Ballverliebt Classics: Teamchef Riedl – Fatales und Fatalismus

Wer alt genug ist, diese Zeit bewusst zu erlebt zu haben, hat sie verdrängt. Nicht das 0:1 in Landskrona gegen die Färöer, das kann man nicht verdrängen. Höchstens versuchen, aber es wird einem nicht gelingen. Sehr wohl aber verdrängen kann man, was danach kam. Es kam Alfred Riedl, zumindest für 13 Monate. Es war ein Jahr, in dem sich Fatalismus mit spieltaktischer Feigheit und wechselhafter Konsequenz abwechselte. Zum 25-jährigen „Jubiläum“: Das war die kurze Ära Riedl.

Als Spieler war Alfred Riedl durchaus eine Hausnummer. Zweimal Meister und einmal Torschützenkönig mit der Austria, danach war der Linksfuß zehn Jahre Legionär in Belgien (120 Tore in acht Jahren, zweimal Schützenkönig, sehr beeindruckend), ehe er seine letzten aktiven Jahre beim GAK und beim Sportclub verbrachte. Dass es nur zu vier Länderspielen reichte, lag vor allem an der Konkurrenz im ÖFB-Angriff: An Ausnahmestürmern wie Kreuz, Krankl und Schachner kam er nicht vorbei.

Nach der WM 1990 in Italien, in der ein blutjunges ÖFB-Team (24,8 Jahre, nur Keeper Lindenberger war älter als 27) Lehrgeld bezahlt hat, wurde Riedl – der zuvor Bundesliga-Abstiegskandidat Sportclub betreut hatte – zu Hickersberger Assistent berufen. Das hieß: Co-Trainer in der „A“ und Teamchef der U-21 in Personalunion. Heute auch undenkbar. Jedenfalls verkroch sich Hickersberger nach Landskrona zum Schämen in ein Loch, drei Tage später hatte ÖFB-Präsident Mauhart den Assistenten zum Chef gemacht. Im Alleingang.

Vorschusslorbeer sieht anders aus

Das brachte die Landespräsidenten gar fürchterlich auf die Palme, weil sie niemand nach ihrer werten Meinung gefragt hatte; außer Dampf ablassen konnten sie aber nichts mehr tun. Riedl verdiente irgendwas zwischen 70.000 und 90.000 Schilling (also 5.000 bis 6.000 Euro) im Monat und erhielt einen unbefristeten Vertrag. Heißt: Jederzeit kündbar, ohne dass für den ÖFB Mehrkosten entstehen.

Wunderschön, wer sich erinnern kann, war dazu passend auch der „Club 2“ im ORF, wo Riedl weitestgehend stumm aus seinem oberlippenbebarteten Gesicht starrte, während sich Beppo Mauhart und Rapid-Trainer Hans Krankl (der nach einem 2:1 im Uefa-Cup gegen Inter Mailand gerade Oberwasser hatte) verbale Ohrfeigen verpassten. „Ich bin nicht gegen den Riedl-Fredl, i hab ja gemeinsam mit ihm im Team gespielt. Aber i bin gegen die Entscheidung, ihn zum Teamchef zu machen“, aus dem Mund von Krankl, erinnert an eine ganz ähnliche Diskussion in einer ganz ähnlichen Situation 21 Jahre später.

Eh scho wurscht

Riedl selbst fügte sich gleich mal mit einigen Bonmots ein, die kommende sportliche Katastrophen schon im Vorhinein erklären sollten. „Die U-21-Meisterschaft ist sinnlos, weil die meisten Teams zu schwach dafür sind“, stellte er zum Beispiel gleich klar, dass der Nachwuchs mittelfristig auch keine Besserung verspräche.

„Polster, Ogris und Rodax sind in Spanien im Formtief“, beklagte er überdies. Polster ging in seine dritte Saison bei Sevilla, Ogris war im Sommer zu Espanyol gewechselt und Rodax zu Atlético Madrid. In den ersten zwei Spielen traf Rodax jeweils, in den kommenden acht Einsätzen aber nur noch einmal. Sein Stammplatz wackelte.

„Würde ich nach Jugoslawien fahren und sagen, dass wir ohnehin verlieren, hätte ich als Teamchef nichts verloren“, meinte Riedl zwar bei seinem Amtsantritt, aber so richtig glaubhaft wirkte sein zuweilen krampfhafter Optimismus vor seinem ersten Spiel, auswärts bei WM-Viertelfinalist Jugoslawien, nicht.

