Europa League 2011/12 | Achtelfinal-Hinspiel
Old Trafford, 8. März 2012
Manchester United - Athletic Bilbao
2-3
Tore: 22' und 90'(p) Rooney bzw. 44' Llorente, 72' De Marcos, 89' Muniain

Man United von Athletic komplett zerlegt: Ein 2:3 mit Option auf Debakel

Auch, wenn United die Europa League nicht mit dem gleichen Ernst behandelt, wie man die Champions League behandeln würde: So war das von Sir Alex sicherlich nicht geplant. Sein Team wurde von Athletic Bilbao am Nasenring durch’s Old Trafford gezogen und kann von Glück reden, nicht sieben oder acht Tore kassiert zu haben. Die Basken waren in allen Belangen haushoch überlegen. Nur an David de Gea bissen sie sich die Zähne aus.

Manchester United – Athletic Club 2:3 (1:1)

Die mit 26 Charter-Maschinen angereisten Athletic-Fans kaperten die Stimmung auf den Rängen – in gleichem Maße, wie ihre Mannschaft das Spiel auf dem Rasen kaperte. Man achtete darauf, Ballkontrolle zu erlangen und vor allem, Manchester selbige nicht auch nur im Ansatz zu erlauben. Das geschah natürlich mit dem von Bielsa-Teams gewohnten heftigem Pressing, das vor allem die Zentrale zum Ziel hatte.

Ohne den verletzten Vidic und den geschonten Ferdinand spielten Chris Smalling und Jonny Evans in der United-Innenverteidiger, vor den beiden spielte Phil Jones als Sechser. Vor allem auf dieses Trio presste Athletic, was das Zeug hielt; eine geordnete Spieleröffnung konnte so natürlich nicht stattfinden. Entweder man behalf sich mit Querpässen auf Evra und Rafael, oder man drosch den Ball weit nach vorne.

Iturraspes Sonderrolle

Jon Iturraspe, der Sechser von Marcelo Bielsa, lässt sich üblicherweise zwischen die Innenverteidiger fallen, um den Außenverteidigern ein gefahrloses Aufrücken zu ermöglichen. Gegen das 4-4-1-1 von United machte Iturraspe das aber nicht, stattdessen stand er für seine Verhältnisse außerordentlich hoch und kümmerte sich um Wayne Rooney, der für die Hausherren als hängende Spitze hinter Javier Hernández spielte. Das machte er auch sehr gut, sodass Rooney kaum zur Geltung kam.

Daher orientierte sich Rooney mit Fortdauer der ersten Halbzeit immer mehr in Richtung der rechten Angriffsseite, um dort in der Schnittstelle zwischen Athletic-IV San José und dem (auch ohne die zentrale Absicherung durch Iturraspe recht weit aufrückenden) LV Aurtenetxe anspielbar zu sein. Das ging zweimal ganz gut, aber die Passversuche in den Strafraum fanden keine Abnehmer.

Athletic mit Vorteilen im Zentrum

Das Duell Iturraspe-Rooney nahm beide aus der Gleichung ein wenig heraus. Theoretisch standen sich nun im Zentrum als zwei Duos gegenüber: De Marcos und Herrera für Bilbao; Giggs und Jones für United. Dennoch hatte Athletic nicht nur Vorteile im Zentrum, sondern überrannte Manchester dort geradezu. Das war möglich, weil De Marcos und Herrera sehr wach waren, viele Bälle von United abfingen und, wenn United den Ball hatte, sofort draufpressen. Weil die beiden sehr viel rochierten und mit ihren kurzen, flinken Sprints Ryan Giggs so oft stehen ließen, dass dieser bald gar nicht mehr wirklich dagegen hielt.

