland, womit die „Mission Innere Hygiene“ von Interims-Trainer Horst Hrubesch ein voller Erfolg war: Nach den zwischenmenschlich eher unerquicklichen Jahren unter Martina Voss-Tecklenburg kommen nun wieder alle gerne zum Nationalteam und obendrein gab es auch noch einen zählbaren Erfolg. Nun übernimmt Christian Wück, der letztes Jahr die deutschen U-17-Burschen zum WM-Titel geführt hat.

Hrubesch war zehn Monate Bundestrainer, für Hervé Renard endet die Amtszeit als Sélectionneur von Frankreich nach 16 Monaten. Sportlich war sie mit den Viertelfinal-Niederlagen bei der WM 2023 und nun bei Olympia 2024 nichts Besonderes, dem Final-Einzug in der Nations League zum Trotz. Konnte man das WM-Aus im Elfmeterschießen gegen Australien auch als Pech abtun, nach recht guten Leistungen zuvor, hat sich nun das Aus gegen Brasilien mit einer wackeligen Gruppenphase schon ein wenig abgezeichnet.

Zwar zog man Kolumbien zum Auftakt mit Leichtigkeit durch das Stadion und führte auch in der Höhe verdient schon 3:0, aber zwei schnelle Gegentore aus dem Nichts brachten das ganze Gebilde höllisch zum Einstürzen. Man zitterte den Sieg über die Zeit, gegen Kanada war es aber ähnlich: Man war nicht überragend, aber gut genug, kassierte nach einer Stunde das Tor zum 1:1-Ausgleich und schien danach nicht zu wissen, ob man auf Sieg spielen oder den Punkt absichern soll und machte letztlich weder noch, verlor in der Nachspielzeit 1:2.

War es die lange Saison? Der Druck des Heim-Turniers, dem Frankreich schon 2019 nicht standgehalten hat? Hervé Renard gab unablässig Anweisungen, über die Außen-Mikros gut zu hören, aber seinem Team fehlte der Zusammenhang, die Passgenauigkeit, es spielten – wenn es eng wurde – nicht alle vom selben Notenblatt. Im Viertelfinale bohrte Brasilien genau das an, nervte Frankreich, war giftig und griffig und erzielte gegen Ende tatsächlich das siegbringende Tor zum 1:0.

Renard redete die Enttäuschung klein, „für mich ist es mir egal, ich habe schon genug gewonnen und verloren“, was ein wenig kalt wirkt. Auf dem Feld hat er Frankreich weder weiter gebracht noch schlechter gemacht, aber er hat – wie Hrubesch – viel von der Toxizität seiner Vorgängerin rausgenommen. Wer Frankreich in die EM nächstes Jahr in der Schweiz führt, ist noch unklar, ebenso wie vieles andere. Amandine Henry spielte kaum eine Rolle (sie war Renard wohl zu wenig robust, wird kolportiert), Eugenie Le Sommer ebenso; Wendie Renard kommt in die Jahre.

In Frankreich wird moniert, dass der Spielwitz der frühen 10er-Jahre, als man unter Bruno Bini in die Weltspitze schoss, einer athletischen Funktionalität gewichen sei, und das ist nicht von der Hand zu weisen. Die defensiven Außenpositionen sind ein Problem (Bacha und Karchaoui haben klare defensive Schwächen, De Almeida offensive), von der Sechs kommen zu wenige Impulse. Die Generation mit Nécib, Abily und Laura George hat nix gewonnen. Die Generation mit Henry, Le Sommer und Renard hat auch nix gewonnen. Soll der neue Trainer mit ihnen auch 2025 noch in die EM gehen oder im Gegenteil ein neues Kapitel, eventuell auch stilistisch, aufschlagen?

Auch der Weltmeister geht mit leeren Händen aus dem Turnier. Spanien war im letzten Jahr fraglos das beste Team der Frauenfußball-Welt, aber auch hier galt: Ganz auf der Höhe war die Truppe bei Olympia nicht. Der Ballbesitz war immer noch sicher, man spielte sich in gewohnter Manier die Bälle zu. Aber es fehlte die Durchschlagskraft nach vorne, es fehlte die Intensität im Gegenpressing – und damit wurden die Schwächen in der Abwehr ohne Mapi León doch aufgedeckt.

Sie ist die letzte von „Las 15“, den Streikführern unter Jorge Vilda, die auch ein Jahr nach seinem Abgang eine Rückkehr ins Nationalteam verweigert. In der Vorrunde schien das noch kein echtes Problem zu sein: Japan verlor nach einer scharfen ersten Halbzeit die Ordnung und Spanien gelang mit einem 2:1-Sieg die Revanche für das Vorrunden-0:4 bei der WM letztes Jahr. Gegen Nigeria hatte man gefühlt 96 Prozent Ballbesitz (tatsächlich waren es 77), man brauchte aber einen späten Freistoß zum 1:0-Sieg. Und gegen ein mit allen Feldspielerinnen verteidigendes Brasilien dauerte es auch über 70 Minuten, bis man in Führung ging.

Benefit of Hindsight: Hätte Spanien danach in der K.o.-Runde überzeugender performt, wäre die Gruppenphase als kraftschonender Aufgalopp wahrgenommen worden. Die giftigen Konter eines griffigen kolumbianischen Teams brachte Spanien im Viertelfinale aber schon an den Rand des frühen Aus, es stand lange 0:2, erst in der Nachspielzeit rettete sich Spanien in die Verlängerung, gewann dann das Elfmeterschießen. Die hanebüchene Implosion von Marseille, das 2:4 gegen Brasilien mit wirklich lächerlichen Schnitzern in der Abwehr, beendete aber jeden Anspruch auf eine Bestätigung des WM-Titels. Zumal das Resultat noch besser aussieht, als das Spiel war: Brasilien vergab noch zahllose gute Chancen, das erste spanische Tor fiel erst in der 85. Minute.

Am Ende gab es nicht mal Bronze, weil man Deutschland im kleinen Finale nicht mal aus einem Elfmeter ein Tor schießen konnte. Was war los? Kein einziger Gegner erlaubte es der schnellen Paralluelo, ihr Tempo auszuspielen, die Strafraumbesetzung war dadurch kaum vorhanden. Und die Abwehr, die sich schon in Nations League und EM-Quali zuweilen als löchrig erwiesen hat, ist nun mal nicht das Prunkstück.

Enttäuschend? Ja, keine Frage. Grund zur Panik? Erstmal nein, denn auch bei Spanien gilt: In den elf Monaten unter Montse Tomé ist einiges an zerbrochenem Porzellan wieder gekittet worden. Dass es sehr viele Ungenauigkeiten gab, die auf geistige Müdigkeit schließen lassen, ist für den neuen FC-Barcelona-Trainer Pere Romeu aber ein Einstandsgeschenk, auf das er gerne verzichtet hätte.

Kanada: Dank Skandal von mentalen Fesseln befreit

Der Sieger von 2021 hatte seine eigene, ganz spezielle Stunde Null. Nach dem Wirbel um die (erst) Suspendierung und (dann) Entsorgung von Trainerin Bev Priestman kam Kanada im emotionalen Ausnahmezustand zu einem 2:1-Sieg gegen Neuseeland, man wirkte nur körperlich anwesend und gewann auch wegen einer taktischen Dummheit der früh in Führung gegangenen Ferns. Dann kam einen Tag vor dem zweiten Spiel auch noch der Sechs-Punkte-Abzug dazu – und es passierte etwas erstaunliches.

Gabby Carle und Evelyne Viens berichteten nach dem Turnier nicht nur von einer Jetzt-Erst-Recht-Stimmung, sondern vor allem von einem Gefühl der Befreiung. Priestman hat wohl mit Vorlieben auf Fehlern und Schwächen ihres Teams herumgehackt und im Team ein Gefühl der Angst vor Fehlern geschaffen – so versteht man die biedere Langweiligkeit, die Kanada in den letzten Jahren versprüht hat und womöglich auch die widerstandslose Implosion gegen Australien vor einem Jahr, als man mit einem 0:4-Debakel aus der WM-Vorrunde gekickt worden ist.

Andy Spence aber, der zunächst mal interimistisch das Trainer-Amt übernommen hat, verbreitete sofort eine positive Atmosphäre nach dem Motto „Zeigt, was du kannst“. Im Wissen, Frankreich besiegen zu müssen, taute man nach einer Stunde merklich auf, suchte seine Chance und gewann tatsächlich noch. Einen Sieg gegen Kolumbien später stand Kanada im Viertelfinale und spielte dort auch Deutschland, je länger das Spiel lief, immer mehr an die Wand. Im Elfmeterschießen endete die Reise dann.

Diese Transformation innerhalb von kaum mehr als einer Woche – von einem Paria der Frauenfußball-Welt zu einem immer mitreißender wirkenden Team, mit dem man mitfieberte – ist ziemlich einzigartig. Dem Schwung dieser Ausnahmesituation in etwas Längerfristiges mitzunehmen, wird eine Herausforderung sein, denn immer noch leidet der Verband unter Geldnot und für Kanada steht nun lange kein ernsthaftes Turnier mehr an. Nächstes Jahr startet mal die neue, eigene Liga.

Japan und Kolumbien: Guter Eindruck mit Schwachpunkten

Die Nadeshiko war letztes Jahr bei der WM der Liebling der neutralen Zuseher aufgestiegen: Unglaublich gut aufeinander abgestimmt, extrem clever, schnell im Kopf und flink mit den Beinen; im entscheidenden Moment fehlte die routinierte Abgeklärtheit. Nun waren all diese Elemente wieder zu sehen: Japan presste Spanien an und sorgte beim Weltmeister für Bauchweh, stellte Brasilien vor nahezu unlösbare Aufgaben. Allerdings: Jeweils nur eine Stunde lang.

Denn Japan, wo längst auch das Gros der Truppe in den europäischen Top-Ligen spielt, schien für dieses vor allem im Kopf sehr anstrengende Spiel nie mehr Luft als eine Stunde zu haben. Dann wurde die Intensität geringer, die Laufwege ungenauer und die Kontrolle über das Spiel ging verlustig. Gegen Spanien verlor man noch, gegen Brasilien musste eine Willensleistung her, ehe man gegen ein harmloses Nigeria schon zur Pause hoch genug führte, um den Sieg noch zu gefährden.

Im Viertelfinale gegen die USA stellte man sich ganz tief rein, ließ das kontrollierte US-Spiel über sich ergehen und baute darauf, dass man den Amis keine Lücke anbot. Die Momente, in denen man das Spiel ein wenig an sich reißen hätte können, ließ Japan passiv verstreichen und in der Verlängerung schlug es dann halt doch noch ein. Für Japan war dieses olympische Turnier ein Bestätigung dessen, dass man mit cleverem Spiel jedes Team der Welt fordern kann – dass aber, wenn es hart auf hart kommt, in einer K.o.-Partie gegen ein routiniertes Team doch der Killerinstinkt (noch?) fehlt. Der japanische Verband jedenfalls ist nicht überzeugt davon, dass Futoshi Ikeda diese Fähigkeiten vermitteln kann, und verweigerte ihm die Vertragsverlängerung.

Kolumbien war letztes Jahr im WM-Viertelfinale, jetzt im Olympia-Viertelfinale und dort war man drauf und dran, Spanien aus dem Turnier zu kegeln. Was war dieses Turnier für Kolumbien: Der endgültige Durchbruch als Team, das an ein Semifinale anklopft oder ist man doch nur ein Team der zweiten Reihe, dass einen Großen nerven kann, wenn alles passt – aber nicht wirklich eine Mannschaft, die ernsthaft behaupten kann, schon fast zu den Großen zu gehören?

Denn, nüchtern betrachtet, hat Kolumbien ein einziges Spiel gewonnen und das war ein nie gefährdeter, aber eben auch pflichtgemäßer 2:0-Erfolg über Neuseeland. Ja, man sorgte bei Frankreich für Panik – aber erst, nachdem man schon 0:3 im Rückstand lang. Ja, man hielt gegen Kanada mit – verlor aber dennoch. Kolumbien hat eine unspektakuläre, aber solide Defensive und eine flinke Offensivabteilung, hat mit Caicedo ein technisch ungemein versiertes Wunderkind in den eigenen Reihen. Dank der vielseitigen Catalina Usme – die am Flügel, ganz vorne und auch auf der Sechs spielte – konnte man sich auch um die Zwei-Spiele-Sperre von Chelsea-Stürmerin Mayra Ramírez herumschummeln.

Wenn es bei Kolumbien läuft, lauft das Bällchen schnell, zu schnell definitiv für Neuseeland, im Umschalten auch zu schnell für ein etwas hühnerhaufig gestaffeltes Spanien an diesem Tag. Aber Kolumbien fehlt einfach massiv die Kadertiefe. Ab dem zweiten, spätestens dem dritten Wechsel ist das Leistungsgefälle schon massiv. Als Spanien in der Nachspielzeit zum 2:2 ausglich, war eigentlich schon klar, dass Kolumbien in einer Verlängerung nichts mehr zuzusetzen hat.

Aber hey, wenn man bedenkt, dass man nach der verpassten WM-Quali für 2019 Sorge haben musste, dass Kolumbien in der Bedeutungslosigkeit versinkt, sind das ja Luxusprobleme. Man kann angesichts des Auftritts im Viertelfinale mit Optimismus aus diesem Olympia-Turnier rausgehen.