„Kein langes Gefackel im Mittelfeld. Dieser Raum soll einfach überschossen werden.“

Bei der Kaderbekanntgabe ging Riedl dann daran, den Anwesenden schon jenen Fatalismus näher zu bringen, einstweilen noch in homöopathischen Dosen, der vor allem für die ersten paar Monate stilprägend werden sollte. „Wir brauchen uns gar nicht auf die Jugoslawen konzentrieren“, meinte der 41-Jährige da.  Das Spiel selbst zu gestalten kam schon gleich überhaupt nicht in Frage: „Kein langes Gefackel im Mittelfeld. Dieser Raum soll im Konter einfach überschossen werden.“

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Jugoslawien – Österreich 4:1 (2:1)

Als Riedl merkte, was für eine primitive Holzhackerei er da ankündigte, ruderte er doch ein wenig zurück. „Aber gezielt natürlich, nicht mit dem Dreschflegel!“

Im Endeffekt packte in Belgrad nur ein Team den Dreschflegel aus, und zwar die Gastgeber – für etwa eine halbe Stunde. Das reichte locker. Nach Ogris‘ Führungstor drehte das Team von Ivica Osim auf, schoss  mal schnell drei Tore und verlegte sich danach auf’s Zaubern. Österreich hatte dem nichts entgegen zu setzen: Pecl wurde von Darko Pancev lächerlich gemacht, Artner rannte Vujovic nur hinterher, Herzog war unsichtbar, Reisinger hatte eine erstaunliche Fehlpassquote, Polster präsentierte sich als Immobilie. Nur Ogris stemmte sich mit allem, was er hatte, dagegen, aber kurz nach der Pause musste er verletzt raus.

Für Austria-Libero Aigner (der bei der WM den ausgebooteten Heribert Weber vertreten hatte) war es an seinem 24. Geburtstag das letzte Länderspiel. Osim konstatierte, dass man ganz ohne Routiniers nichts erreichen könne – sieben Österreicher waren jünger als 25 Jahre, Keeper Konsel mit 28 der älteste. Es fehle eine Führungsfigur, wie das in der WM-Qualifikation noch Herbert Prohaska war. Der 22-jährige Herzog war das noch nicht.

„Ihm fehlt’s an Durchsetzungsvermögen. Aber welcher Österreicher setzt sich derzeit schon durch?“

Zwei Wochen nach der ernüchternden Chancenlosigkeit von Belgrad wartete das Heimspiel gegen Nordirland. Die mutlosen Auftritte bei der WM hatten die Stimmung, die davor noch kurz vorm gefühlten WM-Titel war, schon kippen lassen, nach Landskrona wurde das Nationalteam mit komplettem Liebesentzug bestraft. Gegen Nordirland verteilte der ÖFB 2.000 Freikarten, um einen den Super-GAU (= Besucher-Negativrekord) zu verhindern.

Es klappte – exakt 7.032 Zuseher kamen ins Praterstadion. Boah.

Und auch Riedl machte nicht gerade Werbung für das Spiel. „Wenn man danach geht, wer in Form ist, haben wir derzeit große Probleme“, stellte der Teamchef nüchtern fest. Aigner fiel dem Rotstift zum Opfer, Tirol-Libero Baur (21) erschien Riedl noch zu jung. Befragt zu Daniel Madlener von Vorwärts Steyr, den er berufen hatte, sagte der Teamchef: „Er sucht den Weg zum Tor, aber es fehlt an Durchsetzungsvermögen. Nur… Welcher Österreicher setzt sich derzeit schon durch?“

„Die Spieler sind schlecht trainiert.“

Ziemlich unrund reagiert man auf Seiten des ÖFB auch auf einen Sketch der „Hektiker“ um Mini Bydlinski, die sich im ORF über das Team im Allgemeinen und über Toni Polster im Speziellen lustig gemacht hatten. Dafür bekamen die Klubtrainer – vor allem Hans Krankl von Rapid und Herbert Prohaska von der Austria, aber auch Ernst Happel von Tirol wurde nicht ausgenommen – von Riedl, Co-Trainer Koncilia und Vorgänger Hickersberger ausgerichtet, die Spieler kämen schlecht trainiert zum Team und spielten deswegen so unter aller Sau. Man kennt und mag sich ja, da kann sowas schon auch mal in der Öffentlichkeit breitgetreten werden.

