Afrika-Cup 2012 | Gruppe C, 4. Spiel
Stade d'Angondjé, Libreville, 27. Jänner 2012
Gabun - Marokko
3-2
Tore: 77' Aubameyang, 79' Cousin, 90' Mbanangoye bzw. 25' und 89' (p) Kharja

Gabun dreht unfassbare Partie noch um – 3:2 über Marokko, das Viertelfinale!

Es war ohne Zweifel das aufregendste Spiel des Turniers! Was Gabun und Marokko boten, war dramatischer Fußball bis in die 97. Minute, eine Werbung für den Afrika-Cup. Marokko fühlte sich zu früh sicher, Gabun drehte das Match, doch in den Schlussminuten wurde es erst so richtig unglaublich. „Unglaublich“ müssen sich auch die Nigrer gedacht haben, nachdem sie trotz sehr beherzter Leistung in ein Last-Minute-1:2 gegen Tunesien gelaufen waren.

Gabun - Marokko 3:2

Beim leichten 2:0-Erfolg gegen Niger waren die Außenverteidiger von Co-Gastgeber Gabun nach vorne praktisch nicht zu stoppen und bereiteten dem Gegner große Probleme – aber defensiv getestet wurden sie da natürlich nicht. Genau dort setzte Eric Gerets, der belgische Teamchef der Marokkaner, auch den Hebel an: Er ließ seine Außenspieler grundsätzlich relativ weit innen stehen, um sie mit Bällen aus dem Zentrum hinaus auf die Flügel, in den Rücken der Außenverteidiger Gabuns, zu füttern.

In den Rücken der Außenverteidiger

Marokko musste diese Partie nach der Auftaktpleite gegen Tunesien gewinnen, um eine realistische Chance auf das Viertelfinale zu wahren, ein Remis hätte zumindest noch einen kleinen Hoffnungsschimmer am Leben erhalten. Und dementsprechend starteten die Nordafrikaner auch: Als die aktivere Mannschaft mit der klareren Struktur und dem ausgereifteren Plan, das Spiel schnell in die eigene Richtung zu befördern.

Die Gabuner Außenverteidiger wurden, nachdem ihnen Carcela und Belhanda ein paar Mal auf den Flügeln entwischt war, zunehmend vorsichtiger, womit Marokko das erste Etappenziel erreicht hatte. Ohne Moussono und Mouela, die vorne die Außenstürmer hinterlaufen, fehlte dem Team von Gernot Rohr sichtlich der Back-up-Plan. Auch deshalb, weil durch die innen lauernden Außenspieler der Marokkaner die beiden defensiven Mittelfeldspieler gebunden waren und im Zentrum eine marokkanische Überzahl entstand.

Marokkos Schlüsselspieler: Hossine Kharja

So kamen auch aus dem Zentrum kaum Impulse und die Mannschaft aus Gabun, die vor allem in der ersten Hälfte gegen Niger den Gegner noch an die Wand spielte, machte einen etwas ratlosen Eindruck. Dieser verstärkte sich zunächst noch, als die Marokkaner nach einer halben Stunde durch ihren Kapitän und Schlusselspieler, Hossine Kharja, in Führung gingen.

Der Mann von der Fiorentina ist im Mittelfeld der Marokkaner das Um und Auf: Er lenkt das Spiel aus der Tiefe, versorgt seine Vorderleute mit Zuspielen, diesmal eben vor allem Richtung Außen, und in dieser ersten Hälfte bekam er vor allem auch die Zeit dazu. Weil die beiden defensiven Mittelfeld-Leute von Gabun eben hinten gebunden waren und Kharjas Nebenmann Hermach auch noch Madinda aus dem Spiel nahm, gab es keinen, der seine Kreise wirklich einengen konnte. So hatte Marokko das Spiel im Griff und ging auch nicht unverdient mit dieser 1:0-Führung in die Pause.

Marokko wiegt sich in Sicherheit…

Und nach dem Seitenwechsel sah es auch zunächst so aus, als sollte sich das Spiel der ersten Hälfte fortsetzen: Die Marokkaner legten bis etwa zur 60. Minute eine Abgeklärtheit an den Tag, aus der schon ersichtlich war, dass hier  die überwiegende Mehrheit der Spieler in Top-Ligen wie Italien und Frankreich am Werk war, und den Gabunern diese internationale Erfahrung einfach noch fehlt.

So konnten sich die Marokkaner in Sicherheit wiegen und die Tatsache, dass Eric Gerets schon für die zweite Hälfte mit Youssef El Arabi die einzige Spitze vom Platz nahm und stattdessen den Zehner Youssef Hadji nach vorne stellte, signalisierte zudem: Routiniert die Zeit runterspielen, jetzt. Es dauerte eine Viertelstunde, aber dann hatten die Gabuner erkannt, dass Marokko hier keine großen Ambitionen mehr hegte.

