Ohne Rudi Assauer kein Hoffenheim und kein Rangnick bei Red Bull?

„Ich bin diese politischen Possenspiele leid!“ Ralf Rangnick war sichtlich emotionalisiert. „Ich werde meinen Vertrag nicht verlängern. Ich habe keine andere Wahl, als mich so zu entscheiden!“

Keine Angst, das hat der ÖFB-Teamchef nicht vor der nun gegen Rumänien beginnenden WM-Qualifikation gesagt. Und er sagte das auch nicht über das nun von Josef Pröll angeführte ÖFB-Präsidium, das nicht nur dem Teamchef in den letzten Jahren so viel Missvergnügen bereitet hat. Er sagte das vor knapp 20 Jahren mit Blick auf Schalke-Boss Rudi Assauer. Dieser den Trainer erfolgreich aus dem Amt gemobbt – mit dramatischen Folgen für den ganzen Fußball in Deutschland und in Österreich.

Die These: Hätte sich Assauer mit Rangnick arrangiert, wäre Hoffenheim niemals in die Bundesliga gekommen und der Schub bei Red Bull – und damit dessen großer Einfluss auch auf Österreich und das ÖFB-Team – vermutlich auch nicht.

„Das war wie ein Gottesdienst“

Was vor diesem Spiel gegen Mainz im Dezember 2005 passierte, ist deutsche Fußball-Folklore. Schon beim Aufwärmen der Mannschaften wurde Rangnick von den Fans frenetisch gefeiert. Er ließ sich mitreißen, startete eine Ehrenrunde. „Das war wie ein Gottesdienst. Die Leute sprangen auf. Das Spiel hatte schon begonnen, da war Rangnick noch auf dem Weg rund ums Spielfeld“, erinnert sich Jean-Julien Beer. Heute ist er Sport-Ressortleiter beim Weser-Kurier, damals war er der Schalke-Insider für den „kicker“.

Am Montag nach dem Spiel, das Schalke 1:0 gewann, wurde Rangnick von seinen Aufgaben entbunden. Dass seine Ehrenrunde nicht schlau war, gestand Rangnick schon sehr zeitnah ein: „Wenn ich könnte, würde ich das rückgängig machen. Aber das war die Reaktion auf 15 Monate Prügel, die ich zwischen die Beine geworfen bekommen habe.“

Wie Rangnick zu Schalke 04 kam

Aber war Zoff von Rangnick mit dem bräsigen Old-School-Manager Assauer nicht vorprogrammiert gewesen? Dazu muss man wissen, dass Rangnick im September 2004 nicht von Assauer, sondern von dessen Protegé Andreas Müller geholt worden war. Rangnicks Vorgänger Jupp Heynckes war eine Assauer-Idee, die zum katastrophalen Flop wurde. Statt Angriff auf den Titel gab es 2003/04 nur Platz sieben, die neue Saison begann mit vier Niederlagen aus fünf Spielen, das Verhältnis mit dem Spielern galt als hoffnungslos zerrüttet.

Müller bekam den Auftrag zur Trainersuche und er erinnerte sich an ein Training, dass er ein Jahr zuvor beobachtet hatte, als Rangnick noch Hannover-Coach war und das ihn sehr beeindruckt habe. Assauer war von Beginn an strikt gegen Rangnick, nannte ihn bei der Vorstellungs-PK konsequent „Rolf“. Aber Rangnick startete mit sechs Siegen am Stück, überwinterte als Zweiter und wurde 2004/05 Vizemeister.

Wie war das möglich, Jean-Julien Beer? „Heynckes war davor bei Real Madrid, bei Benfica und in Bilbao – und die Schalke-Spieler bekamen ein Jahr lang nur von ihm zu hören, was sie alles im Vergleich zu den Iberern nicht können. Dann kam Rangnick und sagte sofort, dass sich für ihn ein Traum erfüllt, mit so tollen Spielen arbeiten zu dürfen.“ Die als untrainierbar verschriene Ansammlung von Riesen-Egos? Kein Problem mehr. „Das Verhältnis zwischen Rangnick und den Spielern war bis zuletzt absolut exzellent“, so Beer.

Schalke übernahm im Frühjahr 2005 nach einem 1:0-Sieg gegen die Bayern sogar kurzzeitig die Tabellenführer. Letztlich wurde S04 Zweiter.