Australien und Neuseeland: Eine 6:5-Achterbahn mit Folgen und ein Team ohne jede Offensiv-Qualität

Welche Spiele werden von diesem Turnier in Erinnerung bleiben? Man muss ehrlich sein, es sind nicht viele. DAS Spiel des Turniers – und ein Spiel, auf das man noch lange verweisen wird – war natürlich das komplett absurde 6:5 von Australien gegen Sambia. Sechs zu fünf.

Zum Auftakt lief der Halbfinalist von Olympia 2021 und Heim-WM 2023 in ein 0:3 gegen Deutschland, früh im Rückstand und dann kein Mittel gefunden, nicht gut, aber kein existenzielles Drama. Dann aber ließ Tony Gustavsson seine langsame Abwehr gegen die gefürchtet schnellen sambischen Konterstürmerinnen tief stehen, während der Rest vorne ein Spiel zu gestalten versuchte. Und man kassierte ein Gegentor nach dem anderen.

Nach 40 Sekunden versuchte Banda halb aus der Not einen Schuss aus 30 Metern, traf genau, 0:1. Schlechte Restverteidigung bei einem Kundananji-Konter, 1:2. Arnold vertut sich bei einer Ecke, Banda trifft per Drehschuss aus seltsamem Winkel, 1:3. Hunt drischt den Ball beim Klärungsversuch genau Banda auf den Körper, die kann sich gegen das Tor gar nicht wehren, 2:4. Kundananji völlig frei bei Freistoß, 2:5. Der Gag war, dass Australien Chancen am laufenden Band hatte, aber ein bescheuertes Tor nach dem anderen fing. Man schob danach die Abwehr weiter nach vorne, gab weniger Räume her und nützte doch noch ein paar Möglichkeiten, gewann 6:5, aber der Schaden war angerichtet.

Tabellarisch, weil man einen höheren Sieg gebraucht hätte, um als Dritter mit drei Punkten durchzuschleichen. Vor allem aber im Kopf. Verschreckt und verschüchtert bibberte man sich ins Match gegen die USA, ultra-defensiv in einem 5-4-1, und man kam nicht mal aus dem Schneckenhaus, als man nach dem Rückstand eigentlich ein Remis jagen hätte müssen. Sang- und klanglos schied Australien aus und so endet nach vier Jahren die im Ganzen dennoch sehr erfolgreiche Ära des schwedischen Tillies-Trainers. Dieser Misserfolg – ohne die verletzte Stürmerin Sam Kerr, die halt nicht zu ersetzen ist – ist ärgerlich, sollte aber den ungemein positiven Einfluss Gustavssons auf das australische Team nicht vergessen lassen.

Der ozeanische Nachbar und WM-Co-Gastgeber Neuseeland hätte einem mental zerzausten kanadischen Team zum Start beinahe einen Punkt abgetrotzt, aber was folgte, war dann doch wieder, was man von Neuseeland gewohnt ist. Die Ferns kommen auf einen Expected-Goals-Wert von 0,7 – in allen drei Gruppenspielen addiert, wohlgemerkt.

Michael Mayne, der die nach internen Vorkommnissen suspendierte Teamchefin Jitka Klimková ersetzte, hat eine Defensive auf durchaus vorzeigbarem, durchschnittlich-gutem internationalen Niveau zur Verfügung: Anständige Mittelklasse, durchaus auf der Höhe – xGA von 1,8 pro Spiel, immerhin Platz acht im Turnier. Aber davor ist halt einfach überhaupt nichts da. Aus dem Mittelfeld kommt schon nichts Brauchbares in die gegnerische Hälfte, geschweige denn ins Angriffsdrittel – und selbst wenn, sind die zur Verfügung stehenden Stürmerinnen international nicht mal zweitklassig.

Dass man damit sogar zwei Tore geschafft hat – einmal nach einer Ecke, einmal ein Weitschuss nach Einwurf – ist aller Ehren wert. Aber wenn man früher das Gefühl hatte, es wäre mit Leuten wie Wilkinson, Hassett, Percival, Riley und Erceg ein wenig mehr im Team drin, wenn es sich nur trauen würde, ist die traurige Wahrheit ein Jahr nach der Heim-WM: Für mehr als sich nicht zu blamieren reicht die Substanz einfach nicht.

Nigeria und Sambia: Sechs Spiele, sechs Niederlagen, aber hier stehen andere Dinge im Fokus

Drei afrikanische Teams waren letztes Jahr im WM-Achtelfinale. Nigeria hatte Kanada eliminiert, Südafrika hatte Italien nach Hause geschickt und für Marokko war ein Erfolg gegen Kolumbien entscheidend. Nun bei Olympia heißt die bittere Wahrheit für das afrikanische Duo: Kein einziger Punktgewinn und niemand war an einem Überstehen der Vorrunde auch nur nahe dran.

Unterhaltsamer war Sambia, keine Frage. Barbara Banda und Rachel Kundananji, für die die US-Profiklubs aus Orlando und San Jose ein Vermögen bezahlt haben, sorgten zumindest bei Australien schon mit ihrer schieren Anwesenheit für Angst und Schrecken. Gegen die Matildas machte man aus sehr wenig ziemlich viel, musste aber froh sein, „nur“ sechs Gegentreffer bekommen zu haben, und nicht zehn oder zwölf. Denn diese Abwehr, ojemine, das hat mit internationalem Format so gar nichts zu tun.

Gegen das defensiv-stabile US-Mittelfeld kam Sambia kaum aus der eigenen Abwehr heraus und Deutschland hatte man spätestens nach dem zweiten Gegentreffer nichts mehr entgegen zu setzen. Stamm-Torhüterin Hazel Nali ist mit Kreuzbandriss out, Vertreterin Ngamo Musole griff diverse Male daneben. Auch ihren Vorderleuten ging es rasch mal zu schnell. Sambia sammelte in den drei Matches einen Expected-Goals-Against-Wert von sagenhaften 12,0 (!!!) an – fast doppelt so viel wie das Team mit der zweitschlechtesten Abwehr.

Das Team aus Nigeria hat seine Schwächen im Vorwärtsgang. Zum Auftakt gegen Brasilien durfte man sich ein wenig als unglücklich betrachten, aber ausnützen konnte man die offenbarten Räume zwischen den brasilianischen Linien auch nicht – 0:1. Gegen Spanien verbarrikadierte man 85 Minuten lang eisern den eigenen Strafraum, schoss nur einmal ernsthaft auf das Tor, fing sich dann ein Freistoß-Gegentor.

Ein Weiterkommen war da eh schon nicht mehr realistisch, es setzte noch ein 1:3 gegen Japan, was soll’s. Beide afrikanischen Teams waren (gemeinsam mit Neuseeland) im vierten Topf, da hat man es halt nur mit objektiv besseren Teams zu tun. Wir können darüber reden, dass Nigeria ja schon eigentlich eine gewisse Qualität auch vor der Abwehr hat, aber afrikanische Teams muss man halt leider immer noch mit anderen Gesichtspunkten beurteilen als andere.

Denn während in Kanada eine Bev Priestman sofort eliminiert wurde, in der NWSL (oft zu spät, aber doch) übergriffige Trainer ihre Jobs los sind, in Spanien nach dem WM-Titel den Männerbünden im Verband ihr Verhalten um die Ohren geflogen ist und Klimková in Neuseeland suspendiert wurde, ist in Sambia der Lustmolch Bruce Mwape halt immer noch Trainer. Nicht mal, dass die französischen Behörden ihm bis zur letzten Minute das Visum verweigerten und er keinen privaten Kontakt zum Team haben durfte, war für den sambischen Verband ein Entlassungsgrund. In sambischen Medien wird Mwapes Ablöse gefordert – aber nicht wegen der ihm zur Last gelegten sexuellen Übergriffe, sondern weil man das Spiel gegen Australien noch verloren hat.

Und bei Nigeria kann man selbstverständlich über die (oft allzu) vorsichtige Spielweise von Waldrum sprechen und das Fehlen von eingespielten Angriffszügen und den Unterschied, den es im Spielweise, Positionierung und Passrouten gibt, wenn die Weltklasse-Konterspielerin Oshoala am Feld ist oder nicht. Nur: Waldrum war in den letzten Jahren eben auch die Lebensversicherung für das Team in Form eines Schutzschildes gegen den nigerianischen Verband, der dem Frauen-Team bei jeder Gelegenheit Knüppel in die Speichen schiebt, strukturell ebenso wie finanziell.

Waldrum ist erfolgreich Trainer in Amerika, beim Universitäts-Team von Pittsburgh, er ist auf den Job in Nigeria in keinster Weise angewiesen. Die Spielerinnen sind aber darauf angewiesen, das ein starker, resilienter und dickhäutiger Trainer ihnen den Rücken gegen die internen Querschüsse frei hält – ob das Angriffsspiel nun klappt oder nicht, ist leider eher zweitrangig.

Bitte mehr Teams und größere Kader, bitte weniger Nachspielzeit

Die Aufnahme des Frauenfußballs ins olympische Programm 1996 hat dem Sport eine entscheidende Glaubwürdigkeit verliehen, bis heute ist der Stellenwert eines Olympiasieges sehr hoch. Diskussionen, ob der Sport im Zeichen der fünf Ringe eine Zukunft hat, sind also überzogen. Allerdings: Über die Form kann, soll, muss man reden.

Die FIFA will das Turnier sehr wohl erweitern, von 12 auf 16 Teams (wie bei den U-23-Männern) und auf mehr als 18 Spielerinnen im Kernkader. Das IOC blockt diese beiderseitig sinnvolle Vergrößerung mit dem „da könnten das andere ja auch wollen“ kategorisch ab. Die fußballerische Qualität ist durch den extrem engen Terminplan (der ja verständlich ist) längst nicht so hoch wie bei einer WM. Da das Turnier in der öffentlichen Wahrnehmung unter 328 anderen Medaillen-Entscheidungen eher untergeht, ist ein „das ist keine Werbung für den Sport“ kein echtes Argument.

Aber man würde sich schon wünschen, dass ein Finalist nicht im Endspiel eine verletzte Spielerin einwechseln muss, weil sonst einfach niemand mehr da ist. Brasilien ist das so ergangen. Brasilien war auch der größte Leidtragende der alle Rahmen sprengenden Nachspielzeiten, welche die FIFA bei ihren Matches sehen will. Im Schnitt dauerten die 26 Partien nämlich 103 Minuten und 30 Sekunden.

Bei fünf der acht Spiele mit der meisten Nachspielzeit war Brasilien beteiligt. Der Vergleich mit der diesbezüglich sehr angenehmen EM verdeutlichte einmal mehr, was für ein kompletter Blödsinn das mit den Ewig-Nachspielzeiten ist – gerade bei einem Turnier mit so wenig Regenerationszeit und so kleinen Kadern. Das Gruppenspiel zwischen Brasilien und Spanien bekam 10 Minuten in der ersten und 19 Minuten in der zweiten Hälfte obendrauf.

Seriously, was soll das.

So geht es weiter

In Europa ist im Sommer 2025 die EM in der Schweiz, im Oktober und November werden die zwei Playoffrunden dafür gespielt. Österreich trifft zunächst auf Slowenien und im (wahrscheinlichen) Erfolgsfall in Entscheidungsspielen vermutlich auf Polen.

Afrika wird im kommenden Sommer, parallel zur EM, jene Kontinentalmeisterschaft nachholen, die eigentlich für 2024 geplant war, für die man aber in diesem Jahr keinen Platz im Kalender gefunden hat. Auch in Südamerika geht zeitgleich die Copa América Femenina über die Bühne, und zwar in Brasilien quasi als Testlauf für die WM 2027. Letztmals soll dieses danach zweijährig ausgetragene Event gleichzeitig die WM-Quali sein, für 2031 will die Conmebol auf eine eigene Quali wie bei den Männern umstellen.

Im Sommer 2027 steigt eben die WM in Brasilien und um die nächste Goldmedaille geht’s dann im Rahmen der Spiele von Los Angeles 2028 – allerdings nicht verteilt im ganzen Land, sondern beschränkt auf Kalifornien. Ob dann schon 16 statt 12 Teams mitmachen dürfen? Lieber nicht drauf wetten.

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/08/23/review-olympia-paris-2024/feed/ 0 standard
Olympia Preview: Gold für Spanien am Silbertablett? https://ballverliebt.eu/2024/07/23/olympia-2024-preview-gold-fuer-spanien-am-silbertablett/ https://ballverliebt.eu/2024/07/23/olympia-2024-preview-gold-fuer-spanien-am-silbertablett/#respond Tue, 23 Jul 2024 15:34:00 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20528 Olympia Preview: Gold für Spanien am Silbertablett? weiterlesen ]]> Europameister bei den Männern? Spanien. Amtierender Nations-League-Sieger? Spanien, bei den Männern und den Frauen. Amtierender Frauen-Weltmeister? Genau, Spanien. Sieger der Women’s Champions League? Der FC Barcelona, zum dritten Mal in den letzten vier Jahren.