…und Gabun merkt das

Ein guter Wechsel von Gernot Rohr half dem Aufbäumen auf die Sprünge: Der Deutsch-Franzose nahm den eher kaltgestellten Stéphane Nguéma raus und brachte mit dem routinierten Daniel Cousin einen neuen, bulligen Mann für die Zentrale; dafür ging der flinke, eher filigrane Pierre-Emerick Aubameyang auf den Flügel. Dort konnte er auch alleine, ohne Hilfe von hinten, Bälle besser halten als sein Vorgänger und so auch zum einen eigenen Chancen kreieren als auch zum anderen seiner Mannschaft Zeit geben, aufzurücken.

Was nun auch immer mehr die Außenverteidigier taten. Vor allem Moussono auf der linken Seite konnte mit Mouloungui für solchen Wirbel sorgen, dass sich Eric Gerets schnell gezwungen sah, den damit überforderten Mickaël Basser rauszunehmen und mit Jamal Alioui einen frischen Mann für rechts hinten zu bringen.

In zwei Minuten das Spiel gedreht

Aber der Schaden war bereits angerichtet, die Hausherren warfen alles nach vorne. Im Mittelfeld wurde der Spieß nun umgedreht – nun wurden die Marokkaner schnell angegriffen, wodurch sie keine Möglichkeit mehr hatten, für dauerhafte Entlastung zu sorgen. Und Hossine Kharja war in dieser Phase komplett abgetaucht, gerade jetzt, wo die Mannschaft seine Klarheit am dringendsten gebraucht hätte.

Und so kam, was sich immer mehr abgezeichnet hatte: Alioui verlängerte von Cousin bedrängt eine Ecke direkt vor das Tor, wo Aubameyang die x-te Torchance für Gabun zum Ausgleich nützte, zwei Minuten später holte sich Moubamba einen verlorenen Ball umgehend zurück, der Ball kam über Aubameyang zu Cousin in der Mitte, der drückte ab – 2:1, das Spiel war gedreht!

Dramatische Schlussphase

Die Marokkaner – die mit diesem Resultat fix ausgeschieden wären – bemühten sich, zurück zu ihrem eigentlichen Matchplan zu gehen und hinter die Außenverteidigier zu kommen. Die Präzision war mit dem ganzen Druck natürlich dahin und weil die Löwen vom Atlas Risiko gehen und hinten aufmachen mussten, fiel beinahe das 1:3, doch in der 89. Minute schafften sie es doch noch einmal, zur Grundlinie durchzugehen. Der Ball wurde für den am Sechzehner stehenden Belhande zurückgespielt, der zog ab, und Moussono wehrte mit der Hand ab. Elfmeter, und Kharja verwertete zum 2:2. Womit Marokko immer noch so gut wie aus dem Rennen war, aber zumindest noch hoffen konnte.

Aber nur wenige Minuten. Gerade als die fünf angezeigten Nachspiel-Minuten abgelaufen waren, senste Benatia in der Strafraumgrenze den kurz zuvor eingewechselten Mbanangoye um. Es dauerte wegen der Behandlung und einem Wechsel zwei Minuten, ehe der Gefoulte den Freistoß ausführen konnte. Und über die Mauer hinweg im kurzen Eck versenkte! Das 3:2, der Endstand – das Stadion stand endgültig Kopf, Gabun steht im Viertelfinale.

Fazit: Kampfgeist bringt Gabun ins Viertelfinale

Natürlich hat die Einwechslung von Cousin geholfen, weil Aubameyang dadurch auf die davor ziemlich abgemeldeten Außenbahnen gehen und dort Leben in das Flügelspiel von Gabun brachte. Letztlich entschieden aber zwei andere Faktoren noch viel mehr über den Verlauf des Spiels: Zum einen, dass sich die Marokkaner viel zu früh sicher fühlten, nachdem sie auch die erste Phase nach dem Seitenwechsel sicher im Griff gehabt hatten und das Signal, das Eric Gerets mit der Auswechslung des einzigen echten Stürmers bereits zur Halbzeit sendete.

Und zum anderen der enorme Kampfgeist und Siegeswillen der Spieler aus Gabun. Die nach einer Stunde begriffen, dass sie die Marokkaner biegen konnten, wenn sie die sich immer mehr einschleichende Selbstzufriedenheit der Gegenspieler nützten, indem sie sie aggressiver angingen, früher attackierten und selbst den bedingungslosen Vorwärtsgang einschalteten. Dass es mit dem Freistoß-Tor in der 97. Minute dann doch noch den Sieg gab, nachdem die Marokkaner mit dem Ausgleich das schlimmste verhindert zu haben glaubten, spricht für den Kampfgeist dieser Mannschaft.

Die sich ihr Ticket im Viertelfinale damit redlich verdient haben. Während sich die Marokkaner das Aus doch selbst zuschreiben müssen – denn sie waren eine Stunde lang die reifere, klarer strukturierte und deutlich sicherere Mannschaft.