Rangnick bekamn Marcelo Bordon, quasi Wortführer der Südamerika-Fraktion im Kader, rasch auf seine Seite. Nur mit Ego-Shooter Ailton klappte es nicht. Der Stürmer verstand nie, warum Rangnick wollte, dass er sich auch am restlichen Spiel beteiligt („Für mich war nie wichtig, was Trainer oder Manager gesagt haben. Ich bin Ailton, ich bin größer als sie!“). Im Sommer 2005 wurde der „Kugelblitz“ zu Beşiktaş abgegeben, wo er – wie überall in seiner verbleibenden Karriere – katastrophal floppte.

Der Wunsch nach Professionalität

Assauer hat selbst zwölf Jahre lang Bundesliga gespielt und war dann auch als Trainer tätig, ehe er bei Schalke das Mangement übernahm. „Er wusste viel über Fußball, aber Rangnick wusste auf seine Art viel, viel mehr“, so Beer, der erzält, dass Rangnick bei Assauer wegen der Kaderplanung saß und diesem sagte, „einen neuen Right-Back“ zu brauchen. Assauers bewusst provokante Antwort: „Mit Engländern haben wir immer schlechte Erfahrungen gemacht!“

„Ich bin ja erstaunt, dass Rangnick immer noch beim ÖFB ist“, sagt Beer mit einem Blick auf den Wirbel im ÖFB-Präsidium, dass er selbst in Bremen mitbekommt. Rangnick ist bekannt dafür, auf ein professionelles Umfeld zu pochen. „Die Spieler haben das verstanden, sie hingen an Rangnicks Lippen, weil sie erkannten: Der macht uns noch besser.“

Assauer hingegen – der Jahre später an Demenz erkrankte und 2019 daran verstarb – war nicht nur mit Rangnicks Sicht auf den Fußball überfordert, nein, zu dieser Zeit wurde auch sein Alkoholkonsum immer mehr zum Problem. Beer erzählt: „Rangnick drängte darauf, Assauer auf Entzug zu schicken. Erstens aus persönlichen Grünen, um dem Mann zu helfen. Und zweitens, weil er wusste: Ein so großer Verein wie Schalke kann nur mit größtmöglicher Professionalität geführt werden.“

Die Vorstandsmitglieder um Assauer hätten das zwar grundsätzlich genauso gesehen, hatten aber panische Angst vor der BILD-Zeitung, die Assauer bombenfest in der Hand hatte. Sie sagten: Wenn wir Assauer auf Entzug schicken und sein Alkoholproblem damit öffentlich bestätigen, sägt uns die BILD ab und Assauer sitzt noch fester im Sattel. „Mit dieser Logik konnte Rangnick nichts anfangen“, weiß Beer. Auch, dass der Vorstand seinen Wunsch abschmetterte, einen Sportpsychologen zu holen, ärgerte Rangnick.

Assauers letzte Machtdemonstration

Rangnick war bei Fans und bei Spielern außerordentlich beliebt, aber die Stimmung im Verein wurde zunehmend untragbar. Müller, der Rangnick gegenüber Assauer stehts die Mauer gemacht hatte, rückte nun auch vom Trainer ab. Zwei Tage nach dem letzten Champions-League-Spiel beim AC Milan verkündete die BILD, dass Rangnicks Vertrag nicht verlängert werde. Rangnick hat Müller an diesem Donnerstag angerufen und gefragt, ob das stimme, Müller wand sich, wich aus. Das war der Moment, an dem Rangnick gewusst hat, dass er in die Offensive gehen muss.

Assauer hatte die BILD und damit seine Vorstandskollegen im Griff, alle anderen Medien waren sich einig, dass Assauer aus der Vereinsleitung entfernt werden müsse. Diesen breiten Gegenwind von den Medien und selbst von der großen Masse der Anhänger, die ihn stets wie einen Gott verehrt hatten, kannte Assauer nicht, und er konnte auch nicht damit umgehen.

Rangnick wurde von vielen Seiten angehalten, die Lage auszusitzen, bis Assauer entfernt war – fünf Monate hätte er noch durchhalten müssen, im Mai 2006 war Assauer weg. Einen Monat später trat Rangnicks seinen Dienst bei Regionalligist Hoffenheim an.

Rangnick-Schalke wie Klopp-Dortmund?

Sportlich lief es bei Schalke eigentlich ganz okay in diesem Spätherbst 2005 – vom 0:6-Bauchfleck im DFB-Pokal gegen Frankfurt abgesehen, hatte es im ganzen Herbst nur eine einzige Niederlage gegeben. Gerade zu Saisonbeginn hatte man zwar mit zu vielen Remis den Anschluss an den Titelkampf verloren, aber die Leistungen waren in Ordnung, in der Champions League gab es Siege gegen Eindhoven und Fenerbahçe und im letzten Match bei Milan fehlte nur ein Tor zum Achtelfinale.

