…und dann kamen die Wechsel

4:4 in Belgien – was für ein Krimi! Den das österreichische Team dank einer starken offensiven Mittelfeldreihe weitgehend im Griff hatte und eine Stunde lang auf einem tollen Weg war. Doch dann fing der Teamchef zum Wechseln an, das Unheil nahm seinen Lauf – und Scharners Dummheit kam noch dazu…

Belgien - Österreich 4:4 ... 1. Halbzeit

Was macht man, wenn der gegnerische Rechtsverteidiger als Schwachstelle ausgemacht wurde? Man bohrt diese Schwachstelle konsequent an, ganz genau. Und das haben die Belgier zumindest in den ersten zwanzig Minuten getan – denn Flo Klein war, was seine Defensivaufgaben anging, gerade zu Beginn des Spiels alles andere als auf der Höhe. Genau so fiel das frühe 1:0 für Belgien: Weiter Pass auf Ogunjimi Richtung Cornerfahne und Klein bleibt auf halbem Weg stehen. So musste Basti Prödl aus dem Zentrum hinausrücken, um auf den Belgier Druck zu machen, wodurch in der Mitte der aus der Etappe kommende Vossen mit seinem Tempo nur noch in die Flanke laufen musste. Und schon war der Ball drin.

Es kann nicht bezweifelt werden, dass der schnelle Ausgleich nach einer Ecke das Spiel für die Österreicher gerettet hat. Denn gerade was die Offensive angeht, war das auch schon in den ersten Minuten wirklich schick mit anzusehen. Constantini stellte die Mannschaft im erwarteten 4-2-3-1 mit dem erwarteten Personal auf, und dieses erwies sich als durchaus tauglich. Die Gastgeber, die den kurzfristigen Ausfall von Innenverteidiger Daniel van Buyten verkraften mussten, legten das Spiel etwas defensiver an als die Auswärtsspiele von Istanbul und Astana – mit einem 4-1-4-1. Allerdings mit einem Offensiv denkenden Spieler mehr als im September gegen Deutschland, bei dem im gleichen System gespielt wurde: Vossen, eigentlich eine Sturmspitze, kam mehr von hinten, agierte auf der halblinken Seite. Vorne hatte Marvin Ogunjimi eine ähnliche Funktion wie Stefan Maierhofer beim ÖFB-Team: Bälle halten, Gegenspieler auf sich ziehen, Räume schaffen. Das klappte bei Belgien allerdings nicht nach Wunsch – weil Marouane Fellaini überhaupt nicht ins Spiel kam.

Der Wuschelkopf von Everton war im österreichischen DM nämlich hervorragend aufgehoben und hatte kaum nennenswerte Szenen. So waren die „Rode Duivels“ gezwungen, ihr Spiel ohne den Boss im Mittelfeld aufzuziehen. Was kaum gelang. Viel mehr im Spiel war dafür Paul Scharner: Er war so etwas wie ein „free floating midfielder“, der sich (im Gegensatz zu Baumgartlinger) immer wieder nach vorne orientierte, um für Junuzovic und die Außen eine zusätzliche Anspielstation zu sein.

Das ÖFB-Team spielt guten Fußball

So waren es die Österreicher, die den gepflegteren Ball spielten. Vor allem Veli Kavlak strotzte auf seiner rechten Seite nur so vor Spielfreude – auch, weil Axel Witsel immer wieder in die Mitte zog und Kavlak (oft gemeinsam mit Klein) so auch den nötigen Platz dazu hatte. Damit hatten die Belgier ganz offensichtlich nicht gerechnet, nur die Arnautovic-Seite links als potentielle Gefahr gesehen. Zudem agierte Zlatko Junuzovic in der Mitte, bzw. als hängende Spitze, äußerst quirlig und war von Timmy Simons nie unter Kontrolle zu bringen. Mit diesen drei Top-Technikern in der Offensiv-Reihe agierte das ÖFB-Team ungewohnt schnell und spielerisch ungewohnt stark.

