42, 43, 44, 45 – und Marko Arnautovic, der mit 128 Einsätzen längst Rekord-Teamspieler ist, ist nun auch alleiniger Rekord-Torschütze für Österreich. Er hat beim 10:0-Rekordsieg gegen eine überforderte Mannschaft aus San Marino Geschichte geschrieben, wie auch das ganze Team einfach vor Bock aufs Kicken sprühte, auch nach der eh schon in den ersten zehn Minuten gefallenen Entscheidung nie dauerhaft nachließ.
Über das Spiel selbst groß zu reden, lohnt nicht. Österreich war gedankenschneller, technisch viel besser, hatte eine sehr gute Raumaufteilung, schob die Außenverteidiger nach vorne und hatte so praktisch sieben Leute permanent im Angriffsdrittel, dauernd Überzahl in Ballnähe. Ja, es gab ein paar Gegenstöße der Gäste in eine weitgehend verwaiste österreichische Hälfte, zwei mittelgute Torchancen, aber das war alles nicht der Rede wert.

Marko Arnautovic war sichtlich froh, dass die ganzen Fragen, wann er denn nun Polsters Tor-Rekord brechen würde, erledigt wären und im Interview nach dem Spiel war er vor allem happy natürlich, aber auch gegenüber Polster sehr respektvoll. Es sei ihm eine Ehre gewesen, mit einem tollen Fußballer wie ihm um diese Marke rittern zu dürfen. Ehrliche Anerkennung, wenn auch natürlich in dem Moment eher ein Nebengedanke.
Die wenige Minuten später folgenden Aussagen des nunmehr ehemalige Rekord-Torjägers hatten einen wesentlich anderen Ton.
In Sachen Toni
Der ORF hat gestern San Marino realistisch eingeschätzt, ohne respektlos zu sein. Alle in der Übertagung, nur Toni Polster nicht, Stichwort Pizzabäcker. Jener Polster, der 7 seiner 44 Länderspiel-Tore gegen Liechtenstein erzielt hat.
Man kann den Kopf schütteln darüber, aber auch 2x hinschauen. Sein Interview triefte vor vergifteten Komplimenten, die Körpersprache war eindeutig, und es war eine verbissene Tirade an Gründen, warum seine Bilanz eigentlich eh beeindruckender ist. Ganz viel mimimi, aber halt auch ein Zeichen, dass er sich wohl ganz stark über diesen Rekord definiert. Fühlt er sich, als hätte man ihm ein Stück seiner Seele rausgerissen? Glaubt er, seine großartige Spielerkarriere wäre jetzt weniger wert? Leidet er darunter, längst nicht mehr die öffentliche Relevanz zu haben wie er sie zu seiner aktiven Zeit gewohnt war – als Fußballer, aber auch als Entertainer? Ich halte es – Achtung, Armchair Psychology – schon für möglich, dass er sich, tief drin, jetzt als weniger Wert fühlt.
Jedenfalls zeugt sein Verhalten im Zuge dieser Torrekord-Diskussion von einer tief sitzenden Sorge vor Bedeutungsverlust, wie sie generell in seiner Generation öfter vorkommt. Weil die jungen Leute heute Dinge anders machen, eventuell besser machen, weil sich die Zeiten ändern und man in alter Gewohnheit struggled, sich im sich ändernden Umfeld zurecht zu finden.
Weil es in den 90ern lustig war, unterlegene Gegner als Pizzabäcker zu bezeichnen, das heute aber schon zu einem deutlich negativen Backlash führt. Es ist abwertend, es ist respektlos. Das war es damals auch, aber das öffentliche Empfinden war anders. Heute gehört es sich einfach nicht mehr. Das Unverständnis darüber betrifft nicht nur ihn, sondern viele, vor allem in seinem Alter. Es ist eine gewisse geistige Unbeweglichkeit und ein Unverständnis darüber, dass Menschen, die in anderen Umständen einer anderen Zeit aufgewachsen sind, Dinge anders betrachten als man das selbst ein Leben lang getan hat. Da wird aus einem „anders“ ganz schnell ein „falsch“.
Dass man da nicht eine ganze Generation gänzlich mitmeinen muss, zeigte übrigens in der selben Übertragung (und auch sonst) Herbert Prohaska, der neun Jahre älter ist als Polster. Der lachte und freute sich ehrlich und äußerte seinen Standpunkt: „Rekorde sind da, um gebrochen zu werden.“ Prohaska ist einer, dem eigene Rekorde entweder egal sind (wie das 9:0 als bisher höchstem Sieg) oder er sie gar nicht will (das Dasein als bisher letzter ÖFB-WM-Teamchef). Motto: Werden Rekorde nicht gebrochen, heißt das, dass man sich nicht weiter entwickelt, nicht besser wird. Polster war ein begnadeter Torjäger, aber er konnte sich auch irre gut über seinen Schmäh verkaufen, seine Fähigkeiten als Entertainer – darauf gründete sich ein Großteil seiner Popularität.
In den letzten 15 Jahren hat sich der Diskurs im Fußball aber sehr stark in Richtung Substanz verschoben. Das Erklären, warum was passiert, nahm immer mehr Raum ein. Marko Stankovic bei Sky ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie man es heute ideal macht: Mitreißend, immer ein lockerer Spruch, dabei auch fachlich top. Er ist eher Wissens-Vermittler für die TikTok-Generation als klassischer Pundit.
Polster hatte in der Zeit nach der aktiven Laufbahn selten viel mehr zu bieten als den Schmäh in Verbindung mit seiner Persönlichkeit. Wer mit ihm aufwuchs, verstand das. Eine junge Generation, die Polster nicht als eines *der* Gesichter des heimischen Fußballs erlebt hat, findet ihn eher cringe: Eine etwas clowneske Figur mit Altherren-Humor, der vor Jahrzehnten mal ein guter Kicker war und bis heute von diesem Dasein zehrt. So wie wir Kinder der 1990er halt nichts mehr mit Buffy Ettmayer anfangen konnten, der 25 Jahre davor ein Super-Kicker und eine humorige Kultfigur war. Times move on. Man möchte Toni Polster wünschen, dass er seinen Seelenfrieden macht und Sachen akzeptiert, die ihm zu akzeptieren schwer fallen.
Vordergründig damit, dass er halt jetzt der Mann mit den zweitmeisten Toren im ÖFB-Trikot ist. Vor allem aber mit seiner Rolle in den 2020er-Jahren und darüber hinaus.