Österreich - Nordirland 0:0
Österreich – Nordirland 0:0

Frostig ums Herz wurde es einem dann auch beim Spiel selbst, gegen ein biederes und robustes nordirisches Team. Riedl setzte auf Vorsicht: Zwei Manndecker und ein Libero gegen einen Solo-Stürmer, zwei defensive Abräumer gegen einen Zehner (über den die Bälle ohnehin meterhoch hinweg segelten), zwei eher Defensive auf den Außenbahnen.

„Wir haben uns aufgebäumt und immerhin kein Gegentor kassiert“, versuchte Riedl nach dem gespenstisch schlechten Spiel vor einer Geisterkulisse, das 0:0 zum Erfolg hochzujazzen. Warum Debütant Andreas Poiger, der mangels Gegenspieler völlig sinnlos wie bestellt und nicht abgeholt im leeren Raum herumhing, nicht zugunsten eines Kreativspielers ausgewechselt wurde? „Aus Sicherheitsgründen“, so Riedl. Seinen Freiraum jedenfalls konnte der nervöse Poiger nicht nützen. Der 22-jährige Rapidler war halt doch Manndecker und kein Spieleröffner.

Jedenfalls gab’s nach zwei Niederlagen nun zumindest mal einen Punkt, womit man die Inselkicker von den Schafsfelsen schon beinahe wieder eingeholt hatte. Das ist ja nicht nichts.

„Wenn die Spieler übers halbe Feld gaberln sollen, fällt ihnen der Ball sechsmal hinunter.“

In der Folge rechtfertigte sich Riedl für seine extra-vorsichtige Herangehensweise mit dem schon angesprochenen Fatalismus. Motto: Wen hätte ich denn bringen sollen? „Sehen Sie in der Meisterschaft einen Unterschied zwischen den Teamkandidaten und den anderen? Ich nicht“, beklagte er sich gegenüber Journalisten. Resignierender Nachsatz: „Wenn die Spieler übers halbe Feld gabeln sollen, fällt ihnen der Ball sechsmal hinunter!“

Wie soll sich der Nachwuchs aber auch entwickeln, wenn er so vernachlässigt wird. Bei einem internationalen U-15-Länderturnier in der Steiermark etwa verweigerte der Platzwart des steirischen Bierliga-Klubs St. Ruprecht das Bespielen des Hauptplatzes – der lokale Siebtligist hatte ja wenige Tage das nächste Spiel, wo kämen wir denn da hin. Die Kids mussten auf einem gatschigen Nebenplatz spielen.

„Konditionell hinken wir international hinten nach.“

Im Februar lud Riedl zu sportmedizinischen Tests, um zu sehen, ob die Herren Teamkicker in der Winterpause nur Leberkässemmeln gegessen oder doch etwas für ihre Fitness getan hatten. Ob Wolfgang Feiersinger ein schlechtes Gewissen hatte, ist nicht überliefert, jedenfalls schwänzte er – was bei Riedl naturgemäß große Begeisterung auslöste.

Tatsächlich erstaunlich war allerdings, dass eigentlich nur die unter Ernst Happel beim FC Tirol trainierenden Spieler gute Werte hatten, die dafür durch die Bank. Baur, Russ, Hörtnagl, Linzmaier, Pacult, Peischl, Streiter und Westerthaler waren jedenfalls im nächsten Kader für den Test gegen Norwegen auch dabei, ebenso wie Klubkollege Hartmann. „Konditionell hinken wir international hinten nach“, konstatierte Riedl dennoch betrübt.

Anders gesagt: Wir können nicht nur nicht kicken, wir können auch keine 90 Minuten rennen.

Um 45 Cent zum Länderspiel

Durch die beeindruckend harmlosen Leistungen köchelte auch eine andere Diskussion permanent: Die nach der vorsichtigen Grundausrichtung im Mittelfeld. Riedl hatte drei potenzielle Spielmacher zur Verfügung. Manfred Linzmaier agierte bei Tirol neben dem ebenso kreativen Néstor Gorosito, Peter Stöger agierte bei der Austria neben dem ebenso kreativen Jevgenijs Milevskis und Andi Herzog bei Rapid neben dem gelernten Stürmer Christian Keglevits, jeweils nur mit einer defensiven Absicherung dahinter (i.d.R. Hörtnagl bei Tirol, Zsak bei der Austria und Schöttel bei Rapid).

