Champions League 2010/11 | Viertelfinal-Hinspiel
Bernabéu, 5. April 2011
Real Madrid - Tottenham Hotspur
4-0
Tore: 4' und 57' Adebayor, 72' Di María, 87' C. Ronaldo

Wozu gegen Ronaldo verteidigen…?

„Bei Harry Redknapp macht’s Spaß“, gab Rafael van der Vaart einst zu Protokoll, „keine faden Taktik-Einheiten!“ Die offensichtlichen Schwächen von Redknapp wurden beim 0:4-Debakel bei Real deutlich. Bis zum Ausschluss von Crouch tappste etwa Bale verloren auf der rechten Seite herum. Und die linke war gleich gar nicht besetzt…

Real Madrid - Tottenham Hotspur 4:0

Kurz vor Spielbeginn musste Aaron Lennon w.o. geben – ein schwerer Schalg für die Spurs, denn so wurde ein Loch auf die rechte Seite gerissen. Wer sollte nun Cristiano Ronaldo binden und Marcelo – beide waren beim peinlichen 0:1 am Wochenende gegen Gijon ja noch geschont worden – beschäftigen? Harry Redknapp wusste eine Antwort: Gareth Bale! Der geniale linke Flügelmann aber wirkte auf der rechten Seite komplett verloren. Marcelo stand ihm dauernd auf den Füßen, Ronaldo machte sich in Bales Rücken schon bald einen Spaß aus Vedran Corluka.

Und die linke Seite? Die blieb völlig unbesetzt. Luka Modric spielte deutlich eingerückt auf der halblinken Seite. Das kann man in einem Freundschaftskick gegen ein Constantini-Team machen – aber nicht gegen Real Madrid. Sergio Ramos konnte nach Belieben aufrücken, Angel di María brauchte sich nicht um Defensivaufgaben kümmern. Und nachdem Adebayor schon in der 4. Minute einen Eckball zum 1:0 für Real verwerten konnte, war alles auf Schiene.

Crouch schwächt die Spurs zusätzlich

Und schon nach einer Viertelstunde war Tottenham nicht nur hinten, sondern auch einer weniger. Nach zwei beinahe geistesgestörten Tackles, bei denen für beide auch Rot zu vertreten gewesen wäre, flog der Sturm-Riese völlig zu Recht vom Platz. Für Bale war danach die Qual auf der rechten Seite vorbei, er durfte wieder auf seinen linken Flügel.

Real Madrid - Tottenham (ab Min. 15)

Und fing dort sofort an zu zeigen, was er kann. Kaum war der Waliser am Ball, zog er in seiner unnachahmlichen Art und in vollem Tempo auf Casillas zu – so mussten Pepe und Xabi Alonso schon in höchstem Tempo angeflogen kommen und Pepe fing sich dafür auch eine gelbe Karte ein. Abgesehen vom sehr hoch stehenden Bale sorgte aber keiner bei Tottenham für Gefahr. Auch natürlich, weil Van der Vaart als Sturmspitze etwas, nun ja, out of position war.

Jenas kümmerte sich nun halbherzig um die rechte Seite, aber Marcelo und Cristiano Ronaldo konnten weiterhin tun, was sie wollten. Generell zeigte sich die Offensive von Real sehr lauffreudig. Adebayor wich ebenso oft auf die Flügel aus, wie sich etwa Özil an allen Ecken und Enden des Platzes immer wieder anbot. Dass Real nicht schon zur Pause einen deutlicheren Vorsprung herausgeholt hatte als das 1:0, darf man getrost als „nachlässig“ bezeichnen.

Rechte Seite bleibt offen

Obwohl die rechte Seite, die von Jenas eben nicht bewacht wurde, offen wie ein Scheunentor war, sah sich Redknapp nicht gezwungen, das für die zweite Hälfte zu ändern – er brachte lediglich mit Defoe einen echten Stürmer für Van der Vaart. Logische Folge der nicht erfolgten Problemlösung: Marcelo und Cristiano Ronaldo rissen das Spiel komplett an sich und es ist auch folgerichtig, dass das längst überfällige 2:0 über genau diese Seite und genau diese Spieler vorbereitet wurde, Adebayor brauchte nur noch den Kopf in die Maßflanke halten.

Real hatte alle Gelegenheiten, das Spiel in einem absoluten Debakel für Tottenham enden zu lassen, aber die Königlichen übertrieben es nach dem 2:0 ganz deutlich mit den kleinen Tricks und der Schönspielerei. Vor allem bei Cristiano Ronaldo schien ein Pass nur noch dann zu zählen, wenn er per Übersteiger oder per Ferse gespielt wurde.

So war es ein wunderbarer Weitschuss von Di María, der für das 3:0 sorgte. Redknapp? Reagierte weiterhin nicht. Die rechte Seite blieb bis zum bitteren Ende komplett offen, und hätte sich Corluka nicht verletzt (Bassong kam, Assou-Ekotto ging dafür auf rechts), hätte sich der bemitleidenswerte Kroate wohl bis zum Schlusspfiff aufmachen lassen müssen.

Mourinho hatte sogar die Möglichkeit in der letzten Viertelstunde Kaká (statt Di María) noch ein paar Einsatzminuten zu geben. Der Brasilianer ging in die Zentrale, Özil nach links und Ronaldo nach rechts. Im Grunde war das Spiel aber längst gelaufen, Tottenham hatte sich schon lange davor dem Schicksal ergeben. Das 4:0 von Ronaldo kurz vor Schluss? Nur noch Draufgabe.

Fazit: Harry, wo hast du deine Augen?

Harry Redknapp muss sich schon fragen lassen, ob er sich das Spiel überhaupt angesehen hat. Nach dem Ausschluss und dem Wechsel von Bale zurück auf seine linke Seite blieb die Abwehrseite gegen Cristiano Ronaldo und Marcelona 75 Minuten lang komplett offen. Was die beiden natürlich weidlich ausnützten, vor allem in der zweiten Halbzeit. Ja, der frühe Ausschluss von Peter Crouch hat natürlich maßgeblich zur Niederlage beigetragen. Aber dass es verdientermaßen ein so hohes Ergebnis wurde, hat Redknapp zu verantworten.

Real nahm die Einladung natürlich dankend an und steht damit natürlich schon nach dem Hinspiel praktisch fix als Semifinalist fest. Das Rückspiel an der White Hart Lane wird für Real eine Pflichtaufgabe und die Spurs die Abschiedsvorstellung nach einer tollen Europapokal-Saison – but here’s where the story ends.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.