Beobachten, Analysieren, Lernen.

Die Qualifikation ist zu Ende. Lernen könnte man daraus viel – wenn man daraus lernen wollte.

Kleines Gedankenexperiment: Daniel Beichler als Solospitze, wie er das bei Sturm seit der Haas-Verletzung spielt. Im offensiven Mittelfeld Veli Kavlak, Jakob Jantscher und Christopher Drazan (wahlweise auch Marko Arnautovic und/oder David Alaba), dahiner als Absicherung Julian Baumgartlinger und Yasin Pehlivan. Was das ist? Das sind Mittelfeld und Angriff der aktuellen U21 des ÖFB, wenn sie in altersgemäßer Bestbesetzung spielen würde. Und ja: Das sieht eigentlich eher nach dem aktuellen Nationalteam aus.

Und das ist auch gut so.

Denn wenn man im vollen Fokus der Öffentlichkeit steht, lernt man mit dem Druck umzugehen. Und nur, wenn man dabei auch gegen einige der besten Teams antritt (Serbien, Frankreich, auch Kamerun, im November Spanien) lernt man dabei auch so richtig was. Diese Spieler in einer in Wahrheit schon am Ende des Jahres 2008 verlorenen WM-Qualifikation zu berufen und sie dort auch spielen zu lassen, ist Dietmar Constantini zu verdanken. Er hat diese Spieler gesehen, hat sie für gut genug befunden, und hat ihnen auch das Vertrauen gehalten.

Dafür ein Danke.

Es ist darüber hinaus gut und wichtig, das diese Spieler, die nun zudem über den sportlich mäßig wertvollen nationalen Tellerrand blicken können und sich im Europacup dem internationalen Vergleich auch auf Vereinsebene stellen. Auf diesem Wege spielen sie sich auch vermehrt in die Notizbücher von Vereinen aus größeren Ligen – es ist kaum anzunehmen, dass ein Pehlivan, ein Drazan, ein Jantscher oder Beichler, aber auch mit Aleks Dragovic das größte Talent im Defensiv-Verbund noch besonders lange in der österreichischen Bundesliga zu bewundern sein werden. Sie alle haben das Zeug, zumindest bei Mittelständlern der großen Ligen unterzukommen.

Aber genau das ist bei Constantini ein Risiko.

Gyuri Garics, Stammspieler bei Atalanta Bergamo? Ihm wurde ein umgelernter Innenverteidiger  vorgesetzt. Andi Ivanschitz? Topwerte in Mainz, aber im Nationalteam unerwünscht. Andi Ibertsberger? Unverzichtbar in Hoffenheim, außen vor bei Constantini. Ekrem Dag? Stütze beim türkischen Double-Gewinner Besiktas, kann zudem praktisch jede Position spielen, vom Teamchef geflissentlich übergangen. Ex-Teamchef Karel Brückner ließ sich kaum einmal in österreichischen Stadien blicken, weil er der (bis dahin eigentlich nicht ganz zu widerlegenden) Ansicht war, dass ohnehin unbrauchbar wäre, was nicht im Ausland spiele. Dank der Großmannssucht einiger Teams war das auch lange so.

Das änderte sich aber. Gott sei Dank.

Gerade in der vergangenen Saison spielte sich eine ganze Horde von jungen Spielern in den Vordergrund, die für die EURO noch zu jung waren, aber von der im Zuge der Europameisterschaft deutlich aufgewerteten Nachwuchsarbeit profitierten. Brückner, eher ein auf Erfahrung setzender Typ, hätte kaum einen von ihnen in sein Nationalteam berufen. An dieser (womöglich ob seines Alters und dem somit an ihm nagenden Zahn der Zeit bedingten) Betriebsblindheit sein Scheitern festzumachen, wäre aber nicht fair. Vielmehr wäre das Berufen der ganz jungen für den Tschechen ein unkalkulierbares Risiko gewesen. Ohne Ivanschitz und Stranzl, aber mit Pehlivan und Beichler zu riskieren, im extrem wichtigen Spiel gegen Rumänien in eine Niederlage zu laufen, wäre ihm – verständlicherweise – zu viel gewesen.

Quasi nach dem Motto: „Der soll uns weiterbringen, keinen Kindergarten aufziehen!“

Constantini konnte sich das leisten, weil er erstens Österreicher ist, und zweitens beim Scheitern in der WM-Qualifikation, bzw. nach einem endgültigen Todesstoß von den Rumänen im März sagen hätte können, „die Chance hat eh der Brückner schon im Herbst vertan“. Constantini hatte nichts zu verlieren, und konnte sich auf die schon vorhandene Qualität und die jugendliche Unbekümmertheit seiner neuen Mannschaft verlassen. Ihr wurde mit Blick aufs Alter auch verziehen, dass das einzige wirklich gute Match (das in Belgrad) verloren ging und die Erfolge (die vier Punkte gegen Rumänien vor allem, aber auch das glückliche 2:1 gegen Litauen) trotz spielerisch kaum vorhandener Weiterentwicklung für den dritten Platz reichten.