Riedl jedoch beharrte darauf: „Linzmaier und Herzog gemeinsam geht nicht, das passt nicht.“ Wie überhaupt er eben auf Sicherheit bedacht war. Das sorgte für Frust bei den ohnehin in Scharen fliehenden Zusehern und für Verstimmung bei den Beteiligten. So kündigte Riedl an, dass im Test gegen Norwegen  Peter Stöger den Zuschlag für die eine offensive Planstelle bekommen sollte. Linzmaier war sauer, weil er es ebenso mit zwei Kreativen probieren wollte. Herzog war sauer, weil er für das Norwegen-Spiel nicht einmal nominiert wurde.

Um zumindest für ein halbwegs volles Stadion zu sorgen, warf der ÖFB gemeinsam mit TOTO Eintrittskarten um 6 Schilling (= einem gespielten TOTO-Schein) auf den Markt, also um 45 Cent.

Da schau her, eine ordentliche Leistung

Österreich - Norwegen 0:0
Österreich – Norwegen 0:0

Die erstaunlichen 36.000 Zuseher im Prater sahen, wie Michael Baur vom FC Tirol am Tag nach seinem 23. Geburtstag sein Startelf-Debüt als Libero gab. Und sie sahen eine kämpferisch engagierte, wenn schon nicht glanzvolle Leistung.

Nach einer torlosen Stunde sprang Riedl dann über seinen Schatten und brachte Linzmaier für Schöttel aufs Feld. Die Folge war, dass Österreich nun auch spielerisch Übergewicht bekam (wiewohl, eh klar, da Norwegen unter Egil Olsen die Anti-These zum Guardiola’schen Ballbesitz-Fetisch darstellte – mehr als drei Stationen zwischen Balleroberung und Torabschluss waren strikt zu vermeiden). Da Österreich es allerdings nicht schaffte, auch das Tor zu erzielen, klangen gegen Ende schon wieder deutlich hörbare Pfiffe von den Rängen in Richtung Rasen.

Kann ja nicht sein, wir sind ja verwöhnt. Wenn die Herren einmal keinen kompletten Bockmist spielen, ist wohl ein Sieg zu verlangen. Vor allem gegen ein Team, das zwei Monate später immerhin Italien besiegen wird. So oder so: Nach dem Norwegen-Spiel erklärt Gerry Willfurth (der den Cut für die WM 1990 nicht geschafft hatte) seinen Rücktritt – mangels Perspektive auf eine WM-Teilnahme 1994. Der Mann hatte eine prophetische Gabe.

„Der Artner kann hinten spielen, in der Mitte, vorn, rechts, links, der Artner kann alles spielen. Er kann auch gar nicht spielen.“

Aus seinen Aufstellungen machte Riedl bis zum Matchtag immer ein Staatsgeheimnis, weil er nicht wollte, dass nicht berücksichtigte Spieler auf ihr Reservisten-Dasein angesprochen und daraus fiese Schlagzeilen gewoben werden könnten. Er gab maximal ein paar Namen als Fixstarter an. Eine wahre Freude von einem Satz war die Antwort auf eine Journalisten-Frage, ob denn beim nächsten Testspiel, auswärts beim kommenden EM-Gastgeber Schweden, Peter Artner von der Admira spielen würde.

Schweden - Österreich 6:0 (4:0)
Schweden – Österreich 6:0 (4:0)

„Der Artner kann hinten spielen, in der Mitte, vorn, rechts, links, der Artner kann alles spielen… Er kann aber auch gar nicht spielen.“ Es hätte auch ziemlich sicher keinen Unterschied gemacht, wenn Artner an diesem verregneten Nachmittag in Stockholm nicht gespielt hätte. Wie überhaupt an diesem 1. Mai, dem Tag der Arbeit, selbige vom ÖFB-Team konsequent verweigert wurde.

Austria-Manndecker Harald Schneider (der diesmal den schwer am Knie verletzten Robert Pecl vertrat) wird sich sicher sehr gefreut haben, dass er in seinem einzigen Länderspiel 0:6 verloren hat, aber es halfen wirklich alle mit, damit es auch wirklich zu einem zünftigen Debakel kam. Toni Pfeffer etwa, der zu Kennet Anderssons Escort-Service wurde und drei Tore zuließ. Michael Baur, der völlig die Übersicht verlor. Alfred Hörtnagl, der, wenn er nicht gerade Fehlpässe spielte, Erlingmark nach Lust und Laune flanken ließ. Das Experiment mit dem invers spielenden Rodax (der Rechtsfuß spielte ausnahmsweise links) ging auch kräftig schief. Leichte Besserung kam erst, als Peter Stöger für die zweite Hälfte für Linzmaier kam – danach kassierte Österreich nur noch zwei Tore. Was wären die großen Erfolge ohne die Kleinen.