Zum ersten Mal haben sich Spaniens Frauen nun auch für ein Olympisches Turnier qualifiziert und selbstverständlich sind Aitana Bonmatí und Co. der klare Favorit auf Gold. Wer soll sie schlagen – das US-Team, auf der Suche nach einer neuen Identität? Die Französinnen, die im Nations-League-Finale im Februar völlig chancenlos waren? Titelverteidiger Kanada, die wankelmütigen Deutschen, die aufstrebenden Australierinnen, die cleveren Japanerinnen oder gar der kommende WM-Gastgeber Brasilien?

Oder spielen sie alle in Wahrheit nur um Silber oder Bronze?

Ein spezielles Turnier

Nur: So ein olympisches Turnier bietet anderer Unwägbarkeiten als eine WM oder eine EM. Da wäre zunächst der Kalender. Sechs Spiele in 17 Tagen, alle drei Tage ein Match – das ist eine Knochenmühle. Gleichzeitig durften die Verbänden nur 18 Spielerinnen nominieren, bei der WM letztes Jahr waren es noch 26 Spielerinnen gewesen.

Durch den relativ späten Termin mit Start Ende Juli fällt das Turnier zudem nach eine verkürzte Sommerpause anstatt im Anschluss an eine Saison. Andererseits kommen acht der zwölf Teilnehmer ins Viertelfinale und die Gruppenphase ist für die Favoriten eher nur ein Platzieren für den K.o.-Baum. Dieser kommt ob all dieser Umstände bei Olympia nicht selten eher random daher.

Wer ist dabei, wer fehlt?

In Europa wurde erstmals nicht das Abschneiden der vorangegangenen WM als Qualifikation hergenommen, sondern die zwei Teilnehmer neben Gastgeber Frankreich auf sportlichem Weg in der Nations League ermittelt. Spanien als Sieger und Deutschland als Dritter haben sich hier durchgesetzt; Frankreich hätte sich als NL-Finalist auch sportlich die Teilnahme gesichert. Das heißt, dass Schweden erstmals (!) bei einem Olympia-Turnier fehlt, auch Europameister England (als „Team GB“ 2012 und 2021 mit dabei) und die Leeuwinnen der Niederlande sind nicht vertreten.

In Asien haben sich Japan und Australien durchgesetzt; China ist wie Südkorea schon vor den Entscheidungsspielen an Nordkorea gescheitert. Die Südamerika-Plätze wurden gemeinsam mit den WM-Tickets an Brasilien und Kolumbien vergeben (bei der WM war auch Argentinien noch dabei), Concacaf-Meister USA war direkt dabei, Titelverteidiger Kanada musste nochmal in ein Playoff gegen den Concacaf-Dritten Jamaika und gewann das 2:0 und 2:1.

Neuseeland spazierte zum Ozeanien-Ticket und in der Afrika-Quali, rein nach K.o.-Format ausgetragen, setzten sich in den ungemein engen Finalspielen Nigeria (hauchdünn gegen Südafrika) und Sambia (nach Verlängerung gegen Marokko) durch.

Der Weltmeisterinnen: Spanien

Nach dem WM-Triumph hat man sich in der Nations League im vergangenen Herbst und der EM-Quali in diesem Frühjahr zwei Patzer erlaubt – ein 2:3 gegen Italien und ein 1:2 in Tschechien. Davon abgesehen war Spanien absolut makellos unterwegs: Zwei Siege gegen Schweden (3:2 und 5:3), zwei Siege gegen Dänemark (2:0 und 3:2), zweimal hat man die Schweiz verprügelt (5:0 und 7:1), dazu kamen die Machtdemonstationen im Final-Four der Nations League mit dem 3:0 gegen die Niederlande und dem zu knappen 2:0 im Finale gegen Frankreich.

In den 14 Pflichtspielen seit dem WM-Finale hat Trainerin Montse Tomé insgesamt 30 Spielerinnen eingesetzt, was wiederum Bände über die Kadertiefe spricht. Sieben bis acht Spielerinnen der Grundformation kommen von Liga- und Europacup-Dominator FC Barcelona oder sind dort ausgebildet worden; dazu kommen Linksverteidigerin Carmona, Sechser Abelleira und Flügelstürmerin Athenea von Real Madrid, die sich ins flüssige Gesamtspiel gut einfügen.

Das Spiel dreht sich um Weltfußballerin Aitana Bonmatí auf der Acht, ein Inbegriff des La-Masia-Fußballs: Klein, wenig, gedankenschnell, technisch perfekt, fehlerfreies Passspiel, grandioses Auge, kann antizipieren und auch noch Tore schießen. Doch selbst, wenn man die 26-Jährige an die Kette nimmt, bringt das oft nichts: Abelleira hinter ihr kann nicht nur die Abwehr abschirmen, sondern ebenso ein Metronom sein, die Qualitäten von Hermoso oder Putellas sind bekannt. Mariona Caldentey hat ein extremes Gespür für Räume und Laufwege, die Außenterteidigerinnen Batlle und Carmona sind Waffen im Spiel nach vorne, die Innenverteidigerinnen sind spielstark und Sprinterin Salma Paralluelo war – aller technischen Schwächen zum Trotz – mit ihrem Tempo schon bei der WM kaum zu halten.

Nach dem holprigen Start ihrer Amtszeit als Nachfolgerin des ungeliebten und im Zuge der Rubiales-Affäre aus dem Amt gespülten Jorge Vilda wirken Tomé und ihr Team zumindest nach außen wie eine echte Einheit. Wenn alles normal läuft, kann sich Spanien am Weg zum Gold eigentlich nur selbst schlagen – aber, wie erwähnt, das haben sie in den letzten Monaten auch schon zweimal geschafft.

Spaniens Gegner: Japan, Brasilien, Nigeria

Rückblende, Wellington in Neuseeland, 31. Juli 2023: Japan hat im letzten WM-Gruppenspiel gegen Spanien nur 23 Prozent Ballbesitz, gewinnt dennoch mit 4:0. Fast auf den Tag ein Jahr später kommt es zur Revanche im ersten Olympia-Gruppenspiel. Seit der WM, bei der sich das radikal verjüngte japanische nach vier grandiosen Spielen im Viertelfinale von Schweden abkochen hat lassen, kam die Nadeshiko ein wenig ins Holpern.

Das lag weniger an einem stockenden Lernprozess, sondern an personellen Sorgen. WM-Torschützenkönigin Hinata Miyazawa hat sich im Dezember den Knöchel gebrochen, die linke Flügelspielerin Jun Endo das Kreuzband gerissen, Hina Sugita spielt bei Portland in den USA eine schwache Saison. Man hatte im Quali-Playoff gegen Nordkorea extreme Mühe, beim SheBelieves Cup verlor Japan knapp gegen die USA und remisierte gegen Brasilien.

Ikeda hat zuletzt eher mit einem 4-2-3-1 gespielt statt mit dem 5-4-1 der WM, er hat personelle Optionen. Fuka Nagano hat sich bei Liverpool (als Nebenfrau von Marie Höbinger) ein Jahr in der englischen Liga abhärten können, Miyazawa ist zurück, mit Kumagai – die zuletzt in Testspielen aus der Innenverteidigung auf die Sechs vorgerückt ist – kann Ikeda ohne personelle Wechsel wieder die Fünferkette herstellen. Kiko Seike, die nun noch mit 27 Jahren den Sprung nach England zu Brighton wagt, ist eine Option auf dem Flügel.

Die Spielweise hat sich seit der WM nicht geändert: Japan hat kein Problem damit, dem Gegner den Ball zu überlassen, weil das Team extrem gut organisiert ist, die Räume manipulieren kann, technisch gut ist, schnell denken kann und durch immer mehr Legionärinnen in Europa, und da vor allem in England, auch von körperlicher Robustheit nicht mehr abgeschreckt ist.

Mit einigen Fragezeichen kommt Brasilien zum olympischen Turnier. Nicht, was das grundsätzliche Potenzial angeht, das ist fraglos da. Aber mit welchen Personal und in welchem System Teamchef Arthur Elias, der nach dem WM-Vorrunden-Aus gegen Jamaika letztes Jahr von Pia Sundhage übernommen hat, ist völlig offen.

Beim W Gold Cup im Februar und März, wo Brasilien mit zahlreichen frischen Gesichtern aufgetaucht ist, erreichte man nach den bleiernen Jahren unter Vadão und Sundhage mit erstaunlich frischem, flinkem und ineinander greifendem Spiel und einem 3-4-3 das Finale, unterlag dort der USA in einem engen Spiel. Beim SheBelieves Cup im März war es wieder ein 3-4-3, aber mit völlig anderem Personal – die Alten wie Marta, Cristiane und Tamires waren dabei, dazu ein paar komplett Unbekannte. Dann, bei zwei Tests gegen Jamaika, war es personell eine Mischung, dafür mit einmal mit 4-3-3 und einmal mit 4-2-3-1.

Stammkräfte wie Bia Zaneratto, Debinha und Torhüterin Luciana fehlen im Aufgebot komplett, Cristiane – die zwischendurch dabei war – ebenso, auch Geyse von Manchester United ist nicht mal auf Abruf. Dafür ist Marta wieder da und Kerolin scheint im Kader auf – obwohl die nach ihrem Kreuzbandriss seit Oktober kein Spiel mehr in den Beinen hat.

Es ist der letzte echte Pflichtspiel-Härtetest für Brasilien vor der Heim-WM in drei Jahren und in diesem Kontext muss man dieses Turnier sehen. Man darf nach den ermutigenden Auftritten darauf hoffen, dass Brasilien eine geschlossenere Mannschaft sein wird, nicht mehr nur eine Ansammlung an Individualisten. Und dieses Turnier wird der internationale Abschied von Marta: Die 38-Jährige hat im April noch einmal bekräftigt, das dies ihre letzten Länderspiele werden. Bei der WM 2023 war sie nur noch Wechselspielerin.

Der vierte im Bunde in der Gruppe C ist Nigeria. Bei der WM waren Oshoala und Co. trotz großer interner Turbulenzen zwischen Verband und Team ins Achtelfinale vorgestoßen und hätten dort beinahe England eliminiert. Der Verband, der Waldrum im WM-Vorfeld offiziell medial ausgerichtet hat, ihn für ein „ahnungsloses Großmaul“ und einen „Schmarotzer“ zu halten, verlängerte dann doch mit dem US-Amerikaner. Dieser blieb erfolgreich, qualifizierte Nigeria in einem engen Playoff gegen Südafrika (1:0 und 0:0) für Paris.

Und Waldrum blieb auch unbequem, fordert weiterhin öffentlich mehr Commitment vom Verband: „Wir sind wie Journalisten, die noch mit Bleistift und Block arbeiten, nicht mit modernen Geräten wie die anderen!“ Instrumente zur Leistungsmessung gibt es nicht, Tracking-Software ebenso nicht. Mit Nnadozie vom FC Paris, einer der besten Torhüterinnen der französischen Liga, und Angriffs-Sprinterin Oshoala (die in der NWSL bei Bay FC in San Jose spielt) ragen zwei Spielerinnen aus dem ansonsten guten, aber nicht überwältigenden Kollektiv heraus. Ein Viertelfinal-Einzug wäre eine kleine Überraschung.

Die Rekordsiegerinnen: USA

Das US-Team ist nicht nur Rekord-Weltmeister (1991, 1999, 2015, 2019), sondern auch Rekord-Olympiasieger (1996, 2004, 2008, 2012). Die planlosen Darbietungen beim peinlich frühen Aus im WM-Achtelfinale letztes Jahr – nachdem man schon das Olympia-Turnier von Tokio verhackt hatte – sorgten aber für eine schwere Identitätskrise. Man musste erkennen, dass die Europäer, die immer schon technisch und taktisch besser waren, nun auch athletisch kicken können.

Nachdem die große Generation der Zehner-Jahre um Rapinoe, Morgan, Lloyd und Ertz in die Jahre gekommen war, ist deutlich geworden, dass man unter der damaligen Überlegenheit im eigenen NWSL-Saft schmorend den Anschluss zum aufmagazinierten Europa verloren hat. Die naheliegende Lösung: Man holt sich eine jene Trainerinnen aus Europa, die mit dafür verantwortlich ist – Emma Hayes. Der US-Verband war letzten Herbst nach der WM so verzweifelt, dass er die komplette Saison auf die langjährige Chelsea-Trainerin gewartet hat.

Hayes, die siebenmal mit Chelsea englische Meisterin war, hat sich während der Saison von Twila Kilgore vertreten und personelle Grundlagenarbeit leisten lassen. Sie hat nun exakt vier Testspiele hinter sich, keines davon gegen ein Team von Olympia-Kaliber. Einzelne Rückschlüsse lassen sich ziehen, furchtbar ins Detail gehen konnte Hayes aber sicher noch nicht.

Das große Problem unter Vorgänger Andonovski war, dass es praktisch keinen Aufbau im Mittelfeld gab. Die Idee war, den Ball irgendwie ins Angriffsdrittel zu bolzen und dort mit überlegener Physis und mit individueller Qualität vor das Tor zu kommen. Mit diesem primitiven Spiel hätte man bei der WM fast sogar gegen Portugal verloren.