Mirko Slomka übernahm das Trainer-Amt, verwaltete den vierten Platz bis zum Saisonende und wurde 2007 in einer chaotischen Saison, in der die Bayern schwächelten, Vize-Meister. Wäre es eine zu steile These, würde man sagen: Wenn Schalke schon mit Slomka fast Meister wird, dann doch mit Rangnick ganz sicher? „Garantien gibt es nie“, sagt Beer, aber: „Die Wahrscheinlichkeit wäre sehr sehr sehr hoch gewesen. Denn das Geld war da, die Spieler wollten da hin und mit Rangnick als Trainer… Er hätte auf Schalke eine Ära prägen können wie Klopp mit Dortmund!“

Mini-Schalke mit Hoffenheim

Was für Beer allerdings absolut sicher ist: „Hoffenheim wäre ohne Ralf Rangnick nicht passiert!“ Zumindest nicht in dieser Konsequenz. Rangnick bekam dort praktisch freie Hand, er konnte in Sinsheim extrem professionell arbeiten, er bekam jeden Wunsch erfüllt, Geld spielte keine Rolle. Es ging darum, es sich selbst und in weiterer Folge auch Fußball-Deutschland zu beweisen, dass Rangnick recht hatte: Wenn er ansagt, was gemacht wird, dann führt das zum Erfolg.

Bayern München – 1899 Hoffenheim 2:1 (0:0)

Denn Dietmar Hopp wollte der Regionalliga schon länger entwachsen, ein junger Hansi Flick war aber beispielsweise daran gescheitert. Fast auf den Tag genau vier Jahre nach seinem Abschuss auf Schalke war Rangnick mit Hoffenheim Bundesliga-Herbstmeister – einer Last-Minute-Niederlage bei den Bayern in einem über Wochen hochgehypten Spitzenspiel zum Trotz.

Rangnick hat mit Hoffenheim seinen Schalke-Traum verwirklicht. Mit den königsblauen Sitzen sieht sogar die im Frühjahr 2009 eröffnete Rhein-Neckar-Arena ein wenig aus wie eine Mini-Version der Arena auf Schalke. „Ja“, bestätigte Rangnick damals gegenüber Beer, „aber hier kann man professionell arbeiten!“

Der Bruch mit Hopp

„Hätte ich mich öffentlich gegen seine Demontage gestemmt, hätte der Klub noch mehr Schaden genommen“, rechtfertigte sich Andreas Müller. Eine Demontage erfuhr Rangnick letztlich aber auch in Hoffenheim. Hopp hatte Rangnick zunächst Anfang 2009 einen Sport-Geschäftsführer vor die Nase gesetzt, Jan Schindelmeiser war das. Dann wurde im Winter 2010/11 Luiz Gustavo an die Bayern verkauft – ohne, dass Rangnick etwas davon wusste. Hopp, der den Deal persönlich verhandelte, verteidigte sich: Er wäre der Annahme gewesen, Rangnick wäre so oder so gegen den Transfer gewesen, darum hatte er ihn gar nicht erst gefragt.

Für Rangnick ein No-Go.

Knapp drei Monate später kam die Anfrage von Schalke, und Rangnick schlug sofort zu: Schalke war und blieb stets sein Herzensklub Nummer eins, er zog ins Champions-League-Halbfinale ein und gewann den DFB-Pokal. Doch er schlitterte ins Burn-Out, nur nach einem halben Jahr zog sich der Trainer im Herbst 2011 wieder zurück. Kuriosum am Rande: Müller war, bevor er bei Rapid war, auch mal ein paar Monate in Hoffenheim tätig.

Die Sache mit Red Bull

Dass Hoffenheim in dieser Form ohne Rudi Assauers Zutun nicht passiert wäre – zumindest nicht mit Rangnick und auch sicher nicht in dieser Radiakalität – kann man als gegeben annehmen. Komplizierter ist die Sachlage hingegen mit Red Bull. Nach zehn Monaten abseits der Öffentlichkeit schlug er im Sommer 2012 in Salzburg auf, the rest is history.

Denn hier werden die zeitlichen und inhaltlichen Unwägbarkeiten zu groß.

Bleibt Rangnick auf Schalke, wird er womöglich 2007 Meister und womöglich 2008 mit einer noch mehr auf ihn zugeschnittenen Truppe wieder (in der Realität gab es damals den dritten Platz und den Einzug ins Champions-League-Viertelfinale, also blieb Schalke auch unter Slomka ein Spitzenteam) – was passiert dann mit ihm? Ist der Drive, es allen zu beweisen, dann immer noch so groß? Nützt er die Chance, wie Klopp ein paar Jahre später, und geht zu einem internationalen Spitzenklub oder löst er womöglich Jogi Löw nach der problematisch verlaufenen EM 2012 als Bundestrainer ab?