„Ich wollte zuspielen, aber keiner hat sich freigestellt.“

Direkt nach dem Spiel verweigerte Riedl einen Rücktritt noch, gab an, sich nicht so einfach aus seiner Verantwortung stehlen zu wollen. Am Tag danach klang das schon ganz anders, als er ÖFB-Präsident Beppo Mauhart den Vorschlag unterbreitete, dass ein anderer Trainer-Besen den Scherbenhaufen zusammen kehren solle. Mauhart machte Riedl aber die Mauer.

Was dem Team eklatant fehlte, war ein Spieler, der sich in kritischen Situationen bewährt hat, ein Spieler, an dem sich die verunsicherte junge Bande aufrichten konnte. „Ich wollte zuspielen, aber keiner hat sich freigestellt“, erklärte Michael Baur seine unzähligen Fehlpässe in der Spieleröffnung. Zsak, Artner und Linzmaier vor ihm haben nicht Verantwortung übernommen, sondern sich so gut es ging Verstecken gespielt, während die Schweden mit beinahe verbundenen Augen gezählt haben: Ein Tor, zwei Tore, drei Tore, vier Tore…

Die dahinter mussten es ausbaden, weil Schweden einen Angriff nach dem anderen lancierte. Die davor mussten es ausbaden, weil sie keine Bälle bekamen und in der Öffentlichkeit als Sündenböcke herhalten mussten. „Im Klub geht es deshalb besser, weil man Bälle von hinten bekommt, in der Nationalmannschaft nicht“, sagte Toni Polster. Von den drei Spanien-Stürmern Polster, Ogris und Rodax wurden Tore am Fließband erwartet.

„Ein Kapitän, der in dieser Weise mit dem Schiff untergegangen ist, hat keinen Platz im Team.“

Riedl erklärte zunächst, dass für das Heimspiel in der EM-Quali gegen Färöer (aufgrund grandioser Planung drei Spieltage vor Bundesliga-Schluss angesetzt) die Versager vom Schweden-0:6 die Chance zur Rehabilitation erhalten würden, wie er selbst sie von Mauhart bekommen hatte. Ehe er, die Konsequenz in Person, die Herren Polster, Rodax, Zsak, Artner und Pfeffer eliminierte. Linzmaier und Schneider fielen verletzt aus, aber letztlich traf auch diese beiden der Bannstrahl.

Weder Linzmaier noch Rodax oder Schneider spielten jemals wieder im ÖFB-Team.

Vor allem auf Polster war Riedl stinkig. „Ein Kapitän, der in dieser Weise mit dem Schiff untergegangen ist, hat keinen Platz im Team.“ Nun ist zwar Polster bekanntermaßen nicht der spielstärkste Stürmer, und auch keiner, der sich großartig ins Aufbauspiel einmischt – aber was hätte er ausrichten können? Zumal er mit Rodax einen schnellen Nebenspieler hatte. So oder so, Polster war für Riedl ab sofort kein Thema mehr.

So wie Linzmaier, bei dem die Sachlage aber noch ein wenig perfider war. Vor allem er hatte sich beklagt, nie einen kreativen Nebenmann zu haben oder nie als zweiter kreativer Mann spielen zu dürfen. Nun war er weg, und zack: Herzog und Stöger waren ab sofort als kreatives Duo gesetzt. Mannschaftsführung der Marke Con… naja, sein Co-Trainer lernte jedenfalls  von Riedl. Sehr viel eleganter führte er in seiner Zeit als Teamchef, knapp 20 Jahre später, das Mannschaftsgefüge bekanntlich auch nicht.

„Mit den Routiniers hat es ja zuletzt auch nicht geklappt.“

Polster ließ das nicht auf sich beruhen und trat zurück (also, im Sinne von verbalem Fußtritt, nicht im Sinne von „Auf Wiedersehen“). „Riedl hat die Nerven weggeschmissen. Es war das Schlechteste, was er in dieser Situation machen konnte“, sprach Toni: „Als Kapitän konnte ich keine Wunder wirken. Wenn deine Mitarbeiter nichts zusammenbringen, bist du als Chef hilflos.“ Womöglich war auch Mini Bydlinski sauer, wen hätte er nun verapfeln sollen. Wobei: Da gab’s schon noch ein paar Kandidaten.

