VF1 – Die Seleção eliminiert sich selbst

Südafrika 2010 – Viertelfinale 1 | Der erste der beiden Topfavoriten ist raus – wie vor vier Jahren scheitert Brasilien im Viertelfinale. Allerdings nicht nur an Holland, sondern zu einem großen Teil auch an sich selbst! Denn während Oranje im Rückstand ruhig blieb, schmiss die Seleção die Nerven weg.

Holland – Brasilien 2:1 (0:1)

Holland - Brasilien 2:1

Die schiefe Formation der Seleção sollte das eher starre 4-2-3-1 der Holländer vor Probleme stellen, so hatte es Dunga geplant – und im Grunde ging es auch auf. RV Gregory van der Wiel hatte mit Robinho, der wie gewohnt einen Linksaußen gab, viel zu tun und sowar Arjen Robben, der rechte Offensivmann im holländischen Team, ziemlich auf sich alleine gestellt. Gegen LV Bastos hatte er Probleme, weswegen er oft schon früh in die Mitte zu – zu früh, denn dort wartete erst Felipe Melo auf ihn, und in letzter Instanz immer noch Juan. Daher verpuffte Robben in der ersten Hälfte einigermaßen wirkungslos.

Robinho hatte links einige Freiheiten und wurde viel von Kaká und Luís Fabiano (denen allerdings nicht allzu viel gelang) ganz gut unterstützt – und er nützte auch die Abstimmungsschwierigkeiten in der holländischen Abwehr zum frühen 1:0 aus. Ooijer (der kurufristig für den beim Aufwärmen verletzten Mathijsen in der IV einsprang) und Van der Wiel passten nicht auf, Heitinga verlor ebenso den Überblick, sodass Felipe Melos Traumpass steil in den Lauf von Robinho die Brasilianer schnell in Front brachte.

Auf der rechten Offensivseite der Brasilianer gab es keinen echten Stürmer, dafür hatten Dani Alves als RM und Maicon als RV ziemlich Narrenfreiheit. Denn der holländische LV Van Bronckhorst hatte dem Tempo der beiden überhaupt nichts entgegen zu setzen, De Jong war mehr mit Kaká beschäftigt und Dirk Kuyt musste so extrem viel Defensivarbeit leisten, was sich logischerweise hemmend auf seinen Vorwärtsdrang auswirkte. Wenn sich Van Brockhorst auf die Verfolgung von Alves machte (was meistens der Fall war), hatte Maicon Platz ohne Ende – und wenn er sich von Alves löste, nützte dieser wiederum seine Freiheiten. So brachte Dunga auf seine rechte Seite ein Übergewicht, indem er weniger Leute aufgestellt hatte als auf seine linke.

Die beiden Sechser der Holländer, De Jong und Van Bommel, standen einigermaßen hoch und verlegten sich auf Zustellen der Passwege, anstatt auf das Zustellen der Anspielstationen für den brasilianischen Spielaufbau. Das war einigermaßen riskant und ging auch immer mal wieder schief, im Großen und Ganzen funktionierte das allerdings ganz okay. Wirklich gefählirch wurde die Seleção wenn, dann über die Außen. Viel Spielfluss kam in der ersten Hälfte aber ohnedies nicht zu Stande, und aus Standardsituationen wurde Oranje nicht allzu gefährlich. Sneijder und Van Persie versuchten, sich der Umklammerung des brasilianischen DM zu entziehen, indem sie sich noch weiter nach vorne postierten. Ohne allerdings, das dies viel gebracht hätte.

So hatte Brasilien das Spiel recht sicher im Griff und hätte eigentlich schon zur Pause höher führen können, wenn nicht müssen. Die Partie begann sich erst zu drehen, als die Holländer aus einer Zufallsaktion zum Ausgleich kamen – Sneijders an sich harmlose Flanke wurde von Felipe Melo über den ungestüm herauslaufenden Torhüter Júlio César verlängert, beide sahen dabei nicht gut aus. Somit stand es wie aus dem Nichts 1:1 und die Holländer waren zu einem Ausgleich gekommen, der aufgrund auch der taktischen Kräfteverhältnisse nicht berechtigt war.

Die Seleção zeigte aber schnell Nerven, und Dunga musste den gelb-rot-gefährdeten Bastos aus der Partie nehmen, um nicht eine vermeidbare Unterzahl zu riskieren. Da die Holländer nun Lunte gerochen hatten, ließen sie den Druck, der nun immer mehr auch über die Seite von Dirk Kuyt kam, nicht entweichen und gingen dann sogar in Führung – wieder nicht herausgespielt, aber doch. Bei einem simplen Eckball schlief die komplette Abwehr, Lúcio etwa war nicht einmal in der Nähe des Tores, und der wahrlich nicht als Kopfballungeheuer bekannte Wesley Sneijder köpfte aus einem Meter Entfernung zum Tor unbedrängt zum 2:1-Führungstreffer ein.

Die Brasilianer schmissen ob der völlig unnütig aus der Hand geglittenen Partie nun vollends die Nerven weg, vor allem Felipe Melo – er musste nach einem Tritt gegen den am Boden liegenden Robben korrekterweise mit Rot vom Platz. Die Stuktur im Spiel der Brasilianer war nun komplett dahin, und die Holländer konnten sich gegen die wild, aber völlig unkoordiniert anrennende Seleção einigermaßen sicher die Zeit hinunterticken lassen.

Dani Alves zog nun mehr ins Zentrum, Nilmar (für Luís Fabiano gekommen) sollte vorne mit etwas mehr Spielstärke für die Wende sorgen, zudem ging dann sogar Innenverteidiger Lúcio als kopfballstarker Brecher als zweite Spitze mit nach vorne; Júlio César war immer mehr Libero als Torhüter. Doch es fehlte ohne Felipe Melo zum einen und ohne die nötige Ruhe zum Anderen komplett an genau jener Struktur, welche den Brasilianern im Turnierverlauf die Souveränität verliehen hatte. So waren bis zum Schluss die Holländer über ihre Konter einem 3:1 näher als Brasilien dem Ausgleich.

Fazit: Brasilien hat nicht verloren, weil die Holländer die spielerisch oder inhaltlich bessere Mannschaft gewesen wäre, sondern weil Oranje auch im Rückstand die Nerven bewahrt hat und bei den Toren auch ein wenig Glück hatte. Die Seleção war zum ersten Mal in diesem Turnier in einem Spiel hinten und das Team konnte damit ver allem nervlich nicht umgehen. Und ohne die nötige Ruhe war ein geordnetes Angriffsspiel schlicht und einfach nicht möglich.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.