Im Gegensatz dazu setzt Hayes nun bewusst auf Spielerinnen im Mittelfeld, die vielleicht nicht über-kreativ gestalten können, aber doch Stabilität durch Passsicherheit bieten. Sam Coffey ist, was Michael Carrick früher bei Manchester United war: Unauffällig, gutes Stellungsspiel, keine spektakulären Pässe, aber auch keine Fehlpässe. Korbin Albert läuft viel, kann Präsenz zeigen und arbeiten, ist aber menschlich durch ihre ablehnende Haltung zu LGBTQ-Themen intern isoliert. Kapitänin Lindsey Horan sieht sich als Bindeglied zwischen Mittelfeld und Angriff, hat Routine und Führungsqualitäten.

Was sie alle miteinander nicht sind: Zweikampf-Monster. Jaelin Howell von Louisville, die einzige echte Abräumerin in der NWSL mit amerikanischem Pass, spielt im Nationalteam keine Rolle. Hayes geht das Risiko ein, im Mittelfeld die Ballsicherheit gegenüber der Absicherung der Abwehr zur priorisieren; in ihren vier Spielen gab es noch kein Gegentor, aber bei allem Respekt, da ging es gegen Südkorea (2x), Mexiko und Costa Rica. Naomi Girma ist auf dem Weg dazu, die beste Abwehrspielerin der Welt zu werden, defensiv sicher und mit einem grandiosen ersten Pass gesegnet. Hexerin ist sie aber keine. Und Sambia kommt im ersten Spiel mit einigen ganz scharfen Konter-Waffen daher.

Es ist für das USWNT kein Übergangsturnier, kein reines Test-Event auf dem Weg in eine taktisch-spielerisch tolle Zukunft. Das kann es für ein Team wie das der USA nicht sein, für das die höchsten Ansprüche gerade gut genug sind und bei dem bei jedem Antreten alles außer dem Turniersieg als fundamentaler Fehlschlag betrachtet wird. Genau das ist in dieser Situation vermutlich das Problem: Wenn einzig das Ergebnis zählt, rückt der Weg dorthin und die zugrunde liegenden Leistungen in den Hintergrund.

Diese Diskrepanz zu moderieren, wird eine zentrale Aufgabe für Hayes sein. Wenn sie das Gold nicht holt, ganz sicher. Noch viel mehr aber wahrscheinlich, sollte sie das Gold tatsächlich holen.

Die US-Gegner: Deutschland, Australien, Sambia

So richtig gerechnet damit haben sie beim DFB nicht, dass sie sich tatsächlich für die Spiele qualifizieren würden. Im Nachgang der komplett verunglückten WM vor einem Jahr brach der Vulkan bei Deutschland aus: Die atmosphärischen Störungen zwischen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, old-school in den Methoden und kühl-distanziert im menschlichen Umgang, traten offen zu Tage. Von nicht vorhandener Kommunikation war die Rede, Trainerin und eine junge Generation von fordernden, mündigen Spielerinnen waren nicht kompatibel, eine echte spielerische Strategie war in den drei Spielen in Australien ohnehin nicht zu erkennen.

Im Oktober erfolgte nach einer veritablen Hängepartie die Trennung und Horst Hrubesch sollte das Schiff wieder irgendwie in ruhige See führen, während im Verband erst eine neue Verantwortliche für den Frauenfußball gesucht wurde (es kam Nia Künzer) und dann ein hauptamtlicher Voss-Nachfolger (es wird nach Olympia Christian Wück übernehmen). Unter Hrubesch spielte Deutschland mal ganz okay und mal ziemlich schlecht, aber viel wichtiger: Alle kamen wieder gerne zum Nationalteam. „Der Horst“, wie auch die Spielerinnen den nordischen Seelenstreichler liebevoll nennen, brachte menschliche Wärme und Berechenbarkeit.

Für die Entwicklung einer mittel- und langfristig tragfähigen Spielidee sieht sich Hrubesch nicht zuständig, dafür sah er im permanenten Ergebnisdruck auch keine Zeit, und so sieht das deutsche Spiel auch aus. Es ist alles Work In Progress, zumal nach der Kreuzbandverletzung von Lena Oberdorf eine Woche vor Turnierstart im EM-Quali-Spiel gegen Österreich. Wenn es um die Verteilung der Medaillen geht, ist der Olympiasieger von 2016 eher nur Außenseiter. Das Erreichen des Viertelfinales muss aber das absolute Minimal-Ziel sein, wenn man schon einen der drei europäischen Startplätze hat.

Australien hat vor einem Jahr bei der Heim-WM für akutes „Tillies Fever“ gesorgt: Die Matildas rissen mit dem dramatischen Halbfinal-Einzug die ganze Nation mit. Den Grundstein hatte Tony Gustavsson mit einem überraschend guten Olympia-Abschneiden 2021 in Japan gelegt, als Australien erstmals bei einem Welt-Turnier in ein Halbfinale eingezogen war.

Letztes Jahr hatte Gustavsson lange auf die angeschlagene Star-Stürmerin Sam Kerr verzichten müssen, Runde um Runde wurde gezittert, ob sie fit wird. Nun ist von Haus aus klar: Kerr ist nach ihrem im Jänner erlittenen Kreuzbandriss definitiv nicht dabei. Und das ist ein Problem, denn das Spiel ist natürlich auf die beste Spielerin ausgerichtet. Wie letztes Jahr bei der WM baut Gustavsson grundsätzlich auf ein 4-4-2 – grundsolide Abwehr, schnelle Flügelspielerinnen. Das Mittelfeld-Zentrum hat war auf diesem Niveau nicht besonders große Kreativität zu bieten, dafür umso mehr Lunge.

Am Wohlsten fühlt sich Australien, wenn man dem Gegner den Ball überlassen kann und die schnellen Flügel bzw. in weiterer Folge Stürmerin Kerr schicken kann. Ohne die 30-Jährige von Chelsea wird wohl Michelle Heyman ganz vorne ran müssen, entweder mit Mary Fowler als Adjutantin oder mit Emily van Egmond oder mit Cortnee Vine (Fowler spielt sonst links, Gorry im Zentrum). Heyman hat viel Routine, war schon vor acht Jahren bei der WM dabei, aber von der Klasse einer Kerr ist sie weit entfernt.

Das Spiel der Matildas ist fußt darauf, nicht in Rückstand zu geraten. Die Bilanz gegen starke Teams ist seit der WM ernüchternd: Drei Niederlagen gegen Kanada, ein Remis und ein knapper Sieg gegen China. In der Olympia-Quali hatte man etwas Losglück und mit unterlegenen Kontrahenten der Kragenweite Taiwan, Philippinen und Usbekistan keine Probleme.

Ein drittes internationales Semifinale in Folge wäre ein großer Erfolg für die Matildas, die allerdings auch auf den vierten Gruppengegner achten müssen. Frag nach bei Deutschland – ein Jahr ist es her, dass die DFB-Elf in Fürth ein Testspiel vor der WM 2:3 gegen Sambia verloren hat.

Vor drei Jahren war Sambia überraschend mit dabei, war zwar in der Defensive vogelwild, aber schoss China vier Tore und Holland drei. Bei der WM zog man in der Gruppe gegen Spanien und Japan den Kürzeren, schärfte aber das Profil. Rachel Kundananji (um 800.000 Euro zum Bay FC) und Barbara Banda (um 700.000 Euro zu Orlando) sind nicht nur die teuersten Transfers der NWSL-Geschichte, sie sind dabei überhaupt die teuersten Fußballerinnen bisher. Die Konter von Sambia über die beiden sind gefürchtet und sie sind es auch, das das individuell sonst recht schwache Team konkurrenzfähig machen.

Sambia ist aber auch ein mahnendes Beispiel dafür, wieviel hinter den Kulissen oft noch im Argen liegt. Dass sich Trainer Bruce Mwape an seinen Spielerinnen vergeht, gilt in der Szene weitgehend als verbrieft; dass er sie (wie bei der WM auch FIFA-Delegierte) begrapscht, steht zweifelsfrei fest. Der 64-jährige Lustmolch genießt dennoch das Vertrauen des Verbandes, Frankreich gewährte ihm aber nur nach langem Hin und Her ein Visum und nur unter der Auflage, dass er keinen privaten Kontakt zu den Spielerinnen hat.

Die Gastgeberinnen: Frankreich

Die Französinnen haben nach einer soliden WM das Viertelfinale gegen Australien im Elfmeterschießen verloren – nach einem zähen 0:0 zum Start gegen Jamaika war man zu einem starken 2:1-Sieg gegen Brasilien gekommen, bewies mentale Widerstandskraft, daran hatte es Frankreich ja immer gefehlt. Nach zahllosen Versuchen erreichte man in der Nations League auch wirklich mal ein (halbwegs) großes Finale. Dort stand halt Spanien auf der anderen Seite, was will man da machen.

Unter Hervé Renard – der nach Olympia einen neuen Job annehmen wird, kolportiert wird Interesse vom US-Verband für das Männer-Team – umweht die Französinnen so ein wenig der kontrollierte Wind der Marke Deschamps. Es ist längst nicht so zurückhaltend wie bei den Männern, aber Renard will eher Kontrolle sehen. Mit Katoto im Sturmzentrum, die nach ihrem bei der EM 2022 erlittenen Kreuzbandriss fast eineinhalb ihrer besten Jahre verloren hat, gibt es eine eiskalte Vollstreckerin.Wenn es der Gegner erlaubt, spielt man sich aber durchaus auch gerne an den Strafraum, mit den Flügelstürmerinnen Diani, Bacha oder Cascarino. In der Viererkette stürmt Karchaoui links gerne weit mit nach vorne, dafür verleiht die deutlich defensivere De Almeida rechts die defensive Balance. Es wird nicht im Block verteidigt, sondern mit gezieltem Mittelfeld-Pressing ein gezielte Aufbau beim Gegner unterbunden.

Mit dem Zugang, dass Kontrolle im Zweifel den Vorzug vor Flair erhält, gab es im Frühjahr in der EM-Quali den Gruppensieg in einer extrem harten Gruppe mit knappen Arbeitssiegen. 1:0 nach früher Führung gegen Irland, 1:0 mit einer späten Ecke in Schweden, man fügte England mit dem 2:1 in Newcastle die erste Pflichtspiel-Heimniederlage seit 19 Jahren zu und gewann auch daheim gegen Schweden 2:1. England revanchierte sich zwar mit dem 2:1 in St.-Étienne und das abschließende 1:3 in Irland – wo sich eine Woche vor Olympia-Start niemand mehr weh tun wollte – war ein wenig peinlich, änderte aber nichts an Platz eins.

Seit dem damals etwas überraschenden WM-Halbfinal-Einzug 2011 gehörte Frankreich praktisch immer zu den Mit-Favoriten, brachte immer einen Weltklasse-Kader daher, hat es aber immer geschafft, viel zu früh zu scheitern. Hervé Renard hat mit Sambia und der Elfenbeinküste den Afrikacup gewonnen, war mit den Männern von Marokko und Saudi-Arabien bei WM-Endrunden. Er weiß, wie man Turnieren managen kann und die Final-Teilnahme in der Nations League bestätigt, dass sein Zugang nicht völlig verkehrt ist.

Der Auftrag beim olympischen Heimspiel lautet selbstverständlich, die Goldmedaille zu holen. Sollte es nach einer möglichen Niederlage im programmgemäßen Halbfinale gegen Spanien „nur“ Bronze werden, wäre das aber dennoch ein schöner Erfolg.

Frankreichs Gegner: Kanada, Kolumbien, Neuseeland

Im Vergleich zu den anderen beiden Gruppenköpfen hat Frankreich vermutlich die am wenigsten starke Gruppe erwischt – man bekommt es mit fraglos guten Teams zu tun, aber nicht mit unbedingten Medaillen-Kandidaten. Oder muss man Kanada doch wieder dazu zählen?

Der Sieger des Olympia-Turniers von 2021 hat damals in Japan den Titel eher ein wenig abgestaubt als ihn mit fliegenden Fahnen erobert. Kanadas große Legende Christine Sinclair, die vor 21 Jahren mit dem WM-Halbfinal-Einzug den Durchbruch geschafft hatte, hat ihre Nationalteam-Karriere nach der WM 2023 beendet, man ist immer noch keine allzu kreative Truppe und der Spielerpool ist relativ klein. Trainerin Bev Priestman bringt aber auf jeden Fall eine sehr patente erste Elf auf den Rasen.

Sie hat nach dem Vorrunden-Aus letztes Jahr (bei dem, wie beim Olympiasieg, die Umstände eine ebenso große Rolle spielten wie die eigenen Leistungen) vom 4-2-3-1 auf ein 3-4-3 umgestellt, in dem die beiden Wing-Backs die signifikanteste Anpassung gegenüber der WM erfahren haben. Priestman hat sie nämlich erstens die Seiten tauschen lassen – Linksfuß Ashley Lawrence spielte im Frühjahr stets rechts, Rechtsfuß Jayde Riviere links. Zum anderen schoben die beiden extrem weit nach vorne, während die Doppelsechs mit zwei aus dem Trio Fleming / Grosso / Awujo gemeinsam mit der Dreier-Abwehr die Tiefenstaffelung absichert.

Damit ist Kanada seit 14 Spielen ungeschlagen, kreuzte dabei dreimal mit Australien, zweimal mit Brasilien und auch mit den USA die Klingen, also absolut nicht nur Fallobst. Ob der personelle Atem reicht, um die vierte Medaille in Folge zu erobern – schon 2012 in London und 2016 in Rio hat Kanada jeweils Bronze geholt – ist eher fraglich. Aber eine Rehabilitation für das frühe WM-Aus vor einem Jahr muss es schon sein.