Österreich - Färöer 3:0
Österreich – Färöer 3:0 (1:0)

Wirklich die Muffe ging vor dem Rückspiel gegen die Färöer niemandem, was aber auch daran gelegen haben mag, dass das Team ohnehin schon ziemlich darniedergelegen ist, es quasi auch eine weitere Blamage gegen die Insulaner nicht mehr wirklich schlimmer gemacht hätte.

Riedl gab schon recht zeitig bekannt, dass der gebürtige Salzburger Heimo Pfeifenberger von Beginn an spielen würde – als Manndecker. Die Saison hatte er bei Rapid als Stürmer begonnen, diverse Verletzungen in der Hütteldorfer Defensiv-Abteilung veranlassten Krankl dazu, Pfeifenberger nach hinten zu stellen.

Für Riedl eine Maßnahme ohne Risiko: Das bekannt verwöhnte und bei Länderspielen oft negative Publikum in der Mozartstadt (das Hickersberger ein Jahr vorher angefeindet hatte, weil er den Salzburg-Spieler Heri Weber ausgebootet hatte) war befriedet und gegen die sehr defensiv agierenden Färinger war das auch kein Sicherheitsrisiko. Auch vor dem Einsatz von Schöttel (24), Michael Streiter (25) und Arnold Wetl (21) scheute er sich nicht: „Mit den Routiniers hat’s zuletzt ja auch nicht geklappt.“ Die Frage sei nur erlaubt: Welche Routiniers? Linzmaier war 28, gut, Zsak 27, aber Artner war nur ein paar Monate älter als Streiter. Das ist Artner heute noch. Also, nur ein paar Monate älter als Streiter.

Gerade Pfeifenberger sorgte dann nach einer Viertelstunde für die 1:0-Führung, nach dem Seitenwechsel stellten Rückkehrer Streiter und Debütant Wetl (Riedl: „Der Stürmer der Zukunft!“) den 3:0-Endstand her. Nichts, wofür man sich schämen müsste, aber auch nichts, worauf man aufbauen hätte können. Neben den zwei Punkten (mit denen Österreich in der Tabelle endlich punktgleich mit den Färöern war, juhu!) konnte sich vor allem Franz Wohlfahrt freuen, der ein paar Minuten vor Schluss eingewechselt worden war.

„Um ihm zu zeigen, dass er auch ein ernsthafter Teil des Teams ist“, war Riedls offizielle Begründung. Die Wahrheit war deutlich weniger blumig: Mit diesem achten Länderspiel-Einsatz erfüllte Wohlfahrt die Bedingungen der Transfergesetze der englischen Liga.

„Dem Ernst fehlt der nötige Ernst.“

Andi Ogris, den Riedl in Abwesenheit von Polster zum Kapitän befördert hatte (und Stamm im Team war, obwohl sein letztes von vier Toren für Espanyol ein halbes Jahr her war), rückte mit eingerissenem Meniskus ein, als es zwei Wochen nach dem Färöer-Spiel nach Dänemark ging, auch Arnold Wetl war nicht fit, er zerrte sich in einem Meisterschaftsspiel von Sturm Graz den Oberschenkel.

Dafür kam neben Ralph Hasenhüttl von der Austria auch Andis kleiner Bruder Ernst Ogris erstmals in den Kader, obwohl der kantige Admira-Stürmer auch schon drei Monate keinen Treffer mehr erzielt hatte. Außerdem waren auch Riedl die Konditions- und Effizienz-Nachteile von Ogris junior wohlbekannt. „Dem Ernst fehlt der nötige Ernst.“ Was aber kein Grund war, ihn nicht einzuberufen. Vielleicht holte er ihn auch nur, um diesen mäßig eleganten Wortwitz an den Mann zu bringen.

Dänemark - Österreich 2:1 (1:0)
Dänemark – Österreich 2:1 (1:0)

Zur Erinnerung: Acht Monate vorher hatte Riedl im Heispiel gegen Nordirland die Order ausgegeben, auf Forechecking zu verzichten, weil der Gegner zu gut dafür wäre. Nun, im Auswärtsspiel gegen die um drei Klassen besseren Dänen, lautete die Devise: Druck ausüben, Forechecking, Draufgehen.