Außerdem war Stefan Maierhofer vorne, auch wenn er einige Chancen und diverse Bäller eher ungelenk vernudelte, der richtige Spielertyp. Er beschäftigte mit seinem körperlichen Spiel sowohl Kompany als auch Lombaerts, sodass für die anderen Offensivspieler einige Räume blieben. Und das 2:1 fiel aus einer wunderbaren Kombination, einem Doppelpass von Arnautovic mit Junuzovic, bei dem Maierhofer durchließ. Mit hohem Tempo auf die nicht allzu schnelle Verteidigung zu – genauso, wie es klar war, dass es gehen musste. Darum ging das 2:1 zur Pause auch absolut in Ordnung.

Schneller Ausgleich und beginnende Selbstkastration

Kurz nach Wiederanpfiff offenbarte sich aber auch die große Schwäche der Österreicher an diesem Abend, und das in immer kürzer werdenden Abständen: die Abwehr. Es war ein Spiegelbild des Gegners, nur waren die Probleme in der ÖFB-Hintermannschaft noch augenscheinlicher und die Belgier bohrten diese Schwäche noch konsequenter an. Das Positionsspiel von Prödl und Schiemer war oft ganz schlecht, Fuchs erfüllte seine Defensivaufgaben nur sehr unzureichend und von Klein war ja schon die Rede. Fellaini nützte gleich nach Wiederbeginn ein solches Durcheinander zum 2:2-Ausgleich.

Woraufhin Arnautovic und Kavlak in der 50. Minute die Seiten tauschten. Kavlak setzte seine tolle Leistung auch auf der anderen Seite nahtlos fort: Laufstark, trickreich, mit dem Blick für den Mitspieler. Er riss das Spiel an sich, war in dieser Phase der klar beste Mann am Platz. Umso unverständlicher, dass Kavlak nach 56 Minuten den Platz für Jimmy Hoffer verlassen musste – die reinste Selbstkastration.

Belgien - Österreich 4:4 ... Min. 56 bis 70

Junuzovic musste die Zentrale aufgeben und auf die linke Seite wechseln. Somit hatte Fellaini plötzlich deutlich mehr Platz und er konnte nun Blondschopf Legear helfen, das Spiel der Belgier endgültig auf die linke österreichische Abwehrseite zu verlegen. Somit war Fuchs, hinten ja ohnehin nicht der Sicherste an diesem Tag, noch mehr hinten gebunden, Junuzovic war nun noch mehr von Baumgartlinger und (vor allem) Scharner im Mittelfeld abhängig, um sich in Szene zu setzen. Ja, dank Schiemers Eckballtor ging Österreich wieder mit 3:2 in Führung, aber das war die Phase, in der das ÖFB-Team nach dem haarsträubenden Wechsel das Spiel aus der Hand zu geben begann.

Was sich durch Paul Scharners wirklich saudumme rote Karte in der 68. Minute (ESPN nennt die Aktion recht treffend „an ill-judged moment of madness“) natürlich noch verstärkte. Und in einem zweiten haarsträubenden Wechsel mündete – Junuzovic musste runter. Jener Mann, der eine herausragende Partie gemacht und erst durch Constantinis Nonsens-Wechsel auf die linke Seite verbannt und mangels echter Hilfe isoliert wurde, fiel nun selbst einem Nonsens-Wechsel zum Opfer. Anstatt Maierhofer für Pehlivan vom Platz zu nehmen und Hoffer zentral zu positionieren, um das zu erwartende Konterspiel aufzuziehen, amputierte er die Formation nun komplett.

Leekens reagiert dafür goldrichtig…

Belgien - Österreich 4:4 ... Min. 70 bis 80

Arnautovic ist nach diesem Wechsel der letzte kreative Österreich auf dem Feld, er hätte nach einer belgischen Leichtsinnigkeit auch beinahe für das 4:2 gesorgt. Die Raumaufteilung bei Österreich ist nun allerdings komplett beim Teufel – eine komplette Seite wird de facto freigelassen, hier haben die Belgier nun Platz ohne Ende. Zu Beginn ist dies ihre linke Angriffsseite, in der 75. Minute wechselt Arnautovic nach einem Eckball auf die andere Seite, womit nun Legear tun kann, was ihm grade Spaß macht, ohne dass ihn jemand daran hindern würde.