Und auch, weil Linksaußen Iker Muniain einfach überall zu finden war – auch im offensiven Zentrum; genau wie sich Stoßstürmer Llorente oft zwischen die Reihen fallen ließ und Rechtsaußen Susaeta dank des ihm permanent hinterlaufenden Kollegen Iraola ebenso ins Zentrum ziehen konnte. Die Hausherren liefen der Musik in der Feldmitte gnadenlos hinterher und kamen nur dann selbst zu guten Möglichkeiten, wenn es gelang, mit schnellen Pässen flinker zu sein als Athletic in der Rückwärtsbewegung. In den zwei, drei Situationen, in denen Manchester das schaffte, gab es sofort Gefahr und Rooney besorgte nach einer zur kurzen Abwehr von Athletic-Goalie Iraizoz nach einem Hernández-Schuss das 1:0.

Athletic nicht geschockt und mit Vorteilen auf den Außenbahnen

Die Basken waren vom Gegentor aber nicht im geringsten irritiert – im Gegenteil, nun wurde noch mehr Druck ausgeübt. Der letzte Feldspieler von Athletic stand zuweilen kaum 40 Meter vom United-Tor entfernt. Allerdings gelang es Manchester dennoch auch über die Flügel nicht, ein wenig Kontrolle ins Spiel zu bringen. Denn auch dort waren die Gäste überlegen.

Das Problem war, dass die Außenverteidiger Rafael und Evra von den Außenstürmern des Gegners oft weit nach innen gezogen wurden und Uniteds Flügelspieler im Mittelfeld dadurch einerseits zur Defensivarbeit gezwungen waren und andererseits es an der Hilfe nach vorne fehlte. Ashley Young arbeitete dabei hervorragend gegen Aurtenetxe und konnte so seine Seite, gemeinsam mit Rafael noch halbwegs unter Kontrolle bringen – nach vorne ging aber gar nichts, weil Muniain auch defensiv extrem viel machte. Umso anfälliger war bei United dafür die andere Flanke, sodass Athletic vor allem dort United das Leben zur Hölle machte.

Das war möglich, weil vor Evra auch Park Ji-Sung einen deutlichen Drall Richtung Feld-Mitte hatte – vermutlich hatte er das Gefühl, Giggs in der Arbeit gegen den Ball unterstützen zu müssen. Das ließ allerdings den Raum für Iraola völlig frei, und der Rechtsverteidiger von Bilbao preschte nach vorne, was das Zeug hielt. Niemand stellte sich ihm in den Weg, und er musste auch defensiv nichts befürchten – denn wenn Giggs zu seinen zweifellos geschickten Pässen nach vorne ansetzte, waren immer noch San José und Javi Martínez da, um auszubügeln.

Nur De Gea hält dagegen

Logischerweise wurde kurz vor der Halbzeit längst überfällige Ausgleich über die rechte Angriffsseite der Basken eingeleitet, ehe Llorente per Kopf verwertete. Wie überhaupt es Manchester alleine dem glänzend spielenden Torhüter David de Gea zu verdanken hatte, dass die Gäste nicht da schon längst enteilt waren. Manchester war im eigenen Stadion im Würgegriff des Gegnern und hatte nicht die geringste Idee, wie man sich daraus befreien konnte.

Woran sich erstaunlicherweise auch nach der Halbzeitpause zunächst nichts änderte. Im Gegenteil: Wie auf einer schiefen Ebene rollten die blitzschnellen Angriffe auf De Gea zu, der allerdings alles hielt, was auf sein Tor kam. Der massive Unterschied zwischen den Teams wurde aber auch dann deutlich, wenn United den Ball hatte. Da wirkte das Spiel nämlich wie in lähmender Zeitlupe. Es gab keine Ideen nach vorne, man war nur darauf bedacht, irgendwie mal kurz Durchschnaufen zu können.

Sir Alex stellt um

Zwischen 60. und 75. Minute

Erst nach einer Stunde, in der sein Team zuweilen vorgeführt wurde, stellte Ferguson um. Statt des verletzten Smalling kam Carrick; und für den überforderten Park Ji-Sung wurde Anderson eingewechselt. Damit einher ging auch eine System-Änderung: United stand nun in einem 4-1-4-1; in dem Rooney auf die linke Seite wanderte.