Bei Schalke hatte er 2004 einen grundsätzlich gutklassigen Kader übernommen, Hoffenheim hat er ab 2006 praktisch von Null weg aufgebaut. Eine Aufgabe, die Rangnick offenkundig große Freude bereitet hat. So groß, dass er 2012 bei Red Bull wieder ein schon bestehendes, aber ohne jede Stringenz arbeitendes Projekt wieder praktisch von Null hochzog – wohl auch in dem Wissen, dass Dietrich Mateschitz ihn in Ruhe lassen würde.

Das hatte bei Mayer-Vorfelder in Stuttgart gar nicht geklappt, bei Assauer auf Schalke genauso wenig und Hopp hatte nach ein paar Jahren auch begonnen, sein „Herzensprojekt Hoffenheim“ zu einem „Geschäftsmodell Hoffenheim“ umzubauen, den sportlichen Projektleiter dabei wiederholt brüskierend.

Hätti-Wari mit Mateschitz

Sieben Jahre war Red Bull in Salzburg engagiert, als Rangnick verpflichtet wurde. National war man das Nonplusultra, in dieser Zeit wurden die Bullen viermal Meister, dreimal Zweiter und einmal Cupsieger. Finanziell war es ein Desaster, es wurde viel mehr Geld ausgegeben als eingenommen, international blieb man – vom starken Europa-League-Herbst 2009 abgesehen – ein Statist.

Wie lange hätte er sich das noch angesehen, wenn es so weiter gegangen wäre? Hätte er Salzburg fallen gelassen und alles auf Leipzig konzentriert? Wenn Rangnick nicht 2012 mit genau dieser Aufgabenstellung nach Salzburg kommt – und Leipzig hängt da noch in der vierten Liga fest – kommt er vermutlich nie enger mit dem österreichischen Fußball in Kontakt. Womöglich als Chef in Leipzig, wenn Salzburg eine Filiale ist, das große Zentrum des Red-Bull-Fußballprojektes aber längst in Leipzig ist.

Teamchef des ÖFB? Das war schon schwer vorstellbar, obwohl Rangnick über Jahre hinweg den österreichischen Fußball geprägt hat wie kaum ein anderer. Ohne diese Connection? „Unmöglich“ ist ein großes Wort, aber ganz von der Hand zu weisen wäre es in diesem Fall wohl nicht.

Schalke heute: Ein Scherbenhaufen

Schalke, sagt Jean-Julien Beer, ist noch heute der Verein, mit dem Rangnick am Liebsten Erfolg hätte. Und Rangnick ist noch heute jener Trainer, dem die Leute auf Schalke am meisten nachtrauern – weil sie sich sicher sind: Ohne das Zerwürfnis mit Assauer wären die späten Nuller-Jahre als eine Goldene Ära in die Schalker Vereinsgeschichte eingegangen. In der Realität war die Zeit seither nicht gerade eine Erfolgs-Story und die letzten zehn Jahre schon gar nicht.

Ständige Unruhe, ständige Wechsel, große Ansprüche, katastrophale Wirklichkeit. Schalke steht heute so schlecht da wie noch nie. Zum zweiten Mal in Folge war selbst der Klassenerhalt in der 2. Liga ein Kraftakt. Es steht der zehnte neue Trainer seit dem ersten Corona-Lockdown vor der Tür, und der ist erst fünf Jahre her. Miron Muslic ist es, der Tiroler, der zuletzt Cercle Brügge vom Abstiegskampf ins Europacup-Achtelfinale geführt hat (und in der Liga zurück in den Abstiegskampf) und dann bei Plymouth Argyle den sicher scheinden Abstieg aus der 2. Liga in England beinahe noch abgewendet hätte. Auch ein Sieg gegen Liverpool im FA Cup steht auf der Visitenkarte des 42-Jährigen, der eisnst bei Wörgl in LigaZwa gemeinsam mit Auron Miloti ein gefürchtetes Sturmduo gebildet hatte.

Er ist der der österreichische Trainer von FC Schalke 04 seit Edi Frühwirth. Dieser führte den Verein 1958 zur deutschen Meisterschaft. Es ist bis heute die letzte – auch, weil Rudi Assauer damals Ralf Rangnick aus dem Verein rausgemobbt hat.

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.