Das ist schön und gut. Aber es soll nur die Basis sein, nicht der Zenit.

Um aber aus dieser fraglos guten Basis auch etwas mehr zu machen, bräuchte es einige Dinge, die Constantini nicht vermitteln kann oder nicht vermitteln will. Natürlich darf man einen Gegner wie Litauen nicht unterschätzen, aber der Anspruch eines österreichischen Nationalteams muss in einem Heimspiel gegen Litauen nun mal sein, dieses zu gewinnen. So war es schon etwas befremdlich, als dem Teamchef das Wort „Favorit“ nicht über die Lippen kommen wollte. Quasi nach dem Motto, „wer nichts erwartet, kann nicht enttäuscht werden“ baute er so schon mal fleißig vor dem Spiel am Alibi, falls es nicht geworden wäre mit dem Sieg. Gleiches gilt natürlich auch für seine Ankündigung, eine Qualifikation für die Euro2012 wäre wohl eine Utopie, bevor er überhaupt die Gegner kennt.

Wer sich nichts zutraut, kann aber auch nichts gewinnen.

Das wurde beim mühsamen und am Ende glücklichen 2:1-Sieg gegen Litauen auch überdeutlich: Ähnlich unambitioniert wie Constantini vor dem Spiel ging dann auch das Team im Spiel zu Werke, und hatte keine adäquate Antwort auf die sich nach der Pause verändernde Spielanlage der Litauer. Wer seine junge Mannschaft dermaßen vernachlässigt in ein Spiel schickt, hätte es eigentlich nicht verdient, dieses dann auch zu gewinnen. Dass es doch noch geklappt hat, ist zwar schön, überdeckte in der breiten Öffentlichkeit aber einmal mehr die eklatanten strategischen Schwächen.

Wobei, eigentlich wäre es ja wurscht gewesen.

Denn diejenigen, die sich mit den Spielen auch tatsächlich beschäftigen, sehen schon seit längerer Zeit, dass da von Seiten des Trainergespanns einiges im Argen liegt. Und diejenigen, die das nicht tun oder nicht zu tun im Stande sind (was leider Gottes die überwiegende Mehrheit ist), hätten schon irgendeine Ausrede gefunden, so wie das mit dem bösen bösen Schiri vier Tage später in Frankreich wunderbar funktionieren sollte. So wie es Oliver Kahn einst nach einem etwas dämlichen Gegentor formulierte: „Ball war nass, Boden war nass, Aufsetzer, Pech!“ Das ist an profunder Analyse natürlich etwas wenig, würde dem durchschnittlichen Österreicher aber allemal genügen.

Darum ist es an der Zeit, Missstände auch klar aufzuzeigen.

Das heißt auch, eklatante Fehler des Trainergespanns im Allgemeinen oder des Teamchefs im Speziellen auch einmal in Massenmedien anzusprechen, anstatt sich ich Schneckerl’schem Worthülsen-Gebrabbel zu verlieren oder lieber den Konsumenten mitteilen, dass der Stadionsprecher in Innsbruck eine Swarowski-Haube aufgehabt hat. Ja, viele Fußball-Fans in Österreich haben nun mal nicht den Blick für die wesentlichen Aspekte des Spiels, weil dieser Blick auch von niemandem wirklich geschärft hätte werden können. Doch durch die immer weitere Verbreitung von Spielen aus den europäischen Topligen von England bis Deutschland, in Zeiten von Pay-TV, in dem jedes einzelne Champions-League-Spiel live zu sehen ist, ist es auch dem Endkonsumenten immer besser möglich zu sehen, wie exakt und wie genau diese echten Topmannschaften auf jede Einzelheit eingestellt und vorbereitet sind.

Natürlich wird das österreichische Nationalteam nie dauerhaft auf allerhöchstem Niveau mithalten können.

Aber es lohnt, sich gute Vorbilder genauer anzusehen und zu schauen, was man von denen lernen kann. So wie bei den Schweizern zum Beispiel: Für die Eidgenossen ist die WM in Südafrika das vierte Turnier hintereinander, und bei der Auslosung für die nächste Qualifikations-Kampagne (für die Euro2012) sind die Schweizer im ersten Topf, mitten unter den Topnationen von Spanien über Deutschland bis Italien. Die Schweizer haben auch nicht mehr Geld zur Verfügung wie wir, die Schweizer haben um ein Hauseck weniger Einwohner – aber sie haben nun mal gegenüber Österreich Vorsprung durch Hirnschmalz. Bei unserem westlichen Nachbarn gibt es seit vielen, vielen Jahren eine klare Strategie, ein klares Bekenntnis zur Ausbildungsliga und einen Toptrainer bei der Nationalmannschaft mit einem Stamm von neun bis zehn Legionären.

