Champions League 2011/12 | Viertelfinal-Hinspiel
Stadio Meazza, 28. März 2012
AC Milan - FC Barcelona
0-0
Tore: keine

Disziplinierte Italiener halten Barcelona auf Distanz – Milan kommt zu einem 0:0

Es war intensiv, es war attraktiv, es war auf hohem Niveau – zumindest eine Stunde lang. Milan ließ Barcelona dort agieren, wo es die Rossoneri für verschmerzbar hielten und kamen durch ihre technisch starken Offensiv-Spieler selbst zu einigen Chancen. Letztlich endete es in einem Patt und einem 0:0, das für das Rückspiel alles offen lässt.

AC Milan - FC Barcelona 0:0

Das große Spezifikum bei Milan? Bekanntermaßen ein typisch-italienisch enges Spiel, Überzahl im Zentrum, Breite nur über die Außenverteidiger. Jenes von Barcelona? Weit vorne und weiß außen agierende Flügel, um die gegnerische Abwehr auseinander zu ziehen und Messi ermöglichen, in die entstehenden Löcher zu stoßen. Wenig überraschend, dass dabei genau das zu erwartende Spiel heraus kam.

Barcelonas rechte Außenbahn…

Pep Guardiola stellte eine Mannschaft ohne wirklichen Linksverteidiger auf. Dani Alves auf der rechten Seite war nur in Ausnahmefällen in der eigenen Hälfte, wodurch hinten eine De-facto-Dreierkette entstand. Logisch: Klassische Außenverteidiger braucht man gegen Milan nicht, weil es bei den Rossoneri schlicht kein nennenswertes Flügelspiel gibt. So kümmerten sich hinten Puyol (der sich tendenziell Richtung links orientierte), Mascherano und Piqué um Ibrahimovic und Robinho, während Busquets, wenn nötig, um Boateng kümmerte.

Dani Alves in der 1. Hälfte

Milan machte aber nicht nur das Mittelfeld eng, sondern zog auch die Abwehrkette sehr weit zusammen, wodurch Dani Alves keinen Gegenspieler hatte und auf seiner Seite ungeahnte Freiheiten genoss. Unterstützt von Alexis Sánchez, der wie gewohnt durch seine grandiosen Laufwege Gegenspieler binden und so Alves den Weg oft noch mehr freimachen konnte, unternahm der Brasilianer viel – brachte allerdings wenig Nützliches in den Strafraum (siehe Grafik).

Betrachtet man die Art und Weise, Milan mit den Abwehrkette den Strafraum zumachte und wie unbehelligt man Dani Alves ließ, liegt die Vermutung nahe, dass man den Brasilianer absichtlich die Außenbahn überließ und stattdessen darauf achtete, dass seine Pässe in die gefährlichen Zonen nicht ankamen. Was wunderbar funktioniert hat.

…und die linke

Auf der anderen Seite fehlte die Power aus der Tiefe, wie sie Dani Alves ins Spiel bringt, aufstellungsbedingt. Hier teilten sich Seydou Keita und Andrés Iniesta die Agenden auf der Flanke auf.

Keitas Passwege waren deutlich konservativer als jene von Alves

Zumeist kam Iniesta eher aus dem Zentrum, während sich Keita näher zur Seitenlinie befand. Diese beiden versuchten aber gar nicht erst, Flanken in den Strafraum zu bringen, sondern begnügten sich damit, Nocerino und Bonera zu beschäftigen. Die Folge: Keita spielte deutlich mehr Rückpässe als Alves und agierte dadurch deutlich weniger auffällig.

Andererseits entstanden durch diese Spielweise aber auch in der Defensive, gemeinsam mit dem zumeist hinten bleibenden Puyol, deutlich weniger Lücken im Rücken von Keita als das auf der anderen Seite der Fall war. Die logische Folge: Die Angriffe von Milan konzentrierten sich eher auf die Seite von Alves als auf jene von Keita und Puyol.

Wie es Milan anlegte

Die Gastgeber verzichteten, wie erwähnt, auf jegliche Breite im Spiel durch die Außenverteidiger. Bonera und Antonini spielten ihre Rollen sehr defensiv und waren im Spiel nach vorne kein Faktor. Die Schlüsselspieler waren hierbei die Außenspieler im Dreier-Mittelfeld, also Seedorf und Nocerino, sowie natürlich Kevin-Prince Boateng als Verbindungsspieler zwischen Abwehr und Angriff.

