Im Horr-Stadion konnten die Fans kurze Messages einschicken, die dann in der Halbzeit auf den Vidiwalls gezeigt wurden. Eine dieser Messages war, in Anlehnung an den Mittelfeld-Muskel der Austria: „Barry rein und alles wird gut!“ Aber Laura Freigang umhacken ist auch keine Lösung. Zumindest nicht mehr bei einem Pausenstand von 0:6.
Wie einst bei Branko Elsner?
Als Branko Elsner im Frühjahr 1985 Teamchef wurde, lud er gleich mal die ganzen alten Helden von Córdoba wieder ein, die zuvor unter Erich Hof einer nach dem anderen aussortiert worden waren. Sie lieferten im WM-Quali-Heimspiel gegen Ungarn einer dermaßen katastrophale Leistung ab, dass allen klar war: Hier und jetzt ist Schluss, das war’s für sie. Es war der Beweis, den die Öffentlichkeit gebraucht hat. Das Team wurde zwar über Jahre nicht mehr wirklich besser, aber es konnte zumindest niemand mehr sagen, dass die Alten immer noch stärker wären.
Das 0:6 der ÖFB-Frauen gegen Deutschland fühlte sich so ähnlich an. Nach diesem Spiel – vor allem der ersten Halbzeit, nach der es eben bereits mit diesem Stand von 0:6 in die Kabinen ging – ist klar: Bei allen Verdiensten, die sich einige der verbliebenen Routiniers um den österreichischen Frauenfußball erworben haben, now’s the end of the line.
Das 0:6 gegen Deutschland
Es wäre müßig, die Flut an Gegentoren aufzuzählen, die schon nach 14 Sekunden mit dem 0:1 begonnen hat. Die Muster, sie wiederholten sich aber. Die deutschen Flügelstürmerinnen Cerci (gegen Hanshaw) und Bühl (gegen Wieneroither) hatten einen großen Spaß, weil sagenhaft viel Platz. Und in der Mitte passte die Zuordnung und die defensive Strafraumbesetzung so gut wie nie.
Maria Plattner begann als Manndeckerin auf Freigang, aber diese löste sich immer wieder, wich aus, machte sich im Zwischenlinienraum breit. Die Folge war, dass irgendwann Zadrazil (auf der Sechs) Freigang erst zu übernehmen versuchte, dann situativ zwischen die Innenverteidigerinnen abkippte, um Pässe auf Freigang abzufangen. Das machte sie ein-, zweimal, aber dafür war rund um Freigang wieder vieles frei.
Deutschland musste sich nicht mal wirklich anstrengen und Mariella El Sherif, die ihr Debüt im Tor des Nationalteams gab, war bei kaum einem Tor wirklich in einer Position, etwas ausrichten zu können – allenfalls bei einem Weitschuss, der sich seltsam drehte. Andererseits verhinderte sie, dass es noch höher als 0:6 wurde.
Umstellungen für Halbzeit zwei
Was sagt man als Trainer nach solchen 45 Minuten, Alex Schriebl? „Anschreien bringt gar nichts“, ist der Teamchef überzeugt, und er erzählt: „Es ging darum, den Reset-Button zur drücken, mit einer taktischen Lösung, die wir in der ersten Halbzeit dynamisch hinbekommen hätten sollen.“ Zadrazil war nun Vollzeit zentral in einer Fünfer-Abwehr, das erlaubte Wienroither, auf die deutsche Linksverteidigerin Franzi Kett hochzuschieben – Wenger (statt Georgieva im Spiel) war da, um Cerci aufzunehmen (die in Halbzeit zwei links spielte).
Zu Wenger kamen auch Schasching und Purtscheller ins Spiel, die wie Champions-League-Siegerin Zinsberger nicht in der Start-Elf gestanden waren. Freigang wurde in der Fünferkette besser geschluckt als zuvor, die Flügel konnten nicht mehr so leicht durch Laufwege ins Zentrum hinein österreichische Verlegenheiten in der Zuordnung provozieren. Das ist alles Teil der Wahrheit, ein anderer ist natürlich auch, dass Deutschland den Fuß vom Gaspedal genommen hatte.
Konsternierte Gesichter
Nach dem raschen 0:1 hatte Österreich den gewünschten Stress auf die deutsche Abwehr ausüben können, ähnlich wie eine Halbzeit lang beim Hinspiel in Nürnberg. Dabei wackelte die DFB-Defensive auch, es gab zwei hochkarätige Chancen auf das 1:1. Aber hätte das wirklich eine nennenswerte, positive Auswirkung gehabt? Die Unterlegenheit auf den Außenbahnen war dermaßen frappant – zweifelhaft, ob ein schneller Ausgleich im Großen und Ganzen mehr als Kosmetik gewesen wäre.