Leekens reagiert auf den Scharner-Ausschluss, indem er seinen Sechster Timmy Simons vom Platz nimmt und dafür Wunderkind Romelu Lukaku für die Spitze bringt. Die Position vor der Abwehr übernimmt Kompany, in der Abwehr wird auf Dreierkette umgestellt. Dieser Wechsel erfolgt anderthalb Minuten nach dem Junuzovic-Pehlivan-Tausch; Leekens hat das sich anbahnende Ungleichgewicht gerochen und setzte nun natürlich auf Überzahl im Mittelfeld. Hinten reichen drei Verteidiger für zwei (ohnehin in der Luft hängende) Spitzen völlig aus.

…und packt dann das Brecheisen aus

Belgien - Österreich 4:4 ... Schlussphase

In der 80. Minute nimmt Leekens Fellaini runter und wirft mit Eden Hazard noch einen Stürmer aufs Feld – Brecheisen ein Reinkultur ist die Folge. Drei Stürmer in vorderster Front, im Grunde noch einmal vier dahinter – mehr als drei Mann zur Absicherung waren nun nicht mehr hinten, mitunter gar nur Kompany und Boyata (der schon in der Pause den mit Arnautovic überforderten Alderweireld ersetzt hatte). Die österreichische Viererkette war nun ganz nach hinten gedrängt, die Sechser Baumgartlinger und Pehlivan standen und verschoben direkt vor den Innenverteidigern. Mit Maierhofer, Hoffer und Arnautovic (ab der 87. dann Harnik) waren drei Österreicher als Empfänger von Befreiungsschlägen höher postiert.

Das Stellungsspiel vor allem der Innenverteidiger, welches das ganze Spiel schon Sorgen bereiten durfte, brach nun aber vollends in sich zusammen. Erst fiel der Ausgleich auch einem kollektiven Stellungsfehler, dann das belgische 4:3 nach einer Ecke, bei der Prödl schlecht und alle anderen gleich gar nicht zum Kopfball hochsteigen; davor und dazwischen rettete Macho zweimal in allerhöchster Not. Der Ausgleich war zu diesem Zeitpunkt hochverdient, die belgische Führung die logische Folge des Dauerdrucks.

Dass der eingewechselte Martin Harnik tief in der Nachspielzeit dann doch noch zum 4:4-Endstand traf, ist über die ganze Partie gesehen zwar leistungsgerecht und für die Situation in der Gruppe (vor allem angesichts des türkischen Ausrutschers in Aserbaidschan) erfreulich, rettete aber letztlich „nur“ eine Partie, die man selbst aus der Hand gegeben hatte.

Fazit: Sichere Partie verschenkt

In der Tat: Eine Stunde lang machte das österreichische Team sehr viel richtig und bereitete somit durchaus Freude. Ein sehr spielfreudiges und formstarkes offensives Mittelfeld – wann durfte man das zuletzt in einem österreichischen Teamtrikot bestaunen? Junuzovic spielte hervorragend, Kavlak spielte hervorragend, Arnautovic bekannt verspielt, aber auch durchaus stark; dazu ein Maierhofer, der in seiner Rolle als Prellbock und Kampfsau aufging, ja, das hatte Klasse.

Drei Faktoren haben dieses Spiel aber soweit entschieden, dass es keinen österreichischen Sieg gab: Die wackelige Defensive zum einen. Der blöde Scharner-Ausschluss zum Zweiten. Und, leider muss man es wieder so deutlich sagen, absurde Wechsel vom Teamchef. Den extrem starken Kavlak völlig ohne Not nach einer Stunde aus dem Spiel nehmen? Undurchsichtig. Den extrem starken Junuzovic nach dem Ausschluss rausnehmen, und an Maierhofer (von dem klar war, dass er in Unterzahl gegen ein Team im Rückstand nicht mehr viel ins Spiel eingreifen würde) festhalten? Ebenfalls seltsam.

Eine Stunde lang hat das Team so gespielt, wie man es fordern konnte: Mutig, schnell, mit Selbstvertrauen. Das hatte der Teamchef bei diesem Spiel mal ganz gut hinbekommen.

Und dann hat er gewechselt.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.