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Tunesien – Niger 2-1 (1-1). 1-0 Msakni 4′ / 1-1 Ngounou 8′ / 2-1 Jemâa 90′

Tunesien - Niger 2:1

Debütant Niger fing sich durch recht schleißiges Zweikampf-Verhalten in der Defensive sofort das 0:1 und glich mit einem Tor, das sehr wahrscheinlich aus einem Handspiel entstanden ist, praktisch umgehend wieder aus – spielte aber, als sich das Geschehen etwas beruhigt hatte, eine erstaunliche Partie.

Mit der auch die Tunesier ganz offensichtlich nicht gerechnet hatten. Sami Trabelsi drehte ein wenig an seiner Besetzung, beließ das 4-2-3-1 aus dem knappen Sieg gegen Marokko aber bei. Anders Harouna Doula (oder doch sein ihm vom Verband, warum auch immer, vor die Nase gesetzter Anstands-Wauwau Rolland Courbis?) bei Niger: Er brachte mit William Ngounou aus der dritten (!) schwedischen Liga eine zweite Spitze neben Maazou, dafür blieb die linke Mittelfeld-Seite de facto unbesetzt.

Was Bilel Ifa natürlich dazu einlud, nach vorne zu gehen, doch sobald er den Ball hatte, fielen Lacina aus dem Halbfeld und Soumaila frontal vor ihm über ihn her. Und ganz ähnlich machten sie das im ganzen Mittelfeld: Korbi und Traoui hatten kaum Zeit zum Spielaufbau, weil ihnen sofort ein Nigrer auf den Füßen stand.

Niger nervt den Gegner

Der Plan, um selbst nach vorne zu kommen, war relativ simpel: Den erkämpften Ball halten, bis man sich halbwegs formiert hatte, und dann ein schneller Steilpass auf einen der beiden Stürmer. Die Tunesier kamen damit überhaupt nicht zurecht und so hatte der krasser Außenseiter diverse Chancen, sogar in Führung zu gehen.

Der Favorit verlor ob des unerwarteten Spielverlaufs nicht die Nerven, das nicht, aber man merkte den Tunesiern schon an, dass sie von der robusten und aktiven Gangart der Nigrer im Mittelfeld und den sich daraus ergebenden Chancen durchaus genervt waren. Vor allem, weil sie kein wirksames Mittel dagegen fanden um den Druck im Mittelfeld zu entgehen und die vor allem in Eins-gegen-Eins-Situationen alles andere als sattelfeste Abwehr der Nigrer selbst zu testen.

Tunesier bleiben zu statisch

An diesem Prizinzip änderte Sami Trabelsi auch in der zweiten Hälfte nichts – er änderte nicht einmal sein System. Der für Chermiti eingewechselte Jemâa hing ähnlich in der Luft wie sein Vorgänger, viel zu selten, genau genommen nur ein einziges Mal, ging es schnell mit direkten Pässen nach vorne. Die Tunesier verhielten sich weiterhin zu drucklos, agierten zu umständlich und wurden von den flink umschaltenden Nigrern hinten immer wieder in Verlegenheit gebracht.

Daran änderten auch die weiteren Wechsel, alle innerhalb des Systems, nichts. Tunesien hatte zwar deutlich mehr Ballbesitz, konnte die Statik des eigenen Spiels aber praktisch nie durchbrechen, bis kurz vor Schluss Jemâa einmal schnell mit einem Steilpass aus der Tiefe geschickt wurde – eine Geradlinigkeit, die man davor komplett vermisste. Der Auxerre-Stürmer ließ sich dann auch nicht zweimal bitten und schoss doch noch das mehr als schmeichelhafte 2:1-Siegtor.

Fazit: Da hat wohl das falsche Team gewonnen.

Natürlich sind die Spieler aus Niger ihren Gegnern individuell klar unterlegen. Das wurde aber ob des cleveren Matchplans, der wirklich gut umgesetzt wurde, nie so richtig deutlich und das sich anbahnende Unentschieden wäre alles andere als glücklich gewesen. Im Gegenteil, angesichts der statischen und unvariablen Tunesier, die über 90 Minuten hinweg nicht fähig waren, ihr Spiel auf passende Art und Weise umzustellen, wäre ein Sieg für den krassen Außenseiter sogar korrekt gewesen.

Dass sie nun sogar verloren haben und damit (wie, fairerweise, nicht anders zu erwarten war) die Heimreise antreten müssen, ist ein harsches Resultat, weil es ihre beherzte Leistung in diesem Spiel gegen Tunesien nicht reflektiert. Die Adler von Kathargo werden sich im Turnierverlauf, was die eigene Offensivleistung betrifft, steigern müssen. Aus einer gesicherten Abwehr heraus kontern können sie, das hat man gegen Marokko gesehen. Aber das Spiel selbst zu gestalten ist ganz offensichtlich nicht ihre Stärke.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.