Weiter gekommen als erwartet ist bei der WM das Team aus Kolumbien, es wurde nach dem Gruppensieg (vor Deutschland) das Viertelfinale. Mit annähernd unveränderter Mannschaft wird nun im dritten Versuch nach 2012 und 2016 das erstmalige Erreichen des olympischen Viertelfinales angepeilt. Fokuspunkt ist natürlich immer noch Wunderkind Linda Caicedo, zu der auf allen Offensiv-Positionen einsetzbaren Caicedo ist mit Mayra Ramírez nun auch eine zweite Spielerin ins Blickfeld gerückt.

Chelsea blätterte für die Stürmerin, die auch am Flügel spielen kann, vor einem halben Jahr einen Ablösesumme hin, die kurzzeitig sogar Weltrekord im Frauen-Bereich war. Wenn Caicedo die unverschämt talentierte TikTok-taugliche Trickserin ist, ist Ramírez der unglamouröse, hart arbeitende und ziemlich erdige Gegenpol. Sie ist aber um nichts weniger torgefährlich. Die starke WM war der Beweis, dass Kolumbien die Krise nach der verpassten WM 2019 (und den damit ebenfalls verpassten Olympischen Spielen 2021) überstanden hat, es nur eine Hürde war, kein Anfang vom Ende.

Der damalige Co-Trainer Ángelo Marsiliga hat nach der WM 2023 von Teamchef Nelson Abadía das Amt übernommen, die Ergebnisse bewegen sich im unauffälligen Bereich des erwartbaren: Gegen Kaliber wie USA und Brasilien geht nicht viel, Mittelklasse-Gegner wie Mexiko und Neuseeland sind aber auf der Abschlussliste.

Apropos Neuseeland. Die Ferns sind natürlich auch wieder dabei, aber statt Optimismus nach dem vorzeigbaren Auftritt bei der Heim-WM mit dem gefeierten Sieg gegen Norwegen, gibt’s kräftig Ärger. Teamchefin Jitka Klimková hat sich mehr oder weniger selbst suspendiert, weil gegen sie eine interne Untersuchung läuft. Was genau zwischen ihr und der Mannschaft vorgefallen ist, halten alle Beteiligten unter Verschluss, aber es muss gravierend sein.

Statt ihr wird ihr 39-jähriger Assistent Michael Mayne das neuseeländische Team bei Olympia betreuen und besonders ermutigend war das erste Jahr nach der WM nicht. Von einem 4:0 gegen Thailand abgesehen, gab es gegen außer-ozeanische Konkurrenz keinen einzigen Sieg und nur drei Tore in acht Spielen gegen Chile, Kolumbien, Sambia, Thailand und Japan. Die große Schwäche von Neuseeland ist der eigene Spielaufbau, dieser kostete auch den Aufstieg ins WM-Achtelfinale (weil man dort gegen die Philippinen und die Schweiz kaum eine Torchance erarbeiten konnte).

Die WM war gegenüber den ambitionslosen Auftritten bei den vielen Turnieren davor – und dank der Nicht-Konkurrenz in der Südsee ist Neuseeland ja immer dabei – ein Fortschritt, weil zumindest ein Bemühen erkennbar war. Routinier Hannah Wilkinson (Siegtorschützin gegen Norwegen) ist in Paris nicht dabei, Annalie Longo ist nur auf Abruf. Im Idealfall nehmen die Ferns da oder dort einen Punkt mit. Die Chance auf ein Überstehen der Gruppenphase war letztes Jahr aber wohl größer.

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/07/23/olympia-2024-preview-gold-fuer-spanien-am-silbertablett/feed/ 0 standard
Sissi: „Die WM 1999 hat mein Leben, meine Generation verändert!“ https://ballverliebt.eu/2024/07/21/sissi-the-1999-world-cup-changed-my-life-and-my-generation/ https://ballverliebt.eu/2024/07/21/sissi-the-1999-world-cup-changed-my-life-and-my-generation/#respond Sun, 21 Jul 2024 18:33:41 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20475 Sissi: „Die WM 1999 hat mein Leben, meine Generation verändert!“ weiterlesen ]]> Vor 25 Jahren hat die Frauen-WM 1999 den Sport von Grund auf verändert. Brasiliens Spielmacherin Sissi war einer der Stars des Turniers, wurde Torschützenkönigin. Sie hat sich fast eineinhalbstunden Zeit genommen, um mit uns zu sprechen – über das Turnier damals, die Anfänge in Brasilien und die Lage des Frauenfußballs dort vor der Heim-WM 2027 – und warum die Niederlage im Halbfinale von 1999 wahrscheinlich wegweisend für ihr restliches Leben sein sollte.

Wenn es der Verkehr erlaubt, dauert die Autofahrt von Oakland nach Walnut Creek auf der California State Route 24 kaum mehr als 20 Minuten. Das Städtchen ist nicht recht bemerkenswert, Ski-Weltmeister Daron Rahlves ist hier geboren, Tenacious-D-Bassist Kyle Gass ebenso. Und es ist die Heimat des Fußballklubs Walnut Creek Surf. Es besteht eine Kooperation zum gleichnamigen Klub in San Diego, es ist ein Nachwuchs-Klub mit zahlreichen Junioren-Altersklassen.

Sissi gehört hier zum Trainerstab. Die Brasilianerin war eine elegante, technisch extrem beschlagene Spielmacherin, eine klassische Nummer 10, auffällig wegen ihrer Glatze und eine der Stars des Frauenfußballs dieser Zeit. Ihre sieben Tore bei der WM 1999 in den Vereinigten Staaten machten sie gemeinsam mit der Chinesin Sun Wen zur Torschützenkönigin. Dieses Turnier war das erste bei den Frauen, bei dem sich die Organisatoren getraut haben, es so groß aufzuziehen wie etwa die Männer-WM in den USA fünf Jahre zuvor.

Es war ein großes Risiko, aber eines, das sich ausgezahlt hat. Namen wie Mia Hamm, Sun Wen und eben Sissi wurden über die Szene hinaus bekannt. Nun, zum 25-jährigen Jubiläum dieses Turniers, haben wir Sissi gefragt, ob sie sich mit uns unterhalten will – über das Turnier selbst, was es für sie und den Sport generell bedeutet hat – und über den Zustand des Frauenfußballs in ihrer Heimat Brasilien, die 2027 die nächste Frauen-WM ausrichten wird.

Sissi, die Frauen-WM 1999 in den USA war eine große Sache. Aber war sie wirklich der Durchbruch für den Frauenfußball als Ganzes – oder nur für den Frauenfußball in den USA

Das Turnier von 1999 hat mein Leben verändert, meine ganze Generation. Wenn ich darüber rede, was damals passiert ist, bekomme ich immer noch Gänsehaut. In diesen großen, oft ausverkauften Stadien einzulaufen – wir haben ja nie geglaubt, jemals vor so vielen Menschen zu spielen. Ich bin überzeugt, dass sich der Frauenfußball nach 1999 für immer verändert hat, wiewohl es außerhalb der Vereinigten Staaten etwas länger gedauert hat.

In Brasilien war Frauenfußball bis 1979 verboten, deutlich länger als in anderen Ländern, und es sollte bis 1983 dauern, ehe der brasilianische Verband die grundsätzlichen Regularien für den Frauenfußball verabschiedet hat. Wie sind Frauen von den Vereinen, vom Verband, von Männern ganz allgemein behandelt worden, nachdem das Verbot gekippt worden ist?

Da gab es natürlich schon Widerstände, auch weil wir unsere eigene Identität haben wollten. Wir wollten beweisen, dass wir es auch können. Wir waren die Pioniere, hatten für unsere Möglichkeiten zu kämpfen. Es war nicht leicht, aber wenn ich jetzt zurück blicke, kann ich sagen, ja, das war es Wert.

Eine gut gelaunte Sissi nahm sich lange Zeit für unser Interview. „Die Jugendlichen im Verein kriegen mit, wer ich bin“, sagt sie, „ihre Eltern wissen über meine Karriere aber natürlich besser Bescheid.“

Sie waren 13 Jahre alt, als das Verbot gekippt wurde und bereits 16 Jahre alt, als der Verband grünes Licht gab. Sie haben aber doch sicher schon früher mit dem Fußball angefangen?

Ich bin in einer kleinen Stadt im Bundesstaat Bahia aufgewachsen. Mein Vater war Fußballer und er wollte, dass mein Bruder auch Profi wird. Ich habe sie immer auf die Probe gestellt. Wenn sie über etwas sagten, dass Mädchen es nicht könnten, habe ich gesagt: „Doch, und ich zeig’s euch.“ Sie haben also im Garten gekickt und ich wollte mitmachen, aber sie haben mich weggeschickt und gesagt, ich solle mit meinen Puppen spielen. Sie wollten mir keinen Ball geben, also habe ich die Köpfe von meinen Puppen abgerissen und habe mit denen Fußball gespielt.

Genau genommen haben Sie also mit den Puppen gespielt…

Ja! Und meine Schwester war dann sauer auf mich, weil für sie nur noch die Puppen ohne Köpfe da waren… Ich habe alles zum Kicken genommen, Socken, Klopapier, Orangen. Dann habe ich begonnen, mit den Jungs aus der Nachbarschaft zu spielen. Ich hatte eigentlich erwartet, dass sie mich nicht mitspielen lassen, aber ganz im Gegenteil: Sie haben sich beim Wählen der Mannschaften bald um mich gestritten. Ich habe dafür Schwierigkeiten mit meiner Mutter bekommen, weil sie von den Nachbarn angepöbelt wurde, dass es sich nicht gehört, dass ich als Mädchen mit den Jungs spiele. Mir war das aber egal.

Nirgendwo auf der Welt konnten Frauen in den Achtzigern und Neunzigern vom Fußball leben, also auch nicht in Brasilien. Wie sind Sie über die Runden gekommen?

Wir mussten einfach einen Weg finden. Ich persönlich habe nicht nur Fußball gespielt, sondern auch Futsal. Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, vom Futsal zu leben, hätte ich das Spiel auf dem Feld vermutlich aufgegeben. Tatsache aber ist, dass viele Spielerinnen aus meiner Generation mit dem Fußball aufgehört haben, weil es sich einfach finanziell nicht ausgegangen ist. Ich hatte neben meinen Engagement im Futsal das Glück, dass die Klubs für die ich gespielt habe – FC São Paulo, Palmeiras, Vasco da Gama – zumindest so gute Verträge gaben, dass ich durchbeißen konnte. Aber natürlich musste ich immer noch jeden Cent sparen.

Es gab also keine Strukturen, die es ermöglicht hätten, sich auf den Fußball zu konzentrieren.

Nein, für mich änderte sich das erst, als ich 2001 in die USA ging, um in San Jose in der damals neu gestarteten Profiliga WUSA zu spielen. Erst da wurde ich wirklich Profi im Wortsinn.

Sie haben die erste Frauen-WM 1991 verletzungsbedingt verpasst, waren aber beim als Test-WM fungierenden Einladungsturnier in China 1988 dabei, ebenso bei der Frauen-WM in Schweden 1995. Wie waren diese Turniere aus Ihrer Sicht?

Also, 1988 war das Motto “Mal sehen, was passiert“. Sie haben eine Gruppe aus verschiedenen Teilen des Landes zusammengestellt, der Kern stammte aber von Spielerinnen von EC Radar. Für mich ging ein Traum in Erfüllung, denn ich habe immer davon geträumt, für Brasilien zu spielen und ich hatte nicht erwartet, dass sich die Chancen tatsächlich einmal bieten würde. Es war schwierig und herausfordernd, es war in puncto Spielsystem im Grunde nichts vorhanden. Wir haben aber gut abgeschnitten, sind ins Halbfinale gekommen. Danach hat sich eben die Frage gestellt, was danach kommt.

Haben sich die Dinge verbessert?

Wir hatten keine großen Erwartungen, manches hat sich vebessert, aber nicht besonders viel. Für 1995 gab es wieder ein paar Fortschritte, aber wieder nichts Substanzielles. Was Strukturen angeht, Unterstützung, Medieninteresse – in Wahrheit gab es nichts davon. Wir hatten nicht mal unsere eigenen Trikots, sondern mussten die der Männer auftragen.

Bei der Frauen-WM 1995 startete Brasilien zwar mit einem 1:0-Sieg gegen Gastgeber Schweden, verlor danach aber gegen Japan (1:2) sowie den späteren Finalisten Deutschland (1:6) und wurde Gruppenletzter.

Und für die WM von 1999?

Für die haben wir uns besser vorbereiten können, weil einige der großen Vereine in Brasilien da schon Frauen-Sektionen gegründet hatten. Es waren kleine Schritte, aber immerhin.

Wie war Ihre persönliche Vorbereitung für die WM 1999?

Das ist eine lustige Geschichte, denn ehe ich ins Trainingscamp einrückte, hatte ich einen Unfall beim Futsal. Ich war die Nacht über im Krankenhaus und die Ärzte sagten, sie müssten operieren, weil ich eine Fraktur unter dem Auge hatte. Ich sagte: „Nein, das geht nicht! Es ist WM und ich muss ins Trainingslager!” Also habe ich unterschrieben, dass ich das Krankenhaus gegen ärztlichen Rat verlasse. Es war das Verrückteste, was ich jemals gemacht habe.