„Wir haben in der Kabine daran appelliert, dass wir uns in der zweiten Halbzeit anders präsentieren müssen und auch analysiert und entsprechend umgestellt“, sagte Sarah Zadrazil, die die oft freie Freigang als nicht so großes Problem empfunden hat wie „die Laufwege der deutschen Flügelspielerinnen – unsere Achter sind dann oft schnell aus dem Zentrum raus geschossen“, die Ordnung ging ein- ums andere Mal verloren: „Über Außen ist den Deutschen einfach alles durchgegangen.“
Allen war das Passierte sichtlich unangenehm bis peinlich, Zadrazil und Schriebl präsentierten sich immerhin gefasst und analysierten das Geschehene mit klarem Kopf. Mariella El Sherif wusste nicht recht, ob sie sich mehr über ihr Debüt freuen soll oder über die sechs Gegentore ärgern oder für die mentale Unterstützung dankbar sein, die ihr Manuela Zinsberger gegeben hatte.
Dabei hatte das Wochenende so gut begonnen.
Das 1:0 in Schottland
Ein kleiner Rückgriff auf den Horror von Hampden vor zweieinhalb Jahren sei erlaubt: Es war damals frappant, wie gigantisch groß das Spielfeld wirkte. Natürlich, die Schublade, aus der man diese Erinnerung zieht, ist vom Ergebnis beeinflusst und dem, was es mit sich brachte – nämlich das Aus im WM-Playoff. Aber da ist auch etwas sehr konkretes dabei: Österreich ließ sich damals hinten reindrücken. Bei Ballgewinnen war der Weg auf dem vom heftigen Regen aufgeweichten Rasen gefühlt noch weiter, die Pässe verhungerten im nassen Rasen.
Das war diesmal komplett anders. Österreich war von Beginn an auf Action gebürstet, presste die Schottinnen wie gewohnt schon ganz vorne an. Anders als damals machten die ÖFB-Frauen das Feld sehr klein, verdichteten, stressten die Schottinnen und ließen bei diesen keinen Rhythmus aufkommen.
Gleichzeitig hatten die ÖFB-Frauen auch kein Problem damit, den Ball in der eigenen Hälfte durch die Abwehrreihe zirkulieren zu lassen. Es wurde nicht bei jeder erstbesten Gelegenheit der Ball direkt vertikal gespielt, sondern auch mal ein wenig das Tempo rausgenommen, sich Verschnaufpausen nehmend. Österreich hatte schon vor der Pause einige Möglichkeiten, aber es dauerte bis zur 62. Minute, ehe Julia Hickelsberger per Kopfball nach einer Ecke das 1:0 erzielte.
Schottland ist nicht Deutschland
Dass 70 Minuten lang Kontrolle ausgeübt werden konnte, lag auch an einem ziemlich banalen Umstand: Schottland ist nicht Deutschland. Die Schottinnen haben so gar nichts angeboten – sie liefen nicht an, waren nicht in den Zweikämpfen, spielerische Lösungen waren inexistent. Im Zentrum des 4-4-1-1 agierten Cuthbert und Rodgers nicht nebeneinander, sondern versetzt. Die Mittelfeld-Außen rückten weit in die Halbfelder ein – wohl um zu verhindern, wie in Ried vom dichten österreichischen Zentrum überrannt zu werden.
Gegen Deutschland konnte Österreich hinten überhaupt nie auch nur die Ahnung von Ruhe oder gar Kontrolle etablieren, weil die DFB-Frauen sehr aktiv nach vorne spielten, über die Außen, im Zentrum. Schottland spielte mit Debütantin Kathleen McGovern ganz vorne, die noch nie ein internationales Spiel absolviert hat und entsprechend mittellos aussah. Als in der Schlussphase die furchtlose McAulay, die wuchtige Howat und die routinierte Thomas kamen, war in der ÖFB-Abwehr schon spürbares Schwitzen angesagt. Zinsberger musste wiederholt eingreifen.
Dass es in Glasgow nur um das Resultat ging, merkte man auch daran, dass Schriebl bis zu 88. Minute ohne Wechsel seine Einserpanier (minus der angeschlagenen Wenger) am Feld ließ. Das 1:0 in Glasgow hielt, damit war schon vor dem Spiel gegen Deutschland klar gewesen, dass Österreich Dritter bleibt und damit der direkte Abstieg in die B-Gruppe verhindert ist. Gott sei Dank.
Fundamentale Niederlage. Fundamentale Konsequenzen?