Das war eine gute Maßnahme. Weil sich Iturraspe, der nun keinen Zehner mehr als Gegenspieler hatte, nun zurückfallen ließ und Bilbao eine Dreierkette bildete, hatte United nun die ständige Unterzahl im Mittelfeld in den Griff bekommen. Iraola hatte mit Rooney nun erstmals im ganzen Spiel einen Gegenspieler und in der Mitte hatte Giggs nun mit Carrick eine Absicherung UND mit Anderson einen Partner, um De Marcos und Herrera einzubremsen.

Die Folge: Der Angriffswirbel von Athletic kam merklich zum erlahmen und Manchester beruhigte das Spiel, hielt Bilbao weiter vom eigenen Tor weg und konnte Luft holen. Nach vorne gelang aber weiterhin wenig, weil der schwache Hernández gegen die Dreierkette chancenlos war und der Mexikaner auch kaum Hilfe erhielt.

Ferguson macht Umstellung rückgängig

Dumm nur: Den Gästen gelang dennoch das 2:1 – und obwohl Torschütze De Marcos im Abseits stand, entsprach das knappe Ergebnis immer noch nicht einmal annähernd dem Spielverlauf. Sir Alex hätte, wie die Spielanlage ab der 60. Minute vermuten lässt, mit einem Remis durchaus leben können. Im Rückstand war er aber gezwungen, wieder eine Angriffs-Option einzuwechseln. Darum kam nun Nani für Giggs und Rooney war wieder im Zentrum als hängende Spitze gefragt.

Schlussphase

Womit auch Iturraspe wieder aufrückte und sich liebevoll um Rooney kümmerte. Obwohl die Raumaufteilung von davor nun wieder hergestellt war, dominierte Athletic aber nicht die Schlussphase, wie sie das Spiel vor der 60. Minuten dominiert hatten. Was zum einen an Anderson lag, der gegen den Ball deutlich präsenter war als Giggs. Und natürlich auch daran, dass die Gäste ihrem ungemein laufintensiven Spiel Tribut zollen mussten.

Dennoch: Groß in Gefahr kam auch das eigene Tor nicht mehr, obwohl Nani Aurtenetxe einige Probleme bereitete und United ziemlich weit aufgerückt war, um zumindest den Ausgleich noch zu erzwingen. Genau das nützte Athletic aber kurz vor dem Ende, als ein weiter Freistoß in die weitgehend verwaiste Hälfte von United De Marcos fand. Dessen Schuss wurde war von De Gea glänzend pariert, aber weil Rafael nur dumm da stand, als Muniain hinter ihm angesprintet kam, konnte der Jungstar per Abstauber auf 3:1 stellen.

Und doch kam Manchester in der Nachspielzeit noch zu einem Tor, weil Rooney einen korrekten Hand-Elfmeter sicher verwandelte. Womit für das Rückspiel zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer gerettet wurde.

Fazit: Athletic um zwei Klassen stärker

Das Ergebnis von 3:2 für Athletic ist eigentlich blanker Hohn. Wenn die Basken 7:2 oder 8:2 gewonnen hätten, hätte sich bei Manchester niemand beschweren dürfen. Das Team von Marcelo Bielsa zeigte sich flinker, wacher, schneller, übte mehr Druck aus, erzeugte mehr Torgefahr, war in der Zentrale dominant und dominierte die Flügel. Rooney war, trotz seiner zwei Tore, kaum ein Faktor, Hernández fand überhaupt nicht statt. Giggs sah gegen das heftige Pressing noch älter aus, als er ist.

Nur De Gea spielte stark und verhinderte jenen Kantersieg von Bilbao, den sich die Basken zweifellos verdient hätten.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.