Sie haben also die WM 1999 mit einer Knochenfraktur im Gesicht gespielt?

Ja, haben ich. Als ich eingerückt bin, habe ich dem Teamarzt nichts davon gesagt, außer ein paar Mitspielerinnen wusste niemand davon. Ich hatte das Gefühl, dass etwas Besonderes passieren würde. Ich kann nicht sagen, warum, aber ich fühlte, dass es meine Gelegenheit war, Großes zu vollbringen und ich wusste ja nicht, ob ich noch jemals wieder die Chance dafür haben würde. Ich gebe aber zu, dass ich etwas besorgt war, dass mich jemand schwer foulte.

Hätte Sie also jemand umgetreten wie es Australiens Alicia Ferguson im letzten Gruppenspiel mit Chinas Bai Jie gemacht hat – wobei sich die Chinesin eine Gehirnerschütterung zuzog – wäre das für Sie sehr problematisch gewesen?

Ganz genau. Aber auf dem Feld kann ich Ich selbst sein, mich ausleben. Fußball hat mir so viel Freude gegeben! Und auf dem Feld habe ich auch gar nicht über die Verletzung nachgedacht, ich wollte einfach spielen und Brasilien repräsentieren. Es waren einige der besten Tage, der besten Erinnerungen in meinem Leben.

Nach einem 7:1 gegen Mexiko hat Brasilien gegen Italien 2:0 gewonnen. Das Resultat spiegelt die Dominanz Brasiliens nicht mal ansatzweise wider: Adele Frollani und Federica D’Astolfo hatten Sissi rein gar nichts entgegen zu setzen.

Im ersten Spiel gab es einen 7:1-Kantersieg gegen Mexiko, danach gab es einen ungefährdeten 2:0-Sieg gegen Italien – damit war Brasilien bereits fix im Viertelfinale. Zu welchem Zeitpunkt im Turnier haben Sie erstmals gedacht, dass Brasilien wirklich weit kommen kann? Denn einerseits war die WM 1995 mit dem Vorrunden-Aus ein sportlicher Fehlschlag, andererseits hatte Brasilien bei Olympia in Atlanta 1996 schon das deutsche Team eliminieren können.

Das war wohl, als wir das 3:3 gegen Deutschland im letzten Gruppenspiel erreicht haben, das war ein wildes Spiel, wir haben in der Nachspielzeit ausgeglichen. Es gab zwei Länder, bei denen wir besonders heiß waren, sie zu besiegen – Deutschland und die USA. Und da besonders die Amerikanerinnen, jeder wollte die schlagen, weil sie die Besten waren. Aber nach dem Match gegen Deutschland habe ich gesagt, ja, wir haben eine Chance. Man fängt an, groß zu träumen. Warum auch nicht?

Sie wussten, dass es wohl einen Punkt gegen Deutschland braucht, um nicht im Viertelfinale schon gegen die USA spielen zu müssen. War das ein Thema?

Wir haben das schon mit dem Trainerstab besprochen, aber ganz ehrlich, es war uns relativ egal. Wenn man bei einer WM erfolgreich sein will, muss man so oder so die besten Teams besiegen.

Im dritten Gruppenspiel ging Deutschland durch Prinz (8.) früh in Führung, aber Brasilien drehte das Spiel rasch um (Kátia in der 15., Sissi in der 20. Minute). Deutschland tat nach der Halbzeit das selbe (Wiegmann per Elfmeter in der 46., Jones in der 58. Minute). Maycon, die für Suzana eingewechselt worden war, glich in der Nachspielzeit zum 3:3 aus.

Die Mannschaft, die Brasilien damals hatte – Sie selbst natürlich, Pretina und Katia als Stürmerinnen vor Ihnen, Formiga hinter Ihnen, Elane als Libero, Maravilha im Tor – wie sind Sie persönlich und auf dem Feld miteinander klar gekommen und wie war das Verhältnis mit Trainer Wilsinho?

Die meisten Spielerinnen haben im Verein beim FC São Paulo zusammen gespielt. Wir kannten uns, es gab einen Gemeinschaftssinn, ein gegenseitiges Verständnis. Wir waren wie eine Familie mit einem gemeinsamen Ziel. Es war wohl die beste Gruppe, mit der ich je arbeiten durfte! Im Grunde war es der FC São Paulo, nur mit anderem Trainer. Wir hatten uns auf Wilsinho einzustellen, aber er hat auch unsere Ideen angenommen und uns die Freiheit eingeräumt, wir selbst zu sein. Das sah man auch.

Inwiefern?

Nun, Formiga und ich beispielweise waren gute Freunde. Sie sagte immer: “Hey, wenn dir jemand blöd kommt, keine Sorge, ich bin da für dich!“ Dank ihr konnte ich noch mehr glänzen, weil ich wusste, sie hält mir den Rücken frei. Sie sagt: „Ich mache die Drecksarbeit für dich, damit du das Spiel machen kannst.“ Sie ist unglaublich und ihre Mitspielerinnen sollten noch zwei Jahrzehnte von ihr profitieren.

Im Viertelfinale gegen Nigeria lagen Sie zur Halbzeit schon komfortabel 3:0 in Führung, aber Nigeria kämpfte sich zurück und erzwang die Verlängerung. Wie ist das geschehen?

Man muss halt das ganze Spiel hindurch fokussiert bleiben. Es braucht nur eine Sekunde der Unaufmerksamkeit und man macht dumme Fehler, weil man nicht aufpasst und abgelenkt wird. Ich denke, genau das ist uns passiert.

Im Viertelfinale gegen Nigeria sorgten Cidinha (4., 22.) und Nenê (35.) für eine komfortable 3:0-Pausenführung, aber Nigeria glich zum 3:3 aus (Emeafu in der 63., Okosieme in der 72. und Egbe in der 85. Minute). Kurz vor Ende der regulären Spielzeit saht Avre nach einem Foul an Maycon die gelb-rote Karte. In der Verlängerung traf Sissi per Freistoß zum Golden Goal.

In der 104. Minute erzielten Sie das berühmte Freistoß-Tor zum 4:3, es war das Golden Goal. Sie waren offenkundig die beste Standard-Schützin des Turniers, aber wie wurden Sie so gut bei Freistößen?

Ich habe viel trainert. Ich bin jeden Tag nach dem Training noch mit den Torhüterinnen geblieben, um Freistöße aus allen Positionen zu trainieren, Eckbälle, alles. Weil ich wusste, dass ein Spiel von solchen Details entschieden werden kann. Ich und unsere Torhüterin Maravilha haben uns duelliert, wir beide waren extrem ehrgeizig, jeder wollte die andere im Training besiegen. Als also gegen Nigeria dieses Foul an Maycon passierte, habe ich es sofort gewusst. Ich habe sogar zu ihr gesagt: „Du wirst sehen, jetzt ist es gleich vorbei!“ Ich wusste es einfach, weil ich es immer und immer wieder geübt hatte. Einige Zeit später habe ich Mercy Akide getroffen, die damals Nigerias Spielmacherin war, und sie hat mir gesagt: „Du hast dafür gesorgt, dass unsere Torhüterin danach den ganzen Tag geheult hat!“

Im Halbfinale ging es gegen die USA, das Match hat für Brasilien schlecht begonnen, das US-Team ist nach einem Fehlgriff von Maravilha früh in Führung gegangen. Brasilien war danach gut im Spiel, es hat aber nicht ganz gereicht. Wie erinnern Sie sich an dieses Spiel?

Wir haben sie uns genau angesehen, haben die TV-Bilder analysiert. Wir waren bereit und fokussiert, aber wir wussten auch, dass sie ein tollen Team waren und die Fans im Rücken hatten.

Damit lastete aber auch der ganze Druck auf deren Schultern.

Ganz genau. Wir haben uns gesagt, wir sind die Außenseiter, haben nichts mehr zu verlieren, halten uns an unseren Plan. Wir wussten, wen wir stoppen mussten. Sie aber auch. Brandi Chastain hat mir später erzählt, dass sie explizit angewiesen waren, keine Freistöße in Strafraumnähe herzugeben. Einige Situationen sind nicht zu unseren Gunsten ausgegangen und wir haben verloren.

Im Halbfinale, passenderweise am Independence Day ausgetragen, nützte die USA einen Fehler von Maravilha schon nach vier Minuten zur Führung. Am Ende sorgte ein Elfmeter von Akers nach Elane-Foul an Hamm zehn Minuten vor Schluss für den 2:0-Endstand.

Ein Qualitätsunterschied zwischen den Teams war kaum zu erkennen.

Es war recht ausgeglichen. Wir waren stolz auf uns, es war ein gutes Turnier für Brasilien. Als wir vor der WM Brasilien verlassen haben, waren die Erwartungen gering, die Leute haben erwartet, dass wir schnell wieder daheim sein würden. Wir sind aber bis zum Ende geblieben, haben das Spiel um den dritten Platz gegen Norwegen gewonnen.

Spielen wir mal “Was wäre, wenn“. Wenn Sie an diesem Tag die USA besiegt hätten, wäre dann die 2001 gestartete Profi-Liga WUSA überhaupt zu Stand gekommen? Denn wenn nicht, hätten Sie womöglich nie die Gelegenheit gehabt, in die Staaten zu kommen und dort Profi zu werden.

Das ist eine gute Frage. Ich bin nicht sicher. Ich denke, dass wir dank den Amerikanerinnen die erste Profiliga bekommen haben. Ich weiß es nicht.

Sie haben nie darüber nachgedacht, richtig?

Nein, um ehrlich zu sein, das ist das erste Mal, dass ich das gefragt werde. Die US-Spielerinnen haben damals für ihre Liga und für sich selbst gekämpft, sind sogar gegen ihren Verband vor Gericht gezogen. Wir müssen dankbar sein für diese Gruppe Spielerinnen. Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich ohne sie jemals hierher gekommen wäre.

Also: Die WM 1999 hat ihren Anteil, aber was den Frauenfußball wirklich verändert hat, war wohl diese Gruppe von US-Spielerinnen damals?

Absolut. Als ich nach San Jose kam und mit Brandi Chastain gespielt habe, hat sie erzählt, was alles passisert ist. Darum werde ich für immer dankbar sein. In der weltweit ersten Frauen-Profiliga zu spielen, mit den Besten der Besten… Das war etwas ganz Besonderes. Darum sage ich ihnen auch immer, wenn ich sie sehe: „All das ist wegen euch passiert und die Leute dürfen das niemals vergessen!“

Hat die WM 1999 und Ihr persönlicher Erfolg auch in Brasilien mittel- und langfristig verändert, oder passierte das erst in der Zeit von Marta oder gar noch später?

Es hat sich was verbessert, aber nicht viel. Und um ehrlich zu sein, wir kämpfen immer noch um Verbesserungen. Es gibt nicht viele Vereine, die sich wirklich zum Frauenfußball committen. Was die Strukturen angeht, was Wettbewerbe angeht, sind wir noch nicht da, wo wir hin müssen. Vielleicht ändert sich das jetzt, wo wir den Zuschlag für die Ausrichtung der WM 2027 erhalten haben. Das ist meine Hoffnung und die von vielen Spielerinnen in Brasilien.

Es ist in Brasilien aber immer noch besser als in anderen südamerikansichen Ländern, wenn man etwa an Argentinien oder Kolumbien denkt.

Sicher, keine Frage. Und ich finde das so schade, weil es so viele tolle Spielerinnen gibt, so viel Talente. Darum ist es ja so ärgerlich.

Beim W Gold Cup im Frühjahr kam Brasilien mit zahlreichen international kaum bekannten Spielerinnen bis ins Finale. Im Olympia-Kader für Paris fehlen die Routiniers Debinha, Bia Zaneratto und Luciana – Marta ist dafür mit dabei.

Sind Sie optimistisch, was die Aussichten in Brasilien angeht?

Ich träume davon, dass Brasilien etwas Großes gewinnt. Es gibt keine Formiga mehr, auch keine Marta, aber wenn man sich unsere jungen Spielerinnen ansieht, die haben richtig Qualität. Es kommen viele neue, junge Kräfte nach. Aber sie brauchen die Unterstützung, nicht nur finanziell, sondern in allen Bereichen. Warum verlassen denn so viele Spielerinnen Brasilien und suchen anderswo ihre Chancen? Weil es diese Chancen in Brasilien nicht gibt. Natürlich ist es besser, als es früher war, aber schauen Sie nach England, nach Spanien. Das müssen die Vorbilder für Brasilien sein.

Also: Während andere Länder in den letzten zehn Jahren investiert haben, hat es Brasilien verabsäumt, diesbezüglich nachzuziehen?

Ja.

Warum?

Wegen unsere Kultur. Die Menschen in Brasilien sind so kritisch. Auch im Männerbereich. Jetzt haben wir alles, was wir uns damals gewünscht hätten. Aber man stelle sich vor, wir hätten diese Unterstützung damals schon gehabt.

Sehen Sie die Möglichkeit, dass 2027 für Brasilien einen Effekt haben könnte wie 1999 für die USA?

