Talking Points zur Deutschland-Premiere der ÖFB-Frauen

Am Samstag (14.15 Uhr, live ORF Sport plus und ZDF) spielen die ÖFB-Frauen in ihrem 145. Länderspiel erstmals gegen Deutschland. Sportlich geht es in Wahrheit um nichts, es handelt sich um das erste von vielen Testspielen im Vorfeld der EM nächstes Jahr im Juli, für die sich Österreich souverän qualifiziert hat. Dennoch hier ein paar Talking Points.

Erstens: Viktoria Schnaderbeck fehlt

Die Kapitänin des österreichischen Teams muss mit einer Knieverletzung passen. Das schwächt das ÖFB-Team deutlich, denn die 25-Jährige ist der unumstrittene Boss auf dem Feld. Sie dirigiert die Abwehr, die lenkt das Spiel; sie ist die am Meisten gesuchte Anspiel-Station, sie verteilt die Bälle.

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Besonders auffällig war das im Quali-Spiel gegen Israel im Juni. Dort hatte Schnaderbeck (in der ersten Hälfte als Innenverteidigerin in einem 4-3-3, in der zweiten Hälfte als Sechser in einem 3-2-2-3) insgesamt 148 Ballkontakte und verteilte ihre Passwege mit einer fast schon beängstigenden Balance.

Wenninger rechts von ihr, Puntigam links von ihr und Zadrazil vor ihr bekamen jeweils 28 Anspiele (und eines noch die kurz vor Schluss für Puntigam eingewechselte Naschenweng). Feiersinger auf der rechten Außenbahn erhielt 11 Pässe, Aschauer auf der linken Außenbahn 12 Pässe, und die als Verbindungsspielerin agierende Dunst (und die für Dunst eingewechselte Eder) 14 Anspiele.

Ein weiteres schönes Detail: In der zweiten Hälfte, als Schnaderbeck vor der Dreierkette agierte, bekam Maierhofer (als rechte Spielerin in der Dreier-Abwehr) neun Pässe und Puntigam bzw. Naschenweng (als linke Spielerin in der Dreier-Abwehr) ebenfalls neun Pässe.

Kurz gesagt: Ohne die Balance, die Schnaderbeck dem Team verleiht, wird es spannend zu sehen sein, wie sich die ÖFB-Frauen in dieser Hinsicht schlagen. Obwohl, natürlich, es gegen Deutschland sicher nicht 745 angekommene Pässe geben wird, wie es beim 90-%-Ballbesitz-Spiel gegen die überforderten Israelis gab. Hier wird es vor allem um die defensive Stabilität gehen – und es müssen andere Spielerinnen Verantwortung übernehmen, wenn es um die richtige Positionierung und das Dirigieren des Abwehrverbundes geht.

Zweitens: Neues Deutschland

Nach dem Olympia-Sieg im Sommer fand bei den DFB-Frauen ein ziemlicher Schnitt statt. Statt Silvia Neid ist nun Steffi Jones die Bundestrainerin. Statt der zurückhaltenden Ulrike Ballweg ist der neue Co-Trainer Marcus Högner, lange Jahre erfolgeich bei Bundesligist SGS Essen tätig, eine auch sichtbar gleichberechtige Stimme auf der Trainerbank. Auch Doris Fitschen, quasi der weibliche Gegenpart zu Oliver Bierhoff, ist nicht mehr Managerin – der Posten wurde gar nicht direkt nachbesetzt.

Auf dem Feld ist ebenso einiges anders: Die über Jahre hinweg gesetzte Innenverteidigung mit Saskia Bartusiak und Annike Krahn hat sich genauso vom Nationalteam zurückgezogen wie Melanie Behringer (quasi der Schweinsteiger des Frauenfußballs: angefangen auf der Außenbahn, später in die Mittelfeld-Dirigenten-Rolle gewechselt). Und auch das starre 4-4-2, das noch manachmal wie ein 4-4-1-1 daherkam, sowie der fast schon krankhafte Flügelfokus sind nun Geschichte.

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Das letzte Spiel unter Silvia Neid: Olympia-Finale, 2:1-Sieg gegen Schweden

Dazu ein kleiner Vergleich. Das letzte Spiel unter Silvia Neid, der 2:1-Sieg gegen das schwedische Team im Olympia-Finale in Rio, war von der Grundstruktur her ein typisches Neid-Spiel. Die beiden Sechser orientieren sich deutlich mehr seitwärts bzw. nach hinten als nach vorne, selbiges gilt für die (von den Spielertypen her eher staubig besetzte) Innenverteidigung.

Die Belieferung der beiden Sturmspitzen funktioniert eher über die Außen und über lange Bälle von ganz hinten als von den beiden sehr konservativen Spielerinnen im Mittelfeld-Zentrum – nur Behringer auf die gelegentlich nach hinten rückende Mittag bietet hier eine Ausnahme. Generell lässt sich aber sehr schön beobachten, wie das Zentrum im Aufbau eher zurück hielt – selbst bei einem eher destruktiv agierenden Gegner, wie es Schweden bei Olympia war.

