EM-Qualifikation für 2012
Şükrü Saracoğlu, İstanbul, 29. März 2011
Türkei - Österreich
2-0
Tore: 28' Arda, 77' Gönül

Erst zu feig, dann zu harmlos

Letzte Chance… vorbei? Das 0:2 in Istanbul offenbarte altbekannte Schwächen beim ÖFB-Team: Eine allzu vorsichtige Herangehensweise. Daraus folgend Harmlosigkeit in der Offensive. Und hinten gegen einen abgezockten Gegner nicht fehlerfrei. Hoffnungen auf die EM? Nur noch theoretisch.

Türkei - Österreich 2:0

Spiel der letzten Chance? Charaktertest? Beides. Verlieren verboten? Eigentlich auch. Vor dem Spiel war es als 4-3-3 oder als Tannenbaum interpretiert worden – aber letztlich war das, was Constantini da auf’s Feld des Stadions von Fenerbahçe schickte, ein Hosenscheißer-4-1-4-1 mit zwei eher defensiv orientierten Zentralspielern im Mittelfeld – Baumgartlinger halbrechts und Scharner halblinks. Pehilvan gab den klassischen Sechser. Ihre Aufgabe war klar definiert: Sahin und Ekici nicht durch die Mitte kommen zu lassen.

Was zur Folge hatte, dass es die Türken umso mehr über die Außenbahnen versuchten. Das System von Guus Hiddink war schon deutlich näher an einem 4-3-3. Allerdings kein symmetrisches, sondern mit Ekici deutlich höher auf halbrechts als Nuri Sahin auf der anderen Seite. Während der Borusse Sahin, wie es seinem Spiel entspricht, eher aus dem Backfield kam, drehte der Clubberer Ekici ziemlich am Tempo und unterstützte Kapitän Altintop und den auch immer wieder nach vorne stürmenden Gökhan Gönül sehr gut. Die Folge: Die Türken waren über die rechte Flanke wesentlich gefährlicher.

Zudem pressten sie nach Ballverlusten schnell auf die Gegner aus Österreich, wodurch hier kaum ein sinnvoller Spielaufbau möglich war. Es war an Harnik und (vor allem) Alaba, die auch einmal für ein paar Minuten die Seiten tauschten, über schnelle Konter für Entlastung zu sorgen. Gerade Alba agierte wesentlich sicherer als noch gegen Belgien. Das ging gut, solange die beiden Sturmspitze Maierhofer nicht ins Spiel brachten. Denn bei allem Einsatz, den der Lange an den Tag legt, er zeigte wieder ein Spiel wie das in Litauen, welches in einem durchaus bekannten YouTube-Video festgehalten wurde. Bei ihm verhielt sich der Ball wie eine Flipperkugel – er konnte also Bälle nicht halten, was wichtig gewesen wäre, um dem Mittelfeld Zeit zu geben, aufzurücken. Deshalb kamen Chancen für Österreich nur aus schnellen und geradlinigen Aktionen zu Stande, in denen Maierhofer Abwehrspieler band, aber nicht aktiv eingriff.

Nach 1:0 reagierten die Türken, nicht Österreich

So waren die Türken überlegen (70% Ballbesitz) und hatten die eine oder andere Chance (wie Burak schon in der 3. Minute), die rot-weiß-rote Abwehr hielt aber dicht – bis zur 28. Minute. Ausgerechnet Ekrem Dag ließ sich nach einem simplen Einwurf übertölpeln, Aleks Dragovic ließ sich ebenso ausspielen, und Arda Turan schoss einigermaßen ungehindert zum 1:0 für die Türken ein. Ein verdientes Tor, die Gastgeber waren die klar bessere Mannschaft.

Was die Österreicher komplett vermissen ließen, während der gesamten Spielzeit, war jegliche Form von Pressing – wenn hie und da mal einer halbherzig einen Schritt Richtung Gegner macht, reicht das einfach nicht, um einer technisch so guten Truppe wie jener der Türken auch nur auf irgend eine Weise beikommen zu können. Daran änderte sich auch nach dem Rückstand nichts, als das ÖFB-Team erstens einem Rückstand hinterher lief und zweitens durch die längere Behandlungspause von Arda kurz nach der Führung auch einige Zeit lang in Überzahl agierte. Davon merkte man nichts.

So reagierte Constantini erst mal gar nicht auf den Rückstand, sehr wohl aber Guus Hiddink auf die Führung. Er beorderte Hamit Altintop auf die rechte Seite, ließ Sahin und Inan nun tatsächlich im Zentrum ziemlich auf einer Höhe spielen und legte es nun mit einem 4-4-2 auf mehr Sicherheit in der Rückwärtsbewegung an. Der Holländer hatte zweifellos gemerkt, dass die Österreicher erst einmal keine Anstalten machen, das Heft in die Hand zu nehmen. So konnte das türkische Team im Bedarfsfall mit zwei Viererketten hinten den Raum gegen die nun natürlich endgültig gnadenlos unterbesetzte österreichische Offensive noch enger machen.