Es ist nicht das erste Mal, dass Österreich in eine hohe Niederlage läuft. Beim 0:4 in Spanien im Herbst 2017, der Packung von Palma, ist ihnen nach einem erfolgreichen Jahr quasi die Festplatte runtergefallen. Beim 1:6 gegen Schweden im Februar 2021 häuften sich individuelle Abwehr-Korken, vor allem Kathi Naschenweng hatte einen rabenschwarzen Tag. Beim 2:7 gegen England im Februar 2024 ging ein taktisches Experiment ziemlich daneben. All das kann passieren.
Diese Halbzeit, dieses 0:6 gegen Deutschland im Austria-Stadion, die Verprügelung von Favoriten, ist dann wohl doch erheblich fundamentaler als die genannten anderen Debakel.
„Das war gesamt als Team ein Versagen in der ersten Halbzeit. Da kann man niemandem etwas zuschreiben, da gehören alle dazu“, sprach eine mental tiefenentladene Verena Hanshaw und den Vorwurf muss sie sich gefallen lassen, dass das so eine Art Satz ist, der meist von einer Person kommt, die beim Misslingen eines Vorhabens eher weiter vorne dabei ist.
Entwicklungspotenzial
Natürlich, Hanshaw sprach wie im Autopilot-Modus nach der, wie sie selbst einräumte, größten sportlichen Katastrophe ihrer 14-jährigen Nationalteam-Karriere, da sollte man keine allzu genau kalibrierten Goldwaagen zum Aufwiegen der vor sich hin geredeten Worte verwenden. Zumal sie da mit dem eh alles andere als bösen kleinen österreichischen Reporter-Grüppchen spricht: Es sind seit Jahren die selben paar Gesichter, man kennt sich und im ÖFB-Lager weiß man, dass man von diesem halben Dutzend keine brutalen medialen Watschen zu erwarten hat.
Niemand hat eine Freude daran zu schreiben: Sorry, Verena, das ist mittlerweile einfach nicht mehr gut genug. Da kann man auf der Pressetribüne noch so konsterniert debattieren und vermeintlich fehlende Alternativen beklagen und die Frage stellen, ob Chiara D’Angelo wirklich schon so weit ist, da die LV-Position statt Hanshaw zu übernehmen. Andererseits: D’Angelo ist 20 Jahre alt, hat schon eine Junioren-WM als Kapitänin in den Beinen und hat Entwicklungspotenzial, das die elf Jahre ältere Hanshaw nicht mehr hat.
Und in fairness, Verena hat sich danach auf Instagram auch wesentlich deutlicher geäußert.

Auf den letzten Metern
Es ist auch fraglos ein wenig unfair, zugegeben, gerade Hanshaw herauszuheben. Weil Laura Wienroither rechts auch ziemlich sichtbar die Spielpraxis abgeht, ihre Leihe zu Man City hat kaum ein Plus an Minuten zu ihrem Stammklub Arsenal gebracht. Und weil es eben nicht nicht nur für Hanshaw gilt. Sorry, Laura Feiersinger – was die im Zentrum nötige Dynamik und Intensität einer Annabel Schasching betrifft, fällt sie deutlich ab. Es war erst zweiter Pflichtspiel-Startelf-Einsatz in den letzten zwei Jahren, es könnte gut der letzte gewesen sein. Auch Gini Kirchberger kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen.
Und hat Teamchef Schriebl die Positionen von Zadrazil (Sechs statt Acht) und Rekord-Teamspielerin Puntigam (Acht statt Sechs) auch mit dem Hintergedanken getauscht, um Puntigam dann nächstes Jahr durch die dann vom Kreuzbandriss genesene Barbara Dunst zu ersetzen zu können und Zadrazil dann schon als Stamm-Anker im Mittelfeld in den taktischen Abläufen etabliert zu haben? Eine Vermutung, ja, vielleicht sogar eine Unterstellung. Eine naheliegende, nichtsdestoweniger.
Kathi Naschenweng ist bald wieder fit, dann gibt es auf den Außenbahnen noch eine starke Alternative mehr. Und Claudia Wenger bringt eine Klarheit in ihren Aktionen mit, die der oft leichtsinnigen Marina Georgieva abgeht, das hat der direkte Vergleich nach anderthalb Spielen mit Georgieva – längst auch keine Stammkraft mehr nach ihrem starken Start bei der Fiorentina – klar gemacht. Wenger ist zudem schnell und endlich über längere Zeit verletzungsfrei. Bleibt das so, hat Leverkusen eine große Freude an ihr. Ist Wenger schon eine internationale Klasse-Verteidigerin? Nein. Aber sie kann es werden.
Verantwortung übertragen
Die Spielerinnen, die Österreichs Frauenfußball ab Beginn der Zehner-Jahre getragen haben, waren auch deswegen so gut und so reif, weil sie sehr jung Verantwortung übernommen haben. Beim 3:1 gegen Dänemark im September 2012, dem ersten großen Statement-Sieg, waren Feiersinger und Puntigam 19 Jahre alt, Schnaderbeck und Wenninger waren 21, Nina Burger gehörte mit 24 Jahren schon zu den Senioren im Kader. Die damals 18-jährige Hanshaw schoss sich mit dem Führungstreffer erstmals ins Rampenlicht.