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Das erste Spiel unter Steffi Jones: EM-Quali, 4:0-Sieg in Russland

Schon das erste Spiel unter Steffi Jones und Marcus Högner zeigte ein völlig anderes Bild – nicht nur vom System her. In der Mittelfeld-Raute agiete Lena Goeßling auf der Sechs als Anker, die beidseitig besetzten Halbpositionen sollten den Aufbau variabler machen (wiewohl das in diesem Spiel Verena Faißt links besser geschafft hat als die kaum involvierte Kathrin Hendrich rechts – das mag aber auch damit zusammen hängen, dass Leo Maier eine dominantere Außenverteidigerin ist als Isabel Kerschowski). Zudem installierte Jones eine designierte Nummer zehn (In diesem Fall Linda Dallmann, in Vollbesetzung wäre das eher der Job von Dzenifer Marozsan). Kurz: Es gibt deutlich mehr Optionen im Vorwärtsgang und ein merkliches Abrücken vom Flügelspiel.

Ob die Raute mit dem Aufbau-Fünfeck mit einem Anker in dessen Mitte auch gegen Österreich zum Einsatz kommt, ist alles andere als gewiss: Steffi Jones kündigte schon vor einem Monat an, bei den beiden Testspielen im Oktober (eben Österreich und danach gegen EM-Gastgeber Holland) auch ein 4-3-3 und ein 3-4-3 ausprobieren zu wollen. Am Prinzip wird sich aber nichts ändern: Größere Variabilität im Aufbau, immer zwei Anspielstationen offen haben, Teilen der Aufbauwege in fünf Korridore (2x Außen, 2x Halbfeld, Zentrum) statt in zweieinhalb wie unter Neid.

Kurz gesagt: Beim DFB ist nun auch das Frauen-Team in der fußballerischen Gegenwart angekommen, taktisch betrachtet.

Drittens: Mehr „Deutsche“ bei Österreich?

Sophie Maierhofer ist in der US-College-Liga aktiv, dazu ist noch das St.-Pölten-Quartett mit Prohaska, Dunst, Eder und Georgieva sowie Enzinger und Naschenweng von Sturm Graz im ÖFB-Kader. Es wäre aber keine Überraschung, sollten im österreichischen Team mehr Spielerinnen sein, die in Deutschland ihren Vereinsfußball spielen, als in der Mannschaft des DFB.

Aufgrund des Schnaderbeck-Ausfalls wird vermutlich nicht die komplette ÖFB-Mannschaft bei deutschen Klubs spielen, aber es ist absolut denkbar, dass es schon zehn sein werden. In der Top-Formation des deutschen Teams sind es hingegen „nur“ neun. Das klingt aber dramatischer, als es ist.

Denn die DFB-Legionäre spielen bei Lyon (Marozsan und Bremer) und Arsenal (Henning) – also bei Teams der absoluten bzw erweiterten europäischen Spitze. Und die, die in der deutschen AFBL spielen (in der Breite sicher die deutlich beste Liga Europas), stehen überwiegend bei den „Großen 4“ unter Vertrag: Meister Bayern, Champions-League-Finalist Wolfsburg und die „alte Elite“ Frankfurt und Potsdam.

Bei Österreich fehlt die eine Stammspielerin bei Bayern (Schnaderbeck). Die meisten anderen spielen bei Mittelständlern bzw. sind Wechselspieler bei Bayern.

Viertens: Tinkering with the System

Wie angekündigt, ist das DFB-Spielsystem unter Steffi Jones nicht so klar auf flachem 4-4-2 festbetoniert wie noch unter Neid. Ein 4-3-1-2 (wie in ihren ersten beiden Spielen) ist genauso möglich wie die angekündigten 4-3-3 und 3-4-3. Die taktische Schulung bei den Vereinen ist sehr gut (vor allem Tom Wörle bei den Bayern und Ralf Kellermann bei Wolfsburg stechen da heraus, aber auch der jetzige Jones-Co Högner bei Essen war diesbezüglich exzellent), aber Neid fehlte das inhaltliche Rüstzeug – oder der Wille? – das auch ins Nationalteam umzusetzen.

Genau diese System-Flexibilität hat aber auch das ÖFB-Team drauf. Aus dem 4-1-4-1 bzw. 4-3-3, wie es in jüngster Vergangenheit zumeist praktiziet wurde, kann man jederzeit und ohne Reibungsverlust auf 4-4-2 gehen (wie in Norwegen zu Beginn), auf das 4-2-3-1 (wie zu Beginn der Qualifikation), aber auch ein 3-2-2-3 ist im Bereich des Erprobten – wiewohl dieses eher gegen unterlegene Gegner wie Israel oder, beim Cyprus-Cup im März, Irland zu, Einsatz kam. Da ging es also eher um die offensive Positionierung.