Na eh klar lag Dänemark schon voran, da waren keine 100 Sekunden gespielt: Einwurf Larsen, Streiter verliert das Kopfballduell, Pfeifenberger steht nur in der groben Nähe seines Gegenspielers und Bent Christensen schiebt locker ein. Die Naivität und die geistige Langsamkeit, mit der vor allem die österreichische Defensive agierte, konnten selbst die Dänen kaum glauben. Manndecker Kent Nielsen konnte sich nach einem Eckball, umringt von vier gebannt zusehenden ÖFB-Verteidigern, sekundenlang den Ball herrichten und sich die Ecke aussuchen. Nielsen knallte die Kugel an den rechten Pfosten.

Die defensive Feigheit, mit der Riedl sonst spielen ließ, wünschte man sich sehnlich zurück. Zwar versuchte Herzog viel und er war auch Österreichs bester Mann, aber die Dänen schossen Österreich nur deshalb nicht ähnlich ab wie die Schweden sechs Wochen vorher, weil sie recht bald vom Gas gingen.

Nicht, dass dem ÖFB-Team das viel geholfen hätte. Auch weiterhin wurde mit dem geballten Temperament einer Weinbergschnecke verteidigt, und Heimo Pfeifenberger merkte man an, dass er selbst bei Rapid nur eine Notlösung als Manndecker war – Bent Christensen, immerhin Torschützenkönig der gerade abgelaufenen Saison in Dänemark, durfte auch beim 2:0 so frei zum Kopfball kommen wie davor vermutlich die komplette Saison nicht.

Dass Ernst Ogris in seinem einzigen Länderspiel das wohl formvollendeste Tor seiner ganzen Karriere erzielte – ein eleganter Seitfallzieher kurz vor Schluss – war für ihn persönlich ein schöner Erfolg und das Ergebnis von 1:2 sieht optisch nicht so wild aus. Aber es drückt die beinahe unwirkliche Chancenlosigkeit nicht einmal im Ansatz aus. „Die einfachsten Pässe kamen nicht an“, lamentierte Riedl, „damit haben wir den Gegner stark gemacht.“

Die Dänen wurden ein Jahr später Europameister. Es steht zu vermuten, dass sie doch ein wenig mehr drauf hatten, als von österreichischen Fehlpässen zu profitieren.

„Der Gegner war in einem nicht gerade hochklassigen Spiel technisch klar besser.“

Ehe sich die sommerpäusliche Ruhe über das ÖFB-Team legte und Andi Ogris im Sommer nach einem mäßig erfolgreichen Jahr bei Espanyol zur Austria zurückkehrt, lag Österreich drei Spiele vor Schluss immerhin auf dem dritten Rang. Sah zumindest akzeptabel aus.

Die verbleibenden Spiele (Dänemark und Jugoslawien daheim, Nordirland auswärts) wollten mit Blick auf die kommende Auslosung zur WM-Quali für 1994 dennoch nicht abgeschenkt werden und zur Vorbereitung gab’s noch ein Testpiel in Portugal. Weiterhin ohne Toni Polster, dafür mit einem 24-Jährigen Manndecker vom FC Tirol, der drei Monate davor noch in der steirischen Landesliga gespielt hat. Mario Posch bekam von Riedl sogar die Zusage, spielen zu dürfen. Auch Walter Kogler von Sturm und Franz Resch von Rapid waren erstmals mit dabei.

Portugal - Österreich 1:1
Portugal – Österreich 1:1 (1:0)

Gegen die aufstrebenden Portugiesen (die davor gegen Weltmeister Deutschland 1:1 gespielt und Europameister Holland sogar besiegt hatten) strich Riedl einen Stürmer aus der Mannschaft, und der Platzwart des FC Porto strich Österreich das Abschlusstraining. Er hatte vor dessen Start das Flutlicht abgedreht und war heimgegangen. Kein Witz.

Im letzten Moment kippte Riedl, entgegen seiner Ankündigung, Posch doch noch aus dem Team und ließ statt ihm Resch debütieren. Die österreichische Deckung agierte ungewohnt konzentriert und konsequent, jedenfalls konnten sich die Portugiesen offensiv kaum in Szene setzen. Futre war einmal seine Foxterrier Artner entwischt, aber sonst war nicht viel los.