„Wir müssen das analysieren oder einfach nur abhaken“, sagte Hanshaw nach dem 0:6 in Wien, und: „Das eine Ergebnis soll jetzt nicht alles andere in den Schatten stellen.“ Nein, keineswegs. Aber wäre nicht jetzt der Zeitpunkt, bewusst die nächste Generation die Verantwortung übernehmen zu lassen?
Alex Schriebl steht vor der Relegation im Herbst vor einer heiklen Entscheidung. Nochmal mit den Routiniers, die solche Entscheidungsspiele kennen, drüberretten und dann weiterschauen? Das war bis zu einem gewissen Grad auch letzten Herbst im EM-Playoff der Gedanke, das ging schief. Oder bewusst noch mehr auf Junge setzen und sie an der Aufgabe wachsen lassen?
Die Talente aus dem Achtelfinal-Team der U-20-WM (D’Angelo, Rukavina, Ojukwu, auch Mädl und El Sherif) kennen solche auch, aus ihrem eigenen Quali-Entscheidungsspiel gegen Island, aus den WM-Spielen gegen Ghana und Neuseeland. Die kampferprobten Irinnen, die routinierten Finninnen sind andere Kaliber, schon klar, auch die zuletzt schwächelnden Tschechinnen und die kernigen Nordirinnen können unangenehm sein. Aber die zu Golden Girls gewordenen Goldene Generation hat damals gezeigt, dass man daran auch wachsen kann.
Bei alldem steht darüber jedoch, dass es mittelfristig wohl essenziell wäre, die A-Liga zu halten. Wenn man einmal im Jojo-Status drin ist, wird es umso schwerer, sich wieder oben zu etablieren – das sieht man ja an der Schweiz, die gerade zum zweiten Mal aus der A-Gruppe abgestiegen ist. Aus der B-Gruppe ist der EM-Gastgeber locker wieder aufgestiegen, aber oben – jeweils als Topf-4-Team – gab es in zwölf Spielen einen Sieg, zwei Remis und neun Niederlagen.
Österreich bekam als Topf-3-Team in den letzten zwei Durchgängen das von der Leistungsfähigkeit zweitschwächste (Polen) und schwächste (Schottland) Team der A-Liga zugelost und blieb mit vier Siegen gegen diese Teams (zweimal 3:1 gegen Polen, zweimal 1:0 gegen Schottland) jeweils relativ klar vor diesen.

Zinsberger und die Champions League
Manuela Zinsbeger war 20 Jahre alt, als sie im Herbst 2015 die klare Nummer eins im ÖFB-Tor wurde, das 0:6 gegen Deutschland war erst das dritte Pflichtspiel in den letzten zehn Jahren, das sie nicht gespielt hat. Sie biss sich beim FC Bayern durch und wurde Stammgoalie, war das danach auch über fünf Jahre bei Arsenal. In der abgelaufenen Saison hat sie bei der neuen Trainerin Renée Slegers diesen Status verloren, dennoch hat auch Zinsberger einen nicht unerheblichen Anteil am überraschenden Sieg in der Women’s Champions League.
Sie ist damit die erste Österreicherin, die diesen Titel gewinnt. Im Finale war sie nicht am Feld, sehr wohl aber in jeweils einem der Semifinals gegen Olympique Lyon und einem der Viertelfinals gegen Real Madrid, auch in der Vorrunde hütete Zinsberger mehrmals das Tor. Vor allem aber ist sie mit ihrer professionellen Einstellung im Training und den positiven Vibes, welche die 29-Jährige verbreitet, wichtig für das Klima innerhalb der Mannschaft.
Viktoria Schnaderbeck monierte via Social Media völlig zurecht, dass der erste Europacup-Sieg einer österreichischen Fußballspielerin im ganzen Saisonfinal-Frenzy zwischen nationaler Liga, Europacup und anlaufender WM-Quali auf der Herren-Seite medial hierzulande komplett unterging. Wenige Tage später saß Zinsberger als Studio-Gast in „Sport am Sonntag“ und kam ausführlich zu Wort, immerhin.
Am Ende geht es um die Sichtbarkeit und um die Vorbildwirkung, die Breite im Nachwuchs fehlt in Österreich immer noch, damit sind eben auch die Alternative im Spitzenbereich ziemlich dünn gesäß. Umso mehr kommt es darauf an, die Handvoll Spielerinnen zu hegen und zu pflegen, die da sind.
Und die da bleiben werden.