Türkei - Österreich (ab Min. 45)

Hoffer statt Baumgartlinger

Für die zweite Hälfte kam mit Jimmy Hoffer ein zweite Stürmer, für ihn musste Julian Baumgartlinger weichen. Der Austrianer hatte keinen guten Tag – wie Alaba gegen Belgien gingen bei ihm viele Bälle billig verloren. Und das lag nicht nur daran, dass sich selten jemand anbot.

Mit Hoffer war das ÖFB-Team nun in einem klaren Old-School-4-4-2 aufgestellt. Die Türken registrierten das und gingen umgehend wieder zu ihrer Raumaufteilung von vor der Führung zurück – klar, so gab’s wieder Überzahl im Zentrum. Mit der neuen Ausrichtung gelang es zwar nun, die Türken defensiv besser in Schach zu halten, aber nach vorne ging nichts. Die offene Frage in dieser Phase war natürlich: Ruhten sich die Türken auf ihrer Führung und der österreichischen Harmlosigkeit nur aus oder hatten sie tatsächlich schon abgestellt?  Constantini jedenfalls ging nun das Risiko, das er aufgrund des Spielstands und der Gesamtsituation gehen musste: Sechser Pehlivan (leicht angeschlagen) raus, Flügelflitzer Ümit Korkmaz rein.

Arnautovic bringt Unruhe – ins eigene Team

Der Bochum-Legionär nahm die Position im linken Mittelfeld ein, dafür ging Alaba ins defensive Zentrum – am 4-4-2 änderte sich nichts. Aber immerhin war noch eine Ordnung erkennbar. Mit der war’s vorbei, als Arnautovic für den (leider erneut enttäuschenden) Harnik kam. Arnautovic kann ein Spiel beflügeln, aber auch komplett ruinieren, und hier war es klar Letzteres. Nicht nur, dass er sich erstens – nicht zum ersten Mal, wenn man sich an die U21-Partie gegen Weißrussland erinnert – überhaupt nicht um Positionsspiel gekümmert hat, sondern sich immer dort herumgetrieben hat, wo’s ihm gerade gepasst hat. Mal links, mal rechts, mal im Halbfeld: Korkmaz konnte sich nur noch darauf konzentrieren, die Launen von Arnautovic auszugleichen und verpuffte selbst somit gänzlich.

Zweitens, und das ist gerade in seinem Fall beinahe noch schwerwiegender: Anstatt mit seiner Technik und seinem Tempo das Spiel schnell zu machen, verschleppte er es bei jedem Ballkontakt völlig. Er blieb stehen, er drehte sich ein, in Position laufende Mitspieler rannten umsonst, weil kein Zuspiel kam, und wenn doch, dann zu spät. Und so kam, was kommen musste: Christian Fuchs stand bei einem Lochpass des eingewechselten Semih auf den nach vorne stürmenden Gönül nicht richtig, dieser ließ im Strafraum dann auch Pogatetz aussteigen – und das 2:0 für die Türken war gefallen. Schade gerade für Christian Fuchs – denn er hatte in der zweiten Hälfte immer mehr, wie es sich für einen Kapitän gehört, das Spiel an sich gerissen und versuchte sehr viel.

Das war natürlich die Vorentscheidung in dieser Partie – und dass Stefan Maierhofer danach noch den (großzügigen) Elfer nicht zum Torerfolg nützte, passt letztlich zum recht harmlosen Spiel des ÖFB-Teams.

Fazit: Bemühter, aber ähnlich ungefährlich

Verglichen mit dem 0:2 gegen Belgien war die Leistung der Österreicher in Istanbul zwar schon bemühter, letztlich aber genauso harmlos und so reichte den Türken eine ordentliche, aber sicher nicht überragende Partie zu einem ebenso verdienten wie ungefährdeten 2:0-Heimsieg. Die Mannen von Guus Hiddink pressten besser (bzw., pressten überhaupt…) und ließen jene von Constantini nie wirklich zur Entfaltung kommen.

Die Herangehensweise der Österreicher mag angesichts der eher mauen Vorstellung gegen Belgien bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar sein, zielführend war sie allerdings nicht. Als das Vorhaben „Zerstören und ein 0:0 ermauern“ nicht mehr realisierbar war, kamen zwar die entsprechenden Wechsel, die Türken waren aber clever genug um sich immer darauf einzustellen. Und das mit Arnautovic ist immer ein Risiko – beim 4:4 in Brüssel ging’s gut, heute nicht.

Die Türken liegen nun einen Punkt hinter Belgien auf Rang drei, haben aber ein Spiel gut. Und Österreich? Da stehen noch beide Spiele gegen Deutschland bevor, plus die haarigen Auswärtsspiele in Astana und Baku. Die EM in Polen und der Ukraine wird ohne das ÖFB-Team stattfinden.

Es wäre an der Zeit, nun einen Teamchef die Mannschaft übernehmen zu lassen, der etwas mit ihr anzufangen weiß. Das ist ein „Ceterum Censeo“, ja. Aber es wird nicht weniger wahr, je öfter man es sagt.

(phe)

Bisherige Spiele der Österreicher in der EM-Quali: 0:2 gegen Belgien, 4:4 in Belgien, 3:0 gegen Aserbaidschan, 2:0 gegen Kasachstan.

Cool? Sag das doch anderen!

Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.