Gut, bei Österreich auch nicht. Westerthaler sah kaum einen Ball, und nach einer Stunde brachte Riedl dann doch einen zweiten Stürmer (Pfeifenberger für Feiersinger) und es war dennoch nicht mal wirklich eine Torchance, die zum 1:1-Endstand führte, sondern ein Kopfball von Walter Kogler nach einem Eckball. Im Nachlauf wankte Riedl zwischen Realismus und Delirium. „Der Gegner war in einem nicht gerade hochklassigen Spiel technisch klar besser“, sagte er, im selben Atemzug aber auch: „Wir haben 1:1 gespielt und die U-21 hat hier sogar 3:2 gewonnen. Man sollte den österreichischen Fußball nicht unterschätzen!“

Der letzte Akt

Hans Krankl (und auch Otto Baric) war schon direkt nach Landskrona von vielen als Teamchef gefordert worden. Womöglich zog Mauhart die Nacht-und-Nebel-Aktion mit Riedl durch, um nicht von den Landespräsidenten den Rapid-Trainer aufgeschwatzt zu bekommen.  Fragen nach Krankl beantwortete Mauhart pampig: „Mit Rapid weder in den Europacup zu kommen, noch Cupsieger zu werden, schafft schnell mal einer.“

Die Antwort auf die Frage, ob uns Krankls Katastrophen-Amtszeit von 2002 bis 2005 erspart geblieben wäre, wäre er schon 1990/91 krachend gescheitert, ist zumindest spannend. Genauso wie die Frage, wer 2002 Baric‘ Nachfolger geworden wäre. Man sieht: Irgendwann wurden sie’s alle.

Wohl auch, um das gespannte Verhältnis zwischen Mauhart und Krankl nicht noch nachhaltiger zu beschädigen, verlangte der ÖFB nicht einmal eine Untersuchung durch Team-Arzt Ernst Schopp, um auf Robert Pecl zu verzichten. Dieser spielte nach seiner Verletzung zwar wieder regelmäßig für Rapid, aber eine Länderspielwoche war im laut Rapid nicht zuzumuten. Der ÖFB nickte das ab.

Österreich - Dänemark 0:3
Österreich – Dänemark 0:3

So hießen die Manndecker gegen Dänemark wieder Artner und Kogler. Und Artner war es auch, der mit einem besonders starksigen und in seiner entstehen völlig sinnfreien Eigentor nach zehn Minuten die erneute Katastrophe einläutete – er rannte einem 50-Meter-Ball von Povlsen so lange nach, bis er die von Kogler abgefälschte Kugel auch wirklich mit der Schulter an Konrad vorbei ins Tor bugsieren konnte.

Ein paar Minuten danach legte Stöger in der Vorwärtsbewegung einen Ball ohne näher ersichtlichen Grund in den leeren Raum quer, Povlsen sagte zum 2:0 „danke“. Nach einer halben Stunde ließ sich Prosenik ganz besonders billig von Henrik Larsen abkochen, die Flanke verwertete ein komplett blank stehender Bent Christensen schon zum 3:0.

Die Dänen bejubelten ihre Tore nicht einmal mehr richtig, ihre Überlegenheit schien ihnen fast peinlich zu sein. „Österreich ist ein wertloses Team ohne jede internationale Klasse“, konstatierten die dänischen Medien hernach. „Für die Verteidigung ist es schwierig, wenn kein Mittelfeld vorhanden ist“, brummte Franz Resch. Und Harry Gschnaidtner, 21-jähriger Defensiv-Spieler von Stahl Linz, wird sich besonders gefreut haben, als ihn Riedl in der Halbzeit in das kaputte Team hinein debütieren ließ.

„In Zukunft spielen wir am Besten nur noch gegeneinander, international haben wir ja ohnehin keine Chance“, seufzte Mauhart mit einem Blick auf das 1:6 von Meister Austria Wien gegen Arsenal ein paar Wochen vorher. Und die eh nur 10.000 Zuseher im Praterstadion? Die skandierten abwechselnd „Wir wollen Toni“ und …

… „Riedl raus!“

Und der Teamchef gehorchte. Riedl hatte genug – er hatte weder spielerisch eine Linie, geschweige denn eine Steigerung etablieren können, noch vermochte er irgend eine Form von Aufbruchstimmung zu versprühen. Am Tag nach dem Trauerspiel, das bei weniger dänischem Mitleid auch zweistellig ausgehen hätte können, quittierte er seinen Dienst. Eine Woche später, beim 1:2 in Nordirland, saß schon Riedls Co-Trainer Didi Constantini als Interims-Teamchef auf der Bank, Ernst Happel übernahm nach der Winterpause.

Alfred Riedl arbeitete nie wieder als Trainer in Österreich.

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.