Boateng zeigte, genau wie Robinho, eine Tendenz zur linken Außenbahn – wie erwähnt, in den Rücken von Dani Alves. Wann immer es Milan gelang, mit Tempo in den Raum zwischen Barcelonas Abwehr und der Reihe mit Xavi und Iniesta zu kommen, wurde es brandgefährlich. Milan kam so zu einigen guten Chancen, die allerdings vergeben wurden, und hatten darüber hinaus noch einige vielversprechende Aktionen, die von der Barça-Abwehr zum Teil nur mit großer Mühe geklärt werden konnten.

Konzentration auf die potentiellen Problembereiche

Erstaunlich war, dass gerade eine Mannschaft, die so sehr auf Überzahl im Zentrum baut wie Milan, genau in diesem Bereich oft eine 4-gegen-5/6-Unterzahl hatte. Das ging sich aber trotzdem aus, weil die Viererkette den Strafraum komplett dicht machte (und nur einmal Glück brauchte, als ein klares Foul von Abbiati an Messi nicht zum Elfmeter geführt hat) und die drei Mann davor einen tollen Job ablieferten: Zum einen ließen sich Nocerino, Ambrosini und Seedorf nicht billig aus der Position ziehen und vermieden es so, Lücken zu lassen. Zum anderen attackierten sie Barcelona schon relativ früh und versuchten, die langen Ballstaffetten zu unterbinden.

Lediglich Ambrosini war im Zentrum durch sein fehlendes Tempo vor allem gegenüber Messi diverse Male dazu gezwungen, Fouls zu begehen, wodurch Barcelona immer wieder gute Freistoß-Möglichkeiten bekam. Generell aber war die Folge ein äußerst intensives und auch attraktives Spiel, in dem Milan die Katalanen in den Bereichen spielen ließ, in denen Allegri das für verschmerzbar hielt, und ihnen dort, wo es gefährlich werden könnte, keinen Raum gewährte. Die Folge: Patt auf sehr ansprechendem Niveau.

Spiel erlahmt im eigenen Würgegriff

Schlussphase

Weil sich Barcelona nach dem Seitenwechsel immer besser auf die Angriffsstruktur von Milan einstellte und es dem für den angeschlagenen Robinho eingewechselten El-Shaarawy verglichen mit dem Brasilianer am Auge für die Laufwege fehlt, wurde Milan immer harmloser. Boateng kam gegen Busquets immer weniger zum Zug und Ibrahimovic war immer mehr isoliert. Aus dem temporeichen, intensiven Spiel der ersten Hälfte wurde immer mehr ein gegenseitiges Belauern, in dem der Zug zum Tor abging.

Das änderte sich erst mit der verletzungsbedingten Auswechslung von Nesta. Denn damit war Allegri gezwungen mit Djamel Mesbah den großen Schwachpunkt des 0:3 gegen Arsenal auf die linke Abwehrseite zu stellen. Guardiola reagierte postwendend, indem er mit Pedro einen zusätzlichen Mann zu Dani Alves gegen Mesbah auf das Feld brachte. Alves hielt sich hinter Pedro zwar etwas zurück, aber es war an Seedorf, den Algerier Mesbah zu unterstützen – was Milan natürlich zusätzliche Offensiv-Optionen nahm. Es blieb nur noch das Hoffen auf einen Lucky Punch, der aber nicht mehr kam.

Fazit: Milan spielt diszipliniert und wahrt die Chancen

Die Taktik von Max Allegri, sich in der Defensivarbeit auf jene Kernbereiche zu beschränken, in denen er Barcelona für besonders gefährlich hielt, ging letztlich ganz gut auf. Die Katalanen bekamen keinen Zugriff auf den Strafraum, hatten gegen das aggressive Mittelfeld von Milan mitunter Probleme, zur gewohnten Pass-Sicherheit zu kommen und schafften es nicht, die äußerst diszipliniert stehende Viererkette von Milan auseinander zu ziehen.

Die Chancen, das Spiel zu gewinnen, wären für Milan durchaus vorhanden gewesen (in der ersten Hälfte), aber nachdem die Präsenz von Robinho fehlte und Boateng immer weniger zum Zug kam, ging es immer mehr nur noch darum, zumindest das Gegentor zu verhindern. Weil das gelang, ist Milan im Rückspiel durchaus nicht ohne Chance – denn dass sie es verstehen, mit Tempo und hoher technischer Klasse in die Räume vorzustoßen, haben sich nicht nur in diesem Spiel angedeutet. Nein, das weiß man spätestens seit der 4:0-Vernichtung von Arsenal.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.