Und zwar nicht irgendwelchen.

Benaglio, Magnin, Barnetta und Derdiyok spielen in Deutschland; Inler, Padalino und Lichtsteiner in Italien; Senderos und Behrami in England; N’Kufo und Grichting in Holland bzw. Frankreich. Und auch sie spielen, wie unsere Legionäre, nicht alle die erste Geige bei ihren Vereinen – aber sie sind dennoch nicht wegzudenkende Stützen im Nationalteam. Garniert mit einigen jungen Talenten (derzeit eher weniger) oder erfahrenen Haudegen (derzeit mit Frei und Yakin eher mehr) aus der eigenen Liga bilden die Fremdarbeiter das Grundgerüst der Nationalmannschaft.

Und das wird auch bei uns die entscheidende Frage Richtung 2012 werden.

Inwieweit wird ein Teamchef Constantini auch auf die junge Generation setzen, wenn diese Spieler in absehbarer Zeit nicht mehr große Fische im österreichischen Teich sind, sondern kleinere in deutlich stärkeren Ligen? Spieler wie Fuchs und Scharner, aber auch die rekonvaleszenten Pogatetz und womöglich Prödl haben derzeit bessere Karten; Stammspieler und Leistungsträger wie Ivanschitz, Ibertsberger und Garics eher schlechtere. Die Einberufungspolitik von Constantini orientiert sich derzeit offensichtlich eher am Geburtsdatum als an den erbrachten Leistungen in nachweislich über die österreichische Liga zu stellenden Meisterschaften. Das ging bislang gut, weil zumeist das Spielglück und die Effizienz der Burschen die maßgeblichen Resultate im eigenen Sinne beeinflusst haben.

Auf Dauer wird das aber nicht genug sein.

Da ist es die Aufgabe eines Teamchefs und auch seines Umfelds, das Unternehmen Nationalmannschaft auf etwas breitere Füße zu stellen als Spielglück und jugendlichem Elan. Und Constantini hat in den sieben Spielen seiner ersten echten Amtszeit hinlänglich gezeigt, dass er für das strategische und individuelle Ein- und Aufstellen einer Mannschaft im 21. Jahrhundert nicht das nötige Rüstzeug hat. Hier müsste man Constantini, wenn er schon Teamchef bleibt, einen echten Strategen zur Seite stellen, wie es Jürgen Klinsmann mit Joachim Löw hatte. Der eine war für die Außenwirkung zuständig, für das Motivieren der Mannschaft, für die grobe Marschrichtung. Der andere hatte die Aufgabe, jeden Spieler ganz genau auf Spiel und Gegner, auf Strategie und Taktik vorzubereiten.

Wenn man zwei in einem nicht bekommt, muss man eben zwei Leute nehmen.

Am Geld sollte es im ÖFB nicht scheitern, eher schon am Willen – Manfred Zsak und Heinz Peischl sind nun mal gute Spezln aus gemeinsamen Spielertagen, gute Trainer sind sie aber nicht. Aber ein Coach, der während des Spiels „Kämpf, Lauf, Zuawe!“ als Korrektiv hineinruft, aber keine echten Anweisungen, hat im heutigen Fußball einfach nichts mehr verloren. So einer fehlt im ÖFB derzeit völlig – der einzige (neben Bundesliga-Trainern, die für diese Rolle kaum zur Verfügung stünden) der das könnte, sitzt in Lindabrunn als Trainerausbilder und hat keinerlei Lobby, trotz seiner unbestritten großartigen Fähigkeiten da in irgendeiner Weise eingebunden zu werden.

Die Rede ist natürlich von Thomas Janeschitz.

Er hatte schon als Spieler einen weiten Horizont, studierte schon während seiner aktiven Laufbahn, und brachte in seiner Zeit als Trainer beim Austria-Nachwuchs Spieler wie Okotie, Ulmer, Dragovic und auch Suttner hervor, dazu mit Ramsebner und Bichelhuber einige weitere aussichtsreiche Talente, die anderswo untergekommen sind. Er wäre einer, der wie Jogi Löw bei den Deutschen das Team strategisch einstellen könnte, während Constantini weiterhin den populären Skilehrer in der Öffentlichkeit gibt.

Es gibt also viel aus der abgelaufenen Qualifikation zu lernen.

Man müsste nur die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

(phe)

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Über Philipp Eitzinger

Journalist, Statistik-Experte und Taktik-Junkie. Kein Fan eines bestimmten heimischen Bundesliga-Vereins, sondern von guter Arbeit. Und voller Hoffnung, dass irgendwann doch noch alles gut wird.