Der König von Honduras

WM-SERIE, Teil 14: HONDURAS | Reinaldo Rueda ist Teamchef von Honduras – und ein Volksheld. Im mittelamerikanischen Land wird er „Reynaldo“ geschrieben – der König. Nicht zu unrecht, schließlich führte er das Team eines sonst chaotischen Verbandes zur WM-Endrunde!

Es ist vor allem der Verdienst von Reinaldo Rueda. Als der Kolumbianer 2007 das Amt des honduranischen Teamchefs annahm, befand sich der Fußball des Landes noch immer in einer Schockstarre. Weniger die Tatsache, dass die zurückliegende Weltmeisterschaft in Deutschland verpasst wurde – das passierte Honduras seit der ersten (und einzigen) Teilnahme 1982 immer. Nein, es war das „wie“ – nicht einmal in die Finalrunde hatten sie es geschafft. Dabei hatten sie es in der eigenen Hand.

Am letzten Vorrunden-Spieltag, es war im November 2004, musste ein Heimsieg gegen Costa Rica her, und zwar mit zwei Toren Differenz. Sonst würde es nichts mit der Finalrunde, in der erst drei Jahre zuvor die Teilnahme an der Endrunde in Japan und Südkorea nur knapp verpasst wurde. Zweimal hatte es Honduras im Herbst ’04 nicht geschafft, gegen Fußballzwerg Kanada zu gewinnen, sich so erst in diese missliche Lage gebracht. Und natürlich, es klappte nicht – das Spiel gegen Costa Rica endete 0:0, alles war aus. Die Costaricaner qualifizierten sich letztlich und absolvierten sogar das Eröffnungsspiel gegen Deutschland, Honduras lag am Boden. Aber man sieht sich im Leben ja immer zweimal.

Die missglückte Qualifikation für 2006 war vor allem ein Produkt von ständiger Unruhe im Umfeld. Zu Beginn war Volksheld José de la Paz Teamchef – er führte sein Land schon 1982 zur Endrunde. Nach einem holprigen Start und nachdem die Qualifikation für den Gold-Cup, also die Nordamerika-Meisterschaft, beinahe verpasst worden wäre, holte man in Panik Weltenbummler Bora Milutinović. Dass der Serbe, der auf seinen Reisen durch die Fußballwelt ja schon einiges erlebt hatte, nach wenigen Monaten schreiend das Weite suchte, spricht Bände über die Zustände im honduranischen Verband. De la Paz wurde zurückgeholt, der Umschwung gelang nicht mehr. Honduras war raus.

Dass im folgenden Gold-Cup immerhin das Semifinale erreicht wurde, rettete De la Paz nicht mehr. Der Teamchef ging in die Politik, und Ruhe sollte erst wieder einkehren, als im Jänner 2007 Reinaldo Rueda die Bühne betrat. Als kolumbianischer Teamchef war er beim Gold-Cup 2005 noch von Honduras besiegt worden, nun war es an ihm, die alsbald startende Qualifikation besser zu meistern. Und er tat dies.

Und er scheute sich auch nicht davor, durchzugreifen – auch wenn dies auf Kosten von Leistungsträgern ging. So verbannte er etwa Offensiv-Mann De Leon, als dieser wegen einer angeblichen Verletzung nicht einrücken wollte. De Leon kostete das ein Jahr seiner Nationalmannschafts-Karriere, Rueda brachte dies die Autorität, die er brauchte. Und er hatte auch das nötige Glück – denn erneut kam es am letzten Spieltag der Vorrunde zu einem Entscheidungsspiel, das diesmal zumindest nicht verloren werden durfte! Doch diesmal gelang es, Mexiko wurde sogar 1:0 geschlagen, und es ging in die Finalrunde. In der sich eine einmalige Gelegenheit bieten sollte.

Denn wegen den schwächelnden Mexikaner führte Honduras die Gruppe phasenweise gar an, rutschte dann aber hinter diese, und auch hinter die Amerikaner zurück. Womit einmal mehr Costa Rica der Gegner war – wie fünf Jahre zuvor. Der Platz im Play-Off gegen den Südamerika-Fünften war längst fix, aber gegen Teams wie Argentinien, Ecuador oder Uruguay wären die Chanchen schlecht gestanden. Es musste also der dritte Gruppenplatz sein! Am letzten Spieltag erfüllten die Honduraner zwar ihre Pflicht gegen El Salvador, aber Costa Rica führte sensationell 2:0 in den USA. Das wäre das Ticket für Costa Rica gewesen, Honduras hätte erneut durch die Finger geschaut. Doch dann kamen die Amerikaner in dem für die bedeutungslosen Spiel zurück, und Jonathan Bornstein glich in der Nachspielzeit aus! Damit war die Rache an Costa Rica vollzogen – und Honduras dabei.

