VF3 – Deconstructing Diego

Südafrika 2010 – Viertelfinale 3 | Deutschland entzaubert Maradona? Vor nicht allzu langer Zeit noch unvorstellbar. Und auch, wenn das 4:0 ohne Frage etwas zu hoch ist: Das DFB-Team spielte konsequenter und nützte in der entscheidenden Phase die Chancen gegen zerfallende Gauchos eiskalt.

Deutschland – Argentinien 4:0 (1:0)

Deutschland - Argentinien 4:0

Mit Tempo – und zwar mit viel Tempo. So brachten die Deutschen das Team aus Argentinien von Anpfiff weg unter Druck: Özil schnell in der Mitte, Müller und Podolski rissen die Flanken auf, und das 1:0 in der 3. Minute war sogar schon ein Tor, das sich bis zu einem gewissen Grad abgezeichnet hatte. Vor allem, weil der argentinische RV Nicolás Otamendi zeigte, warum er schon vor dem Turnier als möglicher Schwachpunkt gehandelt worden war. Ungeschickt im Zweikampf, der zum Freistoß geführt hatte, dann komplett geschlagen beim Kopfball von Müller, und wenige Minuten später holte er sich auch noch die gelbe Karte ab.

Die Argentinier waren sichtlich beeindruckt von der Power der Deutschen. Mit Mascherano ging der Sechser im Spielaufbau nicht selten sogar hinter das IV-Duo Demichelis/Burdisso zurück, durch die aktiven Außen der Deutschen wurden auch Maxi Rodríguez und Angel di María mehr auf die Flanken gedrängt, als dies einem geordneten Spielaufbau zuträglich gewesen wäre. Die Folge: Ein riesenhaftes Loch im Mittelfeld, das die Deutschen konsequent ausnützten. Und zwar, indem Khedia oftmals deutlich nach vorne in die Zehner-Position ging, wodurch Özil noch mehr Freiheiten hatte. Schweinsteiger als einziger „echter“ Sechser zu diesem Zeitpunkt konnte sich die Anspielstationen aussuchen; in dieser Phase hätte eigentlich schon das 2:0 fallen müssen. Symbolhaft war, wie Burdisso minutenlang seinen Kollegen deutete, sie sollen soch ein wenig weiter zurück kommen, um einen Spielaufbau zu ermöglichen.

Nach etwa 20 Minuten reagierten die Argentinier dann doch. Di María ging von der linken auf die rechte Seite, dazu ließen sich Higuaín und vor allem Tévez weiter ins Mittelfeld zurück fallen, um wenn möglich schon gegen die deutschen Verteidiger zu pressen. Das brachte zwar nur bedingt mehr Chancen für die Gauchos, bremste die Deutschen aber ziemlich in deren zuvor massiven Zug zum Tor. Auch, weil der schnelle Di María nun Lukas Podolski, der defensiv eine erstaunlich gute Figur machte, nun aus dem Offensivspiel nahm, weil der deutsche LM nun natürlich alle Hände (im wahrsten Sinne des Wortes) mit Di María voll hatte.

Mit der Hilfe von Di María gewann auch Otamendi an Sicherheit, generell stand die argentinische Abwehr nun wesentlich höher und konnte so den zuvor immensen Druck der deutschen Mannschaft viel besser abfedern. Was jedoch nichts daran änderte, dass der erstaunlich statische Messi einmal mehr extreme Schwierigkeiten hatte, ins Spiel zu kommen. Wie es seine Art ist, ließ er sich oft weit zurückfallen und holte sich die Bälle in der eigenen Hälfte, aber die Deutschen verstanden es gut, ihm seiner Partner zum Doppelpass zu nehmen – etwas, das auch den früheren Gegnern der Gauchos ganz gut gelungen ist. Gemeinsam mit der für ihn ungewohnten Spielposition im Zentrum (wiewohl es Messi schon immer wieder Richtung rechte Seite zog) und der Tatsache, dass er am Ball immer sofort gedoppelt wurde sorgte das dafür, dass Messi überhaupt kein Faktor war.

Dennoch drängten die Argentinier nach dem Seitenwechsel die deutsche Defensive immer weiter hinten hinein, es wurde kein Rezept gegen Di María auf der rechten Seite gefunden und auch Maxi Rodríguez auf der anderen Seite machten eigentlich vieles richtig: Denn vor allem gegen Griechenland, aber auch gegen Mexiko ging viel zu viel über die Mitte, war der Gefährlichkeit natürlich deutlich abträglich war. Doch, wie schon im Achtelfinale gegen England, ließen die Deutschen auch in der Druckphase der Argentinier (die im Übrigen wesentlich durchdachter aufgezogen waren als jene der Engländer) kaum mehr als Distanzschüsse zu Wege. Dennoch waren nun vor allem auch Khedira und Schweinsteiger ziemlich in der Defensive gebunden und Schweinsteigers Freistöße blieben nun komplett harmlos und brachten daher kaum Entlastung.

Diese kam erst wieder, als Otamendi – der sich zwischendurch gut gefangen hatte – gegen den schon am Boden sitzenden Müller viel zu früh abschaltete, den Pass in die Spitze nicht mal versuchte zu verhindern und Klose entgegen des Spielverlaufs der zweiten Halbzeit zum 2:0 traf. Ein Treffer, die die Gauchos, wie schon das erste Tor, bis ins Mark traf. Anders ist es nicht zu erklären, dass bei einem Eckball (!) komplettes Chaos herrschte und Vorbereiter Schweinsteiger mit Di María, Pastore und Higuaín auf direktem Weg zum Tor nicht gerade gelernte Verteidiger ausspielte, eher er Arne Friedrich dessen erstes Länderspieltor auflegen konnte. Spätestens das 3:0 war natürlich die Entscheidung.

Nun konnte auch Pastore (der für Otamendi gekommen war) auf der linken Seite, der zuvor durchaus noch einmal für Schwung sorgen konnte, nichts mehr bewirken, und Agüero (für Di María eingewechselt) hatte keine drei echten Szenen mehr. Dass Klose mit seinem Tor zum 4:0 sein 100. Länderspiel damit krönte, mit Gerd Müller an WM-Toren gleichgezogen zu haben (14, eines fehlt noch zu Leader Ronaldo), war letztlich nur noch die Krönung der Demütigung für nun komplett zerfallende Argentinier.

Fazit: Auch, wenn das 4:0 deutlich aussieht: Bis zum zweiten Tor in der 68. Minute stand das Spiel durchaus auf des Messers Schneide, ein Ausgleich der Argentinier war möglich. Weil aber die Deutschen zu dieser Phase wieder begannen, ihre Angriffe konsequent zu Ende zu spielen – was den Argentiniern über das ganze Spiel komplett abging – ziehen sie verdient ins Semifinale ein. Dass es so hoch wurde liegt an der Tatsache, dass diese deutsche Mannschaft auch dann noch weiterhin Vollgas gibt, wenn das Spiel längst entschieden ist.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.