Papierform heißt gar nix. Gell, England?

11. Juni 2005: Dänemark braucht bei der Frauen-EM in England am letzten Gruppenspieltag gegen Finnland ein Remis, um die nächste Runde – damals gleich das Semifinale – zu erreichen. Es gab ein 1:2, Dänemark war raus. 29. August 2009: Dänemark braucht bei der Frauen-EM in Finnland am letzten Gruppenspieltag gegen Holland ein Remis, um die nächste Runde – damals das Viertelfinale – zu erreichen. Es gab wieder ein 1:2, Dänemark war wieder raus. Nun ist die Situation eine andere: Dänemark braucht gegen Finnland einen Sieg, um noch eine Chance zu haben. Laut Papierform müssten sie das schaffen.

Aber was „Papierform“ heißen muss, erfährt der noch amtierende Vize-Europameister England. Gar nix nämlich. Denn trotz des Ausgleichs in der Nachspielzeit zum 1:1 gegen Russland: Weil man gegen die auch beim 1:0 über Spanien souveränen Französinnen gewinnen wird müssen, ist man zu 99% ausgeschieden. Zumindest laut Papierform. Über die sich aber auch bei den Organisatoren nicht alle klar sein dürften…

Frankreich - Spanien 1:0 (1:0)
Frankreich – Spanien 1:0 (1:0)

Ecke von der rechten Seite, die 1.87 m große Wendie Renard ist mit dem Kopf zur Stelle, das 1:0 für Frankreich in der 5. Minute. Im Grunde war das Spiel da schon vorentschieden. Denn konnte Spanien gegen England noch die überlegene Technik ausspielen, hatten Boquete und Co. diesen Vorteil gegen das starke Teamaus Frankreich nicht mehr. Zumal die Französinnen zwar – wie England – ein recht flexibles Mittelfeld-Trio hatten, dabei aber immer genau wussten, wer was wann wie tut.

Bruno Bini, der seit Jahren in einem 4-2-3-1 spielen hatte lassen, hat umgestellt – auf ein 4-3-3 mit Louisa Nécib auf der (nominell) rechten Offensivseite. Somit hatte Bini sowohl die technisch starke Nécib in seiner Aufstellung, als auch die extrem umsichtige Bussaglia UND Camille Abily, die von der Acht aus für Impulse sorgte. Und musste dabei nicht auf Kapitänin Soubeyrand verzichten.

Klar zu erkennen: Frankreichs 4-3-3
Klar zu erkennen: Frankreichs 4-3-3

Während die pfeilschnelle Thiney aber auf links eher die Außenbahn hielt, spielte Nécib deutlich zentraler, zuweilen als Zehn, ging aber auch immer wieder nach hinten und Abily besetzte dafür die Flanke. Frankreich verhinderte durch geschicktes Anpressen schon in der gegnerischen Hälfte, dass Spanien einen geordneten Spielaufbau zusammen bringen konnte. Frankreich hatte trotz der knappen Führung so wenig Probleme und war so souverän, dass Bruno Bini seiner bald 40-Jährigen Kapitänin Soubeyrand eine Pause gönnen konnte und Élodie Thomis brachte. So war es in der zweiten Hälfte wieder ein4-2-3-1, mit Thomis und Thiney auf den Flanken, Nécib zentral, Abily auf der Acht und Bussaglia auf der Sechs.

Nachdem es einige Minuten so ausgesehen hatte, als würde Frankreich nicht nur das Spiel einschläfern sondern vor allem sich selbst, rückte man so ab der 55. Minute wieder etwas nach vorne und beruhigte das Spiel. Erst, als Spanien im Finish frische Kräfte brachte, zitterten die Französinnen noch etwas, aber wirklich in ernsthafte Gefahr kam der Sieg nicht mehr.

Wie soll England da was holen?

Denn wann immer es darum ging, mit dem Ball schnell zu denken und mindestens ebenso schnell zu handeln, war Spanien überfordert. Wie kein anderes Team bei dieser EM bisher klappt bei Frankreich die Arbeitsaufteilung im Mittelfeld, es wurden praktisch nie Räume durch Unachtsamkeiten aufgemacht, Spielerinnen werden so gut wie alle auf ihrer besten Position eingesetzt (nur Nécib wirkte fahrig, ging verlorenen Bällen nicht nach und musste nach einer Stunde dann auch raus). In dieser extrem souveränen Form ist Frankreich wohl sogar der Top-Kandiat auf den Titel. Besser als Schweden ist man ganz klar – und wirklich gefestigt sieht das deutsche Team noch nicht aus.

Gegen dieses komplette französiche Mittelfeld wird England aller Voraussicht nach im letzten Spiel aber gewinnen müssen, um als einer der besseren Dritten noch ins Viertelfinale zu rutschen. Wird schwer, denn wieder war im Zentrum das Chaos, das Aufbauspiel purer Zufall und der Ausgleich zum 1:1 tief in der Nachspielzeit eher glücklich, weil abgefälscht. Was das Team von Hope Powell zeigte, war einmal mehr planlos hoch drei.

Die einzige Hoffnung für die Three Lionesses: Die Papierform. Denn dieser wurde nun schon zweimal zu ihren Ungunsten nicht entsprochen – nun müssen sie selbst die Papierform umdrehen können. Viel mehr kann England nicht mehr retten.

Papierform auch im Journalisten-Raum

Dass die Papierform auch im Medienraum nicht ganz leicht einzuhalten zu sein scheint, wurde schon vorm Abendspiel in Norrköping klar. Als es nämlich erst hieß: Nein, wir dürfen die Parallelpartie nicht zeigen, hier im Medienraum. Die UEFA erlaube das nicht – seltsamerweise war das aber in keinem anderen Stadion bisher ein Problem (zumindest nicht so begründet). Dann schaltete doch einer den schwedischen Sender TV4 ein, der das Spiel zeigte.

Ehe einer von der UEFA in seiner Panik erst aus- und dann den TV-Feed einschaltete – ohne das TV4-Logo, mit dem sonst aber exakt selben Bild. Wohlgemerkt: Es handelte sich nicht um ein Public Viewing, sondern um einen Raum von 16 Journalisten (!), von denen die Hälfte ohnehin nicht hinschaute. Die Sache endete damit, dass halb durch die zweite Hälfte von England-Russland doch wieder einer daherkam und vom TV-Feed auf TV4 umschaltete – sogar mit aufgedrehtem Ton und schwedischem Kommentar.

Nicht ganz leicht zu wissen, was man darf und was nicht. Darüber aber ein anderes Mal noch viel mehr.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.