Spätestens seit diesem Tag ist Reinaldo Rueda ein Volksheld – in Honduras wird er nur „Reynaldo“ geschrieben. Wie in „Rey“, dem spanischen Wort für König. Seine beinahe monarchische Macht demonstrierte erst kürzlich, als der Verband die Prämien für die erfolgreiche Qualifikation nicht ausbezahlen wollte. Kaum drohte er mit dem Rücktritt, war das Ausschütten der Prämien plötzlich kein Problem mehr…

Bei der Endrunde in Südafrika kann sein Team nur positiv überraschen. Alleine die Teilnahme ist für das Land in Mittelamerika ein Riesenerfolg, und als ganz chancenlos muss die Mannschaft in der Gruppen zumindest gegen Chile und die Schweiz nicht angesehen werden. Die Truppe wird von vielen älteren Akteuren geführt, denen es aber an internationaler Erfahrung mangelt – eine Weltmeisterschaft ist natürlich für alle Beteiligten absolutes Neuland. Dafür kann Rueda vor allem in Mittelfeld und Angriff viel variieren, weil ihm dort auch über die erste Elf hinaus einige Spieler zur Verfügung stehen, die das Niveau nicht senken.

Im Tor sollte Noel Valladares stehen. Er hat sich den Posten nach dem letzten Gold-Cup im Sommer 2009, bei dem Honduras das Semifinale erreicht hat, von seinem Klub-Kollegen Donis Escober zurück erobert. Vor ihm steht der jüngste Teil der Mannschaft – Innenverteidiger Erick Norales (25) und Linksverteidiger Emilio Izaguirre (24) sind die „Team-Babies“, haben ihre Plätze aber so gut wie sicher. Um den zweiten Platz in der Zentrale rittern dafür gleich mehrere Spieler: Da wäre zum einen Carlos Palacios, der in den letzten Testspielen dort agiert hat. Er verdrängte Victor Bernández, dem es beim belgischen Spitzenklub Anderlecht eklatant an Spielpraxis mangelt. Am wahrscheinlichsten ist, dass Maynor Figueroa von Wigan spielen wird. Dieser ist zwar gelernter Außenverteidiger, kann aber auch innen auflaufen.

Die rechte Seite teilen sich China-Legionär Mauricio Sabillón (defensiv) und Edgar Álvarez, der in der italienischen Serie A beim AS Bari spielt. Die defensivere Variante wäre, wenn Danilo Turcios statt Álvarez aufläuft. Aufräumer im defensiven Mittelfeld ist mit Wilson Palacios der international, trotz seiner erst 25 Jahren, wohl abgeklärteste Spieler – er hat sich bei Tottenham einen Stammplatz erkämpft und ist eine der ganz zentralen Korsettstangen von Rueda. Vor ihm ist es Kapitän und Rekord-Teamspieler Amado Guevara, der für die Kreativität im Mittelfeld zuständig ist.

Spielt Rueda mit einem 4-4-2, ist üblicherweise Julio César de Leon der Mann, der auf der linken Seite für Dampf sorgen soll. Der Teamchef variiert aber gerne, und lässt sein Team (vor allem gegen schwächere Gegner) auch mitunter mit einem 4-3-3 auflaufen. In diesem Fall opfert eram Ehesten Álvarez, zieht De Leon (oder Flügelstürmer Walter Martínez) nach vorne und bringt mit Thomas oder Espinoza entweder einen zweiten Sechser, oder mit Ramón Núñez einen zweiten Offensiven. Das ist bei der WM zwar nicht von Beginn an zu erwarten, kann aber im Falle eines Rückstands durchaus eine Option sein.