Das ist schon möglich. Aber die Chance wird verloren sein, wenn wir uns nicht für 2027 vorbereiten, und zwar ab jetzt. Nein, besser schon ab gestern! Wir dürfen nicht warten, dass das Turnier kommt und dann auf das Beste hoffen. Die USA hat sich für 1999 vorbereitet. Alle haben gesagt, dass sie verrückt sind, in diese riesigen Stadien zu gehen, aber man hat gesehen, was es für ein Erfolg wurde. Die WM 2027 ist eine Chance für Brasilien, vielleicht die einzige. Entscheidend ist, wie es jene Leute handhaben, die für den Frauenfußball in Brasilien verantwortlich sind. Wenn sie das jetzt nicht richtig machen… Aber man muss positiv bleiben und ich bin ein positiver Mensch. Ich hoffe, dass 2027 ein Erfolg wird.

Sie selbst haben auch bei Olympia 2000 in Sydney gespielt, wo Brasilien wiederum ins Halbfinale gekommen ist. Danach sind sie nie wieder für Brasilien aufgelaufen, obwohl sie in den USA regelmäßig auf höchstem Niveau gespielt haben. Warum?

Nun, 1999 war sehr gut, 2000 nicht. In Sydney war ich eine klare Führungsspielerin. Hinter den Kulissen sind einige Dinge passiert, und ich habe beschlossen, für mich und die anderen Spielerinnen einzustehen, auch für die, die nach uns kommen würden. Ich habe dem Verband meine Bedenken aufgezeigt und habe einen hohen Preis dafür bezahlt, zu sagen: „Das ist nicht gut genug!“

Hatte die Unruhe im Umfeld Auswirkungen auf Ihre Leistungen am Feld?

Durchaus, ich war nicht so gut wie ich es mir gewünscht hätte. Nach dem Turnier haben sie gesagt, ich wäre ein schlechter Einfluss für die Gruppe und würde Probleme verursachen. Aber ich wollte nur helfen, Veränderungen anstoßen. Ich habe versucht zu vermitteln, dass wir mehr Unterstützung brauchen und dass das, was der Verband bietet, nicht alles ist, was er bieten kann. Als ich einige Monate später in die USA gegangen bin, habe ich wohl meinen besten Fußball gespielt, weil ich reifer war und mich auf den Fußball konzentrieren konnte.

Ist es Ihnen leicht gefallen, Brasilien zu verlassen und in die Staaten zu gehen?

Oh nein, ich hatte große Angst, alles hinter mir zu lassen und ich konnte auch die Sprache nicht gut. Es war damals nicht leicht, aber es war das Beste, was ich jemals gemacht habe. Ich bin nicht nur als Sportlerin gewachsen, sondern auch als Mensch. Und ich konnte beweisen, dass ich mich durchsetzen kann, obwohl in der Heimat viele an mir gezweifelt haben. Das war mir ein zusätzlicher Ansporn, es allen zu zeigen. Durchhaltevermögen ist eine meiner großen Stärken und in der amerikanischen Profi-Liga zu spielen, war erfüllend.

Im ersten „Founders Cup“, dem Finale der US-Profiliga WUSA, setzten sich Sissis Bay Area CyberRays nach einem 3:3 im Elfmeterschießen gegen Atlanta Beat durch. Sun Wen, die bei den Beat eingewechselt worden war, verschoss ihren Elfer.

Gab es jemals die Chance, ins brasilianische Team zurückzukehren?

Ich wurde Jahre später tatsächlich noch einmal einberufen, aber sie haben Spiele mit mir gespielt, und sowas hasse ich. Ich dachte, ich könnte zeigen, dass ich dazu gehöre und ich hätte es geliebt, gemeinsam mit Marta zu spielen, aber es ist nicht dazu gekommen. Dass es nach 17 Jahren, in denen ich alles für das Team gegeben habe, auf diese Weise endet, war sehr frustrierend.

Kann man sagen, dass die brasilianische Öffentlichkeit ein gespanntes Verhältnis zu Ihnen hatte?

Nun, es ist… Sehen Sie, ich habe mir niemals – auch nicht in meiner eigenen Familie – von jemandem vorschreiben lassen, wie ich mit anzuziehen hätte oder wie ich mich benehmen solle. Ich habe schon mit meiner Großmutter darüber gestritten, es ging also schon damit los, als ich noch klein war! Wenn mir eine Gesellschaft vorschreiben will, wie ich sein soll oder wie ich aussehen soll, sage ich: Kommt gar nicht in Frage!

Als Sie sich vor der WM 1999 eine Glatze geschoren haben, hat das sicher für hitzige Reaktionen in Brasilien gesorgt.

Ich habe das aber aus ganz anderen Gründen getan, ich wollte nicht provozieren. Ich habe ein Versprechen abgegeben, und ein solches halte ich auch ein. Es ging um ein Kind, elf Jahre alt, das das Opfer von gezieltem Mobbing war, weil es keine Haare hatte. Aber die Menschen haben das nicht verstanden, haben nur gesagt: „Meine Güte, warum muss sie nur so sein?“ Darum ging es mir aber gar nicht.

Sie wurden aber zum Vorbild, besonders für Mädchen. Sie haben mit Ihrem Auftreten vermittelt: „Sei du selbst, stehe für dich und deine Überzeugungen ein und kämpfe für deine Ziele.“ Korrekt?

Das ist absolut korrekt. Auch heute ist meine Botschaft an meine Spielerinnen die gleiche: Ich versuche nicht, dich zu ändern. Du musst du selbst sein und lass dir von niemandem sagen, du könntest das nicht. Ich habe die volle Verantwortung für meine Handlungen übernommen. Und wenn mich jemand nicht mag, na und, ist mir egal. Ich muss mir nur selbst gegenüber loyal sein und zu jenen Menschen, die mich lieben.

Es hat Sie zu der Person gemacht, die Sie heute sind.

Genau! Das bin ich, das ist meine Identität. Ich habe niemals jemandem erlaubt, mich zu ändern. Auch nicht meiner Großmutter!

Sind Sie noch in Kontakt mit Ihren Mitspielerinnen oder mit anderen, so wie Marta?

Mit den meisten Teamkolleginnen, ja. Dank der modernen Technik ist das ja viel einfacher als früher und ich bin auch immer noch sehr eng mit Formiga. Ich hatte einige Male die Gelegenheit, mich mit Marta zu treffen, als sie in den USA gespielt hat. Einige Menschen haben versucht, Zwietracht zwischen uns zu schüren, aber für mich gab es niemals eine Konkurrenz zwischen Marta und mir.

Wie auch? Sie und Marta haben zu unterschiedlichen Epochen gespielt, auch etwas unterschiedliche Positionen.

Ja, aber Menschen kreieren gerne Kontroversen. Ich finde, man muss nicht jemanden klein halten, um andere hochzujubeln, das ergibt doch gar keinen Sinn. Ich habe damals gemacht, was ich für richtig hielt, so wie Marta zu ihrer Zeit und so wie es die nächste nach Marta tun wird. Und die Menschen müssen das akzeptieren.

Sind weibliche Spielerinnen geerdeter als Männer, eben weil sie für alles kämpfen müssen und wissen, dass sie in ihrer aktiven Zeit nicht genug Geld verdienen, um nach der Karriere davon leben zu können?

Wir sind geerdeter, ja. Müssen wir sein. Viele vergleichen uns dauernd mit den Männern, aber man muss beides für sich selbst sehen und wie man sieht, kommen die Menschen nun auch in immer größerer Zahl, um Frauenfußball zu sehen. Außerdem sind wie für die Fans nahbarer, bei den Männern ist es ja wirklich schwierig geworden. Aber wir kämpfen immer noch für Equal Pay, da ist immer noch ein gigantischer Unterschied und es gibt immer noch so viele Menschen, die alles debattieren wollen. Nein, nein, nein, nein! Wie ich sagte, wir wollen unsere eigene Identität. Aber der Sport ist der selbe.

Letzte Frage: Wenn es eine Revanchge gäbe von dem Halbfinale von 1999, Brasilien gegen USA, zum 25-jährigen Jubiläum, mit allen Spielerinnen von damals – Sie selbst, Pretinha oder Formiga genauso wie Mia Hamm, Brandi Chastain oder Cindy Parlow-Cone… wer würde gewinnen?

Brasilien! Gar keine Frage, natürlich Brasilien. Auch mit allen Rückenschmerzen, angeschlagenen Knien, was man in unserem Alter halt so hat. Weil ich überzeugt bin, dass Formiga immer noch voll auf der Höhe ist. Also, ja, Brasilien, gar kein Zweifel!

Wie alt sind sie jetzt? Die Spielerinnen von Brasilien und der USA bei der WM 1999 mit ihrem heutigen Alter.
]]>
https://ballverliebt.eu/2024/07/21/sissi-the-1999-world-cup-changed-my-life-and-my-generation/feed/ 0 standard
0:4 beendet ernüchterndes Frühjahr für ÖFB-Frauen – woran lag’s? https://ballverliebt.eu/2024/07/20/osterreich-frauen-em-quali-2025-bilanz-deutschland-polen/ https://ballverliebt.eu/2024/07/20/osterreich-frauen-em-quali-2025-bilanz-deutschland-polen/#respond Sat, 20 Jul 2024 18:25:54 +0000 https://ballverliebt.eu/?p=20456 0:4 beendet ernüchterndes Frühjahr für ÖFB-Frauen – woran lag’s? weiterlesen ]]> Das Ende war doch eher ein Anti-Klimax. Mit einem soliden Heimsieg gegen Polen im 100. Länderspiel von Manuela Zinsberger und einer deutlichen Klatsche in Deutschland trudelte die Gruppenphase der EM-Qualifikation für die ÖFB-Frauen aus – eine realistische Chance auf das Direkt-Ticket gab es ohnehin nicht mehr und die (geringe) Gefahr eines Abstiegs wurde mit dem 3:1 über Polen endgültig gebannt.

Nachdem der vergangene Herbst mit Nations-League-Platz zwei vor Norwegen großen Optimismus versprüht hat, war dieses Frühjahr doch eher eine Ernüchterung. Vor allem die dünnen Vorstellungen in den entscheidenden Duellen gegen Island drücken auf die Stimmung, das 0:4 in Hannover aber ebenso wie auch der Umstand, dass die Auslosung für die erste Playoff-Runde Slowenien gebracht hat – also genau den einen der acht möglichen Gegner, den Teamchefin Irene Fuhrmann ausdrücklich nicht haben wollte.

Das 3:1 gegen Polen

„Bevor wir über taktische Feinheiten reden“, sagte Fuhrmann schon bei der Kaderbekanntgabe für die beiden Matches, „gilt es viel mehr, die Basics wieder auf den Platz zu bringen! Man kann gegen Island was liegen lassen, das ist eine reife Mannschaft. Aber das Wie hat mich enttäuscht und geärgert.“ Die Intensität gegen den Ball und die billigen Fehler im eigenen Aufbau haben sie gestört.

Und: „Die Griffigkeit und den Biss nach Ballverlust braucht es, die wir gegen Island vermissen haben lassen!“ Die Griffigkeit im Spiel gegen den Ball war in Altach jedenfalls da. Nach kurzer Findungsphase – Polen kam in einem 4-4-1-1 statt dem gewohnten 4-3-3 daher – engte Österreich die polnischen Ballführenden rasch ein, das spielerisch ohnehin nicht besonders starke Team kam kaum sinnvoll aus der eigenen Hälfte heraus.

Polen hatte drei echte Torchancen: Bei der ersten wurde ein schlampig-kurzer Querpass von Georgieva abgefangen (beim Stand von 0:0), bei der zweiten nützte Polen einen österreichischen Ballverlust im Angriffsdrittel (beim Stand von 0:1) und die dritte war eine Kopie der zweiten, führte zum polnischen Ehrentreffer (beim Stand von 0:3).

Österreich versuchte, nicht lange hintenrum zu spielen, sondern möglichst rasch den ersten Vorwärtspass zu setzen oder eine Außenverteidigerin hoch zu schicken. Ohne die verletzte Sarah Zadrazil schob Sarah Puntigam weiter nach vorne, während Celina Degen auf der Sechs abdeckte. Ohne Zadrazil fehlten in dieser Zone, auch weil Achcińska und Matysik gut verdichteten, so gut wie jegliche kreativen Impulse. Der vom Starkregen aufgeweichte Platz machte ein auf kurze Pässe aufgebautes Angriffsspiel zusätzlich schwierig.

Ihre besten Momente hatten die Österreicherinnen, wenn sich die Flügelspielerinnen Purtscheller (rechts) und Dunst (links) entweder alleine oder mit Unterstützung einer Mitspielerin – etwa Wienroither oder Höbinger – nach vorne tanken konnten. Mit dieser individuellen Qualität konnten die polnischen Außenspielerinnen nicht mithalten und aus einem über Dunst vorgetragenen Vorstoß resultierte jener Eckball, den Österreich nach 37 Minuten zum längst verdienten 1:0 nützte.

Der einzige echte Vorwurf, den sich die ÖFB-Frauen gefallen lassen müssen ist, nicht schon früher für die Entscheidung gesorgt zu haben – vor allem das Umschalten nach Ballgewinnen klappte nicht wie gewünscht. Ballgewinne gab es grundsätzlich zwar sehr wohl einige, aber sehr selten so kontrolliert, dass unmittelbar ein eigener Angriff aus aussichtsreicher Position gestartet werden konnte. Eine der wenigen Situationen, in denen das gelang, nützte Campbell prompt zum 2:0 und kaum anderthalb Minuten später lenkte Polens Verteidigerin Oliwia Woś eine eigentlich harmlose Flanke der für Degen eingewechselten Schasching zum 3:0 ins eigene Netz.