Gegen ein starkes Team, wo Österreich eher nicht die Initiative hat, steht ein defensiver Dreier/Fünferketten-Test noch aus – wer weiß, vielleicht ist es in Regensburg so weit. Und überhaupt: Die “Variante Abwehrschlacht“ hat Österreich in den letzten Jahren nur ein einziges Mal probiert (und das war, in Unterzahl beim Cyprus Cup gegen Italien, eher nicht geplant).

Australien wurde von Österreich ja vor anderthalb Jahren überfahren, Finnland auch, Norwegen hat’s mit dem eigenen Aufbau ohnehin nicht so, und selbst Frankreich wurde 2013/14 erstaunlich forsch angegangen, vor allem im Auswärtsspiel.

Die Kader

ÖSTERREICH: Tor: Jasmin Pal (20 Jahre, Wacker Innsbruck, 0 Länderspiele/0 Tore), Manuela Zinsberger (21, Bayern/GER, 22/0). Abwehr: Marina Georgieva (19, St. Pölten, 0), Gini Kirchberger (23, Köln/GER, 37/1), Sophie Maierhofer (20, University of Kansas/USA, 13/1), Katharina Naschenweng (18, Sturm Graz, 1/0), Katharina Schiechtl (23, Bremen/GER, 16/5), Carina Wenninger (25, Bayern/GER, 57/3). Mittelfeld: Verena Aschauer (22, Sand/GER, 35/5), Barbara Dunst (19, St. Pölten, 6/0), Jasmin Eder (24, St. Pölten, 30/0), Laura Feiersinger (23, Sand/GER, 44/7), Nadine Prohaska (26, St. Pölten, 63/7), Sarah Puntigam (24, Freiburg/GER, 61/9), Sarah Zadrazil (23, Potsdam/GER, 37/5). Angriff: Nicole Billa (20, Hoffenheim/GER, 22/9), Nina Burger (28, Sand/GER, 79/45), Stefanie Enzinger (26, Sturm Graz, 4/0). Teamchef Dominik Thalhammer (46, seit April 2011).

DEUTSCHLAND: Tor: Laura Benkarth (24 Jahre, Freiburg, 2 Länderspiele/0 Tore), Almuth Schult (25, Wolfsburg, 35/0), Lisa Weiß (28, Essen, 2/0). Abwehr: Kristin Demann (23, Hoffenheim, 4/0), Jo Henning (27, Arsenal/ENG, 33/0), Tabea Kemme (24, Potsdam, 36/1), Isabel Kerschowski (28, Wolfsburg, 13/3), Leonie Maier (24, Bayern, 47/7), Babett Peter (28, Wolfsburg, 100/5). Mittelfeld: Anna Blässe (29, Wolfsburg, 12/0), Pauline Bremer (20, Lyon/FRA, 9/3), Sara Däbritz (21, Bayern, 36/8), Sara Doorsoun (24, Essen, 2/0), Verena Faißt (27, Bayern, 29/2), Kathrin Hendrich (24, Frankfurt, 11/1), Svenja Huth (24, Potsdam, 24/0), Lina Magull (22, Freiburg, 5/2), Dzenifer Marozsan (24, Lyon/FRA, 66/30), Julia Simic (27, Wolfsburg, 0). Angriff: Mandy Islacker (28, Frankfurt, 11/3), Anja Mittag (32, Wolfsburg, 146/46), Lena Petermann (22, Freiburg, 8/3), Alex Popp (25, Wolfsburg, 74/35). Bundestrainerin Steffi Jones (43, seit September 2016).

Kleiner Sidestep

Nachdem die U-17-Mädchen des ÖFB ihre Vorrunde in der EM-Quali schon souverän überstanden (7:0 gegen Bosnien, 4:1 gegen Bosnien, 4:0 gegen Nordirland) und ihren Platz in der Eliterunde im Frühjahr gebucht haben, ist nun das U-19-Nationalteam in der Vorrunde am Werk. Der zweite Platz in der Vierergruppe muss es in jedem Fall sein, um weiter zu kommen. Zum Start gab es ein 0:0 gegen Weißrussland, es folgen Spiele gegen Litauen und Belgien.

Kader Österreich: Tor: Isabella Kresche (St. Pölten), Lisa-Maria Scheucher (LUV Graz/Leoben). Abwehr: Adina Hamidovic (St. Pölten), Vanessa Hartl (Kleinmünchen), Sandra Mayrhofer (Kleinmünchen), Johanna Schneider (LUV Graz/Leoben), Nina Wasserbauer (Kleinmünchen), Laura Wienroither (Neulengbach), Anna Zimmerebner (Bergheim). Mittelfeld: Jennifer Klein (Neulengbach), Julia Kofler (Sturm Graz), Lena Kovar (Landhaus), Laura Krumböck (St. Pölten), Besi Pireci (Neulengbach), Sandrine Sobotka (Neulengbach). Angriff: Julia Hickelsberger (Neulengbach), Viktoria Pinther (St. Pölten), Melissa Schmid (Neulengbach). Teamchefin Irene Fuhrmann.

 

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.