Das Prunkstück der Honduraner ist nämlich zweifelsohne ihre Offensive. Mit dem allerdings schon in die Jahre gekommenen Wandervogel Carlos Pavón (der 36-jährige Rekordtorschütze hat letzten Sommer seinen neunzehnten Vereinswechsel vorgenommen), der sich bei zwei Versuchen in Europa nicht durchsetzen konnte. Und natürlich mit David Suazo, der seit einigen Jahren ein fixer Bestandteil in den vorderen Regionen der Torschützenliste in der italiensichen Serie A ist. Derzeit spielt der 30-jährige Suazo für Genoa, nachdem er viele, viele Jahre bei Cagliari der absolute Fixpunkt war und 2008 (als brandgefährlicher Joker) sogar mit Inter Mailand Meister wurde.

Die Honduraner rühmen sich damit, das beste Sturmduo Mittelamerikas zu haben, und sie rühmen sich wohl nicht zu unrecht. Allerdings ist das Duo Pavón/Suazo auch eines der älteren und, gerade im Falle von Pavón, eher langsameren. Das könnte die Chance für Carlo Costly sein, der in der Qualifikation ebenso einige wichtige Tore beigesteuert hat. Der 27-jährige Rumänien-Legionär hat zudem einen guten Namen: Sein Vater Anthony war 1982 für Honduras bei der WM-Endrunde dabei…

Egal, wie es für Reinaldo – oder Reynaldo – Rueda in Südafrika läuft, er hat in Honduras schon alleine aufgrund der geschafften Qualifikation schon jetzt Denkmal-Status. Sollte es sogar zu einem Sieg oder gar zum Achtelfinale-Einzug reichen, umso mehr. Aber eigentlich kann nichts mehr schief gehen, auch wenn das Team chancenlos wäre und den (erwarteten) letzten Gruppenplatz einfährt.

Denn die Rache an Costa Rica, die ist geglückt.

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HONDURAS
blau-weiß gestreiftes Trikot, blaue Hose, Joma – Platzierung im ELO-Ranking: 33.

Spiele in Südafrika:
Chile (Mittagsspiel Mi 16/06 in Nelspruit)
Spanien (Abendspiel Mo 21/06 in Johannesburg/E)
Schweiz (Abendspiel Fr 25/06 in Bloemfontein)

TEAM: Tor: Ricardo Canales (28, Motagua), Donis Escober (30, Olimpia), Noel Valladares (33, Olimpia). Abwehr: Victor Bernández (28, Anderlecht), Oscar Boniek-García (25, Olimpia), Osman Chávez (25, Platense), Maynor Figueroa (27, Wigan), Emilio Izaguirre (24, Motagua), Erick Norales (25, Marathón), Mauricio Sabillón (31, Hangzhou). Mittelfeld: Edgar Álvarez (30, Bari), Julio César de Leon (30, Torino), Roger Espinoza (23, Kansas City), Amado Guevara (34, Motagua), Ramón Núñez (24, Olimpia), Wilson Palacios (25, Tottenham), Hendry Thomas (25, Wigan), Danilo Turcios (32, Olimpia), Melvin Valladares (25, Real España). Angriff: Carlo Costly (27, Vaslui), Allan Lalín (29, Lenkeran), Walter Martínez (28, Marathón), Carlos Pavón (36, Real España), David Suazo (30, Genoa), George Welcome (25, Motagua).

Teamchef: Reinaldo Rueda (53, Kolumbianer, seit Jänner 2007)

Qualifikation: 4:0 gegen und 2:2 in Puerto Rica. 1:2 in Mexiko, 2:1 in Kanada, 2:0 gegen Jamaika, 3:1 gegen Kanada, 0:1 in Jamaika, 1:0 gegen Mexiko. 0:2 in Costa Rica, 1:1 auf Trinidad, 3:1 gegen Mexiko, 1:2 in den USA, 1:0 gegen El Salvador, 4:0 gegen Costa Rica, 4:1 gegen Trinidad, 0:1 in Mexiko, 2:3 gegen die USA, 1:0 in El Salvador.

Endrundenteilnahmen: 1 (1982 Vorrunde)

>> Ballverliebt-WM-Serie
Gruppe A: Südafrika, Mexiko, Uruguay, Frankreich
Gruppe B: Argentinien, Nigeria, Südkorea, Griechenland
Gruppe C: England, USA, Algerien, Slowenien
Gruppe D: Deutschland, Australien, Serbien, Ghana
Gruppe E: Holland, Dänemark, Japan, Kamerun
Gruppe F: Italien, Paraguay, Neuseeland, Slowakei
Gruppe G: Brasilien, Nordkorea, Elfenbeinküste, Portugal
Gruppe H: Spanien, Schweiz, Honduras, Chile

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.