Das Gegentor zum 3:1 war unnötig, ändert aber nichts daran, dass dies eine angesichts der Personalsituation (Zadrazil out), Gruppenkonstellation (nach vorne ging nix mehr, gegen Polen durfte nicht verloren werden) und Wetter (bäh!) sehr solide Vorstellung war, die mit einem auch in der Höhe mindestens verdienten 3:1-Sieg belohnt wurde.

Das 0:4 in Hannover

Der Klassenerhalt war mit dem 3:1 für Österreich fix, aber weil Deutschland zeitgleich in ein peinliches 0:3 in Reykjavík lief – zwei grobe Schnitze von Torhüterin Merle Frohms inklusive – konnten die ÖFB-Frauen Island selbst bei einem eigenen Sieg in Deutschland nicht mehr überholen. So hatte das Match im mit 44.000 Zusehern ausverkauften Stadion in Hannover nur noch die Bedeutung eines Testspiels unter Wettkampfbedingungen.

Das Personal blieb das selbe und auch die Herangehensweise war recht ähnlich wie gegen Polen: Deutlicher Flügelfokus im Aufbau und gegen den Ball mit Campbell als erster Anläuferin ganz vorne und einem weit aufrückenden Mittelfeld als Absicherung. Bei Deutschland spielte im letzten Test vor Olympia Ann-Katrin Berger statt Frohms im Tor – und das sollte sich als Glücksgriff erweisen.

Denn Österreich schaffte es mit dem bekannten Anlaufen zumeist gar nicht so schlecht, einen gezielten deutschen Aufbau zu verhindern. Mit der spielstarken Berger im Tor aber hatten die angelaufenen Deutschen einen logischen Ausweg und Bergers lange und zentimetergenauen Abschläge hebelten die österreichische Pressing-Absicherung ein ums andere Mal aus. Mit Brand und Bühl sowie Schüller und Freigang, die mit Tempo auf die Restverteidigung zuliefen, hatte Deutschland eine brandgefährliche Waffe – die Österreich nie in den Griff bekam.

Zusätzlich fanden die Deutschen – wenn sie sich ohne Bergers Einbindung um die Pressingwelle herum spielen konnten – mit den in der ersten halben Stunde invers aufgestellten Flügeln (Linksfuß Bühl rechts, Rechtsfuß Brand links) mit schlauen Diagonalpässen auf die Außen immer wieder die Schnittstellen in der österreichischen Abwehrkette. So gelang Deutschland das frühe 1:0, ein langer Berger-Abschlag leitete kurz vor der Halbzeitpause das 2:0 ein.

Der Aufbau über die Flügel, der bei Österreich gegen Polen noch das bestimmende Feature gewesen war, kam in Hannover überhaupt nicht zur Geltung. Purtscheller blieb zumeist an Linder hängen und Barbara Dunst, so aktiv, stark und durchsetzungkräftig gegen Polen, produzierte Fehlpässe am laufenden Band. Wirkliche Torgefahr strahlte Österreich das ganze Spiel hindurch nicht aus.

Fuhrmann brachte für die zweite Halbzeit Feiersinger (statt Höbinger) und Schasching (statt Puntigam) – erstmals teilten sich also Schasching und Degen das zentrale Mittelfeld. Nach dem schnellen 3:0 für die Gastgeber (schnelles Umschalten nach Ballgewinn gegen Georgieva und Degen) war das Match endgültig durch, Deutschland ließ sich ein wenig zurückfallen und lud Österreich vermehrt zum Aufbau ein, störte aber robust und versuchte widerum, hinter die Mittelfeld-Kette zu kommen.

Nach Oberdorfs Verletzung (sie wurde in der 70. Minute ausgewechselt) wollte oder konnte das deutsche Team nicht mehr so konsequent das Spiel umsetzen, dennoch brachten die ÖFB-Frauen Billa (war für Campbell gekommen) nur ein einziges Mal in eine aussichtsreiche Abschlussposition. Das vermeintliche deutsche 4:0 wurde dem DFB-Team von den sagenhaft schlechten niederländischen Schiedsrichter-Assistentin Franca Overtoom vorenthalten – sie und ihre Schwester Marisca an den Linien trafen falsche Abseits-Entscheidungen am laufenden Band, enthielten Deutschland eine ziemlich klare Ecke vor und es wurde eben auch übersehen, dass der Ball in der 91. Minute deutlich hinter der Linie war, ehe Barbara Dunst ihn klären konnte.

Das Frühjahr, eine Ernüchterung

Es gab die bärenstarke erste Hälfte in Linz gegen Deutschland, das wirklich solide Heimspiel gegen Polen – das waren die Höhepunkte eines im Ganzen eher ernüchternden Frühjahres. Wähnte man sich im Herbst, nach Gruppenplatz zwei vor Norwegen, weiter als man wirklich war? Möglich.

Man kommt aber nicht umhin, gerade die Spiele in Reykjavík und Hannover auch inhaltlich unter die Lupe zu nehmen. In Island war der Wind ein großes Thema und ja, auch Deutschland kam damit nicht zurecht. Aber: Man ist zwei Tage vor dem Match angereist, man wusste um die Wetterbedingungen – aber es gab keinerlei Anpassungen im eigenen Spiel, anders als bei Island.

Und in Hannover war der Lieblings-Move der Deutschen mit den langen, exakten Pässen von Ann-Katrin Berger hinter die österreichische Mittelfeldkette schon innerhalb der ersten Minuten erkennbar. Wirklich reagiert wurde darauf nicht, immer und immer und immer wieder kam Deutschland ziemlich billig vor die luftige österreichische Restverteidigung – und noch in der Nachspielzeit fing man sich auf diese Weise das 0:4 ein.

Hier müssen sich auch Irene Fuhrmann, ihr Co-Trainer Markus Hackl und ganz sicher auch die beiden Spielanalysten Julian Lauer und Sven Palinkasch Kritik gefallen lassen.

Die ÖFB-Frauen haben in diesem Frühjahr das Minimalziel – also Platz drei in der Gruppe vor Polen und damit den Klassenerhalt in der A-Gruppe – souverän erreicht. Knackpunkt im Rennen um das direkte EM-Ticket waren, wie erwartet, die beiden Spiel gegen Island – das glückliche 1:1 in Ried und das angesprochene 1:2 in Reykjavík, bei dem das Resultat noch das Beste war.

Woran lag es?

Es hat sicher nicht geholfen, dass Sarah Zadrazil in vier Spielen verletzt passen musste und Katharina Naschenweng in allen sechs, aber das alleine ist es nicht. „Wir müssen im Ballbesitz noch sicherer werden, noch bessere und noch schnellere Lösungen finden“, gab Barbara Dunst nach der Ohrfeige von Hannover zu Protokoll. Norwegen hatte sich im Herbst in drei von vier Halbzeiten vom österreichischen Pressing verrückt machen lassen, gegen das grundsätzlich lieber spielende als kämpfende Team aus Portugal war es ein patentes Mittel.

Island hat sich diesem Spiel komplett entzogen, da fand Österreich keine Lösungen. Dazu kam, dass Deutschland einfach die technische und fußballerische Klasse hat, sich aus dem Anlaufen zu Befreien (auch, wenn keine Berger im Tor steht, wie in Linz). Der isländische Sieg gegen die DFB-Frauen lässt den Abstand in der Tabelle auf Island mit sechs Punkten schon arg wild aussehen.

Etwas alarmierend ist, dass Österreich in den zwölf Pflichtspielen von Nations League und EM-Quali kein einziges Mal ohne Gegentor geblieben ist. Zugegeben, einige davon waren belanglos – die Treffer beim 2:1 gegen Norwegen und beim 2:1 gegen Portugal kassierte man in der Nachspielzeit, das beim 3:1 gegen Polen als man schon mit drei Toren im Vorsprung war. Aber wenn man kein einziges Zu-Null drüber bringt, verliert man halt irgendwann doch wichtige Punkte, wie daheim gegen Island. Niemand erwartet, dass Österreich gegen Frankreich und Deutschland stets den Kasten sauber hält. Gegen Polen oder Island sollte man das aber schon hin und wieder schaffen.

Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass einige der aus dem großen Team von 2017 verbliebenen Stützen ihren Zenit halt doch überschritten haben dürften. Sarah Puntigam verleiht nicht mehr ganz die defensive Stabilität früherer Tage und bei ihrem Klub läuft es auch nicht nach Wunsch – Houston hat von den bisher 16 Saisonspielen erst drei gewonnen. Verena Hanshaw sah auch in der Liga-Saison in Frankfurt im defensiven Umschalten mehr als nur einmal eher unglücklich aus, ihr Stellungsspiel war öfters Mal nicht astrein – vielleicht tut ihr der Wechsel zum italienischen Meister AS Roma als Aigbogun-Ersatz auf der linken Seiten gut.

Das zweistufige Playoff

Vermutlich war es auch nicht optimal, dass Fuhrmann explizit Slowenien als den einen Erstrunden-Gegner im Playoff herausgenommen hat, der es bitte nicht sein soll – Murphy’s Law, natürlich wurde es Slowenien. Ja, natürlich ist Slowenien der stärkste der acht möglichen Gegner gewesen. Aber das ist ein wenig so, als würde ein mittelguter Erstligist nach einer Cup-Auslosung gegen einen überlegenen Regionalliga-Meister stöhnen. Naja sicher hätte man sich gegen einen Landescup-Sieger aus der fünften Liga leichter getan, aber das ändert nichts daran, dass auch der Regionalliga-Meister eineinhalb Klassen schwächer ist als man selbst.

Slowenien hat eine Handvoll Qualitätsspielerinnen. Lara Prašnikar natürlich von Eintracht Frankfurt, dazu die grundsolide Kaja Eržen auf der rechten Seite und die umsichtige Sara Agrež. Sechser Kaja Korošec hat mit dem FC Paris letztes Jahr Wolfsburg eliminiert, Zara Kramžar wird großes Talent nachgesagt. Nur: Da ist halt auch die Innenverteidigung mit Spielerinnen aus Belgien und der 2. Liga in Italien; die – bei allem Respekt – alte Mateja Zver vom SKN St. Pölten, Čonč war selbst beim spanischen Beinahe-Absteiger Las Planas nur Wechselspielerin und Špela Kolbl, die ganz vorne spielt, ist in der schwachen eigenen Liga aktiv und war im Herbst noch Linksverteidigerin.

Apropos Herbst: Da ist Slowenien überraschend aus der B-Liga abgestiegen, deshalb war man ja überhaupt erst in der Situation, als C-Ligist gleich gegen ein A-Liga-Team spielen zu müssen. Sloweniens erste Elf kann schon ein zäher Gegner sein, gar keine Frage, aber schon innerhalb der Startformation ist das Leistungsgefälle groß und von den Spielerinnen, die Teamchef Saša Kolman von der Bank bringen kann, reden wir da noch gar nicht.

Slowenien hat die Gruppe mit Lettland, Nordmazedonien und Moldawien mit dem Punktemaximum und 26:0 Toren gewonnen. Zum Vergleich: Österreich hat in der EM-Quali für 2022 gegen Lettland und Nordmazedonien alleine 32:0 Tore angehäuft.

Wird die erste Runde gegen Slowenien im Oktober überstanden, und davon muss man ausgehen, würde im entscheidenden Duell – beide Runden werden in Hin- und Rückspielen ausgetragen – der Sieger aus dem Duell von Polen und Rumänien warten, also höchstwahrscheinlich wieder Polen.

Das sieht unglücklich aus, weil Polen der einzig mögliche Gegner aus der A-Gruppe war. Aber zumindest Portugal und Schottland sind sicher höher einzuschätzen als Polen, gegen die Österreich in den letzten Monaten eben zwei 3:1-Siege eingefahren hat und zwar deutlich sicherer, als man im Herbst zu zwei hart umkämpften 2:1-Siegen gegen Portugal gekommen ist, die beide auch anders ausgehen hätten können.

Die Zuschauerzahlen

In der Zuschauertabelle liegt Österreich auf Platz 12 mit 4.500 Zusehern in den drei Spielen. Das ist zwar ein Minus gegenüber dem Herbst (da waren es 5.400), aber dennoch ist man einen Rang geklettert – weil die Schweiz, Wales und Schottland nach dem Abstieg in die B-Liga jeweils rund die Hälfte der Zuseher eingebüßt haben (Portugal und Finnland haben Österreich im Gegenzug überholt).

Dies verdeutlicht, wie wichtig die weitere Zugehörigkeit für den ÖFB auch ist: Denn natürlich kann man Matches gegen Deutschland und Frankreich besser verkaufen als, wenn man den Vergleich mit der Schweiz zieht, gegen Aserbaidschan und Ungarn. Zuschauer-Krösus über die jeweils sechs Heimspiele in Nations League und EM-Quali ist übrigens England mit 45.000 Zuschauern pro Heimspiel.

]]>
https://ballverliebt.eu/2024/07/20/osterreich-frauen-em-quali-2025-bilanz-deutschland-polen/feed/ 0 standard